Vorschau auf Molos Rezis in MAGIRA 2006 (mit Portraits)
Eintrag No. 273
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Mittlerweile ist »Magira – Jahrbuch zur Fantasy 2006« erschienen und die einzelnen Rezis (mit Anstandsverzögerung) auch in die Molochronik eingepflegt worden.
Nach meiner ›bösen‹ Rezi zu Tad Williams »Der Blumenkrieg« wollte ich (schon vor dem verständlichen Diss bei SF-Radio) diesmal auf gar keinen Fall von unangenehmen Lektüren berichten. Meckern kann ich zwar, aber es ist so öde. So gibts dieses Mal einen launischen Reisebericht über die seltsamen aber empfehlenswerten Bücher der Saison 2005/2006.
Die ganzen ca. 11.000 Worte sind wieder von Michael Scheuch und Herrman Ritter lektoriert worden (und Krischan Seipp durfte sich mit meinen Portrait-Illus herumschlagen). Hier findet der geneigte Leser das Introdubilo, die Überleitungs-Absätze.
Ich kann mich gar nicht genug bei den Genre-Kollegen und Genre-Freaks in den verschiedenen Foren die ich heimsuche bedanken. So manche Idee, Signatur, Ansichtssache hat mir beim Schreiben dieser launischen Empfehlungen geholfen.
LAUNISCHE ABER AUFRICHTIGE EMPFEHLUBNGEN VON SELTSAMEN & VERWIRRENDEN FANTASYBÜCHERN DER PHANTASTIKSAISAON 2005/2006
—Georg Christoph Lichtenberg, »Sudelheft J« (1718–1732)
—Was macht gute oder schlechte Phantastik aus? Wann sprießen wirklich neuartige Blüten im Garten der Fantasy und wann ist ›Fantasy‹ lediglich ’ne Karotte zum Erwartungsdirigieren und Treuekonditionieren von Konsumenteneseln? Wann wird an bestehende Traditionen erfrischend angeknüpft, und wann werden nur altbewährte Verführungstricks aufgefahren?
—Mensch Molo, lass doch den verkopften Quark und gib’ einfach Bescheid: ist ein Buch die Lappen, die ich dafür hinblätter wert, oder eben nich’? Überversimpelt gesagt, besteht im Beantworten solcher Fragen der Job eines Kritikers. Doch schaut man dazu am besten von einem fixen Standpunkt, z.B. als Torwächter auf die durchkommenden Bücherkarren aus den fraglichen Genregebieten, und lässt die Guten in die Stadtgemeinschaft passieren und weist die Unwürdigen ab; oder soll man versuchen, als Leuchtturmwärter den potentiellen Lesern Orientierungslicht zu spenden? Sicherlich sind solche statischeren Perspektiven auf Literatur und damit auch auf Teilgebiete wie Fantasy berechtigt und nützlich. Aber ich muss gestehen, dass ich mich dafür als zu skeptisch und sprunghaft einschätze, um auf brauchbare Art und Weise als Wache oder Leuchte zu dienen[01]. Ich will also im Folgenden versuchen, eine in ihrer Unaufgeräumtheit dennoch kurzweil-ige Sammelrezension anzubieten[02].
Aus den lebendigeren Gegenden des großen Kontinentes KONVENTIONA berichte ich, wie der geschickte Mythenimpressario Neil Gaiman, ein Konzert veranstaltet, indem er Spinnen Schöpfungslieder singen lässt, und wie Ian R. MacLeod mit Könnerschaft an gute alte europäische Prosatradition anknüpft, um vom ›Unbehagen in der beschleunigten Moderne‹ zu erzählen. Im verstreuten Inselreich AVANTGARDIEN wollte ich nicht versäumen zu erleben, wie China Miéville sein dreiteiliges ›gegen den Genre-Strich‹-Manöver mit rahmensprengender Vehemenz abschließt; und ich bin verblüfft vom artistischen Feinsinn Jeff Vandermeers, nachdem ich mich in seinem verführerischen, kompliziert-verspielten Narrationslabyrinth genüsslich verirrt habe.
