Eintrag No. 728 — Veränderung von Molos Kommunikations-Gebahren. Noch ist die Soschial-Nätwörg-Funktion ›Google+‹ in der Beta-Phase, aber ich habe mich zur Gruppe der bereits Teilnehmen gesellt. ›Facebook‹ war nie 'ne Option für mich. Zu umständlich, zu undurchsichtig, zu beschränkt, zu gierig und unterm Strich: nicht sexy, nicht Molo-like genug. Auch wenn Google zweifelsohne ebenfalls ziemlich unheimliche, sinistere Aspekte hat, macht Google+ auf mich vom Fleck weg einen besseren Eindruck. Ist eine Mischung aus Netzwerkerei (bilde Deine Kreise), Twitter- und Kurzbloggerei. Kreise kann man erstellen wie's einem taugt, aber es wird anderen nicht angezeigt, in welche Kreise man die Leuz, denen man folgt, eingeteilt hat (vorstellbar ist z.B. ein Kreis namens ›Volltrottel über deren Stuss ich mich beeumel‹) . Soviel verrate ich, dass mein erster selbst gezirkelter Kreis ›Phantasten‹ heißt.
Ab nun werde ich die Links, welche ich für einen im Werden befindlichen Wochenrückblick sammle, auf die Schnelle via meinem Google+-Konto verbreiten. Dienstags gibts dann wie gewohnt die geballte Ladung dieser Links in der Molochronik. — Neu ist auch der ›+1‹-Knopf oben in der rechten Spalte. Mit dem kann man die Molochronik ›plussen‹, sprich: empfehlen (erhört mein Ranking & wasnichtnochalles).
Schluss mit dem Getüdel. Es gibt viele Links diese Woche. Also los.
Halt. Stopp. Eines noch. Die Links sind diesmal nach etwas anderen Begriffen sortiert. Lasst mich wissen, ob Ihr die alte oder die neue Methode besser findet.
»Blödmaschinen«: Leider hatte ich selbst noch nicht die Zeit & Muse, einen eigenen Beitrag über mein großartiges Leseerlebnis mit diesem Buch von Markus Metz & Georg Seeßlen zu verfassen. Immerhin kann ich auf eine gute Rezension von Jürgen Nielsen-Sikora bei ›Glanz & Elend‹ verlinken: Die Herrschaft der Narren.
— Großer Spaß auch, wie Herr Seeßlen seinem Blog (›Das Schönste an Deutschland sind die Autobahnen‹) in einem zweiten Nachtrag zum Buch auf eine mittlerweile ausgestrahlte Radio-Rezi eingeht, die dem Buch u.a. »undifferenziertes Geraune« (und wie geht ›differenziertes Geraune‹) und »obszönen Exzess an Kritik« vorwirft.
— Nebenbei-Empfehlung: Zur Klärung & Erforschung des Begriffes ›obszön‹ verweise ich auf den enorm gehaltreichen Band »Jahrhundert der Obszönität« von Eckhard Henscheid & Gerhard Henschel. Darin auch das prächtige Herbert Marcuse-Zitat:
Nicht das Bild einer nackten Frau, die ihre Schamhaare entblößt, ist obszön, sondern das eines Generals im vollen Wichs.
Entsprechend: Nicht die analytische Untersuchung und dialektische Kritik der Blödmaschinen ist obszöner Exzess (der Kritik), sondern eben die Totalität der Herrschaft und Stupiditätsfabrikation der Blödmaschinen.
Bescheidgeb: Der Verbrecher Verlag hat die Tagebücher von Erich Mühsam ins Netzel gestellt: Mühsam Tagebuch. Die Aufbereitung ist vorbildlich. Glosar ist integriert (Klick auf’n Begriff öffnet links eine Erläuterung), und Klick auf’s Datum zu Beginn eines Tagebucheintrages öffnet Fenster zu einem Scan der Originalseite. Ganz großes Lob!
