Tolkien schrieb: »Selbstverständlich ist ›Der Herr der Ringe‹ ein durch und durch religiöses und katholisches Werk…«
Unbedingte Leseempfehlung spreche ich für die in der Zeit seit Erstbloggens dieses Eintrags erschienenen Aufsätze von Peter ›raskolnik‹ Schmidt aus, der in seinem grandiosem Blog ›Skalpell & Katzenklaue‹ einige sehr klar argumentierte, klug belegte Texte über Tolkien und sein Werk veröffentlicht hat. Näheres ganz am Ende bei den ›Woanders‹-Links.
•••
Eintrag No. 127 – Wie sehr wurde »Der Herr der Ringe« {desweiteren LOTR genannt} und die gesamte Mittelerde-Schöpfung beeinflusst durch den Umstand, daß Tolkien ein tiefgläubiger katholischer Christ war? Für die Anregung zu dieser Frage bin ich den Teilnehmern eines Thread bei SF-Fan zu Dank verpflichtet. Ein Beiträger meinte, daß Tolkiens Gesamtwerk nichts mit Religion zu tun habe, und J.R.R. lediglich einen Mythos bzw. eine Sagenwelt für England erschaffen wollte, weil es dort so etwas wie zum Beispiel die deutschen Heldensagen, die nordischen Sagas usw. nicht gäbe.
Also was nun?
Der Mehrheit des Lese- (& Kino-, DVD-) Publikums ist es sicherlich ziemlich schnurz, ob Tolkien mit LOTR nun eine zutiefst heidnisch/sagenhafte oder eine innig christlich-katholisches Zweitschöpfung gestalten wollte.
Mit dem folgenden, lockeren Durcheinander an Belegen für Einflüsse des katholischen Glaubens auf die Gestaltung von Mittelerde, will ich niemandem seinen/ihren heidnischen, atheistischen, oder einfach-so-Spaß an LOTR vergällen, sondern lediglich darauf aufmerksam machen, welche tieferen Schichten sich offenlegen lassen, wenn man sich auf so was wie eine ›Intention Auctoris‹ (= Absicht des Autoren) einzulassen gewillt ist.
Hobby-Exerzitien eines Hobbit-Erfinders
Mir ist schon klar, daß man LOTR und Mitterlerde von zumindest diesen drei Seiten abklopfen muß, wenn man gerecht sein will:
- Als persönlichen Ausdruck einer ausgeprägten katholischen Frömmigkeit;
- Als Neu-Aneignung alt-europäischer (vor allem nordischer) Mythen;
- Als linguistische, geographische und genealogische Laubsägefrickelei (siehe Schlüsseltext »Leaf by Niggle«).
Es ist kein Geheimnis, daß Tolkien ein überaus hingebungsvoller Katholik war, der sich die heilige Kommunion versagte, wenn er nicht zuvor gebeichtet hatte; — der als Apostel seinen Freund und Kollegen C.S. Lewis zu missionieren trachtete (und sehr enttäuscht war, als dieser sich dann für den anglikanischen Glauben entschied); — dessen Frau vom Protestantismus zum Katholizismus konvertieren musste, um den strenggläubigen Tolkien heiraten zu können (ein Thema, daß sich womöglich z.B. in der Beziehung Arwen und Aragorn, und anderen Beziehungen von Sterblich-Unsterblichen wiederspiegelt).
In der Tolkien-Biographie (Klett-Cotta/Ullstein; 1983) von Humphrey Carpenter begann ich meine Spurensuche:
Kurz darauf resümiert Carpenter {Hervorhebung von mir}:
Seite 112: Als er das Silmarillion schrieb, glaubte Tolkien in gewissem Sinne, die Wahrheit zu schreiben. Er nahm nicht an, daß genau die Völker, die er beschrieb {…} auf Erden gelebt und getan hätten, was er berichtete. Doch fühlte oder hoffte er, daß seine Geschichten in gewisser Hinsicht eine starke Wahrheit verkörpern.
Und gemeint ist religiöse, genauer: Tolkiens individuelle christlich-katholische Wahrheit, nicht die Art von belegbarer Fakten-Evidenz, die unseren modernen Wahrheitsbegriff prägt.
