molochronik

Umberto Eco: »Mögliche Wälder« — Zusammenfassung

Eintrag No. 87 — Wieder ist es ein Text von Umberto Eco, in dem ich hilfreiche Anregungen gefunden habe, um die die Frage nach den Qualitäten von guter Science Fiction (oder allgemein Phantastik) zu verhandeln.

Die Havard-Vorlesungen aus dem Jahre 1994 »Mögliche Wälder« umfaßt 25 Seiten (zu finden in Im Wald der Fiktionen — Deutscher Taschenbuch Verlag 1996, S. 101ff).

••• Musik beim Zusammenfassen: H.R.Kunze »Korrekt«, Track 01: Der Wald vor lauter Bäumen.

Gemeinsam mit der Zusammenfassung des Vortrages »Die Welten der Science-Fiction« (und erst recht, wenn man Eco selbst kosultiert) hoffe ich allen Phantastik-Lesen ein wenig Handhabe liefern können, mit der sich ahnugslose Verächter und Geringschätzer von SF-, Horror- und Fantasyliteratur schön genüßlich in der Luft zerpflücken lassen.

Zusammenfassung »Mögliche Wälder«:

Eröffnungs-Anekdote: Über die Lächerlichkeit der Frage von König Vittorio Emanuel III anläßlich seiner Betrachtung eines Gemäldes (ländliche Idylle):

»Wie viele Bewohner hat das Dorf?«

Grundregel Fiktionsvertrag:

(Zitat Coleridge:

»Willing suspension of disbelief«

= willentliche, freiwillige Aussetzung/Unterlassung der Ungläubigkeit/des Zweifels)

  • Der Autor tut so, als ob er die Wahrheit sagt;
  • Der Leser tut so, als wäre das, was Autor erzählt, wirklich geschehen.

Ecos Beobachtung: bis zu einer Auflagenstärke von einigen 1000 Büchern kennen die Leser den Fiktionsvertrag; aber spätestens ab einer Millionen haben viele scheinbar nie von ihm gehört.

Beispiel: Ein Leser des »Foucaultschen Pendels« (der moniert, daß ein Brand aus wirklicher Welt in der Beschreibung Paris fehlt) geht also für Eco zu weit, …

»…als er verlangte, eine ausgedachte Geschichte müsse restlos und vollständig mit der wirklichen Welt, auf die sie sich bezieht, übereinstimmen.«

Also:

»Wie es scheint, suspendieren wir unsere Ungläubigkeit auf einige Dinge, und nicht auf andere«

z.B. wenn Leser bei den Brüdern Grimm zwar den sprechenden Wolf akzeptieren, jedoch erstmal annehmen, daß Rotkäppchen tod ist, ›nur‹ weil der Wolf sie gefressen hat.

Die Frage von König Vittorio Emanuel III ist also gar nicht sooo lächerlich, denn der Zauber jeder erzählenden Fiktion ist, …

»… daß sie uns in die Grenzen einer Welt einschließt und irgendwie dazu bringt, diese Welt ernst zu nehmen.«

{Wobei entsprechend ihrer Art eine Fiktion ›Ernst zu nehmen‹ sich zwei verschiedene Grundhaltungen unterscheiden: einerseits der des logischen, andererseits der des empathischen Mitdenkens und Nachvollziehens.}

Fiktive Welten basieren immer auf der realen Welt.

Manzonis {»Die Brautleute«} Landschaftsbeschreibung gründen auf geographischen Merkmalen der realen Welt. Kafka führt in »Die Verwandlung« die ungeheuerliche Veränderung von Georg Samsa vor dem Hintergrund einer realistischen Welt ein (sprich: das Zimmer, die Reaktion der Familie). Noch unwahrscheinlicher als Kafka: Edwin Abbott und sein »Flatland«: Die Beschreibung einer zweidimensionalen Welt, deren Bewohner und ihrer Kultur;

»…die ganze in der realen Welt erworbene geometrische Erfahrung wird aufgeboten, um diese irreale Welt möglich zu machen.«

Beispiel: Kastenunterschiede der Bewohner von Flatland aufgrund der Anzahl der Ecken, genaue Erläuterung von Wahrnehmungsprozessen der Flatlander ect. Abbotts Welt ist geometrisch und perzeptorisch {die Wahrnehmung betreffend} möglich. (Oder bei den Grimms: sprechende Wölfe sind zumindest physiologisch durchaus auch möglich: Stimmorgane und Hirn haben sie ja.) Abbotts mögliche Wesen kommen also mittels konventioneller Beglaubigungsverfahren zu fiktionaler Existenz.

Self-Voiding-Fiction, das sind narrative Texte, die ihre eigene Unmöglichkeit demonstrieren, wie in »Die blaue Villa in Hongkong« von Robbe-Grillets . Hier gibt es:

  • a) widersprüchliche Versionen ein und desselben Ereignisses;
  • b) ein und derselbe Ort (Hongkong) ist und ist zugleich nicht Ort der Handlung;
  • c) widersprüchliche Zeitfolge (A dann B, aber auch B dann A);
  • d) ein und dasselbe fiktive Wesen auf mehreren Existenzebenen (als Person, Skulptur, Theateraufführung ect). — Vergleich mit der optischen Illusion der unmöglichen Stimmgabel, oder anderer Motive die durch M.C. Escher bekannt wurden: Hier kommt Verwirrung auf, weil die Regeln der 2-D-Geometrie und die Regeln der perspektivischen Darstellung von 3-D-Objekten zugleich gelten sollen.

Das läßt Eco schlußfolgern:

»Also müssen wir zugeben, daß wir selbst bei der unmöglichsten aller Welten, um von ihr beeindruckt, verwirrt, verstört oder berührt zu sein, auf unsere Kenntnis der wirklichen Welt bauen müssen. Mit anderen Worten, auch die unmöglichste Welt muß, um eine solche zu sein, als Hintergrund immer das haben, was in der wirklichen Welt möglich ist.«

Bedeutet: alle fiktiven Welten sind Parasiten der wirklichen Welt {Warum nicht auch/oder Symbionten?}. Es gibt keine Regel, wie viele fiktive Elemente ein Text maximal fassen kann, im Gegenteil: große Flexibilität ist möglich; und was nicht speziell erwähnt wird, stimmt wohl mit wirklicher Welt überein (oder ist nicht wichtig für die Handlung).

