Die Gewinner des »Against the Day«-Wettbewerbes
Eintrag No. 510 — So. Die Frist ist abgelaufen, die eingereichten Texte besichtigt, sie fanden mein großes Gefallen und ich habe die Misere, welchen ich zum Gewinner küren soll, durchstanden. Die Entscheidung wäre mir vielleicht nicht derart schwer gefallen, wenn sich mehr als (›leider nur‹) zwei Teilnehmer eingefunden hätten, aber so fand ich mich in der Rolle des fast zwischen zwei Heuhaufen verhungernden Esels wieder.
Beide Texte passen wie ich finde, vorzüglich zur gestellten Aufgabe, auch wenn sie was die Länge betrifft meine Vorgaben nicht einhalten. Drauf gepfiffen! Regeln brechen und biegen gehört in der Molochronik zum guten Ton. Beide Texte erzählen nicht im herkömmlichen Sinne, sondern stellen in Prosa gegossene ›Philosophierereien‹ über (im weitesten Sinne) Wandel und Sprache dar.
Die Texte finden sich eingepflegt als Kommentare zu diesem Beitrag.
Gewinner ist Simifilm mit »Es gilt zu erzählen«, und Simon wird in den nächsten Tagen die englische Ausgabe von »Against the Day« mit meinem handgemachten Inhaltsverzeichnis-Lesemerker zugesendet bekommen. — Da mir der zweite eingesandte Text aber ebenfalls sehr gut gefällt, Davids »regen am morgen«, will ich ihn den Molochroniklesern nicht vorenthalten. Ich hoffe, in Bälde auch zu Potte zu kommen, beide Texte zu illustrieren und den Autoren die Originale der Illus zu übersenden.
Vielen Dank Simi und David für Eure Teilnahme!
Mir gefällt ja, wie unterschiedlich die beiden Texte sind, und wie nah sie doch beieinander sind (letzteres kann aber auch an meiner Lesart liegen).
Simons Text ist ›klassischer‹, gesetzter, und mir gefällt besonders wie hier über den Sprache, Zweifel und Vergänglichkeit meditiert wird. David brilliert mit einer ungebändigt-assoziativen Phantasmagorie und haut dabei ordentlich auf den Putz und ich habe ergötzt gegiggelt über die frechen Wendungen die dieser Text nimmt.
Vielleicht kommt die nächste Kreativ-Ausschreibung der Molochronik schon früher als wir alle (mich eingeschlossen) ahnen, und womöglich schaffe ich es dann, klarer und eingängiger eine Aufgabe so zu stellen, so dass mehr Bewerbtexte und weniger Verwirrtheitsmeldungen bei mir eintreffen :)
molosovsky Besitzerin
Es gilt zu erzählen; — wenn nicht schon in diesem Satz die ganze Sinnlosigkeit meines Unternehmens offensichtlich würde. In diesen Worten einer toten Sprache. Einer Sprache, die nur noch in mir weiterlebt, und selbst ich spreche sie nicht, hüte mich davor, sie erklingen zu lassen, weil es mir lächerlich vorkommen würde, diese Worte, die heute nichts mehr bedeuten, auszusprechen, in einer Zeit, für die sie nicht gedacht sind, und sie so zu entweihen.
Erzählen. Vielleicht ist es nur ein wunderbarer Zufall, vielleicht auch die grosse Weisheit derer, die diese Sprache einmal sprachen oder einmal sprechen werden — wo ist da der Unterschied? —, dass bereits in dem Wort ›Erzählen‹ selbst die Zahl enthalten ist. Schon das Wort enthält den Kern seiner Auflösung und Vernichtung. Denn Zahlen sind es, nicht Worte, aus denen die Welt geschaffen ist. Wir können die Welt in all ihren Einzelheiten zählen und errechnen; doch sie zu er-zählen, diese Fähigkeit ist uns nicht mehr gegeben. Es gibt in der Sprache, die wir heute sprechen — doch was heisst schon heute? Und was heisst sprechen? —, kein Erzählen mehr, denn Erzählen setzt Gewissheit voraus, die Unterscheidung zwischen wahr und falsch, dem, was nicht ist, und dem, was sein könnte. Doch der Fortschritt — das alte Wort klingt wie Hohn ein meinen Ohren —, der Fortschritt hat dem Erzählen ein Ende gemacht.
