Undisziplinierter Schwall zum Ende oder Nicht-Ende der SF
Da haben sich in den letzten Wochen einige Leuz auf den Seiten von Telepolis Gedanken über den Stand der Science-Fiction gemacht.
- Zuerst Michael Szameit mit »Science Fiction am Ende?«. Kurz: die SF verkommt zur Horror- und Ballerbude!
- Es folgte Myra Çakan mit »Warum Science Fiction einfach nicht totzukriegen ist«. Kurz: SF ist hart im Nehmen.
- Bisher zuletzt dann Thomas Wawerka mit »Zwischen den Räumen«. Kurz: Sowohl als auch (Sozusagen ›Schrödingers Science Fiction‹).
Und dann kamen die Reaktionen in den Telepolis-Kommentaren (okey, die lese ich eh mit einem Strahlenschutzanzug) diversen Foren, vor allem aber bei SF-Fan hat sich ein lebhafterer Strang entwickelt, und Herr van den Boom hat einen Blogeintrag aus dem Rohr geschossen.
Vielleicht mache ich dieser Tage eine entsprechend empfindliche Phase durch, aber mich nerven diese Verlautbarungen von Genre-Freunden, dass ihr geliebtes Genre ›nur‹ Unterhaltungskram ist. Mir erscheint diese Haltung wie ein aggressives Beharren auf dem Spielplatz bleiben zu wollen, weil sich ins Labor, oder die Werkstatt, oder den Trainingsraum (oder eben woanders hin als einen Spielplatz oder ins Nichtschwimmerbecken) zu begeben, dummerweise bedeutet, ein bischen darauf zu achten, dass einem die Affekte nicht auf dem Kopf rumtanzen.
Darauf zu bestehen, dass man in seiner knappen Freizeit, in der man ja viel Stressabbauarbeit als Ausgleich zur Lebenserhaltungskostenverdienstarbeit leisten muss, gefälligst Spaß und Entspannung und ein wenig stoß- und unfallsicheren ›Sense of Wonder‹ konsumieren möchte, ist eine Sache, die ich niemanden zum Vorwurf mache. Allerdings finde ich es empörend (wie ich meine zurecht), wenn dem Verlautbaren eben dieses frommen Wunsches oftmals sogleich als Rattenschwanz folgt, wie man offenkundig jeden zarten Anflug ernsthafter Gedanken, den andere sich zum geliebten Genre-Feld machen, als Bedrohung missversteht, wogegen man sich nur mit antiintellektuellen Gefühlsrülpsern zu erwehren weiß.
Natürlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn man als Leser seinen Stoff vor allem als Unterhaltung begreift. Andererseits: wer ließt schon Bücher mit dem eisernen Vorsatz, sich zu quälen, zu langweilen und selbst in den Wahnsinn zu treiben! — (Obwohl, wenn ich bedenke, dass es Leute gibt, die ›gerne‹ Ulla Hahn oder Peter Handke lesen …)
Kurz: kein Genre (und das, was im Feuilleton als ›Hochliteratur‹ bezeichnet wird, ist auch ›nur‹ ein Genre von vielen) ist davor gefeit, dass sich unter seinem Schirm Werke finden lassen, die gehaltvoll, ausgeklügelt, relevant und herausfordernd sind UND SICH VON LESERN (nicht allen, aber schon so manchen) SOGAR ALS UNTERHALTUNG GENOSSEN WERDEN KÖNNEN!
Science Fiction ist ein Genre, dass sicherlich nicht jedermanns Sache ist, aber der von mir (und so manchem klugen Kopf wie z.B. William Gibson oder dem oben schon erwähnten Dirk van den Boom) hie und da im Internet diagnostizierte Sieg, die Entgrenzung der SF hinein in andere Genre-Felder, ist doch wohl ein Zeichen dafür, dass die Gegenwart aufgeschlossener ist für Gedanken über Zukunft, Technik, Wissenschaft und entsprechende phantastische (ernste) Späße, die man damit haben kann, als berechtigte Klagen über den von der Kulturindustrie ausgespuckten Einheitsbrei befürchten lassen. Die Lage ist weder schwarz (= »Alles Mist«) noch weiß (= »Alles toffte«), sondern eben irgendwo dazwischen (= »S’hat Aprilwetter«). — (Halt! Moment! Ich mag Aprilwetter, und wenn ich mich umgucke, was größtenteils pupliziert, gefilmt, gesendet und gedaddelt wird, dann hats in Sachen Science Fiction für meinen Geschmack kein Aprilwetter, eher Mongrovenwaldsommer. Doch es gibt genug gute Sachen, die sich finden lassen, wenn auch nicht immer ein großes leuchtendes ›SF‹-Genre-Ettikett draufpappt.)
