Molos Wochenrückblick No. 6
Eintrag No. 626 — Nur damit ihr vergewissert seid. Die Molochronik wird natürlich allen ein Fluchthafen der Ruhe sein, die, wie ich auch, nix mit dem Kommerzsportgroßtrubel anfangen können. Nur soviel: in der Juni-»Le Monde Diplomatique«, die ich letzten Freitag wie immer als »Taz«-Beilage geholt habe, findet sich der Artikel »Dreck am Ball. Die Geschäfte der Fifa« von David Garcia. — Sorry liebe WM-Freunde, aber zu mehr Fussballbegeisterung reicht es bei mir nicht.
Seltsam: Vergangene Woche (zum, ich glaube, etwa 3. oder 4. Mal seit ich dieses Blog führe) einem Autor mitgeteilt, dass ich aus zeitlichen Gründen und weil mich die Leseprobe nicht überzeugen konnte, ein angebotenes Phantastikbuch nicht für die Molochronik besprechen werde. Solche Absagen zu schreiben fällt mir immer noch irrsinnig schwer. Am liebsten würde ich solche Anfragen wegschweigen, aber wenn ich mich auch nur einen izzi-bizzi knappen Augenblick in die Lage dieser anderen Person versetzte, dann packt mich das heilige Pflichtgefühl und lässt mich die Rückmeldung schnellstmöglichst erledigen. — Und immer noch bin ich völlig baff, wenn mir aus dem Nichts von Irgendwoher so ein Angebot unterbreitet wird (oder ich mit einem Dankeschöngeschenk beglückt werde), nur weil ich mehr lahm als flott ein Blog führe und ein-, zweimal im Jahr einen Text publiziere.
Coole Horroshow: Nach dem schweren Sturmgewitter Ende letzter Woche am Griesheimer Ufer herumspaziert (und ich Riesendolm blöderweise wieder keine Kamera dabei!). Wunderschön, wie die Enten, Teichhühner, Gänse, Rabenkrähen, Schwäne, Kinder, RenterInnen, VormittagsAlkies und Uferfischer sich ihre Wege durch’s vom Unwetter angerichtete Chaos bahnen.
Lektüre: Geo-Epoche #43: »Der Zweite Weltkrieg. Teil 1, 1939-1942« und Geo-Kompakt #22: »Evolution« besorgt. Die Sondermagazine von GEO les’ ich sehr gern zwischendurch. Zudem finden sich darin oft wirklich schöne Bilder und Illustration. Vor allem begeistert mich das Sichtbarmachen von Dingen, die man (sonst, normalerweise) nicht sehen kann. Diesmal z.B. im »Evolution«-Heft je eine Doppelseite für Illustrationen einer Pflanzen- beziehungsweise Tierzelle von Jochen Stuhrmann.
Endlich mal das schon vor vier Monaten gekaufte »Tamara Drewe« von Posey Simmonds gelesen. Kein Zweifel, ein großartiges Comic eine großartige Graphic Novel. Kann ich z.B. besonders allen Phantastikfreunden sehr empfehlen, die gerade etwas phantastikmüde sind und / oder die sich mal umgucken möchten, was der (vermeintlich langweilige) Realismus so an Glanzleistungen hervorzubringen vermag.
Und seit gestern lese ich nach ca. 20 Jahren zum zweiten Mal Wolf von Niebelschütz’ »Der Blaue Kammerherr «. Mehr dazu ein andermal.
NETZFUNDE
- Habe Andreas dringlicher Empfehlung gehorchend im F.A.Z.-Feuilleton das große von Richard Kämmerlings mit Martin Kluger (yeah!!), Ulrich Peltzer (jööö) und David Wagner (buuuh) geführte Schriftstellergespräch Das Fernsehen schaut uns an gelesen und genossen. — Sehr lobenswert, wie Kämmerlings und seine Gesprächspartner uns zeigen, dass deutsche Literatur nicht immer Omphaloscopie, gestelzte Langeweile oder verkrumpelkrampfte Bemühlichkeitlichkeit bedeuten muss, sondern sich auch mal neugierig und begeistert in der großen weiten Welt populären Erzählens umzugucken vermag. — (Die Erkenntnis, dass im US-Fernsehen etwa seit »The Sopranos«, »Deadwood«, »The Wire« und Co. das romanhafte Erzählen erfolgreich, innovativ und relevant aufblüht, habe ich bereits 2008 für »Magira« in meinem Interview mit Matt Ruff mal so nebenbei fallen lassen.)