Es gilt, mein Leben zu erzählen. Zeugnis über das Erlebte abzulegen. Doch was soll ich erzählen, wo ich nicht einmal weiss, ob ich tatsächlich lebe? In einer Zeit, wo uns die Zeit selbst abhanden gekommen ist. Wo wir nicht mehr wissen, ob das Gestern wirklich vergangen ist, wo Leben nicht mehr das Gegenteil von Tod ist, wo einer, der nicht lebt, noch lange nicht tot sein muss. Wo Erleben keine Angelegenheit des Einzelnen mehr ist. Wo das Blei in meiner Hand, das sich so fremdartig anfühlt und das ich mit linkischen, ungeübten Bewegungen übers Blatt führe, auch ein Trugbild sein könnte, die Kleider, die auch auf meiner Haut spüre, vielleicht nur der Einfall eines anderen.
Wer bin ich, dass ich auf solche Fragen Antworten geben könnte, dass ich es überhaupt wage, an ihnen zu rühren? Als ob ich mit meinem bescheidenen Verstande mehr verstehen könnte als der Carthesianer, für den die anderen Menschen bereits leblose, mechanische Apparate waren. Immerhin — ich werde mich nicht mit ihm vergleichen, denn er ist gross und hat die Zeit überdauert, ich dagegen werde schon bald vergessen sein, wenn man mich denn überhaupt je gekannt hat —; immerhin hatte er noch eine letzte Gewissheit, wusste er kraft seines Verstandes, dass er war. Heute — schon wieder dieses sinnlose Wort —, heute ist bereits dieses ›ich‹ eine Anmassung, können wir doch nicht wissen, ob wir wirklich sind. Bereits der Carthesianer spricht von dem ebenso bösen wie listigen Geist — und ich möchte nicht ausschliessen, dass es derartige Wesen damals wirklich gab, bevor sie im Lichte der Aufklärung verglühten. Einem so hellen Licht, dass es manchen, der es stolz vor sich hertrug, blendete — dem Geist also, dem Dämonen, der in böser Absicht eine Schattenwelt errichtet.
Vielleicht ist er, der den Zweifel zur ersten Tugend erhoben hat, tatsächlich einmal einer solchen Ausgeburt der Finsternis, dieser Gestaltwerdung der Lüge, begegnet. Doch solche Begegnungen waren damals noch selten. Wenn der Philosoph morgens in Paris über den Marktplatz schritt, wurden ihm die Dämonen nicht in farbig angemalten Flaschen feilgeboten, konnte er nicht unter den verschiedensten Mitglieder dieser teuflischen Familie auswählen, um dann schliesslich eine besonders kunstvoll geschmückte Flasche mit nach Hause zu nehmen, sie zu öffnen und sich mit ihrem Bewohner zu vergnügen.
Dämonen in Flaschen, nichts anderes ist es, was unser Leben bestimmt, was das Erzählen verdrängt hat, was alle anderen Formen der Mitteilung fehlerhaft und unvollständig erscheinen lässt. Denn was bedeutet schon ein Wort, selbst ein so mächtiges und grossartiges wie Liebe? Wie dürr und schemenhaft muss es doch erscheinen im Vergleich zum wirklichen Erfahren von Liebe, der Liebe des anderen. Erst, wenn Dein Dämon von mir Besitz ergriffen hat, wenn ich Du bin und fühle, was Du für mich fühlst, kann von Liebe gesprochen werden; das heisst: eben nicht gesprochen, sondern gefühlt. Was sind dagegen Worte? Zeichen für Dinge, die sich dem Zeichenhaften entziehen.