Beispiel: (beabsichtigter) komischer Effekt in einer Geschichte von Campanile, wo ein Mann seinem Kutscher sagt:

»Bringen sie die Kutsche mit, und das Pferd«.

Kontrast-Beispiel eines nicht erwähnten Pferdes bei Nerval, weil es eben nebensächlich ist. Eine Kutschfahrt ohne Pferd böte ansonsten Stoff für eine Gothic Novel, oder ein Märchen wenn z.B. Mäuse statt Pferden vorgespannt sind.

Die Rex Stout-Krimis mit Nero Wolfe spielen in New York, sind also kontrollierbar. Über literarische Fanship und Pilgerstätten der Belletristik: Die Bakerstreet in London (siehe Sherlock Holmes); Bloomsday in Dublin (siehe »Ulysses«). Eine Taxifahrt in New York zum Alexanderplatz wäre also ein klarer Fehler, unwahr und unmöglich in der wirklichen Welt. Aber: Kafkas phantastische Welt in »Der Prozess« ist wie ein elastischer nicht-euklidischer Kaugummi, denn die Ausgänge eines Hauses führen in verschiedene, von einander entfernt gelegene Stadtteile. Eco unterscheidet dann:

  • A) Fiktionales Universum ist viel kleiner als reale Welt (nur einige wenige Personen, wohldefiniert sind Ort und Zeit); oder
  • B) Fiktionale Welt fügt realer Welt Personen und Ereignisse hinzu, endet nicht, sondern dehnt sich ständig weiter aus. — Obwohl Parasiten, ermöglichen kleinere Welten eine Konzentration auf endliche, der unseren sehr ähnliche Welten. Das Überschreiten der ontologischen Grenzen ist den fiktiven Welten nicht möglich, also verlegt man sich hier auf die Erforschung der Tiefe.

Über eine Figur bei Standal (»Rot & Schwarz«) weiß man mehr (nämlich: alles was man wissen muß; z.B. Unwichtiges wie das erstes Spielzeug wird deshalb nicht erwähnt), als über eigenen Vater. — Gegen-Beispiel der Autorin Invernizio, die zuviel erzählt, sprich: etwas für die Geschichte nicht wichtiges (Aussehen des Turiner Bahnhofs). — Der Leser der den fehlenden Brand in »Foucaultschen Pendel« bemängelt, akzeptiert also nicht, daß eine fiktive Welt kleinere Dimension hat als die reale Welt hat. — Umgekehrt (löblich): Leser haben Paris nach Beschreibung im »Pendel« geformt (machten außschließlich Photos von Dingen, die im Roman auch vorkommen).

Über Romane als Spiel meint Eco:

»…Streifzüge durch fiktive Welten haben die gleiche Funktion wie Spiele für Kinder … um sich mit den physischen Gesetzen der Welt vertraut zu machen und sich in den Handlungen zu üben, die sie eines Tages im Ernst vollführen müssen. In gleicher Weise ist das Lesen fiktiver Geschichten ein Spiel, durch das wir lernen, der Unzahl von Dingen, die in der wirklichen Welt geschehen sind oder gerade geschehen oder noch geschehen werden, einen Sinn zu geben. Indem wir Romane lesen, entrinnen wir der Angst, die uns überfällt, wenn wir etwas Wahres über die Welt sagen wollen

= therapeutische Funktion der erzählenden Literatur, und Grund des Geschichtenerzählens. Mythen geben dem Wust aus Ereignissen, Dingen und Erfahrungen eine Form {Alle Narrationen und damit z.B. Religionen sind Sinnmachmaschinen wie Rüdiger Safranski im »Philosophischem Quartett« mal so schön gesagt hat}.

Gespenst Wahrheit.

Wahrheit ist wohl leicht bestimmbar in wirklicher Welt (Ecos augenblicklicher Vortragsort, Vortragsdatum, Ort und Zeit des Todes von Napoleon). In fiktiven Welten ist etwas wahr im Rahmen der möglichen Welt. Beispiel: Heirat Hamlet & Orphelia = unwahr. Heirat Scarlett O'Hara & Rett Bulter = wahr.

Über den Wahrheitsbegriff: Die Wahrheit des Vortragsdatums ist abhängig vom Bezugsrahmen des Gregorianischen Kalender. Die Farbebezeichnung für Ecos Kravatte beim Vortrag blau ist heute wahr, aber unwahr nach antiker Farbauffassung, die einen anderen Grenzverlauf zwischen Blau und Grün bevorzugte. Alle Wahrheitsbestimmung gründet also auf hollistischen Annahmen. Eco demonstriert während des Vortrages eine Möglichkeit unmittelbarer Kontrolle von Wahrheit. Ist hinter ihm ein Gürteltier? Er sieht sich um und kann feststellen, daß dies unwahr ist.

»Wir glauben, in der realen Welt müsse das Prinzip der Wahrheit (Truth) gelten, in den fiktiven Welten dagegen das des Vertrauens (Trust). Dennoch ist auch in der realen Welt das Prinzip des Vertrauens ebenso wichtig wie das der Wahrheit.«

Dazu nun der Begriff von der Kulturellen Enzyklopädie (der Begriff stammt von Hillary Putnam): zu neun Zehnteln verläßt sich ein Mensch bezüglich des Wissens, über das was wir Welt nennen, auf andere (z.B. ob es eine Stadt wirklich gibt, in der man noch nie war; wann und wo Napoleon gestorben ist). Die Erfahrung lehrt Eco: Die Kulturelle Enzyklopädie liefert ein zufriedenstellendes Bild der Welt, aber:

»… die Art diese Darstellung zu akzeptieren, unterscheidet sich wenig davon, wie wir mögliche Welten in fiktiven Geschichten akzeptieren.«

Unterscheidung: Sprechende Wölfe im Märchen {oder bei Disney} sind akzeptabel, aber bei Begegnung mit echten Wölfen orientiert man sein Verhalten besser nach einem Zoologiewerk. Es ist schwer, genau zu erklären warum wir so entscheiden. Es ist komplexer zu entscheiden, ob Aussagen der Kulturellen Enzyklopädie zu Napoleons Tod wahr sind, als zu entscheiden, ob Scarlett & Rett aus »Vom Winde verweht« verheiratet sind.