- Oliver Kotowski legt als Fantasyguide-Spezial bei seiner phantastischen Weltreise (30 Bücher als aller Welt) den zweiten Zwischenstopp in Osteuropa ein. — Vom ersten Teil, Westeuropa war ich etwas enttäuscht: bei Albert Sánchez Piñol, Marc Agapit, Italo Calvino, Ricarda Junge und Mikael Niemi bimmelt bei mir eben keine Jubelglocke. — Im Osteuropa-Teil empfiehlt Oliver nun aber Milorad Pavić und dessen Lexikonroman »Das Chasarische Wörterbuch« (das ich 1992 als dtv-Taschenbuch gekauft habe). Milorad Pavić war für mich ein Augenöffner, dass es eben auch in der sogenannten (hoch-)literarischen Szene ›Spiele‹-Bücher gibt (zuletzt begeistert hat mich diesbezüglich ja Mark Z. Danielewski).
- So sieht amœnokratisch gestaltete Aufklärung heute aus! Die ›Königliche Gesellschaft zur Förderung der Künste, der Herstellung und des Handels‹, also die englische ›Royal Society for the Encouragement of Arts, Manufactures and Commerce‹, kurz RSA, zeigt wie man das macht. Man nehme einen etwa 10-minutigen Vortrag mit gesellschaftlich relevanten Inhalt, lasse diesen von einem hochfähigen Zeichner des Cognitive Media Studios illustrieren und heraus kommen spektakuläre Filmchen, die zumindest mich vollends umhaun und begeistern. Hier alle RSA Animate-Filme, die ich finden konnte.
- The Economic Consequences of Mr. Brown: Andrew Park illustriert hier die Einschätzung von Prof. Stein Ringen zur New Labour-Politik.
- Left brain, right brain: Matthew Taylors Vortrag untersucht den wachsenden Einfluß der Gehirn- und Verhaltensforschung auf politische und gesellschaftliche Belange.
- Superfreakonomics: Steven Levitt und Stephen Dubner gehen der Frage nach, ob wir wirklich so altruistisch sind, wie wir gerne annehmen.
- Smile or Die: Barbara Ehrenreich untersucht die Schattenseiten des Imperativs vom positiven Denken.
- Drive. The surprising truth about what motivates us: Dan Pink klärt auf, was uns privat und am Arbeitsplatz wirklich antreibt.
- The Empathic Civilisation: Jeremy Rifkin untersucht die Evolution der Empathie und wie sie unsere Entwicklung und Gesellschaft grundlegend beeinflusst.
- The Secret Powers of Time: Prof. Philip Zimbardo (ja, einer der Kerle, die das berüchtigte Milgram-Experiment durchgeführt haben) legt dar, wie unterschiedliche Zeit-Perspektiven unsere Arbeit, Gesundheit und unser Wohlergehen bestimmen; wie die Art unserer Zeit-Wahrnehmung uns als Person und unserer Verhältnis zu anderen und zur Welt formt.
ZUCKERL
- Diese vergnüglich-wunderschöne Reihe mit alten Reklame-Sammelbildern der Schokohersteller Stollwerk aus dem Jahre 1897/98 bei Industrial Technology & Witchcraft entdeckt. »Im Jahre 2000«: No. 1: Eine Hauptstraße / No 2: Ein Reisehotel / No. 3: Unsere Polizei.
