molochronik

Sydney Padua: »The Thrilling Adventures of Lovelace & Babbage«, oder: Auf zur Differenz-Maschine!

Neu veröffentlich in meinem Nachfolge-Blog »molochronik reloaded«.

Grenzübergang 2012 / 2013

Es ist wieder soweit: Hier der Jahresrückblick meiner Lese-, Glotz- & Lausch-Glanzlichter.

Gut Buch (Prosa)
Erstmal: Ich werde mich bei dieser Liste auf jene Titel beschränken, denen ich auf meiner 2012-Goodreads-Seite vier oder fünf Sterne gegeben habe (was aber nicht bedeutet, dass die dort von mir mit ›nur‹ drei Sternen bewerteten Sachen lau sind … ich habe seit Jahren nix mehr gelesen, was ich richtig schlecht oder auch nur seicht & langweilig fand, weshalb meine Qualitätsmaßstabe mittlerweile wohl etwas verzerrt sind).

Dann: Muss ich bei der Reichskulturkammer dafür Abbitte leisten 2012 keine deutsche Prosa gelesen zu haben (hab zwar zig Texte im Buchladen oder im Netz angelesen, von denen konnte mich jedoch keiner verführen).

  • »The Mirage« von Matt Ruff: ›IX.IX.‹ und ›War on Terror‹ auf den Kopf gestellt, in einer Alternativwelt, die irgendwann zur Zeit des Ottomanischen Reiches von unserer Realwelt abzweigte. Ruff beweist wieder einmal, dass er einer der besten derzeit schreibenden Weltenbauer ist, wenn er durchspielt, wie es wäre, wenn der arabisch-islamische (angeführt von den UAS = United Arab States) und der euro-nordamerikanisch-christliche Kulturraum (unser Hegemon sind ja die USA) ihre weltgeschichtlichen Rollen tauschen würden. — Großartig, wie die erzählenden Kapitel ergänzt werden durch Einträge der ›Library of Alexandria‹, dem Wiki dieser Alternativwelt. Viel Gelegenheit für Denkanregungen und Popkultur-Witzelein. — Doll fand ich, wie eigentlich immer bei Ruff, die große Bandbreite an Stimmungen und Themen. Da gibts Humor, Thrillerspannng, grandiose Äktionsequenzen, politische Satire, berührende familiäre Geschichten und nicht zuletzt geheimnisvolle Fantasy-Magie.
  • »Angelmaker« von Nick Harkaway: Auch der zweite Roman (nach »The Gone-Away World«) von Nick rockt voll Pulle. Seine Virtuosität der Abschweifung entzückt mich, ebenso die Bandbreite der Stimmungen und Themen seiner ›Existenzialismus-Pulp‹-Romane. Hier müssen sich der nach Ruhe & Normalität sehnende Sohn eines legendären Londoner Gangsters und eine betagte Superspionin samt knorzigen Köter in einem apokalyptischen Plot gegen einen nach Apotheose gierenden Finsterling bewähren. Enthält neben vielem anderen eine wunderbare Verbeugung vor der ›Craftmanship‹-Ethik von John Rushkin; eine der pfiffigsten Sex-Szenen, die ich seit einiger Zeit gelesen habe; sowie Elephanten-Rachengel, U-Boot- & Eisenbahnabenteuer, apokalyptische Uhrwerk-Bienen, und eine wuchtige Hymne, wie geil es ist, mit einer Tommy-Gun alles kurz und klein zu ballern.
  • »Year Zero« von Rob Reid: Als Hörbuch genossen und reichlich geschmunzelt und gelacht. Kommt 2013 mit extrem doofem Cover unter dem Titel »Galaxy Tunes®« als Heyne-Taschenbuch zu uns. Begeistert hat mich, wie es Rob Reid (als ›listen.com‹-Gründer und Internet-Unternehmer hat der Mann einfach Ahnung) gelingt, die Themen Urheber- & Lizenzrecht, also trockenes Juristen-Mumbo-Jumbo, in Form einer satirischen SF-Klamotte durchzuschütteln (nebst vielen trefflichen Späßchen auf Kosten der Popkultur und des Zeitgeschehens). — Für Musikfans die auch Science Fiction mögen eigentlich ein Muss!
  • »Railsea« von China Mieville: Es zeichnet sich der Trend ab, dass Miéville bei seinen Büchern für junge Leser (dessen zweiter »Railsea« nach »Un Lun Don« ist) ungezügelter drauflos-abenteuert und -fabuliert, als bei seinen Stoffen für Erwachsene. Was als staunensreich-verquere Homage auf Melvilles »Moby Dick« anhebt (fanatische Kapitänin einer Jagdtmanschaft stellt mit Eisenbahn im Schienenmeer einem gigantischen fahlem Maulwurf nach) entwickelt sich zu einer wendungsreichen Meditation über die Natur des Erzählens, die Ethik von Besessenheiten und die Rechnungen, die einem für das Verfolgen von Wachsumsideologien präsentiert wird.
  • »Alif the Unseen« von G. Willow Wilson: Lange Rezension gibt’s hier — Kurzfassung: Gelungene & durch Engagement glänzende Mischung aus ›Urban Fantasy‹, hAcktivim-Thriller, Bürgerrechts-Panorama und Liebesgeschichte. Wenn dieser Roman nicht fluggs von einem deutschen Verlag aufgegriffen wird, ist das ein gleissendes Zeichen dafür, dass die Programmgestalter dort einfach null Ahnung haben.
  • Desweiteren kann ich als lesenswert empfehlen (bzw. dazu raten, nach den event. noch erscheindenden deutschen Übersetzungen Ausschau zu halten):
    »The Folly of the World« von Jesse Bullington: Nach »The Sad Tale of the Brothers Grossbart« und »The Enterprise of Death« der dritte Roman von Bullington. Ein schwules Verbrächerpärchen – ein ab & zu halluzinierender Schlagmichtot und ein skrupellose Pläne schmiedender Edelmann-Bastard – machen sich mit einem halbwilden Meisterschwimmer-Mädel auf, sich fette Beute zu ergaunern. Bullington traut sich Finten und Wendungen auszuführen, wie nur wenige. Im Mittelteil etwas planlos, aber als Ganzes sehr stimmungsvoll, sprachlich von großer Wucht (wo’s derb ist) und Schönheit (wo’s z.B. um das Setting geht, die überschwemmten Niederlande des 15. Jahrhunderts).
    »Soulless« von Gail Carringer: Einer meiner Ausflüge in das für mich sehr wundersame Genre der ›Vaginal Fantasy‹ (gepriesen sei Felicia Day für diesen nützlichen Genre-Begriff) und ich bin entzückt. Die Krimihandlung um Vampire, Werwölfe und ihre Gegener im viktorianischen England ist eher Stangenware und reichlich vorhersehbar, aber die stets für humorvolle Griffe bereite Sprache, sowie die stellenweise exzessiven Flirt- & Knutsch-Einlagen zwischen Heldin Alexia und Werwolfrudelführer Lord Maccon sind allererste Kajüte. — Muss unbedingt rumgranteln, dass die deutschte Übersetzung der Titel einfach nur furchtbar ist (ich muss dass hier einfach auflisten. Die englischen Titel der 5 Romane der ›Parasol Protectorate‹-Reihe heissen: 1. »Soulless«; 2. »Changeless«; 3. »Blameless«; 4. »Heartless«; 5. »Timeless«. Und daraus wurde auf Deutsch: 1. »Glühende Dunkelheit«; 2. »Brennende Finsternis«; 3. »Entflammte Nacht«; 4. »Feurige Schatten«; 5. »Sengendes Licht«) und dass die deutschen Coverbilder auch nicht sooo der Hit sind. — Ach ja: Dank an Ju für den Tipp!
