Mein derzeitiger Leib- und Magenphilosoph Peter Sloterdijk (siehe rechts die Links) ist ein fruchtbarer Eierleger solcher Sätze und umsichtig warnt er davor, daß man ihn zitiere, denn seine Sprache ist eine vieldeutige, sein Denken ein schwebendes. Dennoch hier eine Nüchternheit zu dem, was heute vermeidlich Globalisierung genannt wird, obwohl der Ausdruck Globalität treffender ist.
Solange wir {Europäer}
, über mehr als vierhundert Jahre hinweg, als Entdecker zu den Entdeckten kamen und die Fremden als Zubehör unserer Weltnahme mit in Kauf nahmen, hat kaum jemand an der »Globalisierung« Anstoß genommen – allenfalls in der Form von Kritik an den Ungerechtigkeiten des Imperialismus und der Sklavenhaltung. Jetzt aber, wo der planetarische Gegenverkehr einsetzt und die anderen uns ebenso leicht erreichen können wie wir sie, schreit alles Zeter und Mordio, die Antipoden nehmen uns Wohlstandsprivilegien weg.
••• aus Peter Sloterdijk und Hans-Jürgen Heinrichs: »Die Sonne und der Tod – Dialogische Untersuchungen«, Suhrkamp 2001, Seite 181.
Wahnwellenversprengtes Denken aufgrund Melange aus literarischer Inkompentenz und mieser Profilierungspraxis
(Gesellschaft, Alltag, Literatur) - Was sich hier bei mir zuhause abspielt ist bald nicht mehr in Worte zu fassen. Meine Partnerin Andrea sieht sich den heftigsten Anwürfen des neuen AStA der Uni Frankfurt ausgesetzt, weil das Kulturzentrum bei dem sie mitmacht, eine »Endstufe«-Lesung mit Thor Kunkel veranstaltet hat. Zu den neusten Entwicklung (nach Verhören durch die paranoiden hyperantifaschistischen Banausen, und geifernden Denunziationen in der jünsten AStA-Zeitung, April 2004, S. 18/19†) kommt nun das offizielle Aus: das Kulturzentrum gilt laut AStA als nicht mehr förderungswürdig, Mittel und Räume ab sofort gekappt.
{† Ich würd ja gerne auf diese AStA-Zeitung linken, aber die kommen mit dem Webseitepflegen nicht nach vor Antifaschismus.}
In »fear & loathing in ffm« und »Meine schärften Kritiker« berichtet Andrea; Verweise auf Reaktionen in den Medien finden sich bei ihr hier: »update«.
Einen umfassenden Überblick vermittelt »Hexenjagd in Frankfurt«, der erste von zwei Artiklen zu den Vorgängen, geschrieben von Chuzpe.
Mich nimmt das alles naturgemäß auch ganz schön mit, der ich mich bemühe Andrea beizustehen, so gut ich es vermag. Schlecht schlafen und Nervenbröckeln bei Andrea sind die Auswirkungen von derart harter idelogischer Null-Toleranz, und da ich selbst einen Hang zur Polemik habe, gemahnt mich das selbstverblendete Bellen des AStA, selbst besser zu zielen, bevor ich meine Meinungen in den Raum stelle, und entsprechend klar meine Absende-Position zu klären.