Beispiele:

  • A) In Dumas Musketier-Fortsetzung »Zwanzig Jahre danach« ersticht Athos den Sohn von Milady (beide Männer sind erfundene Personen), bleibt also in fiktiver Welt wahr, solange ein Exemplar des Buchs existiert;
  • B) In »Die Drei Musketiere« wird Lord Buckingham von Felton erstochen (beides historsich reale Personen). Bei neuem Fakt der Geschichte müßten Historiker ihren Text korrigieren, die Welt von »Die Drei Musketiere« zweigt aber dann nur weiter in Richtung Fiktion ab (Uchronie), bleibt dort aber wahr.

Fiktive Welten haben also ein Wahrheitsprivileg, in ihnen kann der Wahrheitsbegriff nicht in Frage gestellt werden. Das Wahrheitsprivileg liefert auch Maßstäbe für die Grenzen der Interpretation {… wenn Jack the Ripper seine Taten anhand seiner Bibelauslegung begründete, würde wohl jeder sagen: Du spinnst, Alter!}

Beispiel einer abwitzigen Rotkäppchen-Interpretation (als alchemistische Anleitung zur Trennug von Quecksilber und Schwefel). Eco dazu:

»Man kann aus Texten herauslesen, was sie nicht explizit {ausdrücklich offen} sagen (und die ganze Interpretations-Kooperation des Lesers beruht auf diesem Prinzip), aber man kann nicht das Gegenteil dessen, was sie sagen, in sie hineinlesen«

{Doppel- und Mehrdeutiges nicht willkürlich zu etwas Eindeutigem auflösen, siehe »Total Recall«-Ende mit Schwarzenegger.}

Zweifel an realer Welt:

Waren die Amerikaner wirklich auf dem Mond? (Leichtere Wahrheitsentscheidung in Fiktion: Flash Gordon war auf dem Planeten Mungo). Für Ecos wurde die Mondlandung hinreichend beglaubigt, mittels der Bestätigung durch den USA-Konkurrenten UdSSR. Die Entscheidung was in wirklicher Welt wahr ist, erfordert Entscheidung darüber, wieviel Vertrauen man der Gemeinschaft entgegenbringt, welche Teile der Globalen Kultrurellen Enzyklopädie man anerkennt, vertraut und welchen nicht.

Führt der Leser einen Irrtum beim Lesen ein (glaubt z.B., daß zur Zeit von »Krieg & Frieden« die Kommunisten in Russland herrschen), bleibt das eine Privatsache. Jedoch liefert ein Text das Profil für seinen Modell-Leser (z.B. durch den langen Dialog in Französisch zu Beginn von "Krieg & Frieden«). Ein Autor muß also nicht nur die wirkliche Welt als Hintergrund voraussetzten, sondern dem Leser auch Infos über die wirkliche Welt liefern, über die der Leser womöglich nicht verfügt {Beispiele: Die ganze Mathe in »Cryptonomicon« um Davenports Charakter erfassen zu können; die Details über Ringkampf um Garp von John Irving verstehen zu können.} — Ecos Beispiel: Rex Stout erwähnt Kreuzung 4. und 10. Straße (Sonderfall im West Village, aber nicht wichtig für Handlung) in New York. Wer die Stadt grob kennt, könnte verwirrt sein, denn dort heißt es gewöhnlich Kreuzung aus Street (Breiten) & Avenue (Längen).

Ausklang: Von Walter Scott, der die Voranstellung historischer Infos in einem Roman für nötig hält; Über Washington Irvings Paralipse:

»Wer je eine Fahrt den Hudson hinauf gemacht hat…«;

Bis zu Ann Radcliff, die bezüglich des Aussehens von Südfrankreichs selbst irrte, oder aus hohler Unkenntnis ihr Südfrankreich für »Mysteries of Udolfo« einfach zurechterfand.

ECO ENDE

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Weitere grundsätzliche Beiträge zu Literatur, Science-Fiction, Fantasy und Phantastik:

Marcus Hammerschmitt: »White Light / White Heat« - Zusammenfassung

(Literatur) - Vor einem Jahr las ich den Aufsatz »White Light / White Heat - Science-Fiction und das Veralten der Zukunft« von Marcus Hammerschmitt (zu finden in »Der Glasmensch«, Suhrkamp, S. 173ff) aus dem Jahr 1995.

Hat mich ziemlich schwindlig gemacht vor lauter zustimmenden Nicken, aber bisher ich habe es bisher nicht geschafft, diese 16 Seiten (9 Abschnitte) wirklich zu überblicken. Hammerschmitt bietet einen kenntnisreichen Rundumblick auf die SF an, dabei die Avantgarde genauso im Visier, wie die massentauglichen Serialien. Dabei formuliert er zuweilen etwas komplex, da er sich bemüht eine kritische Reflektion der SF mit einer Verteidugung derselben zu verschmelzen.

Die Anmerkungen in {eckigen Klammern} sind wieder meine, der Rest stammt aus dem Essay.

