molochronik

Auf Pöppelgrund nicht ärgern, oder: Gemeinsame Abschottung in Klagenfurt

Eintrag No. 214 – Als Teen habe ich richtig gerne den Bachmannwettbewerb geguckt. Da gabs noch Babyficker und so Quasi-Punks mit Blut und einen ganzen Haufen sonstiger Freaks und Freakinnen.

Inzwischen hatte ich einige Male das Pech arbeiten zu müssen zu Bachmannzeiten (Himmel: andere waren Sonnenfinsternisgucken vor ein paar Jahren, ich hab Daten getippt, grmpf). Auch dieses Jahr habe ich da wieder Pech und verlasse mich auf zwei gewitzte Damen: Andreas und Hellas herrlich respektlose und angenehm unbetuliche Berichterstattung.

Den gestrigen Tag habe ich sogar noch 3/4 gesehen und gehört. Das Schmerzvergnügen die Klagenfurt-Übertragung zu gucken ist wirklich exquisit. Immer die gleiche Schose, immer die selbe Art besinnlicher Solepsismus im Kleinformat.

Literatur braucht Mut, sonst kommt der Größenwahn nicht richtig rüber. Und ohne Größenwahn wird kaum was aus dem Schreiben. Künstler, die auf die Frage, was sie als Kinder gerne werden wollten nicht »Herrscher der Welt« (oder sowas in der Richtung) sagen, sind für mich so glaubhaft wie Teens und Twens, die auf die Frage ob sie onanieren mit »Nein« antworten. Also unglaubwürdig.

Frage-Stöckchen. Diesmal zu Literatur.

Eintrag No. 201 – Und wieder beehrt mich TH mit netten Fragen. Auf Englisch antworte ich nur knapp, und ich übersetzte die Fragen mal. Ich schreib ja auf Deutsch wegen meiner Legasthenie schon einen Stiefel nach dem anderen zusammen. Ich fürchte, wenn ich mit meiner englischen hit & run-Grammatik anfange, versteht kein Mensch mehr, was ich eigentlich antworten wollte.

You’re stuck inside Fahrenheit 451, which book do you want to be?

Stell Dir vor, Du bist in »Fahrenheit 451« ein Angehöriger des Widerstandes gegen die allgemeine Büchervernichtung. Welches Buch hast Du auswendig gelernt um es zu retten? ••••• Ich fürchte, mein chaotisches Hirn ist schlicht nicht fähig, einen längeren Text in sich aufzunehmen. Ich tu mich ja schon schwer damit Lieder zu lernen. Aber wenn das alles kein Problem wäre, und es also nur um die Motivation des Rettens geht, würde ich vielleicht »Tristram Shandy« von Laurence Sterne retten wollen, damit die was zu lachen haben.

Have you ever had a crush on a fictional character?

Warst Du jemals verknallt/verliebt in eine erfundene Figur? ••••• Oh ja, oft. Beispielsweise war ich als Teen in Julia aus »1984« von George Orwell verknallt, und in jüngerer Zeit in Bellis aus »The Scar« von China Miéville. Aber ich verknall mich schnell in gutgeschriebene Figuren. Ich überhaupt so ein Schnellverlieber. Einer der Gründe, warum ich so ein Misanthrop bin.

The last book you bought is:

Das letzte Buch, daß Du gekauft hast ist: ••••• »Lone Wolf & Cub – Band VIII« von Kazuo Koike & Gôseki Kojima (Panini Comics, Planet Manga). Wenn graphische Literatur nicht gilt, dann wäre es mein Fund im Stadtbücherei-Flohmarkt »Georg Christoph Lichtenberg 1742-1799 Wagnis der Aufklärung« (Begleitband zur Ausstellung in Darmstadt/Göttingen 1992, Carl Hanser Verlag), und wenn gebrauchte Bücher auch nicht zählen, dann eben »Die Tatsachen des Lebens« von Hans Peter Duerr (Suhrkamp), wie hier vermeldet.

The last book you read:

Das letzte Buch, daß Du gelesen hast ist: ••• Bin heute mit zwei Zwischendurch-Büchern fertig geworden. Dem Andreas Eschbach seinem »Der letzte seiner Art« (Lübbe) und der Justina Robson ihrem »Die Verschmelzung« (»Natural History«, Heyne). Beides ganz nette SF.