Ich merke es, je länger ich schreibe und Zeichen hinter Zeichen setze, dass diese Sprache, die Sprache grosser Denker, olympischer Geister, von denen heute niemand mehr weiss —, dass diese Sprache nicht in der Lage ist zu beschreiben, was an ihre Stelle getreten ist. Und so muss ich mir denn mit kümmerlichen Metaphern und Bildern behelfen, denn ein Dichter bin ich nicht — kann ich auch gar nicht sein, denn diese Zunft ist endgültig ausgestorben —, um zu erzählen, was nicht erzählt werden kann. Doch Zeugnis muss ich ablegen, ich muss berichten. Pietät freilich verbietet es mir, neue Worte zu erfinden, die Sprache mit Begriffen zu erweitern, die mir meine Aufgabe erleichtern würden. Die Toten soll man ruhen lassen, und meine kümmerlichen Erfindungen, sie wären ohnehin sinn- und kraftlos und könnten die Aufgabe, die an sie gestellt würden, nie erfüllen. Was könnte eine armselige Schöpfung wie ›Bewusstseins-Transmission‹ schon bedeuten? Dieses Unwort, diese Chimäre, kann nicht einmal annähernd die Gewalt des Augenblicks erfassen, wenn ich Du werde, wenn die Mauern der Wirklichkeit zusammenbrechen und den Blick frei geben auf eine neue Welt.
So unterlasse ich denn auch weitere Versuche und bleibe beim Bild der Dämonen, denn dämonisch hätten unsere Zeiten denen erscheinen müssen, deren Sprache ich mich bediene. Diese Sprache, die ich so liebe, die ich konserviere und in Zahlen fasse. Bald ist mein Werk vollendet, wird diese edle und hohe Sprache vollständig in einer langen Abfolge von zwei Ziffern beschrieben und aufgelöst sein, wird sie vollständig erfasst und endgültig tot sein. Denn wer wird sich noch die Mühe machen, sie zu erlernen, wenn alles, was es über sie zu wissen gibt, schon da ist, von einem einsamen Forscher in mühsamer und liebevoller Kleinarbeit in Nullen und Einsen gefasst?
Wir sammeln und konservieren. Neben mir gibt es andere, die die gleiche Aufgabe verfolgen, die ihren kleinen Teil der Vergangenheit erforschen und zergliedern, bis am Schluss die ganze vordämonische Welt in die zwei Ziffern gefasst ist und dann für immer vergessen werden kann. Gemeinsam tragen wir eine vergangene Welt zu Grabe, geben ihr das letzte Geleit, betten sie mit grosser Zärtlichkeit zur letzten Ruhe.
Es ist zweifellos diese Sprache, die Sprache des Königsberger Philosophen, die mich zweifeln lässt, denn im Zeitalter der Dämonen gibt es keine Zweifel mehr. Zweifel bedingt Wirklichkeit, aber in einer Welt, die keine Wirklichkeit mehr kennt, einer Welt, in der die Dämonen die Herrschaft errungen haben, kann kein mehr Zweifel existieren. Wirklichkeit und Illusion, Vergangenheit und Zukunft, Wahrheit und Lüge sind eins geworden. Wir haben die Philosophie überwunden, und nur wer wie ich das Überwundene kennt, wer die Sprache der Denker versunkener Epochen versteht, kann noch zweifeln, kann den Schmerz fühlen, die Unsicherheit, die pure, namenlose Angst. Ich kann niemandem mitteilen, was ich fühle; das heisst, was ich fühle vielleicht, aber nicht, was ich denke. Denn Denken ist Sprache, und Denken in einer toten Sprache ist totes Denken.
Der Gedanke, dass ich vielleicht tatsächlich nicht hier bin, in diesem gut geheizten Zimmer sitze, sondern im Gegenteil in eisiger Kälte liege, oder — nicht auszudenken! — gar nicht bin, und nur nachfühle, was andere für mich erleben, was sich die Dämonen ausdenken, dieser Gedanke ist mir unerträglich. Er bringt mir keine Ruhe. Vielmehr treibt er mich an, nach dem Blei zu greifen und Zeugnis abzulegen.
