Eintrag No. 692 — Diesmal gibt’s ne fette Nummer. Also los.
Lektüre: Haruki Murakamis »Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt« habe ich erstmal wieder zur Seite gelegt. Ist einfach zu wenig los in dem Buch, und banaler Kram wird zu breit ausgewalzt
Richtig gut gefällt mir bisher »The Windup Girl« von Paolo Bacigalupi. Am Rande hab ich mitbekommen, dass wieder mal ein neues Subgenre ausgerufen wurde, nämlich ›Biopunk‹. Und wenn man sich auf das Schubladenspiel einlässt, dann kann man »The Windup Girl« als leuchtendes Beispiel für ›Biopunk‹ nehmen. Immerhin wurde der Weltenbau gewebt aus solchen Themen-Fäden wie Ökologie, Rohstoff- & Energiekriese, gentechnisch entworfene (& patentierte) Nahrungsmittel, Fanatismus & Genozid, Vertreibung & Immigration. Nix Weltraum oder Aliens.
»The Windup Girl« wird Anfang Februar als »Biokrieg« bei Heyne erscheinen und es gibt auch eine großzügige (vierzig Seiten-)Leseprobe im Netzl. Leider ist das deutsche Titelbild ehr doof, hat nur im übertragenen Sinne Bezug zum Inhalt und erinnert merklich an ein Motiv zur ersten Staffel von »True Blood«.
Sympathisch finde ich, dass der Roman in Bangkok angesiedelt ist (wann genau, wurde bisher nicht gesagt, aber ich schätze mal in ca. 100 bis 200 Jahren), und dass die Protagonisten der vier Handlungsstränge gut ausgewählt sind:
a) Anderson Lake, der Fremdländer aus den USA, Leiter einer Fabrik für Antriebsfedern, aber eigentlich Spion für einen großen Genfood-Agrar-Konzern, immer auf der Suche nach neuen Lebensmittel-Züchtungen, bzw. Genehack-Verstößen;
b) Hock Seng, ehemals wohlhabender Händler in China, vor islamischen Fanatikern nach Thailand geflohen, schmeißt nun für Andersons Fabrik die Orga & Buchhaltung;
c) Jaidee Rojjanasukchai, Hauptmann beim Umweltministerium und scharfer, unbestechlicher Grenz-Kontrolleur, Held des Volkes und dem sich stets auf krumme Import-Deale einlassenden Handelsministeriums ein Dorn im Auge; und
d) das Titelmädchen, Emiko, eine künstliche Person, gebaut in Japan als Sekretärin, Übersetzerin und Gefährtin eines wohlhabenden Geschäftsmanns, wurde aber vom Besitzer in Bangkok zurückgelassen, wo Emiko nun als Sex-Spielzeug in einem Nachtclub darbt.
Zum anderen der Photobildband »Kleine Leute in der großen Stadt« des Londoner Streetartist Slinkachu. Irre Idee, kleine Eisenbahn-Figürchen irgendwo in der Stadt zu platzieren, stehen zu lassen als zu entdeckende Überraschung für Passanten und die abstrusen kleinen Szenen mit Photos zu dokumentieren.
Netzfunde
Klaus Jarchow liefert in seinem immer lesenswerten Blog ›Stilstand‹ eine knappe und exakte Analyse der Unverschämtheit von Sarah Palin im Zusammenhang mit den Amoklauf von Arizona: Vom Täter zum Opfer.
Unglaublich aber wahr: Im ›Focus‹ gibt es einen beherzigenswerten Text von Miriam Meckel zum Thema Wandel des Jouralismus in Zeiten des Internets und der sozialen Medien: Journalisten an der Crowdsourcing-Front. Sachliche und doch feurige »Bewegt Euren Hintern!«-Rede.