Großartige Radiostunde! BR2 »Radiospitzen« widmet eine Sendung den diesjährigen Preisträger des Salzburger Stiers: »Cordoba – Das Rückspiel« von Florian Scheuba und Rupert Henning. Schauspieler Cornelius Obonya brilliert in allen Rollen des Stückes über ostdeutsche Flüchtlinge, einheimische Österreicher, türkische Geschäftsleute, deutsche & russische Touristen ext. — Gönnt Euch die Sendung, solange sie noch im Netz steht.
Auf den Seiten des österreichischen ›Der Standard‹ bespricht Josefson in seiner diesmonatigen SF- & Fantasy-Rundschau Die Dampf-Revolution Bücher von: David Marusek (Golkonda Verlag! Yeah!), Jeff VanderMeer, Stephen Baxter, Antoine Volodine, A. Lee Martinez, Paul di Filippo, Scott Westerfeld (»Behemoth«, Yeah!), Tobias O. Meißner, Jonathan Strahan, Ronald Malfi und Stephen Hunt.
›SF-Fan‹ vermeldet die Empfänger der Kurd-Laßwitz-Preise 2011. Besonders freuen mich freilich die Preise an China Miéville (für »Die Stadt & Die Stadt«) und Juliane Gräbener-Müller & Nikolaus Stingl (für die Übersetzung von Neal Stephensons »Anathem«).
Jubiläum: Am kommenden Samstag, den 09. Juli, kann man den hundersten Geburtstag von Mervyn Peake feiern. Im Vorfeld dazu bot letzte Woche der ›Guardian‹ schon mal A celebration of the writing and art of Mervyn Peake. Michael Moorcock portatiert vor allem den Menschen Peake, seine Wiederentdeckung bei Penguin Modern Classics; — Hilary Spurling preist das zeichnerische Werk von Peake; — China Miéville beschäftigt sich mit den »Gormenghast«-Büchern; — und AL Kennedy schreibt über Peaks Verhältnis zu der Insel Sark.
Zuckerl: Popkultur & Kunst
Neues Dauer-Lesezeichen: Interessantes, simples Projekt verfolgt das ›Blog für Leser‹Fünf Bücher von Melanie Voß und Philippe Wyssen.
Kunst (1): Als wären Asteroiden in der Galerie eingeschlagen, oder als hätten gigantsche, mythisch-monströse Ur-Viecher Eier gelegt, so wirken die andersweltlichen Papierobjekte (im ›This is Colossal‹-Blog) des koreanischen Künstlers Chun Kwang Young.
Kunst (2): Grandios wandelt Kate MacDowell mit ihren (zumeist weißen) Skulpturen auf dem schmalen Grat zwischen Verstörung und Bezauberung. Meine Favoriten in ihrem Portfolio: Hase mit Gasmaske; — sezierter Frosch mit Menschenfötus; — das Wurzelhirn. — Würde ich gerne mal im Original sehen.
Schockschwerenot! Matteo Bittanti und IOCOSE haben mit der Photographin Kenzie Burchell eine erschütternde Bilderserie aufgenommen, die uns die Folgen von maßlosen Daddeln zeigen: Game Arthritis. Gottseidank stelle ich an mir selbst keinerlei erste Anzeichen eines ›Playstation Daumes‹ fest … trotzdem überlege ich, meine PS3 sofort zu entsorgen. — (Entwarnung: Das ganze ist fiese, brillante, ernste Satire, aber eben brutal verstörend dank der Arbeit der Maskenbildnerin Emma Alexandra Watts.)
Raumkunst: Der polnische Künstler Marek Tomasik hat aus Holz und Computerschrott eine Rauminstallertion geschaffen, die überwältigend ist. Hier zu einem Bericht bei ›Laughing Squid‹ (engl.) mit Filmchen, Photos und (ohne nervigen Computersound), und hier zur Raumphoto-Seite des Künstlers (mit nervigen Computersound): You sometimes have to be open.
»Der Herr der Ringe« mal anders: Wie sähe LOTR als moderne ›Kumpel auf Rundreise‹-Geschichte aus? Illustratorin Noelle Stevenson hat sich das für uns in ihrem ›A Girl And Her Demons‹-Blog die»The Broship of the Ring«. Laut gelacht habe ich über die Hippster-Hobbits (»Wie, Du weißt nicht was ein zweites Frühstück ist?!«).
