Molos Wochenrückblick No. 49
Eintrag No. 710 — Nun also, mit einem Tag Verspätung, der Wochenrückblick. Ich bin derzeit für eine Woche in Berlin, um mich in der dortigen Phantastik-Szene zu tummeln. Gerade sitze ich in der »Brezelbar«, gleich gegenüber vom »Otherland«-Buchladen, wo ich endlich ›meinen‹ Golkonda-Verleger Hannes Riffel kennen gelernt habe.
Jetzt lass ich es mal offiziell werden: Florian Breitsameter von SF-Fan hat sich in dem Thread »Was kommt da auf uns zu?« erfreut gefragt, was deutsche Leser aufgrund dieser Meldung des SF-Magazins »Locus« erwarten dürfen:
Mit der gebotenen Demut (aber auch völlig enthusiasmiert) kann ich verkünden, dass ich in den letzten Monaten für Golkona fünf Kurzgeschichten von Ted Chiang übersetzt habe, die im weiteren Verlauf des Jahres als Teil des Projekts, bemerkenswerte Kurzgeschichtensammlung neuer Science Fiction-Autoren anzubieten (nach David Marusek und Angélica Gorodischer) erscheinen werden. — Demütig bin ich, weil dies meine erste Arbeit als Übersetzer für einen Verlag ist, ich entsprechend nervös bin, was die beiden Korrekturleser mir an Rückmeldungen geben werden; demütig auch, weil ich hoffe, den feinen Geschichten von Ted Chiang gerecht zu werden; enthusiasmiert, weil diese Geschichte wunderbar sind, mir großartig gefallen, da sie wunderbare Exempel für das Genre SF (im Sinne von ›Speculative Fiction‹) sind. Da kommen zusammen: kosmologische Erkundungen in frühgeschichtlicher Epoche; eine Verbeugung vor den Geschichten aus 1001 Nacht; eine Erstkontaktgeschichte aus Sicht einer Linguistin; eine Gegenwart, in der es Engelserscheinungen gibt; zuletzt eine wahrhaft großartige Parabel anhand einer Roboterwelt. — Ich halte Euch auf dem Laufenden.
Hier nun die Links der Woche, diesmal ohne große Unterteilung. Ich hatte viel zu tun, deshalb kann ich keinen großen Fang bieten.
Netzfunde
- Was es nicht alle gibt im Internet. Ein ganzes, langes Blog mit Bildern aus Filmen, in denen Computer vorkommen: Access Main Computer File.
- Hübsch schräg geraten ist China Miévilles Vorschlag zu einer sechsteiligen Comic-Miniserie für Marvel: Scrap Iron Man (Altmetall-Mann).
- Tolle Comic-Kunst bietet Dan Hipp in seinem Blog. Als erstes aufgestöbert habe ich seine Überkreuzung von Tim & Struppi mit Alien: Tin Tin: The Hugged Face, aber großartig finde ich auch diesen Hellboy.
- Matt Roeser gestaltet für die Bücher, die er liest, eigene Umschlagsentwürfe, zu sehen in seinem New Cover-Blog. Finde ich sehr schade, dass derartig geschmacksvolles Design derzeit einfach nicht Mode bei den Verlagen ist. Wie gerne würde ich in einer Alternativwelt leben, in der Könner wie Roeser die offiziellen Titelbilder anfertigen.
- Neues aus der deutschen Science Fiction-Szene: Uwe Post und Sven Kloepping haben ein Portal für Deutsche Science Fiction eröffnet. Bisher macht es einen guten Eindruck.
- Makoto Azuma ist ein japanischer Blumenkünstler, der sehr seltsame Dinge mit Pflanzen anstellt. Hier ein paar Beispiele: TOKYO FIBER '09 (Auftragsarbeit); — Black Pineeee (Auftragsarbeit); — Hand Vase (Privatarbeit); — Armored Pine (Privatarbeit).