Die bisher erste (& zur Schande der deutschsprachigen Feuilleton-Landschaft) und einzige Rezension zu dem großartigen Buch »The German Genius« von Peter Watson bietet die ›Frankfurter Rundschau‹, wenn Arno Widmann loben darf …
So anregend hat lange niemand mehr einen Panoramablick auf die deutsche Geistesgeschichte der vergangenen zweihundertfünfzig Jahre geworfen. {…} Zur Moderne gehört die Kritik an ihr. Nirgends ist das, wie Watson zeigt, deutlicher zu sehen als in Deutschland. Genau darum aber empfiehlt er, die deutsche Erfahrung genau zu studieren:
»Was die Modernität betrifft, so ist Deutschland nicht nur eine ›verspätete Nation‹, es ist auch eine zögerliche Nation. Aber vielleicht birgt dieses Zögern eine Lehre. Wenn Wissenschaft und Kapitalismus … die Zerstörung unserer Umwelt, ja unserer Erde, nicht verhindern können, wenn sie sogar der primäre Auslöser für diese Zerstörung sind, dann wird nur eine Veränderung von uns selbst, ein Wandel unseres Willens etwas bewirken können. Die Deutschen erklären uns, dass der Weg aus unserem Dilemma weder ein technischer noch ein wissenschaftlicher, sondern ein philosophischer ist: eine Frage unserer Lebenseinstellung.«
Einsendeschluss ist der 31. März.
Mitmachen dürfen alle, die höchstens 18 Jahre alt sind.
(Zur Jury gehört auch so ein Spinner namens Molosovsky.)
Jubel ist angesagt, denn endlich endlich endlich geht es weiter auf der Hauptseite der Bibliotheka Phantastika. Vor allem die wunderschöne neue Gestaltug von moyashi gefällt mir. Es gibt neue Sächelchen, z.B. ein Blog, ein überarbeitetes Genre-Schubladensystem (mit ›Weird Fiction‹!), und eine Fibel mit Essays. Und 1000 Dank, dass der Molochronik auf der Link-Seite so weit oben ein Plätzchen eingeräumt wurde!!
Große Diskussion über die Lage der Fantasy in unseren Landen. Stein des Anstoßes war eine Erregung von Petra Hartmann im Fandom Observer 259 über die Schwemme an seichtem Fantasy-Lulu, dass die Buchhandlungen verstopft. Der Herr Breitsameter von SF-Fan hat daraufhin einige Leuts um Stellungnahmen gebeten (auch mich, aber meine Antwort fiel aus Zeitmangel zu kurz aus) und so gibt es die Antworten von …
… Markus ›Pogopuschel‹ Mäurer (Redakteur von ›Fantasyguide‹ und ›Phase X‹) :
Was mir persönlich ein wenig auf dem Buchmarkt fehlt sind einzelne, abgeschlossene Fantasy-Romane. Die unzähligen Reihen mit ihren Trilo-, Quadro-, Deka- und Kein-Ende-In-Sich-logien hängen mir inzwischen zum Hals raus. Hier wünsche ich mir etwas mehr Mut bei den Autoren und den Verlagen, aber auch bei den Lesern. Denn die Masse der Fantasyleser scheint ja leider das Bekannte (in Form von Endlosreihen) zu bevorzugen
… Adrian Maleska (Redakteur von ›Fantasybuch‹): Seine Meinung ist mir etwas zu vorsichtig und versöhnlich. Wertvoll finde ich seinen Tipp, sich als Leser doch mal zu bewegen und bei Verdruss nach neuen Weidegründen umzusehen.
… und Michael Scheuch (einem meiner beiden Redakteur-Cheffes von »Magira – Jahrbuch zu Fantasy«). Er hat die Cochones, auf einen der fatalsten Zustände hinzuweisen:
Im Buchhandel haben Thalia und Co. großen Einfluss auf die Gestaltung der Verlagsprogramme, und der rein optische Eindruck des Einerlei kommt auch von den Büchertischen und der Stapelware in den großen Läden.
Auf den Comic-Seiten des ›Tagesspiegels‹ empfiehlt unter dem Titel Schnüffler mit SchnauzeLars von Törne die Tierfabel-Noir Krimis »Blacksad« von Juan Díaz Canales und Juanjo Guarnido.
Ein Hoch auf Rupert Schwarz, der für ›Fictionfantasy‹ eine Rezension zu Tim Burtons Meisterwerk Mars Attacks liefert … auf Marsianisch!
Zuckerl
Web-Comic: Hochgradig durchgeknalltes Projekt, wenn bei Axe Cop der 29-jährige Zeichner Ethan Nicolle die Stories seines 5-jährigen Bruders Malachai Nicolle umsetzt. Richtig wilder Stoff in bisher knapp 60 Folgen.
Beeindruckende Photoserie von Francois Robert: Stop the Violoence. Aus den Knochen menschlicher Skelette zusamengesetzt Symbole, Worte und Waffen, sehr schön und zugleich spooky. Die Motive wurden aufgegriffen für eine Kampagne der ›Gesellschaft für bedrohte Völker‹.
