molochronik
Mittwoch, 29. Oktober 2003

Wahrscheinlich der einzige Fragebogen in diesem Blog

(Alltag) - Außer natürlich ich komme mal mit einem Eigenbau zugange. Hier meine Antworten zu dem spaßmachenden Fragebogen von don.antville.org -- ich habe die meisten Fragen am Dienstagmorgen innerhalb einer halben Stunde beantwortet. Für Frage 21 (Schönste letzte Satz eines Buches?) habe ich dann länger durch meine Buchregale kraxeln müssen, und deshalb kann man meine etwas zu redseelige Antwort darauf auch gesondert hier finden.

1. Wie gehts?
Durchs Weitwinkellebensobjektiv betrachtet ganz gut, in der Nahaufnahme als derzeit Erwerbsloser Ich-habe-keine-Ahnung-was-ich-in-dieser-Gesellschaft-arbeiten soll ehr gemischt bis zeitweise extrem niedergeschlagen.

2. Die letzte Mahlzeit bestand aus was?
Westerneintopf mit Roggenbrot.

3. Was trinkst Du gerade?
Alvoradakaffee aus der Presskanne mit 5 Stück Zucker und viel Kondensmilch und starken Hagebuttentee ohne ebbes (aus seperaten Tassen).

4. Schon mal Vanilla/Cherry Coke getrunken?
Erstere gab ihr Gaumendebut bei mir neulich im Kino während "League of Extraodinary Gentlemen". Ganz gut, schmeckt handwarm dann besser als normale Cola, sanftes Kohlesuregeblubbel. Angenehm. Cherry-Coke vergöttere ich seit es auf dem deutschen Markt erhältlich ist (ebenso: Dr. Pepper), und weiß mit Erfurcht von der rülpsbringen Kohlensäureinflation dieses Getränkts zu sprechen.

5. Tageschau? Heute? RTL Aktuell? CNN?
Meist mit woanders (Buch, Comic, Magazin, Zeitung) gebündelter Aufmerksamkeit "Heute" auf 3Sat vor der "KulturZeit". Ich bevorzuge Buchstaben und eigenen Augenschein als zutragende Agenten meines Weltbildes. Film (und Fernsehen ist lediglich Film im Konservendosenformat) ist für mich, wegen seiner hohen suggestiven Virulenz ein ungeeigneter Mittler von "echten" Inhalten und ich genieße deshalb alle seine Ableger als die Vaudeville-Unterhaltung des 20sten und 21sten Jahrhunderts, das sie nun mal ist.

6. Das letzte Mal gelacht? Worüber?
Gestern abend über einen meiner eigenen blöden Witze, genauer: Verleser, nämlich in den Handnotizen meiner Freundin zu John Donne. Verb-reitung: dachte (Pferde und so), das wäre ein mir nicht bekannter Terminus für das, was Donne so zusammengedichtet hat. Gemeint war aber seine Ver-breitung im Sinne von Wirkung.

7. Schlimmste Idiosynkrasie?
Sozialneid... also meiner auf andere. Fühle mich unwohl in geldgeschwängertem Ambiente und habe Probleme um Menschen mit Erfolg. Extrem unfair, is' aber nun mal so.

8. Das Wort aus Frage Sieben nachschlagen müssen?
Ja schon, zur Sicherheit. Nur wer sich dauernd so unsicher ist und sich vergewissert hat, entwickelt die Meisterschaft im Besserwissen.

9. Das letzte Mal jemanden beleidigt?
Im Ernst nicht, unabsichtlich wohl leider meine Freundin, oder auch: siehe Frage 15.

10. Das letzte Mal an Sex gedacht?
Bei zufriedener Zur-Kenntnisnehme meines Morgenständers heute morgen.

11. Wann hast Du das letzte Mal jemanden etwas geschenkt und was war das?
"Die Handschriften von Saragossa" von Jan Poticki einem Freund zum Geburtstag; oder war "Das Kritikon" von Baltasar Gracian an Bekannte aktueller; oder gilt hier auch ein mitgebrachter Krebbel für meine Freundin?