Weiter bei Carpenter:
••• Nebenbei: Eden weiß ich jetzt nicht genau, aber Paradies kommt aus dem Persischen und bedeutet ungefähr »(künstlicher) Garten mit Zaun drum herrum«. •••
Die entscheidenden Wendepunkte der Mittelerde-Historie werden bestimmt von selbstsüchtiger Eigenwilligkeit oder direktem Widerspruch gegen den Schöpfergott-Willen, beginnend mit Melkors aufsässigem Gesang als (luziferisches) Gegenthema zur Musik der Ainur; — über den Mord von Smeagol an Deagol, der sich wie die verschiedenen Geschwisterkämpfe der Elben als Vor-Echo von Kain und Abel lesen läßt; — bis zu den verschiedenen Gelegenheiten, bei denen menschliche Könige oder kleine Hobbits sich weigern, den Einen Ring zu zerstören.
Bei all diesen Gelegenheiten finden sich starke Anklänge auf die katholischen Melodien von der Vorhersehung Gottes, der gnadenreichen Erlösungsgeschichte, jedoch eingedenk der Notwendigkeit des freien Willens, durch den zwar das Böse in die Welt kam, welches sich aber als notwenige Stimme im (für die Geschöpfe undurchschaubaren) großen Heilsplan Gottes entpuppt.
»Wie das?«, mag der unbedarfte Mittelerde-Tourist berechtigt fragen.
»Zum Beispiel beim LOTR-Showdown«, ist ein Gedanke den ich anbieten mag.
ACHTUNG SPOILER! Frodo und Gollum sind bei ihrem finalem Ringen um den Ring beide dem Bösen verfallen, doch aus dem Kampf von zweien in diesem Moment bösen Figuren, fügt sich eine völlig unvorhersehbare (stolpernde) Zufallsbefreiung von einem großem Übel. Gollums Purzler in die Lava lässt sich mit den selben Worten begründen, mit denen Gandalf erklärt, warum Bilbo damals unter den Nebelbergen im Dunkeln kriechend den Einen Ring fand, welcher seinerseits Sauron-willig den deformierten Fischmampfer verlassen hatte:
Seite 69: »Behind that there was something else at work, beyond any design of the Ring-maker. I can put it no plainer than by saying that Bilbo was meant to find the Ring, and not by its maker.« ••• Unwin/Unicorn one volume edition
SPOILER ENDE!
Desweiteren lassen sich die Frauenfiguren bei Tolkien — allen voran Lichtlady und Wasserkraft-Ringhüterin Galadriel — als frühes Erklingen eines Marienmotivs deuten. Maria selbst wird, vor allem im Mittelmeerraum und bei zur See fahrenden Völkern, in einen starken Bezug zum Abendstern gesetzt. Das ließt sich dann in einem altem englischen Lied so:
Bei Tolkien kann daraus folgendes werden:
Eucharistische Obertöne lässt das wundersame und Lebensmut spendende Lembas-Brot vermuten. Gut, es ist nicht eins zu eins vergleichbar mit dem Fleisch und Blut des Erlösers, welches sich zu Brot und Wein verwandelte. Wie sehen aber solche Übertragbarkeiten aus?
Da sind die Namen für die heilige Speise. In Quenya ›coimas‹ (= life-bread, Lebensbrot) und in Sindarin ›Lemmas‹ oder ›lenn-mbass‹ (= journey-bread, Pilgerzehrung).
Dann auch: Lembas wird behütet von Yavanna, die Königin, die höchste und herrlichste aller Elbenfrauen oder überhaupt Personen, ob groß oder klein. Entsprechend übersetzten sich ihre Beinamen ›massànie‹ oder ›besann‹ als die ›Herrin‹ oder ›Brotgeberin‹. Frucht Deines Leibes … ick hör dir trapsen.
