Thomas Ziegler: »Sardor – Der Flieger des Kaisers«, oder: Mit dem Doppeldecker gegen das mahrisch-kosmische Grauen
War überrascht, wie sehr mich dieser schmale Band (erster Teil einer Trio) plätten und begeistern würde.
Düsterer Fantasy-Pulp um einen eigentlich behämmerten (weil platt-patriotischen) Kampfflieger des Deutschen Kaiserreiches – Dietrich von Warnstein –, den es bei einem Sturm mit seinem mascheinengewehrbestückten Doppeldecker in eine fremde Welt verschlägt, wo er mit der Seele eines seit zwanzigtausend Jahren schlummernden Gottkriegers – des titelgebenden Sardor – verschmilzt, um die Menschen (genauer: unchristliche Heidenvölker) beim Anbruch des Zweiten Kosmischen Krieges gegen mannigfache monströse Schrecken zu verteidigen. Sozusagen Portalfantasy a la »Unendliche Geschichte« für Fans von »Heavy Metal«-Comics (und Mukke), den heroischen Kämpfern und bestialischen Viechern von Frank Frazetta, den finsteren Bizarrerien eines Philippe Druillet, der »Chroniken des Schwarzen Mondes« und der Art von Warhammer-Fetzerei als Warhammer noch cool war (also etwa die Zeit der Erstveröffentlichung dieses Romans, 1984). — Kurz: Lovecrafts kosmischer Grusel trifft Howards Barbaren-Bratz.
Sprachlich stellenweise mitreissend, Dank eines dick aufgetragenen Pathos, der sich seiner Überspanntheit bewusst ist und entsprechend ungehemmt auf die Spitze zu treiben traut. Erzielt dabei einige Male – absichtlich! – wunderbar humorige Effekte, eben wenn das Grauslige, Eklige, Böse ins Komische kippt (man denke an entsprechende Momente in frühen Terry Gilliam-Werken wie »Jabberwocky«, oder die Harkonnen in David Lynchs Verfilmung von »Dune«).
Nur selten wird der Bogen überspannt mit einem Tacken zuviel Wiederholungen (Merke: beispielsweise ›Myriaden‹ und ›infernalisch‹ sollten nur alle 50 Manuskriptseiten verwendet werden). Ansonsten wunderbare rohe, lyrische Qualität. Viel Handlung wird nicht aufgeführt, dafür immer wieder Weltenbau-Ausflüge veranstaltet. — Ganz großartig fand ich, dass es in einem der frühen Kapitel eine richtiggehend mit Worten geschilderte Karte gibt, wenn eine Figur von der Höhe auf die weitere Umgebung guckt, die den Schauplatz dieses Romanes liefert.
Wunderbar auch, wie prall aufgepumpt die Überzeichnungen der eigentlich bekannten DüsterFantasy-Typen und -Kulissen rüberkommen. Da stimmen schon die Namen: die Krograniten-Berge, die Seufzerschründe, der Geborstene Berg, die Schmerzarchen der Eisernen, die Gehörnten, die Nachtmahre, der Bosling, der Schwarze Mirn, die Hainvölker (die Nurn unter Fürst Caliman; die Myrten unter Fürst Tur; die Anger unter Fürst Gorrenhart; die Woyden unter Fürstin Lidinya).
Im Grunde ein großes Wimmelbild, ein Panorama aufgemotzer Heere, exquisiter Grausamkeiten, titanischer (Alp)Traumlandschaften & Architekturen und morbider Verwesungsdioramen. Simpel und doch detailreich. Deshalb leicht lesbar (auch unterwegs) und dennoch sehr anregend.
Absolute Leseempfehlung (vier Sterne) vor allem für alle deutschsprachigen Fantasy-Fans und Autoren!
Band 2 gleich vorgenommen, und Band 3 steht bereit.
Bonus:
- Hier geht es zur Leseprobe — das erste Kapitel, sprich: 38 Seiten! — auf den Seiten des Golkonda Verlages.
- Die treffliche Besprechung von ›Josefson‹ auf den Webseiten der österreichischen Tageszeitung ›Der Standard‹: »Der tollkühne Mann mit seiner fliegenden Kiste / Faktor Sprache / Grelle Optik in Schwarz und Rot«
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Pogopuschel
Eine sehr treffende Besprechung. Mich hat das Buch Anfang 2013 auch richtig umgehauen. Sprachlich hatte ich überhaupt nicht mit so etwas gerechnet.
molosovsky Besitzerin
Ich hab das Buch zu einem Gutteil laut gelesen.
Wenn Golkonda jemals Hörbücher macht, würde ich irre gerne die »Sardor«-Trio sprechen.
ge-ro
Tja, und wenn du dir jetzt noch in Erinnerung rufst, wann diese »prall aufgepumpt(en) Überzeichnungen der eigentlich bekannten DüsterFantasy-Typen und -Kulissen« geschrieben wurden – nämlich zu einem Zeitpunkt, da die alte DüsterFantasy à la Clark Ashton Smith (zumindest hierzulande) ziemlich vergessen war, die neue aber noch nicht mal Kinderschuhe brauchte, weil sie noch in der Wiege strampelte –, dann wird das alles noch ein bisschen beeindruckender, oder, Alex?
Ich hatte im Entwurf zu einem Blogbeitrag zu Zieglers 55. Geburtstag, der dann leider nicht rechtzeitig fertig wurde, etwas von einer ungehemmten, sprachlich überbordenden Fabulierfreude geschrieben (wobei die sprachliche Ausgestaltung mMn auf einem schmalen Grat wandelt bzw. die Grenze zur Parodie gelegentlich überschreitet) und stelle fest, dass wir da doch tatsächlich mal wieder ziemlich einer Meinung sind. ;)
(Außerdem bedauere ich es im Nachhinein, dass ich meinen Blogbeitrag damals nicht mehr hingekriegt habe; andererseits wusste ich da noch nichts von der Golkonda-NA und im inzwischen doch recht großen Fantasy-Universum wie auch in Zieglers Werk an sich ist ›Sardor‹ letztlich kaum mehr als eine Randnotiz, so dass ich auch nicht unbedingt alles versucht habe, es noch irgendwie zu schaffen. Shit happens ...)
Druillet passt übrigens hervorragend! Das ist eine Assoziation, die ich auch irgendwann mal hatte. (Und in einer idealen Welt hätte der gute Phillippe, nachdem er »Salammbô« in den »Lone-Sloane«-Mythos integriert hatte, sich anschließend an eine Comicadaption des ›Sardor‹-Universums gemacht. Ah, ja, man wird doch noch träumen dürfen …)
molosovsky Besitzerin
Wir sind eigentlich ziemlich oft einer Meinung; ich vielleicht ungestümer.
Wenn man das ganze internationale Fantasy-Feld betrachtet, mag Zieglers Beitrag zur volle Pulle aufgedrehten Düster-Epik-Fantasy wahrlich ›nur‹ eine Randnotiz sein, aber ich finde, aus heimischer Sicht (sprich: mit der Sprache Deutsch als Heimat) vermag ›Sardor‹ innige Freude, Überraschung und vielleicht auch Inspiration zu bieten. So konnte man also schon in der Achtzigern tatsächlich auf Deutsch Fantasy schreiben.
Ich hoffe, Dein Blogbeitrag kömmt noch, irgendwann, und sei es halt zum 56. oder so.