    ›Acacia‹-Trilogy von David Anthony Durham (1. »The War With The Mein«; 2. »The Other Lands«; 3. »The Sacred Band«): Große Polit-Fabel auf Sklaverei, Rohstoffabhägigkeit, die Fragwürdigkeit ›gerechter Kriege‹, Völkerverständigung, Machterhalt und Bevölkerungsunterwerfung und nicht zuletzt darüber, die wie Kommerzfürsten alle gegeneinander ausspielen und bescheissen. Hätte durchaus noch einen Lektoratdurchgang vertragen können, denn teilweise is datt Janze ein bisschen sentimental, und mir sind in der englischen Originalfassung einige ungeschickte Wortwiederholungen aufgefallen. Dennoch: tolle, ›fast klassische‹ Fantasywelt, die den Mumm zeigt, so mancher Routine vors Schienbein zu treten und mit vielen Details gewohnte Klischees geistreich umzukrempeln (vor allem was Geschlechterrollen, Rassen & Kulturen betrifft). Dadurch z.B. einige sehr interessante weibliche Hauptfiguren. Mit Magie und Zauberwesen geht’s erst ab Band zwei so richtig los, dann aber mit Wumms (wo gekämpft wird) & allerliebst (wenn z.B. wunderschöne Vogelechsen-Drachen gezähmt werden und die dann auch noch Eier legen). — Nochmal »Mercie!« an Gero für seine Empfehlung auf dem Dreieich-Con 2012!
    »John Saturnall’s Feast« und »The Pope’s Rhinocerous« von Lawrence Norfolk: Hier geht es zur ausführlichen Rezension von »Ein Rhinozeros für den Papst«. Dauerte ›nur‹ ca. 16 Jahre gedauert, mich durch dieses reichlich vertrackt geschriebene Renaissance-Abenteuer zu kämpfen, hat sich aber dicke gelohnt. — »Das Festmahl des John Saturnall« ist der bisher zugänglichste Roman von Norfolk, auch weil er sich immer wieder eines etwas märchenhaften Duktus bedient (und die Stimmung hat mich streckenweise entfernt an Mervyn Peakes »Gormenghast« erinnert), bzw. Fantasy-Flair aufkommen lässt. Mit den Wirren der Cromwell-Zeit als Hintergrund wird der Aufstieg des Sohns einer Kräuterfrau/Hexe zum angesehensten Koch seiner Ära geschildert. Sehr gefallen hat mir die Behandlung von protestatischem Glaubens-Eifer und der Überlieferung von (römischer) Geschichte in Form von Legenden, bzw. wie sich Biblisches und Heidnisches in Legenden mixen zu neuen Rezepten können. Zudem ein feines Stück über Arbeit, in diesem Fall vor allem natürlich der, die in der Küche anfällt. Und die Liebesgeschichte geht auch ans Herz.
    ›Millenium‹-Trilogy von Stieg Larsson (1. »The Girl With The Dragon Tattoo«; 2. »The Girl Who Played With Fire«; 3. »The Girl Who Kicked The Hornet’s Nest«): Wenn das Ex- & Hopp-Mainstream-Unterhaltungsliteratur ist, dann gerne her damit, bzw, dann kann’s um den Geschmack ›der gemeinen Massen‹ sooo schlimm nicht bestellt sein. Selten hab ich dicke Dinger derart flott weggefräst. Nicht nur, dass Larsson mit Lisbet Salander eine atemberaubende soziopathisch angehauchte, ›Opfer schlägt zurück‹-AntiHeldin geschaffen hat, mir taugen auch seine Themen und seine Politik (AntiFa, AntiSexismus, Anti-Frauenhandel, Kritik an Selbstermächtigung von Geheimdiensten usw.).
    ›Raylan Givens‹-Geschichten von Elmore Leonard (Romane: »Pronto«, »Riding The Rap«; Kurzgeschichte: »Fire In The Hole«): Die TV-Serie »Justified« hat mich überzeugt, und da habe ich mir die Vorlagen besorgt. Leonards sparsame aber hocheffektvolle Prosa ist respektgebietend (Genial simpler Rat für alle Autoren, und ich fände es spannend, wenn sich mehr Fantasy-Schöpfer davon anregen ließen: »Lass die Stellen weg, welche von Lesern übersprungen werden«). Und schön zu sehen, wie fein sich Western-Athmo in die heutige Welt übertragen lässt. Bleibt zu beklagen, wie kümmerlich die Auswahl deutscher Leonard-Ausghaben ist, aber immerhin scheint sich nun Suhrkamp kümmern zu wollen (dort erschient 2013 der dritte Raylan-Roman, der einfach nur »Raylan« heißt, den ich auch noch nicht kenne).
    »Dog Of the South« von Charles Portis: Hingerissen von »True Gritt« habe ich mir alle anderen vier Romane von Portis besorgt. Dieser hier ist ein schräges ›Road Movie‹. Selten fand ich es so spannend, wenn geschildert wird, wie nix passiert, denn selbst dann weiß dieser Roman mit einer eigenartigen Mischung aus trockenem Humor, cooler Exzentrik, Melancholie und schierem Aberwitz zu überzeugen.
    »The Coldest War« von Ian Tregilis: Vielleicht noch besser als »Bitter Seeds«, der erste Band der ›Milkweed‹-Trio. Der zweite Weltkrieg ist vorbei, nun geht’s in die frühen Jahre des Kalten Krieges mit englischen Blutdämonen-Beschwörern gegen sowietische Götterelektron-Übermenschen. Hut ab vor einer beeindruckenden Orakel-Antagonistin, bzw. zwielichtigen Helferin auf der Seite der Guten, die aber leider so irre & unberechenbar ist, dass weder Leser noch Romanfiguren sich sicher sein können mit ihr. Viel Tragik, die Äktschn ist packend inszeniert. Erfreulich reif und berührend für diese Art grimmer Genre-Garn. Ich freu mich sehr auf den Abschlussband »Necessery Evil« 2013.
    »The Half-Made World« von Felix Gilman: Der Wilden Westen ist m.E. eine vorzügliche Fundgrube für Fantasywelten und Gilman formt aus zwei der kräftigsten Symbole der Epoche/des Genres die tragenden Säulen seines Weltenbaus. Es stehen sich gegenüber: die Heerscharen an Beamten & Soldaten von ›the Line‹ (dämonischen Eisenbahnmaschinen; verbreiten Industrie, Ordnung, Ausbeutung, Pharmazie; süchtig nach Treibstoff) und die Draufgänger-Banditen von ›the Gun‹ (über den Raum hinweg in Feuer-Beschwörungen konferierende Dämonen, die in Pistolen hausen und deren Träger Superkräfte verleihen; allesamt ziemlich anachrische und bluthungrige Knilche und Knilchinnen). Zwischen den Fronten haben einst die Leute von der Red Valley Republic versucht, einen dritten Weg zu finden, wurden aber aufgerieben. — Freut mich zu sehen, dass es mittlerweile einen weiteren Roman von Gilman gibt (»The Rise of Ransom City«), der in dieser Welt angesiedelt ist, und dass dieser anscheinend ähnlich wie bei Miévilles ›Bas-Lag‹-Büchern sowohl als Fortsetzung als auch als Einzelroman funktioniert.
Gut Buch (Sach)
  • »Der Implex« von Dietmar Dath & Barbara Kirchner: Richtig dick, famose Herausforderung. Bin sicherlich ein gutes Stück zu dumm, bzw. zu ungebildet, was einige der Geistesgrößen betrifft, über die im Buch desöfteren referiert wird. Dennoch doll, vor allem dank reichlicher Beachtung der Phantastik als wichtige Sache für den sozialen Fortschrift.
