molochronik
Samstag, 23. Juli 2011

»Eine andere Welt« (17) – Kap. XV: Eine eheliche Eklipse von Grandville & Plinius dem Jüngsten

Eintrag No. 738Zur Inhaltsübersicht.

Die Illustrationen einer alten französischen Ausgabe habe ich dem flick-Album von blaque jaques entnommen.

XV. Eine eheliche Eklipse.

Die Anziehungskraft beherrscht alle Körper. Newton.

Drum prüfe wer sich ewig bindet! Schiller.

An Scheidung ist fortan nicht mehr zu denken. Nr. 1754896 der Gesetzsammlung.

Hier erfährt man die wirklichen Ursachen der Eklipse, welche zwei tausend Jahre vor der Erschaffung einer anderen Welt stattfand.

»Sie scheinen ein erkleckliches Erstaunen zu verspüren über Alles, was Sie hier gewahrten, wertester Herr!«, sagte das Gliedermännchen zu Schwadronarius, als er ihn wieder auf dem Markte traf, »und ich wette, Sie haben Lust mir viele Fragen vorzulegen.«

»Gnädiger Herr! Ich kann es nicht leugnen«, entgegnete Schwadronarius, »wenn Sie mir nur wenigstens sagen möchten, wo ich mich eigentlich befinde?«

»Ich werde Ihnen gar Nichts sagen: Sie sind neugierig, desto besser, meine größte Freude wäre, wenn Sie vor Neugier außer sich gerieten. Sie sehen das bizarreste aller Gliedermännchen vor sich. Ich will, dass Sie vor Neugier bersten; wie Sie bis jetzt gesehen haben, ist noch gar Nichts im Vergleich zu dem, was ich Ihnen noch zeigen werde. — Übrigens fragen Sie nie, wenn Sie etwas erfahren wollen, und antworten Sie nur, wenn ich Ihnen eine Frage vorlege. Kommen Sie!«

Schwadronarius sah wohl ein, dass dieser Gott stärker sei als er und dass es demzufolge das Gescheiteste sei, sich dem Willen desselben zu unterwerfen. Er folgte also dem Gliedermännchen, das unterwegs lauter Purzelbäume schlug.

Nachdem sie eine weite Ebene mit Bäumen von Pappe und Blumen von Papier und Läppchen durchschritten, erstiegen sie einen Hügel, der eine weite Fernsicht gewährte. Tiefe Stille herrschte überall, kein Lüftchen regte sich, kein Vogel belebte diese Einsamkeit durch seinen Gesang; die Landschaft war erhellt, aber man sah keinen Strahl, der dies Phänomen erklärte; das Blau des Himmels hatte ganz den Anschein eines himmelblauen Creppschleiers, der über diesem sonderbaren Lande ausgespannt war.

Schwadronarius konnte sich des Ausrufs nicht enthalten: »Wo zum Kuckuck! ist den die Sonne; warum wehen die Winde nicht, und warum höre ich die Vögel nicht singen?«

»Schon wieder Fragen, Musjeh!«, {Musjeh = Verhöhnung der franz. Anrede ›Monsier‹} sagte das Gliedermännchen strafend. »Lass er das nicht noch einmal geschehen! Ich bin ein guter Kerl, aber ich werde böse, wenn man mir nicht gehorcht.«

Zu gleicher Zeit schlug er mit dem Absatz den Erdboden und es kam ein Dreifuß heraus, auf dem ein Kästchen stand, das wie eine Laterna magica aussah.

»Jüngling! Leg’ Dein Auge an das Glas und sag’ mir dann, was Du siehst.«

»Gnädiger Herr, ich sehe einen glänzenden Palast von Wolken umgeben und in diesem Palaste ein Gemach, in diesem Gemach ein Bett, in diesem Bett einen Mann, der eben sein Licht ausgelöscht hat und vor dessen Fenster seltsame Gardienen hängen.«

»Weiter!«

»Eine Treppe höher ist noch ein Gemach, in diesem Gemache ein Bett, in diesem Bett eine junge verschlafene Dame, die eben aufsteht — das Weitere zu melden, verbietet mir der Anstand.«

»Dummes Zeug. Als ob es unanständig wäre, Strümpfe anzuzuiehen, wenn man ausgehen will.«

»Ein Mann, der einen mit Strahlen besetzten Hut auf hat, richtet seine Schritte nach dem Palaste; er trägt einen Hirtenstab in der Hand und einige Schaafe folgen ihm.«

»Junger Fremdling! Alles das setzt Euch in Erstaunenm, nicht wahr?«

Schwadronarius verbeugte sich, ohne etwas zu erwiedern.

