molochronik

Philipp Mißfelder

Eintrag No. 667 — Und schon wieder muss ich mich von einer Seelenverstrahlung mittels ›Fetzenschädel‹-Zeichnen reinigen. Diesmal ist es der nette Rumpler von der Jungen Union, dessen auf mich stets etwas angstvoll wirkendes G’schau ganz mitleidig machen dadat, wären mir die Wortmeldungen VerbalSumpfgasblasen dieses Bundesvorsitzenden der JU nicht so überaus unsümmbatisch. Diese Woche hat er nur mal so lala aus’m Handgelenk gegen Halloween angestänkert, im Sinne von, »man müsse die christlichä Tradizion geg’n a so a neimodisches Zeitgeist-Glumbert verteidigen« … also nur das übliche ›onward christian soldiers‹-Gedöns, halt auf bayerisch. — Hoppala! Der Mann kommt ja aus Gelsenkirchen. — Naja, ernenne ich ihn eben zum Sprücherl-CSU-ler ehrenhalber. Nibelungenhallentauglich ist der Mann mit seinen feschen ›Polarisierungen‹ allemal.

Aber nicht mehr lange gefackelt; ich prrrräsendiere: Philipp ›Der Steher‹ Mißfelder.

Der Herr Pofalla bringt mich auf was…

… das ich schon lange mal loswerden will.

(Eintrag No.358; Gesellschaft, Woanders) — Heute hat’s in der »TAZ« ein Interview mit dem CDU-Generalsekretär Pofalla. Es geht um’s Leitbild und das Konservative. Erstmal: zu konservieren ist ja nichts per se schlechtes. Nur: was lohnt sich bewahrt zu werden, und was nicht? Wie sagte Gustav Mahler mal so schön:

»Tradition soll das Weiterreichen der Fackel sein, nicht die Anbetung der Asche.«

Aber ich will mal nicht so pessimistisch sein und also gutmütig annehmen, daß auch der Herr Pofalla sich in seinen Musestunden solches vielleicht schon gedacht hat.

Nehmen ich mal die Moderne, den Aufbruch der Neuzeit samt ihrem Sich-Befreien von traditionellen, ständischen un hierarchischen Vormoderne-Gesellschaftformaten. In allen möglichen Geschichtsbüchern findet sich in etwa die Ansicht wieder, daß in Deutschland das Erblühen der Demokratie und der ›offenen Gesellschaft‹ von herben Rohrkrepierzwischenfällen verhunzt wurde (gescheiterte Revolutionen, Bismark … auch der unseelige Umstand gehört hierzu, daß Deutschland vom Selbstverständnis ein ›Kulturstaat‹ und kein ›Verfassungsstaat‹ ist).

Nehmen wir die Katholen in Deutschland: Sind Privilegien (wie Konkordatslehrstühle) für diese (patriarchalische) Parallelgesellschaft, die sich nicht selbst fortpflanzt, sondern ihren Nachwuchs parasitär aus aller Herren Länder rekrutiert eine bewahrenswerte Tradition? Oder sind deren Privilegien nicht vielmehr hartnäckige Restposten aus vormodernen Zeiten, die man gemäß einer eigentlich anzustrebenden Trennung von Staat und Kirche hinter sich lassen sollte?

Ist das Militär nicht eine Parallelgesellschaft? Der Geheimdienst? Ich sage: immer wenn Deutungs- und Gestaltungsmächtige hinter verschlossenen Türen entscheiden, greift eine kleine Parallelgesellschaft unbotmäßig in das Leben der Vielen ein.

Folgendes nun gehört für Herrn Pofalla zur Leitkultur (ein wie ich übrigens finde gar nicht so unpraktisches Wort; siehe Leitplanke) :

Das klingt ja ganz nett.

Nun aber, was mir schon seit einiger Zeit auf der Zunge liegt. Die beiden ersten Parallelgesellschaften, die sich in jeder Menschengroßgruppe bilden sind:

  • die Herrschenden (nebenbei: der edelste Euphemismus für ›Parallelgesellschaft‹ lautet ›Elite‹)
  • und die Außenseiter (nebenbei: das hässlichste Synonym für ›Parallelgesellschaft‹ lautet ›Abschaum‹)

Dazwichen befindet sich die sogenannte ›normale Gesellschaft‹, die Masse in der Mitte, die nach unten die Freaks abdrängt, und von denen sich von oben her die Mächtigen abgrenzen.

