molochronik

Heilige Stuhl kühlt aus derzeit

(Gesellschaft) – Molosovsky atmet dieser Tage freier als sonst. Denn: Mit dem Hinscheiden des Papstes hat ein mir sympathisches Interregium begonnen. Bis zum Amtsantritt des neuen Papstes wandelt kein offiziell unfehlbares Männchen auf GOttes schöner Erde. (Habe Konkurrenten noch nie gemocht.)

Will ich umziehen oder pendeln?

(Gesellschaft) – Die Zeitung »Die Welt« hat Infratest dimap tausend Arbeitslose befragen lassen. Ergebnis: die meisten wollen nicht in andere Städte oder Bundesländer umziehen oder größere Distanzen pendeln, wenn ihnen das einen Job einbrächte.

Diese Einstellung kann ich gut verstehen. Ich bin ebenfalls nicht bereit Frankfurt zu verlassen, denn ich habe keinen Bock auf eine Fernbeziehung, meine Partnerin hat keinen Bock auf eine Fernbeziehung. Alleinlebende Arbeitslose mögen da flexibler sein. Leider erwähnt die »Die Welt« nicht, wie viele der Nicht-Umzugswilligen in Partnerschaft leben. So schnell kehrt man menschliche Seiten von Sozial-Kybernetik unter den Tisch. Zwischen den Zeilen vermittelt die »Die Welt« (für mich) folgende Botrschaft: Wer arbeitslos ist, hat keinen Anspruch auf seinen Freundes- oder Verwandtenkreis vor Ort. Wer arbeitslos ist soll sich aufmachen in die Fremde.

Pendeln. Ich habe keinen Führerschein und hasse Autos. Nicht einmal wenn mir ein potentieller Arbeitgeber den Führerscheinkurs spendierte, würde ich einen machen. Welcher Arbeitgeber würde mir schon entsprechendes Extra-Gehalt für Fahrkarten gewähren oder Verständnis zeigen, wegen dem Verspätungsgewirks bei verpaßten Anschlüßen, Oberleitungsschäden ect. pp.? Da gehts ja bei den Arbeitgebern wieder los mit dem Gejammer: »Diese Nebenkosten, die Fahrpreise!« – Und ich kann die Arbeitgeber gut verstehen, denn ich würde da auch jammern: »Diese Nebenkosten, diese Fahrpreise!« – Fragt sich also, wer den entscheidenden Entlastungsmotivationsschubser leisten soll, damit mehr Menschen bereit sind dafür zu bezahlen, sich in übervollen, lärmreichen Zügen von Mobilphon-Barbaren und sich besauffenden Untermenschen belästigen zu lassen.

Für den entsprechenden Job wär ich bereit, jeden Tag eine Stunde – einfache Strecke – zu pendeln. Nur: ich habe nicht die geringste Vorstellung davon, was das für ein Job sein könnte. Grundsätzlich: ich weiß ja schon hier in Frankfurt nicht, als was ich mich wie bei wem bewerben soll. Ich weiß ja nicht mal, an wen ich mich zwecks Bewerbungshilfe/Training wenden soll, denn mir fehlt das entsprechende Vertrauen. Die Agentur hat keine Zeit und Kenntnis zu entsprechender Beratung, staatlichen, gewerkschaftlichen oder arbeitgeberverbandsverbundenen Trägern traue ich nicht mehr über den Weg. Zwei Jahre unkompetentes »Machen'se mal, damit Sie ein Gefühl dafür kriegen«-Ausbildung zum FAMI beim Bildungszentrum des Hessischen Handels lassen mich heute noch schweißgebadet aus klaustrophobischen Träumen erwachen. Private Berater kann ich mir schlicht nicht leisten. Zudem: für »Sie müssen sich nur trauen«-Zusprachen bin ich zu intellektuell und allotopisch veranlagt. Dummerweise bin ich ein Aufrichtigkeitsfanatiker, es fällt mir nicht leicht, andere willentlich zu manipulieren, wehalb ich mittlerweise meine Tätigkeitsfreude für jegliche Kreativität eingebüßt habe. Viel Phantasie bringt eben viel Angst mit sich, und blöderweise habe ich ehr eine alberne, apokalyptische Phantasie, und keine pragmatische oder optimistische.

Das von der »Die Welt« umrissene Problem läßt sich also zu der Frage eindampfen: Wie kann man den Verzagten und Hoffnungslosen den Mut und die Entschlossenheit einhauchen, daß sie sich für fähig und zäh genug halten, um Umzug oder Pendelei zu wagen? – Denn: ich bin kein Anhänger des umgekehrten Verfahrens, bei dem mit Leidensdruckerhöhung die Betroffenden zu Kraftakten des Sich-selbst-aus-dem-Sumpf-Ziehens inspiriert werden sollen.

Und nein: zumindest ich bin nicht gelassen, wegen meiner Blödheit und Gehemmtheit, den richtigen, bzw. überhaupt einen Job zu finden. Die Medien verbreiten gerne das Bild vom lässigen Arbeitslosen, und andere Kreise kontern damit, eine allgemeine soziale Kälte anzuprangern. Ich weiß mich bei diesem Deutungshickhack nicht zu positionieren, denn ich wage es nur für mich zu sprechen. Ich kann also nur offen zugeben, daß ich kein gelassener Arbeitsloser bin, der es sich mit ruhigem Gefühl in der sozialen Hängematte bequem macht.

••••• Bearbeitet: Fehler gemerzt.

Der weiche Sicherheitsdienst der Stadtbücherei Frankfurt …

… heißt seit dieser Woche Molosovsky. (Gesellschaft) – Als Teenager in den Achzigerjahren in Ingoldtadt befand ich mich in einem ständigen Kampf gegen gigantische Langeweile. Ich lernte die Stadtbücherei und Buchhandlungen lieben, verlasse seit dem das Haus nie ohne Buch. Zwar ist es seit damals mein Wunsch eine Arbeit zu finden, bei der ich mit Büchern zu tun habe, aber bisher habe ich mich als zu doof erwiesen, dieses Zeil zu erreichen.