- Herr Reitersmann war im Zoo, und lässt uns dank seines Berichts »Mensch und Tier« in seinem »Inklusorium«-Blog daran teilhaben. Sehr gut! — Bürger, geht mindestens zwei Mal im Jahr für einen Tag in den Zoo!
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simifilm
Die animierte 10-Minuten-Version von Rifkins Vortrag ist der 90-Minuten-Version, die ich bereits erleiden musste, definitiv vorzuziehen. Interessanterweise wird durch die Illustrationen noch besser deutlich, wie hanebüchen seine "Theorie" ist.
molosovsky Besitzerin
Inwiefern?
Marengo
Vielleicht kannst du dich mit VanderMeers World Cup of Fiction ja eher anfreunden. Ich hab' meine Nominierungen schon abgegeben.
molosovsky Besitzerin
Ach Du liebe Zeit!
Auf Ideen kommen die Leuz.
Ich denke, ich bin zu sehr Schöngeist diese Fiction World Cup-Aktion, bewundere aber den Witz, der da gezeigt wird.
oliverj
Da Du oben diese Geo-Hefte erwähnst. Der Boom solcher populärwissenschaftlicher Zeitschriften (trotz Internet und PISA, jaja), der kürzlich sogar mal Gegenstand eines eigenen Zeitungs-Artikels irgendwo war, wird Dich sicher genauso mit Freude erfüllen wie mich. Ich finde das toll und gehe eigentlich wöchentlich bei einem Zeitschriftenhändler die Neuerscheinungen durch und kaufe auch mal, was mich interessiert. Offensichtlich gibt es eine Menge Leute, die dafür auch mal gerne 8-12 Euro ausgeben (mehr als 1-2 solcher Hefte im Monat kaufe ich aber in der Regel nicht, wenn überhaupt, man muss ja auch noch Zeit dafür haben, die zu lesen).
Mein Liebling ist übrigens im Moment Karfunkel, die haben immer eine herrliche Themenauswahl. Leider erwische ich das Heft viel zu selten.
Das Foto ist nett! Auch der sympathisch volle Bücherschrank. Neben Deinem rechten Oberarm habe ich natürlich sofort WATCHMEN ausgemacht!
Und bei den Schokoreklame-Sammelbildern fehlen mir die Worte, wie endgeil die sind. An sowas kann ich mich unendlich delektieren. Wenn man gerade dieses Reisehotel auf Schienen mal einem Steampunker zeigt, das dürfte dem für Wochen Glücksgefühle bescheren.
molosovsky Besitzerin
MoinMoin Oliver.
Magazine: Vor ca. 400 Jahren habe ich auch noch alle möglichen ›Bildungshuber‹-Magazine gestöbert (z.B. »National Geographic«, »Gehirn & Geist«, »Spektrum der Wissenschaft«). Inzwischen reicht mir die Auswahl, die »Geo« vierteljährlich (»GeoKompakt« und »GeoEpoche«) und halbjährlich (»GeoEpoche Edition«) liefert. Außerdem muss ich gestehen, dass ich ein »Geo«-Fan bin. Meine Eltern hatten lange Jahre ein Abo, zu einem Gutteil auch für mich, damit der Bub was zum Lesen und Blättern hat.
»Watchmen«: Das was man auf dem Photo sieht, ist nicht »Watchmen« selbst, sondern die Bildmände »The Art of the Film«, »The Film Companion« und »Watching the Watchmen« (letzter ist wirklich empfehlenswert: Dave Gibbons gibt ausführlich Einblick zum ›Making of the Comic‹). — Mein völlig zerlesenes »Watchmen«-Trade steht über meiner linken Schulter (guckst Du beim deutschen HC-»Gegen den Tag«; dort dann 2 Regale höher außerhalb des Photos).
Stollwerk-Steampunk: Und genau deshalb habe ich ja die Wochenrückblicke ins Leben gerufen. Es gibt in sieben Tagen genug, worauf ich hinweisen, was ich mit anderen teilen kann.
Kurz und gut: Danke für die Selbstbewußtsein stärkende Re-Aktion, Oliver!