Hier die vierte Lieferung der (fast) täglichen kulturellen Link-Bonbons, die mir Freude machen und Kraft spenden und die ich seit meinem Burnout-Zwischenfall mit ›meinen Leuten‹ in einer kleinen Privatmitteilungs-Gruppe bei Twitter teile.
Eintrag No. 720 — Lektüre: Gefunden beim Buchhändler meines Vertrauens für Englischsprachiges, habe ich mir nun einen Klassiker des Steampunk-Genres vorgenommen: »Infernal Devices«, geschrieben von K. W. Jeter, dem Mann, der 1987 in einem Leserbrief an das SF-Magazin ›Locus‹ den Begriff scherzhaft geprägt hat:
{…} Personally, I think Victorian fantasies are going to be the next big thing, as long as we can come up with a fitting collective for Powers, Blaylock and myself. Something based on the appropriate technology of that era; like ›steampunks‹, perhaps… .
—K.W. Jeter
Molos Schnellübersetzung:{…} Ich selbst glaube, dass Viktorianische Phantasien bald groß rauskommen werden, vorausgesetzt, wir finden einen passenden Sammelbegriff für Powers, Blaylock und meine Wenigkeit. Vielleicht ein Name, der zu der dieser Epoche entsprechenden Technologie passt, zum Beispiel ›Steampunks‹… .
—K.W. Jeter
»Infernal Devices« erschien erstmals 1987 (auf Deutsch bei Ullstein 1990 als »Das Erbe des Uhrmachers«). Habe etwa die Hälfte des 340 Seiten umfassenden Romanes gelesen und bin angetan. Man folgt den Aufzeichnungen von Geroge Dower, einem eher bequemen und durchschnittlichen, wenn auch gelangweilten Londoner Gentleman, der die Uhrmacher- und Feinmechanik-Werkstatt seines Vaters geerbt hat, nicht jedoch dessen Genialität. Jeter versteht es vorzüglich, die Erzähl- und Räsonier-Umständlichkeit der viktorianischen Epoche zu beschwören, sie jedoch flockig lesbar zu gestalten. — Bisher hat sich noch nicht allzu viel getan, außer Geraune von Geheimgesellschaften, Weltvernichtungsmaschinen und den Versuchen Georges, mehr über die merkwürdigen Kunden zu erfahren, die seinen geruhsamen Alltag durcheinander gebracht haben. Bisher ist es sehr vergnüglich, wie George in einem (natürlich!) nebelverschleierten London unterwegs ist, um mehr über obskure Münzen mit Fischmenschen-Portraits und die Schöpfungen seines Vaters herauszubekommen. — Ich kann dem Klappentext und Blurbs bisher zufrieden Recht geben, wenn sie »Infernal Devices« als gelungene Mischung aus H. G. Wells, Arthur Conan Doyle und Lovecraft beschreiben.
Hier eine traurig & wütend machende Meldung (bei ›Telepolis‹) zum Stand der Staudamm- & Wasserkraftwerk-Entwicklung am Xingu-Fluss. Da haben James Cameron (siehe »Eine Nachricht von Pandora«-Doku der Extended Collector’s Cut-Version von »Avatar«) und andere Promis noch versucht, im Protest die Weltaufmerksamkeit auf dieses Wahnwitzunternehmen zu richten, aber geholfen hat es nichts: Brasilien genehmigt gigantisches Belo-Monte-Wasserkraftwerk.
Ein wie ich finde wirres aber seltsames PDF: 15 Thesen zur nächsten Gesellschaft von Dirk Baecker von der Zeppelin Universitat Berlin. — Für ›Telepolis‹ versucht Jörg Wittkewitz die Thesen verständlich und kritisch auszudeuten, aber die bleiben für mich trotzdem von ausgesuchter Undurchschaubarkeit: Die nächste Gesellschaft. Wittekitz deutet es schon an, dass Baecker im Grunde versucht, Gesellschafts-Prognosen mit Technik-Sprache zu betreiben … ich gehe weiter und meine, dass Baecker im Grunde keine Wissenschaft sondern Poesie betreibt. Seine »15 Thesen« würden sich vielleicht besser als Warmschreibtext für ein Science Fiction-Szenario machen. — Mein Favorit lautet:
Das Individuum der nächsten Gesellschaft spielt, wettet, lacht und ist ratlos. Es zählt wie in der Stammesgesellschaft, fühlt wie in der Antike, denkt wie in der Moderne und muss sich dennoch jetzt und heute an der Gesellschaft beteiligen.
