»Watchmen«
Eintrag No. 543 — Gestern um 22:30 aus dem Turm-Kino raus. Leichter Nieselregen hält die grauen BetonFlächen der Innenstadt feucht. Zu warm und babbich für frühen März. Frankfurt wirkt wie eine Umgebung, aus der mir jederzeit Rorschach und Co. entgegenkommen könnten.
Fühle mich alt. So ist das also, wenn die Kunst, welche mich als Jugendlicher befeuerte nun in der Mitte der Gesellschaft ankommt. Kino war fast voll (okey: es war der kleine Saal 2), und ich habe kaum Menschen unter 30 gesehen. Frage mich, was ich davon halten soll.
Vor dem Film eine »Watchmen«-Tasse besorgt. (Ich habe schon eine ›Snoopy beim Schreiben‹ und eine Lisa Simpsons-Tasse.) Zum ersten Mal in meinem Leben die ganz große Popcorn-Portion gekauft. Fast hätte ich die auch ratzeputz geschafft.
Die Geschichte von »Watchmen« kenne ich so auswendig, wie manche Gläubige ihre heiligen Texte. War also mit dem ganzen Wirren Handlungs- und Weltenbau-Wust des Filmes keineswegs überfordert. — Als Film war Zack Snyders Version der Geschichte sehr hübsch anzuschauen. Die Schauspieler haben gute bis sehr gute Arbeit geleistet. Überhaupt: die ganze Schufterei sieht man dem Film echt an. Da ist jeder Cent auf der Leinwand. Und damit es wirklich passt, hätten es gerne noch ein paar Cent mehr sein dürfen. Und vor allem mehr Zeit. Man merkt dem Film auch an, dass er in vergleichsweise kurzer Zeit in einem Kraftakt rausgewuchtet wurde (angesichts der irren Komplexität und Fülle des Stoffes).
Doch ich kann beruhigt sein, denn ich bin als »Watchmen«-Fan nicht enttäuscht, als Filmgucker nicht gelangweilt worden. Dennoch: hin- & weg vor Begeisterung und Freude bin ich aber auch nicht. Ich bin so mittenmang. Irgendwie froh es hinter mir zu haben.
Im Kleinen habe ich mich ein paar Mal geärgert: a) Bob Dylans näselnder Nicht-Gesang machten für mich die ansonsten bewundernswerten Main Title zu einer akustische Qual; — b) schon damals in den Achtzigern habe ich Nena und ihre »99 Luftballons« gehasst. Da wäre ja Kajagoogoo oder Adam Ant noch besser (nicht so peinigend) gewesen. Nena hat mir also eine Romantik-Szene von Laurie und Dan versaut.
Zu den Abweichungen, Hinzufügungen und Kürzungen lohnt es sich jetzt nicht, viel zu sagen. Nur soviel: schade, dass nirgendwo diese komische Droge in den lustigen Pfeifen geraucht wird und deshalb auch Laurie völlig unmotiviert auf den falschen Feuerzeug-Knopf drückt; — schade, dass die Hinrichtung des Kindermörders durch Rorschach so verflacht wurde; — und sehr schade, dass die Doc M.-Worte »Nichts endet jemals« von Laurie gesprochen werden und sich statt an Ozzy an Dan richten (und dass da weit und breit kein Modell eines Sonnensystems zu sehen ist).
Aber wiegesagt: all solche Änderungen sind Kleinigkeiten und durchaus im Rahmen des Erträglichen und Üblichen (wie auch das Sony-Productplacement in der Wohnung von Hollis).
Der Kinofilm ist ja nur der Trailer für den letztendlichen Schnitt. Ich bin schon gespannt auf den Piraten.
— 6 von 10 Sternchen geben.
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simifilm
Dylan und Nena sind beide nicht recht? – Mann, das sind Meilensteine der Musikgeschichte.
molosovsky Besitzerin
Dylan kann ich ja als Texter/Dichter/Songwriter noch respektieren. Wenn seine Sachen von anderen gesungen werden, sind die immer viel besser als seine Eigeninterpretationen, ja manchmal sogar supertoll.
Aber Nena?! — Sorry, aber in meinen Kreisen gilt jemand, der Nenas Mukke gut findet, ja gar als ›Meilenstein‹ eimstuft, als absoluter Musik-Gronk. Das Banause kannste also schön wieder einpacken und dir selbst ins Regal stellen, Simi.
tkl
Bis Superhelden, gebrochene oder mastmuskelstraffe, in der >Mitte der Gesellschaft< ankommen, lieber molosovsky, scheint es mir noch ein langer, vemutlich ungangbarer Weg zu sein. Aber Zack Snyders „Watchmen“ hat es, laut erster Stimmungsberichte aus den Großkinos, noch nicht einmal bis in die Mitte der Multiplexinesen geschafft. Snyder tut ja auch eine Menge, um alle möglichen Zielgruppen vor den Kopf zu stoßen. So viel Courage hätte ich ihm und dem Studio nicht zugetraut. Der Film scheint genau auf jene Langzeitauswertung hin kalkuliert, die beim Comic zum Zerwürfnis zwischen Alan Moore und DC geführt hat.
molosovsky Besitzerin
Wenn ein Film wie »Watchmen« mit derartigem Aufwand gemacht & vertrieben und in Muliplexen läuft, dann ist das schon ein Ankommen der Story in der ›Mitte der Gesellschaft‹.