Politiker bilden eine solche Paralellgesellschaft, VIPs (Very Important People, also Promis) ebenfalls. In einer Parallelgesellschaft leben also alle, die mit der Gesellschaft nur indirekt über viele dienstbare Helferlein Kontakt pflegen, die mehr mit z.B. Presse- und Lobbymenschen als Normalbürgern zu tun haben, die schützend von Leibwächtern umringt werden, die mit Selbstverständlichkeit an Orten mit erhöhter Immunolgie ein- und ausgehen.

Alle Menschen die dank ihrer Verbindungen und Mittel die Möglichkeit für Konten in Steueroasen haben, kann man als Angehörige einer fiesen Parallelgesellschaft bezeichnen (vulgo: Solidaritätsdeserteure). Es sind die Parallelgesellschaften des Klüngels, des Dünkels und der ›besseren Gesellschaft‹, in denen Korruption und Vorteilsnahme am wildesten grassieren. Kurz: Buissnes-Class, Premiummitgliedschaften und Privatkunden von Banken, Priviatschulen, Rotarier, Scientology, Fußballfansclubs … all das sind ›strenggenommen‹ Parallelgesellschaften, nur eben solche, die unter einer Art Wahrnehmungschutz stehen. Die vulgäre Selbstabgrenzung von Parallelgesellschaftsangehörigen lautet: »Leck mich am Arsch«; die vornehme aber geht so: »Kein Kommentar«.

Was die deutsche Sprache betrifft: z.B. in den Werbe-, PR- und Power Point-Vortragsmilieus soll ja dem Vernehmen nach teilweise ein so arges denglisches Geschäftsspeak verbreitet sein, daß man zweifeln möchte, ob die entsprechenden Maker & Shaker noch der Leitkultur unserer lieben Muttersprache fröhnen. Auch wenn ich Stellenanzeigen lese und Berufsbezeichnungen stöbere, muß ich annehmen, daß Deutsch in der Berufsbegriffswelt (auch an deutschen Unis) nicht mehr Leitkultur ist.

Aber in die Richtung, GEGEN das ›Establishment‹ hört man Politiker der C-Partein seltenst anwettern. Mit Parallelgesellschaft ist also immer erstmal der Moslem, der Ausländer, der Nazi-Ork-Proll usw gemeint. Nicht jene Kreise, die vor lauter Komfort und Exklusivität schon lange nicht mehr wissen, wie das ›normale Volk‹ lebt und empfindet. Insofern: Buisness as usual bei der CDU.

Plakatverbot — Fortsetzung

Den Anfang der Geschichte um das Verbot des »Wir machen's gleich«-Wahlplakates der Grünen könnt Ihr hier nachlesen. Nun die Fortsetzung (aus Diskretion habe ich den Namen des netten Ordnungsamtmitarbeiters außen vor gelassen):

Königstein an mich:

Sehr geehrter Herr Müller,

es war das erste Mal, dass ein Plakat in Königstein verboten wurde. Es war auch sicher das erste Mal, dass eine Partei ein derartiges Wahlplakat hat drucken lassen. Zwischenzeitlich wurde die Verbotsverfügung jedoch aufgehoben, um den Bundestagswahlkampf nicht zu beeinflussen.

Falls Sie weiter Interesse an den Beweggründen haben, übermitteln wir Ihnen nachfolgend die Begründung:

»Die Darstellung von zwei unbekleideten Frauen gemeinsam mit zwei unbekleideten Männern auf einem Wahlplakat mit der zweideutigen Aufschrift "Wir machen's gleich" lässt zu (oder beabsichtigt), dass darunter der Geschlechtsakt verstanden wird. Das Wahlplakat überschreitet mit seiner Aussage die Grenze zu einer ornographischen Schrift bzw. Darstellung.

Da dieses Wahlplakat im öffentlichen Verkehrsraum oder auf einem öffentlich zugänglichem Grundstück aufgestellt auch von Kindern und Jugendlichen jeden Alters gesehen wird, darf es deren seelisches Wohl nicht beeinträchtigen.

Nach den allgemein geltenden Moralvorstellungen ist die Darstellung von sexuellen Handlungen nicht für Kinder und Jugendliche geeignet. Daher ist durch § 6 JÖSchG des Gesetzes zur Neuregelung des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit-Jugendschutzgesetz (JÖSchG) festgelegt, dass Filme für bestimmte Altersklassen freigegeben werden müssen und nur vor diesen vorgeführt werden dürfen. Dies gilt nach § 7 JÖSchG ebenso für Videokassetten, Bildplatten und Bildträger. § 8 Abs.5 JÖSchG verbietet die Aufstellung von Unterhaltungsspielgeräten, mit denen sexuelle Handlungen dargestellt werden, an für Kinder und Jugendliche zugänglichen Orten.