Zur Einstimmung erstmal ein Zitat aus Norbert Bolz feinem Spiegel-Online-Essay »Warum Denken unmodern ist«:
»Im Skandalkonsum goutiert das Publikum die soziale Lust des Moralischseins.«
Das gilt natürlich verstärkt für jene, die sich ihre Lustkicks durch Tadeln verschaffen. Was für eine kreuzreaktionäre, denkfeindliche und sich dabei unangenehm expressiv gebärdende Autoerotik. Ein Gutteil der Frankfurter Antifa-Fundamentalisten ist sich anscheinend in ihrer jugendlichen Begeisterung nicht im Klaren darüber, daß sie gegenüber Kunkel und dem Kulturzentrum jene Art von Ausgrenzungs- und Vernichtungsrethorik betreiben, die sie selbst bei ihren Gegnern als Faschismus diagnostizieren. Eigenprofilaufbau durch Niedermachen des Gegners. Nur noch als Realsatiere optimistisch zu bezeichnen, lassen sich die Handlungen und Äußerungen des derzeitigen AStA kaum anders deuten, als daß es dem AStA um Macht und nicht um Kultur geht. Peinlich obendrein dabei, daß es sich dabei um einen Kreis von Leuten handelt, die sich blind auf die Medienberichterstattung verlassen haben - obwohl sie solche gutbenamsten neuen Referate für kritische Wissenschaft ins Leben gerufen haben. Sie - Alexander Witzig und Sirwa Kader - vertrauen dabei wohl blind dem, was zum Beispiel der berüchtigte Tilman Jens via Kulturzeit verbreitet hat, oder was Trittbrettdenker dem apostelhaften Dennunziator Herrn Broder nachplapperten. Das Buch »Endstufe«, um das es geht, haben die guten Kreuzritterknappen vom AStA aber wohl kaum gelesen und so sie es lasen, entblößen ihre Reaktionen eine flächendeckende Unfertigkeit im Umgang mit Literatur. Hätten sie nämlich auch nur rudimentäre Leserkompetenz, dann würden sie jubeln ob der vielen Inspirationen, die »Endstufe« einem zeitgenössischen Antifaschisten bieten kann. »Genau so isses«, würden sie sich bei der Lektüre denken.
Dabei ist mir die heftig ungestüme Leidenschaft des neuen AStA im Grunde sympatisch, denn in diesem »Den Faschisten keinen Meter«-Pathos erkenne ich meine eigene wilde Tweenzeit wieder, als ich mich in Wien in ziiiiiemlich linken Kreisen bewegte. Es schmerzt mich deshalb fast körperlich als Randzeuge zu erleben, wie prinzipiell löbliche Antifaschismus-Ambitionen - durch den AStA Frankfurt - auf ästhetisch verkümmerten Geröll errichtet und nur mit kümmerlicher intellektueller und moralischer Aufrichtigkeit umgesetzt werden. Gut formulierte und fundierte Kritik an den Mißständen unserer Zeit und Zivilisation werden allseits herbeigesehnt. So aber trägt das Team des AStA nur zum weiteren Auseinanderklaffen des Grabens zwischen den Diskutierenden und den Polemisierenden bei, und dieser Graben ist hierzulande - GOttseisgeklagt - schon groß genug.
Weil es viel besser formuliert ist alles, was ich sonst noch analytisch daherfaseln könnte, hier ein Zitat, daß zu dem AStA-Wirrwarr paßt, aus meiner derzeitigen Großlektüre »Sphären« von Peter Sloterdijk; Band 2: »Globen - Markosphärolgie«, Kapitel 7 »Wie durch das reine Medium die Sphärenmitte in die Ferne wirkt - Zur Metaphysik der Telekommunikation« {mit meinen Anmerkungen in eckigen Klammern}:
»Für die Parteigänger der ersten Worte, seien sie von Göttern, Königen oder Genies {oder politisch-ideologischen Zampanos von Der Spiegel oder der eigenen Uni-Gruppe} gesprochen, ist von Übel, was dazu beiträgt, das Zwischenreich des Kommentars aufzublähen, und böse, was darauf ausgeht, den Interpreten oder Experten für zweite Worte an die Macht zu bringen. … wenn die Exegeten frech werden und offen behaupten, es gebe in Wahrheit kein Original, sondern nur Visionen, die alle irgendwie gleich legetim wären: Dann ist für die Verfechter der ersten Zeichen der Ernstfall eingetreten, und der Augenblick gekommen, in dem der zornige Zeichendiener die narzistischen Zwischenhändler aus dem Tempel vertreiben muß.«
Seit ich von der empörten Ablehnung von »Endstufe«, der Lesung und des Kulturzentrums durch den AStA erfahren habe, beschäftigt mich die Frage, was die ästhetische (literarische) Bildung oder Theoriegrundlage der Kunkel-Verdammung durch den AStA (und das Referat für kritische Wissenschaften) bildet. Die einzelnen linken Gruppen der amtierenden AStA-Koalition liefern schon mal erstaunlich wenig Material zur Beantwortung dieser Frage. Soweit ich einschätzen kann, ist das Institut für vergleichende Irrelevanz (womöglich die lokale Spielwiese für die vermeitlichen Ideologieheroen) noch am ehesten ein Fundort. Dort zumindest finde ich in einem Positionspapier Hinweise auf einen exemplarischen Wahn, der das unfruchtbare Verhältnis der engagegiertesten Linken zur Kultur allgemein kennzeichnet.
