molochronik

Gott: Versager, Soziopath oder schlicht ein Trugbild?

(Eintrag No. 405; Gesellschaft, Großraumphantastik, Gottesfrage) — Weil’s so schön ist, präsentiere ich heute mal Epikurs (ca. 341 bis 270 v.d.Z.) in »Von der Überwindung der Furcht« gereichtes Rätsel, welches knapp und schön auf den Punkt bringt, weshalb herkömmlicher Gottesglaube schlicht Quatsch ist.

Wie so oft bei kritischen klassischen Texten, findet sich diese Epikur-Schrift weder auf Deutsch noch auf Englisch im Netz (obwohl das folgende Rätsel oft zitiert wird). Lediglich der Text »Dialogues Concerning Natural Religion« in dem David Hume (1711 bis 1776 n.d.Z.) Epikur anführt, findet sich als englisher eText.

Hier die englische und dann von mir übersetzte Fassung dieses Rätsels über die Nutzlosigkeit der Vorstellung vom allmächtigen und gütigen Gott:

If God is willing to prevent evil, but is not able to Then He is not omnipotent.
If He is able, but not willing Then He is malevolent.
If He is both able and willing Then whence cometh evil?
If He is neither able nor willing Then why call Him God?

Wenn Gott willlens ist das Böse zu verhindern, aber nicht fähig, dann ist er nicht allmächtig.
Wenn er fähig sein sollte aber nicht willens, dann ist er bösartig.
Wenn er sowohl fähig als auch willens sein sollte, woher kommt dann das Böse?
Ist Gott weder fähig noch willens, warum sollten wir ihn dann Gott nennen?

Himmelshaken

(Eintrag No. 292; Skribbel, Groß-Phantastik) — Vor wenigen Wochen hab ich die Selbstfortbildungslektüre von Daniel C. Dennetts »Darwins gefährliches Erbe« (im Original: »Darwins Dangerous Idea«) abgeschlossen. Bin immer noch ziemlich überwältigt von diesem informativen und inspirierenden Buch. Dennett hat mich bekannt gemacht mit der Matapher von den Himmelshaken und den aufeinander aufbauenden Krähnen. — Nebenbei: Es ist in meinem Augen eine SCHANDE, daß dieses Buch derzeit auf Deutsch vergriffen ist! Antiquarisch hab ich dieses erst 1997 erschienene gebundene Stück schon für ca. 150 Euro gesehen. Wo bleibt die kostengünstige Taschenbuchausgabe dieses hilfreichen Grundlagenwerkes!

Himmelshaken

A few weeks ago I finished »Darwins Dangerous Idea« by Daniel C. Dennett. I am in awe, how informative and inspirative Dennett writes about this ›controversial‹ subject. Hugely I enjoyed the explanation about the skyhook- and crane-metaphors. — By the way: it is an embarrasing shame, that the german 1997 hardcover-edition of this book is out of print these days. Does really no german paperback-publisher see any potential market for this valuable title?

Jetzt lief die ›Blasphemie‹ und kein Blitz, kein Heuschreckenschwarm, keine Schrift an der Wand

(Gesellschaft) — Christenmenschen haben einen Glauben. Das ist an sich weder was grausliges, noch ist es etwas edles, denn es kommt auf den jeweiligen religiösen Menschen an, was er aus seiner Religiösität macht.

Schlimm aber gestern abend die Sicherheits-&-Diskursvorführung der kleinen, harmlosen und alberenen (und nicht kritischen) Pilotfolge von »Popetown«.

Da wurde von allen Seiten, den Fürsprechern und Gegnern der Sendung viel Wind gemacht. Eine ältere Dame, die man auf der Straße befragt hat, bringt den ganzen Medienschwurbel am genauesten auf den Punkt: Mündige Bürger entscheiden selber, ob sie sich sowas anschaun. — Ich steh ja auch nicht jeden Sonntag vor der Kirche, und protestiere gegen den hahnebüchenden Wunderaberglauben, den Transzendenzjunkies verbreiten. Die sollen da in der Kirche unter sich bleiben.

Auf einer Skala von 1 (würg) bis 10 (jubel) würd ich der Folge eine 5 geben (taugt als einmal-Gucken-Unterhaltung).

Beste Figur: Schwester Maria, weil sie so wunderbar ›in die Luft starrt‹ und nicht weiß, daß der Zahlenstrang kein Ende hat.