Diese Brotzeit-Informationen sind der »History of Middle-Erath XII: The Peoples of Middle-Earth« entnommen, Seite 403ff. Auch klingt in der Beschreibung des Anbaus des Lembas-Korns das Samen-Motiv aus der Bergpredigt des Neuen Testaments an. ••• Schade, daß die Bände III bis XIII nicht mehr ins Deutsche übersetzt werden. Zumindest die wohl auch für eine größere Mittelerdeleserschaft interessantesten Texte sollten in ein oder zwei Auswahlbänden übersetzt zugänglich gemacht werden, wie zum Beipiel ein früh aufgegebener Ansatz eines Verschwörungsthrillers im jungen Vierten Zeitalter (kurz nach Aragorns Tod, ca. 115 Jahre nach den Ereignissen im LOTR.) •••
Deutlich Anspielung auf die Bibel (Genesis) liefert auch die Wortkunde zu ›Sauron‹. Das mag im fiktiven Quenya ›der Grausame‹ heißen, doch Tolkien plünderte alle möglichen realen Sprachen und so überrascht es wenig, daß der Name dem griechischen ›sauros‹ (= Echse, Schlange) abgeguckt wurde. Dino›saurier‹ leitet sich auch aus dieser Wurzel ab. ••• Munition für die fragwürdigeren, zumindest heikel-unangenehmen Theorien zu ›Tolkien als Nordherrenmensch-Idealisierer und Russenverachter‹, lässt sich aus mannigfachen Entlehnungen osteuropäischen Wortguts für Begriffe der bösen Mordor- und Orksprache schmieden. •••
Frodo, Gandalf und Aragorn erleben alle drei ihren Tod und darauffolgende Auferstehung. Gandalf in Moria (als ganzes ein Friedhof und Totenreich); — Aragorn auf dem Pfad der Toten (Fegefeuer-Thema; die Sünde des Verrats der Dagorlandschlacht-Kneifer erweißt sich als heilbar); — und Frodo am getreusten nach den Evangelien. Am dritten Tage nach Kankras Lauer findet Sam ihn wieder. Zwischendurch lag Frodo wegen der Spinne Stich in totengleicher Starre.
Der 25. März ist nach christlicher Tradition nicht nur der Tag der Kreuzigung von Jesus, sondern auch der Tag der Verkündigung (also Maria-Befruchtung). An genau diesem Tag des Auenlandkalenders wird der Ring zerstört. Wenn man bedenkt, daß Tolkien seine Welt ja frei erfunden hat (und die Monate und Zeitläufte-Unterteilung auch ganz anders hätte gestalten können), kann man dies wirklich nicht als Leichtfertigkeits-Zufall deuten. Das ist glaubensschwere Absicht.
Spuren verwischen
Tolkiens Glaube ging einher mit einer großen Bescheidenheit. Deshalb lag es ihm fern, deutliche, ins Auge springende Hinweise auf seinen katholischen Glauben zu liefern. Deswegen verachtete er auch ›Allegorie‹ so sehr, denn diese ist eine Zeichen- und Bedeutungsgrammatik, die kein Deuteln zulässt. Eine Frau mit Augenbinde, Schwert und Waagschalen ist immer »Die Gerechtigkeit« und abweichende Sinnbelegungen nur bei Regelverstoß möglich. Theologisch gesehen vollzieht Tolkien also einen Umgang mit Symbolen und Bedeutungen, der konträr zu dem von Bilderstürmen der Reformation oder den byzantinischen Iconoklasten ist. Statt Bilddarstellungen von Gott und Jesus usw. abzulehnen, hat er, beflügelt durch seine Begeisterung für (heidinisch-nordeuropäische) Mytholgien, den Bilderschatz seines Glaubens zu erweitern verstanden.
Als Prosa- und Romanautor finde ich ihn größtenteils lächerlich (Ausnahme: »Silmarillion« Kinderbücher & Kurzgeschichten), als Lyriker schrecklich altbacken lieblich, aber ich verneige mich vor ihm als großen Brückenbauer zwischen katholisch-christlicher und heidnisch-vorchristlicher Religion. Er mag bekehrend auf seine Umwelt eingewirkt und dabei zuweilen ein schwieriger Mensch gewesen sein, aber im Mythenverschmelzen zeigt er sich bewundernswert tolerant … auch wenn er sonst gegenüber Dingen wie der Moderne und der Demokratie ziemlich engstirnig ablehnend sein konnte.