»Ein zentrales Moment innerhalb von Kunst und Kultur ist das dialektische Verhältnis von Produktion und Rezeption, das durch das Form-Inhalt-Verhältnis vermittelt ist. Dieses Verhältnis ist notwendigerweise immer mehrfach gebrochen. Da es nicht möglich scheint sich ausserhalb dieses referenten Modells zu begeben, muss nun versucht werden ohne Krampf die Sphären von Produktion und Rezeption miteinander so zu vermitteln, dass sie theoretisch in eins fallen.«
Auch ich als Wohlstandskind der Siebziger kenne diese belebende Sehnsucht nach einem friedlich-innovativen Ineinander von Fakt- und Geistes-Welt. Man hätte gerne wieder so eine große, alles umfassende Welterklärungskuppel, in der Zweifel und Paradoxien sich angenehm auflösen oder einverleiben lassen. Schade um viele interessante Ideen und schmissige Formulierungen in dem Positionspapier, wenn es auf so eine Art von gestaltlos naiver Religiösität hinausläuft. Diese Mädels und Jungs hätten vor einigen Jahrhunderten - womöglich?, wahrscheinlich! - enthusiastisch bei jedem apokalyptischen Missionsfeldzug mitgemacht, und sich bei der Wahnsause eines König der letzten Tage ausgetobt.
Tröstlich stimmt mich trotz allem, daß sich im heutigen Medienzeitalter solchart Verwirrte nicht mehr so einfach zu militärisch relevanten Horden zusammenfinden und zur gewaltsamen Eroberung gesellschafts-taktische Stellung (einst Münster, jetzt Uniparlament Frankfurt) mobilisieren lassen. Der jetztige AStA ist eine (inzwischen wohl) verzweifelte Notgemeinschaft von extremistischen aber unerfahrenen Aspiranten einer politischen Korrektheit. Kaum haben sie den erspähten weißen Wal zum Abschuß freigegeben, rächt sich ihre Unkenntnis davon, daß alle Facetten des Korrektheits-Zeitgeistes ein Ringen um das richtige manierliche Benehmen widerspiegeln.
Es geht auch anders. Hier eine Erwiderung von Thor Kunkel auf seine Kritiker, erschienen im aktuellen Volltext, einem österreichischen Literatur-Monatsblatt. In der vergangenen Ausgabe hat ein Krikter den Roman noch verrissen, jetzt lassen die Volltext-Leute den Autor zu Wort kommen. Das nenne ich vorbildliches Diskursverhalten. Ein Hoch auf die Volltext-Redaktion, und pfui pfui pfui dem Frankfurter Panik-Asta.
Desweiteren lesenswert die Rezensionen zu »Endstufe« von
• Willhelm Hindemith für den SWR2
• Schümer & Dorn im Büchertalk
• und Alban Nicolai Herbst.
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Weitere Molochronik-Einträge zu Thor Kunkel und seinem Roman »Endstufe«:
• Die Welt durch die Brille von Kultur-Gonzos: Die Nazi-Mädels vom Kulturzentrum der Universität Frankfurt
• Hitler-Geburtstag als Journaillien-Fetisch
• Skibbel für Thor Kunkel
• Verlag mag nicht
Gott ist rund und der Pöbel will ihn getreten sehen.
