Bizarrer Hartz-IV-Fragebogen (aber ich will mal nicht so knauserig mit meiner Meinung sein)
(Eintrag No. 401; Gesellschaft, Großer Bruder, Nach Vorne Verteidigung und Reaktion) — Grad les ich bei »SpiegelOnline« von einem Fragebogen, den man für ziemlich unverschämt oder innovativ halten kann. Die Arbeitsagentur in Hamburg (und angeblich bald auch anderer Städte) stellt darin Beziehern von Hartz-IV außerordentlich persönliche Fragen zu Neigungen und Fähigkeiten, angeblich wegen der noblen Ambition, um ›ein umfangreiches Profil der Kunden zu erhalten‹, um ›passgenauere Instrumente für den Förderbedarf‹ zu erlangen.
Das ist ja schön und gut, aber die Unverschämtheit liegt klar offen, wenn ich (Hartz-IV-Empfägner) darauf verweise, daß z.B. unsere Abgeordneten sich mit Händen und Füßen gewehrt haben, ihre Nebeneinkünfte von nichtparalemtarischen Tätigkeiten offen zu legen (und so richtig transparant ist die derzeitige Praxis dazu immer noch nicht). Zudem wäre es wohl im Interesse der öffentlichen, politischen Meinungsbildung und Orientierung, wenn die genannten Fragen von allen Inhabern öffentlicher Ämter beantwortet würden. Auch um einschätzen zu können, wie gut die Arge-Mirtarbeiter geeignet sind, sich mit meiner Lage zu befassen, wäre es sicherlich nur fair, wenn die Mitarbeiter der Arbeitsagentur selbst diesen Fragebogen ausfüllen und deutlich sichtbar in ihrem Büro aufhängen würden.
Hier die bei SpOn genannten Beispiele und meine mal der Unverschämtheit der Fragen angemessenen Antworten. Ich gebe die Fragen paraphraisiert wieder, da mir der Fragebogen selbst noch nicht vorliegt:
-
»Peppen Sie ihren Speiseplan mit exotischen Gerichten (z. B. aus Indien, Japan und Mexiko) auf?« — Molos Antwort: Ich beziehe meine Nahrungsmittel von ortsansässigen Händlern. Gerade als Hartz-IV-Empfänger muß ich auch was Ernährung betrifft sparen, und kann mir exotische Nahrung aus fernen Weltgeilden in der Regel nicht leisten. Zudem bin ich trotz meines Interesses für die Herkunft von Nahrung oftmals nicht in der Lage en detail nachzuvollziehen, woher Nahrung stammt, welchen Weg sie vom Ursprung bis zu meinem Herd zurückgelegt hat. Was Rezepte betrifft kann ich aber antworten, daß ich neugierig und für alles offen bin. Ich würde mir z.B. gerne mal afrikanische Ameisen- und Termitengerichte leisten können und wäre auch nicht abgeneigt, das Amazonasindianer-Rezept ›in Pflanzenblatt eingewickelte und im Feuer gegarte Tarantel‹ auszuprobieren. Allgemein habe ich eine Schwäche für alle eintopfartigen Gerichte.
-
»War das Leben in der DDR Ihrer Meinung nach gar nicht so schlecht?« — Molos Antwort: Ich bin in der BRD aufgewachsen, und habe darüberhinaus in Wien, Marburg gelebt und wohne derzeit in Frankfurt am Main. Über das Leben in der DDR kann ich keine direkten Erfahrungsurteile abgeben. Dem Vernehmen nach, soll aber das Leben in der DDR weder vollends eitel Sonnenschein noch Pfui-Deibel gewesen sein. Die Dinge waren wohl, wie z.B. der Niederrheinländer Hans Dieter Hüsch zu sagen pflegte, ›gemischter‹.
-
»Schauen Sie gern Filme, in denen viel Gewalt vorkommt?« — Molos Antwort: Kommt auf den Film an. Nennen Sie Beispiele, und ich kann Ihnen mit meiner ästhetischen Meinung dienen. Im Großen und Ganzen weiß ich eine narrative, filmische Darstellung und Verarbeitung von bederückenderen und ungeheuerlichen Aspekten des Lebens zu schätzen.