Zu der zweifelnden Gegenfrage, warum einem denn die katholischen Bezüge bei einer LOTR-Lektüre nicht mit den Füßen voran ins Gesicht springen, bin ich im Netz bei »Lord of the Imagination« (in etwa: »Herr/Meister der Vorstellungskraft/Phantasie«) fündig geworden. Dort zitiert ›The Irish Family‹ nach Humphrey Carpenter: »Letters of J.R.R. Tolkien«:
»Selbstverständlich ist »Der Herr der Ringe« ein durch und durch {grundsätzlich} religiöses und katholisches Werk, unbewußt zu Beginn, doch bewußt bei der Überarbeitung. Alle Verweise {Bezüge} zu Dingen wie »Religion«, auf Kulte und {religiöse} Praktiken in der vorgestellten {ausgedachten} Welt habe ich deshalb weggelassen oder entfernt. Denn das religiöse Element {man beachte den Singular} ist in die Geschichte {Handlung} und die Symbolbedeutungen eingegangen.«
Insofern ist LOTR in Bezug auf katholischen Glauben grob vergleichbar mit L. Ron Hubbards »Battlefield Earth« und Scientology. Und mich jetzt bitte nicht den haun, ich weiß, daß dieser Vergleich hinkt und unfair ist. Aber Molosovsky findet’s lustig.
Der musizierende Gott
Religion braucht erst in zweiter Linie Gläubige. Zuerst sind Propheten, Priester und Apostel, die eine Religion ersinnen, leiten und verbreiten nötig. Tolkien ist kein Neu-Schöpfer einer Religion, sondern im innigsten Sinne des Wortes ein Mystiker und um-zwei-Ecken-Verkünder einer, sprich: seiner katholischen Frömmigkeit. Man muß sich halt ein wenig mit frühchristlichen Theologien auskennen, um das so erkennen zu können.
Tolkiens Selbstaussagen mögen wohl denen unangenehm dünken, die sich LOTR zu einem Klangraum z.B. für ihre neu-heidnischen Sehnsuchtsseufzer zurechtdeuten wollen. Dabei darf man nicht übersehen, daß Tolkien sehr schockiert und angewidert von seinen Fans in den Sechzigerjahren als »langhaarige Irre« gesprochen hat. Du liebe Güte, ich wollte hiermit niemanden als irre oder langhaarig zeihen, nur darauf hinweisen, daß man vielleicht hie und da den Wirrnissen der Flower-Power-Leserschaft aufsitzt. Ich sag nur: Pfeiffenkraut entspricht nicht Marihuana.
Interessant ist, daß Tolkien — so eigen seine Schreibe ist — immer wieder Überraschendes bietet. So nimmt er heutige christliche Strömungen, wie die von formulierte Matthew Fox vorweg, die den Gedanken der Bewahrung der Vielfalt Schöpfung wieder in den Mittelpunkt des christlichen Glaubens rücken. Innovativ erscheint mir Tolkiens Motiv, die Schöpfung als Klangzauber zu verstehen, und überreich sind demgemäß auch in LOTR Stellen zu finden, an denen akustische Signale tiefere Wahrheiten und höhere Bedeutungen markieren.
Von Arwens Gesang der Aragron bezaubert; — über Boromiers Aufbruchs-Tuten in Bruchtal, als Ausdruck der aufrichtigen Absichten des Ringentsorgungs-Squats; — bis zum — durch das Plappern von Merry und Pippin — milde gestimmten Baumbart, der, hätte er die beiden Hobbits zuerst gesehen statt gehört, sie für kleine Orks gehalten und zertrampelt hätte … um nur drei subtilere Beispiele anzuführen, von Sarumans Stimmenzauber ganz zu schweigen. Tolkien bezieht damit eine nicht zu unterschätzende Gegenposition zur Substanz-, Optik-, Imago-, und Objekt-Fixierung heutiger Psychologie-Mythen. Tolkien nimmt damit neuere Seelentheorien vorweg, die sich Gedanken machen, wo man sich sphärologisch eigentlich befindet, wenn man Musik hört; und daß, bevor man von visuellen Spiegel-Erfahrungen und visuellen Aneignung der Welt sprechen kann, erstmal akustische Sirenen-Erfahrung und -Verführungen stattfinden. ••• Siehe Peter Sloterdijk »Weltfremdheit« und »Sphären I - Blasen (Mikrosphärologie)«. •••
Freilich hat das Christentum schon lange vor Tolkien wie ein Schwamm Vorchristliches aufgesogen. Weniger aber aus theologischer Redlichkeit, denn aus macht-imperialer Notwendigkeit. ••• So leitet sich das Weihnachts-Datum von der Einweihung des Sol-invictus-Tempels unter Kaiser Aurelian (270 - 275 n.Ch.) am 25. Dez. 274 ab. ••• Tolkien war wählerisch mit seinen Anregungsquellen, nicht nur Heidnischem gegenüber. Hat er doch die nicht gerade unchristliche Arthur-Sage deshalb kaum aufgegriffen, weil sie sich für seine Zwecke als Fundus für einen heimischen Neo-Mythos nicht eignete, da ihm sein geliebtes England zur Arthus-Zeit zu sehr von romanisch-französischen Einflüssen versaut war. Und der Gute war ausgesprochen frankophob.