HAMMERSCHMITT ANFANG

Eröffnungssatz: Die SF hat heute Möglichkeiten, von denen die sogenannte ernste Literatur nur träumen kann. {Schon mal sehr in meinem Sinne} Über Bruce Sterlings Wort vom SF-Autoren als Hofnarren und dessen Beziehung zum Herrscher; in drei Fälen wird Hofnarr ausgebuht: a) Wenn er den selben Witz zweimal erzählt; b) wenn der Witz zu weit ging; c) wenn der Witz nicht weit genug ging. {Das sind ja ganz hervorragende Kriterien zur Qualitätsbestimmung. Vor allem wegen c) nöle ich oft.} Woran soll der Hofnarr seine Zunge wetzen, wenn dem Herrscher die Gemeinheiten ausgehen?

Herausforderung für den Traum der SF: die technische Entwicklung ist dem Menschen weiter voraus, als dem guttut. Zwang der SF immer wieder dasselbe zu sagen, ist Reaktion auf beständiges bequemes Lügen der Massenmedien und Politiker, man hätte die technische Entwicklung schon im Griff. SF bietet da konsumierbare Katastrophen, aber nur selten wird der Rand hin zu unsagbarem Terror des schlechthin Unbekannten erreicht.

Die SF ist kindisch und das verleiht ihr große Kraft. Der kleine Professor {Bill Watersons Calivin und seine Zeitmaschine} verglichen mit dem großen Professor (Otto Hahn, Edward Teller). Der überzeugende Bluff der SF entspricht der Auftritt vom Hofnarren in den Gewändern des Herrschers … Aussage der SF dabei: Alle Geschichten bereits mit dem ersten durch Faustkeil erschlagenen Neandertaler erzählt.

Die Stadt als eigentlicher Schauplatz der SF {erscheint mir doch etwas einseitig}. Die Schilderung der Stadt als ein durch die Mittel der Technik ermöglichter Lebensraum entweder als a) trivialer Illusionismus, oder als b) schnodderige Punk-Kolportage. Über die Wüste als ein Biotop des einsamen elektronischen Cowboys (Lohngangster), dieser als Zeichen einer ermüdenden Technik, die ihre Niederlage (Hiroshima, Tschernobyl) nicht eingestehen will, weil die Puppen noch tanzen.

Schwäche der deutschen SF: Hang zur Tiefgründigkeit {wer ist schon frei davon? Hammerschmitt selbst offenbar auch nicht ganz}, Ablehnung der Unterhaltungskultur {Adronos Eisenkugel}. Bis Ende der Sechzigerjahre wird Grass mißtrauisch beäugt! Die SF wird verschmäht aber heimlich unter der Bettdecke verschlungen. Amerikanisierung {Einzug der Kulturindustrie} in Deutschland nur bezüglich Fernseh- und Essensgewohnheiten.

Weißes Glühen sich entfaltenden technologischen Fortschritts zeichnet gute SF-Texte aus (Hammerschmitt offenbart sich als Hard-SFler}. Schaudern über posthumane Eigenschaften dieses Glühens = nicht intergrierte Technik. Die Versuche, mit den wandernden Taugenichtsen der Romantik die Technik in den Traum zurückzuholen, oder die automatisierte Welt zu verstehen, sind mißlungen. Geräte spielen in SF Hauptrollen, dazu Vergleiche mit Western- und Krimiheld (Knarre, Brief, Geheimdokument, Zigarette). Über Entenhausen als kleinster gemeinsamer Nenner bezüglich Umgang mit Dingen. Scheitert Technikrezeption rückt Körper zum Thema auf. Körper hat Technik nur seine eigene Gesundheit entgegenzusetzten, ansonsten ist er unterlegen … Mißverhältnis der behäbigen Natur zur hektischen Technik offenbart Körper als einstmalig bewohnte Behausung der Seele.

Über Sekten (Hubbard & Co.) als Allianzen von SF mit den Zuständen, die der SF ihre Stoffe liefert. Adornozitat: wir leben in einer Welt, die krasseste Paranoia rechtfertigt, weil sie sie wahr macht. Im High-Tech-Disneyland schießen die Westworld-Roboter mit scharfer Munition.

Enge Nachbarschaft der SF zu Sympathie mit dem Menschen und dem Terror, den der Mensch gegen sich selbst entfesseln kann; dies lößt Unbehagen aus (Blick in Teufelsküche) und läßt staunen, daß SF vorhersagen kann. Dazu Glühbrinen-Eddison: ihr ahnt nicht die Nähe von Konstruieren und Schreiben {siehe Eco-Zusammenfassung: Konjekturverfahren}. Über den Nimbus der SF als Mahner und Seher … aber aus neuen Technologien neue {mögliche} Katastrophen zu spinnen ist der Job eines phantastischen Autors, keine Hellseherei.

Technik wird abgelehnt, wenn Rückholung des natürlichen Bewußtseins angestrebt {natürliches Bewußtsein ist ein ganz heikler Begriff}. Frauen mögen keine SF; Konkurrenz zwischen (männlichen) Fortpflanzungstechnikern und selber gebähren könnenden Frauen (Hüterinnen der Natur), bis hin zu zukünftigen feministischen Terrorismus. - Der Fortschritt von Gestern wird heute der Lächerlichkeit preisgegeben, doch Kafka sagt: Forschrittsglauben kann doch nicht annehmen, daß Fortschritt schon stattgefunden hat, sonst hieße es ja nicht glauben.- Eines Sinnes sind: a) Das arrogantes Staunen über (technische) Errungenschaften der Vergangenheit, und b) die Enttäuschung darüber, daß bisher die Technik das vom Menschen geliehene Leben nicht zurückerstattet hat (und das kurz vorm Milleniumswechsel, ooch Menno). Den Verfechtern einer Aszendenz-Theorie der Geschichte {Mythos vom Zivilisationsprozess, siehe Gegensatz Norbert Elias/H.P. Duerr} entgegnet die SF trotzig: Geschichte hat noch gar nicht stattgefunden … was die SF aber unbekömmlich ernst erscheinen läßt (den Hofnarren nicht gut steht). - Die SF ist und bleibt also vornehmlich paradox, weil sie einerseits verkündet, daß nichts Neues unter der Sonne geschieht, andererseits aber schildert, was in der Zukunft noch geschehen muß.