Wenn man die üblichen Grenzen zwischen ›Trash‹ und ›Literatuuur‹ mal vergisst, ist es erstaunlich festzustellen, dass hierzulande gescheiter und lustvoller Genre-Fantasy betrieben wird, als man bei übler Laune schlecht reden kann. Da ›geb‹ ich lieber ›Zeitung‹ von einer mir neuen heimischen Fantasy-Hoffnung, und freue mich denn ‘nu auch besonders, wenn Lorenz Jäger für die noble FAZ den ›Schwert aber Nix-Magie‹-Fantasyroman eines jungen Berliner Buch- und Comicautors lobt. Der immer nach neuen Krassheiten gierende Äktschn-Freak in mir nimmt Jägers ›Warnung‹[03], dass
hoffnungsvoll als Kauf- und Leseanreiz.
Tobias O Meißner: »DAS PARADIES DER SCHWERTER« –oder: Wenn der Autor auch mit dem Würfel schreibt.
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Nach soviel wilden Blutstrudeln, Sprachbrechern und Metaphernriffen entlang der zerfledderten Küsten AVANTGARDISCHER Inseln, nun zu einem Autor, den ich seit Jahren als ›sicheren Hafen‹ zu schätzen weiß, weshalb er in meiner Lektüregeographie an den Gestaden KONVENTIONIAS gelegen ist.
Neil Gaiman: »ANANSI BOYS« –oder: »Die spinnen, die Götter«.
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Wie überraschend und erfrischend der Einfluss von älterer oder auch neuerer Mainstreamschreibe für heutige Fantasy bzw. Phantastik sein kann, hat ja auch die vielgelobte Susanna Clarke mit ihrem voluminösen »Jonathan Strange & Mr. Norrell« vorgeführt[04]. Jetzt wäre es natürlich Blödsinn, wenn ich hier in einem Jahrbuch zur Fantasy Werke dafür lobte, dass sie Lesern von ›kanonischer Literatur‹ feine Fantasy-Ausflüge bereiten. Umgekehrt wird aber ein Schuh draus: Fantasy-Leser, die ihre Nase bisher gar nicht oder seltenst in alte Bücher gesteckt haben, können sich z.B. vom folgenden Titel anfixen lassen, öfter mal vermeintlich ›angestaubter‹ Literatur ‘ne Chance zu geben.
Ian R MacLeod: »AETHER« –oder: Vom melancholischen Leben im Takt der Maschinen.
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Ian R. MacLeod macht keinen Hehl daraus, als junger Mensch von linken Hoffnungen erfüllt gewesen zu sein. Es sei ihm gegönnt, dass er sich als gereifter und desillusionierterer Mensch einer eleganten Verquickung aus Zorn und Melancholie hingibt. Vom ältesten zum jüngsten Autor dieser Sammelrezi: Was kommt dabei heraus, wenn ein Geek mit heftigst lodernder ›Sozi-Inbrunst‹ auf diesen bedrückten Gemütslagen eine kräftige Portion handgreiflicher und spekulativer Äktschn aussäht?
China Miéville: »DER EISERNE RAT« und Bas-Lag –oder: Wenn die ›Weird Fiction‹† revoluzzt.
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Nach dem bombastischen Ausflug in die konfliktreiche Globalisierungsgeschichte einer phantastischen Zweitschöpfungswelt schließe ich meinen Reisebericht nun mit einem thematisch nicht minder gegenwartsbezüglichen, bis auf Einschübsel meist indirekter Art gänzlich urbanem Erzählungspuzzle. Der nächste Autor ist auch so einer, der meint, dass man als Künstler sowohl seine art pour art-Haltung pflegen, und zugleich trotzdem zeitgenössisch auf der Höhe sein, und politisch-gesellschaftlich relevante Fiktionen von vergnüglicher Reife zustande bringen kann. Aber schon der Titel dürfte anklingen lassen, dass ›gnostischere‹ Fantasy auf einen zukommt.
Jeff Vandermeer: »STADT DER HEILIGEN & VERRÜCKTEN« –oder: Kalmartentakel und Pilzsporen.
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für Publishers Weekly Einschätzungen von Verlagen und Agenten zu diesem Phänomen vor. ••• Zurück
molosovsky Besitzerin
…zu meinem beitrag im forum von »Welt der Fantasy« gefunden. Freilich freut mich, daß die meinungen zu den »MAGIRA«-jahrbüchern allgemein recht positiv sind. Aber ganz besonders freut mich, wie Keltset in seinem beitrag knapp aber molo-ego-düngend empfiehlt:
Molosovsky´s launische Anmerkungen (mein Tip!)
thefallenangel
das wollte ich nämlich schon längst auch mal gesagt haben: dein beitrag ist DAS highlight im diesjährigen magira!