- Unter dem Titel Diese Suche ergibt keinen Treffer hat die ehemalige Community-Managerin von ›Der Freitag‹ , Teresa Bücker, für selbige Zeitung über ihre Erfahrungen berichtet. Als jemand, der selbst (für SF-Netzwerk) als Globalmoderator wurschtelt, spricht sie mir aus der Seele, wenn Frau Bücker schreibt:
Communities entstehen entlang von Interessen, Fragen oder ähnlichen Gewohnheiten, etwa dem Konsum von bestimmten Medien und Produkten. Für Außenstehende sind die Verhaltensweisen innerhalb dieser Gemeinschaften nur schwer zu fassen, denn homogene Verbünde neigen zu Gruppendynamiken und Riten, die codiert sind, die auf den ersten Blick keinen Sinn ergeben. Der ausschnitthafte Blick auf digitale Gemeinschaften von „interessierten Beobachtern“ führt dann zu Fehlinterpretationen, zu stark selektiven Wahrnehmungen, an deren Ende steht: das Netz ist voller Rüpel, Dummköpfe, lichtscheuer Nerds, Magermädchen aus pro-anorektischen Foren oder passiver Sonntagssurferinnen.
- Don Alphonso hat ein schiaches Haus in meiner unmittelbaren frankfurter Nachbarschaft dazu genutzt, ein paar orientierende Stilkritik-Watschen unter dem Titel Ornament und bürgerliches Verbrechen in seinem ›F.A.Z.‹-Blog »Stützen der Gesellschaft« anzubringen.
- Nochmal ›F.A.Z.‹: Jetzt erst von mir entdeckt wurden die wunderbaren alliterierenden Non-Sense-Kurzkurzgeschichten Dudenbrooks von Jochen Schmidt, mit wunderschönen s/w-Illustrationen von Line Hoven. Hier geht es zum derzeit neuesten Buchstaben K wie Karla.
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Sie nannten Ihn Kangaroo
Hi Molo,
ich hätte da mal eine Frage bezüglich Mieville's neuem Roman "Embassytown". Ich war gestern mal wieder beim englischen Buchhändler meines Vertrauens und da lag der neue Mieville doch tatsächlich schon aus und gehört auch mittlerweile mir. Ich war aber doch sehr überascht, da laut amazon Das Buch in England selber erst am 28. April und überall anders erst im Mai rauskommt. Weisst du da mehr ?
molosovsky Besitzerin
Ist gut möglich, dass der englische Buchhändler Deines Vetrauens sich nicht an den Erstverkaufstag gehalten hat.
oliverj
Du durftest »The Merchant and the Alchemist’s Gate« übersetzen? Wow (puh, Chiang ist nicht gerade ein einfacher Job!). Man wird ja mit zunehmendem Alter nüchterner, aber nach Lektüre dieser Story war ich mal außer mir vor Begeisterung. Für mich vielleicht die beste Kurzgeschichte der letzten Jahre! Ich glaube, die Golkonda-Sammlung muss ich schon aus Prinzip auch haben.
»Exhalation« hatte mich übrigens nicht geflashed, das war aber vielleicht mein Fehler. Bei einer Story, die so viel Lob bekommt, denke ich immer, dass die mich auf dem falschen Fuß erwischt hat, wenn die mir nicht gefällt.
molosovsky Besitzerin
Meine persönliche Lieblingsgeschichte von Chiang ist vielleicht »Understand«, die ich aber nicht übersetzt habe (ist nicht in der kommenden Antho enhalten). Aber »Understand« wäre ein richtig harter Brocken.
Die 1001-artige Geschichte »The Merchant…« hat mir auch viel Spaß gemacht und ich fand die vergleichsweise locker zu übertragen. — »Exhalation« war etwas knifflig, denn es wird darin ja ein langes kniffliges Experiment geschildert. Hat mir wieder mal vor Augen geführt, wie schnell man als normaler Leser komplexe Sachen ohne Probleme wegschlürfen kann, dass es aber einiger Mühe bedarf, wenn man Schritt für Schritt im Detail verstehen will, was denn nun genau geschieht und geschildert wird.
Wie auch immer bin ich sehr froh, über diese Arbeit die Geschichten von Chiang entdeckt haben zu dürfen.