  • »Combined & Uneven Apocalypse: Luciferian Marxism« von Evan Calder Williams: Anhand von Filmen und anderen populären Medienwerken seit den 60ern/70ern bis heute untersucht der Autor, welche Erkenntnisse/Offenbarungen diese bieten bzgl. des Untergangs des Kapitalismus, sowie was danach kommt. Besonderes Augenmerk gilt dem sogenannten ›Salvagepunk‹ (mehr dazu hier unter Punkt 5), dem modernen Zombie-Mythos, sowie ruinöser Stadtlandschaften der dystopisch-apokalyptischen Science Fiction. Kurz: ein richtig knuffiges Gute Laune-Buch für stoisch-misantrophische Optimisten wie mich.
Gut Comic
  • »Dragonball« von Akira Toriyama: Bin ich froh, dass mein neuer junger Brotjobkollege M. W. mir mehrmals in höchsten Tönen dieses 8000-Seiten-Manga empfohlen hat, bis ich zustimmte, er solle mir ruhig mal die ersten 5 (von 42) Bänden mitbringen, damit ich reinlesen kann. In vielerlei Hinsicht vielleicht die irrste, aufregenste, spassigste, süchtigmachenste & äktschnreichste Lektüre seit ich weiß nicht wann für mich. Zwar gibt es eine längere Strecke, die ein klein wenig eintönig ist, aber die Eintönigkeit besteht aus langen immer krasseren Mega-Kampf-Szenen die sich über mehrere hundert Seiten erstrecken ... also eigentlich kein schwerwiegender Minuspunkt. Ganz großartig immer die Slapstick-Humor-Einlagen; grandios die ausführlichen Kampfkunst-Tuniere; vom Stuhl gefallen bin ich über die ungezügelt niedlichen sexistischen Witzelein vor allem in den frühen Bänden (»Ich wünsche mir: eine Mädchenunterhose!«). Wahrlich: »Dragonball« ist ein fetziger Klassiker, und ich freue mich schon darauf, ihn ein zweites Mal wegzuschlürfen.
  • »Die Besten Feinde« (Teil 1: 1783 bis 1953) von Jean-Pierre Filiu (Text) & David B. (Zeichnung): Diese Franzosen! Machen eine Sach-Graphic Novel in schwarz-weiß über die außenpolitischen Macheleukes der USA im Orient, reichern das ganze mit babylonischen Mythen an und veranschaulichen die diplomatisch-militären Knäul anhand surrealer Bildkompositionen. Da bleibt mir nur, mich auf Band 2 zu freuen.
  • »DMZ« von Brian Wood (Autor) & diversen Künstlern: Hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Matt Ruffs »The Mirage«, insofern, als dass auch hier ein Alternativweltenbau geschildert wird, in dem die zeitgenössischen USA in einen neuen Bürgerkrieg gestürtzt sind und in dem New York als von Krisennarben & Kriegsgreul gebeutelte entmilitarisierte Zone portraitiert wird. Meisterhaft fand ich, wie Wood und sein Team zuerst Fronten und Parteien gegeneinander aufzustellen, um dann immer mehr die Grenzen zwischen Gut und Böse mit viel moralischen und tragischen Grau-Grau zu verschmieren.
  • »Shenzhen« und »Pyongyang« von Guy Delisle: Eine Empfehlung von Andrea, für die ich sehr dankbar bin. Vordergründig eine Sammlung simpler autobiographischer Skizzen eines Franzosen, der zwecks seines Jobs für ein Animationsstudio in der Fremde die billigen Produktionskräfte beaufsichtigt. Mit großem Beobachtungs- & Erzähl-Können, kraftvollen einfach gehaltenen Zeichnung beschenkten die Bände mich mit einem Potpourrie kleiner Alltagsfreuen- & Absurditäten, menschlich anrührenden Momenten ... kurz: eine effektvolle Mischung aus Humor, Melancholie und Posie.
Gut Mukke
  • »Theatre Is Evil« von Amanda Palmer: Endlich wieder ein Album von Frau Palmer auf der Höhe ihres Meisterwerkes »Who Killed Amanda Palmer?«. Kantik, pompös, melodiös, theatralisch, rau, melancholisch. Lieblingssongs: »The Killing Type« und »Want It Back«.
  • »Lightning On The String, Thunder On The Mic« und »Rappalachia«von Gangstagrass: Noch eine Anregung durch die TV-Serie »Justified«, für die Gangstagrass die Titelmusik geliefert hat. Warum hat es so lange gedauert, bis jemand auf die Idee kam Rap und Country/Bluegrass miteinander zu verkuppeln. Lieblingssong: »Big Branch« feat. Tomasia.
  • »Who Is Feeling Young Now?« von Punch Brothers: Was für die Veredelung der heimischen Volks- & Tanzbodnmusik die Biermösl Blosn ist, das leisten die Punch Brothers bezüglich des reichen Deltas, in dem Country, Folk, Bluegrass, Polka, Rock und was nicht noch alles münden. Lieblingssong: die Ballade »Clara« und das überfetzige Instrumentalstück »Flippen«.
  • Ebenfalls großartig fand ich den »Assassins Creed III«-Spiele-Soundtrack von Lorne Balfe (stimmungsvoller Orchestral-Bombast aus der Hans Zimmer-Schule), sowie die Filmmusik zu »The Girl With the Dragon Tattoo« von Trent Reznor & Atticus Ross (experimenteller & sperriger als der im letzten Grenzübergang empfohlene Soundtrack zu »The Social Network«, aber ideal für kalte Tage).
Gut Film/Serie
Kinners, war das ein reichhaltiges Phantastik-Filmjahr! Vielleicht wird man einmal auf 2012 zurückblicken wie auf das ›Annus mirabilis‹ 1982. Ich führe die Filme hier ungefähr in der Folge auf, in der ich sie gesehen habe, bis auf den ersten, denn …
  • »The Cabin in the Woods« ist mein Lieblingsstreifen des Jahres. Locker, spritzig, stimmungsvoll, mit so dollen doppelbödigen Grundgerüst, dass man noch nicht mal die ersten 5 Minuten erzählen kann, ohne jenen, die nicht Bescheid wissen, den Spaß gehörig zu versemmeln. Selbst wenn der Film luschig wäre, enthält er eine der überwältigsten Großgemetzel-Szenen der mir bekannten Filmgeschichte (ich sag nur: alle Türen gehen auf).
  • »The Girl With The Dragon Tattoo«, die David Fincher-Fassung. Ich finde schon die schwedische TV-Version sehr fein, aber Finchers exzellente Ausführung setzt nochmal einen drauf. Zudem muss ich zugeben, dass mir Maras komplexere Lisbet-Darstellung einen Tacken mehr taugt, als Rapaces herbere Interpretation der Figur.
  • »War Horse«: Wie schieb ich letztes Jahr anhand von »Tim & Struppi«? Spielberg hat’s noch immer druff! Natürlich ist »War Horse« derart gnadenlos rührselig (auf eine allerdings knuffig-altmodische Weise), dass alles zu spät ist, was mir aber den ungewöhnlichen Reiz dieses ›Erster Weltkrieg aus Sicht eines Pferdes‹-Films nicht versauen kann.
  • »Downton Abbey« Staffeln 1-3: Nachdem mehrere Mädels mich immer wieder darauf hinwiesen, wie großartig diese Adels- & Dienstboten-Saga ist, habe auch ich sie endlich entdeckt. Schon ungeheuerlich, wie weit sich Autor Julian Fellows traut zu gehen, um dramatische Höhepunkte rauszukitzeln. Wenn hier gestorben wird, räumt einen das richtig heftig weg. Da bleibt kein Auge trocken. Hier geht es zu einem exzellenten Lob auf die Serie von Andrea Diener für die F.A.Z.