Zwanzig Jahre später. Als ich im Dezember 2004 von der Arbeitsagentur Frankfurt im Rahmen des Hartz IV-Programmes dem IB zugeteilt wurde, habe ich die Beschäftigungsvermittler gelöchert, mich in eine der Planstellen für die Bibliotheken zu vermitteln. Es gab da noch Unklarheiten zwischen der Stadt und verschiedenen Hartz IV-Gruppen, aber jetzt nach drei Monaten in der Anstreichertruppe war es dann soweit: am Dienstag dieser Woche trat ich meinen Dienst als weicher Sicherheitsdienst in der Zentrale der Stadtbücherei Frankfurt an.

Man begegnet mir nun dort also öfter. Mein Job besteht vorerst lediglich darin, durch die drei Stockwerke der Bücherei zu tigern und die Besucher freundlich an die Hausordnung zu erinnern.

Keine Fressalien. Zumindest nicht offen ausgebreitet. Manche Besucher machen es sich zum Lernen, Recherchieren und Schreiben stundenlang an einem der Arbeitstische der Bücherei bequem. Klar braucht man da zwischendurch was zum Knabbern, Nervennahrung und nen Schluch zu trinken. Was ich nicht sehe, macht mich nicht heiß. Also bitte ich die Besucher, Essen und Getränke nicht offen herumstehen und liegen zu lassen. Ich begreife mich als Sprachrohr der Bücher, die eben keine Flecken und Fetttapser oder Krümel erleiden wollen.

Keine Viecher. Ausgenommen Blindenhunde.

Kein Lagern und Schlafen. Dieses Problem wird mich wohl in den kommenden Monaten weniger beschäftigen. Es sind die kalten Jahreszeiten, in denen die Stadtbücherei zu einem Exil für Obdachlose und Straßenexistenzen aller Art wird. Bisher hatte ich es auf diesem Gebiet nur mit Leuten zu tun, die ihre Schuhe ausgezogen haben.

Keine Telephoniererei oder Lärmerei. Am besten wäre freilich, die Besucher würden beim Betreten der Bücherei ihre Mobiltelephone stummschalten, was aber auch meiner Ansicht nach zu viel verlangt wäre. Aber zum Telephonieren kann man ins Cafe Nasch im Erdgeschoß oder kurz vor die Tür auf den Bürgersteig gehen. Mit lärmenden oder tobenden Menschen hatte ich es bisher noch nicht zu tun.

Keine Rucksäche oder großen Taschen. Eigentlich sind auch Tüten und Mäntel an der Garderobe abzugeben, aber das alles durchzusetzten verbreitet zu viel Stress. Andererseits wird der Schwund dramatisch schlimmer, sprich: es wird immer mehr geklaut. Da ist also alles was größer als eine Handtasche ist Gift für eine Bücherei. Die allermeisten Besucher geben ihre Taschen ohne Umstände ab, wenn ich sie daran erinnere. Ich komme denen entgegen, die sowieso auf dem Weg nach draussen sind, oder freundlich ihre Gehetztheit zum Ausdruck bringen. Die sollen dann bitte beim nächsten Besuch an die Garderobe denken.

Und ja, ich mache das für 1,50 Euronen die Stunde, also 150,– Euronen Klimpergeld im Monat (zusätzlich zu meinem Hartz IV-Geld, um mal ein wenig meine Einkommensklasse zu explizifieren).

Molosovskys Wahrheitsbegriff (schnelle Fassung)

(Gesellschaft) — Kollege David und ich haben zwecks Begriffsklärung hin- und herkommentiert. Ein paar lose Gedanken hab ich noch übrig.

Völlig ohne Zusammenhang den Phantastikbegriff zu definieren ist schlicht ungeschickt … abgesehen davon, daß ich eh nicht an endgültig wasserdichte Definitionen glaube (also bei Sachen wie dem Ur-Meter und so schon, aber bei Begriffen der Ideenwelt sieht es da meist sehr gemischt aus). Wer mich für überskeptisch hält, möge kurz innehalten und zum Beispiel an den Bedeutungs- und Verständniswandel von Wörtern denken. Oder an die unterschiedlichen Zeitrechnungen der Kulturen, und daß verschiedene Völker ihr jeweils eigenes Sylvester an verschiedenen Tagen feiern.

Um abschätzen zu können, was Phantastik ist, muß man sich zuerst einmal klarmachen, von welchem Wahrheitsbegriff man ausgeht, und der ist ja schon mal vielgestaltig. Evidenz-Wahrheiten stimmen nur zum Teil mit religiösen Wahrheiten überein. Die mathematische Wahrheit, daß 1 plus 1 gleich 2 ergibt, beruht auf einer anderen Ideenarchitektur, als eine himmlische Offenbarung, für die man bereit ist zu sterben. Als sinnfällige Illustration können hier die Kreuzzüge der religiös motivierten Kreationisten gegen die Evolutionstheorie und das Erbe Darwins dienen. Hier konkurrieren zwei Wahrheits-Architekturen mieinander … nur, daß die erste aus den Hoffnungen der Menschen gespeißt wird, und die zweite durch das Beobachten der Umwelt entstanden ist.

Der Begriff von der Kulturellen Enzyklopädie erscheint mir nützlich. Darunter versteht man das gesamte überlieferte Wissen der Menschheit, vom Anbeginn der Zeiten bis heute, schriftlich, mündlich, medial halt. Von Höhlenmalereien, über alte Schriften, Massenmedien bis zur Antwort auf die Frage nach dem Weg zum Bahnhof, setzt sich die Kulturelle Enzyklopädie aus unzähligen Einzelinformationen zusammen, die sich in verschiedentlich weit reichenden Systemen kombinieren, variieren, reproduzieren und selektieren lassen, und das mal ehr deduktiver mal spielerischer. In dieser Gesamtheit der Kulturellen Enzyklopädie gibt es nun Bereiche von großer Verläßlichkeit, valide Information, sprich harte Fakten: z.B. die Wahrheit, daß meine Haare und Augen von brauner Farbe sind. Selbst wenn ich meine Haare schwarz färbte und mir grüne Kontaktlinsen einsetzte, änderte das nichts z.B. an der genetischen Determination meiner Haar- und Augenfarbe. Gäbe es handliche Gen-Lesegeräte, dann ließe sich so eine äußerliche Maskerade sofort aufdecken (was aber wiederum nur den Unterschied zwischen gefärbter und genetischer Wahrheit aufwirft, hrnch!)