Analyse: Nicht wirklich überraschend, dass Michael Bay in seinem neusten »Transformers«-Streifen Schnipsel aus seinem Film »The Island« recyled hat, aber dennoch erstaunlich, wie der Vergleich aussieht: »Transformers 3« scene from »The Island« von Jermain Odremán.
Superhelden-Humor: Die vier intelligenten Spinner der ›After Hours‹ von ›Cracked‹ streiten sich, Ob Batman schlecht für Gotham ist (engl.). Achtet auf den Asperger-Test mit den Zuckertütchen!
Zum Schluss ein Filmchen: Die Idee an sich ist nicht so prickelnd, ist aber gut umgesetzt. Auf zum wilden Springen durch verschiedene Populär-Genres mit der Plot Device (von ›Red Giant‹). Mein Favorit: Natürlich der S/W-Krimi mit kommentiernder Gedankenstimme aus dem Off.
Jesse Bullington liefert mit seinem Debütroman allen ein Geschenk, die sich nach Abwechslung auf dem Gebiet der Fantasy sehnen. Als studierter Geschichts- und Volkskundler versteht es Bullington vorzüglich, aus dem Vollem zu schöpfen, um eine mittelalterliche Welt zu entwerfen, in der sich gefährliche Mantikors, pestilenzialische Höllendämonen, zähe Hexen und verführerische Nixen tummeln. Die Wahl seiner »Helden« ist jedoch die erfrischenste Überraschung, denn die Brüder Grossbart sind rücksichtslose, fiese Grabräuber und Dank einer Mischung aus misstrauischer Verschlagenheit und selbstgefälliger Tumbheit faszinierende Gestalten. Von den winterlichen Wäldern Süddeutschlands über die Alpen, durch Norditalien, Venedig bis in die Wüste von Ägypten folgt ihnen der Leser auf ihrer Suche nach der großen Beute. Durch seine aberwitzigen Debatten über Glauben und Aberglauben, seine derbe Magie- und brutalen Kampfschilderungen empfiehlt sich der Roman für unerschrockene Leser, die bereit sind, am Leben von sowohl Unheil verbreitenden wie anziehenden Bösewichtern teilzuhaben.
Apropos Bullington: Der Bastei Verlag wird seinen zweiten Roman »The Enterprise of Death« Anfang 2012 auf Deutsch unter dem etwas seltsamen Totel »Vom Tode verwest« herausbringen. — Wieder bekomme ich beim Vergleich der Original-Gestaltung und der Bastei-Ausgabe Koipfschmerzen. Das Original-Cover bedient sich eines Details eines Stiches des im Roman auch auftretendenden Maler-Söldners Niklaus Manuel Deutsch (und es wird auch erzählt, wie diese Zeichnung zustande kommt, so nachts auf dem Friedhof, Künstler und Nekromantin-Hexe und einige Untote). — Ich gebe zu, dieser Werbe-Blurb links oben muss nicht sein, ja der stört sogar sehr. Dafür ist der Font schön und das graphische Motiv wird auf dem Buchrücken in Klein wiederholt (macht sich fein im Regal).
Das deutsche Cover ist, für meinen Geschmack, allerdings wieder Mal ein Griff ins Klo. Okey, ein Zauberbuch spielt in dem Roman schon eine wichtige Rolle. Aber es sieht nicht so aus, wie hier, was Format, Beschlag und Symbol betrifft. Der Font ist schräcklich und auch die Titel-Übersetzung bzw. Neu-Erfindung finde ich bedenklich / gewöhnungsbedürftig. — Naja. Hoffentlich spricht sich ja diesertage mit »Die traurige Geschichte der Brüder Grossbart« herum, dass Bullington sich lohnt und »Vom Tode verwest« findet trotz doofer Gestaltung seine LeseInnen.
Netzfunde
Endlich hat in einer deutscher Zeitung mal jemand, nämlich Jürgen Kaube für die ›FAZ‹, gerafft, wie großartig die RSA Animate-Filmchen sind (Molochronik-Leser wissen, dass ich in meinen Wochenrückblicken diese illustrierten Vorträge schon seit einiger Zeit empfehle, auch wenn ich den Inhalten nicht immer zustimme … aber die Form der Aufbereitung ist atemberaubend): Der Kommentar: Zeichentrickvorlesung. Kurzfassung.