-
»Fänden Sie es schön, wenn eine Liebe ein ganzes Leben hält?« — Molos Antwort: Wer fände das nicht schön? Zudem ist mir nicht klar, welche Art von Liebe gemeint ist? Die Liebe zum Leben? Die Liebe zur Wahrheit? Die Liebe zu einem Menschen? Liebe zum Geld? Tierliebe? Bücherliebe? Selbstverliebtheit? Präzisieren Sie bitte die Frage.
-
»Können Ihnen Dinge wie Tarot, Kristalle oder Mandalas helfen, in schwierigen Lebenssituationen die richtige Entscheidung zu treffen?« — Molos Antwort: Bezogen auf schwierige Lebenssituationen nehme ich Abstand von derartigen Hilfsinstrumenten. Aber im Alltag greife ich gerne mal zum Münzwurf, wenn es bei unentschiedenen Situationen z.B. darum geht, ob ich mit meiner Partnerin den Zoo oder den Botanischen Garten besuche.
-
»Spielen christliche Wertvorstellungen keine Rolle für Sie?« — Molos Antwort: Natürlich nicht. Allein schon, weil christliche Wertvorstellungen (nebenbei: Welche?) schon vor meiner Existenz vorhanden waren und ich mich als mit ihnen Konfrontierter auseinandersetzten muß (was aber auch für z.B. heidnische, technoikratische, neokonservative, libertinäre, humanistische, bellezistische, idealistische usw. ect. pp. ff. Wertvorstellungen gilt). Ich gebe freimütig zu mich persönlich als einen ›Bright‹ zu bezeichnen, genauer: als einen ›Brückenbauer-Bright‹, der daran ›glaubt‹, daß alle Weltbilder ihre guten und schlechten Seiten haben. Das absolute Verdammen oder Lobhudeln von Wertvorstellungskonglomeraten liegt mir allerdings fern. Zudem mühe ich mich zu unterscheiden zwischen Werten die sich auf die (möglichst) objektive Erkenntnis der Welt beziehen, und solchen, die sich mit ethischer Orientierung auseinandersetzen. Als ›Bright‹ pflege ich da freilich meine Präferenzen, was den großphantastischen, gesellschaftlichen Gestaltungsdiskurs betrifft.
- »Die Werbung im Fernsehen finde ich meist ganz unterhaltsam.« — Molos Antwort: Ich habe seit ca. 15 Jahren keinen Tv-Anschluß und die wenigen Male, bei denen ich bei Bekannten Fernseh guck, ist mir jegliche Werbung ein Greul.
remington
Hallo Meister!
Falls Ihnen dieser Rat noch fehlen sollte...Bei Kommunikation mit Behörden und besonders mit der ARGE gilt: Keine Fremdworte verwenden. Da kann sonstwas bei rauskommen. Mit diesen Antworten wären Sie bereits abgestempelt als "abgehobener Intellektueller" und gelten somit automatisch als schwer vermittelbar.
Was Ihnen umgehend eine Weiterbildung in Bewerbungstechnik einbringen kann. Und wer das mal mitgemacht hat, glaubt nicht mehr an eine Zukunft der Menschheit.
Alles Gute und viele Grüße nach Frankfurt. Erinnere mich immer wieder gern.
Remington
yiyippeeyippeeyay
Das ist ziemlicher Quatsch; das muss doch was entspr. dem Datenschutz machbar sein? Privatspäre ist nun mal Privatsphäre und da hat der Große Bruder AA nichts zu suchen. Evtl. ist der Fragebogen ja einfach optional?
Grüße aus dem utopischen und echsenhaften Jenseits!
P.S.: Eine Frag wollte ich dir aber noch stellen - "Können sie 3 Mal schnell hintereinander Hartz-IV-Empfänger buchstabieren?" ;-)
P.P.S.: Glückwunsch zum Runden-Beitrags-Meilenstein!
molosovsky Besitzerin
@Remmington: Wie, ich soll Internationalismen meiden? Naja, ich betrachte meine Antworten hier eh als Manöver.
Zum Bewerbungstraining BIN ich ja schon geschickt worden. Immerhin hat man mich soweit aufbauen können, daß ich mittlerweile einen 400 € (170 behalten)-Job als Aufsicht in einer europaweit angesehenen großen Gallerie hab, und darüberhinaus dazu ermuntert, halt mit offenen Augen durch die Gegend zu laufen, damit ich den Topf finde, auf den ich als Deckel passe. Derzeit lote ich aus, ob das Feld der Fremdenführerei und Kulturvermittlung sich für mich als ›gutbürgerliches‹ Karrierefeld eignet, solange ich weder als Phantastik-Fabulierer noch als Privatdozent für ernsthaften Blödsinn Brot noch Butter aufn Tisch zu schaffen vermag.
