molochronik
Mittwoch, 24. September 2008

Dietmar Dath: »Die Abschaffung der Arten« und eine schöne Unterscheidung

Eintrag No. 525 — Auf der Website zu seinem neuem Buch »Die Abschaffung der Arten« bekommt man ein ausführliches Interview mit dem Autoren Dietmar Dath geboten. Unter anderem führt er dort eine, wie ich finde, sehr verführerische Unterscheidung der drei großen Schubladen des Phantastischen, SF, Fantasy, Horror vor.

{W}as ist das denn eigentlich, Fantasy, im Gegensatz zu den beiden anderen Untergattungen der heutigen Phantastik, Horror und Science Fiction? Fantasy ist diejenige Literatur, die sich mit den Gesetzen, Konsequenzen und Implikationen des magischen Denkens beschäftigt. Das magische Denken — Analogien, Totem, Tabu, Fetisch, Übernatürliches etc.

Im Gegensatz zu den Literaturen, die sich mit dem magischen Denken beschäftigen, steht…

…das wissenschaftliche — Induktion, Deduktion, Hypothesenbildung, Occams Rasierklinge etc. pp.

Dem entsprechend erläuert Dath desweiteren:

Fantasy beschäftigt sich mit Offenbarungen; Science Fiction damit, etwas auf anstrengendere Art herausfinden und anwenden zu müssen. Also nicht: Fantasy ist das Unmögliche, Science Fiction das Mögliche. Sondern: Fantasy will Erkenntnis-Effekte als Überwältigung durch das Nichtverstehbare, Science Fiction will dieselben Effekte als Beeindrucktsein von (durchaus manchmal gewaltigen) Arbeitsergebnissen. Gemeinsam haben die beiden Gattungen allerdings miteinander (und mit dem Horror, in dem es um das auf viszerale [= lat. ›Eingeweide‹ — A.v.Molo] Wirkungen berechnete Erschüttern und manchmal Wiedererrichten von stabilen sozialen, sexuellen und sonstigen Ordnungen geht, weswegen Horrorelemente sowohl in SF wie in Fantasy Platz haben, da sich dieses Problem sowohl magisch wie wissenschaftlich betrachten läßt), daß sie versuchen, vollständige Welten zu suggerieren (nicht »zu erschaffen«, das geht ja nicht, das sagt man nur manchmal als größenwahnsinniges Kürzel so daher).

Auch zum immer noch unermüdlich vorgebrachten Eskapismusvorwurf, mit der man die Phantastik gerne ins Abseits zu stellen trachtet, hat Dietmar Dath eine vorzügliche Replik parat:

Ich fand sehr nett, wie sich der große Wahnsinnige John C. Wright in der Widmung zu seiner soeben erschienenen Fortsetzung von A.E. Van Vogts Null-A-Geschichten bei Van Vogt bedankt hat: Dessen Welten, so Wright, seien in Wrights Kindheit diejenigen gewesen, die ihn, den lesenden Jungen, gern empfangen hätten, wenn er sich wieder mal von der andern, der empirischen sozialen Welt verstoßen gefühlt habe. Das ist, entgegen der beliebten Eskapismusschimpfe von Sozialpädagogen und anderen Wirklichkeitsdressurreitern, eine völlig legitime, im Gelingensfall sogar hoch ehrenwerte Leistung phantastischer Literatur oder Kunst. Ich meine, im Ernst, Kinder: Das könnte denen so passen, daß man ihre Scheißwirklichkeit nicht nur nicht verändern können soll, sondern noch nicht einmal das Recht zugestanden kriegt, sich mal eine Weile mit was ganz anderem zu befassen, um nicht komplett abzustumpfen.

NACHTRAG vom Samstag, den 28. Okt. ‘08:

Nun habe ich den Dietmar Dath endlich mal gesehen, bzw. gehört. Ist ja immer so eine Sache, die einem bei Zweifelsfällen weiterhilft, wenn man (also ich) nicht immer durchblickt, wie ein Autor (eben Dath) etwas meint. Ich tue mir ja zugegebenerweise oftmals schwer damit zu unterscheiden, wann jemand die Wahrheit sagt, und wann er es ernst meint.

Nun also weiß ich, das Dath so ein ganz schnell Sprechender ist. Leider leider hat er sich die meines Erachtens schwächste Stelle aus »Die Abschaffung der Arten« augesucht, um dem Buchpreispublikum im Literaturhaus zu Frankfurts Schöner Aussicht eine Kostprobe zu bieten.

Bei dem Buch wird ja viel durcheinandergemischt (und der Collageästhetetik nähere ich mich ja erstmal mit einem wohlwollendem Vorurteil, zumal das Buch ja gleich zu Beginn mit einem Motto von Lord Julius aus »Cerebus« aufwartet.). Das liest sich über weite Strecken wie ein Konversationsroman mit Tieren. Ziemlich lustig, wenn z.B. Kunstgalerie-Wichtigtuerei-Gesülze veräppelt wird, oder auch, wenn Dath mittels dem Jounglieren aller möglichen dollen SF-Ideen (oder sollte ich ›Spinnereien‹ sagen?) über die Doofheit der Gegenwart lästert. Immerhin wird als der rote Faden Buches die brenzlige Frage angeboten ›warum den Menschen passiert ist, was ihnen passiert ist‹.

Langweilig und arg verstelzt geriet Daths Roman — tragischerweise ausgerechnet — wenn er anfängt über Liebe und Sex zu schreiben. Da gelingt ihm leider nur alle paar Absätze mal ein mitreissender, nichtpeinlicher Satz (Romeo & Julia wird bemüht, um den selbstgenügsamen Dual-Narzismus eines ehemals männlichen, nun weiblichen Schwanenwesens zu schildern, dass sich in zwei Leiber aufteilen kann, bei Mondlicht! im Bombenkraterteich der Ruine der Uni Princton!).

Es zeichnet sich für mich als Tendenz ab: Als Thesenschleuder und anregender Ideenbäcker ist Dath, wie immer eigentlich, echt ein Genuß. Aber leider krankt seine Erzählerei an Nervigkeit. — Extremst daneben finde ich Daths begeisterte Hillfslosigkeit, wenn seine tierischen Zukunftsbewohner sich die Namen von SF-Autoren aufsagen, und welche dollen Dinge die in ihren Büchern diagnostiziert, vorhergesehen haben.

Ach ja: in Richtung (Schutz)Umschlaggestalter des Suhrkampverlages. Das Cover ist total in Hose gegangen! Hat höchstens Chancen auf den Preis des langweiligsten Covers des Quartals.

Ich gebe bescheid wenn ich mit dem Buch fertig bin (ich bin derzeit auf Seite 319 von 552).

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Dietmar Dath: »Die Abschaffung der Arten«; 552 Seiten (122 Kapitel gebündelt in XVIII Abschnitten unterteilt in Vier Sätze), mit Tiervirgnetten von Daniela Burger; Suhrkamp 2008 (gebunden); ISBN: 978-3-518-42021-8
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