EDIT 28. Januar 2008: Um Skribbel-Illu ergänzt.
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(Gesellschaft) - Heute will ich mir gönnen, meiner Intoleranz freien Lauf zu lassen, und tue deshalb offen kund: ich hasse Fußball als Phänomen der Massenunterhaltung; die dieser Tage allgegenwärtige Europameisterschaft widert mich an; nichts zwingt mir so heftig ein Winston Smith-Lebensgefühl auf, wie diese mich umgrindende Volksbegeisterung fürs runde Leder. Der Leser weiß nicht, wer Winston Smith ist, und was für ein Lebensgefühl ich meine? Na dann google mal, lieber Nichtkenner von Orwell.
Dieser Eintrag ist also nur für meine Brüder und Schwestern im Leiden und der Angenervtheit, für jene, die Fußball ebenso ablehnen wie ich. Für eure Erheiterung hier ein paar schöne Zitate aus Sphären II - Globen von Peter Sloterdijk:
»Die Faszination von Turnieren {…}: Bei ihnen wird, analog zur Tierzucht, das Eliminationsverfahren zu einer menschgemachten Selektion. Er oder ich, wir oder sie – das wird in der Arena wie in einer Versuchsanordnung künstlicher Selektion eingeübt.« •••Seite 330
Die einzigen Turniere, die ich ertrage zu gucken, sind Schach- Golf und Snooker-Wettkämpfe, weil sie so unaufgeregt verlaufen, meditative Gegenstimmung zum Daumen rauf-, Daumen runter-Spiel bieten. Schön wären auch Dart-Wettkämpfe im Fernsehen; hats aber nie gegeben in meiner Zeit als Fernsehgucker. Dabei ideal fürs Fernsehen mit Splitscreen: links die Scheibe mit einschlagenden Pfeilen, rechts der Werfer im Bild. Tja, bleiben als Ersatz nur die seltenen Bogenschießenübertragungen bei den Olympiaden.
»Wenn das griechische Leitwort lautete: Erkenne dich selbst, so heißt das römische: Erkenne die Lage. {…} Als Theater der Selektion appellieren die römischen Spiele methodisch an die Notwendigkeit, einzusehen, daß die Grausamkeit immer recht hat. {…} Die Götter selbst sind zum Opportunismus verdammt; ihre Gläubigen müssen lernen, sich den Resultaten von Spielen, im Kleinen wie im Großen, wie Offenbarungen zu fügen. Nichts anderen meint Fatalismus als Religion: die Bereitschaft, in die vulgärsten Zufälle den Götterwillen involviert zu sehen.« •••Seite 334
Take what you can. Give nothing back … diese Weisheit liegt all dem Zugrunde, und wir kennen diese Worte als das Motto der Piraten aus dem Johnny Depp-Film. Ich fühle mich bei so was nicht wohl. Auf der Realschule als Teen habe ich beobachten können, daß, wo wir zum Spaß an der Freude Fußball kickten, noch alles fair und gesittet verlief. Vor den Ferien war es üblich, statt Zirkeltraining oder kompliziertem Gehüpfe, die ganzen drei Sportstunden durch ein Turnier abzuhalten, und das Spiel der Wahl war natürlich meistens Fußball. Hierbei sprangen dann bei denen aus der Klasse, die auf ihrem jeweiligen Dorfkaff in einer Jugendmannschaft spielten, die Profikonditionierungen an, die ihnen dort als Esoterik der Vereinsgemeinschaft antrainiert wurden. Faule, schubse wie wild und wage überhaupt jedes unfaire Manöver, reize den Handlungsraum hin zum Regelverstoß aus, soweit es möglich ist, lerne dann die Rüge durch den Schiri als behämmerte kleinmütige Ungerechtigkeit aufzufassen, und schleife dein Mitleid für den humpelnden Gegener, erst recht, wenn du selbst ihn getreten hast.