Die Überwindung der Wirklichkeit, das ist der Fortschritt, das Ende des Suchens. Die Gewissheit, dass es keine Gewissheit gibt, beruhigt. Sie relativiert alles, nimmt die Angst, bringt heitere Gleichgültigkeit. Wie ein weiches Tuch legt sie sich vor die Augen und deckt die Wirklichkeit zu. Wenn es keinen Tag mehr gibt, verliert auch die Dunkelheit ihre Schrecken. Ich aber habe Kunde von einer Zeit, in der das Tuch noch nicht fertig gewoben war, in der Löcher im Gewebe den Blick auf die Wirklichkeit frei gaben, in der noch Zweifel und Unsicherheit herrschen konnten. Ich kenne die Angst vor der Dunkelheit.
Es ist eine Schreckensvision, die mir den Verstand zu rauben droht, ein Gedanke, der so schrecklich, so infam ist, dass es über den Glauben geht. Was wäre, wenn dies alles, die Sprache, und die Zeit, aus der sie stammt, auch nur das Werk eines Dämonen ist? Wenn es dies alles nie gab, wenn ich diese Zeilen in einer Sprache schreibe, die nie gestorben ist, weil es sie gar nie gegeben hat! Wenn mein Zweifel nicht meinem Verstande entspringt, sondern von Wesen, deren Wirken mir verborgen ist, gezielt gesät wurde. All die Unsicherheit, die heilige Raserei meines Geistes, der Schmerz, der Schrecken, das Grauen, all dies nur zur Belustigung einer teuflischen Brut, die amüsiert meine Verrenkungen beobachtet. Es ist nicht auszudenken — und doch: wenn selbst ich, ein unbedeutender Erforscher einer toten Sprache, eine derart teuflische Intrige ersinnen kann, welche diabolischen Einfälle müssen sie dann erst haben? Sie, die ich nicht einmal benennen kann, die mir für immer verborgen bleiben werden!
Und so muss ich denn erzählen. Muss schreiben, die Sprache verlangt es von mir. Die Sprache, die sie ersonnen haben, um mich zu quälen, die nie wieder jemand verstehen wird. Muss Seite um Seite mit Zeichen anfüllen, die für den Aussenstehenden wie das sinnlose Gekritzel eines Wahnsinnigen aussehen müssen. Zeile um Zeile, Seite um Seite, Heft um Heft. Muss schreiben, muss Zeugnis ablegen, denn dies sind Fluch und Schicksal dieser Sprache.
molosovsky Besitzerin
»der andere vogel ist dumm« — sagte das kind, welches neben dem brunnen seit zwei stunden gestanden hatte. die nase des kindes blutete leicht, es war nackt und der mann, welcher aus der seitengasse eben an die szenerie getreten war, verstand den sinn dieser worte nicht, er hatte aber auch keine lust, in den tieferen wert dieser paar worte einzudringen. der brunnen glänzte rotgolden im abendlicht, der gipsmantel des klassizistischen wasserspenders hatte durch die jahrelange bearbeitung des herabkaskadierenden wassers eine leicht oberflächenschleimige konsistenz. am boden krochen maden herum, tausende waren es, seit der weltumspannenden katastrophe vor wenigen jahren hatten die kleinen tiere auf dieser welt extrem an population zugenommen. der mann trat näher an den brunnen, hob seine augenbraue und streckte seine linke hand in den himmel, während seine schwarzschmimmernden schuhe auf den maden herumtrampelten. einige gassen weiter war unterdessen eine ausgelassene stimmung im zerfahrenen buffet ›glace d'north‹, schaufensterpuppen bewegten sich dort zur musik aus den lautsprechern und hunderte klaviere stürzten aus dem himmel, als die katze zu singen begann. es war ein lied der ewigen freude über das dasein auf diesem planeten, eine tragische ode an die ferne von allem, bedeutungslosigkeit kannte keine andere stimme als die ihre. die schaufensterpuppen hatten derartiges noch niemals gehärt und verwandelten sich in eine armee von straßenbettlern, die sich aufbäumten und den mond anflehten, er mäge ihnen das leben wiedergeben, welches in ihren händen derart schän geklungen hatte. die frau des gemüsehändlers versträmte ihren typischen morgengeruch, als die prozession der neuen bettler an ihrem geschäft