An den ausgefransten Rändern der Kulturellen Enzyklopädie finden sich die unzuverlässigen Informationen, also Belanglosigkeiten, Irreführungen, Lügen, Gerüchte und dergleichen. So ziemlich alles, was Otto (Kelvin Kline) in »Ein Fisch namens Wanda« von sich gibt, sind krumme Sätze aus der unzuverlässigen Zone der Kulturellen Enzyklopädie (und sind deshalb auch komisch).

Auch Sätze wie: »Die spinnen, die Römer«, oder: »Alle Amerikaner sind verrückt« sind mehr melodiöse Stimmungsäußerungen, denn geformte Wahrheitsaussagen, und taugen daher herzliche wenig, um sich ein Bild der imperialen Antike oder der gegenwärtigen Weltpolitik zu machen.

Die Exoten unter den wild umkämpften Gebieten der Kulturellen Enzyklopädie werden zurecht z.B. als Verschwörungstheorien bezeichnet. Was soll man halten von Area 51? Vom Geraune über jüdische, kommunistische, nazistische, neoliberale, Geheimweltherreschergrüppchen? Gibt es tatsächlich ein Bielefeld? Wer hat Kennedy erschossen? Ist die Achse des Guten ein Kampf-Squad der Scientology?

Meistens kann man diese Treibsandgebiete der Kulturellen Enzyklopädie leicht erkennen, weil entsprechende Schilder vor ihnen warnen, bzw. weil bestimmte Informationen dazu dienen, die dargebotenen Inhalte in einen nützlichen Zusammen zu verorten. Entpsrechend käme wohl kaum ein Rollenspielkunde auf die Idee, sich bei einer Reise in die USA ausschließlich auf ein RPG-Quellenbuch wie »Shadowrun: Seattle« zu verlassen, auch wenn man sicherlich die ein oder andere Anregung für eine Seattle-Tour aus dem Buch daraus gewinnen kann.

Das bekannteste klärende Label ist wohl der Fiktionsvertrag und sein selten genannter Zwilligsbruder, der Wahrhaftigkeitsvertrag. Wer die Nachrichten der öffentlich rechtlichen Sender verfolgt, kann ewig warten, und doch wird der Sprecher niemals die Sendung beginnen mit: »Es war einmal vor langer Zeit…« oder beenden mit: »… und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie heute noch glücklich zusammen.« Umgekehrt kann man sich darauf verlassen, daß niemals eine Ausgabe der »Märchen aus tausend und einer Nacht« mit einer Wendung beginnt wie: »Bagdad: Bei einem Gipfeltreffen der 5 führen Dschinn-Nationen, wurde der Vermittlungsversuch der Vertreter Unanhängiger Familiare zur Öllampen-Krise abgelehnt«.

Ich für meinen Teil als Phantast stelle fest, daß es in maximale Spannung versetzt zwei Grunstellungen gegenüber der Gesamtheit der Kulturellen Enzyklopädie gibt.

Entweder man glaubt erstmal gar nix; Oder man glaubt erstmal alles.

Weil ich schlicht nicht die Kondition habe, alles dauernd anzuzweifeln, beschränke ich mich erstmal darauf, alles für wahr zu halten. Bei den meisten Dingen ist es auch völlig Wurscht. Sind Helmut Kohl und weite Teile der CDU ein Infowar-Platoon des Vatikans und des im Untergrund agierenden Feudalismus? Sind Gerhard Schröder und weite Teile der SPD Handels-Agenten der illuminierten Gnome von Zürich? Würde sich meine Haltung zur Welt groß ändern, wenn in Area 51 wirklich ein UFO abgestürzt wäre?

Ich wage zu behaupten, daß solche Wahrheiten zumindest mir nichts ausmachen, egal ob sie bewiesen oder widerlegt werden, oder unentschieden bleiben.

Was bei anderen ihre komisch antrainierten Skepsis-Routinen und Zweifels-Reflexe sind, erledigt bei mir immer noch der gesunde kindliche Menschenhass. Ein umgänglicher und optimistischer Misanthrop zu sein, scheint mir eine da eine lohnende Herausforderungen auf dem Gebiet der Persönlichkeitsentwicklung zu sein. Aber das ist ein anderes Thema.

BLOGS! – Text und Form im Internet

Eintrag No. 143 – Meine Amazon-Wertung und Rezi zu dem Buch »Blogs! – Text und Form im Internet«. Fünf Sterne für Kai Pahl und Don Alphonso und den Verlag Schwarzkopf und Schwarzkopf.

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Ein dickes tolles Buch haben Alphonso und Pahl da zusammengestellt. Grob bietet es zweierlei: Information und Anthologie und das nicht zu knapp, sondern mit einer durchgehenden vierfarbigen Fülle, so daß ich nach meiner ersten Lese-Session mit dem Augenweiden-Ideengewimmel-Buch angenehm satt war.