simifilm
Da muss ich doch gleich Roger Luckhurst zitieren:
molosovsky Besitzerin
So ziemlich alle anderen Genres und Formen werden ja dem Gang der Diskursmode gemäß auch immer mal mit Abgesängen bedacht. Der Großroman ist tot, gescheitert an seinem Anspruch ein totales Abbild des Lebens, der conditio humana darzustellen! Das Tafelbild ist tot (und führt außerdem zum Faschismus). Die Lyrik liegt darnieder, weil sie keiner ließt, keiner durckt, sie keinen juckt. Und so weiter und so fort. Und bei den einzelnen Genres sieht es nicht viel besser aus (auch die Vampirschlampenschnulzen kränkeln letal, so munkeln die hippen Marketingkassandras, jetzt kommen dann Engel, die Postapoalypsen für Kiddies, die Mash-Up-Zombis die HasteNichtGesehen).
Was ewig stirbt und doch nie ganz verschwindet (wie der Großroman, die Lyrik, das Tafelbild und, ja auch! die Science Fiction) erweist sich offensichtlich als zäher und wandel- und anpassungsfähiger, als naiv geunkt.
Jakob Schmidt
Puh, der Szameit-Beitrag ist ja - wie zugegebenermaßen erwartet - eine Zumutung. Ein derart schlecht informierter, larmoyanter, arroganter und argumentationsfreier Beitrag zum Stand der SF ist mir lange nicht untergekommen. Die Serien, über die er schreibt, kennt er anscheinend größtenteils nicht, und zeitgenössische Autoren (abgesehen von sich selbst) scheinbar auch nicht. Vielleicht war er einfach sauer, weil man sein Manuskript nicht wollte? Das muss allerdings dann nicht zwangsläufig daran liegen, dass es zu "anspruchsvoll" war. Ich gebe zu, ich habe nur eine SF-Story von ihm gelesen, aber die war sprachlich und inhaltlich derart armselig, dass ich nicht das Bedürfnis hatte, jemals auf diesen Autor zurückzukommen.
Es würde eigentlich reichen, ihm einfach eine Liste mit zeitgenössischen SF-AutorInnen entgegenzuhalten, von denen er zumindest 2-3 lesen sollte, bevor er sich einen Urteil darüber erlaubt, was wohl nie wieder geschrieben werden wird. Ich spare mir das jetzt an dieser Stelle, weil die meisten Namen wahrscheinlich hinlänglich bekannt sein würden ...
Na ja, jedenfalls kann Szameit mich zuverlässig aufregen.
molosovsky Besitzerin
Hallo Jakob.
Romane (oder anderes) von Szameit kenne ich nicht (bzw. wenn ich schon mal was von ihm gelesen habe, was ich für durchaus möglich halte, z.B. in einem Heyne SF-Jahrbuch, ist mir das nicht mehr erinnerlich). Auch habe ich erst nach dem Telepolis-Beitrag allerlei Hintergrundinfos zu Szameit vernommen, die mir nachträglich als durchaus plausibel erscheinen, aber nichts daran ändern, dass ich seinen Text z.T. sympathisch finde. Vielleicht, weil ich selbst gerne heftig ästhetische Meinungsausbrüche habe, wenn auch im Fortlauf der Jahre immer öfter im Stillen (mein Blogeintrag oben ist ja seit langem mal wieder ein Erruptionszeichen für die Öffentlichkeit).
Aber das soll mich nicht stören. Im Grunde finde ich es menschlich ziemlich nachvollziehbar, wenn einer seinen Frust und den Schorf seiner verletzten kreativen Ambitionen irgendwo ablässt, und das dabei Geäußerte muss nicht zwansgläufig Unsinn oder Überflüssig sein. Ich finde mich bei Szameits Kritik am Mainstream der industriekulturellen SF durchaus wieder, teile aber anderseits die Kritik an seiner Klage, dass die kluge, relevante und dabei ›dennoch‹ kurzweilige SF keineswegs bedroht ist, schon gar nicht irgendwie ins Abseits verwiesen wird.