HAMMERSCHMITT ENDE

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Mein Eindrücke dazu: Die Beobachtung der Stadt als eigentlicher Schauplatz und der Gegenstände als Hauptakteure empfinde ich als überbewertet: da bekomme ich gleich Lust mir eine Provinz-SF auszumalen in Holzhütten, wo Leute sich nur menschliche Belange erzählen {die Prä-Cogs in Spielbergs »Minority Report« am Schluß}. Hammerschmitt übersieht dabei die Kolonie, die Forschungsstation und schließlich das Raumschiff (oder ähnliches), sprich: die Technik als Überlebens-Zelle in unwirtlicher Umwelt … in Verlängerung der Symbiose Mensch/Pferd zu Centaur (Mensch/Auto zu organischem Gefährt … siehe Babylon 5 Schattenschiffe, Borg bei TNG ff}. Hammerschmitt stellt zwar auch mal fest, daß die positiven Utopien der SF selten und meist schwachbrüstig sind, ist aber selber fixiert auf die Dialektik Technik-Mensch-Natur … den Kultur- und Zivilisdationspessimismus teile ich aber weitestgehend.

Interessant die Aussage über Frauen die keine SF mögen, denn das scheint mir (zumindest tendenziell) wirklich so zu sein. Solage also SF vornehmlich von einem Geschlecht bevorzugt wird, ist sie verbesserungsfähig (so verstehe ich Emanzipation), was ein vorrübergehendes Kriterium für gute SF abgibt, oder allgemeiner: Gute SF befriedigt den SF-Kenner einerseits, verschreckt andererseits den SF-Unbedarften nicht und unterhält beide.

Aus der Überschrift und dem Hauptthema von Hammerschmitts Essay entnehme ich ein weiteres neues Kriterium für gute SF: Die aus der Gegenwart extrapolierte Welt der Zukunft sollte möglichst langsam zur Lachnummer vergammeln (wenn sie ernst gemeint ist). - Wenn also z.B. »Auf zwei Planeten« heute mehr unfreiwillige Komik als Abenteurluft verbreitet, ist das ein Minus für die SF-Qualität des Romans. Selbst wenn darin solche noch nicht erreichten technischen Wunderwerke auftauchen, wie sich selbst an der Decke in Schlitze und Fächer wegsortierende Klamotten.

Der ganzen äußerst kritischen und leicht fatalistischen Haltung von Hammerschmitt extrahiere ich desweiteren die erstrebenswerte Qualität: Versuche die Versöhnung von Technik und Mensch zu unterstützen; denn daß deren Verhältnis arg unharmonisch ist, liegt auf der Hand {siehe: »Le monde diplomatique Atlas der Globalisierung«}.

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Weitere Beiträge zu Literatur, Science-Fiction, Fantasy und Phantastik: • Tolkien schrieb: »Selbstverständlich ist Der Herr der Ringe ein durch und durch religiöses und katholisches Werk…« • Umberto Eco: »Die Welten der Science-Fiction« • Umberto Eco: »Mögliche Wälder«

Umberto Eco: »Die Welten der Science-Fiction« — Zusammenfassung

Eintrag No. 85 — Als eröffnenden Paukenschlag zum Thema Zukunftsfiktionen hier das Eröffnungszitat von Brian W. Aldiss »Der Milliarden Jahre Traum«, Bastei Verlag (leider vergriffen).

The mirrors of the gigantic shadows which futurity casts upon the present…



{Die Spiegelbilder der riesenhaften Schatten, welche die Zukunft auf die Gegenwart wirft…}

— P. B. Shelly: »The Defence of Poetry«

Ich habe mir bisher nie die Mühe gemacht, meine einzelnen Geschmacks-Urteile als zusammenhängendes Gebilde zu betrachten: kurz, meine Poetik zu formulieren. Im Forum von SF-Netzwerk habe ich eine Diskussion um die Frage entdeckt, was gute SF sei, und das spornte mich an mal zu stöbern, was denn bisher dazu an brauchbaren Bestimmungsversuchen in meiner Bibliothek zu finden ist.

Ein kleiner Vortrag von Umberto Eco (gehalten auf einer Tagung 1984) kam mir ins Gedächtnis, und ich habe ihn herausgesucht, wiedergelesen und biete nun diese Zusammenfassung von »Die Welten der Science Fiction« in Über Spiegel und andere Phänomene (Deutscher Tadschenbuch Verlag, 1990, Seite 214 ff) an.

Gemeinsam mit der Zusammenfassung der Havard-Vorlesung »Mögliche Wälder« (und erst recht, wenn man Eco selbst kosultiert) hoffe ich allen Phantastik-Lesen ein wenig Handhabe liefern können, mit der sich ahnugslose Verächter und Geringschätzer von SF-, Horror- und Fantasyliteratur schön genüßlich in der Luft zerpflücken lassen.

Meine Anmerkungen {finden sich in kleiner Schrift eckig eingeklammert}, der Rest stammt aus dem Vortrag.

••• ZUSAMMENFASSUNG: »DIE WELTEN DER SCIENCE FICTION«: •••

Eco stellt erstmal klar, daß jedes erzählende Werk eine mögliche Welt konstruiert, verglichen mir der

realen, wirklichen, normalen

Welt in der wir leben, zu leben meinen, wie sie durch den Gemeinverstand, die Kulturelle Enzyklopädie definiert wird.

{Kulturelle Enzyklopädie: Damit ist das gesamte kursierende Wissen über die Welt gemeint, von entzifferten babylonischen Keilschriften bis hin zur Auskunft eines Menschen, den wir in einer fremden Stadt nach dem Weg fragen. Als Individuum gebietet man über etwa ein Zehntel eigenes Wissen, und verläßt sich ansonsten zu neun Zehnteln auf die Kulturelle Enzyklopädie. Wer noch nie in Frankreich oder England war und dennoch »Falsch!« ruft, wenn behauptet wird, daß der Eifelturm in London steht und der Trafalgar Square dem Louvre in Paris zu finden ist, vertraut offensichtlich weitestgehend auf die Kulturelle Enzyklopädie. Figuren wie z.B. Agent Moulder aus der TV-Serie »Akte X« berücksichtigen darüber hinaus auch exotischere Gebiete der Kulturellen Enzyklopädie.}

Seit Alters her nun gibt es laut Eco eine realistische Erzähltradition und eine Gegentendenz, die das Konstruieren von möglichen Welten eben richtiggehend strukurell betreibt.