  • »Mad Men« Staffeln 1-5: Ja gugge mal da! Die Amis können also auch subtil, ruhig & auf leise humorige Weise kritisch mit ihren eigenen goldenen Zeitaltern & Milieus sein. Für mich das beste an der Serie: die gnadenlose Autopsie der affigen Selbstverherrlichung von Männchen, sowie das Ringen der Frauen im Egotrip-Grabenkrieg der Werbeagentur und deren Umfeld.
  • »The Avengers«: Marvel-Comics sind mir ziemlich Wurscht, und die verschiedenen in diesem Film mündenden Vorläuferfilme über die einzelnen Helden fand ich zwar kurzweilig von ›ganz nett‹ (»Thor«, »Iron Man 2«) bis ›erstaunlich okey‹ (»Hulk« mit Edward Norton, »Iron Man 1« & »Captain America«), aber nicht sooo umwerfend wie manch anderer Superhelden-Sympathisant. Auch wenn »The Avengers« nicht vollkommen perfekt ist, macht er viel mehr richtig als falsch, und schafft es ergo locker, meinen fast schon verkümmerten Glauben an das große Popcorn-Sommerblockbusterspektakel wieder zu beleben.
  • »Skyfall«: Hier geht zu meiner ausführlichen Rezension zu diesem ›Bond goes Potter‹-Film.
  • »The Hobbit: An Unexpected Journey«: Ist es hochproblematisch aus dem schmalen Kinderbuch unter Anzapfung von Zeugs aus »Silmarillion«, »Unfinished Tales« & »History of Middle-earth« eine dreiteilige Filmflotte zu machen? Geschenkt. Ich finde, die Angleichung der ursprünglich unbedarfteren, kindlicheren »Hobbit«-Geschichte an den schicksalsgeschwängerten, düster-epischer Ton von »Der Herr der Ringe« ist überwiegend gut gelungen. Nach zweimaligen Begutachten im Kino bin ich sogar der Meinung, dass dieser erste »Hobbit«-Film besser ist, als die erste »LOTR«-Kinoversion vor 10 Jahren.
  • »Dredd 3D«: Endlich haben wir einen Film-Judge Dredd, der dem englischen Comic-Klassiker gerecht wird. So ehrlich und geradeaus, wie ein Tritt in die Fresse. Schön zu sehen, dass es noch möglich ist, gut gemachten Brutalo-Krawumms mit Niveau serviert zu bekommen.
  • »Coupled«, BBC-Serie: Empfehlenswert für alle, denen »Friends« zu zahm & süßlich ist. Vor allem die später durch »Leverage« international bekannter gewordene Gina Bellman brilliert als durchgeknallte Narzissa-Nudel.
  • »American Horror Story«, Staffel 1: Großer Dank an Markus Pogopuschel für diesen Tipp! Statt eines ersehnten freidvollen Neuanfangs nach Umzug von Ost- an Westküste, gibts für eine dreiköpfige Familie verschachtelten Gespensterhorror und reichlich spinnerte Nachbarn. Ganz groß, wie mit einem Minimum am Blut und Gewalt ganz viel Gänsehaut verursacht wird.
  • »Brows Held High: ›Melancholia‹«: Ja wirklich, diese zweiteilige Video-Besprechung über Lars van Triers Film finde ich so gut, dass ich sie zu den besten Filmen des Jahres zähle. Immerhin: Kyle Kallgren gelingt es angemessen ernst und gehaltvoll über das Tabu-Thema des Filmes (Depression) zu sprechen und dennoch gekonnt mit dem nötigen, weil schmackhaft machenden Humor, aufzuwarten. Also, Cinephile, überzeugt Euch: Hier geht’s zu Teil eins und hier zu Teil zwei.
  • Kurze Erwähnungen haben auch verdient (ohne besondere Reihenfolge):
    »Cloud Atlas«: Bei soviel Ambition knickt natürlich so manches als albern und naiv vorn & hint runter. Trotzdem eine beeindruckende Leistung und ein großer Guck-Spaß.
    »Prometheus«: Die beste herbe Enttäuschung. Doofes Drehbuch, aber sehr schöne Bilder und brauchbare Stimmung. Die Kommentartonspuren von Regie & Drehbuch-Leuz auf der Blue Ray geben erhellende Einblicke in die Werdegänge beknackter Entscheidungen. Herr Scott, beim nächsten großen Genre-Flick bitte genauso viel Sorgfalt, Sensibiliät und Hirnschmalz ins Drehbuch investieren wie ins Design, versprochen? Dann klapps auch mit der Fan-Base.
    »Looper«: Science Fiction ist ein wunderbares Vehikel um dem nichts ahnenden Spektakel-Publikum unbequeme moralische Botschaften reinzuwürgen. Bravo!
    »Chronicle«: Siehe »Looper«, plus ich wähne hier nicht wenig Verbeugung vor einem meiner Lieblings-Klassiker der Supermutanten-SF (»Akira«). Zudem ein überzeugendes Beispiel, dass sich aus Wackelkamera & Found Footage durchaus Brauchbares machen lässt.
    »Juno«: Lustig, knuffig, schräg. Hach ... Ellen Page ist einfach unvergleichlich.
    »The Hunger Games« (Teil 1): Große Überraschung für mich, denn ich dachte eingangs, dass »The Hunger Games« auch nur so’n Young Adult/Mädchen-Schmu ist, wie die »Twillight«-Filmchen oder lahme Enten wie »I Am Number Four«, aber ich bin gebafft, wie gut diese erstaunlich harte Geschichte umgesetzt wurde. Gebt mir jederzeit medien- und sozialkritische Dystopie-Science Fiction in der sich Kiddies zur Bespaßung bzw. Einschüchterung der Massen gegenseitig abmurksen. Hab mittlerweile innerhalb von zwei Tagen auch das erste Buch von Suzanne Collins verschlungen und für vorzüglich befunden.
    »A Wyrd Documentary: Lovecraft – Fear of the Unkown«: Lebende Genre-Größen & Kenner wie Guillermo del Toro, Neil Gaiman, John Carpenter, Peter Straub, Caitlin R. Kiernan, Ramsey Campbell, Stuart Gordon, S. T. Joshi, Robert M. Price und Andrew Migliore plaudern über den Papst der Weird Fiction, des Horrors & der Dark Fantasy, unterlegt mit viel Bildmaterial der edelsten Lovecraft-Illustratoren.
Beste / Schlimmste Momente
  • Seit April 2008, angeschafft zum Erscheinen von »GTA IV«, habe ich eine PS3, und bis vor kurzem spielte ich auf einem furznormalen Monitor, also mit Popelauflösung. Schimpft mich einen matten kleinen daddel-geilen Materialisten, aber ich freue mich narrisch über einen HDMI-fährigen PC-Monitor, der mir für umme überlassen wurde.
  • Zweimal Golkonda-Freude: a) Der von mir übersetzte Band mit Kurzgeschichten von Ted Chiang, »Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes«, hat zwar nicht sooo viele, dafür aber ausnahmslos wohlwollende, ja sogar begeisterte Rezensionen für sich verbuchen können, und wurde in Foren von SF-Fan- und SF-Netzwerk von einigen Lesern als ein Lieblingsbuch des Jahres erwähnt. — b) Die erste Hellboy-Anthologie aus dem Jahre 1999, »Odd Jobs«, ist endlich auf Deutsch unter dem Titel »Die Rache der Medusa« erschienen, und als Hellboy-Fan war es für mich freilich Übertop, dass ich die hälfte der Übersetzungsarbeit übernehmen durfte.
  • Bruder Hein grient: Aufsichts-Kollegin ist auf dem Weg zum Arzt auf der Straße tot umgefallen.
  • Frust: Zusagen werden nicht eingehalten. Da macht Loyalität nicht so viel Spaß.
  • Scham: Um Gefallen gebeten, der sich zu krasser Zumutung entwickelte.