Die Blogosphäre – also die sehr heterogene Gemeinschaft der Blog-Autoren und Autorinnen – trägt ja bisweilen heftige Profilierungsstreitigkeiten aus ... »Blogs! - Text und Form im Internet« bietet da einen erfrischenden Überblick auf dem nicht-digitablen Träger Papier, quasi auf einem Analogbildschrim. Zum Fenster raus sind da die interaktiven Elemente und informations- und interaktionsbetonte Blogs machen in so einer Sammlung wenig Sinn. Das mag man als Manko ankreiden, aber die Herausgeber machen ja fairerweise auch kein Geheimnis daraus, daß die Auswahl der 18 deutschsprachigen Blogs eben eine subjektive Zusammenstellung der Herren Pahl und Alphonso ist. Genießen lassen sich also vielmehr: Texte, Gedanken, Ideen, Bilder, gestaltet getreu dem Netzauftritt der einzelnen Blogs. Jedes Blog wird abgeschlossen mit den Antworten der Autoren und Autorinnen auf die Fragen: was der erste Anreiz zum bloggen war; warum man heute bloggt; was die eigenen Texte darstellen; wie sie zur Anonymität oder Offenheit des bloggens stehen; was ihnen die eigenen Leser bedeuten; warum man Kommentare zuläßt; was Blogs im Gegensatz zu anderen Medien bieten.

Obwohl die 18 vorgestellten Blogs sehr unterschiedlich sind, macht das Buch neugierig auf mehr ... neugierig auf mehr Texte und Einträge des ein oder anderen Blogs der Auswahl ... neugierig auf die Möglichkeiten von Blog-Literatur überhaupt ... (oder sollte man von Blog-Kunst, Blog-Pop oder eben der Blogosphäre sprechen?).

Der Infoteil bietet hilfreiche Handreichungen für jeden, der selbst versuchen möchte ein Blog zu machen ... aber auch Stoff für Auseinandersetzung, zum Beispeil mit den 12 Thesen von Don Alphonso »...warum Blogs den Journalismus aufmischen werden«.

Also, wer es als Leser von Anthologien auf Füllhornqualität abgesehen hat, wird diesen dicken, bunten, wirren, sensiblen, arroganten, lakonischen und vor allem facettenreichen Ziegel mögen.

Reinzend wäre es, wenn dieses Buch als Pionier eine (oder verschiedene) jährliche Blogs!-Anthologie(n) anregt. Wie auch immer: die junge Literaturform gibt mit »Blogs!« eine würdige und gloriose Vorstellung auf der hiesigen Printbühne.

Greinen wegen der zurückkommenden Welle

(Gesellschaft) – Es gibt in Sätze geformte Zuspitzungen oder Klärungen, die es trotz der Gefahr, aus dem Zusammenhang gerissen mißverstanden zu werden, des Weiterreichens wert sind.

Mein derzeitiger Leib- und Magenphilosoph Peter Sloterdijk (siehe rechts die Links) ist ein fruchtbarer Eierleger solcher Sätze und umsichtig warnt er davor, daß man ihn zitiere, denn seine Sprache ist eine vieldeutige, sein Denken ein schwebendes. Dennoch hier eine Nüchternheit zu dem, was heute vermeidlich Globalisierung genannt wird, obwohl der Ausdruck Globalität treffender ist.

Solange wir {Europäer}, über mehr als vierhundert Jahre hinweg, als Entdecker zu den Entdeckten kamen und die Fremden als Zubehör unserer Weltnahme mit in Kauf nahmen, hat kaum jemand an der »Globalisierung« Anstoß genommen – allenfalls in der Form von Kritik an den Ungerechtigkeiten des Imperialismus und der Sklavenhaltung. Jetzt aber, wo der planetarische Gegenverkehr einsetzt und die anderen uns ebenso leicht erreichen können wie wir sie, schreit alles Zeter und Mordio, die Antipoden nehmen uns Wohlstandsprivilegien weg. ••• aus Peter Sloterdijk und Hans-Jürgen Heinrichs: »Die Sonne und der Tod – Dialogische Untersuchungen«, Suhrkamp 2001, Seite 181.

Wahnwellenversprengtes Denken aufgrund Melange aus literarischer Inkompentenz und mieser Profilierungspraxis

(Gesellschaft, Alltag, Literatur) - Was sich hier bei mir zuhause abspielt ist bald nicht mehr in Worte zu fassen. Meine Partnerin Andrea sieht sich den heftigsten Anwürfen des neuen AStA der Uni Frankfurt ausgesetzt, weil das Kulturzentrum bei dem sie mitmacht, eine »Endstufe«-Lesung mit Thor Kunkel veranstaltet hat. Zu den neusten Entwicklung (nach Verhören durch die paranoiden hyperantifaschistischen Banausen, und geifernden Denunziationen in der jünsten AStA-Zeitung, April 2004, S. 18/19†) kommt nun das offizielle Aus: das Kulturzentrum gilt laut AStA als nicht mehr förderungswürdig, Mittel und Räume ab sofort gekappt.

{† Ich würd ja gerne auf diese AStA-Zeitung linken, aber die kommen mit dem Webseitepflegen nicht nach vor Antifaschismus.}

In »fear & loathing in ffm« und »Meine schärften Kritiker« berichtet Andrea; Verweise auf Reaktionen in den Medien finden sich bei ihr hier: »update«. Einen umfassenden Überblick vermittelt »Hexenjagd in Frankfurt«, der erste von zwei Artiklen zu den Vorgängen, geschrieben von Chuzpe.

Mich nimmt das alles naturgemäß auch ganz schön mit, der ich mich bemühe Andrea beizustehen, so gut ich es vermag. Schlecht schlafen und Nervenbröckeln bei Andrea sind die Auswirkungen von derart harter idelogischer Null-Toleranz, und da ich selbst einen Hang zur Polemik habe, gemahnt mich das selbstverblendete Bellen des AStA, selbst besser zu zielen, bevor ich meine Meinungen in den Raum stelle, und entsprechend klar meine Absende-Position zu klären.