vorbeirollte. es war eine sexuell erfüllte nacht gewesen, der inhaber des gemüseladens, der auch ihr mann war (seit 25 jahren waren die beiden nun durch den heiligen bund der ehe miteinander vereint) hatte sie liebevoll und auf manigfaltige art und weise genommen, rotbackig stand sie nun in der auslage vor den äpfelchen und präsentierte die ware. ihr mann saß im cafe ein paar straßen weiter, doch die liebe verband sie auch in diesem moment. hubert, so der name des ehegatten, trank eben einen kleinen cafe und nahm ein croissant zu sich, während er die morgenzeitung studierte. nichts stand in der schäbigen gazette über die seltsamen ereignisse in seiner umgebung, keine bildstrecken über den kleinen jungen am brunnen, nichts über schaufensterpuppen, die sich in bettler verwandeln, nichts davon. es war aber auch egal, hubert las die texte in der zeitung nicht, was auch daran lag, dass er analphabet war. in gedanken war er noch immer in der liebesnacht mit seiner frau, dieser drallen, weißen, vollen liebesgättin, die ihm seit so vielen jahren zu gebote stand, die seine perversionen zur gänze mit ihm teilte, und mehr als das ihn auch geschäftlich so wacker unterstützte. die türe des cafes ging auf, ein junger verschreckter kleiner schmutziger zehnjähriger knabe drang in die kleine stube des cafés ohne namen und warf sich mit einem messer bewaffnet auf hubert, der bald jämmerlich verblutete, all seine gedanken und all seine träume vergingen mit ihm in einem kurzen moment der sinnlosen gewalt. der junge wusste natürlich nicht, was er da tat, dafür fehlte ihm der überblick. seine perspektive kannte nicht das lebendige sein selbst, in seinen augen pulsierte nur der wunsch auf gräßere anerkennung, und er sehnte sich nach lebendiger anteilnahme. sofort wurde der knabe zum könig des ganzen landes ausgerufen, in dem sich diese schreckliche bluttat ereignet hatte, und da könige keinerlei demokratischem ernennungsprozess unterliegen kam es auch zu keinen protesten des volkes. in der zeitungslandschaft wurde die neue führung des schönen kleinen landes breit besprochen, es gab ausführliche analysen und polemische artikel mit schrecklichen karikaturen, welche zu ein paar exekutionen führten. jeder hatte verständnis dafür, sogar die betreffenden selbst. lächelnd bestiegen sie das schafott und trennten sich von ihren köpfen, die den meisten dieser ekelhaften schmieranten selbst lediglich als störfaktor erschienen waren. in dieser umgebung eine derartige karikatur oder eine solch polemische wortwahl zu wählen kann nur als der wunsch interpretiert werden, möglichst bald abzutreten und den löffel abzugeben. es gab in den redaktionen der lokalen presse manchmal kleine runden, wo die redakteure, büroboten und lektoren sich zu kaffee und kuchen in arbeitspausen zusammenrotteten um zu diskutieren. manchmal fiel in diesen tagen dann eine kleine träne zu boden, wenn einer aus der runde dann fehlte, das minderte aber die kreative stimmung nicht im geringsten, nein, ganz im gegenteil. es wurden schon neue ›home-stories‹ erarbeitet, photographen machten sich auf den weg um vor ort genaue anatomische studien des neuen königs vorzunehmen und in ausführlichen interviews in gestapo-manier wurde der neue könig seziert wie ein frosch im medizinstudium. karl, ein neuer aspirant im größten blatt des landes, wollte die gewaltigste story des jahres liefern und machte sich (in seiner kargen freizeit!) auf den weg in die gedärme des schlosses, wo er den könig ficken wollte, um dann in einer story zu verkünden, dass der könig homosexuell sei, etwas besonders verwerfliches in diesem land, seiner meinung nach, denn er war von homophobie zerfressen. karl hatte schon in seiner jugend angst davor gehabt, in den arsch gefickt zu werden, und ihm graute davor, dass andere derartige