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Richtig gute SF — Neal Stephenson: »The Diamond Age«

Eintrag No. 96 — Zu der Frage, was gute SF sei, habe ich im SF-Netzwerk einige Beiträge geschrieben (hier ein Link zu meiner ersten Meldung dort).

Neal Stephenson bietet für meinen Geschmack mit »The Diamond Age« ein feines Beispiel für gute Science-Fiction an. Auf Englisch habe ich den Roman vor einigen Jahren mal angefangen, bin aber durch einen Umzug unterbrochen worden. Vor Kurzem habe ich die hiesige Taschenbuchausgabe aus dem Ramsch gezogen und nutzte die Gelegenheit, das Buch bilingual fertig zu lesen.

Zur Handlung:

Die Welt nach der nanotechnologischen Wende irgendwann gegen Ende des 21. Jahrhunderts. Die Handlung spielt größtenteils in Shanghai, Nebenschauplätze sind Vancouver, Californien, London. Erste Stärke für mich dabei: keine genaue Festlegung des Datums der Handlung, oder der vorausgegangenen fiktiven zukünftigen historischen Weltereignisse.

Da ist die Handlung um Hackworth, genialer Artifex der Nanotechnik, Angehöriger der Viktorianer (einer der mächtigsten Stämme, Clans, Gruppen, oder wie immer man die nicht-territorialen Patchwort-Staaten nennen mag; andere sind die Küstenrepubliken, das Himmlische Königreich und viele mehr). Für den Dividenden-Lord Finkle-McGraw entwirft und fertigt er das Original der »Fibel für junge Damen«, ein Wunderwerk der Kombination von Buch, Nanotechnik, Pädagoge, Künstlicher Intelligenz. Hackworth fertigt mit Hilfe des mysteriösen Dr. X. eine illegle Kopie der Fibel an, wird auf dem Heimweg überfallen und die Kopie landet bei der kleinen Nell.

Nell ist die Heldin des Buches im Doppelsinn: einmal als Primärprotagonistin, deren Leben »The Diamond Age« über circa 20 Jahre begleitet, und innerhalb der Geschichte als Schülerin der sie erziehenden und beschützenden Fibel. Stephenson schwingt sich zu iconographischen Höhenflügen auf, die man nur noch mit der christlichen oder superheldencomicartigen Bildsphäre vergleichen kann (Nell als Heilige, als erste weibliche große erfolgreiche Revolutionsgestalt der Geschichte als Ende von Kapitel 72). Die vierjährige Nell stammt aus den den unteren Sozialstrata der Zukunftsgesellschaft, lebt bei ihrer alleinerziehenden Mutter, und wird von der Fibel regelrecht errettet.

Das Buch geizt nicht mit Nebenfiguren, die für meinen Geschmack sehr gut und anschaulich (lebendig) geschildert sind. So die Cyber-Schauspielerin Miranda die der Fibel die echte menschliche Stimme verleiht und zu einer niegesehenen Mutter für Nell wird, und ihr Boss Carl Hollywood; oder Richter Fang von den Küstenrepubliken, seine Beziehung zu dem Bösewicht Dr. X., aus dem Himmlischen Königreich und seine Ermittlungen … um nur einige der wichtigen interessanten Figuren zu nennen, deren Handlungen alle irgendwie mit dem Schicksal von Nell und ihrer Fibel zusammenhängen.

Der Schluß, also die letzten 50 Seiten sind ein Wahnsinn. Der große Schlußakkord an Aktion und Ineinander der Motive erfolgt wirklich auf den letzten Zeilen … mir fällt als vergleichbar lediglich das Ende von Helmut Kraussers »Melodien« oder John Irvings »Owen Meany« ein.