Sven Jüngerkes
Ein schöner Beitrag. Bezüglich aktueller Fernseh- und Kinobeiträge mag dieser Michael Szameit ja recht haben, doch ansonsten ist der Beitrag mehr von dümmlichem Ressentiment geprägt als von fleissiger Lektüre ;-) Ich sage einfach nur: http://www.google.de/search?sourceid=chrome&ie=UTF-8&q=dietmar+dath+science+fiction Das reicht schon, um ein knappes Jahr an Lektüre sinnvoll zu füllen. Wer Dath nicht mag, der liest eben Greg Bear, den literarisch irrsinnig avancierten M. John Harrison (Light, Nova Swing ... die Tatsache, dass verblödete Amazonis es hassen, ist Qualitätsmerkmal) oder den (auch wissenschaftlich) einfach nur guten Peter Watts ("Blindsight", was für ein unterschätzter großartiger Roman, ich musste den gleich mehrmals lesen ... klar, die Amazonis finden ihn auch doof, meinen sich aber wohl eher selbst).
Ich mag ja Zeitschriften wie den "Quarber Merkur", doch man merkt auch sehr deutlich, dass deren Begriff von SF (nicht SyFy, das ist in der Tat schrottig) einfach irgendwann 1960ff., vielleicht noch im Ostblock, stehen geblieben ist. Pan Tau ist halt nicht mehr. Und Todorovs Phantastikbegriff ist ebenfalls in die Jahre gekommen :-) Dieser Szameit haut in die gleiche Kerbe, man merkt es an seinem Wells-"Zitat", ihm mangeln aber ein paar Lektürejahre. Muss ein harter Brotjob gewesen sein.
Van Booms Einschätzungen teile ich aber auch nicht unbedingt -- gute SF sollte durchaus Qualitäten haben, die über den Plot und die Reihung von Hauptsätzen hinaus geht. Mag sein, dass man als Dr. habil. manch knallige SF im Regionalexpress so goutiert wie der Nebenmann seine Bild. Ist okay, mach' ich auch ohne Habil. Aber gute SF geht über den Unterhaltungscharakter oder den eskapistischen Einschlag hinaus, ohne dabei die Unterhaltungskriterien zu vernachlässigen -- wie gute Literatur ganz allgemein. Dieser antiintellektuelle Quark der High-End-Akademiker ist mir zuwider, zu durchsichtig. Gute Literatur ist "einfach" nur wie gute SF zuvörderst unterhaltend & dann geistig anregend, nicht abtötend.
PS: Jemand, der unironisch von "Wertewandel" schreibt, der ist ... usf.
molosovsky Besitzerin
Hallo Sven.
Ich will vor allem auf etwas am Ende Deines feinen Kommentars eingehen. Gute Literatur muss zuallererst mal ›verführerisch‹ sein, das ist nämlich m.E. mit ›Unterhaltung‹ gemeint. Ein Buch, das von Beginn an alles daran setzt, möglichst viele Leser abzuschrecken, zu langweilen, zu verwirren, zu verspotten und zu entmutigen wäre sicherlich mal ein echt dolles Experiment (und manche Werke haben vermutlich einen gewissen verzwickten Ruf erlangt, weil sie genau diese provokativen Eigenschaften in empörendem Maße, wenn auch nicht ausschließlich, pflegen), dennoch setzten sich wohl nur sehr wenige Autoren mit dem Vorsatz hin, einen literarischen Menschenschreck zu konstruieren. Mit was man seine Leser wie verführen will, ist die entscheidende Frage. Für mich z.B. sind ein schneller Einstieg in eine klar erkennbare Handlung, oder Figuren, mit denen ich mich positiv identifizieren kann ziemlich nebensächliche Reize; dafür erregen mich schneller interessante, wendige Sprache, oder geschicktes Jonglieren und Umkneten von Genre-Konventionen (oder als Kontrast: einfache aber effektive Sprache, unsentimentale aber einfühlsame Schilderungen aller möglichen Lebensaspekte, weshalb ich aktuell z.B. Elmore Leonard, {letztes Jahr Joe R. Lansdale} als Contrebalance zu meiner ganzen Phantastik-Schmökerei verkoste{te}).