Größter Interpretationsfehler in der MTV-Diskurssendung: Einige meinten, daß die Folge sich über Behinderte lustig mache, Rollstuhlfahrende ›in den Dreck ziehe‹. Was wird genau gezeigt?: Jugendliche gelähmte Waisen kommen aus Leeds zu Besuch nach Popetown. Die Popetown-PR-Nonne Penelope ist genervt, weil die Kinder nicht ›arm, traurig und verzweifelt‹ sind, sondern weil die kleinen Racker quicklebendig mit ihren Rollstühlen rumkajolen, sich fibbrig aufgregt auf die Begegnung mit dem Papst freuen. Der Höhepunkt der Nervigkeit dieser behinderten Kinder ist ihr Gesang: Gitarre und falscher Kinderchor eben — ALLE Kinderklassen singen eher schief, warum sollten Gehbehinderte da eine Ausnahme bilden? Ansonsten werden eben nicht diese Rollstuhlkiddies ›in den Dreck gezogen‹, sondern die Erwachsenen, und ihre Routinen, mit denen sie sich diesen Kindern nähern, um die Kinder medienwirksam auszubeuten. Das kennen wir von Politikern und Diktatoren, wenn sie sich kleine Kinder herzend und deren Müttern Kränze reichend den Massen zeigen.

Größter Nationalchauvinismus des Diskurses: Der Popetown-Papst (¿oder Pipst, oder Popst?) verirrt sich in die unterirdischen Hostienfabriken, in denen Zwangsarbeiter schuften. Sofort brabbeln einige Diskursteilnehmer von ›abgemagerten Gestalten, wie in den KZs‹, und daß (wenn sonst schon nix) dann dieser ›Gäg‹ zu weit gehe.

—Hey, liebe deutsche Gutmenschen! Nicht alle ausgemergelten Zwangsarbeiter sind ein Verweis auf die Arbeitslager und KZs des Dritten Reiches. Schon bei den Römern schufteten Kinder in Erzminen. Die Kulturgeschichte der Menschheit verzeichnet schon lange Zwangsanstrengungsgemeinschaften, und nicht alle Arbeiter haben (wie die Pyramidenbauer) ihr rituelles heiliges Bierchen zu Feierabend bekommen. Wie freiwillig und angenehm war das mit dem Eisenbahnbau in den Alpen im vorletzten Jahrhundert?.

Gerade die katholische Kirche hat eine zünftige Beziehung zu Sklavenhandel-Gewinnlern in der Vergangenheit gepflegt. Die mutigen Christen, die gegen die Macht- und Profit-Praxis ihrer ›Klientel‹ protestierten, waren und sind in der Minderheit. Statt sich über MTVs Programm könnten sich christliche Mahner hierzulande z.B. über HARTZ IV, die Aussaht von Gen-Mais und Getreide, Kinderarmut usw protestieren. Hört man da viel? Nö. Aber den Blasphemieparagraphen verschärfen und Sendern die Lizenz entziehen wollen.

Hey, führen wir doch gleich wieder den Pranger ein, entscheiden Korruptions- und Steuerhinterziehungsschuldigkeit wieder mit Gottesbeweisen und wiederbeleben die hochnotpeinliche Befragung! — Also bitte, das nächste Mal wenn Zwangsarbeiter in einem Cartoon oder sonstwo vorkommen, ruhig auch an südarfikanische Silberminen, Baumwollfelder in Lousiana, die Zuckerrohrplantagen der Karibik denken, von mir aus auch an Schwabenkinder, und nicht immer und exklusiv nur über Nazi-KZs lossirenen (das ist nämlich auf Dauer supereitel, alle Übel der Welt immer nur auf die eigene National-›Spitzenleistung‹-Leistung in Sachen Unmenschlichkeit zu beziehen!).

Penetickt ter Sächsztähnte

(Portrait) – Die von der Moderne gepeinigten Lemminge der katholischen Welt dürfen sich nun diesen Herren zu Füßen werfen, und sich ihren Segen abholen. Und wenn Benedikt sagt, daß »2 plus 2 gleich 5« (oder »8,35« oder »Franziskus«) ist, dann stimmt das, da gibt nichts zu rütteln, denn der Mann ist offiziell UNFEHLBAR. Na wenn das mal nicht auch für auf ihn schießende Scharfschützen gilt.

Mahlzeit. Amen.

Benedikt XVI.

Fantasy aus der Kirchengeschichte: Warum dominiert das Kreuz den christlichen Altarraum?

(Gesellschaft) – Im Zuge eines Thread über Tolkien bei SF-Fan habe ich nicht nur versucht, ein wenig die katholischen Elemente im »Herr der Ringe« freizulegen, sondern war bemüßigt, der Frage nachzugehen, warum das Kreuz das dominierende Symbol der Christenheit darstellt. Dazu blätterte ich mich durch meine Kulturgeschichten und biete folgende respektlose-flockige Zusammenfassung.

Hatte Jesus Menschen- oder Gott-Natur, oder beides?

