Eintrag No. 739 — Kommen wir nun zum untersten und letzten Regalbrett des nord-östlichen 80-cm-Billys. Hier gehts okkult und durcheinander zu. Kein Wunder, denn dieses Regal ist etwas schwer zugänglich und da sammelt sich nun mal schnell, was ich nur selten rausziehe.
Es beginnt links mit ein wenig Erotica: der kleine Jan Saudek von Taschen; ein kleiner Katalog des Frankfurter Kunstvereins aus dem Jahre 1998 mit Zeichnungen des wahnsinnigen Javier Gil und der Taschenbildband »Digital Desires« von Natacha Merritt.
— Darauf liegen die Tarot-Karten, mit denen ich ab und zu rummwurschtl: eines von Milo Manara, das klassische Rider Waite-Deck und die unglaublich coolen ›World of Darkness‹-Karten aus der Welt des Rollenspiels »Mage – The Ascension«.
— Daneben dann einige alte Bücher von Andrea, die ich gerne in Verwahrung genommen habe: über Hexen, Haiti & Voodo, wobei »Der Tanz des Himmels mit der Erde« von Maya Deren sicherlich der beste Titel ist. Auch der weiter rechts stehende (ebenfalls Andrea gehörende) Band »The Magic Island« von William Seabrook ist ein lesenswerter Klassiker über die magische Seite von Haiti
— Nun meine paar alten Magie-Bücher, die im Lauf der Zeit nicht aussortiert wurden: toll zum Blättern der fette »Alchemie & Mystik«-Ziegel von Taschen; dann die Werke von Austin Osman Spare; und das wundervolle Buch zum Giger-Tarot und das Nachschlagewerk von Akron & Banzhaf zum Crowley-Tarot (ein Klassiker der Wohngemeinschafts-Esoterik).
— Bereichernde Schau auf die Geschichte der modernen Esoterik bieten die beiden Bücher von Colin Wilson »Das Okkulte« und »Mysteries«, auch wenn ich den Ausführungen über die geistigen X-Kräfte nicht mit dem Herz folgen mag.
— Schnitt und wir befinden uns in einer kleinen Abteilung mit Büchern über ferne Weltgegenden und historische Reiseaufzeichnungen des Unionsverlages und des Erdmann Verlages.
— Auch wenns nicht komplett ist, mag ich die etwas zerfledderte Diogenes-Ausgabe von Jules Vernes »Die großen Seefahrer & Entdecker«; daneben steht der »Südöstliche Bildersaal« des unvergleichlichen Fürst Pückler (mein erster Kandidat für eine deutsche ›Liga der außergewöhnlichen Gentlemen‹).
— Ganz rechts, eigentlich völlig Fehl am Platze, steht das dicke Ding mit den vergnüglichen Aufzeichnungen von Karl Ignaz Hennetmair »Ein Jahr mit Thomas Bernhard«.
Oben auf liegen noch zwei Sachbücher: einmal das etwas trockene aber ausgiebige Recherchefrüchte bergende »Magie & Magier im Mittelalter« von Christa Tuczay und der etwas planlose aber ebenfalls stoffreiche Titel »Der Teufel« von Alfonso di Nola.
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Damit ist die Wanderung durch das erste Regal abgeschlossen. Stehen noch sieben vor uns.
Eintrag No. 662 — Film: Hinke ja arg weit hinterher, was das Liefern von Film-Rezis oder zumindest Film-Kurzreszis angeht. Also hohle ich mal nach, zumindest von meinen jüngsten Kino-Besuchen zu berichten
Vor ca. zwei Wochen war ich in »Ponyo – Das große Abenteuer am Meer«, und wieder mal bin ich überwältigt von der Macht, die ein ›Studio Ghibli‹-Film über mich hat. Der Film richtet sich unverkennbar zuerst mal an Kinder von etwa 4 bis 7 Jahren, aber wie meine Begleiterin Andrea so trefflich sagt: »Bei einem Miyazaki-Film dauert es etwa zwei Minuten, und ich bin wieder am Staunen wie eine Fünfjährige«. Wie immer bin ich mitunter am meisten von den stillen Momenten fasziniert, wenn ›eigentlich‹ nix passiert. Die kann Regisseur Miyazaki inszenieren, wie kaum jemand sonst. Und fast das Herz gesprengt hat mir natürlich der große Äktschn-Höhepunkt, wenn Ponyo auf wilden Meerenwogen parallel zum einem Auto der Küstenstraße folgt.
— Kurz: ca. 9 bis 10 von 10 Punkten.