ich äußerte mich ja schon öfter dahingehend das mir dein 'gesabbel' immer hervorragend gefällt, da ist das aktuelle magira nur eine weitere bestätigung - wann gibts das 1. 'reine' molo-magazin? ;-)
oder mach einen band zusammen mit oliver naujoks (oliblog) über film und buch usw. - wäre sicher das nächste highlight!
gruß und danke - ein fan
-TFA-
molosovsky Besitzerin
…aber danke für das kompliment. In diesem jahr bist Du der zweite, der mir nahelegt, ich solle schreiben und rausbringen, denn das leben ist kurz. Nun ja. Bald ist buchmesse. Da bin ich wieder herausgefordert, ob ich übers tatsächlich vorfallende leben schreiben kann, oder nur aus der zurückgeuogenheit meiner molohöhle (versorgt mit kalter suppe vom über-butler) meine vagen meinungen zusammenzimmern kann.
Danke übrigens auch ganz besonders für die erwähnung des oliblogs. Vor zeiten war ich dort schon mal, habs aber aus den augen verlohren und nun mit hilfe von Dir wiederentdeckt!
Was ein eigenes molo-magazin betrifft: naja, mal schaun. Für mich liegt die latte was ›so zeug wie ichs zu schreiben versuch‹ betrifft ziemlich hoch. Und ich will nicht ›der möchtegern Joseph von Westphalen‡ der Phantastik‹ genannt werden, sondern (wenn schon) ›der Joseph von Westphalen der Phantastik‹.
‡ nur ein mögliches beispiel für diese metapher. Statt JvW könnte hätte ich auch eine(n) andere(n) witz-züngige(n) Haffmans-»Der Raben«-stammbeiträger(in) anführen können.
molosovsky Besitzerin
…aus meiner Bio in MAGIRA 2006 wurde aufgegriffen. Zuerst vom großartigen OliBlog, und dann (durch Oliver) auch im SF-Netzwerkforum, und jüngst durch Markolf in meinem Molochronikbeitag über Mervyn Peake und seine Titus-Bücher (besser noch als »Gormenghast«-Trio bekannt.
Entschuldigt, daß ich erst jetzt diese Hinweise nachhole. Aber ich trainiere eben noch in Sachen Netzwerkerei und Diskursverknüpfung.
molosovsky Besitzerin
Heiner Hink lobt das letztjährige »MAGIRA — Jahrbuch zur Fantasy« ganz allgemein; rügt nur (berechtigt), daß Film und TV nicht mit genügend Aufmerksamkeit gewürdigt werden.
Auch wenn ich (als Ausnahme) namentlich nicht erwähnt werde, läßt mir Heiner Hink großes Lob angedeihen: Die sich anschließende Vorstellung von »seltsamen und verwirrenden Fantasybüchern« ist ein kleines Juwel, denn die hier vorgestellten Romane, so kontrovers sie besprochen werden, sind das Salz in der Suppe des Fantasy-Literaturzirkus. Hier wird eindrucksvoll dargestellt, dass dieses Genre aus mehr besteht als aus Magiern, Kleingewachsenen mit haarigen Füssen und blutgierigen Barbaren.
Da kann ich nur sagen: Vielen Dank für die Blumen!
molosovsky Besitzerin
…Forums-Haberer Christian W, der schrieb:
Bei der Gelegenheit: Ich hab kürzlich deine launischen aber aufrichtigen Empfehlungen von seltsamen und verwirrenden Fantasybüchern im aktuellen MAGIRA gelesen - der Artikel hält, was die Überschrift verspricht. Selten hatte ich so viel Spaß beim Lesen von Buchbesprechungen!
Vielen vielen Dank! Mal meinen ganzen (bemühten) Anspruch beiseit, halte ich es halt ähnlich wie Borges, für den ja so gut wie alles erzählende Prosa ist. Ich selber les gern Rezensionen, die irgendwie ›erzählen‹, bzw. im weiteren oder auch engerem Sinne unterhaltsam plaudern, also versuche, entsprechendes selber zu basteln.
Freut mich ungemein, daß ich damit bei Dir ins Schwarze getroffen habe.
christian weis
Gern geschehen!
Allzu trockene Texte mag ich nicht, daher ist mit dein MAGIRA-Artikel sehr positiv im Gedächtnis geblieben (wobei sich dort noch einige andere wirklich lesenswert finden).
UND: Christ-ian, nicht -oph ... ;-)
molosovsky Besitzerin
schreibt Thomas Harbach in seiner Rezension von »Magira 2006« für SF-Radio.