Viel zu wenige Künstler liefern bratzige Brutalo-Hasen. Abhilfe schaffen aber die mutierten Roughneck Rabbits von Kai Spannuth.
Sehr elegenate Ansichten von Catwoman von Bengal, gefunden im ›Trixie Treats‹-Blog. Jummie!
Nase voll von den immer gleichen Kravatten-Knoten? Mit 5 New Creative Ways to Wear a Tie zeigt Caldwell Tanner von ›College Humor‹, wie Mann sein Repertoir aufbrezeln kann. Für Cthulhu-Acolyten natürlich besonders toll: ›The Lovecraft‹.
Bezaubende Phantastik-Gemälde von Julie Heffernan zeigt ›Escape to Life‹.
Zur Hebung der Laune präsentiert das ›Clockworker‹-Portal den kleinen Musikfilm Herr Ober, zwei Mocca mit Henry de Winter, begleitet von den Bratislava Hot Serenaders.
Zuletzt ein Schmankerl des von mir verehrten ›Distressed Watchers‹, der eine gloriose Top Ten der Antihelden erstellt hat. Ich bin sehr einverstanden damit, dass der »Unforgiven«-›Held‹ von Clint Eastwood Platz 1 belegt.
•••••
Flattrn Sie diesen Eintrag, wenn Sie der Meinung sind, dass er etwas wert ist.
Eintrag No. 671 — Letzten Donnerstag auf dem Heimweg nach der Arbeit. Fast 23:00 Uhr, finster, sehr kühl, leichter Nebel. Dreihundert Meter von meinem Heim entfernt kommt mir eine rot-weiße Katze auf dem Bürgersteig entgegen. Sie will mir & ich ihr ausweichen, und so versperren wir uns gegenseitig den Weg. Noch zwei Mal machen wir Ausweichmanöver und blockieren uns. Dann bleibe ich schließlich stehen, mache einen Schritt zur Seite. Die Katze guckt mich an, nickt und geht an mir vorbei. — Soll noch mal einer behaupten, wir Menschen wären was Besonderes.
Lektüre: Ausgesprochen große Freude mit Joe R. Lansdales »Kahlschlag« (habe hier berichtet, warum ich den Roman im Hause habe).
Im Zuge meiner Lektüre von Arno Schmidts »Zettel’s Traum« (= ZT) habe ich mich zu einem Kommentar in dem ›Schauerfeld‹-Blog verleiten lassen. — (Habe den Kommentar zum ersten Lektürebericht zu ZT ausgebaut.) — Derweil sei noch mal vermeldet, dass ich die beiden Lese-Blogs zu diesem Riesenwerk, ›Schauerfeld‹ und ›Zettel’s Traum lesen‹, aufmerksam verfolge. —— Ach ja, beim Suhrkamp-Verlag gibt es einen feinen einführenden Text von Susanne Fischer als PDF. —— Schließlich möchte ich noch auf die informative (und stellenweise amüsanten Einblick in das Schmidt-Leser-Biotop gewährende) Rezension von Jan Süsselbeck für ›Literaturkritik.de‹ hinweisen: Still he’s rowling along. Obwohl … entweder bin ich ein totaler Freak, oder Herr Süsselbeck liegt etwas daneben. Er schreibt z.B., dass »niemand ZT einfasch so liest« und ich tue genau das, auch wenn ich wahrscheinlich Monate dafür brauchen werde. Und wenn Süsselbeck, sich auf einen spontanen Ausspruch Peter Kurzecks berufend & diesem recht gebend, meint, dass »{d}ie meisten Leute Arno Schmidt aus {den} falschen Gründen {lesen}«, dann wüsste ich natürlich gerne, was a) diese falschen Gründe sind und wie b) denn richtigere Gründe für AS-Lektüren aussehen. Das wird leider nicht ganz klar. Trotzdem: gute Rezi.
Netzfunde
Für ›Der Freitag‹ schrieb Michael Jäger einen Artikel über die große Problematik, wie man von der unseligen Knechtung der Menschen durch das Auto wegkommen könnte: Der halbierte Bürgersteig.
Eine weitere Folge aus der begrüßenswerten Stilkunde-Reihe von ›Stilstand‹-Blogger Klaus Jarchow: Lob des Monotonen, diesmal anhand von Charles Dickens veranschaulicht.