Zur Einstimmung erstmal ein Zitat aus Norbert Bolz feinem Spiegel-Online-Essay »Warum Denken unmodern ist«:

»Im Skandalkonsum goutiert das Publikum die soziale Lust des Moralischseins.«

Das gilt natürlich verstärkt für jene, die sich ihre Lustkicks durch Tadeln verschaffen. Was für eine kreuzreaktionäre, denkfeindliche und sich dabei unangenehm expressiv gebärdende Autoerotik. Ein Gutteil der Frankfurter Antifa-Fundamentalisten ist sich anscheinend in ihrer jugendlichen Begeisterung nicht im Klaren darüber, daß sie gegenüber Kunkel und dem Kulturzentrum jene Art von Ausgrenzungs- und Vernichtungsrethorik betreiben, die sie selbst bei ihren Gegnern als Faschismus diagnostizieren. Eigenprofilaufbau durch Niedermachen des Gegners. Nur noch als Realsatiere optimistisch zu bezeichnen, lassen sich die Handlungen und Äußerungen des derzeitigen AStA kaum anders deuten, als daß es dem AStA um Macht und nicht um Kultur geht. Peinlich obendrein dabei, daß es sich dabei um einen Kreis von Leuten handelt, die sich blind auf die Medienberichterstattung verlassen haben - obwohl sie solche gutbenamsten neuen Referate für kritische Wissenschaft ins Leben gerufen haben. Sie - Alexander Witzig und Sirwa Kader - vertrauen dabei wohl blind dem, was zum Beispiel der berüchtigte Tilman Jens via Kulturzeit verbreitet hat, oder was Trittbrettdenker dem apostelhaften Dennunziator Herrn Broder nachplapperten. Das Buch »Endstufe«, um das es geht, haben die guten Kreuzritterknappen vom AStA aber wohl kaum gelesen und so sie es lasen, entblößen ihre Reaktionen eine flächendeckende Unfertigkeit im Umgang mit Literatur. Hätten sie nämlich auch nur rudimentäre Leserkompetenz, dann würden sie jubeln ob der vielen Inspirationen, die »Endstufe« einem zeitgenössischen Antifaschisten bieten kann. »Genau so isses«, würden sie sich bei der Lektüre denken.

Dabei ist mir die heftig ungestüme Leidenschaft des neuen AStA im Grunde sympatisch, denn in diesem »Den Faschisten keinen Meter«-Pathos erkenne ich meine eigene wilde Tweenzeit wieder, als ich mich in Wien in ziiiiiemlich linken Kreisen bewegte. Es schmerzt mich deshalb fast körperlich als Randzeuge zu erleben, wie prinzipiell löbliche Antifaschismus-Ambitionen - durch den AStA Frankfurt - auf ästhetisch verkümmerten Geröll errichtet und nur mit kümmerlicher intellektueller und moralischer Aufrichtigkeit umgesetzt werden. Gut formulierte und fundierte Kritik an den Mißständen unserer Zeit und Zivilisation werden allseits herbeigesehnt. So aber trägt das Team des AStA nur zum weiteren Auseinanderklaffen des Grabens zwischen den Diskutierenden und den Polemisierenden bei, und dieser Graben ist hierzulande - GOttseisgeklagt - schon groß genug.

Weil es viel besser formuliert ist alles, was ich sonst noch analytisch daherfaseln könnte, hier ein Zitat, daß zu dem AStA-Wirrwarr paßt, aus meiner derzeitigen Großlektüre »Sphären« von Peter Sloterdijk; Band 2: »Globen - Markosphärolgie«, Kapitel 7 »Wie durch das reine Medium die Sphärenmitte in die Ferne wirkt - Zur Metaphysik der Telekommunikation« {mit meinen Anmerkungen in eckigen Klammern}:

»Für die Parteigänger der ersten Worte, seien sie von Göttern, Königen oder Genies {oder politisch-ideologischen Zampanos von Der Spiegel oder der eigenen Uni-Gruppe} gesprochen, ist von Übel, was dazu beiträgt, das Zwischenreich des Kommentars aufzublähen, und böse, was darauf ausgeht, den Interpreten oder Experten für zweite Worte an die Macht zu bringen. … wenn die Exegeten frech werden und offen behaupten, es gebe in Wahrheit kein Original, sondern nur Visionen, die alle irgendwie gleich legetim wären: Dann ist für die Verfechter der ersten Zeichen der Ernstfall eingetreten, und der Augenblick gekommen, in dem der zornige Zeichendiener die narzistischen Zwischenhändler aus dem Tempel vertreiben muß.«

Seit ich von der empörten Ablehnung von »Endstufe«, der Lesung und des Kulturzentrums durch den AStA erfahren habe, beschäftigt mich die Frage, was die ästhetische (literarische) Bildung oder Theoriegrundlage der Kunkel-Verdammung durch den AStA (und das Referat für kritische Wissenschaften) bildet. Die einzelnen linken Gruppen der amtierenden AStA-Koalition liefern schon mal erstaunlich wenig Material zur Beantwortung dieser Frage. Soweit ich einschätzen kann, ist das Institut für vergleichende Irrelevanz (womöglich die lokale Spielwiese für die vermeitlichen Ideologieheroen) noch am ehesten ein Fundort. Dort zumindest finde ich in einem Positionspapier Hinweise auf einen exemplarischen Wahn, der das unfruchtbare Verhältnis der engagegiertesten Linken zur Kultur allgemein kennzeichnet.

»Ein zentrales Moment innerhalb von Kunst und Kultur ist das dialektische Verhältnis von Produktion und Rezeption, das durch das Form-Inhalt-Verhältnis vermittelt ist. Dieses Verhältnis ist notwendigerweise immer mehrfach gebrochen. Da es nicht möglich scheint sich ausserhalb dieses referenten Modells zu begeben, muss nun versucht werden ohne Krampf die Sphären von Produktion und Rezeption miteinander so zu vermitteln, dass sie theoretisch in eins fallen.«

Auch ich als Wohlstandskind der Siebziger kenne diese belebende Sehnsucht nach einem friedlich-innovativen Ineinander von Fakt- und Geistes-Welt. Man hätte gerne wieder so eine große, alles umfassende Welterklärungskuppel, in der Zweifel und Paradoxien sich angenehm auflösen oder einverleiben lassen. Schade um viele interessante Ideen und schmissige Formulierungen in dem Positionspapier, wenn es auf so eine Art von gestaltlos naiver Religiösität hinausläuft. Diese Mädels und Jungs hätten vor einigen Jahrhunderten - womöglich?, wahrscheinlich! - enthusiastisch bei jedem apokalyptischen Missionsfeldzug mitgemacht, und sich bei der Wahnsause eines König der letzten Tage ausgetobt.