Five books you would take to a desert island:

Welche fünf Bücher würdest Du auf eine verlassene Insel mitnehmen? ••••• Vorausgesetzt, daß ich Schreibzeug und Papier zum Selberskribbeln und Fabulieren hab, und vorausgesetzt, es geht mir gut und ich also Werke wie »Autopathologie für Hypochonder mit beginnender Leichenstarre« und »Nehbergs Kompendium: Alles was man wissen muss um auf einer einsamen Insel zu überleben« nicht brauch. Dann würde ich also nur zur Kurzweil mitnehmen:

  1. »Kosmos« von Alexander von Humboldt (Die Andere Bibliothek, Eichborn);
  2. »Essays« von Michael de Montaigne (Die Andere Bibliothek, Eichborn);
  3. »Das Kritikon« von Baltasar Gracian (Amman);
  4. »Der Blaue Kammerherr« von Wolf von Niebelschütz (Haffmans-Taschenbuch im Schuber. Gilt als ein Buch, basta!);
  5. »Saki – Sämtliche Erzählungen« von Hector Hugh Munro (Haffmans).
Who are you going to pass this stick to (3 persons) and why?

An welche drei Leut wirst Du dieses Stöckchen/Staffette weiterreichen? ••••• Diesmal fallen mir sogar Blog-Kollegen und Blog-Kolleginnen ein, denen ich dieses Stöckchen gerne zuwerfen möchte: • Freilich an Andrea, weil die gleich nebenan sitzt und so ganz andere Sachen als ich ließt; • Auch meinen lieben Veteranenfreund David will ich diese Fragen gönnen, damit er einen Grund hat, mal wieder was über Literatur in seinem an genialen Collagen so reichen Blog zu schreiben; • Schließlich der Orts-Nachbarin Ju, die bestimmt das ein oder andere Buch kennt. Immerhin schreibt sie welche.

Das Reich der Pflanzen, Ummanandpolitisieren, Teeparty und neues Phantastik-Portal

(Woanders) – Erfreuliche Netz-Entwicklungen der letzten Wochen.

Erstmal Neues von der Alvorada-Posse: • Andrea hat nun neben ihren eigenen Reisenotizen ein zweites Blog gestartet, diesmal jedoch ein themenspezifisches: »Der Grüne Zweig«, mit allerlei Einträgen über Flora. Bisher gibt es dort zum Beispiel Hinweise auf lobenswerte Artikel, neue Verlage, die japanische Kirschblüte, australische Spinnenblumen. Ich habe mir vorgenommen dort eine lockere Reihe mit Einträgen über »Pflanzen in der Phantastik, phantastische Pflanzen« zu schreiben. • Die Kollegen von »Otium« und »Wos was a Fremdaa?« haben zusammen mit anderen Freunden ein Gruppenblog begonnen: »Das Küchenkabinett«.

Desweiteren: • Beim Studium meiner Referrers bin aufmerksam geworden auf »The Mad Tea-Party« von blogger.de-Nachbar Michael Blasius. Viele feine Einträge über Literatur im weiteren Sinn von einem Kameraden im Bemühen, einen zeitgemäßeren Blick auf Narration, Kunst und Phantastik zu fördern. • Seit gestern bin ich registriert bei dem wunderbaren Phantastik-Portal »Fictionfantasy.de«. Habe dort eine wunderbare Übersicht und Zusammenfassung des Mangas »Akira« gefunden, und erfreue mich schon seit einigen Monaten der vielzähligen Rezensionen. Vor allem die Besprechungen von SF-Netzwerk-Kollegen Rusch bei Fictionfantasy sind angenehm.

Zwei Interviews:
Neal Stephenson über den »Barock-Zyklus«;
Paul Greengrass über seine »Watchmen«-Verfilmung.

(Phantastik) – Zuerst ein Link zu einem erhellenden Interview über den »Barock-Zyklus«, das Autor Neal Stephenson mit reason.com im Herbst 2004 führte. >>> Neal Stephensons Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – Der Autor des viellgelobten Barock-Zyklus über Wissenschaft, Märkte und das Amerika nach IX.XI.

Dann ein dreiteiliges Interview bei chud.com mit Regisseur Paul Greengrass über seine Verfilmung des besten aller Comic-Romane von Alan Moore »Watchmen«. >>> Teil Eins: Warum sich Greengrass für qualifiziert hält. >>> Teil Zwei: Greengrass über Dr. Manhatten und Alan Moore. >>> Teil Drei: Über die »Watchmen«-Welt.