Mit der jetzigen rot-gelben Regierung tritt der Mißstand des Entscheidens ohne Mitsprsche derer, die damit leben müssen / sollen wieder merklich gehäuft zu Tage. Da ist es gut, dass Max Steinbeis für ›Carta‹ mal Zehn Thesen zum Problem intransparenter Gesetzgebung zusammengestellt hat.
Ach ja: es gibt jetzt eine Wiki-Beobachtungs-Seite und ein dazugehöriges Wiki Watch-Blog. Die Dominanz der ›löschgeilen‹ Admins in der deutschen Wikipedia halte ich für eine der traurigeren Entwicklungen des deutschsprachigen Internets. Ich selber mache im deutschen Wiki nur noch Kleinigkeiten (wie Biographien ergänzen).
(Deutschsprachige) Phantastik-Funde
Dank des Hinweises von Molochronik-Leser Niklas kann ich hier einen Link zu einem langen (ausnahmsweise englischsprachigen) Interview mit Franz Rottensteiner anbieten, mit dem das englischsprachige Blog ›A Journey Around My Skull‹ gesprochen hat: View From Another Shore. Über Rottensteiner mag man (andere) sich streiten können, aber ich schätze den Mann sehr und bin der Meinung, dass der Niedergang von Suhrkamp schon mit der Einstellung der von Franz herausgegebenen Phantastischen Taschenbuch-Reihe des Verlages begonnen hat. — Sehr fein finde ich, dass das Interview auch einige Graphiken aus Herrn Rottensteiners Sammlung zeigt.
Bandit berichtet für ›PhantaNews‹ ausführlich über die TV-Verfilmung der exzellenten Comics »The Walking Dead« (deren ersten superdicken Sammelband ich vor einiger Zeit verköstigt habe und meisterlich finde): »The Walkind Dead« – seziert und gespoilert.
Ganz besonders habe ich mich über diesen Fund bei ›Steampunk-Welten‹ gefreut. Anlässlich des Carl Sagan Tages am 6. November hat Matthias eine Würdigung über diesen großen Wissensvermittler geschrieben. Etwas älter, aber auch einen Klick wert, ist dieser Eintrag im selben Blog zu einer meiner Allzeit-Favoriten-Serien: Carl Sagans »Cosmos«.
Bei ›Unreality‹ gibt es ein saukomisches Filmchen darüber, wie es aussähe, sich ein Erdnussbutterbrot mit Marmelade zu machen, wenn das ganze ein Quicktime-Boss-Kampf in einem Hacken & Schnezeln-Spiel wäre: Kratos Makes a Peanut Butter and Jelly Sandwich (zur Info: Kratos ist die Spielerfigur der »Gods of War«-Reihe).
Atemberaubend finde ich diese lustig-unheimlichen Zeichnung von Abner Dean aus seinem 1947 erschienenen Band: What Am I Doing Here?. Überraschend, wie zeitlos diese Witzebildchen sind, und wie erstaunlich freizügig sie für die damalige Zeit anmuten.
Alexander Lehmann hat wieder einen seiner wunderbaren Filmchen ins Netz gestellt. Diesmal zu einem Thema, wo uns ja allen die Halsadern anschwellen, dem verfluchten Politikmachen durch Geld und Vitamin-B: Lobbyismus für Dummies.
(Eintrag No. 499; Woanders, Blogosphäre, Literatur, Nazi-Fantasy) — Das freut mich freilich, wenn (nun schon zum zweiten Mal)Klaus Jarchow die »Molochronik« erwähnt. Diesmal als eine von sechs Linkempfehlungen zu interessanten, skurrilen und bekloppten Blogs (ich bin mal so frei und pick mir die Sparte ›skuril‹ als für mich passend; ist nicht zu hoch und nicht zu selbstkasteiend): »Sechsmal um den Blog«. Ich finde die Umschreibung ganz gelungen (bis auf die Erwähnung von Tolkien, den ich ja eher skeptisch beäuge):
Der Herr Molosovsky hat umdekoriert - es geht derzeit höchst schwarzweiß und holzschnittartig mit viel ›horror vacui‹ dort zu - und zwischendurch gibt es immer noch diese seltsamen Rezensionen jener Bücher, von denen ich nie vermutete, dass irgendwer sie vermissen könnte. Worum es in ihnen geht? Um Tolkien hoch drei — oder so. Jedenfalls jede Menge Magie und auch andere Substanzen auf dieser Seite. Für mich ist’s der Blick in eine ›andere Welt‹ …
Habe mich auch gleich nach Entdecken der Meldung brav bedankt.