Ich habe den nächsten Daddel-Wahn von Rockstar Games bereits vorbestellt und am Freitag, den 20. Mai ist es soweit: dann erscheint bei uns »L. A. Noire«, das Open World Polizei-Abenteuer im Los Angeles der 40-er-Jahre. Für mich als Dashiel Hammett-, James Cagney-, Bogart- und Edward G. Robinson-Fan natürlich ein wahrgewordener Traum. Auf der Website zum Spiel haben sich mittlerweile irre Dinge getan.
Erstens hat Rockstar ein Büschel Autoren dafür gewonnen, stimmungsvolle Krimi-Kurzgeschichten beizusteuern: Original Short Fiction Series. Bisher sind bereits »See the Woman« von Lawrence Block, »Hell of an Affair« von Duane Swierczynski und »What's in a Name?« von Jonathan Santlofer für umme zu lesen. Es werden noch Geschichten von Megan Abbott, Joe R. Lansdale (Yeah!), Joyce Carol Oates (Jupp!), Andrew Vachss (Jau!) und Francine Prose folgen. — Zweitens haben die Rockstar-Helden eine erste Folge mit Film-Empfehlungen klassischer Crime Noir-Flicks zusammengestellt: A Film Noir Round Up (Part One) mit Trailern zu »The Big Sleep«, »Sunset Boulevard«, »The Lady from Shanghai«, »The Third Man«, »The Killing«, »Double Indemnity«. — Drittens kann man sich nun einiges von der Musik die im Spiel vorkommen wird anhören: »L. A. Noire« Soundtrack. Schon bei »GTA IV« dudelte im Autoradio bei mir oft der Jazz-Radiosender.
(Deutschsprachige) Phantastik-Funde
Die elektronische Zwischen-Musik (fiieps, piepsel-blipp) finde ich immer noch schräcklich, aber Kleinigkeit, denn beim neusten Schriftsonar-Podcast (Folge 41) empfehlen Schneiberg und Stoffel drei gute Bücher — »Biokrieg« (»The Windup Girl«) von Paolo Biacigalupi, »Die Stadt & Die Stadt« (»The City & The City«) von China Miéville und »Die Rückkehr des Captain Future« von Edmond Hamilton — und ein viertes, das ich, schändlicherweise, nicht kenne (»Weltraumkrieger«-Antho hrsg. von Dirk van den Boom und Oliver Naujoks).
Da überkommen mich Nostalgie-Wallungen: Roland Kruse hat in seinem Blog ›Der Comic-Neurotiker‹ in der Reihe ›Klassiker-Therapie‹ Richard Corbens »DEN: Die Reise nach Nirgendwo« einen Eintrag gewidmet.
In der British Library zu London kann man vom 20. Mai bis zum 25. September dieses Jahres die Ausstellung »Out of this World: Science Fiction but not as you know it« zur Geschichte der Science Fiction besuchen. Der ›Guardian‹ hat dazu eine kleine Diaschau auf seiner Website eingerichtet: Science fiction: Images from other worlds; — bei diesem Quiz des ›Guardian‹ kann man sein (unnützes) SF-Geek-Wissen testen: Quiz: Science fiction facts (ich hatte 9 von 10 richtig; Frage 3 hatte ich falsch; bei Frage 1 hatte richtig geraten); — und hier eine erste Pressemitteilung der British Library zur Ausstellung: The Brontës' secret science fiction stories.
Zuckerl
Dan & Tom Heyerman haben auf ihrer Website ›Pants Are Overrated‹ mal Bill Watersons großartige »Calvin & Hobbes«-Comics Comic weitergesponnen: Calvin und Susi haben geheiratet und nun eine Tochter namens Bacon: Hobbes and Bacon (1); — Hobbes and Bacon (2).