Historisch: Buchmesse und Kampfkunst

(Literatur) – Das deutsche Angebot an eTexten von alten, copyrightfreien Büchern ist ja erschreckend mickrig, verglichen mit der englischsprachigen eText-Sphäre. Hier zwei coole Funde von mir aus den letzten Tagen.

The Frankfort Book Fair: The Francofordiense Emporium of Henri Estienne (Chicago: The Caxton Club, 1911) Schöner Reprint eines Buches über die Frankfurter (und auch die Leipziger) Buchmesse au dem Jahre 1574. Online seit dem 21. Februar 2005 … und zumindest ich habe nicht bemerkt, daß in Deutschland jemand darüber berichtet hat. Hier zum Inhlatsverzeichnis.

• »Fiore de' Liberi: The Flower of Battles – with harness and without, on horse and on foot« Englische Übersetzung eines auf Latein geschriebenen Buches über die Kunst des Kampfes, ca. aus dem Jahre 1409.

Viel Spaß.

Molosovskys Beute: Klassiker der Phantastik als eText

Eintrag No. 187 – Also gut. Es kann ja nicht sein, daß ich hier nur schlechte Stimmung kundtue. Ist ja nicht so, daß ich am Boden kreuche und bleierne Depri-Eisenkugeln an meinen Fesseln hinter mir herschleife.

Die bisherigen Bücher des Lesezirkels bei SF-Netzwerk treffen ganz meinen Geschmack. Nach »Set This House In Order« (»Ich und die anderen«) von Matt Ruff gings im Februar weiter mit einem Klassiker: H. G. Wells mit seinem »Men Like Gods« (»Menschen, Göttern gleich«) aus dem Jahre 1923.

Nach einen Blick in die Wells-dtv-Ausgabe wurde ich soweit neugierig, mal im Netz nach dem Roman zu suchen. Ich wurde nicht nur fündig, ich verlohr mich geradezu in einer Flut verfügbarer Titel. Vor allem auf Englisch kann man reichlich Klassiker als eText kostenlos bekommen.

Da dacht ich mir: Was soll ich in diesem Jahr groß Geld für Bücher ausgeben? Will ich mich mal um einige Wurzeln der modernen phantastischen Literatur kümmern und sie als PDF zum Copyshop tragen, um sie nicht am Bildschirm lesen zu müssen. Entsprechend habe ich die letzten Tage mit PDF-Aufbereitung von reinen Textdatein verbracht.

Hier eine (verlinkte) Autorenübersicht, und die (unverlinkten) Titel dieser Autoren, nebst einer kurzen Begründung, warum mich das Zeug interessiert. Ich Link mir sonst die Finger krumm.

Klassiker der phantastischen Literatur (sowie einige andere Titel, die Molosovsky interessieren)

Bellamy, Edward (1850 - 1898): Looking Backward ••• Frühe SF, in der ein Mann aus dem Jahre 2000-ebbes eine Reise in die ausgehende Viktorianische Epoche macht.

Blackwood, Algernon (1869 - 1951): Prisoner in Fairyland ••• Der Titel machte mich neugierig und ich kennte bisher nur die unheimlichen Kurzgeschichten in der Übersetzung bei Suhrkamp. Blackwood war ein Vorbild vom Kult-Pessimisten H. P. Lovecraft.

Cabell, James Branch (1879 - 1958): Figures of Earth / Jurgen ••• Neil Gaiman empfiehlt immer wieder mal Cabells »Jurgen« als lesenswertern Klassiker des Genres empfohlen.

Chesterton, Gilbert Keith (1874 - 1936): Ball and Cross / Club of Queer Trades / Tales of the Long Bow / The Man Who Was Thursday / The Trees of Pride / Orhodoxy ••• Ich bin ein großer Fan von »Der Mann der Donnerstag war« und gespannt, was der Mann sonst noch herrlich Wirres schrieb. Wie J. R. R. Tolkien ebenfalls einer der durchgeknallen Katholen der Insel. Bei uns kennt man Chesterton eigentlich nur für seine Pater Brown-Geschichten (bekannt durch Ottfried Fischer und Heinz Rühmann).

Doyle, Arthur Conan, Sir (1859 - 1930): The Lost World / The Poisen Belt / The Land of Mist / The White Company ••• Durch meine Teenagerjahre habe ich alle Sherlock-Holmes-Geschichten abgegrast, und auch die ein oder andere Kurzgeschichte von Doyle. Bei Gelegenheit will ich nun die drei Jules Verne-artigen Prof. Challenger-Romane mal im Original lesen, sowie den historischen Roman »The White Company«, den Doyle selbst für sein bedeutenstes Erzählwerk hielt (und der meines Wissens nie auf Deutsch erschien).