Molos Wochenrückblick No. 71

Eintrag No. 747Perry Rhodan feiert Fufzigsten?! Soll sein. Schön für die Rhodan-Fans … mir herzlich Wurscht. Vielleicht, aber nur ganz vielleicht, wenn eine angeschwipse Muse mir das Hirn durchwuschelt, werde ich mir den bald erscheinenden ersten Band des Neustarts der Reihe, »Perry Rodan NEO«, besorgen.

IX.XI. hat zehnten Jahrestag. Führt mir nur vor Augen, dass ich zu den sogenannten ›Verschwörungstheoretikern‹ gehöre, weil ich nicht dem traue, was die öffentlich-rechtlichen- und (sogenannten) Qualitäts-Medien über diesen Zerstörungsakt verbreiten. Halt. Stop. Schon alles durcheinander.

Als jemand, der ziemlich früh der Meinung war, dass an den offiziell verbreiteten Erklärungen zum Anschlag etwas nicht stimmt, gehöre ich wohl zu den ›IX.XI.-Verschwörungstheoretikern‹. Andererseits ist das, was Mainstream-Medien und herrschende politische Kräfte an Erklärungen verbreiten selbst geeignet, als Verschwörungstheorie bezeichnet werden zu können … eben als ›offizielle Verschwörungstheorie‹. Und nun kann man sich nun lange gegenseitig zeihen, Anhänger der einen (paranoiden) oder anderen (gutgläubigen) Verschwörungstheorie zu sein. Bringt aber auch nicht viel.

Sinnvoll wäre schon eher, die ganze Angelegenheit mal wirklich ordentlich zu untersuchen, und nicht etwa, entscheidende Daten und Dokumente zu vernichten oder gar nicht erst heranzuziehen, bzw. wichtige Zeugen zu befragen, bzw. deren Aussagen zuzulassen. Wie ich vor einigen Wochen schon berichtete, bietet das Buch »9.11. Zehn Jahre danach« von Bröckers und Walthers eine schöne Übersicht zu den undichten und fragwürdigen Stellen der offizellen Version.

Ach ja, dieser ›Telepolis‹-Text von Marcus Klöckner ist ein schönes Beispiel für die Art, wie die Qualitätsmedien mit den (paranoiden) IX.XI.-Verschwörungstheorien umgehen: 9/11: Wie Kritiker zu Zirkusdarstellern wurden (= Eine Analyse des ›Die Zeit‹-Artikels Ein Wahn stützt den anderen von Jörg Lau).

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Neal Stephenson: »Reamde«Lektüre: Mit großer Begeisterung nun fast die Hälfte von Neal Stephensons »Reamde« erreicht. Zur Struktur: Das Buch – die Atlantic-Ausgabe – hat 1042 Seiten besteht aus zwei Teilen: A) »Nine Dragons« (7 Kapitel, bzw. 142 Abschnitte), und B) »American Falls« (12 Kapitel, bzw. 142 Abschnitte), mein Dramatis Personæ (also Verzeichnis der Figuren mit Namen) zählt bisher 41 Figuren, und ich habe eine ganze Reihe Abschnitte hinter mir, die Szenenapplaus verdienen. Jupp, Stephenson gehört zu den wenigen Autoren, bei deren Büchern ich mitgehen kann, wie sonst nur bei Popkorn-Kino.

Die Handlung teilt sich bisher in zwei große Stränge. Zum einen wird die Geschichte von Richard Forthrast erzählt, dem ›schwarzen Schaf‹ eines gut situierten Farmerclans aus Iowa, der sich 1972 vor der US-Armee nach Kanada verkrümelt hat und mehr aus Zufall damit beginnt, durch den Schmuggel von Dope über die Grenze Geld anzuhäuften. Mit diesem Geld hat er in British Columbia ein hübsches Landschloß renoviert und betreibt es zusammen mit einem Motorradclub-Kumpel als Ausflugsziel für Ski- & Snow Board-Narren. Nach einigen ziellosen Jahren gründet Richard in den späten 80ern dann zusammen mit einem chinesischen Geschäftsmann eine Spiele-Firma und startet das Multiplayer Rollenspiel der Fantasywelt T’Rain. Ein Gutteil des Romanes dreht sich um die Entwicklung und wirtschaftliche Funktionswiese von T’Rain, und einige packende Abschnitte finden in der Spielewelt selbst statt.

