Auf die Schnelle: »Die verrückte Welt der Paralleluniversen« von Tobias Hürter & Max Rauner
Eintrag No. 605 — In der Schirn kann man derzeit wunderschöne Gemälde des ›Pünktchenmalers‹ Georges Seurat, und seine (in meinen Augen) noch viel wunderbareren Graphiken bestaunen. Richtig gut besucht. (Ich frage mich, ob man den Herrn Schäuble mal aufmerksam machen sollte auf Renter-Rotten, die auf der Suche nach Pläsier unangemeldet(!) z. B. ein Kunsthaus – und dessen Gardarobe – mit ihrer vielköpfigen Anwesenheit bis zur Grenze ihrer Kapazitäten und darüber hinaus belasten.) Der Abbau der vergangenen Moholy-Nagy-Schau und der Aufbau der nächsten Ausstellung rauben mit die Zeit und zehren an meinen Kräften, so dass ich hier in meiner Molochronik mal wieder zu nix komme.
Also wenigstens mal anfangen mit ‘ner neuen Rezi.
Schon letzten Monat habe ich »Die verrückte Welt der Paralleluniversen« von Tobias Hürter & Max Rauner gelesen. Unfairerweise erwähne ich zuerst, dass die Illustrationen von Vitali Konstantinov im Buch viel besser sind, als das gestalterisch fragwürdige Cover vermuten läßt. Besonders praktisch ist die doppelseitige Verbildlichung der verschiedenen Levels an Multiversums-Theorien. Das Buch selbst bietet einen ganz guten und vor allem kurzweiligen Überblick zu dieser recht neuen und (wie mir etwas zu oft erwähnt wird) umstrittenden Theorie-Schule der Teilchen- & Astrophysik und eben der Kosmologie an.
Hürter (»P. M.«-Autor) und Rauner (»Die Zeit«-Redakteur) wissen, wie man Kompliziertes aus der Wissenschaft mundgerecht zubereitet. Unter anderem, indem man die menschliche Facette des Ringens um Erkenntnis beachtet, und also den wichtigsten an der Entwicklung von Vielweltentheorien wirkenden Wissenschaftlern & Denkern kleine muntere Biographissimos widmet, oder (vor allem zu Kapitelbeginn) szenische Schilderungen aufführt, so als wäre man dabei.
Höhepunkt waren für mich die Boltzmann-Gehirne. Die haben ihren Auftritt, als es um Ludwig Boltzmann geht, der folgende Ansicht vertrat:
Boltzmann fand (phantastisches) Spekulieren durchaus nützlich, um das Ziehen größerer Ideenkreise und damit verbundene Horizonterweiterungen zu üben. Als Beispiel für etwas extrem Unwahrscheinliches regen Hürter und Rauner die Leser an, sich vorzustellen, dass …
Woraus sich ganz neue Ängste und Hoffnungen ableiten lassen: Ich bin einsam, warum ploppt kein sexy Boltzmann-Gehirn vor mir aus dem Nichts! — Oh weh, ich bin selbst vielleicht nur ein Boltzmann-Gehirn! — Hoffentlich verwandelte ich mich nicht spontan in einen Wal!
Empfehlenswertes Buch für Zwischendurch. Geeignet als Sachbuch-Erstkontakt was Multiversumtheorien angeht. Besonders freut, dass die Autoren keine Scheu haben zu erwähnen, dass (phantastische) Autoren wie Borges, Moorcock, Kehlmann, Nabokov und Pynchon den Wissenschaftlern manchmal beim Formulieren und/oder Druchspielen der Ideen von den vielen Welten voraus waren/sind. (Lediglich die Erwähnung von Julie Zeh tat mir weh.) — Zudem: das Buch ist eine feine Ergänzung (ich verrat aber nicht genau warum) zu dem neuen Neal Stephenson-Roman »Anathem« (der nun, etwa ein Jahr nach der englischsprachigen Orginalausgabe gut übersetzt auf Deutsch erschienen ist).
Tadeln muss ich, dass weder Personen- noch Sach-Index vorliegen. Die am Ende zu findenden 49 biographischen Skizzelchen und das Literaturverzeichnis vermögen diesen Makel nicht wett zu machen.
{Will noch ein paar Worte über das Buch ergänzen. Mehr in den nächsten Tagen. — Ein Monat keine Zeit für einen neuen Blogeintrag. Herrgottsackra! Ich hab zu viel Stress.}
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Sie nannten Ihn Kangaroo
Weil du am Ende Stephenson erwähnst, werden wir in näherer Zukunft von dir ein Review zu Anathem zu lesen bekommen ?
molosovsky Besitzerin
»Anathem« gehörte ja zu meinen Best-Büchern des Grenzübergangs 2008 / 2009. Bisher habe ich nicht von Stephenson gelesen, das mich nicht gewaltig beeindruckt hat. Und eine Rezi möchte ich gerne schreiben, nur bei einem Schinken (och dazu einem so vielschichtigen) wie »Anathem« geht mir das nicht so einfach von der Hand.