Tröstlich stimmt mich trotz allem, daß sich im heutigen Medienzeitalter solchart Verwirrte nicht mehr so einfach zu militärisch relevanten Horden zusammenfinden und zur gewaltsamen Eroberung gesellschafts-taktische Stellung (einst Münster, jetzt Uniparlament Frankfurt) mobilisieren lassen. Der jetztige AStA ist eine (inzwischen wohl) verzweifelte Notgemeinschaft von extremistischen aber unerfahrenen Aspiranten einer politischen Korrektheit. Kaum haben sie den erspähten weißen Wal zum Abschuß freigegeben, rächt sich ihre Unkenntnis davon, daß alle Facetten des Korrektheits-Zeitgeistes ein Ringen um das richtige manierliche Benehmen widerspiegeln.

Es geht auch anders. Hier eine Erwiderung von Thor Kunkel auf seine Kritiker, erschienen im aktuellen Volltext, einem österreichischen Literatur-Monatsblatt. In der vergangenen Ausgabe hat ein Krikter den Roman noch verrissen, jetzt lassen die Volltext-Leute den Autor zu Wort kommen. Das nenne ich vorbildliches Diskursverhalten. Ein Hoch auf die Volltext-Redaktion, und pfui pfui pfui dem Frankfurter Panik-Asta.

Desweiteren lesenswert die Rezensionen zu »Endstufe« von • Willhelm Hindemith für den SWR2Schümer & Dorn im Büchertalk • und Alban Nicolai Herbst.

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Weitere Molochronik-Einträge zu Thor Kunkel und seinem Roman »Endstufe«: • Die Welt durch die Brille von Kultur-Gonzos: Die Nazi-Mädels vom Kulturzentrum der Universität FrankfurtHitler-Geburtstag als Journaillien-FetischSkibbel für Thor KunkelVerlag mag nicht

Gott ist rund und der Pöbel will ihn getreten sehen.

EDIT 28. Januar 2008: Um Skribbel-Illu ergänzt.

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(Gesellschaft) - Heute will ich mir gönnen, meiner Intoleranz freien Lauf zu lassen, und tue deshalb offen kund: ich hasse Fußball als Phänomen der Massenunterhaltung; die dieser Tage allgegenwärtige Europameisterschaft widert mich an; nichts zwingt mir so heftig ein Winston Smith-Lebensgefühl auf, wie diese mich umgrindende Volksbegeisterung fürs runde Leder. Der Leser weiß nicht, wer Winston Smith ist, und was für ein Lebensgefühl ich meine? Na dann google mal, lieber Nichtkenner von Orwell.

Dieser Eintrag ist also nur für meine Brüder und Schwestern im Leiden und der Angenervtheit, für jene, die Fußball ebenso ablehnen wie ich. Für eure Erheiterung hier ein paar schöne Zitate aus Sphären II - Globen von Peter Sloterdijk:

»Die Faszination von Turnieren {…}: Bei ihnen wird, analog zur Tierzucht, das Eliminationsverfahren zu einer menschgemachten Selektion. Er oder ich, wir oder sie – das wird in der Arena wie in einer Versuchsanordnung künstlicher Selektion eingeübt.« •••Seite 330

Die einzigen Turniere, die ich ertrage zu gucken, sind Schach- Golf und Snooker-Wettkämpfe, weil sie so unaufgeregt verlaufen, meditative Gegenstimmung zum Daumen rauf-, Daumen runter-Spiel bieten. Schön wären auch Dart-Wettkämpfe im Fernsehen; hats aber nie gegeben in meiner Zeit als Fernsehgucker. Dabei ideal fürs Fernsehen mit Splitscreen: links die Scheibe mit einschlagenden Pfeilen, rechts der Werfer im Bild. Tja, bleiben als Ersatz nur die seltenen Bogenschießenübertragungen bei den Olympiaden.

»Wenn das griechische Leitwort lautete: Erkenne dich selbst, so heißt das römische: Erkenne die Lage. {…} Als Theater der Selektion appellieren die römischen Spiele methodisch an die Notwendigkeit, einzusehen, daß die Grausamkeit immer recht hat. {…} Die Götter selbst sind zum Opportunismus verdammt; ihre Gläubigen müssen lernen, sich den Resultaten von Spielen, im Kleinen wie im Großen, wie Offenbarungen zu fügen. Nichts anderen meint Fatalismus als Religion: die Bereitschaft, in die vulgärsten Zufälle den Götterwillen involviert zu sehen.« •••Seite 334

Take what you can. Give nothing back … diese Weisheit liegt all dem Zugrunde, und wir kennen diese Worte als das Motto der Piraten aus dem Johnny Depp-Film. Ich fühle mich bei so was nicht wohl. Auf der Realschule als Teen habe ich beobachten können, daß, wo wir zum Spaß an der Freude Fußball kickten, noch alles fair und gesittet verlief. Vor den Ferien war es üblich, statt Zirkeltraining oder kompliziertem Gehüpfe, die ganzen drei Sportstunden durch ein Turnier abzuhalten, und das Spiel der Wahl war natürlich meistens Fußball. Hierbei sprangen dann bei denen aus der Klasse, die auf ihrem jeweiligen Dorfkaff in einer Jugendmannschaft spielten, die Profikonditionierungen an, die ihnen dort als Esoterik der Vereinsgemeinschaft antrainiert wurden. Faule, schubse wie wild und wage überhaupt jedes unfaire Manöver, reize den Handlungsraum hin zum Regelverstoß aus, soweit es möglich ist, lerne dann die Rüge durch den Schiri als behämmerte kleinmütige Ungerechtigkeit aufzufassen, und schleife dein Mitleid für den humpelnden Gegener, erst recht, wenn du selbst ihn getreten hast.