Ein Satz von überwältigender Unbrauchbarkeit.
(Deutschrachige) Phantastik-Links
Die neueste Science Fiction- und Fantasy-Rundschau von Josefson für den ›Der Standard‹: Intelligente Wolken und Drogennebel, diesmal mit Rezensionen zu Büchern von Hannu Rajaniemi, Karsten Kruschel, Ken Scholes, Lavie Tidhar, Nir Yaniv, Kazuo Ishiguro, Chris Wooding, Andreas Brandhorst, Nnedi Okorafor, Jeff Somers, Kai Meyer. — Ist diesmal nichts dabei, was ich (schon) kenne, oder worauf ich (nun) neugierig geworden bin. Schade eigentlich.
Es freut mich, dass für die ›TAZ‹Ulrich Gutmair ein großes Lob auf den neuesten Roman von William Gibson anstimmt: Der Kommunismus der Dinge.
Was machen, wenn man sich teure Hirmer-Bildbände nicht leisten kann? Wenigstens gute Rezi-Zusammenfassungen des Inhalts genießen, wie Cathrin Nielsens Besprechung Gegenwelten über Werner Hofmanns »Phantasiestücke. Über das Phantastische in der Kunst«.
Zuckerl
Wohlverdienter Sieg beim Wettbewerb um’s beste Photo mit einem ›Last Exit Nowhere‹-T-Shirt: Best Picture of May 2011. — (Zur Info: Gewinnerin Emily Rogers trägt ein T-Shirt mit dem Firmenlogo von ›Wayland-Yukatami‹, der großen, mächtigen Firma, die in dem SF-Weltenbau von »Alien« & Nachfolgern die Fäden zieht.)
Die Mannschaft des ›Clockworker‹-Blogs hat mich auf die Zentrifugal-Geburtsmaschine aufmerksam gemacht. Ob die jemals getestet wurde?
Schräge Blog-Idee: Thom Dicomidis spinnt jede Woche ein Gedankenspiel zusammen, wie ein Zweikampf zwischen X und China Miéville verlaufen würde … offensichtlich ist Thom ein um einige Dimensionen ärgerer Miéville-Fan als ich. Bisher hat noch niemand gegen C.M. gesiegt: Could They Beat Up China Miéville.
Apropos China Miéville: der Meister selbst pflegt ja ein ziemlich inspiriertes Blog, ›Rejectamentalist Manifesto‹, in dem er Fundstücke teilt. Mein Liebling der letzten Zeit: Such acts of worship are conducted with a fervour that seems wholehearted but defensive (in etwa: ›Diese Gesten der Huldigung werden mit einer Inbrunst vollzogen, die von ganzen Herzen zu kommen, aber auch zurückhaltend scheint‹).
Naturkunde die stinkt und kracht: beginnt etwas dröge, steigert sich aber wunderbar von den seichteren zu den heftigeren Reaktionen der Alkalimetalle Lithium, Natrium, Kalium, Rubidium und Cäsium auf Luft und Wasser: Alkali Metals In Water (via ›BussFeed‹).
Über die VBlog-Besprechung von »X-Men: First Class« durch Nostalgic Chicks Linsey & Nella habe ich vom Bechdel-Test erfahren. Ein Film besteht den Test, wenn er die folgenden drei Kirtierien erfüllt:
1. Mindestens zwei Frauen kommen in dem Film vor …
2. … die miteinander reden …
3. … und zwar (auch) über etwas anderes als Männer.
Erstaunlich, welche Filme bei diesem Test durchfallen!
(Infoschwall: Der Test wurde inspieriert durch den Comic-Strip »The Rule« von Alison Bechdel. Ja genau, die Autorin von »Fun Home«. Hier bei ›Femenist Frequency‹ werden die Regeln als Filmchen erklärt.)
Zum Abschluss ein wunderschöner Zeichentrick-Kurzfilm, Abschlussarbeit von Ya-ting Yu, sowie Yeh Ya-hsuan und Chung Ling, an der Nationalen Hochschule für Künste Taiwans: Out of Sight.