Hier ein Naturkunde-Filmchen, der in erschlagender Einfachheit die irre schöne Komplexität von Pendel-Schwingungen veranschaulicht. Man nehme 15 Kugeln, deren Pendelgeschwindigkeit stufenweise so abnimmt, dass die schnellste Kugel 65 Mal, und die langsamste 51 Mal in der Minute hin- und herschwingen. Entsprechend offenbart der Tanz der Kugeln auf hypnotische Weise die Magie der Zahlen. Dargebracht von ›Harvard Natural Sciences Lecture Demonstrations‹. — Schöne Idee für ein Wochenend-Bastelprojekt.
Kyle ›Oancitizen‹ Kallgren ist meine jüngste VBlogger-Entdeckung. Dieser Brusche aus Washington D.C. rezensiert in der Reihe »Brows Held High« mit Können, Wissen und Humor Kunstkinofilme für die Portale ›Reviewtopia‹ und ›That Guy With The Glasses‹. Folgende drei Folgen kann ich als Einstieg empfehlen: : Shakespeare, Film and Kenneth Branagh – A Retrospective (endlich jemand der, wie auch ich, Branaghs »Hamlet«, trotz aller Schwächen und Nervigkeiten, für durchaus sehenswert hält); — Naked Lunch (hatte lange das Plakat des Filmes im Zimmer hängen); — Zardoz (der durchgeknallteste Connery-Film ever).
Zum Schluss ein kleines Klassikmusik-Häppchen, wenn Igudesman & Joo hörbar machen, wie es klänge, wenn Mozart von James Bond gekidnappt würde: Mozart Bond.
•••••
Flattrn Sie diesen Eintrag, wenn Sie der Meinung sind, dass er etwas wert ist.
Eintrag No. 708 — In der vergangenen Woche besuchte ich den Unterricht für die Sachkundeprüfung im Bewachungsgewerbe. — (Die schriftliche & mündliche Prüfung habe ich am gestrigen Montag souverän bestanden. Danke der Nachfrage.) — Weniger weil ich groß büffeln musste, eher schon, um meine Nerven zu schonen und mein Gedächtnis nicht unnötig zu belasten, habe ich mich mit Herumstromern im Internet zurückgehalten, und mich stattedessen der Muse hingegeben und viel gelesen und Filme geguckt.
Derzeit erfreuen wir uns der wohl schönsten Tage des Jahres. Noch ist die Luft frisch wie Quellwasser, die Sonne wärmt bereits so angenehm, dass es eine Wonne ist, draussen zu sein, ohne dabei belästigt zu werden, denn – ›Hurrah!‹ – die Insekten sind noch nicht aus ihren Startlöchern gekrochen.
•••
Lektüre: Was gibt es also passenderes, als das wunderschöne neue Comic aus der Feder von Meister Lewis Trondheim auf einer Flußuferbank zu genießen: »Fennek«. Ich habe ja eine Schwäche für kleine, kecke Viecher und da gibt es wenige, die mein Herz so hüpfen lassen wie Wüstenfüchse. Die leuchtenden Aquarell-Zeichnungen von Yoann fangen die prächtige Lichtstimmung der afrikanischen Savanne brillant ein, in der sich der kleine Fennek auf der Flucht vor nervigen Schlangen auf die Suche nach dem Halsband des Schamanen macht. Mit seinem anarchistischen Humor versteht es Trondheim, diese Tierfabel amüsant aufzupeppen, und mir gefällt es besonders, wie der kleine Fennek seine Zufallsbegegungen bisweilen einfach auffrisst, wenn sie ihm zu sehr auf den Geist gehen.
Seit meinem letzten Lektüre-Bericht habe ich »Der Letzte Lord Groan« und (den aus dem Nachlass von Witwe Maeve Gilmore geretteten und vollendeten) »Titus erwacht« von Mervyn Peake fertiggelesen. Wenn man alle vier Bücher kennt, leuchtet ein, warum der vom Autor zugedachte Name dieser Reihe ›Die Titus-Bücher‹ lautet. Nimmt man alle vier Romane in Augenschein, stellt man fest, dass der Ort Gormenghast nur in den ersten beiden Bänden der Ort der Handlung ist. Allerdings: Wer nur die ersten beiden Bände (»Der junge Titus« und »Im Schloss«) beachtet, wird eher den von Lesern geprägten Reihennamen ›Die Gormenghast-Bücher‹ stimmig finden.
