molochronik
Sonntag, 14. März 2010

Belgien, Brüssel: Tag 4

Eintrag No. 609 — Am Samstag vor allem die Füße plattgelaufen auf dem launischen Pflaster der Stadt.

Größte Kultur-Unternehmung war eine Wallfahrt zum Horta-Museum.

Molo wartet vor dem Horta Museum

Über eine halbe Stunde Wartezeit. Aber im Museum dann eine Offenbahrung. Musste mich sehr zügeln, damit meine Gefühle nicht in die Außenwelt überschwappen, so überwältigend schön ist dieses Museum, diese Ballung wohldurchdachten, edlen Jugendstils. Da ist sogar die organische Form von Türklinken sowohl als Ornament schön, als auch angenehm zu greifen für die Hand. — Viktor Horta ist definitif nun Teil meines amœnokratischen Pantheons.

Auf dem Weg durch Saint Gilles haben wir das Fassaden-Ensemble in der Rue Vanderschlick bestaunt, gebaut 1900 bis 1903 von Ernest Blérot. — Und ganz doll: Am rechten Ende befindet sich ein feines, günstiges Eis-Cafe, in dem es den ersten richtig guten Kaffee Brüssels gab.

Ensemble Rue Vanderschrik

Weiter durch das Viertel Saint Gilles.

Ich bin wiederum baff, wie schön, wie durcheinander Brüssel ist. Der Phantastik-Fan in mir ruft sofort »Obacht!« als ich dieses Fenster sehe:

Frankensteinfenster

Da hat doch tatsächlich jemand sein Fenster mit einer »Frankenstein«-Illustration von Berni Wrightson aufgepimpt. Ich frage mich, ob das in Glas geschliffen und eingefärbt ist? Was für ein Aufwand!

Weiteres Fantasy-Detail. Diesmal sehr coole Drachen, die an der Fassade eines Hauses herumklettern.

Drachenfassade

Von Saint Gilles aus haben Andrea und ich uns dann ganz gezielt in Richtung Norden verlaufen und sind dabei einmal um den irrwitzigen Justizpalast von Joseph Poelaert herum. Dieser größenwahnsinnige Eklektizismusorgasmus ist wie so manches Gebäude in Brüssel ein möglicher Übergang in die Welt der ›Geheimnisvollen Städte‹ von Schuiten & Peeters. — Ich selbst war zu verstört von diesem Bau und konnte keine Photos machen. Hin und her gerissen war ich zwischen Fluchtreflex (weil mir der Bau tatsächlich Angst einflößte) und Faszination und dem Wunsch, das Trum ausgiebig zu studieren.

Hier eine schöne Ansicht, die Andrea aufgenommen hat:

Justizpalast

Brüssel bescherte mir ja so manche unwirkliche Stimmung. Aber jetzt, zwei Tage nach Umrunden des Justizpalastes kommt mir dieses Gebäube tatsächlich wie eine Traumerscheinung vor. Alle anderen außergewöhnlichen Orte wirkten und wirken noch real, die Erinnerungen sind solche des Selbsterlebten, des ›Selbst dort gewesen seins‹. Nur nicht beim Justizpalast. An den erinnere ich mich so, wie man sich an einen Film erinnert, mit der tiefen Überzeugung, hier etwas vorgeführt bekommen zu haben, das nicht echt ist.

Ansonsten? — Natürlich wieder gut Kuchen gegessen mit heißer Schoki. Mich wieder mit Kriek abgeschossen und obendrein noch zwei feine DVD-Schnäppchen gemacht: »Hamlet« in der Brannagh-Fassung (UK-Edition, sogar mit deutscher Tonspur) und »Cosmos« von Carl Sagan.

Sicherlich nicht mein letzter Brüssel-Urlaub! Kaum zurück kann ich’s gar nicht erwarten, wann ich wieder in dieser phantastischen Stadt sein kann.

Sie sind nicht angemeldet