Struktur und Summa:

Das Buch teil sich in zwei Hälften. Die Kapitel sind in der Regel kurz gehalten, so daß es auf den 575 Seiten 74 davon gibt, jedes mit einer notizhaften Inhaltsangabe überschrieben (schöne Referenz an Tradition, siehe alte Bücher). Stephenson schreibt weitestgehend elegant, nur manchmal war mir das clevere Erklärungsgeklimper zu den zugestanden originellen Technikvisionen zu lang … aber ich habs halt nicht so mit Haarkleinbeschreibungen von Technik in Romanen. Aufgefallen ist mir, daß mich in der zweiten Hälfte des Buches kaum noch etwas was den Figuren widerfährt so gefesselt hat, wie in der ersten Hälfte. Spätestens im letzten Drittel übernimmt mehr und mehr die Spannung, wie die vielen einzelnen Fäden des Buches zusammenfinden. Das ähnelt im Guten (Suspense) wie im Schlechten (Sterilität) dem Eindruck, wenn man ein Uhrwerk oder eine Automate beobachtet … anders gesagt: die Programm-Natur, die aller Kunst innewohnt, tritt markant hervor. Das hat mich nur einmal (in der zweiten Hälfte) bei Passagen über die finsternsten Aspekte von Nells Leben gestört. Nell wird von Aufständischen als Spaßsklavin gehalten, sexuell mißbraucht (wie schon in ihrer Kindheit) und mehrfach vergewaltigt - für meinen Geschmack bedient sich Stephenson hier ca. 2 Seiten lang einen zu aseptischen Ton (Kapitel 72, Seite 542). Ist aber heikle Kiste, ich will darüber nicht richten müssen.

Der große Aufhäger von »Diamond Age«, der radikale weltweite Strukturwandel durch die fruchtbare Anwendung von Nanotechnologie in allen erdenklichen Lebens- und Gesellschaftsbelangen, von Energiegewinnung, über Güter-Produktion und Konsumtion, Kommunikation und Informationsverarbeitung ist gut druchdacht. Mir symphatisch dabei, daß Stephenson trotz der vielen extrapolierten Details uns nix vorjubeln will, wie toll das alles doch ist. In seiner facettenreichen Technik-Utopie versteht er es zum Beispiel, das glitzende Zukunftsglück und die faszinierenden Gadgets seiner Welt mit menschlichen Alltagsmiseren und sozialem Elend zu konstrastieren, und sozusagen nebenbei einige der ewigen Menschenprobleme zu behandeln.

Nach »The Diamond Age« vertraue ich Stephenson soweit, daß ich mir »Quicksilver« besorgt habe und mich dort inzwischen hochvergnügt auf Seite 200 tummle. Stephenson hat für ein weinig Irritation sowohl bei SF-Fans als auch im Feuilliton (damit meine ich die nicht nur auf Deutschland beschränkte etablierte allgemeine Literaturkritik) gesorgt, als er ankündigte einen dreiteiligen dickbuchigen Zyklus über die Epoche des Barock zu schreiben, mit Newton, Peyps, Leibnitz und anderen historischen Persönlchkeiten als Romanfiguren, sowie einem Vorfahren des Helden Waterhouse aus »Cryptonomicon« (auch schon keine richtige SF mehr). Das alles begrüße ich als Weg eines Schriftstellers, der sich von Genre-Grenzen oder anderen Betrachtungsschubladen in seinem erzählerischen Fortgang nicht irritieren läßt und seinem Thema in der jeweils besten Umgebung nachgeht … ein Vermittler zwischen verschiedenen Traditionen der Literatur, hochgebildeter Kenner vieler Wissensgebiete und besorgter Beobachter der Zeitläufte. All diese allgemeinen Qualitäten von Stephenson bietet auch »The Diamond Age«. Kann man mehr von einem Buch verlangen?

SPOILER WARNUNG: Wer den Roman noch nicht gelesen hat, möchte diesen Beitrag bitte vorsichtig lesen, ich verrate viel vom Inhalt, was einem die Freud am Buch verderben könnte.

Auszüge und Anmerkungen:

Meine persönlichen Anmerkungen stehen in {geschwungenen} Klammern.