Gormenghast, dieses monarchische Reich des Rituals, dieser absurde Architekturfriedhof mit seinen skurilen Bewohnern glänzt in Roman drei und vier durch Abwesenheit, als erinnerter Traum, vom dem Titus sich nicht sicher ist, ob es real oder nur Trug seiner Einbildung ist. — Den ›Titus‹-Büchern beizukommen ist nicht leicht. Wer aber bereit ist, sich auf die Launen von Peake einzulassen, wer sich auch mal traut ein Phantasiereich zu betreten, in dem nicht eine Handlung im Mittelpunkt steht, sondern eben poetische Sprache, Stimmungen, Orte und Personen, die mit Akribie beschworen werden und auftreten, wie die Figuren in einem ausgeklügelten Marionettentheater, kann wahrlich Großartiges erleben mit diesen Werken.
Weitere Notizen zu meinem Grimm über die Schutzumschläge der neuen deutschen Ausgabe: Band eins ziert ein kleiner Junge, der wohl Titus darstellen soll. Leider ist Titus am Ende des ersten Buches erst ein Jahr alt, der Knabe auf dem Cover also deutlich zu alt. — Band zwei zeigt einen (zu) braven Gebäudekomplex, der mir mit seinen kleinen gothischen Türmchen zu sauber und mikrig erscheint, als dass er das gewaltige, verfallene Gormenghast illustrieren könnte. — Dass es in Band drei keinen auf einem Zombiepferd reitenden Ritter gibt, habe ich schon erwähnt. Auf dem Buchrücken dieses dunkelvioletten Bandes ist der Kontrast zwischen der Umschlagsfrabe und dem dunkelgrauen Schriftzug ›Gormenghast‹ so gering, so dass man den Reihentitel aus einem Meter Entfernung kaum noch lesen kann. — Ebenfalls zu niedrig ist der Kontrast zwischen der weißen Schrift und dem hellorangen Umschlag des viertes Bandes, so dass es eine Qual ist, den Klappentext und die Titel zu entziffern. Zudem zeigt hier das Umschlagsbild ein Segelschiff. Titus reist zwar am Ende Buches über See, aber mit einem Dampfschiff. Wieder klage ich an, dass die Person(en), die für die Motivauswahl verantwortlich war(en), sich nur ungenügend mit dem Inhalt beschäftigt hat (haben).
Enormes Vergnügen hat mir »David Lynch Keeps His Head« (1995, der Link führt zu einer gekrüzten Fassung) von David Foster Wallace (aus dem Essayband »A supposedly fun thing I'll never do again«, 1997) bereitet. Eine wilde Mischung aus Drehbericht zu »Lost Highway«, repektvoller Betrachtung zum Werk von David Lynch, und allegemeine poetologische, narratologische Überlegungen, beispielsweise zum Unterschied von Kommerz- und Kunstfilmen. — Letzteres fand ich besonders einleuchtend. Geht ungefähr so:
›Kunstfilme‹ sind teleologischer (also auf ein höheres Ziel gerichtet); sie wollen den Zuschauer ›aufwecken‹, sein Bewußtsein schärfen. Sie verlangen vom Zuschauer, dass er einiges an interpretatorischer Arbeit leistet um kapieren zu können, was der Film erreichen will. Im Grunde also zahlt man Geld, um sich zu abzumühen.
›Kommerzfilme‹ wollen unterhalten und bieten entsprechend ›Phantasien für Geld‹, Phantasien, die dem Zuschauer vorgaukeln, er sei jemand anderes, jemand, dessen Leben irgendwie größer, stimmiger, aufregender und atraktiver und vor allem kurzweiliger ist als das Leben des Zuschauers. Diese Filme trachten danach, den Zuschauer (im übertragenen Sinne) einzulullen und ihm angenehme Träume zu bescheren.