dinge unternehmen. er dachte und erhoffte nun, dass sein großes opfer, nämlich die (vermeintliche) entjungferung des neuen königs, eine revolution einläuten werde, einen umdenkprozess in den köpfen aller menschen des landes, oder gar der ganzen erde, dieser verseuchten kugel aus moralischem müll, die ihre trostlosen bahnen durch die dunkelheit und kälte des kosmos zieht. so träumte karl vor sich hin in seinem kleinen büro im 34. stock des zärtlich ›bergwerk‹ genannten verlagshauses, als marianne an der tür seines büros vorbeiglitt. karl hatte seinen kopf auf den linken arm abgestützt, das eine bein phallisch hochgestützt am knie; am monitor seines computers flimmerte ein bildschirmschoner, der explodierende kreise aller mäglichen größe zeigte, behutsam porgrammiert von den zuständigen feng-shui apologeten des konzerns. dieser bildschirmschoner hielt die mitarbeiter wach, also auch karl, der das rauschen von mariannes gewand, das geklacker ihrer hochhackigen schuhe gehört hatte. karl drehte also, kurz bevor sie die tür passierte, sein stark überschminktes gesicht eines aufstrebenden jungen mannes zur tür und sah die tochter des konzernchefs in ihrer ganzen sexuellen gewalt an der tür vorbeirutschen … zuerst sah er rote vorboten des mehrere dezimeter rund um die figur mariannes auspendelnden kleides aus halb durchsichtigem feinstem seidengespinnst, bevor die weiße blendende farbe der haut ihrer hände sich durch den ausschnitt der welt ausserhalb seines büros schob. die beine trugen die süße last aneinander vorbeikippend, gestützt von den schwarzen stiefelchen, bei welchen die absätze wohl noch nachträglich mit metall verstärkt worden waren, damit jeder schritt das charakteristische klack machte. über dem breit ausladenden hüftbereich, der sich nach einer beachtlichen breitung im vergleich zu den relativ schmalen beinen wieder auf kleinkinderbeissringumfang einfriedete, erhob sich der gar nicht zarte busenraum, der schon jeden mann in diesem gebäude zu dummen witzen und anzüglichen bemerkungen hingerissen hatte. doch gnade gott diesen armen irren, die ihrer männlichen dummheit sich ergeben haben, denn mariannes informelle mitarbeiter waren überall: und wenn ihr zu ohren kam, dass über ihre obere beschaffenheit dumme witze gemacht werden, dann wurde der (oder die) betreffende sofort fristlos gekündigt, ohne angabe von gründen; in vielen fällen war das dann das ende einer karriere. karl sah also diese gewaltige ansammlung von brustfleisch heranwippen und versuchte, nicht nur darauf zu schauen, weil er auch das gesicht zur kenntnis nehmen wollte. irgendwie gelang es ihm, da die langen wallenden schwarzen haare von mariannes kopf sich rund um die weiß aus dem tiefen ausschnitt wabbernden busenrundungen tänzelnd anschickten eine arabeske hinauf zum gesichtchen vorzunehmen, das puppengleich in dem tiefschwarzen pandämonium aus dünnen haaren eingebettet war. dort war absolut nichts dem zufalle überlassen: weinrote lippen, eine makellose nase, riesige blaue augen … leicht gerötete wängelchen. in karls innerem bewegte sich nichts, und zugleich bewegte sich äußerlich alles auf ihn zu, denn marianne ging nicht vorbei, sondern bremste an seiner tür jäh ab und drehte sich um 90 grad gegen den uhrzeigersinn, so dass sie die exakte ausrichtung hatte, um sich bei einem weiteren schritt geradewegs in das büro von karl bewegen zu kännen. der atem karls blieb für ein paar nicht lebensgefährende sekunden stehen, was ihm aber nicht bewusst wurde. marianne schritt bereits in sein zimmer herein, als karl aus seinen leicht verklebten augen, denn es war noch sehr früh am morgen, einen strom von regen entließ, der am boden eine kleine pfütze bildete. marianne blickte vewundert in diese flüßigkeit, in der sie eine spiegelung ihrer selbst erblickte. solches hatte