Wohl eine der deutlichsten Reflektion über Form und Stil im Buch findet sich auf

Seite 87: Hackworth hatte sich die Mühe gemacht, einige chinesische Schriftzeichen zu lernen und sich mit den Grundprinzipien der fremden Denkweise vertraut zu machen, aber im großen und ganzen hatte er seine Transzendenz lieber unverhohlen und bloßliegend, so daß er sie im Auge behalten konnte — beispielsweise in einem hübschen Schaukasten aus Glas —, und nicht in den Stoff des Lebens eingewoben wie Goldfäden in Brokat.

Über Öffentlichkeit, Politik und Moral:

Seite 223: »Wissen Sie, als ich ein junger Mann war, galt Scheinheiligkeit als schlimmstes aller Laster«, sagte Finkle-McGraw. »Das lag einzig und allein am moralischen Relativismus. Sehen Sie, in jenem Klima stand es einem nicht zu, andere zu kritisieren - immerhin, wenn es kein absolutes Richtig oder Falsch gibt, welche Basis gäbe es dann für Kritik?« {…}

Seite 224: »Nun, das führte zu einer Menge allgemeiner Frusttration, denn die Menschen sond von Natur aus tadelsüchtig und lieben nichts mehr, als die Unzulänglichkeiten anderer zu kritisieren. Aus diesem Grund stürzten sie sich auf die Scheinheiligkeit und erhoben sie von einer läßlichen Sunde in den Rang der Königin aller Laster. Denn, sehen Sie, selbst es kein Richtig oder Falsch gibt, kann man Gründe finden, einen anderen Menschen zu kritisieren, indem man vergleicht, was er sagt und wie er tatsächlich handelt. In diesem Falle maßt man sich kein Urteil darüber an, ob seine Ansichten oder die Moral seines Verhaltens richtig oder falsch sind — man weißt lediglich darauf hin, daß er etwas predigt, aber etwas anderes tut. In meiner Jugendzeit lief pralktisch der gesamte politische Diskurs darauf hinaus, die Scheinheiligkeit auszurotten.« {…}

Seite 225: »Weil sie scheinheilig waren … wurden die Viktorianer Ende des Zwanzigsten Jahrhunderts verachtet. Selbstverständlich hatten sich viele Leute, die diesen Standpunkt teilten, selbst des schändlichsten Verhaltens schuldig gemacht, und doch sahen sie kein Paradoxon in ihren Ansichten, da sie selbst nicht scheinheilig waren — sie erhoben keine moralischen Maßstäbe und lebten nach keinen.« / »Demnach waren sie den Viktorianern moralisch überlegen … obwohl — besser gesagt, weil — sie gar keine Moral hatten.«

Tja, welche Lehre läßt sich ziehen aus der Erkenntnis (oder Ansicht), daß Kritik nicht möglich ist, wenn allgemeine Abmachung darüber fehlen, was richtig oder falsch ist, gut oder schlecht? Für meinen Teil will ich mich nicht auf meinen Geschmack als Refugium meiner persönlichen Freiheit zurückziehen, um ansonsten anzunehmen, daß sowas wie die natürliche Fress- und Hackordnung die feine oder bescheidene Position einer ästhetischen Haltung bestimmt.

Schöne Spekulation über den Grund der Sehnsucht nach einer Rückkehr der guten Sitten:

Seite 226: In einer Ära, wo man alles überwachen kann, bleibt uns nichts anderes als die Höflichkeit.

Richter Fang zitiert in Gedanken Konfuzius und läßt damit das große Thema von »The Diamond Age« erklingen. Gar nicht so weit weg von dem, was ich unter Aufklärung verstehe:

Seite 287: Die Alten, welche überall im Königreich erhabene Tugend demonstrieren wollten, brachten zuerst ihr eigenes Dasein in Ordnung. Im Wunsch, ihr eigenes Dasein in Ordnung zu bringen, reglementierten sie zuerst ihre Familien. In dem Wunsch, ihre Familien zu reglementieren, kultivierten sie als erstes ihre Persönlichkeit. In dem Wunsch, ihre Persönlichkeit zu kultivieren, korrgierten sie zuerst ihr Herz. In dem Wunsch, ihr Herz zu korrigieren, trachteten sie als erstes danach, aufrichtigen Denkens zu sein. In dem Wunsch, aufrichtigen Denkens zu sein, erwarben sie als erstes höchstes Wissen. Dieser Erwerb höchsten Wissens lag in der Untersuchung von Dingen … Vom Sohn des Himmels bis hinab zur Masse des Wolkes müssen alle die Kultivierung ihrer Persönlichkeit als Wurzel für alles andere betrachten.