Eine der erwähnten Szenen, die mich zum lauten Johlen und lustvollem Jauchzen brachte, schildert ein Arbeitstreffen der Story-Entwickler der T’Rain-Spielewelt. Richard hat zwei Fantasy-Autoren engagiert. Zum einen einen den angesehenen englischen Professor Donald Cameron, Mittelalter- und Sprach-Experte; zum anderen den amerikanischen Vielschreiber Devin Skraelin. Die beiden kriegen sich in die Wolle was die Schreibweise von Fantasy-Begriffen der T’Rain-Welt angeht, was in der sogenannten ›Apostropocalypse‹ mündet. Donald, ganz penibel auf Plausibilität und Schlüssigkeit bei der Entwicklung von Fantasy-Begriffen erpicht, deutet aus, dass die Art wie Devin mit Apostrophen um sich schmeißt Unsinn ist. Devin findet derart kleinkrämerische Begründungsambitionen Quatsch, denn Fantasy-Begriffe wie T’Rain, K’Shetriae oder D’uinn sollen einfach nur cool aussehen. — Dieser Gegensatz ift typisch für die Fantasy-Szene und spiegelt sich auch wider in einem Krieg zwischen zwei Spieler-Fraktionen auf T’Rain: Fantasy-Welten und deren Inhalte werden von Design-Teams entworfen und das Aussehen der verschiedenen Rassen, Klassen usw. richtet sich unter anderem nach bestimmten Farbpaletten. Die einen Spieler bleiben den klassischen Farbpaletten treu (= die ›Earthtone Coalition‹), andere Spieler basteln sich Modifizierungen um z.B. iheren Zwerg in schrillen Popfarben herumlaufen zu lassen (= ›Forces of Brightness‹).

Handlungstreibendes Element ist ein gemeiner Virus, eben REAMDE, der Computer von T’Rain-Spielern infiziert, dort dann alle privaten Daten verschlüsselt und die Opfer auffordert, eine Summe der Spieleweltwährung in einem bestimmten Gebiet von T’Rain abzuliefern. — Der zweite große Handlungsstrang folgt Richards Nichte Zula und ihrem Hacker-Freund Peter. Peter hat sich mit einem zwielichtigem Typen, Wallace, auf einen Handel mit Creditkartendaten eingelassen. Dummerweise ist Wallace ein begeisterter T’Rain-Spieler und seine IT-Anlage hat sich REAMDE eingefangen. Und richtig fatal ist nun, dass Wallace unter anderem wichtige Finanzdaten der russischen Mafia verwaltet, und diese durch REAMDE durch Geisel-Verschlüsselung unzugänglich wurden. Zula und Peter finden sich schneller als ihnen Lieb ist in der Gewalt von russischen Gangstern, denen sie helfen sollen müssen, die Virus-Programmierer zu finden. Es kommt zu einer großen Äktschn-Sequenz, mit ca. 230 Seiten schon ein Roman im Roman, in der chinesischen Sonderwirtschaftszonen-Stadt Xiamen.

Genug zu »Reamde« für heute. Hier die Links.

Politik, Gesellschaft & Hochkultur:

  • Anlässlich der feinen Neu-Auflage von Egon Friedells »Kulturgeschichte des Altertums« und »Kulturgeschichte der Neuzeit« bei Diogenes, bringt ›Glanz & Elend‹ den Text Das Lebensrezept.
  • Weiland die Qualitätsmedien einen der brillantesten Großessays der seit langer Zeit erschienen ist tunlichst ignorieren (oder dumm-abfällig behandeln) , ich spreche von Georg Seeßlens und Markus Metz Buch »Blödmaschinen«, findet sich immerhin auf den Seiten von ›Literaturkritik.de‹ eine halbwegs faire und wohlwollende Besprechung von Thomas Neumann: Wie man blöd wird.

(Deutschsprachige) Phantastik-Links

  • Die neuste Ausgabe von Josefons SF- & Fantasy-Rundschau auf den Seiten des österreichischen ›Der Standard‹, Weird Weird West, behandelt diesmal Bücher von Allen Steele, Al Ewing, Jack Ketchum, Marcel Theroux, Armin Rößler & Heidrun Jänchen, Stephen Hunt, Brian Keene, Debra Doyle & James D. MacDonald, Steven Gould und Laird Barron.
  • Good News Everyone! Nick Harkaway, der mich mit seinem Debüt »The Gone-Away World« umgehauen hat, zeigt in seinem Blog das wunderhübsche Cover der UK-Ausgabe seines im März 2012 erscheinenden nächsten Romanes »Angelmaker«. — Und bei ›io9‹ kann man das ebenfalls ansehnliche US-Cover bestaunen, sowie zwei verschiedene kurze Waschzettel zum Inhalt.

Zuckerl: Popkultur & Kunst

  • Molo hat eine weiche Seite, vor allem wenn es um Natur geht. Hier mein neuster Desktopschmuck-Fund bei ›National Geographic‹: Hirsche in Japan, genauer in Nara, der erstaunlichen Stadt, in der Rehe als heilig gelten, und wo diese anmutigen Tiere deshalb frei herumlaufen.
  • Es gibt wenige Dinge, die mich so entzücken, wie locker-flockig dargebrachte wissenschaftliche Infos. Der youtube-Kanal von ›Minute Physics‹ bietet (auf Englisch) reichlich davon.
  • Phantastik jenseits der ausgelatschten Genre-Formeln 1: In seinem ›{feuilleton}‹-Blog bietet uns John Coulthart einen kleinen Einblick in das surrealistische Werk »Initiations In The Abyss« von Jim Hartem. Wer die Collage-Romane von Max Ernst mag, wird hier fündig.
  • Phantastik jenseits der ausgelatschten Genre-Formeln 2: Die Künstler Waone (= Wladimir Manzhos) und Aec (= Aleksei Bordusov) pflegen unter dem Namen ›Interesni Kazki‹ die schöne Tradition, Häuserwände mit bunten Motiven zu schmücken. In ihrem Blog Interesni Kazki kann man die Früchte ihres Schaffens am Objekt selbst bestaunen. Und auf der Website von ›All Over‹ werden einzelne Arbeiten der Ausstellung »Paranoya & Shtrihi geboten. Sei allen Phantastik-Fans von »Yellow Submarine« und Luigi Serafini empfohlen.
  • Zum Schluß etwas Video-Kunst von Johan Rijpma, der Verblüffendes mit Klebebandrollen anstellt: Tape Generations. Besonders hinreissend finde ich den Sound.

Tape Generations from johan rijpma on Vimeo.

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Übersicht, Ein- & Überleitung(en) von Molos Sammelrezi in »Magira 2009«

Eintrag No. 587

Ausnahmsweise habe ich dieses Jahr drei Rezensionen (zu Max Brooks, Nick Haraway & Hal Duncan), die bereits in der Molochronik erschienen sind, für meine »Magira«-Sammelrezi, wiederverwertet (erweitert und verbessert, um genau zu sein).
Wie immer werden die Volltexte der anderen Empfehlungen ab dem Frühjahr Stück für Stück in die Molochronik eingepflegt.
Wie immer habe ich meinen Herausgebern Michael Scheuch und Hermann Ritter für ihre entgegenkommende Herausgeberschaft und ihr Lektorat zu danken, muss mich bei meinen Korrekturlesern entschuldigen für den Buchstabenverhau, den ich als fertige Manuspripte abzugeben pflege und grüße den Layouter Michael Haitel und freue mich über seine schöne Aufbereitung meines Beitrages inkl. der verwendeten Illus.
Hier geht es zu einer kleinen Vorschau von mir auf »Magira 2009«.

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WONNIGLICH VERIRRT IM LABYRINTH DER PHANTASTIK
Wenn schwarze Schnörkel auf weißem Untergrund angemessen angeordnet sind, transportieren sie uns in Millisekunden in beliebig weit entfernte, vergangene oder sogar nie gewesene Orte und Zeiten.