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Eintrag No. 717 — Brutale Woche. Erstens, weil ich kein Sonnenmensch bin und die Invasion des Sommers entsprechend nicht zu schätzen weiß. Die zwanzig Minuten Regenschauer, mit denen ich am Sonntag beglückt wurde, waren mir zu wenig. — Zweitens, weil zwei meiner Kollegen von Krankheit darniedergerafft wurden und ich sechs Tage Dienst hinter mir habe. Dadurch blieb weniger Zeit zum Lesen, Daddeln, Stöbern und entsprechend wenig Links gibt es diese Woche.
Aber: Andrea hat mir von ihrem letzten Kurzaufenthalt in Italien ein hübsches Anti-Atomkraft-Shirt der ›Legambiente‹ mitgebracht. Zu sehen ist der Venezianische Löwe im Simpsons-Stil, mit drei Blinky-Augen und der Pfote auf einem Atommüll-Fass (statt dem Buch der Stadt).
Lektüre: Immer wenn ich besonders wenig Zeit und Nervenstärke fürs Lesen erübrigen kann, greife ich auf die exzellente Hörbuchfassung von Neal Stephensons »Barock-Zyklus« zurück. Im Lauf der letzten Woche habe ich das zweite Drittel dieses gigantischen Werkes, Band 2 »The Confusion«, zu Ende gehört und bin weiterhin äußerst entzückt davon, wie gekonnt Simon Prebble den Roman vorträgt. — Kurze Hörprobe gibt es bei ›Audible‹.
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In zwei Tagen unterwegs weggeschlürft habe ich das neueste auf Deutsch bei Tropen erschienene Buch von Douglas Coupland: »Marshal McLuhan. Eine Biographie«. Dazu muss ich sagen, dass ich (bisher) kaum eine Ahnung von McLuhan hatte, außer, dass er in den Sechzigerjahren prophetische Bücher über unsere moderne Medienwelt geschrieben hat. Natürlich kenne ich die zwei Aussagen von ihm, die zum fixen Fundus eines jeden Bullshit-Bingos zum Thema moderne Medienwelt gehören:
— 1)»Das Medium ist die Botschaft« (gemeint ist laut Coupland: »der augenscheinliche Inhalt sämtlicher elektronischer Medien ist unerheblich und das Medium selbst hat eine viel größere Auswirkung auf die Umwelt und Konsumenten«);
— 2)»Die modernen Medien machen die Welt zu einem globalen Dorf« (gemeint ist: »elektronische Technologien sind eine Ausweitung des menschlichen Zentralnervensystems und die kollektiven Nervenleitungen unseres Planeten bilden eine einzige blubbernde, diffuse, quasi-fühlende, rund um die Uhr akrive Meta-Community«). — Coupland bereitet das Thema kurzweilig und doch eigenwillig auf. Seine Art, sich eher wie ein Objektkünstler dem Schreiben zu widmen ist offenkundig, wenn er wie bei einer Collage Anagramme, Internet-Auszüge und Zitate zu einem großem Gedankenbild anordnet. Zudem traut er sich, seine sehr persönliche Sicht auf McLuhan anzubieten, was das Buch zu einer weniger verkopften Angelegenheit macht, als man bei dem Gegenstand befürchten mag. — Wichtig ist Coupland unter anderem, dass die körperliche Verfassung, vor allem die dies Gehirns, zum Verständnis der Besonderheit eines Denkers wie McLuhan ist. Ein Beispiel dafür (wie auch für Coupland persönliche Färbung) liefert eine Fussnote auf Seite 61, bei der ich Tränen gelacht habe:
Halloween 1988 habe ich mit dem Rauchen aufgehört. Im Dezember lief ich durch einen Schneesturm, nieste wie noch nie zuvor in meinem Leben und hatte danach einen Gewebeklumpen in der Hand, der aussah wie eine kernlose grüne Weintraube. Durchzogen von blutigen Äderchen. Ich war natürlich mit den Nerven am Ende und lief sofort zum Arzt, der mir erklärte, ich solle dankbar sein, »Immerhin ist es jetzt draussen«.
Hier ein Schmankel zum Kennelernen von McLuhan ein vierteiliges Youtube-Video (genauer: Tonmitschnitt) eines Vortrages. Leider ist nicht angegeben, wo und wann McLuhan diesen Vortrag gehalten hat, wahrscheinlich irgendwann in der zweiten Hälfte der 60er-Jahre. Man bekommt einen guten Eindruck, warum McLuhan als provokaten Thesen verbreitender Prohet und fesselnder Redner galt: Marshall McLuhan - Address to Author's Luncheon (1 von 4).