12. Erdbeeren, Himbeeren, Johannisbeeren oder Stachelbeeren?
Stachelbeeren, wenn nicht ganz reif, schön hart und prall.

13. Liebst Du jemanden?
Meine Freundin, den Kosmos und mich, dann alle anderen, alle Erlöser und Propheten, die Ausgestoßenen und die Leidenden, die Kunst und ihre Euter und jene die drann'hängen, die Musik und das Schreien des Geistes, Tiere, da vor allem die Vögel und die Carnivoren, wie schon gestanden Cherry-Coke und und und (schlagt mich, ich bin ein Gutmensch, wenn auch ein extrem misanthropischer).

14. Neben welchen Prominenten würdest Du gerne beerdigt sein?
Finde keinen Zugang zu dieser Frage. Ist mir wurscht. Vielleicht neben einem Zampano in irgendeiner unentdeckten antiken Grabstätte. Oder neben einer Mumie im Kunsthistorischen Museum Wien, wenn das als "Grab" gilt.

15. Wann warst Du das letzte Mal eifersüchtig und wieso?
Siehe 14. (Und dann doch: a) positiv auf Alban Nicolai Herbst, weil er mit "Wolpertinger" und den "Thetis"-Büchern (fast) genau das macht (nur viel E-literaturiger), wozu ich gerne mal den Arsch hochkriegen würde; b) negativ: von Lange, Wetzel, Hermann und all die anderen Sporen aus der Besseren Bürgerwelt, die ihre langweiligen Seelen in langweilige Texte zwirbeln. (Vielleicht habe ich nun eine(n) der Erwähnten beleidigt, siehe Frage 9.)

16. Der letzte Rechner Absturz?
Als dem iMac auf dem ich hier werkle nach 5 Jahren die interne Batterie abnippelte, hat er sich bei einem Neustarten nicht mehr gefunden. Aber sonst nur die auch bei einem Mac vorkommenden Hngenbleiber wegen Arbeitsspeicherberlastung. "Systemabstutz" in dem Sinne also gar nicht.

17. Schon mal ne Pornoseite angeschaut?
Jupp.

18. Und?
Finde keine Bürzel. Enttäuscht.

19. Steuern bezahlt?
Möchte ich meinen.

20. Wirklich alle?
Glaube schon. Kümmere mich nicht darum und lasse die Ämter einfach machen. Habe Angst vor Steuererklärungsformularen.

21. Der schönste Schlußsatz eines Buches?
Antwort unfreundlich lang, um sich hier breit machen zu dürfen. Siehe gesonderten Beitrag hier. Aber ganz nebenbei lieber Fragebogendesinger: Schlußsatz ist ein etwas unansehnliches Wort, letzter Satz besser wäre doch gewesen.

22. Dein erstes Konzert?
"We Two Are One"-Tour von Eurythmics mit 14 in München. Erstes (und bisher einziges) selbstgesungenes und akkordeonquetschendes Umsetzen von John Dowland- und Tom Waits-Liedern auf Burg Ludwigstein Anno 1997, glaub ich, kann aber ein Jahr früher oder später gewesen sein.

23. Dein letztes?
Andreas Scholl singt englische Renaissancelieder von Dowland und Co, begleitet von einem Lautenspieler im kleinen Saal der Alten Oper Frankfurt. Ist schon eine ganze Weile her. Geheult vor Entrückung.

24. Du hast 10.000 Euro gewonnen. Du kannst alles behalten, oder alles "Ärzte ohne Grenzen" spenden. Was machst Du? (Nicht lügen!)
Alles meins. Abneigung gegen Medizin, selbst wenn sie sich wohlttig in der Dritten Welt tummelt. Nein ich spende natüüürlich alles alles alles... ehrlich.