Wie das Pentagramm den Pythagoräern als »Hey Leute, hier befindet sich ein Info-Netz-Forum, wo was man über die Geheimnisse des Goldenen Schnitts klönen kann«-Zeichen an Türen und Hauswänden, und bei sich getragen zur gegenseitigen Idendifizierung diente, so war im Urchristentum der Fisch und das entsprechende griechische Wort ichthys , das sich aus den Anfangsbuchstaben für Jesus Christus Gottes Sohn Erlöser zusammensetzt, viel beliebter als beispielsweise das Kreuz. DAS Kreuz gabs und gibts eh nicht, sondern unzählige Varianten, vom einfachen roten, übers katholische oder orthodoxe, bis zum templerischen, maltekischen ect. pp. ff. (und wer ganz übereifrig paranoid interpretiert, darf sogar die » X-Men« als Mutanten-Apostel deuten.)

Immerhin wurde erst 325 n.Chr. beim ersten Konzil von Nicäa die römische Todesstrafe der Kreuzigung aus Respekt vor Jesus Christus abgeschafft. Man denke an St. Andreas und andere, die als Märtyrerpioniere medial von der Ähnlichkeit ihrer Hinrichtung mit der des Originals profitierten. Man unterschätze die Propagandawucht der narrativen Märtyrerschuldscheine gegen das grausame heidnisch-imperiale Rom nicht, und welch wichtiger Aspekt dies beim Bilderstreit- und Menschennatur-Gekabbels war, mit dem sich das Christentum zwecks Aufstieg zum Weltbildhegemon zu beschäftigten hatte. ••• Nebenbei: Im Islam ist dieser Streit bekanntlich genau andersrum ausgegangen, als beim katholisch-orthodoxem Christentum, allerdings um den Preis linguistischer Exklusivität: »Übersetzungen des Prophetenwortes bleiben immer minderwertiger und des Arabischen nicht Mächtige haben im Islam kein Mandat.« •••

Bis heute mutet die katholische Kirche ja zwei den Verstand beleidigende »Ist echt und wirklich so gewesen«-Frechheiten als Kathechismus zu: die jungfräuliche Geburt und Jesus' Auferstehung von den Toten. Diese zwei Speziealeffektorigien des katholischen Films entfachten freilich ein heftiges Gerzerre um die Gegensätzlichkeit der Mensch- und/oder Gott-Natur von Jesus. Die unterschiedlichen Meinungen und widerstreitenden Phantasien dazu, entluden sich dann 431 n. Chr. beim dritten ökumenischen Konzil von Ephesos, auf dem der Bischof von Alexandria dem Bischof/Patriarchen von Konstantinopel eins auf die Mütze gab, und Maria vollends mit dem Titel »Gottesmutter« ausgezeichnet wurde (statt nur: »Erlösermutter«). Ganz abgefrühstückt war das Thema aber deshalb nicht für alle, Räubersynoden und Much Ado about Nothing folgten, und wenig Ruhe herrschte im Schoß von Mutter Kirche.

451 n. Chr. beim Konzil von Chalkedon kam man also wieder zusammen, diesmal, um die Lehre vom Leiden Christi am Kreuz zu verhandeln. Wie schon in bei der Mission-Impossible »Befruchtung Marias durch den Heiligen Geist«, wo man sich für die hygienisch-sexlose aber wunderträchtigere Formel »so rein wie Wasser durch ein makelloses Rohr« (und lieber via Ohr in den Uterus, als über die kürzere Pfui-Deifi-Route) entschieden hat, setzte sich wiederum die hierarcho-realo Fraktion der Psyagogie-Praktiker gegen die Bischöfe mit den un-wunderlicheren Ideen durch, die z.B. meinten, daß einer von Jesus Anhängern – möglicherweise Judas Ischariot oder Simon von Kyrene – statt Jesus am Kreuz gestorben sei. Andere klamüserten, daß Jesus die Kreuzigung überlebt hat, weil er nicht wie üblich mehrere Tage am Kreuz hängen musste, sondern bereits nach einigen Stunden abgenommen wurde. ••• Man denke auch an später noch virulentes Gemurmel, wie die Südfrankreich-Merowinger-Connection a la Templergeheimnisse, oder die Barnabas bzw. Thomas war Zwillingsbruder/schwester von Jesus-Theorie und dergleichen. •••

••• »Befruchtung durch den Heilien Geist« ist ja wieder Ideologie-Sprengstoff auch auf dem Gebiet der Science-Fiction geworden, wenn man Heiliger Geist als genetischen Programmcode und – wie zuerst schon die Kabbalisten – Gott als Onto-Informatiker begreift, und sich somit der geklonte Mensch unter zeugungstechnischen Gesichtspunkten als Jesus-analog entpuppt. •••

Endgültig zementiert wurde dann 787 n. Chr. auf dem siebten Konzil von Nicäa, durch eine Art byzentinischer Angela Merkal, als nämlich die oströmische Kaiserin Irene im Bilderstreit entschied, daß die Bilderverehrung erlaubt (erwünscht) sei. Erst mit dieser Genehmigung des Kreuzes, konnte es sich als zentraler Vereehrungsmagnet in den Kirchenräumen etablieren, und begann dessen Siegeszug als primäres christliches Firmensymbol. Wir leben also in gewisser Weise hier und heute auch im Jahre 1217 des Kreuzes.