Eine neue Religion wollte Tolkien nicht schaffen, sondern der seinen neuen Ausdruck verleihen. LOTR kann man getrost zwischen die Bibel und den Katholischen Katechismus ins Regal stellen, und gemäß der Autoren-Intention fühlt sich das große rote Buch der Westmark dort sauwohl … wohler als zwischen (ich sag mal) den Fantasy-Romanen von Michael Moorcock und Dave & Leigh Eddings.
Warum beschäftige ich mich als ausgesprochener Tolkien-Skeptiker trotzdem seit über 15 Jahren mit dem Mittelerde-Schmalz? Weil Tolkien trotz all meiner Abneigung und Bedenken der große Papa der sogenannten »Fantasy« ist, eine Genrebezeichnung, mit der ich nicht recht glücklich werde, die mir aber trotzdem als Orientierung im Belletristikangebot dient.
Ich kann nicht anders, als im Sinne einer Relativierung der Leser-Umdeutungen der Werke Tolkiens immer wieder den Versuch zu starten, den (am Autor vorbeigehenden) Interpretationen durch heutige Leser entgegenwirken zu wollen. Wenn ich mir solche tröstlichen Verstandeinlullungen wie die Papierverschwendungen eines Tad Williams (»Der Drachenbeinthron«) und Robert Jordan (»Das Rad der Zeit«) anschaue, erscheint mir das notwendig.
Zuckerl: Grond
Als Linderung und Wiedergutmachungsangebot nach all dem dekonstruierenden Kopffüßlerblabla, will ich zeigen, welche Stellen auch mich fürwahr abheben lassen, wenn ich den guten Prof. Tolkien lese. Auf zur Belagerung von Minas Tirith in LOTR, Buch III:
Und den englischen Text von LOTR habe ich größtenteils laut und theatralisch deklamiert … oft während längerer WC-Sitzungen.
Zurück durch die Jahrtausende ins Erste Zeitalter und zur (vierten) Schlacht »des Jähen Feuers« und dem Kampf Morgoth vs. Fingolfin:
Original, Seite 185: Then Morgoth hurled aloft Grond, the Hammer of the Underworld, and swung it down like a bolt of thunder. But Fingolfin sprang aside, and Grond rent a mighty pit in the earth, whence smoke and fire darted. Many times Morgoth essayed to smite him, and each time Fingolfin leaped away, as a lighting shoots from under a dark cloud; {…} But the earth was all rent and pitted about him and he stumbeld nd fell backward before the feet of Morgoth; and Morgoth set his foot upon his neck, and the weight ot it was like a fallen hill. Yet with his last and desperate stroke Fingolfin hewed the foot with Ringil, and the blood gushed forth black and smoking and filled the pits of Grond. ••• Unwin/Unicorn, 1987
Da bleibt mir meckerlos die Spucke weg, und nein, ich bin nicht so tollkühn, Grond als Phallus zu interpretieren und die blutigen Gruben zu deuten als, … na ihr wißt schon. Noch halte ich mich nicht für eine Reinkarnation von Arno Schmidt … vom schniefenden Siggi Freud gar nicht zu reden.