»Ohne Zweifel liegen in den Unterhaltugsexzessen der römischen Theater die Ursprünge der Massenkultur: mit ihm entstand eine frühe und komplette Form von Faszinationsindustrie, die gereizte oder dekadente Gesellschaften mit Erregung versorgt und in Verzauberung bindet. Der Amüsierfaschismus {…} nimmt funktional zahlreiche Merkmale der modernen Massenregie durch Erregungsmedien vorweg.« •••Seite 334/335
Mir ist die entsprechende Arena des Lichtspielhauses lieber, denn wenigstens muß ich hier nicht dem Zufall beim Schußern zuschaun, sondern habs mit einer (mehr oder weniger) durchdachten, komponierten, gestalteten Sache, ja sogar Narration, zu tun. Wirklich rätselhaft ist es mir, wie man sich als Fußballpublikum auch noch mit den Dingen jenseits des Rasens beschäftigen kann: mit den Ein- und Verkäufen der Vereine, der Tages-, Wochen- und Saisonverfassung von Spielern, Trainern und Ehefrauen, den Analysen vor und nach den Spielen, dem Gewese über Gruppenpsyche der Mannschaft, der Starspieler, der Fans, der Betreuer usw.
Früher, zu Breitners und Rummenigges Zeiten habe ich selbst noch mit dem naiven Interesse des Kindes neben meinem Vater jeden Samstag mitgeschaut und die Genervtheit meiner Mutter, daß das Abendessen wieder mal vorm Fernseher verzehrt wird, zuerst abgelenkt übersehen, später willentlich verdrängen müssen. Als junger Teen verflog mein Interesse für Sport dann und ich wandte mich Büchern und Kultur zu.
Nur Nick Hornby war fähig, mir in seinem Fever Pitch unterhaltsam von dem Wahnsinn der Fußballfans zu erzählen, ohne daß mein Ekel mir dabei dazwischenfunken konnte. Das wars aber auch schon an Fußballaufmerksamkeit bei mir, in den letzten 20 Jahren.
Nein, gar nicht wahr: Bei der letzten WM habe ich mich mit einem Weizen in Frankfurts Sachsenhausen in eine Kneipe gesetzt, und irgendein Deutschlandspiel (gegen England glaub ich) inmitten der Begeisterungsgruppe angeschaut … aber mehr der Athmo eines Sommertags wegen, wo mir das WM-Pahöö als Grund für ein Mittagsweizen zupaß kam. Außerdem kann ich, trotz dem ich ein Fußballverachter bin, sagen, daß ich dieses ganze taktische Finkelgedribble öde finde und den Spielstil, wie er als Klischee den Engländern und Schotten zugewiesen wird, als Zuschauer bevorzuge: Vorbolzen, nachlaufen, unterwegs rempeln wie Rammbock. Alles andere ist doch so unharmonisch, wie Achaier im Tütü vor Trojas Mauern, oder als ob Sturmtruppen mit Teekannen einen Bunker stürmen wollten.
WARNUNG: Alle Apologien des Fußballs, oder gar Erwiderungen gegen meine Fußballverachtung, wird nicht geduldet als Kommentar zu diesem Beitrag. Dieser Beitrag ist nur für Leidensgenossen. Dies ist mein hunderster Molochronik-Eintrag, und da will ich mal so'ne Arschigkeit zugestehen. Aber nur dieses eine Mal, sonst werde ich natürlich jeden Kommentar belassen wie er ist (so er nicht rüd die hochzuhaltenden Grenzen des Rechts auf freie Meinungsäußerung überschreitet).
Ey, hastema 500000 Euro…
(Gesellschaft) - … soviel Knete fehlt uns nämlich für die Liebesparade.
Hurrah, seit Ewigkeiten wieder eine gute NAchricht aus dem öffentlichen Raum. Die Loveparade in Berlin (oder Hamburg, Frankfurt/M, Stuttgart) fällt 2004 aus. Erst 2001 hat man diesen Demonstrationsstatus aufgehoben, seit dem konnten die Rävär nicht kostendeckent veranstalten und der Todesmusikaufmarsch steht nun hint an.