Marienverehrung und Kreuzverehrung markieren also die Bereiche des abgedreht Wundersamen, die aber für entsprechend Strenggläubige als harte Fakten zu gelten haben. Damit tritt der kommunitaristische Aspekt der Gleichheit des menschlich-Seienden und des Respekts gegenüber der Schöpfung zurück – und z.B. der entsprechend konnotierte Fisch verschwindet für lange Zeit aus der Hitliste christlicher Symbole. Vollends infiziert von den Machtroutinen zentralistischer Ideologien, entschied man sich für eine grelle Superheldengeschichte mit Coverzeichnungen von »Wundergeburt, Blut, Tränen und Todesnichtung«. Damit kann man mehr Angst beschwören und bringt sich ohnmächtig Wähnende dazu, sich williger benasenringen zu lassen.

Eine zentrale Aussage, die entsprechend von Christenmacht-Ausübern gern verbreitet und bedient wird, ist die Absegnung zur Unmündigkeit und Verführung zur Verantwortungs-Befreiung: »… ihr müßt werden wie die Kinder«, im ursprünglichem Sinne von infantil, bedeutet: »kann (noch nicht) nicht sprechen«; siehe auch Thronfolger-Infanten als »noch nicht Macht sprechende«, und Infanterie als Befehle nur empfangende Einheiten, die selber nix »zu sagen haben«.

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Die Illus zu diesem Beitrag sind Details von der Zeichnung »Der Teufel hatte eine Idee«.

Excerptien aus Richard Tarnas: »Idee und Leidenschaft«

Eintrag No. 21 — Zusammenfasungen der Zusammenfassungen des Buches »Idee und Leidenschaft — Die Wege des Westlichen Denkens« von Richard Tarnas (›The Passion of the Western Mind‹; HC zuerst bei Roger & Bernhard; als TB bei DTV; dann unter dem Titel »Das Wissen des Abendlandes« bei Patmos). 1991 auf Englisch, 1997 auf Deutsch erschienen, bietet einen guten groben Überblick über viele Themen/Spannungen die in Sachen Weltenbau, Magietheorie usw von Bedeutung sind. — Tarnas möchte ich mal als Steinbruch vorstellen, denn sein Buch ist mir mittlerweile als nützlich aufgefallen. Da bemüht sich einer, möglichst umfassend eine Kultur- und vor allem Ideengeschichte zu beschreiben, und legt dabei (soweit ich das abschätzen kann) wert darauf, nüchtern und objektiv zu bleiben. Meistens kann ich seinen Vereinfachungen und Aussagen zustimmen. Er versucht nicht polemisch zu sein, trübt aber damit auch den Blick auf heikle und exotischen Aspekte.

Aus sieben Teilen setzt sich Tarnas Buch zusammen:

I. Griechisches Weltbild / II. Transformation der klassischen Ära / III. Christliches Weltbild / IV. Transformation des Mittelalters / V. Modernes Weltbild / VI. Transformation der Moderne / VII. Epilog.

Die erste Zusammenfassung findet sich im ersten Teil und umreißt das duale Vermächtnis des Weltbildes der Antike. Zwei Fünfheiten stehen sich umkreisend gegenüber.

ERSTE FÜNFHEIT: Griechischer Rationalismus und griechische Religion wie vor allem durch Platon geprägt (S. 83f):

  1. Die Welt ist ein geordneter Kosmos, dessen Ordnung mit der des menschlichen Geistes verwandt ist. Eine rationale Analyse der empirischen Welt ist deshalb möglich.
  2. Der Kosmos als Ganzes ist Ausdruck einer planvollen Intelligenz, die der Natur Sinn und Zweck verleiht, und diese Intelligenz ist dem geschulten und gereiftem menschlichen Bewußtsein direkt zugänglich, wenn es sich ganz auf diese Intelligenz ausrichtet und konzentriert.
  3. Eine durchdringende geistige Analyse offenbart auf ihrem Höhepunkt eine zeitlose, ihre temporären und konkreten Manifestationen übersteigende Ordnung. Die sichtbare Welt trägt eine tiefere, sowohl rationale als auch mythische Bedeutung in sich, die von der empirischen Ordnung widergespiegelt wird, aber aus einer ewigen Dimension stammt, die Quelle und Ziel aller Existenz ist.