marianne schon einmal erlebt, in ihrer kindheit, jener so schönen zeiten, die so fern waren, unerreichbar. wenige büros weiter trafen gerade mehrere reporter die letzten vorbereitungen für eine expedition in die äußeren regionen des schlosses, was eine sehr gefährliche unternehmung darstellt. die vierzig mitarbeiter wollten eben aufbrechen, als aus dem radio die meldung hereinkam, dass heftige regenfälle aus den schleusen des grollenden himmels eben jede fortbewegung unmöglich machen. also wurde die expedition abgesagt und der krisenstab einberufen. auf den straßen rann das wasser nun, meterhoch brachte die zähe masse alles zum erliegen und das morsche gebälk der alten stadt knarrte unter dem ansturm des tosenden elements. die ohnehin schon armen viertel der stadt würden nun auf eine noch härtere probe gestellt, und selbst die reichen supermenschen würden entbehrungen auf sich nehmen müssen, denn die diener hatten nun große probleme, den lebensstil ihrer geldgeber mit den erwarteten speißen und dem gebotenen komfort aufrechtzuerhalten. es würde — soviel war den reichen klar — zu unangenehmen verzögerungen kommen, das frühstück werde manchmal etwas karger ausfallen, vielleicht werde es sogar manchmal totale ausfälle geben. erst vor ein paar jahren, als zwei flugzeuge in zwei hohe türme sich verflogen hatten, gab es diese störenden dissonanzen im brei des wunderbaren alltags. die ausformungen des elends verströmen ihre diffuse kälte selbst dort, wo sie keinen raum finden, wie ätherische wucherungen formt sich diese verworrene daseinsebene in die furchen dessen, was wir luxus nennen. im schatten des goldes, in der sauberkeit selbst ist das elend als spiegelung vorhanden. die goldberänderten spiegel in der empfangshalle des schlosses wurden eben gereinigt, der könig schritt, leicht irritiert über die heftigen regenfälle, an den spiegeln auf und ab. zu seinen liebsten vergnügungen gehörte es, seit er vor einigen monaten für ihn sehr unerwartet in dieses amt getreten wurde, einfach nur das unermessliche schloss abzuschreiten, sich in den zimmerfluchten zu verirren, von einem flügel in den anderen zu huschen, und die staubwölkchen zu beobachten, die seine lange robe hinter ihm aufwirbelte. seiner neuen gewohnheit entsprechend war er unter der robe nackt, nur der hermelin bedeckte seine kindliche blöße. sein glied hatte für einen zehnjährigen ganz normale dimensionen, war daher noch nicht wirklich einsatzbereit im kampf mit den hunderten frauen des harems, die ihre freude an dem jungen könig hatten, weil sie ihre durch jahrelangen gebrauch schmerzenden vaginas nun erholen lassen konnten. manchmal kam der könig vorbei und spielte mit den damen fangen, oder sie spielten dame, oder er vergrub sich in einem berg von frauen, die alle nackt auf einer matratzenwiese aufgeschichtet waren. für solche spielereien hatte er aber nur sehr selten zeit, meist nahm ihn das betreuende büro in beschlag, denn der könig musste entscheidungen treffen, das war sein beruf. das leben als kind war jedenfalls jetzt vorbei, seine spielsachen aus plastik, holz und metall waren in der elterlichen kleinstwohnung verblieben. selbstverständlich waren die eltern sehr stolz auf ihren kleinen könig, sie wussten schon immer, dass er es einmal weit bringen würde. rund um das elternhaus hatten sich viele menschen versammelt um alles rot anzumalen. jetzt wo der regen nach so vielen jahren endlich wieder einmal aufgehört hatte, war das möglich. mit vielen lackdosen zu je 100 liter mit der prallen kadmiumrotfarbe traten die menschen an. es war eine absolut sinnentleerte, unangekündigte, spontane aktion, alles rund um das elternhaus rot anzumalen, die mit einer erschreckenden präzision über die bühne ging. die eltern saßen im haus auf ihrem fernsehsofa und betrachteten alte videos aus