Molos Wochenrückblick No. 9
Eintrag No. 631 — Immer noch am Rumrotzen und Schniefen mit meiner mysteriösen Sommergrippe, über die mittlerweile beschlossen wurde, dass sie ein simpler Fall von Heuschnupfen ist. Habe mir am Wochenende endlich helfende Arzneien besorgt. Ballern mir zwar das Hirn weg, aber ich kann wenigstens wieder ruhig durchschlafen und tagsüber bei Bedrängung durch schlimme Allergieattacken die Augen offen halten.
Lektüre: Habe eine kurze Pause bei »Der Blaue Kammerherr« eingelegt, bevor ich mit der Kadenz des Solisten (einer sehr argen Traumpassage) und dem Finale weiter mache. — Aber: hab mir endlich den (wie »Kammerherr«-Autor Niebelschütz es in seiner »Anotatio Auctoris« nennt) »Keim zu diesem Tulpenbaum« besorgt, den Anregungstext »Danae, oder Die Vernunfthochzeit«, enthalten in »Lustspiele Band III« der Werke Hugo von Hofmannthals.
Als Neuanschaffung traf Mervyn Peakes »Boy in Darkness and Other Stories« ein. Wunderbare Zusammenstellung: neben der fast 100 Seiten langen Titelnovelle, die zu den Titus-Geschichten (auch bekannt als »Gormenghast«) gehört, versammelt der Band fünf weitere Kurzgeschichten, sowie an die 40 zum Teil farbige Illustrationen von Peake, nebst Vorwörtern von Joanne Harris, Sebastian Peake und Peake-Witwe Meave Gilmore.
Als weltlichen Zwischendurchhappen habe ich mir Tom Schimmecks »Am besten nichts Neues« über ›Medien, Macht und Meinungsmache‹ gegönnt. Wunderbar. Genau das, was einem die schlechte Laune angesichts schlapper politisch-gesellschaftlicher Berichterstattung und widerwärtig boulveardisierter Medienlandschaft kurieren hilft. Schimmeck liefert ein gut zu lesendes Sittengemälde, das nötigen kritischen Kommentar mit Rekonstruktionen von markanten Medien-Ereignissen und -Entwicklungen (sprich: -Degenerationen) der letzten Jahre verbindet. — In den neun Kapiteln wird geschildert: die Routine in Berlin und der Herdentrieb der Journalisten; das Rendite-Modell Burdas in Hamburg; das Prominentengehege und Politikernähe als Währung; Aufstieg des naiven Neoliberalismus; das Unisono der Medien zur Hessenwahl (Koch vs. Ypsilanti); Reality-TV und aufgeblähte Gefühlsevents; Propaganda-Rampensäue am Beispiele Haiders, Putins, Sarkozys & Berlusconis; Das Versagen des Wirtschaftsjournalismus; Das Geschäft der Spin-Doctors. — Ganz große Leseempfehlung meinerseits.
NETZFUNDE
- Tom Schimmeck ist auch der erste Eintrag der Netzfunde gewidmet. ›Entdeckt‹ habe ich den Autoren nämlich über ein zweiteiliges Interview bei Telepolis: »Worunter wir gerade in den Chefetagen am meisten leiden, ist Charaktermangel« und »Recherche wird bestraft«.
- »Moderne und Absolutismus«: Vielleicht (zumindest für mich) die bisher beste Serie von Don Alphonso in seinem F.A.Z.-Blog »Stützen der Gesellschaft«. 1. »Die Staatsmätresse«; 2. »Der Fürstbischof«; 3. »Der Ämterkauf«; 4. »Der Hofschranze nach Wulff« süffiger Höhepunkt der Serie, in der Don den von Herrm Wulff zusammengebrabbelten Quark als solchen ausweist. Wulff glaubte naiv und frohgemut ungebildet (wie es wohl nur jugendliche Kandidaten von Casting-Shows und Politiker sein können) mit ›Voltaire am Hofe Friedrich II.‹ etwas Vorbildliches für seine eigene Bundespräsidentenschaft skizziert zu haben.
- Schöne Meditation über den Natur- / Kultur-Begriff von Georg Seeßlen am 1. Juli in »Der Freitag«: Abschied aus dem Paradies.
- Nicht reisserisch, sondern mit kühler Sachlichkeit stellte Ulrich Schmidt am 3. Juli für die NZZ zusammen, wie kolossal die Sonderstellung und Privilegien der Kirchen in Deutschland sind: Eine vortrefflich gemästete heilige Kuh.
WORTMELDUNGEN
- Habe der Umfrage Beeinflussung des Leseverhaltens durch Rezensionen? bei SF-Netzwerk eine Antwort angedeihen lassen.
ZUCKERL
- Stöbert mal herum in der Zusammenstellung der ›Favourite Projects‹ der Graphik-Künstlerin Marian Bantjes, ihr werdet Sachen sehen, die wirklich die Augen zum kreiseln bringen. Bin auf die Künstlerin aufmerksam geworden durch ihren Vortrag »Intricate Beauty by Desing« bei TED.
- Hurrah!! Es gibt ein neues RSA-animate! Diesmal wurde die Rede »Crises of Capitalism« des Soziologen David Harvey bebildert.
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simifilm
Als ich den NZZ-Artikel von Schmidt letzte Woche las, dachte ich noch: «Das wär' doch was für Molo.» Aber da war ich wohl nicht schnell genug. ;)
molosovsky Besitzerin
Ich mag die NZZ und lobe ihren Artikel ja gerade für seinen sachlichen, nüchternen Ton. An den organisierten Religionen sind mir als Atheisten eben deren Pfründe ein Stein des Empörungsanstoßes. Nichts dagegen, was und wie Menschen glauben, für sich, in der beschaulichen Gruppe. Aber wenn eigentlich zu den Akten gehörige, durch Schlaffheit und Zaghaftigkeit überdauerte Tradition es institutionalisierter Religion immer noch ermöglicht, eigener Staat im Staate zu sein, hört meine Toleranz auf.