    Zum Begriff ›mythisch‹ und ›Mythos‹: ist für mich zuvörderst die Geschichte, wie sie von den Gewinnern (fast immer Aggressoren und Betrüger) geschrieben wurde. Mythen dienen also zur Propaganda, bzw. dem Vertuschen von (Betriebs-)Geheimnisen, sowie dem Überhöhen der eigenen und dem Herabsetzten der anderen Seite. — Verständigungsproblem beim Bau von Fantasy-Welten und Kulturen. Soll ein Mythos den man sich ausdenkt als ›Wahrheit‹ im Sinne des antiken Weltbildes verstanden werden, oder, wie durch moderne Augen gesehen, als pathetische Verklärung, Über-Untertreibung?

  4. Die Erkenntnis der grundlegenden Struktur und Bedeutung der Welt erfordert Übung und den Einsatz einer Vielzahl von kognitiven Fähigkeiten — rationalen, empirischen, intuitiven, imaginativen und moralischen.
  5. Die unmittelbare Verstehen der tieferen Wirklichkeit der Welt befriedigt nicht nur den Geist, sondern auch die Seele: es ist seinem Wesen nach eine erlösende Vision, ein dauerhafter Einblick in die wahre Natur der Dinge, intellektuell entscheident wichtig und zugleich spirituell befreiend.

    Zumindest ich bin ein bischen baff, wie sehr diese ersten 5 Positionen noch virulent sind; in meinen misanthropischen Stimmungen nehm ich an, daß ›die Masse‹, das Gemensche sich kaum von diesen Ansichten gelößt hat.

ZWEITE FÜNFHEIT: Kritische Antipoden zu diesem idealistischen Realismus stellen folgende geistigen Annahmen und Tendenzen der griechischen Welt-Denkerei dar (S. 84f):

  1. Wahres Wissen ist nur durch die strikte Anwendung von menschlicher Vernunft und empirischer Beobachtung erreichbar.
  2. Die Basis wahren Wissens liegt in der gegebenen Erfahrungswelt, nicht in einer unbeweisbaren jenseitigen Wirklichkeit. Die einzige Wahrheit, die dem Menschen zugänglich und nützlich ist, ist immanent, nicht transzendent.
  3. Die Ursachen natürlicher Phänomene sind unpersönlicher und physikalischer Art und sollten innerhalb des Bereichs der Naturbeobachtung gesucht werden. Mythologische und übernatürliche Elemente sind als anthropomorphe Projektionen aus kausalen Erklärungen herauszuhalten.

    Tja, in Fantasy-Welten ist nun z.B. genau das die Spielwiese :-)

  4. Jeder Anspruch auf ein ganzheitliches theoretisches Verstehen muß sich an der empirischen Wirklichkeit des konkreten Einzelnen in all seiner Verschiedenheit, Veränderbarkeit und Einzigartigkeit messen lassen.

    Auch irdische Weisheit kennt den kontinuierlich gemahnenden Basslauf, daß der Mensch sich besser nicht selbstverständlich auf die Wiederholbarkeit von etwas verlassen kann und soll.

  5. Kein Denksystem ist endgültig, und die Suche nach Wahrheit muß sowohl kritisch als auch selbstkritisch sein. Menschliches Wissen ist relativ und fehlbar und muß im Licht neuer Befunde und weiterer Analysen immer wieder revidiert werden.

Die nächste Zusammenfassung widmet sich der christlichen Transformation des klassischen Denkens, und stellt eine Sechsheit an Differenzen zum griechisch-römischen Denken vor. Tarnas weißt darauf hin, daß solche Zusammenfassungen immer ungenau sind. (S. 206f)

  1. Durch die Anerkennung eines höchsten Gottes, dem dreieinigen Schöpfer und Herrscher über die Geschichte, hat das Christentum eine monotheistische Hierarchie im Kosmos geschaffen, die den Polytheismus der heidnischen Religionen überwand …

    {naja, man könnte auch ›verdrängt‹ sagen}

    … und in sich aufnahm, während sie der Metaphysik der archetypischen Formen ihren Vorrang nahm, sie aber nicht eliminierte.

    Monos gegen Pluris. Darf ich das so platt gegenüberstellen?