Ein ähnlich überwältigendes Bild fürs Vorstellungsauge bietet die (zweite) Schlacht »unter Sternen«, in der eine ganze Balrog-Armee auftritt. Man stelle sich vor, ein angreifendes Gewimmel von den Biestern, von denen eines in den Tiefen Morias den guten Gandalf alt aussehen läßt. Übrigens: durch die im Film beim Duell Gandalf vs. Balrog zu sehenden unteririschen Kavernen, wurde im Scheibenwelt-Zeitalter Mittelerdes die Sonne nachts zur Aufgangsposition zurückgerollt. Kann ich nur als eigenwilligen Ausdruck des Humors von Tolkien deuten und mich daran vergnügen.
Ausklang
Abschließend kann ich jedem begeisterten Leser empfehlen, sich einmal unerschrocken zu fragen, was genau für ihn die Faszination von LOTR und Mittelerde ausmacht. Ist es der Trost, die Epik, die Exotik, das Heldenhafte, die Naturromantik, die Sprache oder oder oder?
Eine großartige (katholisch-jesuitische) Vergleichslektüre zu LOTR, ist ein Ur-Fantasy-Buch aus dem spanischen Barock (1651):
Balthasar Gracian: »Das Kritikon« (und hier geht es zu meiner Besprechung) , als Fischer-TB für 20 Euro zu haben. Hier findet sich das sehr christliche Motiv des Lebens als Pilgerreise zum Seelenheil, der Mensch als Fremdling in einer trügerischen Welt (versaut durch demiurgische Pfuscherei, sprich abtrünnige Engel).
Know Thy Enemy.
Dig deep.
•••
WOANDERS: Wer weiter stöbern mag, dem sei neben den bereits genannten Quellen die umfangreiche Linksammlung The Catholic Imagination of J.R.R. Tolkien empfohlen. (man beachte die URL und verzweifle). Interessante Essays von katholisch-christlichen Autoren sind meines Erachtens:
- »Faith and Fantasy« von Steven D. Greydanus;
- »Why Tolkien Says LOTR is Catholic« von Joseph Pearce;
Alles was dort zu lesen ist, stellt weitaus diskretere Deutungen zu Mittelerde dar, als zum Beispiel voreilige Interpretationen die feststellen, daß LOTR rassistisch sei; oder Frodo und Sam, bzw. Gandalf und Frodo homosexuelle Sublimationen wären und ähnlicher galoppierender Quatsch.
NEU: 24. Juli 2014 — Hier die (mir bekannten) brillanten Texte von Peter ›raskolnik‹ Schmidt zu Tolkien und seinem Werk (in chronologischer Reihenfolge). Raskolnik schafft es viel besser als ich, gut belegt kritisch zu hinterleuchten. Er arbeitet und bereitet einfach bedachter und ordentlicher als ich. (Wer auf mehr Radau aus ist, darf natürlich meine ›Phantastikforschungs‹-Entäußerungen weiterhin gut finden.)
Ich glaube behaupten zu dürfen, dass Raskolnik — ebenso wie ich — nicht einfach nur darauf aus ist, Tolkien unangespitzt in den Boden zu rammen, sondern dass er ihn vielmehr ernst nehmen und Probleme & Einsichten freilegen will, die im Spiel der Zeiten & Moden verdeckt wurden. Ich denke zudem, dass man bei Raskolnik merken kann, dass er durchaus — wiederum wie ich — auch seine Freude & den gebotenen Respekt für den Phantastik-Pionier Tolkien aufbringt.
- Es ist nicht wirklich schwer, die Beiträge von Frank Weinreich zur Phantastik- & Tolkien-›Forschung‹ heikel zu finden. In der vierteiligen Reihe »Dr. Dr. Weinreich und die Politik des ›Herr der Ringe‹« {Teil 1} legt ›Raskolnik‹ dar, warum. — Hier gehts weiter zu Teil 2 — Teil 3 — Teil 4.
- »Katholische Symbolik im ›Herr der Ringe‹«
- »Vorsehung und Eukatastrophe«.
ummo
Zutiefst religiös, und der Ringkrieg um den es hier geht ist ja noch nicht mal die halbe Miete.