Schließlich bin ich hingerissen vom zweiten Roman, den Jesse Bullington mit »The Enterprise of Death« vorgelegt hat. Bullington hat letztes Jahr mit seinem »Die traurige Geschichte der Brüder Grossbart« bei mir große Hoffnungen geschürt. Er verstand es darin gekonnt, eine mit Fantasy-Elementen garnierte europäische Vergangenheit auszubreiten. Die Grossbarts machten das späte 14. Jahrhundert unsicher, nun, mit »The Enterprise of Death«, nimmt Bullington uns mit auf eine Reise durch das frühe 16. Jahrhundert.
Hauptfiguren sind: a) das afrikanische Mädchen Awa, die als Sklavin einer Haremsschönheit in die Fänge eines spanischen Necromanten gerät, dessen Schülerin sie wird und der sie mit einem Fluch belegt, von dem sie sich quer durch Europa irrend zu befreien trachtet. — Dabei begenet sie b) dem Maler und Soldaten Niklaus Manuel Deutsch von Bern (von dem auch das Umschlag-Motiv »Der Tod als Kriegsknecht umarmt ein Mädchen« stammt), der Awa im Auftrag seines Herren Albrecht von Stein der Inqusition überbringen soll. — Bullington begeistert mich, denn sein Frührenaissance-Weltenbau ist gewissenhaft recherchiert, seine Magie folglich gut durchdacht und entsprechend stimmig geschildert. Vorsicht Zartbesaitete!: Bisweilen werden Handlung und Sprache derb, brutal und lästerlich, jedoch ohne dabei in platte Effekthascherei abzugleiten. Kurz: Richtig zünftige Vollwertkost von einem meisterhaften Erzähler. (Wundert mich nicht mehr, denn Jesse Bullington offenbart sich in diesem langen Interview-Podcast von Orbit als aufmerksamer Leser von Umberto Eco.)
•••
Film: In jüngster Zeit gab es eine Welle sich ähnelnder Filme, in denen jeweils ein junger, alles andere als heldenhafter Durchschnitts-Typ eine Krise durchmacht, die von Phantastik-Genre-Besonderheiten bestimmt wird: »Wanted« (Leute mit Superkräften und geheime Meuchelmord-Gesellen), »Zombieland« (Überleben in einer Zombie-verseuchten post-apokalyptischen Welt), »Kick-Ass« (Kostümierte Helden ohne Kräfte, die sich aber mit brutalen Gängstern anlegen) und nun eben, für mich mit Abstand der beste dieser Filme, »Scott Pilgrim vs. the World«.
All diese Filme haben zudem gemein, dass sie auf Comic-Vorlagen basieren (oder, im Falle von »Zombieland«, basieren könnten), und die mal mehr, mal weniger, klassische Filmsprache mit aus dem Comic oder von Videospielen übernommenen formalen Spielereien aufpeppen. Zudem gibt es in allen Filmen humorige und romantische Komponenten. — »Scott Pilgrim« ist aber für mich der einzige dieser Filme, der seinen Ton von Anfang bis Ende ohne Fehl und Zittern durchhält; der nicht nachlässt bei seinem Tempo, seinen überraschenden Wendungen und seiner Ideenfülle; der keine unstimmigen Phasen durchmacht oder meine Gutgläubigkeit überstapaziert. Selten, dass ich einen Film zweimal hinterander am Stück gucke und mir dann auch gleich noch die Kommentar-Tonspur reinziehe.
Derart angefixt, habe ich mir auch gleich die sechs Bände des zugrundeliegenden Comics des Kanadiers Bryan Lee O’Malley besorgt. Die minimalistischen Schwarz-Weiß-Zeichnungen sind sicherlich nicht jedermanns Sache, aber ich fand sie sehr passend für die Geschichte über ein Slacker-Milieu, in dem sich die Teens und Twens noch wie Larven, wie Spielzeugfiguren fühlen und verhalten, meist unsicher und ungeschickt mit den eigenen Gefühlen und denen der anderen umgehen. Die Story dreht sich eigentlich nur daraum, dass Scott Pilgrim sich in die neu in die Gegend zugezogene, geheimnisvolle Ramona verliebt, obwohl er noch mit einer Schülerin zusammen ist. Für das Recht Ramona zu umwerben muss Scott deren sieben böse Ex-Liebhaber überwinden. Hier kommen (im Film, aber im Comic noch heftiger) wilde Kampfseqeunzen ins Spiel. Und ich rede hier nicht von normalen Figuren, die sich kloppen und herumscheuchen, sondern Halb-Ninjas, verschlagenen Genies die Todesrobotoer bauen und am großartigsten finde ich, dass solche phantastischen Unmöglichkeiten in der Welt von Scott Pilgrim vollkommen normal sind. Leute arbeiten in vegetarischen Fast Food-Restaurants oder einem Videoverleih, spielen in einer Band, fahren Rollerblades und haben Taschen mit unermesslichen Sub-Space, schwingen magische Schwerter oder springen zum Mond um als Zeichen ihrer Liebe in den Trabanten ein Loch zu schlagen.