  2. Der platonische Dualismus von Geist und Materie wurde verstärkt durch seine Verschmelzung mit der Lehre von der Erbsünde, dem Fall des Menschen und der Natur, der kollektiven menschlichen Schuld. Eine weitere Zuspitzung kam dadurch, daß die Natur jede immanente Göttlichkeit, ob poly- oder pantheistisch, weitgehend abgesprochen wurde, ohne ihr aber dabei die Aura übernatürlicher Bedeutung zu entziehen — sei sie göttlich oder satanisch; sowie durch die radikale Polarisierug von Gut und Böse.
  3. Die Beziehung des Transzendenten zum Menschen wurde dramatisiert als Gottes Herrschaft über die Geschichte, als die Erzählung vom auserwählten Volk, als historisches Erscheinen Christi auf Erden und als seine letztliche Wiederkehr, um die Menschheit in einem künftigen apokalyptischen Zeitalter zu erlösen. So entstand ein neuer Sinn für historische Dynamik, für die göttliche Logik der Erlösung innerhalb einer linear, nicht zyklisch verlaufenden Geschichte, der jedoch durch die schrittweise Verlagerung dieser erlösenden Kraft in die institutionelle Kirche implizit wieder zugunsten der Restauration eines statischeren Geschichtsverhältnisses zurückgenommen wurde.
  4. Den heidnischen Mythos von der großen Mutter-Gottheit verwandelte das Christentum in eine historisierte Theologie mit der Jungfrau Maria als menschlicher Mutter Gottes und in die beständige historische und soziale Wirklichkeit Kirche als Mutter.
  5. Das Beobachten, Analysieren und Verstehen der natürlichen Welt wurde abgewertet und damit die rationalen und empirischen Fähigkeiten gegenüber den emotionalen, moralischen und spirituellen vernächlässigt oder negiert, wobei alle menschlichen Fähigkeiten den Anforderungen des christlichen Glaubens und dem Willen Gottes untergeordnet waren.
  6. Das Christentum verzichtete auf die Fähigkeit des Menschen, die Bedeutung der Welt selbstständig intellektuell oder spirituell zu durchdringen, aus Ehrfurcht vor der absoluten Autorität der Kriche und der Heiligen Schrift, denen die endgültige Bestimmung der Wahrheit überlassen bleibt.

Nun die Achtheit an Grundlagen des modernen Weltbildes. Versimpelt umreißt Tarnas folgenden Bogen: Die Antike war Bunt, das Christentum ist ‘ne Art von strenger Auskristallisierung bestimmter Aspekte und nun schwingt das Pendel wieder in die andere Richtung. Tarnas konzentriert sich auf die Aspekte des modernen Weltbildes, durch die es sich am stärksten von den Vorgängern abhebt (S. 359ff — Ich zitiere nur die ersten, bzw. markantesten Sätze der einzelnen Punkte):

  1. Im Gegensatz zum mittelalterlich-christlichen Kosmos, den ein persönlicher und allmächtiger Gott nicht nur geschaffen, sondern auch stets und unmittelbar regiert hatte, war das moderne Universum ein unpersönliches Phänomen. {…} Er war nun weniger ein Gott der Liebe, des Wunders, der Erlösung und der historischen Intervention als eine höchste Intelligenz und erste Ursache, die das materielle Universum und seine unveränderbaren Gesetzte zwar geschaffen, sich dann aber jeder weiteren direkten Einflußnahme enthalten hatte. {…} Während in der mittelalterlich-christlichen Auffassung der menschliche Geist die im Grunde übernatürliche Ordnung des Universums nicht ohne die Hilfe der göttlichen Offenbarung verstehen konnte, war der menschliche Geist nach moderner Auffassung kraft seiner eigenen rationalen Fähigkeiten dazu in der Lage, die Ordnung des Universums zu verstehen; und diese Ordnung war ganz und gar natürlich.

    Markant an der Zeichendeuterei der Vormoderne ist für mich, daß sie oft bis zur Lächerlichkeit naiv, hysterisch und paranoid war. Man muß nur mal bei den zivilierten Heiden (z.B. Griechen) gucken, was denen alles als Orakelmaterial diente. Zukunft vorhersagen anhand der Art wie Käse gerinnt, wie jemand lacht, anhand der Asche eines abgebrannten Feuers, anhand der Art wie eine Spinne ihr Netz gebaut hat. Immerhin glaubte man, dass Gott (oder Götter) noch dauernd in der Schöpfung rumfummelte und versuchte mit Zaunpfahlwinkerei die Schäfchen ins Trockene zu lotsen.

  2. Die christlich-dualistische Betonung der Vorrangstellung des Spirituellen und Transzendenten vor dem Materiellen und Konkreten wurde jetzt weitgehend umgekehrt und die physische Wirklichkeit zum zentralen Bereich des menschlichen Interesses. {…} Der christliche Dualismus von Geist und Materie, Gott und Welt wurde allmählich in den modernen Dualismus eines subjektiven und persönlichen menschlichen Bewußtseins und einer objektiven und unpersönlichen materiellen Welt verwandelt.