Beginnen wir mit dem Silmarilion. Dem in der Chronologie ersten Buch. Iluvater, der Allmächtige erschafft die Engel, die Valar , als Aufgabe stellt er ihnen eine Musik zu komponieren, die seine Herrlichkeit preist. Alle bis auf einen machen schöne Musik, die Musik ist die Welt. Die Mißtöne bringt Morgoth in die Sinfonie, Hass, Zwietracht, Neid, Krieg. Insofern erinnert Morgoth an Luzifer, dem gefallenen Engel. Die Welt die entsteht ist schön, alle sind unsterblich, die Welt ist so perfekt, dass die Engel sich entschließen auf ihr zu leben. Es ist das erste Zeitalter, die Elfen erblicken das Licht der Welt(Mittelerde), sie sind die Erstgeborenen, sie sind die perfekte Schöpfung, ihre Hülle verfällt der Verfänglichkeit(Körper), sie selbst leben ewig. "Gefallene, gestorbene Elfen sitzen in Mandos´ Halle und warten auf die Entscheidung Iluvaters. Das Licht der Welt wird durch zwei Bäume gespendet, Sonne und Mond gibt es nicht. Einer der Elfen erschafft die Silmaril, Kristallsteine, in denen das erste Licht eingefangen ist, von unglaublicher Schönheit und Stärke, diese Steine werden von Morgoth und Kankra gestohlen. Die Spinne säuft den Saft der Weltenbäume und das dunkle Zeitalter beginnt. Die elfen und die Valar zerstreiten sich über die Steine. Die Elfen verlassen das Paradies und gehen nach Mittelerde, wo sich Morgoth niedergelassen hat, ein grausamer Krieg beginnt, Liebe, Verrat, Tod. Als die Zustände so schlimm sind, das Mittelerde unter den Kriegen zu leiden beginnt und weil die Menschen das Licht der Welt erblicken, schreiten die Götter ein, Morgoth wird besiegt und von seinen Göttern, er ist selbst einer, werden ihm die Beine abgehackt und er wird in die unendliche weite des Raumes verdammt, ohne Rückkehr.
Tolkien selbst hat aus diesem Krieg heraus eine Reihe von Kurzgeschichten geschrieben, die als selbständige Bücher erschienen sind, z.B. Hurin´s Kinder, sehr traurig, die ganze Geschichte.
Der Katholik Tolkien hat als Demiurg fungiert, hat seine eigene religiöse Welt entstehen lassen, in Rätseln und mystischem verborgen, aber sein ganzes Werk ist religiös.
Gandalf selbst ist einer seiner Halbgötter, der richtige Name lautet Olorin, im Buch spricht es Gandalf auch einmal aus, ich meine den Ringkrieg, insofern ist die Rückkehr Gandalfs ins Leben nicht so verwunderlich. Die Zauberer des Ringkrieges nichts anderes als die Abgesandten der Götter, den Elfen, Zwergen und Menschen zu Hilfe eilend gegen den Schüler Morgoths, Sauron.
molosovsky Besitzerin
Vielleicht ist es dieses Nachdenken Tolkiens, über das Hin und Her des Demiurgischen. Einseits vertrauen und gehorchen, andererseits dem ureigenen (GOttgegebenen) Gespühr treu bleiben und dafür notfalls gegen Authoritäten aufmüpfen. Oder auf Tolkien selbst bezogen: der Lust am demiurgischen Weltenbasteln nachgeben, oder sie—da sie nun mal vom HErren verliehen ward—versuchen so kultiviert auszuleben, wie es einem gläubigen Katholiken gegeben ist.
Dein »Das Silmarillion in 3 Minuten«-Remix der GANZEN Mittelerde-G’schicht kommt hier sehr gelegen, Ummo—DANKE. Freilich ist nicht nur HDR von katholischen Fäden durchwoben—; …Muss mich mal umgucken, ob ich nicht noch mal was zu meinen Tolkien-Erlebnissen machen kann.
merzmensch
Bei meiner Lektüre von LOTR habe ich stets versucht, diese religiösen Hintergrunde auszuschalten, sonst müsste ich das Buch bereits nach der zweiten Seite frustriert in die Ecke werfen (und bei dem Umfang wäre es sogar gefährlich gewesen).
Mich hat daran das kitschig-erhabene fasziniert. Ich weiß, jeder hat seine Grillen, ich persönlich fahre voll auf dem Trip des Erhabenen ab - sei es Dante, Tolkien oder HalfLife2. Manchmal brauche ich so etwas. Also, völlig kritikfrei (in dem Moment zumindest).