den besseren tagen, als ihr sohn noch bei ihnen war und nicht vom schloß aufgesaugt worden war. es war doch alles besser gewesen in der guten alten zeit, dessen waren sie sich absolut sicher. aus dem fernseher kam die musik eines jahrmarktes, auf dem sie früher oft zu gast waren, hübsche schaubuden standen dort aufgereiht und die bunten lichter glänzten abends im dunkel der einsetzenden nacht. es war vor allem die musik dieses jahrmarktes, der die erinnerungen für die beiden älteren leute lebendig werden ließ, die gerüche der früheren, besseren jahre waren wieder da. behutsam legte der vater die hand um die schulter der mutter und blickte mit tränennassen augen in ihr vertrautes gesicht. im keller des elternhauses saß gremlok der magier und drehte sein gesicht zur decke. all das war sein werk, diese ganze welt mit all ihren problemen und vorzügen, jedes detail war mit akribie ausgearbeitet. nachdem er mit dem gottkaiser hinter den schwarzen bergen nach dem jahrtausendelangen krieg gegen die gnome der unterwelt ausgehandelt hatte, hier ein ruhiges plätzchen zu bekommen, war alles besser geworden. der gottkaiser hatte seine gesamte magische energie damit endlich in ein kleines schwarzes kästchen verbannen kännen, und die dramatische schwarze oberfläche seiner äußeren hülle zerplatzte in einer tröstlichen explosion am horizont. aus dem inneren entschlüpfte die larve des gottkaisers, neu und strahlend. gremlok betreute damals dieses neue herrscherlarvenstadium bei allem, was es benötigte. rund um das schloß, welches aus großen kristallkugeln zusammengesteckt war, wurden viele versammlungen abgehalten, aus welchen eine neue philosophie hervorging. die stadt wurde rund um diese neue philosophie errichtet und die zivilisation besiegte endlich die gnome, viele tiefe sonden wurden in die erde getrieben, stahlrohre mit kilometertiefer bohrkraft saugten alles an unterweltabschaum heraus, was da zu finden war. ganz nebenbei wurde dabei auch das herz des planeten ausgesaugt, gold, edelsteine, öl, kohle,… und endlich wurde es möglich, autos zu bauen, damit die bürger freier über die noch zu errichtenden straßen ihrer wege gehen konnten. gremlok beobachtete aus seinen kleinen roten albinoäuglein die rasante entwicklung in seiner umgebung und wartete den rechten moment ab, den gottkaiser in einer finte zu besiegen. die kinderzeit des neuen homunkulus war einfach, sehr schwierig war die pubertät, doch gremlok war auf alle unwägsamkeiten gut vorbereitet. in der pubertät war es durchaus üblich, dass der neugeborene gottkaiser nichts anderes wollte als religionen zu gründen. jeden tag eine neue religion, mit allem was dazugehört. die bürger waren irritiert und verängstigt, weil es sehr schwierig war, die eigene wahrheitsempfindung täglich aufs neue auf die probe zu stellen. aus dem geblähten bauche des seltsamen wesens, das formlos im zentrum des audienzsaales herumkroch, streckten jeden tag etliche neue religionsauswüchse sich in den wabbernden raum rundum. gremlok war dabei, er ergriff die empfindlichen schwarzen fäden und wickelte sie zu kleinen knäueln auf. diese wanderten dann in die interpretationsmaschine, wo sie zu druckerschwärze destilliert wurden auf tausenden bücherseiten, die dann in der universität interpretiert und analysiert in die gehirne der bevölkerung eingang fanden. jeden tag widersprachen sich die unterschiedlichen metaphorismen und metaphysikalischen überlegungen mehr, der gestank der gedanken war kaum zu ertragen. die bibliotheken konnten nur noch mit gasmasken betreten werden und beschämt verwandelte sich der zuvor noch angesehene beruf des bibliothekars in eine verschmähte hilfsarbeitertätigkeit. das lesen von büchern wurde zu einer sache, die nur noch in der stillen stube als perversion geduldet aber keineswegs gefördert wurde.