    Schönes Beispiel von extremistischen Pendelbewegungen in Sachen Ideologie. Wo der Verstand (weil zu bedrohlich kritisch) hinantgestellt wurde, zerrt man ihn in der Reaktion überprominent in den Vordergrund. Entsprechend kommt es in der Postmoderne (Stichwort: Negative Dialektik) zu einem scheinbar anti-rationalen Umkehrbild einer Kritik des Aufklärungsprozesses.

  3. Die Wissenschaft ersetzt die Religion als überragende, das kulturelle Weltbild definierende, beurteilende und überwachsende geistige Autorität. {…} Mit einer transzendenten Wirklichkeit assoziierte Vorstellungen … galten als nützliche Beruhigungsmittel für den emotionellen Anteil des Menschen; als ästhetisch befriedigende Schöpfungen der Phantasie; als potentiell brauchbare heuristische Annahmen; als notwendige Bollwerke für Moral und gesellschaftlichen Zusammenhalt; als politisch-ökonomische Propaganda; als psychologisch motivierte Projektion; als die Lebendigkeit unterdrückende Illusionen; als abergläibisch, irrelevant oder sinnlos.

    Dieser Punkt umreißt knapp die Funktionen und Restrinnsale des Religiösen (im europ.-westlichen Kerngebiet der Säkularisierung). Die nun entmonopolisierte Spiritualität wird zunehmend kommerzialisiert und privatisiert, von Freimaurei, Magierkreisen, über Popkultur & Rock'n Roll & Fandoms, bis hin zur Kunst, auspendelnden Körnerfresserei usw.

  4. Ähnlich wie in der klassischen griechischen Anschauung besaß das moderne Universum eine immanente Ordnung. {…} Die moderne Weltordnung war keine transzendente, alles beherrschende Einheitsordnung, die sich im Inneren des Verstandes genauso wie in der äußeren Welt widerspiegelte und in der die Erkenntnis des einen zwangsläufig das Wissen des anderen nach sich zog. {…} Das Universum an sich war nicht mit bewußter Intelligenz oder Zwecken ausgestattet; allein der Mensch besaß solche Eigenschaften.

    Hier bröckelts ja auch seit einiger Zeit (siehe ›Kultur bei Tieren‹). Aber ich behalte den Punkt ›bewußte Intelligenz‹ im Augenwinkel.

  5. Im Gegensatz zu der integierten Vielfalt von Erkenntnismethoden der klassischen Antike war die Ordnung des modernen Kosmos prinzipiell allein den rationalen und empirischen Fähigkeiten des Menschen zugänglich. {…} Die Erkenntnis des Universums war jetzt in erster Linie eine Angelegenheit nüchterner, unpersönlicher wissenschaftlicher Forschung. War sie erfolgreich, so endete sie nicht so sehr mit Erfahrung spiritueller Befreiung … sondern mit der intellektuellen Beherrschung der Natur und der materiellen Verbesserung des Lebens.

    Hier sind wir wieder beim Flackerbegriff der Magie bzw. Technik. Ich finde, man kann beides zusammenhaun und diesen Audruck ›intellektuelle Beherrschung der Natur‹ als Kernpunkt beider Disziplinen nehmen. Magie ist Technik, von der so getan wird, als wäre sie etwas Übernatürliches, Wundersames (siehe Hüten von Betriebsgeheimnissen).

  6. Die Kosmologie des klassischen Zeitalters war geozentrisch, endlich und hierarchisch; sie nahm die Himmelskörper als Orte transzendenter archetypischer Kräfte wahr; deren Bewegung bestimmten und beeinflußten die menschlicher Existenz. {…} Anders als im antiken und mittelalterlichen Weltbild besaßen die himmlichen Körtper des modernen Universums keinerlei geistige oder symbolische Bedeutung; sie waren nicht dazu da, dem Menschen sein Schicksal zu zeigen oder seinem Leben Sinn zu verleihen. {…} Ähnlich wurden auch alle Zeichen des Göttlichen in der Natur als Symptome eines primitiven Aberglaubens und wunschgeleiteten Denkens bewertet und aus dem ernsthaften wissenschaftlichen Diskrus entfernt.

    Vieles, vor allem praktisches Wissen ging verlohren, einzelne Wissenschaften machen sich nun wieder auf, die brauchbaren Aspekte dieses alten ›Wunderglauben-Wissens‹ zu suchen und zu sammeln. Meiner Einschätzung nach, war aber vieles was im Fortlauf der Moderne als Aberglaube verunglimpft wurde, wirklich kaum der Erkenntnis wert.