Spiel:Freund David hat bereits gemeldet, dass ihn »L. A. Noire« enttäuscht hat, er aber gespannt ist, wie ich dieses Spiel finde. Ich hatte bis Sonntag noch Dienst, und damit nicht wie David die Möglichkeit »L. A. Noire« in kurzer Zeit durchzudaddeln. Vielleicht ein Vorteil, denn die knappen Sessions, die ich bisher als Kommissar Phelps im Los Angeles des Jahres 1947 verbachte, haben mir sehr gut gefallen. — Okey, es dauerte einige Zeit, bis ich mich an den Stil des Spieles gewöhnt habe. Bei den bisher von mir gespielten Rockstar-Titeln (der moderne Gangster-Kracher »GTA IV« inkl. seiner beiden Erweiterungen und das Spätwestern-Epos »Red Dead Redemption« inkl. der Zombie-Erweiterung) konnte ich weitestgehend frei Schnauze durch die Welt eiern und viele unterschiedliche Dinge abseits der Haupt- und Neben-Geschichte(n) anstellen. Deshalb gelten diese Spiele auch als ruhmvolle Beispiele für das ›Open World‹- oder ›Sandbox‹-Spiel-Genre. Im Gegensatz dazu verschleiert »L. A. Noire« kaum, dass der Spieler auf einem ziemlich gradlinigen Pfad durch die Geschichte gelotst wird. Zudem kann man sich nicht wie in bisherigen Rockstar-Welten nach Herzenslust benehmen. Als Gesetzteshüter ist man angehalten, keinen Sach- oder Personenschaden anzurichten. Kein chaotisches Remmidemmi also, was durchaus schade ist. Allerdings wird dieser ›Makel‹ (für mich) wieder mit der Athmosphäre und Geschichte ausbalanciert. Das Spiel macht auf mich, trotz der ein oder anderen humorigen Nuance, einen erstaunlich reifen und erwachsenen Eindruck. Der Ton und die Figurenzeichnung von »L. A. Noire« sind sozusagen die Umkehrung von »GTA IV« und »Red Dead Redemption«: bei den beiden Vorgänger dominierte deftige, mitunter zynische Satire den Gesamteindruck, und hie und da eingestreute ernste Facetten erinnerten an die grimmigen Tatsachen der realen Welt, die dem Weltenbau der Spiele zugrundeliegen. Bei »L. A. Noire« wird man als Ermittler Phelps Stück für Stück in die unangenehme Position bugsiert, hilflos zu durchschauen, dass man als Handlanger der politisch gut vernetzten Übeltäter einen Unschuldigen nach dem anderen als Sündenbock einbuchtet. — Ich bin schon gespannt, wie die ganze Geschichte ausgeht.
Nachtrag: Freund Volker B. hat in seinem Blog ›Random:Notes‹ mehrere Einträge zu »L. A. Noire« geschrieben: einmal seine allgemeinen Eindrücke nach der ersten Spielsitzung: L.A. Noire (I); für die Website von T-Online dann diese (auch oben beim Cover des Spiels verlinkte) Rezension Der Tod in der Stadt der Engel; und wieder in seinem Blog diesen quirligen Bericht einer längeren Session in etwa aus der Mitte des Spieles: L.A. Noire (III) – jetzt mit +++ Liveticker +++.
Netzfunde
Ich sammle ja Anthologien. 1) Weil die sich vorzüglich eignen, Kenntnisse zu erweitern, unnützes Wissen anzuhäufen & sich neuen und unbekannten Themenfeldern zu nähern; 2) Weil mein Anthologie-Vorrat mich davor bewahrt, nicht zu wissen was ich lesen soll, da Anthologien prima Lesekitt zwischen zwei Büchern sind. — Zu meinen Lieblingsanthos gehört »Eyewitness to History«, herausgegeben von John Carey, Avon Books 1990 (US-Augabe von »The Faber Books of Reportage«, 1987). — Zwar hatte ich noch nicht viel Zeit zum Stöbern, finde es aber doll, dass man diese Anthologie-Idee auch ins Internet übertragen hat: EyeWitness to History (Augenzeugen der Historie).