Hitler-Geburtstag als Journaillen-Fetisch
Eintrag No. 94 — Betrifft die Lesung von Thor Kunkel am 20 April 2004 im Poeltzig-Bau (so die richtige heutige Bezeichnung) der Universität Frankfurt.
Ich habe es gewußt, daß einige Autoren der öffentlichen Kulturrezeption ihre juckenden Finger nicht zu zügeln vermögen, wenn sie auf dunkle Zeichen oder hintersinnige Zusammenhänge aufmerksam machen können.
Der 20. April - ein Schwarzes Loch im Kalender, Gröfaz aus dem Uterus als Singularität die alles verfinstert, was an diesem Tag getan (oder dann doch besser unterlassen) wird. Ist der 20. April ein Feier- oder Gedenktag der Bundesrepublik? Meines wissens nach nicht, aber vielleicht ist er ein geheimes, ein invertiertes Jubiläum.
Von mir darf ich mit aller Bescheidenheit behaupten origineller und neugieriger reagiert zu haben, als ich nach Kenntnisnahme der Führer-Versautheit des Datums mal bei wissen.de nachschaute, wer denn noch alles Geburtstag an diesem Apriltag hat. Was soll ich sagen: müssen sich Brigite Mira und Jasmin »Blümchen« Wagner (Achtung! Nachname eines bekannten Antisemiten) an ihrem eigenen Geburtstag schämen? Dürfen Science-Fiction-Fans diesen Tag nicht als Geburtstag des Pioniers Kurd Laßwitz feiern? Und was ist mit Napoleon III, Harold Lloyd, Pietro Aretino, Jean Miro, Sir Eliot Gadiner, Karl I von Rumänien, der Heiligen Rosa von Lima und all den anderen (insgesamt 54) Personen, die, wie es der Zufall will, auch an Bad Adolfs Geburtstag geboren wurden, sei es vor oder nach ihm?
Nein meine lieben Journalisten, als jemand, der den Stress eures professionellen Schreibenmüssens nicht teilt und die Welt entsprechend unparanoider betrachten kann, muß ich tadeln: so geht das nicht.
Frankfurter Rundschau: »…weil Kunkel im ehemaligen IG Farben-Haus las und das auf den Tag genau 115 Jahre nach Adolf Hitlers Geburt.«
Perlentaucher (Referenz auf FR-Beitrag): »…als Thor Kunkel vorgestern (am 20. April!) im IG-Farben-Haus…«
Wobei ich sagen muß, daß der FR-Beitrag nicht halb so gehässig ist, wie der Bericht der F.A.Z.
F.A.Z.: »…dem 20. April, einem Datum, das für die Festkultur im Dritten Reich eine wichtige Rolle spielte (und für manche heute noch spielt): An Adolf Hitlers Geburtstag also las Kunkel…«
Der Autor verliert hier auffällig viel Worte über diesen Zufall, muß nicht nur auf das Datum hinweisen, sondern auf den Nimbus, die negaitive Heiligkeit desselben beschwören. Ist das nötig? Muß hier ein etwa ein Gedenken aufrechterhalten, verteidigt werden?
Außerdem bezeichnet Herr (oder Frau) rik in seinem F.A.Z.-Beitrag alle Anwesenden der Lesung als Ahnungslose (weil keiner gegen Kunkel protestiert). Na, wer urteilt, schmeißt da wahllos und undifferenziert eine Leutegruppe in einen Topf? Ich zumindest kann hiermit meine Empörung über diese auch mich betreffende Titulierung äußern, Frau (oder Herr) rik, denn 1972 geboren, habe ich die Geschichte des III. Reiches und der Shoa eben auch nur erlernen können. Vielleicht werden ja Angehörige anderer Gesellschaftsschichten mit geheimen teuren Zeitmaschinen in die Lage der Zeitzeugenschaft versetzt. Herr rik, dokumentiert zudem erst die (kritische) Nachfrage des Moderators, um dann einige Zeilen später zu schreiben, der Abend sei unkritisch verlaufen. Auch kann nicht nicht davon die Rede sein, Herr Kunkel habe sich inzeniert, er tat dies sogar weniger, als rik in seinem Beitrag im Nachhinein die Lesung darstellt.