Diese Aufzählung belegt, dass die bildhafte Darstellung von sexuellen Handlungen für Kinder und Jugendliche nach dem JÖSchG als seelische Gefährdung zu werten ist. Gemäß § 1 JÖSchG haben die zuständigen Behörden die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wenn sich Kinder an Orten aufhalten, an denen Ihnen eine Gefahr für ihr seelisches Wohl droht. Kinder und Jugendliche von den betreffenden Orten, z.B. der Ausfahrt des großen öffentlichen Parkplatzes in Königstein gegenüber dem Haus Hauptstraße 13 ist nicht möglich, da viele die in unmittelbarer Nähe befindlichen Bushaltestellen im Rahmen Ihres täglichen Schulweges benutzen müssen. Daher ist es ein geeignetes Mittel, die restlose Entfernung der betereffenden Plakate aus dem öffentlichen Verkehrsraum zu fordern.«


Mit freundlichen Grüßen im Auftrag

Ich wieder an Königstein:

… vielen Dank für Ihre Antwort-eMail, ich kann mir vorstellen, die Stadt hat besseres zu tun, als Neugierigen seltsame eMails zu beantworten. Sehr sympathisch Ihre Gesprächsbereitschaft.

Ich gebe zu, daß mich als weitgereisten Bayern das Vorgehen der Königsteiner Ämter doch ehr belustigt als ärgert. Die Entscheidung das Verbot derzeit nicht anzuwenden ist vernünftig.

Einfach ausgedrückt ist es doch sehr schmerzhaft zu sehen, wie einerseits auf mannigfaltige Art für kommerzielle Zwecke sehr agressiv sexuelle/koitusative Motive verbunden mit sprachlicher Mehrdeutigkeit eingesetzt werden können, andererseits aber eine Partei (egal welche) nicht auf Sexuelles verweisen darf, wenn es denn Gegenstand ihrer Politik ist.

Das Wahlplakat empfinde ich in erster Linie als spielerisch; dann durch den Verweis auf das klassische Louvre-Bild etwas bemüht; schließlich technisch sauber gearbeitet und in seiner Aussage angemessen.

Zuletzt möchte ich anmerken, daß ich zwar ein Verteidiger (guter) Pornographie und Erotica bin, der aber bedauert, daß (wie Alfred Döblin sagte) das größte Fenster zu unserer Seele, die Erotik und Sexualität, wie selten was zugepflastert worden sind, von dem Geschrei der Leute.

Meine Komplimente an Sie (und an Ihren Auftraggeber), mit freundlichem Gruß Molosovsky

Königstein wieder an mich:

… ich habe mir Ihren Eintrag in Ihrem Web-Tagebuch angesehen und muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Phantasie nicht annähernd der Realität gleich kommt. Urheber des Plakatverbots sind besorgte Mütter aus Königstein, die es nicht hinnehmen wollten, dass ihre Kinder dieses Plakat nun über mehrere Wochen auf dem Schulweg ansehen müssen. Aufgrund dieser Beschwerden wurde Plakat bewertet und letztlich verboten.

Da Sie ansonsten wohl recht sachlich dieses Thema diskutieren gebe ich Ihnen die Freigabe zur Veröffentlichung der Antwort (Bitte entfernen Sie nur vorab meine Kontaktadresse; einer Überflutung mit Emails und Telefonaten bin ich leider nicht gewachsen).

Mit freundlichen Grüßen im Auftrag

Ich wieder an Königstein:

… vielen Dank für Ihre Antwort. In der Tat versuche ich alle Perspektiven auf dieses Problem zu verstehen und bin nicht an einseitiger Polemik interesiert, dafür ist mir das Thema des Konfliks zu sehr mit dem echten Leben verbunden.

Es muß mehr kommuniziert werden heutzutage, viele ausgeblendete Differenzen in der Gesellschaft wollen geklärt werden.

Meine Vorstellung des Verbotsursprungs ist natürlich stark von der polemischen Berichterstattung zB der Bild-Zeitung beeinflußt. Die Information, daß es Ihr Bürgermeister war, der das Verbot anregte, stammt ebenfalls aus der Presse (die den Vorfall hauptsächlich auf seine Skalndalträchtigkeit hin aufbreitet).