Apropos: Hat zwar nichts mit Bürges Artikel, aber mit Kirche und Christen zu tun. Was mich wundert ist deren großes Schweigen dieser Tage. Im »Spiegel« und anderswo wurde vergangene Woche berichtet, wie ein altbekanntes Hamburger Versicherungshaus Mitarbeiter mit einer Runde Ringelpiez mit Anfassen in Prag ›belohnte‹, kurz: ‘ne Sexorigie auf Kosten des Hauses. Ist einerseits eine feine Art der Belohnung, gleichzeitig schweißen solche gemeinsame ›verruchte‹ Erlebnisse zusammen und machen erpressbar. Angeblich sollen Belohnungs-Veranstaltungen dieser Art verhältnismäßig verbreitet sein (was ich mir durchaus vorstellen kann und für wahrscheinlich halte, auch wenn ich nicht glaube, dass viele Firmen solche Veranstaltungen übers offizielle Konto abrechnen). — Was mich nun völlig verdutzt, ist, dass kein Christenprediger, die sich ja sonst gerne mal in alles mögliche populistisch einmischen, hierüber ein Wort äußert. Oder ich hab’s nicht mitbekommen?
Zu den Autorinnen, die ich außerordentlich schätze, über deren Bücher (z.B. »Schiffsmeldungen«, »Mitten in Amerika« und die Sammlungen mit Kurzgeschichten aus Wyoming, deren bekannteste wohl »Brokeback Mountain« ist, verfilmt von Ang Lee) ich aber bisher noch nichts in der Molochronik geschrieben habe, gehört die Amerikanerin Annie E. Proulx. Hier bei ›Slow TV‹ habe ich ein Video gefunden, in dem sie mit dem australischen Autor Tim Flannery über die Wechselbeziehung zwischen Wissenschaft und Kunst plaudert: Science is the new art. Ist anfangs etwas zäh, aber wenn Proulx und Flannery anfangen, von ihren Naturerlebnissen zu erzählen, wird es hochspannend.
Zuckerl
›Asia Obscura‹ nimmt uns mit auf einen Photorundgang durch den Dongyue Tempel (= ›Tempel des Ostberges‹) in Peking mit 19 unglaublichen Taoistischen Göttern. Für die Hasenfreunde der Molochronik sei insbesondere auf diesen blauen Gott der taoistischen Tierabteilung hingewiesen.
Bei ›Neatorama‹ habe ich dieses runde Drei-Parteien-Schach gefunden. Würde ich gerne mal eine Partie spielen.
›Slash / Paris‹ präsentiert die wundersamen und verstörenden Skulpturen des koreanischen Künstlers Choi Xooang: The Islet of Asperger. Weitere Photos von Xooangs Werken finden sich bei ›This is Colossal‹.
Lektüre: Bin im letzten Drittel von Paolo Bacigalupis »The Windup Girl« von (Anfang Februar als »Biokrieg« bei Heyne) und weiterhin sehr zufrieden mit dem Buch. Am meisten erstaunt mich, dass der Roman sich hauptsächlich auf die Charakter-Entwicklungen und die Schilderung des Sozialgefüges konzentriert. Obwohl es mittlerweile einen großen Zwischenfall gab, wird Äktschn unterschnitten inszeniert (es gibt allerdings ein paar Szenen, in denen eine künstliche Frau zum groben Vergnügen des Publikums eines Nacht-Club malträtiert wird).
Großartige Neuigkeiten.
Es ist endlich so weit!
Nach 20-jähriger Suche gibt es nun einen »Codex Seraphinianus« (Auflage August 2010 der Rizzoli-Ausgabe von 2006) in meinem Haushalt. Als Andrea ihn ausgepackt hat, merkte ich, wie sich ein kosmisches Ungleichgewicht auflöste. Im Netz schreiben zwar die Kenner, dass der Druck dieser Auflage etwas dunkler (sprich: Detail-abträglicher) ist, als der von vorherigen Auflagen, aber immerhin habe ich meinen »Codex« und ich dafür nicht mehrere hundert Euronen hinlegen müssen.