Zuletzt möchte ich loswerden, wie unfassbar mich die beiden jüngsten Spielfilm-Animes von Mamoru Hosoda überwältigt haben: »Das Mädchen, das durch die Zeit sprang« (2006) und »Summer Wars« (2009). Ich muss beide noch ein paar Mal gucken, um meine Gedanken zu ihnen halbwegs in den Griff zu bekommen, nur so viel jetzt schon. A) Wie bei nicht wenigen japanischen Zeichentrick-Filmen ist die Detailliebe, die handwerkliche Perfektion (vor allem der Hintergrundzeichnungen … bei den Animationen selbst sind die Japaner ja Meister der billigen aber effektiven Mittel) atemberaubend. Die vielen kleinen Ideen, Beobachtungen, Kleinigkeiten die überall im Bild zu finden sind, erfüllen mich mit Ehrfurcht. — B) Jeder, der auch nur ab und zu gerne den kleinen Zeh ins Genre-Gewässer der Science Fiction oder Science Fantasy steckt, sollte sich diese beiden Filme mal anschauen.
Netzfunde
Ich halte mich ja mit Kommentaren zur Situation in Japan zurück. Hier aber ein lesenswerter Kurzessay von Ian Buruma aus der ›FAZ‹: Schönheit als Gesicht des Schreckens. Allein der Anfang illustriert, warum ich diesen Text mag:
Theorien über Nationalcharakter sind mit Vorsicht zu genießen. Das menschliche Verhalten ist viel zu eigenwillig, als dass man es an Faktoren wie Klima oder natürlicher Umgebung festmachen könnte. Und doch wird man vernünftigerweise annehmen können, dass Menschen, die am Fuß eines Vulkans leben, eine etwas andere Lebenseinstellung haben als die Bewohner einer sanften englischen oder bayerischen Hügellandschaft. Vor allem dürften sie kaum Jahrzehnte damit verbringen, an Vulkanhängen Kathedralen zu bauen.
(Deutschsprachige) Phantastik-Funde
Nochmal ›FAZ‹, in der Daniel Haas ein feines Lob auf die wundervolle Vampir-Serie »True Blood« geschrieben hat: Viel schlürfen, tief schürfen.
Zuckerl
Eines meiner Lieblingscomics von Jaques Tardi, »Der Dämon im Eis«, ist bei Fantagraphics auf Englisch erschienen. Und so gibt es eine kleine Leseprobe-Galerie des Verlages bei flickr: »The Arctic Marauder« by Jacques Tardi.
Zwei originelle, löbliche ›Propaganda‹-Motive einer portugisischen Werbeagentur zum Thema Klimawandel und Temperaturanstieg: »Soon the weather will be our biggest oppressor«, Motiv 1: Flood; — und Motiv 2: Drought.
Wie sieht es aus, wenn man 24 normale Uhren zu einer großen Digital-Uhr zusammensetzt, und vor allem: wie schön ist der Zeigertanz, wenn die Uhrzeit verstreicht? Das führt die Installation The Clock Clock des Künstlerduos ›humans since 1982‹.
Ein lustiges Spiel für Filmfanatiker ist The Lurking Title. Geht so: Sage (oder rate), welcher Film gehört zu dem genannten ausländischen Titel eines anglo-amerikanischen Filmes der ins Englische zurückübersetzt wurde?