Und dann hatte ich letzte Woche Gelegenheit, mir den neuen David Fincher »The Social Network« anzuschauen. Wieder erstaunlich, wie mühelos Fincher sich in einem neuem Genre tummelt. Im Grunde funktioniert »The Social Network« wie ein Theaterstück oder ein Woody Allen-Film. Leute sitzen herum und reden, nicht zu knapp. Der Film veranschaulicht gelungen, wie man als Macher eines Projekt getrieben wird von dem Verlangen, etwas gestalten und bewegen zu wollen, und natürlich, wie im Zuge des Begehrens, Ruhm und Geld anzuhäufen im juristischen Slalomlauf so manche Freundschaft auf der Strecke bleibt. Dass freundschaftliche Bindungen der Erschaffung einer sozialen Netzwerk-Plattform geopfert werden, ist nur die offensichtlichste Ironie des Filmes.
— Wertung: ca. 7 bis 8 von 10 Punkten.
Interessanten Einblick in den Buchkaufhaushandel bietet das Hugendubel Verdi Info-Blog. Besonders gefallen mir die ›Sprachlos‹-Einträge, die ergreifend den Frust engagierter Buchverkäufern, die bei Hugidubi arbeiten, bebildern.
Für ›Jungle World‹ legt Alex Feuerherdt mit Hauptsache Religion einen feinen Kommentar zu den derzeit abgegeben Profilierungsschwachsinn der ›C‹-Parteien vor.
Apropos ›jüdisch-christliche Wurzeln‹: Jeder, der sich auch nur halbwegs mit Kultur- und Religionsgeschichte beschäftigt, und dabei nicht durch Interessens-Doktrinierungen gehirngewaschen wurde, weiß, dass die Rede vom ›jüdisch-christlichen‹ Fundament des Hauses Europa einfach Quatsch ist. Man konsultiere einfach mal ein Kulturgeschichtswerk, in dem Begriffe wie ›Volksreligion‹ und ›Elitenreligion‹ vorkommen. (Zum Beispiel »Lebensformen Europas« von Wolfgang Reinhard.) — Über Holger KleinsStackenblochen-Blog fand ich meinen Weg zu einem Kommentar von Don Alphonso in seinem F.A.Z. Stützen der Gesellschaft-Blog, den ich gerne auch hier zitieren möchte:
Christliches Abendland heisst immer: Ich bin zu blöd, die Schattenseiten der letzten 1200 Jahre zu kennen.
Jüdisch-Christliches Erbe heisst oft mitunter: Ich finde es geil, mein Herrenrassentum so zu verkleiden, dass ich mich notfalls auf Deinen Antisemitismus rausreden kann, wenn Du mich für den stinkenden Fascho hältst, der ich bin. Dabei wird es schwer sein, einen Juden zu finden, der sich auf dieses angebliche Erbe berufen möchte: Als ob es noch nicht genug Geschlichtsklitterung und Fälschung in dem Bereich gegeben hätte.
Klar gesagt: Es gibt kein jüdisch-christliches Erbe. Die allerwenigsten, denen das aus dem Maul trieft, kennen vom Judentum mehr als die Kipah. Christentum und Judentum sind allein schon wegen der Frage des Messias absolut unvereinbar gewesen, und das Verhältnis hat sich von 800 bis 1945 dann auch merklich verschlechtert, um es höflich zu formulieren.
Auch wenn ich, nein: gerade weil ich ja ein bekennender und überzeugter Atheist bin, kann ich nur den Kopf schütteln über diesen Blödsinn: Nicht nur Kirchenaustritt, auch Enttaufung möglich. Zugegeben: nachdem viele ja ohne gefragt zu werden als Kleinkinder getauft wurden, fände ich es nur angebracht, wenn es die Möglichkeit gäbe, sich als Erwachsener, der eine entsprechende Weltsicht angenommen hat, zeremoniell Ent-taufen lassen zu können. Andererseits kann man das ja auch selbst gestalten und vornehmen, sei es alleine, oder im Kreise entsprechend Gleichgesinner. Ohne, dass man einen umgemodelten Föhn kaufen muss. — Durchaus originell finde ich allerdings den im Artikel vorgeschlagenen Gerbauch der Verse von Catull (aus »Carmen 85«) als Ent-Taufungs-Formel, auch wenn diese Zeilen, typisch für diesen römischen Dichter, etwas zu zerknirscht für meinen Geschmack sind:
Odi et amo. Quare id faciam, requiris Fort Asse? Nescio, sed fieri Sentio et excrucior.
Ich hasse und liebe. Du fragst vielleicht, warum ich das tue. Ich weiß es nicht, aber ich fühle, dass es geschieht und ich quäle mich.