  • Realistisch illustriert Eco durch die Frage:
    »Was würde geschehen, wenn in einer biologisch, kosmologisch und gesellschaftlich ähnlichen Welt wie der unseren Dinge geschähen, die zwar nicht faktisch geschehen sind, aber die ihrer {der realen Welt} Logik nicht wiedersprechen?«

    {Siehe z.B. die populären ›Realismus‹-Welten von Hannibal Lector in den Büchern von Thomas Harris, das Vendig und Italien von Commisario Brunetti bei Donna Leon, Franz Biberkopf in Alfred Döblins »Berlin Alexanderplatz«, Annie Wilkes aus Stephen Kings »Sie« usw.};

  • und phantastisch durch diese Frage:
    »Was würde geschehen, wenn die wirkliche Welt nicht so wäre, wie sie ist, wenn also ihre Struktur anders wäre?«

    wobei als beachtete, bearbeitete Struktur gemeint sein kann z.B. die kosmologische Struktur (sprechende Tiere, animierte Gegenstände, Dimensionslöcher allerorten) oder die soziale Struktur (Idealgesellschaft wie bei Thomas Morus, Francis Bacon, Karl Marx), usw.

Nun unternimmt Eco eine — wie ich finde — sehr einfache und doch griffige Einteilung der Phantastik, in folgende vier Wege:

  1. ALLOTOPIE: Hier wird unsere gegenwärtige Welt als tatsächlich andersartig geschildert. Tiere können sprechen, oder es gibt Magie, Zauberer, Feen, Geister ect.. Eco beobachtet, daß wenn eine solche Welt erst einmal vorgestellt ist, zumeist nur noch der allegorische Bezug zur realen Welt beachtet wird. {Beispiele: »Watership Down« von Richard Adams, die Harry Potter-Bücher, Bram Stokers »Dracula«, Neil Gaimans »Neverwhere«, Matt Ruffs »Fool on the Hill«, Elis Kauts »Pumukel« usw.}
  2. UTOPIE: Hier wird geschildert wie die Welt sein sollte {einschließlich der wie es nicht sein sollte-Umkehrung der Dystopie}. Die utopische Welt ist irgendwo, vielleicht parallel zu unserer Welt, an einem fernem Ort, in der Vergangenheit oder Zukunft, aber normalerweise schwer zu erreichen von unserer Welt (z.B. Samuel Butlers »Erehwon«), wenn überhaupt.
  3. UCHRONIE: Entwirft mögliche Welten nach folgender Frage:
    »Was wäre geschehen, wenn das, was wirklich geschehen ist, anders geschehen wäre?«

    z.B. {Bush der Zweite die Wahl 2000 nicht gewonnen, oder} Julius Cäsar die Iden des März überlebt hätte. Seitenhieb Ecos auf Verschwörungstheorien:

    Wir haben sehr schöne Beispiele von uchronischer Historiographie zum bessern Verstädnnis der Ereignisse, aus denen die aktuelle Geschichte hervorgegangen ist.

    {Eco berichtet in anderen Texten von interessanten Begegnungen mit Lesern, die z.B. seinen Roman »Das Foucaultsche Pendel« für bare Münzen nahmen. — Beispiele für derartige Alternativ-Phantastik: »Vaterland« von Robert Harris, »Oscar Wilde im Wilden Westen« von Walter Sattersthwait, »Morbus Kitahara« von Christoph Ransmayr.}

  4. METATOPIE / METACHRONIE: Hier wird die mögliche Welt als künftige Phase der wirklichen Welt von heute entworfen — hier können wir endlich wirklich von Zukunftsgeschichte sprechen. Ausgenommen solche Zukunftswelten, die eigetlich eine Weiterführung der Gothic Novel oder Romance sind (in denen Burgen und Drachen durch Raumschiffe und Blobs ausgetauscht wurden), oder die unter Allotopie besser aufgehoben sind {wie »Flash Gordon«, »Star Wars«, »The Matrix«}.

Eco grenzt ab und wird genauer:

»SF nimmt stets die Form einer Antizipation an, und die Antizipation kleidet sich stets in die Form einer Konjektur, die anhand realer Tendenzen der wirklichen Welt formuliert wird.«

Die Science der SF kann dabei eben nicht nur naturwissenschaftlich (sprich: technisch), sondern auch humanwissenschaftlich (z.B. linguistisch, sozial- und kulturwissenschaftlich) sein. Über die SF als erzählendes Spiel auf dem Wesenskern der Wissenschaft: dem Konjektivverfahren.

{Konjektur: 1. Vermutung (veraltet); 2. mutmaßlich richtige Lesart; Textverbesserung bei schlecht lesbaren Texten.}

  • Beispiel Isaac Newton: Solange er seine Konjektur, Vermutung, Hypothese nicht auf die Probe stellt, bleibt sein Gravitationsgesetz lediglich das Gesetz einer möglichen Welt.
  • Beispiel Pierce (Semiotik-Pionier): Auf einem Tisch liegt ne Handvoll weißer Bohnen, daneben ein kleines Säckchen. Orientiert sich die Konjektur an abzeichnender Plausibilität (= der organischen Form, die eine mögliche Welt annimmt) wird gefolgert:
    »In dem Säckchen werden sich noch mehr weiße Bohnen befinden.«

    Dies bleibt eine Aussage über eine mögliche Welt, bis man im Säckchen nachschaut und feststellt, ob sich tatsächlich weitere Bohnen darin befinden {oder doch herausgebrochene Goldzähne vom einem nahen Schlachtfeld, oder ungeschliffene Rohdiamanten, oder grüne Erbsen, oder oder.}.