Dunsany, Lord {Edward J. M. D. Plunkett} (1878 - 1957): Don Rodriguez / Gods of Pegana / Time and the Gods / A Dreamer's Tales / Sword of Welleran & Other Tales / Tales of Three Hemispheres / Tales of Wonder / The Book of Wonder / The Food of Death ••• Von ihm haben alle abgeschrieben, die Nachkriegsfantasy-Autoren, die neueren Comic-Schreiber a la Gaiman und Co. Alle! Lovecrafts Kosmogonie oder seine Traumwelt wäre nicht denkbar ohne Dunsany als H.P.s großes Vorbild. In den Siebzigern gabs bei Diogenes eine ganze Reihe mit Krimi-Stories von Dunsany. Heutzutage sieht es ganz finster aus um eingedeutschte Werke von Dunsany.

Hearn, Lafcadio (1850 - 1904): Glimpses of Unfamiliar Japan 1 & 2 / In Ghostly Japan / Kwaidan: Stories and Studies of Strange Things ••• Über ihn bin ich gestolpert, weil ich für Andrea über frühe Bonsai-Berichte in der westlichen Hemisphäre recherchiert habe. Die Wichtigkeit von (wahren oder erfundenen) Berichten aus fremden Weltgegenden für die entstehende moderne Phantastik wird von den heutigen Lesern zumeist grob übersehen. Hearn ist ein gutes und vor allem exellent zu lesendes Beispiel für einen Wanderer zwischen den Kulturen.

Kipling, Rudyard (1865 - 1936): Plain Tales from the Hills / Traffics and Discoveries / Puck of Pook's Hill / Actions and Reaktions / Rewards and Fairies ••• Sehr dankbar bin ich Gisbert Haefs, daß er damals im Haffmans-Verlag begonnen hat, die Werke von Kipling endlich mal unverstümmelt herauszubringen. Leider erscheinen schon seit Jahren keine weiteren Bände dieser Werksausgabe mehr (Hallo Zweitausendeins, Herr Haffmans und Herr Haefs! Was geht?). Und bitte keine unnötige Scheu vor dem Geheimagenten und Kolonial-Praktiker Kipling, der vor hundert Jahren dabei war, als die Region Afghanistan zum Desaster für die Britten wurde (siehe Veteran Dr. Watson in den Holmes-Geschichten von Kollege Doyle), und das heute noch andauernde ›Great Game‹ um diese Weltgegend anhob. Und: Kipling gilt als der erste Autor, der Filmschnitt-Techniken in Prosa nachahmte.

Lytton, Edward Bulwer Lytton, Baron (1803 - 1873): The Coming Race ••• Neben Charles Dickens und Wilkie Collins einer der einflußreichsten viktorianischen Genre- und Erfolgsautoren. »Coming Race« ist ein Klassiker der abseitigen Hohlwelt-Literatur. Am bekanntesten ist wohl sein »Die letzten Tage von Pompeii«, und Arno Schmidt-Leser kennen seinen Namen vielleicht (»Was wird er damit machen?«). Und Bulwer Lytton saß als Politiker im englischen House of Lords!

MacDonald, George (1824 - 1905): Lilith / Phantastes / The Princess and the Goblin / There and Back ••• Ein schottischer Landpfarrer der Märchen für Gläubige schrieb. Neben William Morris ein wichtiges stilistisches und ideologisches Vorbild für Tolkien. Mal schaun, vielleicht heißt der Nebentitel von »The Hobbit« nicht von ohngefähr »There and Back Again«.

Morris, William (1834 - 1896): News from Nowhere / The Well at the World's End / The Wood Beyond the World ••• Morris war ebenfalls ein wichtiges Vorbild für Tolkien. Lustig find ich die sprachliche Nähe der Prosa von Morris, MacDonald und Tolkien. Ansonsten war Morris ein Phänomen in der englischen Kulturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts. Künstler, Idealist, Sozialist, Handwerker, Dichter. Ein Mann mit einer Mission. Seine Tapetenmuster sind heute noch top.

Orwell, George (1903 - 1950): Fifty Essays ••• Ich weiß ja nicht, warum es so schwer ist, mal alle Essays von Orwell ins Deutsche zu übersetzten. Les ich die halt auf Englisch.