—Douglas R. Hofstadter (*1945), »Ich bin eine seltsame Schleife«, Klett-Cotta 2008, Seite 343

Manchmal grinse ich gedankenverloren, wenn ich mir vorstelle, es gäbe ein Leseratten-Rollenspiel, bei dem Spieler sich in Leseabenteuer stürzten. Wie bei anderen Rollenspielen auch, könnten Spieler dabei aus einem Pulk verschiedenster Charakterklassen wählen und beispielsweise (unter anderen) träumerische Genussleser, detailversessene Sprachpedanten, mystische Metapherndeuter, pietätvolle Ekstasejunkies, argumentationsgewahre Zeitläuftendeuter oder modebewusste Trendsurfer verkörpern. Es ginge darum, dass man in der erschlagenden Vielfalt der Bücher befriedigende und erhellende Lektüren aufstöbert, im Lauf der Zeit eine respektable Bibliothek zusammenträgt, sich einen guten Ruf als glänzender Interpret und Bücherblätterwaldpfadfinder schafft. Auf dem Charakterbogen fänden sich solche Fähigkeitsspalten wie Wortschatz, »Lesegeschwindigkeit«, »Leseausdauer«, »Bedeutungsspürsinn«, und eine Punkteskala für »Leselust-/Frusterlebnis« gäbe die Analogie für Lebenspunkte ab (bei wem dieser Balken dauerhaft auf Null verharrt, der/die gibt das Bücherlesen auf).

Vorlieben und Abneigungen sowie natürlich die von den momentanen Lebensumständen diktierten Gemüts- und Verstandesverfassungen würden beeinflussen, ob und wie sich aus den diversen inhaltlichen, stilistischen und ästhetischen Eigenschaften eines Buches freud- oder leidvolle Lektüreerlebnisse ergeben. Mit Bonus- und Maulus-Fähigkeiten wie »eidetisches Gedächtnis«, »Humorlosigkeit«, »Hypersensibilität«, »Legasthenie« oder »perverse Neigungen« (verschiedenster Art) könnte man seinen Charakter Würze verleihen. Ein einzelnes Abenteuer könnte davon handeln, wie gut man sich behauptet eine verwirrende Geschichte zu deuten, etwa »Ein Vorfall an der Owl-Creek-Brücke« von Ambrose Bierce. Eine viele Spielabende umfassende Kampagne könnte sich darum drehen, das Gesamtwerk von James Joyce oder Friedrich Wilhelm von Junzt ohne Schaden an Herz und Verstand zu überstehen, oder indem man bei einem Diskurs darüber ob ›High‹- oder ›Low Fantasy‹ das Bessere (oder was darunter überhaupt zu verstehen) sei, möglichst viele Deutungshoheitspunkte ergattert. Wessen Charakter nicht druffgeht (sprich: die Lust am Lesen nicht einbüßt und vermeiden kann, zum Beispiel zu einem Bier- und Glotze-Lemuren zu werden), kann sich in den höheren Leveln daran machen, verschiedene Wege einzuschlagen um selbst aktiv am Bücherweltstoffwechsel teilzunehmen: als fabulierender Autor, als Lektor-Hebamme, als berüchtigter Kritiker, als eloquenter Dozent an einer Uni, als Raritäten dealender Antiquar, als brückenbauender Übersetzer. Und natürlich gäbe es für Spieler die nach Abwechslung dürsten Erweiterungen wie »Kästchen & Sprechblasen: Im Reich der Comics«, »Lesen mit den Ohren: Im Land der Hörspiele & Hörbücher«, »Filmgeschichten: Leinwand & Flimmerkasten«, »Die Strudel der Immersion: Videospiele & Virtuell Reality« und für die ganz Hartgesottenen: »Semiotik & Mystik: Die ganze Welt ein Buch, das eigene Leben als Text«.

Abgesehen von dem Vergnügen, welches mir dieses Gedankenspiel bereitet, fände ich es bisweilen schlicht und ergreifend nützlich, wenn sich Leseratten anhand des Vergleichens ihrer Charakterbögen (und denen der Bücher) schnell und bequem darüber orientieren könnten, welche Lektüren einen näheren Blick wert sind, und um welche Autoren und Stoffe man vielleicht besser doch einen Bogen macht, beziehungsweise, mit welchem Rüstzeug sich die unwegsameren Lese-Terrains freudvoller durchqueren lassen. Nicht zuletzt wäre so ein Leseratten-Rollenspiel ein feines Medium, um sich über die strategischen Feinheiten des Lesens auszutauschen, in etwa so: »Bei diesem Titel brauchst Du für die ersten Handvoll Kapitel einen Geduldstrank«, oder: »Wenn man dieses Buch laut liest, kann man einen +2-Bonus für melodische Sprachschönheit ergattern«, oder: »Für dieses Buch muss man einen kritischen Skepsiswurf -3 schaffen um nicht gelangweilt zu werden, außer, Du hast mindestens die zweite Stufe der Fertigkeit Gegen-den-Strich-Lesen inne, dann darf man alle Dutzend Seiten einen Gacker-Gewinnwurf von 3 mal W8 machen«.

Diese Phantasie birgt aber auch reichlich Sprengstoff, denn was käme dabei heraus, würde man Büchern und ihren Lesern ein rollenspieltypisches Punkte- und Wertungssystem überstülpen? Richtig: Unfrieden drohte bei solcherart hierarchischen Stufenleitern. Denn wo es dann einerseits bestimmte Bücher gäbe, für die man mehr Erfahrungspunkte einheimste, und gewisse Werke sich besser knacken ließen von fortgeschrittenen Leser-Spielercharakteren, so fänden sich andererseits am gegenüberliegenden Pol die Nichtschwimmerbecken-Bücher für (noch) unmächtigere Lesespielercharaktere. Und wer möchte sich schon gerne nachsagen lassen, dass er vornehmlich auf Stützräder-Romane ausweichen muss um Leseerfolge verbuchen zu können? — Derartiger Spott über die Leser und Bücher der niederen Erfahrungslevels soll hier aussen vor bleiben. Das Ungeschick und die Borniertheit der literarisch Hochnäsigen, speziell jener, für die alles (oder doch das allermeiste), was als ›Genre-Phantastik‹ daherkommt automatisch beschränkter Schund ist, sei uns Ärger genug und lediglich Anlass für vergnügte Empörung, wenn wir unseren matten Kreislauf und gelangweilten Geist auf Zack bringen wollen. Jedoch kann ich nicht verhehlen, dass ich mich als Mittdreissiger, der seit gut 20 Jahren alle möglichen Buchstaben-Donjons durchirrt, nicht mehr voll-authentisch und auf gleicher Augenhöhe an die jugendlichen Lesefrischlinge wenden kann, genauso wie ich gegenüber gestandenen Schmöker-Veteranen (die mir Jahre, wenn nicht Jahrzehnte an Leseerfahrungen voraus sind) beim Austrudeln von Sinn, Weh und Wert der Phantastik gehörig ins oftmals peinliche Fuchteln gerate. Aber als jemand, der mittenmang irgendwo im Transitbereich zwischen den unschuldig-begeisterten Lektürehaltungen der Adoleszenz, und der kennerhaft-spitzfindigen des Alters herumeiert, will ich mich mühen, entsprechend zwiegefärbte Kunde zu geben, hier sozusagen in ansteigender Herausforderungsabstufung. Letzteres sei so zu verstehen, dass ich mich von den Titeln, die sich entspannter, lockerer handhaben lassen, hochwurschteln werde zu den Werken, die sich an Leser wenden, welche selbst bei kompliziertester Lektüreakkrobatik mit Freude an der Sache mitzuhampeln vermögen.