Diese Art in möglichen Welten zu denken ist auch Philosophen, Detektiven, Psychoanalytikern, Historikern (und vielen mehr) zu eigen. Angesichts des Beispiels von Pierce aber lautet die Frage der SF:

(Der Tisch wird als leer angenommen) »Was würde geschehen, wenn auf dem Tisch eine Handvoll Bohnen läge?«

oder besser noch: eine Handvoll kleiner grüner Außerirdischer {ja — Eco führt wirklich solche Gedankenspäße auf}.

Eco erläutert die umgekehrte Symmetrie von Wissenschaft und SF:

  • Wissenschaft muß ein mögliches Gesetz (Theorie) aufgrund wirklicher Befunde (Beobachtungen, Messungen, Fakten) entwerfen.
  • Von möglichen Befunden (Replikanten, Klone, Künstliche Intelligenzen) ausgehend, kann die SF versuchen wirkliche Gesetze (Menschlich ist… z.B. das Mitgefühl?) zu finden.

Kurz gesagt: wo die Wissenschaft ihre möglichen Welten irgendwann verifizieren, falsifizieren muß, kann die SF (und die Phantastik) dies ins Unendliche vertagen {wobei Fiktionen die emotionelle Abrundung einer Geschichte meist wichtiger oder zumindest ebenso wichtig ist, wie die Logikknotenaufdröselung}.

Zum Ende macht Eco auf die Fälle gegenseitiger Befruchtung und Verwandschaft von Wissenschaft und SF aufmerksam:

  • daß z.B. Orwell mit der »1984«-Zukunft warnt — die mögliche Welt zeigt sich als abschreckender Leichnam eines dann schon gestorbenen Patienten;
  • daß es den Moment gibt, wo der Unterschied zwischen forschender Intelligenz und künstlerischer Intuition verschwindet;
  • und schließt damit, daß die SF ein lebendes Beispiel der Verwandschaft von Phantasie und Wissenschaft ist.

ECO ENDE

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Meine Eindrücke: Für mich postuliert Eco die Plausibilität der aus der Gegenwart in die Zukunft extrapolierten möglichen Welt als klar ausgemachtes Kriterium zur Bestimmung guter SF. Oder ungeschwurbelt: In der realen Welt vorliegende Entwicklungen sollen weitergedacht werden und eine stimmige Geschichte darüber erzählt werden. Wobei stimmig hier als Platzhalter dient, der in weitern Betrachtungen — über den eigenen Geschmack bezüglich Stil, Sprache und Form — festgemacht werden müßte.

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Weitere grundsätzliche Beiträge zu Literatur, Science-Fiction, Fantasy und Phantastik:

Was der Architekt sagt

Eintrag No. 28 — Die deutsche Synchro kenne ich nicht, aber Bekannte und Freunde versicherten mir, daß man ihr kaum folgen kann. Hier also mein Versuch einer eleganteren - wenn auch nicht lippenbewegungskongruenten — Eindeutschung des (Des?)Informationsschwalls vom Architekten in »Matrix Reloaded«. Ich freue mich über jeden Verbesserungsvorschlag.

Nebenbei: Das runde Monitorzimmer des Architekten kommt ganz kurz schon in »The Matrix« vor. Auf der DVD zu finden als Beginn des Kapitels ›Unable to speak‹, wenn wir von den vielen Monitoren aus drei Agenten (darunter Smith) beobachten, die Neo in ein Verhörzimmer bringen.

Ganz nebenbei: der den Architekten sehr fein darstellende Australier Helmut Bakaitis wurde 1944 in Lauban geboren, vor allem seine Stimme ist göttlich.

Architekt: Hallo, Neo.

Neo: Wer sind sie.

Architekt: Ich bin der Architekt. Ich erschuf die Matrix. Ich habe auf dich gewartet. Du hast viele Fragen und obwohl die bisherigen Ereignisse dich verändert haben, bleibst du doch unwiderruflich menschlich. Ergo wirst du einige meiner Antworten verstehen, andere nicht. Dementsprechend, während deine erste Frage am gebotensten erscheinen mag, begreifst du vielleicht (oder auch nicht), daß sie auch die irrelevanteste ist.

Neo: Warum bin ich hier?

Architekt: Dein Leben entspricht dem Rest einer nicht aufgelösten Gleichung, die der Programmierung der Matrix eigen ist. Du bist die Möglichkeit einer Anomalie, die ich trotz meiner ernsthaftesten Bemühungen nicht in der Lage war aus etwas, das ansonsten eine Harmonie mathematischer Präzision ist, zu eleminieren. Während sie weiterhin eine beharrlich vermiedene Belastung darstellt, tritt sie nicht unerwartet auf und entzieht sich damit nicht einer Kontrollmaßnahme. Was dich unerbittlich hierher geführt hat.

Neo: Sie haben meine Frage nicht beantwortet.

Architekt: Völlig richtig. Interessant. Das kam flotter als bei den anderen.

Bildschirm-Neos: Andere? Welche anderen? Wie viele? Antworte mir?

Architekt: Die Matrix ist älter als dir bekannt ist. Ich ziehe es vor, vom Auftreten einer innewohnenden Anomalie bis zum Auftreten der nächsten zu zählen, wonach dies hier die sechste Version ist.

Bildschirm-Neos: Fünf Versionen? Drei? Man hat mich belogen. Das ist Blödsinn.

Neo: Es gibt nur zwei mögliche Erklärungen: entweder hat es mir niemand gesagt, oder niemand weiß das.

Architekt: Genau. Wie du zweifellos begreifst, gehört die Anomalie zum System, verursacht Abweichungen sogar in den einfachsten Gleichungen.

Bildschirm-Neos: Du kannst mich nicht kontrollieren. Fick dich. Ich werde dich umbringen. Du kannst mich nicht alles tun zu lassen.