25. Sonnen- oder Gefrierbrand?
Was mir lieber ist, oder was ich schon mal hatte? Wenn a) dann Sonnenbrand, wenn b) dann beides. Sonnebrand in meiner Kindheit und Jugend, Gefrierbrand in meiner Zeit bei McDonalds und dort im Kühlraum.

26. Hoher oder niedriger Blutdruck?
Ganz low. Niedrigster gemessener Wert (bei Kirchenbankohnmacht in der 8. Klasse laut Lehrer) 60:40. Kann ich aber selbst nicht ganz glauben. Aber ich kenne die Nebelschwaden, die kreisfrömig von Rande mein Gesichtsfeld fluten.

27. An der Wand oder am Rand schlafen?
Völlig egal. Kann auf einem Stuhl im sitzten schlafen.

28. Das letzte Mal geweint?
Am Ende von "Unbreakable", habe ich vor einigen Tagen wieder mal auf DVD geguckt. Denke aber nicht, da es das letzte Mal war, daß ich weinte.

29. Das letzte Mal auf dem Friedhof?
Lange her, keine Ahnung mehr. Literarisch aber in der "Schmerznovelle" von Helmut Krausser letztes Jahr im Frühling.

30. Das letzte Mal platzen können vor Glück?
Anfang des Monats in Berlin auf der Museumsinsel mit Freundin und Freund die Hintern aller Marmorschönheiten begutachtet und im Ratz-Fatz-Verfahren alle Museum-Shops abgeklappert.

31. Allein oder Einsam?
Alleine nicht mehr (wegen den vielen Stimmen in meinem Kopf auch nie wirklich gewesen), aber im Sinne des stänigen Gewahrens der fundamentalen Ins-Sein-Geworfenheit immer einen leichten Amplitudenauschlag in Richtung einsam.

32. Aktuelle Lieblings CD?
Am ehesten ist das derzeit die intrapolierte Mitte von Aimee Mann "Lost In Space" und "Toxicity" von System Of A Down.

33. Letzte TV Sendung?
Gestern Abend Harald Schmidt.

34. Wofür schämst Du Dich heute noch?
Vor ein paar Jahren einen Rowohlt-Lektor auf einer privaten Party im Rausch gefragt zu haben, ob er nach dem Selbstmord eines Kollegen und den trüb sich abzeichnenden allgemeinen Entwicklungen des Buchmarkt (war noch vor dem Erfolg mit Franzen) nun auch er "gefährdet" sei; und auch wegen der schrillen und für mich sehr schwulen Klamotten die ich an dem Abend trug.

35. Hoffnung oder Vertrauen?
Strebe keines von beiden an, sondern Wissen und Gleichmut (haha, ich Narr).

Der schönste Schlußsatz eines Buches

Eintrag No. 34 — Über Kumpel David wurde ich aufmerksam auf den Fragebogen ex Langeweile von Kollege DonDahlmann. Alle meine Antworten gibt es bald, aber hier ein Vorgeschmack, meine längste Antwort auf die Frage nach dem schönsten Schlußsatz eines Buches.

Nu denn...

Prinzipiell weiß ich lange Schlußformeln zu schätzen, doch das Der Demiurg ist ein Zwitter als Ende von »Die Andere Seite« bei Alfred Kubin drängelt sich immer wieder aufs höchste Treppchen meiner persönlichen Schlußsatzpokalverleihung. Aber es gäbe soviele Preise zu verleihen, ich will keine Zeit verliehren...

• Im Namen der Hessischen Drogenwohlfahrt spreche ich (posthum) Arthur Conan Doyle die Auszeichnung für sein bedröhntes Ausklingenlassen in »Das Zeichen der Vier« zu: »Mir«, erwiderte Sherlock »bleibt immer noch die Kokainflasche«, und er streckte seine lange, weiße Hand nach ihr aus.