»Ohne Zweifel liegen in den Unterhaltugsexzessen der römischen Theater die Ursprünge der Massenkultur: mit ihm entstand eine frühe und komplette Form von Faszinationsindustrie, die gereizte oder dekadente Gesellschaften mit Erregung versorgt und in Verzauberung bindet. Der Amüsierfaschismus {…} nimmt funktional zahlreiche Merkmale der modernen Massenregie durch Erregungsmedien vorweg.« •••Seite 334/335

Mir ist die entsprechende Arena des Lichtspielhauses lieber, denn wenigstens muß ich hier nicht dem Zufall beim Schußern zuschaun, sondern habs mit einer (mehr oder weniger) durchdachten, komponierten, gestalteten Sache, ja sogar Narration, zu tun. Wirklich rätselhaft ist es mir, wie man sich als Fußballpublikum auch noch mit den Dingen jenseits des Rasens beschäftigen kann: mit den Ein- und Verkäufen der Vereine, der Tages-, Wochen- und Saisonverfassung von Spielern, Trainern und Ehefrauen, den Analysen vor und nach den Spielen, dem Gewese über Gruppenpsyche der Mannschaft, der Starspieler, der Fans, der Betreuer usw.

Früher, zu Breitners und Rummenigges Zeiten habe ich selbst noch mit dem naiven Interesse des Kindes neben meinem Vater jeden Samstag mitgeschaut und die Genervtheit meiner Mutter, daß das Abendessen wieder mal vorm Fernseher verzehrt wird, zuerst abgelenkt übersehen, später willentlich verdrängen müssen. Als junger Teen verflog mein Interesse für Sport dann und ich wandte mich Büchern und Kultur zu.

Nur Nick Hornby war fähig, mir in seinem Fever Pitch unterhaltsam von dem Wahnsinn der Fußballfans zu erzählen, ohne daß mein Ekel mir dabei dazwischenfunken konnte. Das wars aber auch schon an Fußballaufmerksamkeit bei mir, in den letzten 20 Jahren.

Nein, gar nicht wahr: Bei der letzten WM habe ich mich mit einem Weizen in Frankfurts Sachsenhausen in eine Kneipe gesetzt, und irgendein Deutschlandspiel (gegen England glaub ich) inmitten der Begeisterungsgruppe angeschaut … aber mehr der Athmo eines Sommertags wegen, wo mir das WM-Pahöö als Grund für ein Mittagsweizen zupaß kam. Außerdem kann ich, trotz dem ich ein Fußballverachter bin, sagen, daß ich dieses ganze taktische Finkelgedribble öde finde und den Spielstil, wie er als Klischee den Engländern und Schotten zugewiesen wird, als Zuschauer bevorzuge: Vorbolzen, nachlaufen, unterwegs rempeln wie Rammbock. Alles andere ist doch so unharmonisch, wie Achaier im Tütü vor Trojas Mauern, oder als ob Sturmtruppen mit Teekannen einen Bunker stürmen wollten.

WARNUNG: Alle Apologien des Fußballs, oder gar Erwiderungen gegen meine Fußballverachtung, wird nicht geduldet als Kommentar zu diesem Beitrag. Dieser Beitrag ist nur für Leidensgenossen. Dies ist mein hunderster Molochronik-Eintrag, und da will ich mal so'ne Arschigkeit zugestehen. Aber nur dieses eine Mal, sonst werde ich natürlich jeden Kommentar belassen wie er ist (so er nicht rüd die hochzuhaltenden Grenzen des Rechts auf freie Meinungsäußerung überschreitet).

Ey, hastema 500000 Euro…

(Gesellschaft) - … soviel Knete fehlt uns nämlich für die Liebesparade.

Hurrah, seit Ewigkeiten wieder eine gute NAchricht aus dem öffentlichen Raum. Die Loveparade in Berlin (oder Hamburg, Frankfurt/M, Stuttgart) fällt 2004 aus. Erst 2001 hat man diesen Demonstrationsstatus aufgehoben, seit dem konnten die Rävär nicht kostendeckent veranstalten und der Todesmusikaufmarsch steht nun hint an.

Hitler-Geburtstag als Journaillen-Fetisch

Eintrag No. 94 — Betrifft die Lesung von Thor Kunkel am 20 April 2004 im Poeltzig-Bau (so die richtige heutige Bezeichnung) der Universität Frankfurt.

Ich habe es gewußt, daß einige Autoren der öffentlichen Kulturrezeption ihre juckenden Finger nicht zu zügeln vermögen, wenn sie auf dunkle Zeichen oder hintersinnige Zusammenhänge aufmerksam machen können.

Der 20. April - ein Schwarzes Loch im Kalender, Gröfaz aus dem Uterus als Singularität die alles verfinstert, was an diesem Tag getan (oder dann doch besser unterlassen) wird. Ist der 20. April ein Feier- oder Gedenktag der Bundesrepublik? Meines wissens nach nicht, aber vielleicht ist er ein geheimes, ein invertiertes Jubiläum.

Von mir darf ich mit aller Bescheidenheit behaupten origineller und neugieriger reagiert zu haben, als ich nach Kenntnisnahme der Führer-Versautheit des Datums mal bei wissen.de nachschaute, wer denn noch alles Geburtstag an diesem Apriltag hat. Was soll ich sagen: müssen sich Brigite Mira und Jasmin »Blümchen« Wagner (Achtung! Nachname eines bekannten Antisemiten) an ihrem eigenen Geburtstag schämen? Dürfen Science-Fiction-Fans diesen Tag nicht als Geburtstag des Pioniers Kurd Laßwitz feiern? Und was ist mit Napoleon III, Harold Lloyd, Pietro Aretino, Jean Miro, Sir Eliot Gadiner, Karl I von Rumänien, der Heiligen Rosa von Lima und all den anderen (insgesamt 54) Personen, die, wie es der Zufall will, auch an Bad Adolfs Geburtstag geboren wurden, sei es vor oder nach ihm?