»Sehr wohl; ich schätze Ihre Discretion, sie verdient eine Belohnung. Sie fragten mich eben«, fuhr das Gliedermännchen fort, »wo zum Kuckuck der Sonnengott sei? Er ist in seinem Bette, Sie haben ihn eben gesehen. — Vor einer Stunde begab er sich hinter einem Vorhange von Bäumen zur Ruhe, um die Poeten nicht Lügen zu strafen. Die Dame, welche eine Treppe höher Toilette macht {im Sinne von ›Sich-Zurecht-Machen‹ = Körperreinigung , Körperpflege und Ankleiden }, ist Frau Luna; der Mann aber, der seine Schritte nach dem Palaste richtet und einen Hut mit Strahlen besetzt trägt, der Morgenstern oder der Stern der Hirten; er hat sich aufgemacht um den etwas faulen Sonnengott zu wecken, der mitunter die Zeit verschläft, zumal, wenn er von seinen Liebschaften träumt. Sie wissen, dass die Ehe des Herrn Helios und der Frau Selene Luna nicht eben zu den glücklichsten gezählt werden kann Der Präsident des himmlischen Oberconsistoriums hat selbst auf Scheidung von Tisch und Bett erkannt und sein Urteil war ein durchaus gerechtes, was beide Teile gestehen mussten. Wenn sich auch Madame auf ihr Abenteuer mit Actaeon berief, um ihre Treue zu beweisen, so war doch die berühmte Geschichte mit Endymion zu bekannt, als dass die Leute an ihre Tugend glauben mögen. Herr Helios dagegen gibt sich gar nicht die Mühe seine täglichen Besuche bei Frau Thetis geheim zu halten, die kleinen Liebschaften mit den Nymphen, Dryaden, Hamadryaden und anderen leichtfertigen himmlischen Dämchen gar nicht einmal zu erwähnen. Beider Untreue wurde daher mit schlagenden Gründen bewiesen und die Scheidung zur Notwendigkeit. Die beiden Ehegatten haben also eine gesetzliche Abneigung gegen einander, aber um sie für das schlechte Beispiel zu strafen, welches sie gegeben, verordnete das himmlische Oberconsistorium, dass Herr Helios und Frau Luna zu gewissen Zeiten zusammenkommen und sich vor ihrem ganzen Hofstaate feierlich umarmen sollten. Auf Erden nennt man diese Zusammenkunft……«

— »Eine Eklipse, Herr Baron?«, entgegnete Schwadronaius.

»Sie sind nicht ohne Kenntnisse, mein Bester; das freut mich. So wissen Sie denn, dass gerade heute eine Eklipse Statt findet; legen Sie ihr Auge an das Glas links und blicklen Sie nach unten; Sie werden eine Menge von Teleskopen gewahren, welche von Amtswegen beobachten, was studierte Leute wie Sie eine Himmelserscheinung nennen und was eigentlich nur eine Handlung zu Gunsten der öffentlichen Moral ist. — Heute ist großer Festtag im Himmel und wenn Sie nicht zu kurzsichtig sind, so müssen Sie die sämmtlichen Mitglieder des Tierkreises erblicken, welche eine Sarabande tanzen. Jetzt ist die Reihe an sie gekommen, sich über Herrn Helios lustig zu machen.«

»Ich kenne eine kleine Kometin (Sie müssen nämlich wissen, was man auf Erden noch nicht weiß, dass es Kometen und Kometinnen gibt), mit der Herr Helios sich sehr schon tut und die es sehr verdrießen würde, wenn sie den Vorgang erführe. Sie wäre im Stande sich aus dem siebten Himmel auf die Erde zu stürzten; diese Kometinnen sind eifersüchtig wie Näherinnen. Glücklicher Weise erzählt es ihr Niemand und sie macht ihre sentimentale Promenade am Himmel, ohne die gezwungene Untreue ihres Geliebten zu ahnen. — Der kritische Moment muss gekommen sein. — Sagen Sie mir, wie benimmt sich das Ehepaar?«

»Herr Kammerherr! seine beiderseitigte gefasste Haltung in diesem Augenblick machte ihn Ehre; aber warum betrachten Sie es nicht selbst?«

»Ach, fragen Sie mich nicht; sagen Sie mir vielmehr, sehen Sie Nichts am Horizonte erscheinen?«

»Jetzt, da Helios und Luna verschwunden sind, sehe ich eine strahlende Schönheit auf den Wolken einherwallen. Obgleich Diamanten in ihrem Haare blitzen, ist doch ihr Gang schüchtern und ihr Blick sanft; sollte es Venus sein, das Gestirn der Liebe?«

»Oh Grausamer! Indem Sie sie nennen, durchbohren Sie mir das Herz!«, rief das Gliedermännchen und sank ohnmächtig zu Boden.

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