Seit seinem Erscheinen 1981 gilt »Codex Seraphinianus« als eines der seltsamsten, phantasiereichsten, undurchschaubarsten und erstaunlichsten Bücher aller Zeiten (in seiner Exzentrizität nur noch vergleichbar z.B. mit Werken wie den BildCollage-Romanen von Max Ernst {»Une semaine de bonté« und »La femme 100 têtes«}, dem Voynich-Manuskript, oder Carrolls Nonsense-Versepos »The Hunting of the Snark«). Soviel kann man erkennen: Der »Codex« ist wie eine Enzyklopädie organisiert, und in verschiedene Sachgebiete eingeteilt. Einige dieser Sachgebiete kann man ziemlich sicher erkennen, wie Flora, Fauna, Schrift oder Spiele, andere bleiben auch nach x-maligen Lesen ziemlich rätselhaft, z.B. die Abteilung über zweibeinige Lebensformen (wobei man bedenken muss, dass in der seraphinianus’schen Welt auch Regenschirme und Wollknäul dazugehören). Es gibt viel Text, Tabellen, Gleichungen, doch ist das alles in einer Sprache und Schrift geschrieben, die bis heute nicht entziffert werden konnte, und die aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht entzifferbar ist … oder vielleicht doch? — Hier ein kleiner Ausschnitt aus dem »Codex«: die Illustrationen aus der Abteilung über Städtebau oder Stadtbau-Utopien, begleitet von dem wundervollen Stück »Music For A Found Harmonium« des einzigartigen Penguin Cafe Orchestra.
Weitere lohnende Einblicke und Texte über den »Codex Seraphinianus« bieten:
Mit großer Freude entdeckte, dass in ihrer »Enzyklopädie des Imaginären«Monika Schmitz-Emans dem »Codex« einen eigenen langen Essay-Eintrag widmet.
Ein Essay von Justin Taylor für das »The Believer«-Magazin vom May 2007. Bietet ein Zitat des Berichts von Alberto Manguel über die Entdeckung des Manuskriptes; ein Zitat vom Beginn des Textes »Orbis Pictus« den Italo Calvino als Vorwort für eine Auflage des »Codex« schrieb.
Netzfunde
Bei ›TED‹ gibt es einen neuen Vortrag von Naomi ›No Logo!‹ Klein, der Autorin des von mir geschätzte Buches »Die Schock-Stretegie«: Addicted to risk, indem sie am Beispiel der Öl-Leck-Katastrophe im Golf von Mexiko und des Tageabbaus in Kanada (= Häutung der Erde) die Mythen des Fortschritts kritisiert.
Kultur: Wer schon immer mal sehen und nicht nur hören wollte, warum Johann Sebastian Bach als genialer Komponist gilt, der kann dieses Filmchen gucken, das zeigt, Wie ein ›einfacher‹ Kanon von Bach funktioniert, eben vorwärts und rückwärts, und beides gleichzeitig und auf den Kopf gestellt.
Volker Breidecker hat für die ›Süddeutsche‹ eine Tagung zum Thema Verschwörungstheorien besucht: So finster die Macht.
Feine Entdeckung: Es gibt ein recht ausführliches Kriminologie-Lexikon im deutschen Netz. Draufgestoßen bin ich, nachdem ich letzte Woche die CD von Georg Schramms Programm »Thomas Bernhard hätte geschossen« entlieh und gehört habe. Schramm, als Dombrowski, zitiert darin die Einschätzung des Bundes-Kriminalamtes Wiesbaden, demnach das deutsche Gesundheitssystem korrupt ist und sich in den Händen der organisierten Kriminalität befindet.
Hochgradigen Schwachsinn hat Wolfram Eilenberger für ›Cicero‹ zusammengeschwurbelt, wenn er in seinem Text Kehlmann, Sarrazin und die Vermessung der deutschen Leserschaft nur aufgrund der in etwa gleichen Verkaufszahlen von »Die Vermessung der Welt« und »Deutschland schafft sich ab« mutmaßt, dass diese beiden Bücher Ausdruck des gleichen Volksempfindes sind.
Zuckerl
In Zeiten ansteigender Überwachung wächst auch die Notwendigkeit, sich in städischen Gefilden zu tarnen. Wie das geht, zeigt die Website Urban Camouflage.
Ganz vorzüglich finde ich die ›deviant art‹-Galerie von Uminga. Meine Lieblinge sind Death & Sandman, die Portraits von »Batman«-Charakteren wie dem Pinguin, der immer entzückenden Harley Quinn und freilich dem Joker, und grenz-cool ist diese Illu der Ermittler aus dem Fincher-Film Se7en.
Das Blog ›Who killed Bambi‹ zeigt, was die Photographin und Diogramenkünstlerin Mariel Clayton fetziges mit Puppen anstellt: Killer Barbies.
Online-Comic: Ein Superheld ohne Superkräfte, aber dem Willen, allen Ratten und anderen Tieren im Kampf gegen wahnsinnige Wissenschaftsprojekte beizustehen liefert Doug TenNapel mit Ratfist.
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