Und Marc Fabian Erdl jubiliert in ›Der Freitag‹ ausführlich über die erste komplette deutsche Ausgabe der geheimen Tagebücher von Samuel Pepys (einer durchaus wichtigen Nebenfigur in Neal Stephensons »Barock-Zyklus«): Geiler Bock, Staatsbeamter.
Der großartige Jeff Vandermeer berichtet in seinem Blog flappsig aber erhellend davon, wie sein diesmaliger Anlauf Thomas Pynchons »Gravities Rainbow« (dt. »Die Enden der Parabel«) zu lesen nun vergnügt von statten geht: This Book Is Restoring Mah Brain Powers to Mah Brain und Reading Gravity’s Rainbow: First 75 Pages, Initial Contact. Ich selber gurke derweil irgendwo auf Seite 300 herum, und kann mich nicht so recht entscheiden, ob ich den Roman auf Englisch oder Deutsch lesen soll und pendle entsprechend zwischen beiden Sprachen.
Da beleibt mir nur, mich der Hoffnung anzuschließen, die Daniel Domscheit-Berg für ›Der Freitag‹ in seinem Text Der gute Verrat zur Sprache bringt, nämlich, dass als Ausgleich für solche Sehnsüchte der Gestaltungsmächtigen in Zukunft vermehrt mutige Geheimnisverräter rechtzeitig zur Kenntnis genommen werden, und dass die Anerkennung von solchen Petzer-Helden zunehmen wird.
(Deutschsprachige) Phantastik-Funde
Klaus Jarchow liefert seinem ›Stilstand‹-Blog einen feinen kleinen Text über die Tugend von die Phantasie kitzelnden Leerstellen in Texten, Ehret die Lücken!, illustriert anhand der Geschichte »Die Grube und das Pendel« von Edgar Allan Poe.
Holger M. Pohl hat eine neue Kolumne für ›Fantasyguide‹ verfasst: Proll vs. Niemand. Auch wenn mir HMPs Text ein wenig zu gehässig geraten scheint, finde ich es trefflich, wie er die in SF-Genrekreisen typische Erregung einiger über den Erfolg anderer kommentiert. Stein des Anstoßes war dieser Thread bei SF-Netzwerk: Kritik an SF Neuerscheinungen, Iwoleit vs. Heitz oder schaden Autoren wie Heitz der SF?, aus dem dann dieser allgemeinere Thread hervorging: Exploitation SF, Annäherung an ein Phänomen. Ich denke ja, es ist unfair, sich bei der Klage über die Verflachung des geliebten Genres lediglich auf die erfolgreichen Autoren einzuschießen. Immerhin ist es das Zusammenspiel von Autoren-Ambition, Programmgestaltung und Vermarktungstrategien der Verlage, sowie der Nachfrage von Kunden, die dazu führen, dass enervierend seichtes Zeugs das Feld dominieren.
Wie immer empfehle ich das neuste RSAnimate-Filmchen. Diesmal illustrieren die Meister von ›cognitive media‹ einen Vortrag von Sir Ken Robinson zum Thema Changing Education Paradigms, und besonders gelungen finde ich, wie das noch übliche Schulsystem mit der Logik von Fabriken verglichen wird.
Sobald ich mein PayPal-Konto entsprechend aufgepimpt habe, werde ich das hier bestellen: The Science Tarot. Obwohl ich mit ›Eso-Kram‹ nichts mehr (oder nicht mehr viel) am Hut habe, hege ich immer noch eine Schwäche für originelle Tarot-Karten. Ich verstehe das Tarot als eine Art interaktives Comic, das sich immer wieder zu neuen Geschichten auslegen lässt.
Mike Shaughnessy hat für ›BoingBoing‹ einen bewegenden Text zum Thema ›der Blick von Immigranten auf die neue Heimat‹ geschrieben, und es geht nicht um Muslime in der westlichen Welt, sondern um einen Deutschen in Amerika: My Man Anton Schutz: An Immigrant's View of the New York.
Dem ›Wall Street Journal‹ hat der geniale Scott Adams — der als Schöpfer der »Dilbert«-Strips dafür sorgt, dass Büromalochern dank Humor emotionelle Gesundheit bewahren — ein Interview gegeben: How to Write Like a Cartoonist.
Als sichere Weihnachtsbeglückung für mich darf ich mich auf den nächsten Film der Coen-Brüder freuen: True Grit, und ich bin schon sehr gespannt, wie sich dieser Rache-Western machen wird. Hier der bisher zweite, längere Trailer.
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