  7. Dank der Integration der Evolutionstheorie und ihrer vielfältigen Auswirkungen auf andere Gebiete ließen sich das Wesen und der Ursprung des Menschen sowie die Dynamik des Wandels in der Natur jetzt ausschließlich natürlichen Ursachen und empirisch beobachtbaren Prozessen zuschreiben. {…} Die Struktur und Entwicklung der Natur war kein Ergebnis eines wohlmeinenden göttlichen Plans und Zwecks, sondern eines amoralischen, zufälligen und brutalen Kampfes ums Dasein, in dem nicht der Tugendhafte, sondern der Taugliche Erfolg hatte. {…} Das moderne Universum war jetzt ein ausschließlich säkulares Phänomen, das immer weiter fortfuhr, sich selbst zu verändern und zu erzeugen. Es besaß keine göttlich konstruierte Finalität mit einer ewigen und statischen Struktur, sondern war ein sich entfaltender Prozess ohne absolutes Ziel und ohne absolute Grundlage, außer Materie und ihren Verwandlungen.
  8. Anders als das mittelalterlich-christliche Weltbild bestätigte das moderne radikal die Unabhängigkeit des Menschen — ob geistig, psychisch oder spirituell. {…} Das klassische griechische Weltbild hatte die Vereinigung — oder Wiedervereinigung — des Menschen mit dem Kosmos und dessen göttlicher Intelligenz als Ziel der intellektuellen und spirituellen Tätigkeit des Menschen hervorgehoben. Das christliche Ziel war es, den Menschen und die Welt wieder mit Gott zu vereinigen. {…} Im Vertrauen auf die Kraft seines autonomen Intellekts ließ der moderne Mensch die Tradition weitgehend hinter sich und machte sich alleine auf den Weg, entschlossen, die Prinzipien seines neuen Universums zu entdecken, dessen neue Dimensionen zu erforschen und zu erweitern sowie seine Erfüllung hier und jetzt zu finden.

    Oder anders betrachtet: Die Menschheitsgeschichte ist die der zunehemend enger werdenden Nachbarschaft; die Kulturgeschichte ist die Geschichte des von Menschen umzingelt werdenden Menschen. Die älteste Lösung dieses Engeproblens ist die Flucht nach Außen (territoriale Flucht), die Flucht nach Innen (mystisch-asketisch-ekstatische-usw Flucht) und die Flucht in die Zukunft (bzw. Schuldenabschieben auf Nachfahren).

Als hier vorläufig letzte Zusammenfassung folgt ein Sprung über Jahrhunderte, ins kalte Wasser Bucheepilogs, wenn Tarnas eine postmoderne Theorie zum Mutter-Kind ›Double-bind‹ — also über wechselseitig sich widersprechende Forderungen die dazu führen, das Menschen schizophren werden — auf das Verhältnis Welt-Mensch umformuliert (S. 526f):

  1. Die Beziehung des Kindes (Menschen) zur Mutter (Welt) zeichnet sich durch vitale Abhängigkeiten aus (ist durch vitale Abhängigkeiten geprägt), was es für das Kind schwierig macht, Mitteilungen der Mutter richtig einzuschätzen (was es schwierig für den Menschen macht, die Beschaffenheit dieser Welt richtig einzuschätzen).
  2. Das Kind empfängt auf verschiedenen Ebenen widersprüchliche oder unvereinbare Informationen von der Mutter, indem beispielsweise eine explizite verbale Botchaft durch einen nonverbalen Kontext zugleich wieder dementiert wird — etwa wenn eine Mutter ihrem Kind mit feindseligen Augen und verspanntem Körper sagt, »Schatz, du weißt, daß ich dich sehr lieb habe«. Beide Signale lassen sich nicht in Übereinstimmung bringen. (Der menschliche Geist empfängt in sich widersprüchliche oder anderweitig unvermeidbare Informationen über seine Situatiuon in bezug zur Welt. Unter anderem stimmt seine innere psychologische und spirituelle Wahrnehmung der Dinge nicht mit der allgemeinen — auch von ihm selbst anerkannten — wissenschaftlichen Sicht der Dinge überein.)
  3. Das Kind wird keinerlei Gelegenheit gegeben, der Mutter Fragen zu stellen, die die Kommunikation klären oder den Widerspruch auflösen kann. (Erkenntnistheoretisch ist es dem menschlichen Geist unmöglich, in eine direkte Kommunikation mit der Welt zu treten.)
  4. Das Kind kann das Feld, das heißt die Beziehung nicht verlassen. (Existentiell ist es dem Menschen unmöglich, das Feld zu verlassen.)
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