Über die Auflösung der Nationalstaaten. Wir leben meiner Ansicht nach ja derzeit in der Phase, wo sie sich noch heftig in Todeskrämpfen winden.

Seite 317: Carl Hoillywood: »Das Mediennetz wurde von Grund auf konstruiert, um Privatsphäre und Sicherheit zu gewährleisten, damit die Leute es auch für Geldtransfers benutzen konnten. Das ist ein Grund, weswegen die Nationalstaaten zerfallen sind — sobald das Mediennetz errichtet war, konnten die Regierungen finanzielle Transaktionen nicht mehr überwachen, und das Steuersystem wurde hinfällig.«

Das Mediennetz in dem Buch ist eine Weiterentwicklung des Internets von heute. So unterscheidet man zwischen klassischen (oder altmodischen) Passiven, womit Filme wie wir sie kennen gemeint sind, und Raktiven, vergleichbar den Star Trek-Holodecks, also Live-Rollenspiel in einem komponierten Narrationsgitter. Siehe auch: die Macher von »Deus Ex« sprechen bei den Levels ihres PC-Spiels von Möglichkeitsräumen.

Beste »Dracula«-Empfindsamkeit und Zurückhaltung. »Dracula« von Bram Stoker kann man getrost als einen Schlüsselroman der Viktorianischen Epoche bezeichnen, und es überrascht mich also nicht, hier Spuren seines emotionellen Taktes wiederzufinden.

Seite 336: Gwendoline Hackworth: »Mein Mann schreibt mir jede Woche Briefe, aber sie sind überaus allgemein gehalten, unverbindlich und oberflächlich. In den letzten Monaten tauchen immer mehr befremdliche Bilder und Emotionen in diesen Briefen auf. Sind sind - bizarr. Ich fürchte um die geistige Stabilität meines Mannes und um die Aussichten eines jeden Unterfangens, das von seinem Urteilsvermögen abhängen könnte.«

Über Sinnvermittlung.

Seite 351: Mr. Beck: »Lästige Unterscheidungen interessieren mich nicht. Ich interessiere mich nur für eines … und das ist der Einsatz von Technologie, um Sinn zu vermitteln.« Zumindest vom anglo-amerikanischen Narrationstzerrain weiß ich (oder habe den Eindruck), daß dort das Motiv vom aus dem Unter- oder Hintergrund agierenden Aufkläreren verbreiteter ist, als in Deutschland … hierzulande ehr anrüchiig und bisweilen ein Tabu, kann aber auch sein, daß ich diesbezüglich leicht paranoid bin.

Weitere Passage zu der Spannung zwischen Ethik und Technik.

Seite 384: Der Vatikan hatte eine große Zahl ernster ethischer Vorbehalte gegen die Nanotechnologie, aber schoießlich hatte man sich darauf geeinigt, daß sie okey war, wenn nicht mit der DNS herumgespielt oder direkte Schnittstellen mit dem menschlichen Gehirn geschaffen wurden.

Die beschriebene Ansicht empfinde ich als sehr richtig. Ich kann die vorauseilende Bereitschaft von Zeitgenossen zum Einbau von Hirnbuchsen (oder sonstiger Schnittstellen zwischen Hirn und Technik) nicht nachvollziehen.

Weiteres zu Moral, inzwischen von Hauptfigur Nell selbst.