P.S.: 1000 Dank nochmal für die Brachialreperatur der Gangsteckdose. Hält immer noch!
@yippie…: Ich dachte immer, beim Datenschutz geht es darum, die Daten der Machthabenden und Küngelbrüder & -schwestern vor den neugierigen Augen der einheimischen Bevölkerung und Chinesen zu schützen. Leb ich auch diesmezüglich in der falschen Welt, ich blauäugiger Phantast ich!
Natürlich ›kann‹ ich dreimal fehlerfrei Hartz-IV-Empfänger tippen (freihändig ohne ›Kopieren & Einsetzten‹-Knöpchen), aber wenn ich einen Molochronik-Eintrag OHNE Fittpehler abliefere, bekomme ich Sorgensmeldungen meiner Langzeitleser :)
Und ich Freu mich herzlich zu Deiner Gratulation zum 2000-Tages-Meilenstein.
(Kratzfuß und ab.)
mow
Die ARGEn wollen nicht immer die gleichen Briefe schreiben. Anstelle "wenn Sie Ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkommen, werden die Leistungen gekürzt" kann man dann schreiben, "wird Sie der Zorn Gottes/Shivas/[...] treffen".
Und wenn man einen Vermittlungsvorschlag hat, wird geraten sich sofort zu bewerben, "weil die Sterne günstig stehen".
Wer gewalttätige Filme mag, wird zu einer Weiterbildung als Türsteher geschickt, wer Tarot liebt, soll sich bei einer Esoterik-Hotline bewerben.
Und wer die Liebe seines Lebens gefunden hat, der soll sich das Leben auch gefälligst von der - und nicht vom Staat - bezahlen lassen. Egal, wo er wohnt, Love will schließlich conquer all.
Damit wird die ganze Betreuung individueller und folgt der gesetztlichen Vorgabe.
Marc
molosovsky Besitzerin
Hi mow (willkommen hier),
ich seh schon, da werd ich dann bald mit Akkupunkturnadeln aufm Leib wie Pinhead durch die Gegen ziehen und mundtrompetische Fanfaren trällern, bis mich einer der edlen Managerritter zu seinem wandelnden Radio macht. Und jeden zweiten Tag Tarantelburger mit Maggie/Kirsch-Bionade.
merzmensch
Interessant, wie wird's denn mit einem umgegangen, der folgende Antworten gibt:
1. »Peppen Sie ihren Speiseplan mit exotischen Gerichten (z. B. aus Indien, Japan und Mexiko) auf?«
Ja, als Vorspeise würze ich meine Tortilla mit Wasabi, zur Hauptspeise esse ich Tamagoyaki mit Curry-Reis und trinke äthyopischen Kombolcha-Bier mit getrockneten Milch-Sardinen.
2. »War das Leben in der DDR Ihrer Meinung nach gar nicht so schlecht?«
Meiner Meinung nach ist das Harz-Leben im Westen nicht mit der sozialistischen Stabilität der Armut in der DDR zu vergleichen.
3. »Schauen Sie gern Filme, in denen viel Gewalt vorkommt?«
Wir sitzen oft abends mit Familie und Kinder und ziehen uns ausgeliehenen Horror-Films rein.
4. »Fänden Sie es schön, wenn eine Liebe ein ganzes Leben hält?«
Nein, ich wechsle ständig meine Partner und die Familie an sich ist das sinnloseste Unternehmen, das je von dem beschränkten kranken menschlichen Hirn ausgedacht wurde.
5. »Können Ihnen Dinge wie Tarot, Kristalle oder Mandalas helfen, in schwierigen Lebenssituationen die richtige Entscheidung zu treffen?«
Da die Politik nicht helfen kann, greifen wir stets zu unkonventionellen Mitteln. Da ist mindestens noch etwas Fairness drin.
6. »Spielen christliche Wertvorstellungen keine Rolle für Sie?«
Nein. Ich bin Antichrist.
molosovsky Besitzerin
Kurz nur: als ich erfuhr, daß die über 100 Fragen auf die Leut loslassen, und noch mehr beschreibendes über die Art der Fragen gelesen hab, erinnerte mich das die Scientology-Fragebögen, die ich vor über 10 Jahren mal begutachten konnte.