Stevenson, Robert Louis (1850 - 1894): The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde / Essays in the Art of Writing / Fables ••• Hab bisher viel zu wenig Stevenson gelesen.

Irving, Washington (1783 - 1859): The History of New York / Scetch Book of Geoffrey Crayon ••• Irving ist so ein gewichtiger Klassiker der burlesken Phantastik, der auf Deutsch so gut wie unübersetzt und deshalb unbekannt ist. Das »Scetch Book« enthält neben anderen die einflußreichen Geschichten »Rip von Winkle« und »The Legend of Sleepy Hollow«. Und die »History of New York« ist ein frühes Beispiel für eine komplett aus der Nase gezogene Enzy.

Wells, Herbert George (1866 - 1946): The Time Machine / The Island of Dr. Moreau / The Invisible Man / The War of the Worlds / When the Sleeper Awakes ••• Vielleicht immer noch der einflußreichste SF-Autor bisher. Hab ich wie Doyle als Teen schon einiges auf Deutsch gelesen.

Woolf, Virginia (1882- 1941): Common Reader / Essays / Short Stories / The Waves ••• »Orlando« auf Deutsch fand ich vor ca. zehn Jahren ziemlich öde, den Film aber schlicht brilliant. Letztes Jahr hab ich das Buch englisch aufm Klo gelesen und war begeistert. Derzeit hab ich »Mrs. Dalloway« immer in der Manteltasche dabei und freu mich schon auf weitere Lektüre ihrer Texte.

Abschluß-Zuckerl: Runciman, John F. (1866 - 1916): Purcell ••• Wenigstens ein kleiner Text über einen meiner absoluten Lieblingskomponisten.

Klassiker über Römische Geschichte für umme? Bitte schön. Gibbon, Edward (1737 - 1794): History Of The Decline And Fall Of The Roman Empire Mommsen, Theodor (1817 - 1903): Römische Geschichte ••• Gibts alle Bände als eText, den Mommsen sogar auf Deutsch. Gut, es ist etwas mühselig, das Zeug so unaufbereitet zu lesen, so wie die Fußnoten versteckt sind, aber immerhin: so kommt man als arme Sau, für die auch die Taschenbuchausgaben dieser Werke zu teuer sind, wenigstens zu seinem Stoff. Und: der Gibbons war immer wieder mal Steinbruch für die Macher von großen galaktischen Imperien. Prominentester Verwurschter: Isaac Asimov mit seinem Psychohistoriker-Zyklus.

LiteraturBlogging de Luxe:
Crooked Timer-Seminar über China Miéville

Eintrag No. 179 – Erst vor Kurzem entdeckt: das aufregende Gemeinschafts-Blog Crooked Timber. Es kommt selten vor, daß Schriftsteller sich auf ein öffentliches Ping-Pong mit Kritikern einlassen (egal ob die Kritiker nun loben oder mäkeln). Der Name des Blogs wurde von Immanueal Kant inspiriert:

Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz gerades gezimmert werden.
aus: »Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht«, (1784).

Es gibt dort nun sechs Essays von akademischen Freunden der linken Phantastik, vor allem den dritten Bas Lag-Roman »Iron Council« betreffend:

• von John Holbo: We Shall Rise to the Challenge of Their Appointment to Life for That Single Moment – Ein Vergleich zwischen dem literarischen Weltbauten von Tolkien und Miéville unter Zuhilfename eines Arguments von Bruno Schulz.

• von Belle Waring: New Crobuzon: If You Can Make Re-Make It There! (You’ll Make It Anywhere) – Raunzt über zuviel Grimmigkeit in New Crobuzon.

• von Matt Cheney: Balancing Traditions: The Pulp Origins, Muddled Moralities, and Anxious Audiences of China Miéville’s Aesthetic Revolution – Über die Bösewichter bei Miéville, sowie die Einarbeitung von Pulp- (Schund) und Avantgarde-Literatur in die Bas Lag-Bücher.

• von Henry Farrell: An Argument in Time – Über Geschichte und Mythos bei Miéville unter Zuhilfenahme von Walter Benjamin.

• von Miriam Elizabeth Burstein: Undoing Messiahs – Über Märtyrertum und Messianismus in »Iron Council«.

• von John Quiggin: Remaking the Past (and Future) – Über Revolution und Geschichte.

• Und eben die die ausführliche und kritisch/selbst-kritische Erwiderung von China Miéville auf diese Essays: With One Bound We Are Free: Pulp, Fantasy and Revolution.