Seite 410: »Ich glaube, ich bin endlich dahintergekommen, was Sie mir vor Jahren sagen wollten, über die Notwendigkeit, intelligent zu sein. {…} Die Vickys {= Neo-Viktorianer} haben einen komplizierten Moral- und Verhaltenskodex. Er entstand aufgrund der moralischen Verkommenheit einer früheren Generation, genau wie den ursprünglichen Viktorianiern die Gregorianer und die Regentschaft vorausgegangen sind. Die alte Garde glaubt an diesen Kodex, weil sie durch Schaden klug geworden sind. Sie erziehen ihre Kinder dazu, den Kodex zu respektieren - aber ihre Kinder glauben aus gänzlich anderen Grunden daran. {…} Einige stellen ihn niemals in Frage - sie wachsen zu kleingeistigen Menschen heran, die sagen können, was sie glauben, aber nicht, warum. Andere, desillusioniert die Scheinheiligkeit der Gesellschaft, und sie rebellieren.« / »Für welchen Weg entscheidest du dich, Nell?«, fragte der Constable … »Konformismus oder Rebellion?« / »Weder noch. Beide sind ein wenig schlicht - sie sind nur für Menschen, die nicht mit Widersprüchen und Zweideutigkeit fertig werden.«

Ein Buch des von mir wertgeschätzten Umberto Eco aus den Jahren 1964/1978 heißt »Apokalyptiker und Intergierte - Zur kritischen Kritik der Massenkultur«, in dem es bisweilen um die gleichen Dinge geht, wie bei Stephenson … nur nicht mit soviel Spezial FX natürlich.

Die Neo-Viktorianer wollen mehr Künstler in ihrer Gesellschaft.

Seite 421: Dividenden-Lord Finkle-McGraw fragt Carl Hollywood: »Glauben Sie, wir ermutigen unsere eigenen Kinder nicht genug, sich den Künsten zuzuwenden, oder sind wir für Männer ihres Schlages nicht anziehend genug, oder beides?« / »Bei allem gebührenden respekt, Euer Gnaden, bin ich mit Ihrer Prämisse nicht unbedingt einverstanden. New Atlantis kann auf zahlreiche bedeutende Künstler zurückgreifen.« / »Ach kommen Sie. Warum kommen sie denn alle von außerhalb des Stamms wie Sie selbst? Im Ernst, Mr. Hollywood, hätten Sie den Eid überhaupt abgelegt, wenn es aufgrund Ihrer Tätigkeit als Theaterpriduzent nicht von Vorteil für Sie gewesen wäre? {…} Es kommt Ihnen gut zupaß, weil Sie inzwischen ein gewissen Alter erreicht haben. Sie sind ein erfolgreicher und etablierter Künstler. Das unstete Leben eines Bohemiens kann Ihnen nichts mehr bieten. Aber hätten Sie Ihre derzeitige Position erreicht, wenn Sie dieses Leben nicht früher geführt hätten?« / »Jetzt, wo Sie es so ausdrücken … stimme ich zu, daß wir versuchen könnten, in Zukunft gewisse Vorkehrungen zu treffen, für junge Bohemiens — « / »Das würde nicht funktionieren … darüber denke ich schon seit Jahren nach. Ich hatte denselben Einfall: eine Art Freizeitpark für junge künstlerische Bohemiens einzurichten, in allen Städten verstreut, damit junge Atlanter mit entsprechenden Neigungen sich versammeln und subversiv sein können, falls ihnen danach zu mute ist. Aber die Vorstellung allein ist ein Widerspruch in sich, Mr. Hollywod, ich habe im vergangenen Jahrzehnt oder so viel Mühe darauf verwandt, das Subversive systematisch zu ermutigen.«

Denn:

Seite 421: »… darin liegt die Daseinsberechtigung eines Dividenden-Lords - die Interessen der gesamten Gesellschaft im Blick zu haben, anstatt die eigene Firma zu melken oder was immer.«

Angesichts der Politiker-, Manager- und Beraterskandale hierzulande (aber auch anderswo) spricht mich zumindest diese Passage sehr an. Leben wir wirklich noch in einer primitiven Zeit, in der jeder (und vor allem die Mächtigen, alle mit ›Gelegenheit‹) nur den eigenen Beutel füllt, oder verstehe ich kleiner Fuzzi die Handlungen der Mächtigen und Reichen nicht, die sich durchaus im Sinne der Weltgemeinschaft Sorgen und entsprechend agieren?

Teil einer »So ist der Lauf der Welt«-Rede von Madame Ping zu Nell.

