»Phantasia«, Begriffsumzirkelung
(Eintrag 395; Gesellschaft, Medien, Seelenkunde) — Hab mich gestern sehr schlampig in Sachen ›Was bedeutet Phantasie‹ geäußert.
Wiederum, um nicht die Hauptseite hier vollzumüllen, hab ich mal die 19 Spalten zum Begriff ›Phantasia‹ aus dem »Historischen Wörterbuch der Philosophie« (Hrsg. Joachim Ritter & Karlfried Gründer; Bd. 7, Spalten 516ff; Schwab & Co AG Verlag, Basel 1987) zusammengefasst und als ersten Kommentar zu diesem Beitrag eingepflegt.
molosovsky Besitzerin
ANTIKE
BYZANZ
MITTELALTER
RENAISSANCE
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…findet sich hier.
Colin McGinn: »Das geistige Auge«, Primus Verlag 2007 / »Mindsight«, Havard 2004. — McGinn ist einer der bekennenden Atheisten, die zur BBC-Doku über die Geschichte des Atheismus beitrugen, und er hat auch mitgemacht bei den zwei Dokus über die philosophischen und technologischen Wurzeln der »The Matrix«-Filme.
Ich versuch mich mal an einer Stegreifübersetzung (Seite 158ff). — Fette Hervorhebungen der Übersichtlichkeit halber von mir. Andere Fpormatierungen stammen von McGinn.
Empfindung/Wahrnehmung … Gedächtnisvorstellung > phantasievolle Abtastung > produktive Vorstellung > Tagtraum/Traum > Möglichkeit und Verneinung > Bedeutung > Kreativität
Wir beginnen mit der grundlegenden Empfindung, ungetrübt von Vorstellungen/Bildern — dem Einwirken der Welt auf die kindlichen Sinne. Auf dieser Stufe tritt noch keine Vorstellungen, kein Bild auf. Die drei Punkte stehen dann für einen Übergang und eine bedeutende Unstetigkeit: die Gedächtnisvorstellung, das Gedächtnisbild leitet sich von der Empfindung ab, ist aber keine Art der Empfindung; eine wesentliche Transformation findet in dieser frühen Phase statt. Mit dem Aufkommen der Gedächtnisvorstellung sind nun viele der charakteristischen Eigenschaften der Vorstellungskraft bereits ins Spiel gekommen; eine neue psychologische Ära ist angebrochen. Das Subjekt kann sich nun vorstellen was nicht vorhanden ist, genauso was das, was vorhanden ist (diese Fähigkeit ist unabhängig von der Beherrschung konzeptionellen Denkens). Ist erstmal die Gedächtnisvorstellung da, ist der Weg geebnet für die phantasievolle Abtastung, was eine Kombination aus Empfinung und Vorstellung ist: eine gegenwärtige visuelle Empfindung ruft eine Gedächtnisvorstellung hervor, und die beiden fließen zusammen zu einem Vorgang des Sehen-als-Ob. Die produktive Vorstellung ist für für unseren wachsenden Verstand {mind} noch nicht greifbar, da sie eine kreative Neukombinierung von Elementen verlangt — und sich damit einen größeren Schritt entfernt vom rein Sensorischen. Wir können uns den reifenden Vorstellungsmacher {imaginer} als jemanden denken, der die Macht aus sich selbst zu schöpfen entdeckt hat — eine augenblickliche/schlagartige Entdeckung. Nun kann er neue Vorstellungen, Bilder nach Gutdünken erschaffen, die Welt neuarrangieren wie es ihm passt; er ist nicht länger ein Sklave des Gegebenen. Mit der nun vom Wahrnehmungs-Prototyp befreiten Vorstellung ist der Weg geebnet für eine zeitliche Reihenfolgenbildung solcherartiger produktiver Vorstellungen — somit also das Träumen (tags und nachts). Der Vorstellungsmacher kann nun seine Vorstellungen aneinanderreihen, sowohl Gedächtnisvorstellungen wie produktive Vorstellungen, um geschichtenartige Strukturen zu bilden, die von der Art wie die Welt sich objektiv entwickelt abweichen. Er hat die Fiktion entdeckt. Mit dieser Entwicklung kommt die Idee der Alterntive zum Tatsächlichen auf — die Idee von dem, was lediglich möglich ist. Damit betritt der Vorstellungsmacher das Reich des Modalen, des Was-sein-könnte: der Traum repräsentiert wie die Dinge verlaufen könnten und öffnet damit ein Fenster in mögliche Welten. Der Traum repräsentiert eine alternative Weltgeschichte, und führt damit zu Gedanken über das Zufällige/Abhängige {contingent} und Hypothetische. Damit verbunden ist die Verneinung, denn die Verneinung greift ein um Möglichkeiten aus dem Gegebenen zu schaffen.: das (lediglich) Mögliche ist das, was nicht im Gegebenen beobachtet werden kann. Wurden aber Möglichkeiten erstmal greifbar, läßt sich auch Bedeutung gewinnen, da Sätze wiedergeben, was sein könnte: Bedeutung dreht sich um mögliche Wahrheit (oder Unwahrheit). Nun kann der Verstand über unendliche viele Möglichkeiten des Stands der Dinge nachdenken, jeder Stand der Dinge korresponidert mit einem bedeutungsvollem Satz, und das Sensorische bleibt zurück. Dann erreichen wir den letzten Schritt in dieser Abfolge: echte hochgradige Kreativität. Diese tritt auf, wenn der Verstand erstmal in der Lage ist, sich vorzustellen wie die Welt sein könnte und wie diese Repräsentationen sich manipulieren lassen um neue Gedanken zu formen. Somit kann der Erneuerer fiktive Narrationen konstruieren die nicht dem Zwang der tatsächlichen Historie unterworfen sind; und der Wissenschaftler kann über spekulative Theorien nachdenken, wie sie dich Welt objektiv konstituiert. Alternative »Weltbilder« {worldviews} lassen sich nun konstruieren, unter Verwendung aller Resourcen der menschlichen Kreativität. So führt die einfache Gedächtnisvorstellung stufenweise zu den höchsten Flügen der kreativen Vorstellungskraft.
Man könnte nun im Detail kommentieren, wo bei den einzelnen Schritten heikel eingegriffen wird, wo zu welchem (manipulativen) Zweck mit der Macht der Vorstellungen Schindluder getrieben wird, bzw. welche Umsicht man wallten lassen sollte beim Umgang mit Vorstellungen. Aber den Job heb ich mir auf für später.