Angenehmer Service der Posse des krummen Holzes: Hier all das zum Ausdrucken als PDF.

Popliteratur und Blogs

(Gesellschaft, Literatur) – Wiedermal wird die Frage verhandelt: Sind Blogs die Nachfolger der Popliteratur? (bei DonDahlmann, und bei Lotman mit großartigem Comment von Andrea.) …… ich denke, die Antwort darf allgemein ruhig erstmal »Nein« lauten. Immerhin werden – im Gegensatz zu Popliteraturbüchern – wirklich sehr viele Bogs von Leuten geführt, die NICHT aus Familien der oberen Mittelschicht oder Oberschicht stammen (Mama und/oder Papa sind: Provinzredakteure, Parteigründer, Adelige, Fabrikanten … es ist wirklich erstaunlich, wie wenige Abkömmlinge des Proletariats oder der unteren, mittleren Mittelschicht sich auf dem Feld der deutschen Poplitertur finden).

Sozialneid beiseite.

Die Frage ist ein Problem der Genre-Zuteilung. Dinge in Schubladen (Genre) zu ordnen ist eine formale Angelegenheit und der liebe (wenn auch schwerdepressive) Kurt Gödel hat uns darauf aufmerksam gemacht, daß alle formalen Systeme Sätze zeitigen können, die nicht entscheidbar sind. Die Frage »Sind Blogs Popliteratur?« objektiv beantworten zu wollen zeugt (aus meiner Sicht) von Zagheit und Naivität, denn mit »Ja« ließe sich diese Frage nur beantworten, wenn man mit dem Hammer sowohl DIE Popliteratur als auch DIE Blogs zurechtdengelt.

Zur Erinnerung: Der Begriff (Web-)Blog bezeichnet erstmal auf technischer Ebene eine Schreib- & Veröffentlichungsform … so wie die Begriffe Holzstich, Collage und Readymade in der bildenden Kunst zuvörderst das Augenmerk auf Material und Verarbeitungsverfahren bei Graphiken richtet. Solange also beispielsweise der akademische Dschungel Theologie, Philosophie und Literatur (alles fiktive Dichtungen) in getrennten Wannen badet, ist es Heuchelei, beetete man mit großer Toleranzgeste Blogs im Ziergarten der Literatur ein.

Bei Klosprüchen und Grafitties kann ich verstehen, wenn die schon mal als neuzeitliche literarische Kleinstformen angesehen werden. Bei vielen Blogs allerdings bin ich mißtrauisch und spreche ihnen jedwede Literarizität ab, wenn sie eben nichts bis kaum erzählen, sondern ehr als Link-Baum woandershin dienen … wobei die Links kurz kommentiert werden, so mit einem Satz. Beispiel:

»Selten so geweint« und dazu ein Link zum US-Wahlergebnis.

Und gerne wird ja auch verbreitet, daß z.B. mit der Kommentarfunktion ratzfatz interaktive Literatur entsteht … nun aber habe ich bisher noch kaum erlebt, daß auch Internet-Chats als Literatur bezeichnen würden … und den Begriff Literatur noch weiter ausdehnend, ließen sich ja gleich Telefonsex-Ansagen als Literatur – im Sinne von Hörspiel – neben beispielsweise Bölls und ASchmidts Radioarbeiten einreihen.

Abgrenzungsfragen also. Das Problem ist, daß es neben diesen unliterarischen Aspekten des Internetschreibens auch eben solche Blogs gibt, deren Betreiber erzählen und berichten (wollen), die ihren eigenen Stil haben (oder suchen) und die sich durchaus als Literatur, Journalismus und Alternative zu Feuillitontexten lesen lassen. So gesehen: Ein Blog ist eine für jeden Internetbenutzer verfügbare Form der früher nur wenigen zugänglichen Veröffentlichungsnische einer Glosse oder Kolumne. Wenn man die Möglichkeit zur Selbstentfaltung ökonomisch betrachtet, dann kommt nun zum knappen Publikationsprivileg in gedruckten und gesendeten Massenmedien nun die pluralistische, leicht zugängliche Internetplattform der Bolgs über uns … was einiges durcheinander bringt.

Nun, dies ist eine Zeit des Wandels, in der wir leben.

••• Nachtrag: Inzwischen hat lotman auf den Comment von Andrea geantwortet. Es lohnt sich am Ball zu bleiben.

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