Im nächsten Teil werde ich mich selbst als "kleinen Panikhuber" hinstellen, bei dem sofort die Alarmglocken im Gemüth losgehen, wenn er zB CDU-Machtmißbrauch wähnt. Eben diese meine (aber leider auch allgemeine) Verstörtheit ist es, die ich zu thematisieren versuche.

Darum wird es mit bei meiner Berichterstattung gehen: darzustellen, daß es hier um Probleme/Differenzen der Kultur geht, letztendlich um das (Selbst)Verständnis Menschsein und Gemeinschaft.

Ich danke Ihnen nocheinmal für Ihre Bereitschaft zum ›Gespräch‹ und kann Ihnen versichern, daß ich desweitern keine Anliegen (blöde Fragen pp) in dieser Sache habe. Sie können mir aber mailen, falls Sie mit meinen kommenden Berichten Probleme haben. Ergänzen Sie bitte ruhig über die Kommentarfunktion, wenn Sie meine Darstellung ergänzen, relativieren wollen.

Ich bin mehr als froh über Ihr Engagement um Klärung und Sie sind viel weiter auf mich zugekommen, als ich erwartet hätte. Und auch darum geht es: zu zeigen, dass man doch noch ruhig über ideologische Positionen reden kann, ohne gleich in Ressentiments zu verfallen. Alleine, daß Sie mich nicht böswillig verstehen, trotz meiner Sprache, ist ein tolles Zeichen, daß Königstein hiermit setzt (denke ich mal).

Kontaktadresse wird natürlich nicht genannt. Wer es selbst nicht schafft, sowas zu recherchieren, bekommt von mir keine Anweisung/Anleitung zum Amtsbelästigen.

Ich wünsche Ihnen noch ein schönes Wochenende, mit freundlichem Gruß Molosovsky (in glücklicher Hetero-Partnerschaft lebend).

Plakatverbot

Im schönen Taunus liegt das noch schönere Königstein, gegen unsittliche Umtriebe geschützt vom Bürgermeister der CDU. Der sah das Wahlplakat der Grünen und da fuhr der heilige Geist der Entrüstung in ihn: »Das ist ja eine pornographische Darstellung, mindestens jugendgefähredend, wenn nicht gar staatszersetzend!«

Dann laß er auch noch den Spruch »Wir machen’s gleich« und da gneiste der Gute, daß dies, zusammen mit dem Bild ja eine unmißverständliche und nichtzuwiderstehende Zwangsaufforderung zum totalen Gruppensex ist, womöglich mit Tieren und Minderjährigen. Kurzum: das Ordnungsamt muß rann und verbot der durchgeknallten Sittenschandepartei das Anbringen des Wahlplakates in Königstein, im schönen Taunus.

So stellte ich mir das vor, und wie ich mir das so vorstellte, da dachte ich mir, so geht's aber nicht ihr Heuchler, und schrieb an die Stelle für Plakatierungsgenehmigungen im Ordnungsamt Königstein.

•••

Gerade las ich in der BILD-›Zeitung‹, daß das Ordnungsamt Königstein die Plakatierung des Wahlplakates der Grünen verhinderte, dem Schutz der Jugend wegen, weil das Plakat pornographisch sei. Dazu habe ich zwei Anliegen:

  • Ist es möglich, eine genauere Stellungsnahme mit Begründung von Ihnen oder den für die entsprechende Anordnung Verantwortlichen Königsteins ob des Verbotes zu bekommen?
  • Mich würde auch interessieren, welche anderen Plakate aus der Vergangenheit in Königstein aus ähnlichen Gründen nicht plakatiert werden durften und dürfen.

Ich hoffe, daß das Ordnungsamt Königstein in dieser Sache konsequent handelt, und zB die Auslage der BILD-›Zeitung‹ verbietet und den Verkauf nur unter dem Ladentisch (unter Vorlage eines Altersnachweises nur an Personen ab 18) zuläßt. Die im Vergleich zum Plakat der Grünen gallopierende Pornographie auf den Titelseiten der BILD ist geeignet, vor allem männlichen Jugendlichen ein Frauenbild zu vermitteln, daß ungefähr so geht: »Natasha ist traurig denn der Reisverschluß ihrer Hotpants klemmt… Wer hilft Natasha?«

Sehr würde ich mich über eine Antwort freuen, mit freundlichem Gruß molosovsky

Hier geht es zum zweiten Teil der Korrespondenz.

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