Ich für meine Person als Leser möchte betonen, daß ich die Verbrechen des III. Reiches nicht leugne, ja, sie sind eine Singularität an Menschenverachtung und Wahnsinn und sie verursachen heute noch viel Schmerz in den Seelen der Überlebenden dieser Zeit und aller Nachgeborenen, deren Familiengeschichte davon berührt ist. Wenn ich mir ein heutiges Deutschland in einem Alternativwelt-Europa vorstelle, das weder Hitler noch die Nazis erlebt hat, das keine Judenausrottung und Vernichtung sonstigen unwerten Randgruppen-Lebens ertragen mußte, und wenn ich dieses Alternativwelt-Deutschland mit unserem tatsächlichen heutigen vergleiche, fühle ich den Schmerz des Verlustes, zum Beuspiel darüber, daß uns heute ein etabliertes jüdisches Bürgertum mit seinem Geisteswitz fehlt, daß uns heutigen Deutschen unerträglich viele der hervorragensten Köpfe (und Herzen) fehlen, die vernichtet oder vertrieben wurden.
Trotzdem kann ich mich mit diesem Schmerz vergnügen, wenn Kunkel seine nach präpubertären Kalauer miefenden derben Scherze mit der vermeitlichen Elite z.B. der SS oder der NS-Wissenschaft treibt. Zugegeben: Chaplin hat das in »Der Große Diktator« mit dem aus den Fenster springenden Raketentestern knapper und eleganter gemacht. - Kunkel hat wohl zu hoch gepokert, als er glaubte, daß man diesen Schmerz soweit angenommen hat, daß nicht jedesmal verletzt oder paranoid aufgebrüllt werden muß, wenn eine fiktionale Narration Dissonanzen zumutet. Als lustige Zeichnung bei Walter Moers mögen solche Scherze noch angehen, als reiner Text ist es anscheinend zu schwer, die Feinheiten groben Nazi-Porno-Trash zu erkennen. (Meine Entschuldigung an Herrn Moers - falls Sie das hier lesen und sich unangenehm platziert fühlen, wieder mal herhalten müssen, so als anerkannter Grenz- und Tabuüberschreiter.)
Man kann Kunkel mit aller Berechtigung vorwerfen, daß er einen ätzenden, bisweilen extrem geschmacklosen Humor pflegt. Eine Dauer-Verfremdung durch unerträgliche Sprachartistik, in der die Nicht-Provokation scheinbar Aussnahme bleibt.
Ein Herr aus dem Publikum der IG-Farben-Haus-Gröfaz-Jubiläums-Lesung hat es aber ganz richtig erfaßt:
»Das ist eine Satire auf das III. Reich.«
Spontaner Applaus des ahnungslosen Publikums.
Darüber hat niemand geschrieben und es findet sich bei den Berufsschreibern auch niemand, der es für seine Sache hält, den (zugegeben grenzwertigen) Humor in Kunkels Darstellung von kranken, pathologisch mitleidsunfähigen Triebdeppen zu verteidigen. Auch gut, machs ich das halt.
Ach übrigens: Von den bisher berichtent habenden Journalisten war niemand so fleißig, mal Veranstalter oder Verlag zu fragen, wie es zum Ungeschick des Datums kam. Wie kleine Dr. Watsons ziehen sie lieber die Schlüße, die ihre Bildung und Fixierung zulassen. Nehmt entsprechend diese meinen Einspruch auf eure Deutungshoheit entgegen.
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Weitere Molochronik-Einträge zu Thor Kunkel und seinen Roman »Endstufe«:
• Verlag mag nicht
• Skribbel für Thor Kunkel
• Die Welt durch die Brille von Kultur-Gonzos : Die Nazi-Mädels vom Kulturzentrum der Universität Frankfurt
• Wahnwellenversprengtes Denken aufgrund Melange aus literarischer Inkompentenz und mieser Profilierungspraxis