Außerdem …
Scheinbar überall wird ja dieser Tage der Roman »Die Wohlgesinnten« von Jonathan Littell besprochen. (Nebenbei: In der aktuellen »Literaturen« illustriert ein Photo des Nazi-Golem-Bösewichts Kroenen aus dem ersten »Hellboy«-Film den Artikel. — Und ich frage mich, wann die SF- und Cyberpunk-Kreise merken und kommentieren, dass der Debutroman des damals zweiundzwanzigjährigen Littell ein waschechter SF-Hardcore-Flick namens »Bad Voltage« war. Fetzigen Verriss kann man bei »Die Welt« genießen, und dabei die feine Vokabel ›Poshlust‹ lernen.) — Wie auch immer: Derweil ich darauf warte, dass in einem der Antiquas Frankfurts eine für mich erschwingliche Ausgabe von »Die Wohlgesinnten« angeschwemmt wird, bin ich über drei lesenswerte Reaktionen zu diesem Monsterroman gestoßen.
A: — Alban Nikolai Herbst traut sich, uns in seinem Blog »Die Dschungel« mitzunehmen auf seine persönliche Lesereise durch das Buch. Bisher gibt es fünf Einträge in der Themenfach »Notate«: 1. Iris Radisch / 2. Abwehr heilt nicht / 3. Banalität des Bösen / 4. Es ist nicht ausgestanden / 5. Unverfluchtheit. — Spannend zu lesen, wie Herbst sich beim Lesen über die Schulter schauen lässt. Herbst ist derweil begeistert von dem Buch (oder auch ›nur‹ von den Gedanken, auf die ihn selbiges bringt), macht aber aufmerksam darauf, dass seine Notate eben noch kein Schluss-Urteil sind, und er sich womöglich im Laufe der Lektüre noch widersprechen wird. Ich ziehe auf jeden Fall respektvoll meinen Hut, wie Herbst hier die Möglichkeiten des Schreibens im Internet nutzt.
B: —Thor Kunkel hat sich in seiner Blog-Rubrik »Unnatürlich natürlich« Littell und das Pahö um sein Buch vorgenommen und lässt keinen Zweifel daran, dass er beides für schwer überzogen hält. Bedenkenswert, wie Kunkel ausdeutet, dass Jorge Luis Borges mit seiner ca. 2300 Worte kurzen Geschichte »Deutsches Requiem« bereits knapper und eleganter auf den Punkt gebracht hat, was der Katharsisziegel »Die Wohlgesinnten« zur Sprache zu bringen trachtet. Nett auch der Hinweis, dass der Roman in Spanien floppte.
C: —Am differnziertesten hat das italienische Autorenkollektiv Wu Ming den Roman besprochen(auf Englisch). Bei uns sind Wu Ming bekannter unter ihrem ›alten Pseudonym‹ Luther Blissett (nebenbei: dessen historischer, zu Zeiten der Reformation spielender, Infowar-Roman »Q« ist sehr feiner Stoff). Sie vergleichen, wie mir dünkt, durchaus passend, das Hybris-Unternehmen von Littell mit Melvilles »Moby Dick« und unterstreichen die Zweischneidigkeit der Wirkung von »Die Wohlgesinnten«. Einerseits macht Littell schön deutlich, dass eben auch das sogenannte ›Unmenschliche‹ etwas völlig Menschliches ist (jeder kann zum Nazi werden, jedermensch nehme also zuvörderst ›sich selbst‹ suspekt in Augenschein). Andererseits warnt Wu Ming, dass man sich als Komplettleser des Wälzers und dessen zig Seiten langen Greulbeschreibungen in Gefahr begibt abzustumpfen.
»To put it clearly: once we've finished the reading we're meaner than when we started.«
(Nochmal nebenbei: Warum eigentlich wurde von Luther Blissett/Wu Ming nix mehr auf Deutsch herausgebracht. Der Roman »54« dürfte doch bei uns durchaus in für einen Verlag ausreichendem Maße Leser finden, oder? Kalter Krieg, Füfzigerjahre, Cary Grant als Geheimagent und so.).