Neo: Wahl. Das Problem ist Wahl.

{Schnitt zu Trinity die gegen einen Agenten kämpft und zurück}

Architekt: Die erste Matrix die ich entwarf war von Natur aus ziemlich perfekt, ein Kunstwerk, makellos, großartig. Ein Triumph der nur mit ihrem monumentalen Scheitern vergleichbar war. Mittlerweile leuchtet mir die Unvermeidlichkeit ihres Untergangs ein, als Konsequenz der Unvollkommenheit die allen menschlichen Wesen eigen ist, deshalb gestaltete ich sie um, ausgehend von eurer Geschichte, um die wechselnden Ungeheuerlichkeiten eurer Natur genauer wiederzuspiegeln. Wie auch immer, ich wurde wieder durch Mißerfolg enttäuscht. Seitdem habe ich begriffen, daß sich mir die Lösung entzieht, da sie einen geringeren Verstand voraussetzt, oder womöglich einen Verstand, der sich weniger nach den Maßstäben der Vollkommenheit richtet. So stolperte jemand anders über die Lösung, ein intuitives Programm das ursprünglich geschaffen wurde, um bestimmte Aspekte der menschlichen Psyche zu erforschen. Wenn ich der Vater der Matrix bin, ist sie zweifelsohne seine Mutter.

Neo: Das Orakel.

Architekt: Ich bitte dich. Wie ich sagte, sie stolperte über eine Lösung, bei der 99,9 % aller Testpersonen das Programm annahmen, solange ihnen eine Wahl gelassen wurde, auch wenn sie diese Wahl lediglich auf einem fast unbewußten Niveau bemerkten. Obwohl diese Lösung funktionierte, war sie offensichtlich grundsätzlich fehlerhaft, da sie andererseits die innewohnende entgegenwirkende Anomalie schuf, die, falls nicht behandelt, das System selbst bedroht. Dementsprechend erzeugen unberücksichtigt jene, wenn auch eine Minderheit, die das Programm verweigern, eine eskalierende Wahrscheinlichkeit zur Katastrophe.

Neo: Das bezieht sich auf Zion.

Architekt: Du bist hier, weil Zion davor steht zerstört zu werden. Alle lebenden Einwohner werden terminiert, ihre ganze Existenz wird gelöscht.

Neo: Blödsinn.

Bildschirm-Neos: Blödsinn!

Architekt: Verweigerung ist die vorhersagbarste aller menschlichen Reaktionen. Jedoch, sei dessen gewiß, wird dies das sechste mal sein, daß wir sie {die Stadt Zion} zerstören, und wir sind äußerst tüchtig darin geworden.

{Schnitt zu Trinity die gegen einen Agenten kämpft und zurück}

Architekt: Die Aufgabe des Einen ist nun in die Quelle zurückzukehren, eine zeitweise Verbreitung des Codes den du trägst ermöglichend, das Hauptprogramm wiedereinführend. Danach ist es deine Pflicht 23 Individuen aus der Matrix auszuwählen, 16 Frauen, 7 Männer, um Zion wiederzuerrichten. Scheitern dieses Verfahren zu erfüllen, führt zu einem zerstörerischen Systemzusammenbruch der jeden an die Matrix Angeschlossenen tötet, was verbunden mit der Auslöschung von Zion letztendlich zum Aussterben der gesamten menschlichen Art führt.

Neo: Das werden sie nicht geschehen lassen, das können sie nicht. Sie brauchen menschliche Wesen um zu überleben.

Architekt: Es gibt Ebenen des Überlebens, die wir bereit sind zu akzeptieren. Wie auch immer, die relevante Frage ist, ob du bereit bist die Verantwortung für den Tod allen menschlichen Lebens auf dieser Welt zu tragen, oder nicht.

{Der Arichtekt schaltet Bilder von Menschen aus der ganzen Matrix mit seinem Kugelschreiber auf die Monitore}

Architekt: Deine Reaktionen zu beobachten ist interessant. Deine fünf Vorgänger wurden aufgrund ähnlicher Annahmen erschaffen, einer möglichen Affirmation, die dazu gedacht war eine tiefe Verbundenheit zum Rest deiner Art zu schaffen, um die Aufgabe des Einen zu erleichtern. Während die anderen diese Erfahrung sehr allgemein erlebten, ist deine Erfahrung um sehr vieles bestimmter. Vis-a-vis, Liebe.

{Schnitt zu Trinity die gegen einen Agenten kämpft und zurück}

Neo: Trinity.

Architekt: Übrigens, sie hat die Matrix betreten um dein Leben zu retten, um den Preis ihres eigenen Lebens.

Neo: Nein!

Architekt: Das führt uns schließlich zum Moment der Wahrheit, worin der grundsätzliche Makel sich letztendlich offenbart und zeigt, daß die Anomalie sowohl Anfang als auch Ende ist. Es gibt zwei Türen. Die Tür zu deiner Rechten führt zur Quelle und der Rettung von Zion. Die Tür zu deiner Linken führt zurück in die Matrix, zu ihr {Trinity} und zum Ende deiner Art. Wie du es angemessen ausgedrückt hast, das Problem ist Wahl. Aber wir wissen bereits, was du tun wirst, oder? Ich kann bereits die Kettenreaktion sehen, die chemischen Vorboten die das Auftreten von Emotionen signalisieren, eigens dafür geschaffen Logik und Vernunft zu überwältigen. Eine Emotion die dich bereits blind macht für die einfache und offensichtliche Wahrheit: sie wird sterben, und es gibt nichts was du dagegen unternehmen kannst.

{Neo geht zur linken Tür.}

Architekt: Grummelseufzt. Hoffnung, die vollkommenste menschliche Selbsttäuschung, sowohl die Quelle eurer größten Stärke, wie auch eurer größten Schwäche.

Neo: Wenn ich sie wäre, dann würde ich hoffen, daß wir uns nicht wiederbegegnen.

Architekt: Das werden wir nicht.

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