Doch wenn man anfängt nachzudenken, was da eigentlich erhaben sein soll, welche Metaphorik, welche möglichen kulturelle Anspielungen oder Intertextualität hinter den Lichtungen im finsteren Wald verbirgt, da verliere ich jegliche Lust und gehe lieber Borges oder Landolfi lesen.
molosovsky Besitzerin
Hi merzmensch.
LOTR ist wäre wohl strahlendes Beispiel für eine »Literaturgeschichte der Missverständnisse«.
Landolfi: kenn ich nicht. Muss ich mal antiquarisch stöbern gehen. Italienischer Surrealismus klingt ja spannend.
Apropos Dante: hast Du »Dantes Inferno« mitbekommen?
simifilm
Schön, mal wieder was Längeres von Dir zu lesen. Ich hatte schon Angst, die Molochronik sei mittlerweile sanft entschlafen.
Zu Deinen interessanten Ausführungen nur noch kurz die obligate methodische Meckerei: Anspielungen auf biblische Motive alleine sagen ja noch nichts über den religiösen Gehalt respektive die Intention eines Autors aus. Brecht beispielsweise ist ein Autor, der laufend biblische Motive verwendet und dessen Sprache ohne Bibel fast nicht denkbar ist, der aber natürlich keineswegs eine religiöse Botschaft verbreitet.
Von einer anderen Perspektive aus betrachtet ist es ja auch nicht weiter erstaunlich, dass in einem modernen "Kunstmythos" biblische Anklänge zu finden sind. Motive wie der Brudermord finden sich wahrscheinlich in so ziemlich allen Mythentraditionen, die Kain-und-Abel-Variante ist in unserem Kulturkreis einfach die bekannteste (dass sich das Christentum – wie alle anderen Religionen – bei bestehenden Mythen bedient hat, merkst Du ja auch an). Will sagen: Viele typische Mythen-Motive sind eben auch typisch Bibel-Motive (und vice versa).
Das heisst natürlich keineswegs, dass LOTR nicht christlich geprägt ist. Tolkiens eigene Aussagen lassen daran ja keinen Zweifel aufkommen. Dass diese Prägung aber in ihrer neomythischen Variante eine ziemlich spezielle ist, zeigst Du ja schön. Interessant wäre hier vielleicht ein Vergleich mit dem Narnia-Zyklus, der ja ebenfalls durch und durch christlich ist, an dem Tolkien meines Wissens aber keine Freude hat.
molosovsky Besitzerin
Hallo Simi.
Leider muss ich Deine Freude dämpfen, denn dieser Eintrag ist mitnichten neu. Habe aber zu dieser Polemik heute eine sehr nette eMail von einem Leser bekommen, dem der Text gefällt, der mich aber freundlich darauf hingewiesen hat, dass der Text vor Fehlern strotzt. Also habe ich mal eine Rechtschreibkorrektur drüber laufen lassen und einige Satzkrüppel gemerzt.
Du hast natürlich vollkommen Recht, dass das Verwenden von biblischen Motiven allein noch lange nicht bedeutet, dass damit auch christliche Gesinnung einhergeht. Wichtig war mir bei diesem Text, herauszuarbeiten, dass Tolkien sich nur an den Haaren herbeigezogen als Posterboy für neo-heidnische Gesinnung eignet, bzw. wollte ich den vermeintlichen ›naiven‹ Leseweisen der unbedarften Fantasy-Pfadfinder den ein oder anderen Denk- und Rechercheanstoß mit auf den Weg geben.
Übrigens möchte an dieser Stelle noch auf das empfehlenswerte Buch von Tom Shippey »J. R. R. Tolkien – Autor des Jahrhunderts« hinweisen, in dem sich ebenfalls schöne Aufschlüsselungen der religiös-philosophischen Absichten des Mittelerdemeisters finden.
thefallenangel
... simis erstem absatz an, speziell dem 2. satz da.
ich vermisse den wochenrückblick (oder wie auch immer der genau hieß^^) mit den ganzen kunterbunten, aber zumeist sehr interssanten links doch sehr.
gruß -TFA-
ps. außerdem fehlt mir noch eine 'reamde' rezi von dir, molo, für mein archiv^^