Nein meine lieben Journalisten, als jemand, der den Stress eures professionellen Schreibenmüssens nicht teilt und die Welt entsprechend unparanoider betrachten kann, muß ich tadeln: so geht das nicht.

Frankfurter Rundschau: »…weil Kunkel im ehemaligen IG Farben-Haus las und das auf den Tag genau 115 Jahre nach Adolf Hitlers Geburt.«
Perlentaucher (Referenz auf FR-Beitrag): »…als Thor Kunkel vorgestern (am 20. April!) im IG-Farben-Haus…«
Wobei ich sagen muß, daß der FR-Beitrag nicht halb so gehässig ist, wie der Bericht der F.A.Z.
F.A.Z.: »…dem 20. April, einem Datum, das für die Festkultur im Dritten Reich eine wichtige Rolle spielte (und für manche heute noch spielt): An Adolf Hitlers Geburtstag also las Kunkel…«

Der Autor verliert hier auffällig viel Worte über diesen Zufall, muß nicht nur auf das Datum hinweisen, sondern auf den Nimbus, die negaitive Heiligkeit desselben beschwören. Ist das nötig? Muß hier ein etwa ein Gedenken aufrechterhalten, verteidigt werden?

Außerdem bezeichnet Herr (oder Frau) rik in seinem F.A.Z.-Beitrag alle Anwesenden der Lesung als Ahnungslose (weil keiner gegen Kunkel protestiert). Na, wer urteilt, schmeißt da wahllos und undifferenziert eine Leutegruppe in einen Topf? Ich zumindest kann hiermit meine Empörung über diese auch mich betreffende Titulierung äußern, Frau (oder Herr) rik, denn 1972 geboren, habe ich die Geschichte des III. Reiches und der Shoa eben auch nur erlernen können. Vielleicht werden ja Angehörige anderer Gesellschaftsschichten mit geheimen teuren Zeitmaschinen in die Lage der Zeitzeugenschaft versetzt. Herr rik, dokumentiert zudem erst die (kritische) Nachfrage des Moderators, um dann einige Zeilen später zu schreiben, der Abend sei unkritisch verlaufen. Auch kann nicht nicht davon die Rede sein, Herr Kunkel habe sich inzeniert, er tat dies sogar weniger, als rik in seinem Beitrag im Nachhinein die Lesung darstellt.

Ich für meine Person als Leser möchte betonen, daß ich die Verbrechen des III. Reiches nicht leugne, ja, sie sind eine Singularität an Menschenverachtung und Wahnsinn und sie verursachen heute noch viel Schmerz in den Seelen der Überlebenden dieser Zeit und aller Nachgeborenen, deren Familiengeschichte davon berührt ist. Wenn ich mir ein heutiges Deutschland in einem Alternativwelt-Europa vorstelle, das weder Hitler noch die Nazis erlebt hat, das keine Judenausrottung und Vernichtung sonstigen unwerten Randgruppen-Lebens ertragen mußte, und wenn ich dieses Alternativwelt-Deutschland mit unserem tatsächlichen heutigen vergleiche, fühle ich den Schmerz des Verlustes, zum Beuspiel darüber, daß uns heute ein etabliertes jüdisches Bürgertum mit seinem Geisteswitz fehlt, daß uns heutigen Deutschen unerträglich viele der hervorragensten Köpfe (und Herzen) fehlen, die vernichtet oder vertrieben wurden.

Trotzdem kann ich mich mit diesem Schmerz vergnügen, wenn Kunkel seine nach präpubertären Kalauer miefenden derben Scherze mit der vermeitlichen Elite z.B. der SS oder der NS-Wissenschaft treibt. Zugegeben: Chaplin hat das in »Der Große Diktator« mit dem aus den Fenster springenden Raketentestern knapper und eleganter gemacht. - Kunkel hat wohl zu hoch gepokert, als er glaubte, daß man diesen Schmerz soweit angenommen hat, daß nicht jedesmal verletzt oder paranoid aufgebrüllt werden muß, wenn eine fiktionale Narration Dissonanzen zumutet. Als lustige Zeichnung bei Walter Moers mögen solche Scherze noch angehen, als reiner Text ist es anscheinend zu schwer, die Feinheiten groben Nazi-Porno-Trash zu erkennen. (Meine Entschuldigung an Herrn Moers - falls Sie das hier lesen und sich unangenehm platziert fühlen, wieder mal herhalten müssen, so als anerkannter Grenz- und Tabuüberschreiter.)

Man kann Kunkel mit aller Berechtigung vorwerfen, daß er einen ätzenden, bisweilen extrem geschmacklosen Humor pflegt. Eine Dauer-Verfremdung durch unerträgliche Sprachartistik, in der die Nicht-Provokation scheinbar Aussnahme bleibt.

Ein Herr aus dem Publikum der IG-Farben-Haus-Gröfaz-Jubiläums-Lesung hat es aber ganz richtig erfaßt:

»Das ist eine Satire auf das III. Reich.«

Spontaner Applaus des ahnungslosen Publikums. Darüber hat niemand geschrieben und es findet sich bei den Berufsschreibern auch niemand, der es für seine Sache hält, den (zugegeben grenzwertigen) Humor in Kunkels Darstellung von kranken, pathologisch mitleidsunfähigen Triebdeppen zu verteidigen. Auch gut, machs ich das halt.

Ach übrigens: Von den bisher berichtent habenden Journalisten war niemand so fleißig, mal Veranstalter oder Verlag zu fragen, wie es zum Ungeschick des Datums kam. Wie kleine Dr. Watsons ziehen sie lieber die Schlüße, die ihre Bildung und Fixierung zulassen. Nehmt entsprechend diese meinen Einspruch auf eure Deutungshoheit entgegen.

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