Seite 429: »Im Grunde genommen gibt es nur zwei Industriezweige. Das ist immer so gewesen. {…} Die Industrie der Sachen und die Industrie der Unterhaltung. Die Industrie der Sachen kommt zuerst. Sie hält uns am Leben. Aber heutzutage, wo wir den Feeder haben, ist es nicht mehr schwer, Sachen zu machen. Es ist keine besonders interessante Branche mehr. / Wenn die Menschen alles haben, was sie zum Leben brauchen, ist der Rest nur noch Unterhaltung. Alles.«

Interessant wie sich diese Passage mit der Aussage von Mr. Beck im Auszug von Seite 351 reibt, denn Mr. Beck geht es primär um die Vermittlung von Sinn. Sinn taucht bei Madame Ping aber nicht auf, außer weitläufig im Bereich der Sachen, so wie Lebensmittel sinnvoll sind, wenn man hungerig ist.

Nell denkt über ihre Arbeit (Design von Raktiven) nach.

Seite 464: Seit frühester Kindheit erfand sie Geschichten und erzählte sie der Fibel, und nicht selten wurden sie verarbeitet und in die Geschichten der Fibel eingegliedert. Für Nell war es ganz natürlich, dieselbe Arbeit für madame Ping zu tun. Aber nun hatte ihre Chefin von einer Darbietung gesprochen, und Nell mußte gestehen, daß es in gewissem Sinne eine war. Ihre Geschichten wurden verarbeitet, zwar nicht von der Fibel, sondern von einem anderen Menschen, und so wurden so Bestandteil des Denkens dieser anderen Person. / Das schien durchaus einfach zu sein, aber die Vorstellung beunruhigte sie aus einem Grund, der ihr erst bewußt wurde, als sie mehrere Stunden im Halbschlag darüber nachgedacht hatte.

Wohl jeder angehende oder etablierte Autor (oder allgemein Künstler/Unterhalter) hat sich darüber schon mal den Kopf zerbrochen … oder sollte es zumindest. Will ich nur unterhalten, will ich Sinn vermitteln, Trost spenden (siehe Tolkien), Sozialkritik üben? usw.

ZUGABE: Schmankerl:

Ha, ein deutsches Wort im Original (ROK-Taschebuchausgabe).

Seite 337: »It didn't matter which brain a {Nano}´site was in. The all talked to one another indiscriminately, forming a network. Get some Drummers together in a dark room, and they become a gestalt society.«

Übersetzt (wieder ausm Goldmann-Tachenbuch).

Seite 389: »Es spielte keine Rolle, in welchem Gehirn sich die ´siten befanden. Sie redeten alle gleichwertig miteinander und bildeten eine Art Netz. Pferchen Sie ein paar Tromler in einem dunklem Raum zusammen, und sie werden zu einer Gestaltgesellschaft.«

Habe laut gelacht bei folgendem Satz.

Seite 375: Er sollte besser von hier verschwinden, bevor er wieder Sex mit jemanden hatte, den er nicht kannte.

Wirklich lustiger Schnitzer — naja — mangelndes Fingerspitzengefühl von Joachim Körber. Mannbarkeit wird von ihm ernsthaft auf eine Vertreterin des weiblichen Geschlechtes angewendet.

Seite 380: Die Mannbarkeit hatte ihr jede Menge Merkmale verliehen, die die Aufmerksamkeit des anderen Geschlechts und von Frauen mit entsprechenden Neigungen auf sich zogen.

Zum Vergleich die gleiche Stelle im Original:

Seite 329: Maturity had given her any number of features that would draw the attention of the opposite sex, and of women so inclined.

Geiler historischer Fachbegriff des 21. Jahrhunderts bezüglich der Massenvernichtungswaffen des 20. Jahrhunderts:

Seite 443: Elizabethanische Atombomben.

Bumm und Ende.