• Die Spiralmusterplakette der Katholischen Psychonauten geht an Keith Gilbert Chesterton für »Der Mann der Donnerstag war«: Und in der Schwärze, die auf sein Bewußtsein herniedersank, vernahm er nur noch eine ferne Stimme, die einen abgedroschenen, schon irgendeinmal gehörten Satz vor sich hinsagte: »Können Sie aus der Tasse trinken, aus der ich trinke?«

• Für den Schlußsatz: Das ist ein Anfang. aus »Erledigt in Paris und London« von George Orwell, erwartet die Gesellschaft für Humanitäre Paradoxie eine Überweisung des Preisgeldes vom Konto der Orwell-Rechteinhaber auf das Konto der GHP in Höhe von nicht weniger als 10 Euro.

• Der Preis des Klassikerlesezirkels der Deutschen Pathologen für ›Leiche mit Pathos am Buchende‹, geht an Victor Hugo für »Der Glöckner von Notre-Dame«: Als man sein Gerippe von demjenigen trennen wollte, das er umschlang, zerfiel es in Staub.

• Für »Thank goodness!« said Bilbo laughing, and handed him the tobacco-jar. bekommt »The Hobbit« von J. R. R. Tolkien die Auszeichnung Besonders Wertvoll des Pädagogischen Verbandes Europäischer Tabakwarenhersteller.

• Neil Gaiman erhält die Goldene Nadel der Arkadischen Guerilla (Zelle Frankfurt) für: And they walked away, together through the hole in the wall, back into the darkness, leaving nothing behind them; not even the doorway. aus »Neverwhere«.

• Die Stiftung der Erbengemeinschaft Molosovsky vergibt den Amœnokratische-Zukunft-Preis an François Marie Arout aka. Voltaire für: »Wohl gesprochen«, erwiderte Candide, »nun aber müssen wir unseren Garten bestellen.« aus »Candide oder Der Glaube an die Beste aller Welten«.

• Den dritten Platz für ein feines weitschweifiges Ende ergatterte Baltasar Gracian für seinen Schlußsatz aus »Das Kritikon«: Was sie dort zu Gesichte bekamen, welche Genüsse sie dort erwarteten, wer das wissen und erfahren möchte, der gehe selbst Richtung Tugend und Vortrefflichkeit, Richtung Tapferkeit und Heldentum, und er wird am Ende zum Schauplatz der FAMA gelangen, zum Thron der Hochschätzung und mitten hinein ins immer währende Leben.

• Auf dem zweiten Platz für ein geiles weitschweifiges Ende gelangte Arno Ethymhansel Schmidt mit seinem »Gadir oder Erkenne dich selbst«: So schreibt Abdichiba, der Knecht der Knechte vor den großen Suffeten, ich schlage die Stufen Deines Stuhles mit meiner niedrigen Stirn, mein Rücken sei Dein Schemel; gebiete über mich und mein Haus, meine Weiber, meine Töchter und Sklavinnen, meine Söhne, meine Knechte, mein Vieh, mein Vermögen, gebiete über alles, o Liebling des Moloch, o Wonne der Gerechten, Du mein Herr! -

• Hans Pleschinski erhält für das Ende von »Pest und Moor« den ersten Preis. Da klammerte sich in Felljacken und Pelzen Alt und Jung, Groß und Klein, da rieb es sich gaßauf, gaßab, daß der weiße Atem aus den Mündern quoll, ungestüm waren die Bäckersfrauen an den Rücken der Waschweiber zugange, scheuerten die Winterjoppen der Stellmacher über die bunten Joppen der Färber, die Pelzbäuche der Augustiner über die Ärsche der Stadtwache, da blitzen die Funkengarben so wild durch die Luft, daß der Tod geblendet davon die Augen schloß und es durch seinen Schädel tönen hörte: »Los, alles enger zusammen, ja, reib dich feste! Feste!«

••••• {EDIT: Neu formatiert und dabei einige Schlampereien gemerzt.}

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