molochronik
Donnerstag, 18. November 2010

»Eine andere Welt« (5) – Kap. III: Eine Hand wäscht die andere von Grandville & Plinius dem Jüngsten

Eintrag No. 676Zur Inhaltsübersicht.

Die Illustrationen einer alten französischen Ausgabe habe ich dem flick-Album von blaque jaques entnommen.

III. Eine Hand wäscht die andere.

Gib mir von Deinem, geb' ich Dir von Meinem. Persisches Sprüchwort.

Bericht der Pickelflöte, Zeitung für Geist, Herz und Musik, über das Concert des Dr. Puff im Besonderen und die Dampfmusik im Allgemeinen.

Puff war, wie man sich denken kann, Zeitungsschreiber gewesen. Der Redacteur des Journals, »Die Pickoloflöte«, Zeitschrift für Geist, Herz und Musik, welches damals den Ton in der literarischen und artistischen Welt angab, gehörte zu seinen Freunden. Puff, der eine glänzende Recension über den letzten Roman desselben geliefert hatte, schrieb ihm und bat ihn um die Aufnahme eines Artikels über sein Concert. Eine Hand wäscht die andere, sagen die Deutschen, und beide zusammen das Gesicht, setzten die Italiener hinzu. Der Redacteur erklärte in der Antwort seine Bereitwilligkeit, Alles aufzunehmen, was der Verbreiter der Dampfmusik für passend fände ihm zu senden.

Puff nahm die Feder und schrieb den folgenden Bericht, kraft jenes Axioms, das oft falsch ist wie alle Axiome: »Man wird stets am Besten durch sich selbst bedient.«

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No. 91. Auflage 111,111 Exemplare 99. Jahrgang

Die Pickelflöte. Melodisch-harmonisch-symphonische Zeitschrift für Geist, Herz und Musik.

Verantwortlicher Redacteur: Dr. Schreibefinger.

Illustrationen: Die Herrn Aquatinta und Bleistift, und die Damen Kreide und Tusche.

Verleger: Die Druckalles'sche Buchhandlung in Lindenstadt.

Mitarbeiter: Die berühmtesten Schriftsteller in Europa, Asien und Van-Diemenland.

Die musikalische Teil unter Leitung der Herrn Hofcapellmeister Ikhtmftbdg und Straccinati.

Censor: Geheimrath Bretnagel.

Art des Erscheinens

»Die Pickelflöte« erscheint täglich und stündlich von 7 Uhr Morgens bis Mitternacht wie die Omnibus.

Jede Nummer bringt als Extrabeilagen drei Walzer, fünf Romanzen, acht Etudes und eine Sonate von den berühmtesten Componisten.

Außerdem erhalten die Abonnenten achtzehn Freibillets für die täglichen Concerte der Pickelflöte. Gegenwärtig wird ein neuer Saal gebaut, der groß genug ist, alle Abonnenten zu fassen.

Bedingungen für das Abonnement.

Für 1 Woche, 1 Monat, 1 Tag: Gar Nichts.

Für ein Vierteljahr erhalten die geehrten Abonnenten: Eine noch ungedruckte Symphonie von Ikhtmftbdg.

Für ein halbes Jahr: Eine ganze nich unbekannte Oper von Straccinati.

Für ein Jahr: Ein Flügelpiano und lebenslänglichen freien Eintritt in die musikalische Akademie.

Ferner als Extrazugabe die Portraits von Ikhtmftbdg und Straccinati.

Am 1. April 1850.

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Wir eilen dem verehrten kunstliebenden Publicum Bericht abzustatten von dem ersten humano-mechanischen Concert des eben so ausgezeichneten wie mit Recht berühmten Dr. Puff. Um würdig diese Aufgabe zu lösen, bedürfte es der glänzenden Beredsamkeit eines Mireabeau und der Flammenzunge eines Propheten des alten Testaments; unsere Schilderung — wir sind uns dessen nur zu wohl bewusst — muss weit hinter der Wirklichkeit zurückbleiben und rechnet nur zu sehr auf die Nachsicht des freundlichen Lesers. Dank sei es dieser wunderbaren Erfindung, von nun an werden Schnupfen, Husten, Heiserkeit und dergleichen Gesangshindernisse eine verklungene Sage sein. Die Stimmen der Tenore, Bässe, Baritons, Soprane und Alte sind vor allen Unfällen fortan bewahrt; die durch Dampf in Bewegung gesetzten Instrumente bringen Wirkungen von unglaublicher Genauigkeit hervor und die großen Meister unserer Zeit haben endlich Interpreten gefunden, die auf gleicher Höhe mit ihren unsterblichen Compositionen stehen. In diesem Jahrhundert des Fortschritts ist die Maschine ein vervollkommneter Mensch.

Wir enthalten uns der Schilderung des unbegrenzten Enthusiasmus, welchen jede von den Virtuosen des Dr. Puff executierte Piece hervorbrachte. Sein Orchester kann die Orchester aller Conservatoires der ganzen Welt, sogar unser Lindenstädter, dreist zum Kampfe auffordern und wird siegreich daraus hervorgehen. In dem großen Duett »Eisenbahn und Dampfschiff« gab Fräulein Locomotive das fünfgestrichene hohe C mit einer Fülle von Stimme und Dampf, dass alle Zuhörer vor Entzücken laut aufjauchzten. Eine junge Virtuosin von zweiundzwanzig Monaten, sechs Tagen und einer Nacht, welche aus Bescheidenheit nicht genannt zu sein wünscht, hat auf der Dampf-Harfe die schwierigsten Variationen aufgeführt, ohne auch nur einen Augenblick aus der Schienenbahn der Harmonie herauszugleiten, mit einer Fülle und einer Zartheit des Aufschlags, die ihr fortan einen Ehrenplatz unter den berühmten Künstlern der Jetztzeit sichern werden.

Als Gratisbeilage geben wir unseren verehrlichen Abonnenten heute die wohlgelungenen Portraits einiger Mitwirkenden, nebst Facsimiles ihrer Handschrift, außerdem verschiedene ihrer bis jetzt noch ungedruckten Compositionen.

Ein ungeheures Ereignis hat das Ende dieses Concerts ausgezeichnet. Während des Feuerwerks aus D-dur, im Augenblick als die Fuge smorzando {= verlöschend, ausklingend, leiser werdend} mit einer zarten, träumerischen Melodie sich endigte, platze plötzlich eine zu stark mit Harmonie geladene Ophicleide, in dem sie gleich einer Bombe ganze, halbe, Achtel- und Sechszehntel-Noten, ja ganze Passagen verschoss. Wolken musikalischen Dampfes und tausend Melodieen-Funken durschschwirrten die Atmosphäre. Mehreren Dilettanten wurden die Ohren zerfleischt, andere durch das Umherfliegen des F- und G-Schlüssels verwundet. Zur Verhütung jedes ähnlichen Unfalls sind geeignete Maßregeln getroffen worden.

Dr. Puff, welcher durch seinen doppelten Character die Abstammung des Äskulaps vom Apollo beweist, hat allen Verwundeten mit einer über jedes Lob erhabenen Uneigennützigkeit sogleich ärztlichen Beistand geleistet und sie geheilt entlassen.

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