Material zum Kapieren: »The Matrix«-Trilogie

(Film) – Dieser Beitrag ist für alle, die Probleme mit dem Kapieren des ganzen MATRIX-Schwurbels haben, und sich nicht durch englische Texte wühlen wollen. {Hey Ihr jungen Erwachsenen, als Teenager hab ich mit Büchern von Clive Barker und Fritz Leiber Englisch gelernt, und mit guten Comics. Und Filme? … Guckt mal hier, wie man zum Beispiel in X-Men (2000) veräppelt wird mit der deutschen Synchro.}

Ich will hier nicht näher auf die philosophischen Spekulationen der Filme eingehen und lasse also alle Aussagen zu Begriffen wie Schicksal, Kontrolle, Wirlkichkeit, Bestimmung und Freiheit außer Acht. Ebenso trage ich hier keine eigenen Theorien zu Farbsymbolik oder sonstigen Hermeneutiken der Filme bei. Doch hoffe ich, all dies hier erleichtert manchen die Freude an eigenen Interpretation der Filme.

Übersicht: Realitäten der Matrix-Trilogie

Ebene Null / The Matrix (grün):

Die Welt unserer Gegenwart 1998. (»Call trans opt: received. 2-19-98   13:24:18 REC:Log> Trace programm: running« = Beginn von Teil 1, Hervorhebung von mir. Die Matrix des Jon Anderson ist also im Jahre 1998, dem Kinojahr des ersten Films angesiedelt.) - Hier ist der Verstand (mind, auch Geist-Gemüt und Sinn, im Film auch Restselbstbild genannt) der Menschen in einer neuro-interaktiven Simulation gefangen … in dieser Simulation bewacht von den Agenten-Programmen (Mr. Smith und Co.) der Maschinen. John Anderson/Neo wird aus dieser Illusion durch Morpheus befreit. Es tummeln sich hier außerdem Programme aus dem Quellcode, die nicht gelöscht werden wollten oder konnten. Manche von diesen sogenannten Exilanten unterstützen die Menschen und Hacker (Orakel, Seraph, Schlüsselmacher), andere nutzen mit ihren Insider-Fähigkeiten die Menschen aus (Merowinger, Trainman).

Ebene Eins / ZERO-ONE & ZION (blau):

Die Welt der Zukunft um das Jahr 2199. Die Erdoberfläche ist eine postapokalypische Wüstenei und Herrschaftsbereich der Maschinen. {Ein Höhepunkt der Matrix-Produkte: Die beiden Zeichentrickepisoden »The Second Renaissance« aus der Animatrix-Kollektion erzählen die historischen Entwicklungen der Götterdämmerung, die zu den Waste-Lands geführt haben.} Vom Zweistromland aus hat sich um ???? herum Zero-One, die Stadt der Maschinen, ausgebreitet. Hier gibt es die Kraftwerke mit den Menschenbatterien und die Babyplantagen … die hier exploitierten Individuuen leben in der vorgegauckelten Matrixwelt der Ebene Null. — Ungefähr dreitausend Meter unter der Erdoberfläche liegt Zion , die letzte Stadt der freien Menschen (Zion-Eingeborene ohne, aus den Kraftwerken Befreite mit Körper-Buchsen). Mit den Hovercrafts (die alle lustige mythologische Namen tragen) düsen die Hacker durch die Trümmerwelt nahe der Oberfläche, um sich per Piratenfunk in die Ebene Null-Matrix einzumischen. An Bord der Hovercrafts und in Zion trainieren die Menschen in kleinen, unabhängigen Versionen der Matrix, sogenannten Konstrukten (weiße Ladeprogramme). Die Hovercrafts werden von den tintenfischartigen Sentinels (Wächtern) der Maschinen gejagd. Als die Maschinen die Position Zions entdecken, bohren große Drillmaschinen einen Angriffstunnel dorthin.

Zion und Zion-Archive (Rot) : In den Archiven ist das gesammelte (lückenhafte) Wissen der freien Menschen gespeichert. Delikat dabei, daß die freien Menschen nicht so wirklich wissen, wie die großen Lebensversorgungsmaschinen von Zion (z.B. Wasseraufbereitung) funktionieren. Zion ist stark befestigt und das Hovercraft-Dock wird aus einem weißen Controll-Konstrukt gesteuert.

