molochronik
Mittwoch, 10. November 2010

»Zettel’s Traum« von Arno Schmidt. Lektürebericht No. 1

Eintrag No. 672Prolarifari: Entdeckt habe ich Arno Schmidt (= AS) über das ›Magazin für jede Art von Literatur‹, »Der Rabe«.

(Mein erster »Rabe« war die No. 20, »Der Film-Rabe«, aber begeistert von diesem, habe ich damit begonnen, alte Nummern des Magazins nachzukaufen. So fand ich die ersten beiden Schmidt-Texte, an die ich mich erinnern kann, in der nachgekauften Nr. 9, »Der klassische Rabe«, und der Nr. 5, »Der philosophische Rabe«. Ich meine natürlich AS heftige Beschimpfung des Literatur-Nobelpreises »Stigma der Mittelmäßigkeit« und sein zündendes Un-Glaubensbekenntnis »Atheist? : Allerdings!«.)

Bald darauf erstand ich mein erstes Arno Schmidt-Buch: »Deutsches Elend«, eine glänzende Ergänzung, wenn man, wie ich als Teen, gerade dabei ist, sich mittels Scheibenwischer, Sigi Zimmerschied, Gerhard Polt und Großwerden unter FJS, seinen Amigos, sowie dem ewigen Kandesbunzler Helmut dem Kohl, in HeimatEkel zu üben; — Und die erste Prosa, die ich dann von ihm verköstigt habe, waren »Leviathan« und »Gadir«, zwei Texte, die ich seit dem, wie so manches andere von AS, mehrmals gelesen habe.

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Dienstag, 19. Oktober 2010: Gelobt sei mein liebes Weib, dass von dort, wo mein Exemplar der Studienausgabe von »Zettel's Traum« angeliefert wurde, das schwere Ding nach Hause, also mir entgegengewuchtet hat. Hörte die Arme schon treppauf kommend stöhnen unter der Last von »Zettel's Trumm«. Nun also endlich meins. — Habe Jahrzehnte gewartet. Als Teenager viele Wochen lange Nachmittage nach der Schule damit rummgebracht, in der Stadtbücherei die Faksimile-Ausgabe zu durchstöbern. Vom Anfang weg kam ich damals nicht weit. Aber beim Herumblättern blieb ich hängen bei der Passage über die Panoramen-Kunst und ihren Einfluss auf Poe und Verne (in Buch 2: »In Gesellschaft von Bäumen«). War schwer beeindruckt.

(Gedankenspiel, das mich schon lange Zeit belustigt: Was hätte Arno Schmidt wohl angestellt, wenn er länger gelebt und noch einen PC in die Finger bekommen hätte, er also z.B. mit einem frühen Version von QuarkXPress seine Textlandschaften zurecht formatiert hätte.)

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Dienstag, 02. November 2010Wortmeldung im ›Schauerfeld‹-Blog: Bisher fruchtbare Lesehaltung (und ich habe nun Jahre nix längeres von AS gelesen, sozusagen gefastet für ZT): Jeden Tag 2 bis 4 Seiten. — Vieles muss man eben nicht lesen, sondern hören, dann sind auch die ganzen Verrätselungen nicht kryptisch, sondern einfach nur Gewohnheits-, also Einlese- & Tuning-Sache.

Zu den »Was soll das Zettels Trumm?«-Fragen will ich einfach mal auf Stellen hinweisen, die mir autopoetische Schlüssel zu sein scheinen. — Meine Prämisse: AS schreibt über einen DichterPriester (= DP) durchaus so selbstgewahr (selbstgewirr), zu wissen, selbst ein DP zu sein (oder sein zu wollen, bzw. für einen gehalten werden zu können).

{…} DP's. Mein Haupteinwand gegen sie wäre : daß sie, vor lauter mystischer Apartheed, nich mehr imstande sind, den einfachsten Gegenstand {…} als solchen zu schildern

(S. 23) Und was unternimmt AS (nicht erst seit ZT)? Er schildert einfache Gegenstände, wählt kleine Welten und verwandelt sie in viel (komplizierten) Text. Wie Joyce zeigt er, dass ein Tag 1000 Seiten und mehr Stoff hergibt, wenn man verwandelnd und detailver- & besessen vorgeht.

{…} »ss doch scharfsinnig genug! {…} Das sind diese Leute Anderen gegenüber arg gern – und wenn sich's um abgespaltene Selbstportraits handelt. {…} Jetzt auch noch die Auflage: EDGAR POE zu sein. ! Wenn man über 50 noch etwas Mittelgroßes leisten will, muß man sein Leben aufs Spiel setzten.

(S. 26) Na wenn das nicht Selbstironie ist, was dann?

Die Bejahung der Vielsinnigkeit {…} auf Traumbasis zu schreibn also; leistet einer Mehrstimmigkeit im höchsten Maße Vorschub.

(s. 39) Siehe Details. Oder ganz banal: AS, Fan von Genre- & Reise-Abenteuern hat unter anderem seinen Spaß damit, beim Übersetzen mit Pschüchologie-Besteck im Poe zu puhlen. — Siehe auch Explizierung:

»Du reitest auf FREUD rum, geldt?«

(s. 44) — Beiseit: vielleicht ist das ›geldt‹ ein Deut auf die schelmische Spekulation, warum die ZT-auflage die anvisierte Versteh-Leserzahl 400 überstieg, weil man eben darauf baute, dass viele viele Psychoheinies von dunnemal ZT ›ernst‹ nehmen würden. — (Siehe auch: AS, der verkannte Kalauer-Humorist der eine Vielsinn-Douplone nach der anderen münzt… für andere dann halt nur die hinlänglichsten Altherrenwitz-Prallinen der willhelminischen Muff-Welt.)

Kurz: ich versuche AS genau so unernst zu nehmen, wie ich muss, um mich auf ihn als Mensch, bzw. als Schelm, als Besessenen einzulassen. Auch mich überkommen bei AS-lektüren ab und an Phasen, wo mir seine Schreibe, genauer: seine Getriebenheit, sein Wille zum Elitarismus unangenehm werden. Aber die Grundresonanz von AS zu mir rüber, was ich so über die Zeiten zu vernehmen glaube, ist mir sympathisch. Wäre das (Spät)Werk von AS zugänglicher, einfacher und wohlproportionierter geraten, wenn er sich nicht aus der einen Art Beengungen in (s)eine selbstgewählte geschrieben hätte? — Sehr vermutlich. Sicherlich.

Derzeitiger Stand: Seite 63.

Nützliche Links:

Arno Schmidt: »Zettel's Traum« (1970, Faksimilie Erstausgabe); typographisch von Friederich Frossman gesetzte Studien-Ausgabe; 6 Bücher in vier Teilbänden mit insgesamt 1530 Seiten; Arno Schmidt-Stiftung im Suhrkamp-Verlag 2010; ISBN: 978-3-518-80300-4.

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