Aber — und das scheinst Du mir anzusprechen tkl — nicht alles was auf den Mainstream ziehlt, trifft auch, oder auch: nicht alles, was auf die ›Mitte der Gesellschaft‹ zielt, ist ein typisches ›Mitte der Gesellschaft‹-Produkt.
Was die fiskalischen Zahlen angeht, weiß ich bisher nur, dass der Film in USA ein ganz gutes erstes Wochenende hatte.
{Nebenbei: falls Du einen Mac hast und neugierig bist, tkl.
Die einfachen französischen Anführungszeichen ›‹ liegen auf ALT + N / B (beachte: Großbuchstaben!).
Die doppelten »« liegen auf ALT + q und ALT + Q.}
JakobSchmidt
Ich bin echt verwirrt von dem einhelligen Lob. Auf meinem Kreuzzug gegen die schwerwiegende Fehlleistung der WATCHMEN-Verfilmung setzte ich deshalb auch hier meinen Link:
http://jakob.blogsport.de/2009/03/05/watchmen-im-dschungel/
... vielleicht finde ich ja doch noch wen, der meiner Meinung ist.
grundgedanke
http://www.slate.com/id/2212953/?from=rss
david ramirer
obwohl ich ja ursprünglich wie meister alan moore ignorieren wollte....
meine meinung findest du hier.
ist von deiner nicht sehr abweichend, sind wir ja auch beide vielleicht gleich gute kenner der watchmen-story und brüder im geiste manhattans :-)
HPLCthulhu
Wenn ich das alles so lese bin ich gespannt was mich erwartet.
molosovsky Besitzerin
Oli hat nun sowohl das »Watchmen«-Comic, als auch den »Watchmen«-Kinofilm besprochen.
Da Oli mit viel klarerem Kopf als ich zu schreiben vermag, kann ich seine Rezesionen allen empfehlen, die wirklich einen gut in Worte gefassten einführenden Text lesen möchten.
Gerade seine Empfehlung des Comics ist spannend zu lesen, denn Oli gibt zu, dass er Comics im Laufe der Jahre aus den Augen verloren und vor allem mit Superheldencomics eigentlich so gar nix groß anzufangen weiß. Um so erstaunlicher dann erstmal, dass er eine seiner seltenen Höchstwertungen (10 von 10 Punkten) vergibt … aber so erstaunlich ist das für »Watchmen«-Phanatics nun auch nicht.
Beim Kinofilm kommt Oliver zur selben Note wie ich (wieder Mal).
molosovsky Besitzerin
Bei einem 311 Minuten langem Werk habe ich keine Lust, mich auf die zweifelhafte Qualität von ›Raubkopien‹ zu verlassen. Ein Konto beim iTunes-Shop kann ich ohne entsprechend fähige Kreditkarte nicht einrichten. Also ist es mir erst mit der Veröffentlung als Doppel-DVD möglich gewesen, die 12 Folgen von »Watchmen – The Complete Motion Comic« zu genießen.
Römer, Freunde des Comics und Skeptiker des Spielfilmes! Dieses ›Motion Comic‹ ist wirklich gelungen. Es fehlen zwar die 11 Anhänge aus dem Comic (die Handouts aus Büchern, Essays, Akten und Magazinen) aber das Comic ist tatsächlich ansonsten komplett. Der guten Nachrichten sind noch mehr, denn …
… der amerikanische Schauspieler Tom Stechschulte liest den Text des Comics mit großem Können. Das Stimmenverstellspiel wird von ihm nicht übertrieben lebhaft (also nervig), sondern maßvoll gestaltet. — (Vorsicht: der unbekannte deutsche Sprecher ist ‘ne totale Pflaume! Wer hält mehr aus als ich! Ich hab nach einem viertel der ersten Folge aufgegeben und erstmal Saufen müssen) …
… die Musik von Lennie Moore passt auch sehr gut zu der Geschichte. Diese getragene Orchesterklänge, mal dramatischer, mal unheimlicher, oft etwas melancholisch, unterstützen die Bilder und Worte tatsächlich bei der Absicht, die Geschichte zu erzählen (anders als die nervigen Zitat-Einblendungen von Nena, Bob Dylan und Co, die mehr Interpretation und Kommentar sind, als unterstützender Soundtrack waren) …
… und die Art und Weise, wie man die Originalzeichnungen von Dave Gibbons umgesetzt, auseinandergenommen, wiederzusammengesetzt, animiert hat, ist eine Wonne, ein kleines Fest der Zeichentrickzauberei. Kann sein, dass hier der Spezialinteresse-Freak (Animation) mit mir durchgeht.
Ich gebe dieser Umsetzung des Comics eine glatte
— 9 von 10 Punkten.
lomax
Hm, hm - ich hab mir den verlinkten Trailer jetzt mal angesehen und fand die Animation ein wenig behäbig. Warum soll man einen Film ansehen, wenn er nicht mehr bietet als der Comic? Ich bin bei Verfilmungen ja nicht so sehr ein Fan absoluter Werktreue, sondern vielmehr der bestmöglichen Anpassung an die unterschiedlichen Stärken eines Mediums; und störend sind ja meist nur die Änderungen, die nix mit dem Medienwechsel zu tun haben.
Hat die Animation in der Hinsicht mehr anzubieten, als der Trailer verrät, oder ist es wirklich nur ein leicht bewegter und vorgelesener Comic?