Zero-One und Quellcode (Weiß) : In einem geheimen Stockwerk eines Ebene Null-Gebäudes befindet sich ein unendlicher weißer Gang (mit grünen Türen), durch den man in einen besonderen Raum gelangt, in dem eine ganz besondere Tür zum Quellcode der Matrix (so genannt im Film, Teil 2 im Monolog des Keymaker … welche gemeint ist, bleibt unklar) führt. Nur besondere Programme und waghalsige Hacker dringen in den weißen Gang vor … nur Neo, Morpheus und der Keymaker schaffen es in den Vorraum … allein Neo durchschreitet die Tür aus weißem Licht. Indem er sich im Kreisraum des Architekten für die Rettung von Trinity entscheidet, speißt Neo das neue Programm (¿»Liebe«?) in den Quellcode der Matrix (Bezug auf welche wieder offen). Schon zuvor begann als Umkehrung der reifenden Liebe ( …Deinen nächsten wie Dich selbst… ) Agent Smith einen Ebene Null-Menschen nach dem anderen zu absorbieren, seine (Egomanie-)Liebe macht alle gleich.

Genaues Datum – so es gegeben wird – will ich noch ergänzen.

Ebene Zwei / MATRIX-IN-MATRIX, QUELLCODE & ZION-ARCHIVE:

Die echte Wirklichkeit, oder eine weitere Verschachtelung?

Neos telekinetische Abwehr — oder die Shut-Down-Reaktion — der Sentinels am Ende von »Matrix Reloaded« läßt vermuten, daß auch die Wirklichkeit von Zero-One/Zion eine weitere Matrix ist (»Ich kann sie spüren… «). Die Szene erschließt sich vielleicht, wenn man ausformuliert, welche Prämisse sie wahrscheinlich vertritt: Neo darf nichts geschehen (vielleicht rettet ihn auch die unsichtbare Hand des pragmatischen Architekten … vielleicht beruhen Neos wunderliche Kräfte in der Ebene Eins von einem speziellen Hackercode, der ihm von Persephone beim Kuss im Edel-Klo übermittelt wurde), denn noch ist es möglich, daß er und Smith den Zusammenbruch der Matrix aufhalten. Ob das Ineinanderschachteln von Welten auf dieser Ebene endet oder immer munter weitergeht, wird nicht geklärt. Einen interessanten Ausblick und Grund zu munteren Spekulationen über solche weitere Verschachtelungen bietet die letzte Folge der Animatix-Kollektion »Imatriculated«.

Mobile Avenue: Eine vom Trainman beherrschte weiße U-Bahn-Station (mit grüner Beschriftung und Boden). Wir wissen nicht, wie beweglich dieses entführte Koppel-Konstrukt ist, wir wissen nur, daß sich über diese Schleuse Programme aus der Maschinenwelt (Quellcode, Zero-One) in die Gefängnis-Matrix (Ebene Null) ins Exil/Asyl aufmachen. Die Geschäfte einer Trainman-Fähre vermittelt der Merowinger. – Als Neo nach der Begegnung mit den Sentinels am Ende von »Reloaded« (Ebene Eins Welt) ins Koma fällt, taucht sein Restselbstbild hier auf.

Der Architekt und sein Kreisraum: Wir wissen nicht genau, wie der runde Raum mit den zwei Türen aussieht, am wahrscheinlichsten ist aber, daß er eine am Äquator geteilte Hohlspähre ist (oder halt: eine umgedrehte Salatschüssel). Da der Architekt alle Gleichungen der Matrix ausgleicht, liegt es nahe anzunehmen, daß er von hier aus auf alle Matrix-Ebenen Einsicht und Zugang hat (blanke Vermutung von mir). Man bemerke am Beginn der Szene von Neos Verhör durch Smith in Matrix Teil 1 das erste Auftauchen der Architekten-Bildschrime eben dieses Kriesraums.

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Versäumen Sie nicht diese anderen Beisträge zur Matrix-Trilogie: • Gedanken zu MATRIXWas der Architekt sagt

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