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Ju HonischAls bekennender Fanboy von China Miévilles bisherigem Schaffen, hatte ich auch mit dessen Jugendroman-Erstling »Un Lon Don« meine Freude, wenn Miéville wiederum geschickt gesellschaftskritische Watschen austeilt und dabei so manche Genreformel umkrempelt und bloßstellt; angetan bin ich von Max Brooks Debut »Wer länger lebt ist später tot – Operation Zombie«, in dem sich unsere moderne Welt angesichts der Megakrise einer Untoten-Pandemie bewähren muss; mit Wonne habe ich die elegant-humorigen, verplauderten Abschweifungen von Nick Harkaway (ebenfalls ein Debutant) verköstigt, der mit »Die gelöschte Welt« einen kampfkunstgesättigten, postapokalytischen Genre-Cocktail zusammengeschüttelt hat; gehadert, aber schließlich erstmal überzeugen lassen habe ich mich von Hal Duncans »Vellum«, dem erstem Band des zweiteiligen Werkes »DAS EWIGE STUNDENBUCH«, einem vermessen wilden Mythen- und Genremix der scheinbar vom Zufallsmodus beherrscht wird; gehörig verdutzt war ich, dass sich »Gegen den Tag« vom wohl schrägsten aller ewig leer ausgehenden Nobelpreis-Kandidaten, Thomas Pynchon, so gar nicht als unlesbar und schwer zugänglich präsentierte, sondern als lustvolles gigantisches Prosagemälde mit viel abenteuerlichem Steampunk-Western-Reiseabenteuer-Flair; zuletzt berichte ich davon, wie mir Mark Z. Danielewski mit seinem schon ungescheit extravaganten »Das Haus – House of Leaves« wahrlich schreckensgetränkte Schlaflosigkeit bescherte. Den Beginn aber macht eine heimische Autorin, auf die ich große Hoffnungen setzte.

Ju Honisch: »Das Obsidianherz«, oder: Dämonen- und Zauberschrifthatz im königlich-bayerischen München.

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China MiévilleVon durch München-Eleganz und -Romantik geprägter Abenteuerphantastik nun zu solcher, die durch appellative Subversion und metropolitäre Rotzigkeit auffällt. Auch hier stehen vor allem (junge) Damen im Mittelpunkt, und auch hier hegt ein verborgener Schrecken großherrschaftliche Ambitionen.

China Miéville: »Un Lon Don«, oder: Querfeldein in London diesseits und jenseits des Absurdums.

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Max BrooksIm nächsten Titel sind die Bösen noch nicht einmal willenlose Handlanger von sich im Okkulten verbergenden, sich mit Trug und Schein tarnenden Strippenziehern, sondern simple Fresszellen in Menschengestalt. Das düstere Fantasyland der Zombiefiktionen erfreut sich vermutlich vor allem wegen zweier Eigenschaften großer Beliebtheit: von der nicht so empörenden, der metaphorischen Flexibilität der Zombies ist gleich ausführlicher die Rede; beunruhigender und sicherlich spektakelträchtiger ist allerdings der Umstand, dass Zombies menschenförmiges, jedoch entmenschlichtes Böse sind, gegenüber dem sich keine Zurückhaltung empfiehlt und Reue deplatziert ist (auch wenn der Blick durchs Zielfernrohr vorm Abdrücken Mitleid für den Ex-Menschen erregen mag).

Max Brooks: »Wer länger lebt ist später tot – Operation Zombie«, oder: Weltkrieg Z – Eine mündliche Geschichte des Zombie-Krieges.

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Nick HarkawayZu meinen schönsten Leseerlebnissen gehört, wenn ich mich richtiggehend in die Schreibe und Ideenwelt eines Autors verliebe. Grob kann ich zwei Arten solcher Hingerissenheit unterscheiden: Einmal die harmlosere und für das Funktionieren im Alltag verträglichere, wenn Bücher mich ›einfach nur‹ gut unterhalten, da sie sich unangestrengt flott wegschlürfen lassen. Das geht, wenn Geschichte, Setting und Figuren ausreichend interessant sind um mich zu fesseln, in übersichtlicher Manier und Ereignisfolge erzählt wird, und der Stil weitestgehend kapriolenfrei (= gewöhnlich, unaufdringlich) bleibt. Dann blättern sich die Seiten wie bei einer Dominokettenreaktion wie von selbst um. Solche Bücher müssen nicht zwangsläufig seichter Tüdelkram sein.[01] — Und dann gibt es Romane, die sich hinsichtlich ihres Ideenreichtums und ihrer Wendigkeit bei der strukturellen Darbietung, ihrer Sprachakrobatik und Stilregistervarianz förmlich überschlagen, so dass ich mich anstrengen muss um einen sicheren Erwartungshaltung-Stand auf ihren schwankenden Exzentrikplanken zu wahren. Das sind dann auch die Bücher, die sich nur schwerlich in einer bestimmten Schublade unterbringen lassen. Bücher, die vor allem zu Beginn und vielleicht auch immer wieder mal zwischendurch zu sperrig oder glitschig sind um sie mit sicherem oder dauerhaften Griff zu fassen, die aber (wenn’s gut geht) die erhöhte Konzentrations- und Geduldsmühen mit einem ganz eigenen Faszination- und damit Unterhaltungszauber entlohnen.

Natürlich ist diese Zweiteilung taxonomischer Firlefanz, denn die allermeisten Romane lassen sich nur π-mal-Daumen und eben nicht eindeutig unter ›locker-flockig‹ oder ›aufregend-anspruchsvoll‹ wegsortieren. Die allermeisten Romane zeichnen sich durch ›sowohl als auch‹-Eigenschaften aus, auch wenn sie mehr oder minder deutlich einem der beschriebenen Pole näher sind (was ja nicht zuletzt von der jeweiligen Perspektive des Lesers abhängt). Und der folgende Roman befindet sich meiner Einschätzung nach in etwa in der Mitte dieses Spannungsfeldes, und lässt sich also je nach Sichtweise noch als ›leichteres‹ (aufgrund seiner heiteren Abenteuerlichkeit) oder bereits als ›herausforderndes‹ Lesevergnügen einstufen (aufgrund seiner inflationären erzählerischen Hakenschläge).

Nick Harkaway: »Die gelöschte Welt«, oder: Ninjas, wandernde Städte nach dem großem Bumm und eine seltsame Freundschaft.

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Thomas PynchonMit »Die gelöschte Welt« als Übergangszone habe ich nun endgültig die »einfacher« zu genießenden Bücher, (die trotz überraschender spannungserzeugenden oder sprachverspielten Kapriolen vergleichsweise übersichtlich bleiben und das Realitätsempfinden und Orientierungsvermögen ihrer Leser nicht mit allzu ungebändigten metaphysischem und stilistischen Extravaganzen durcheinander bringen wollen) dieser Sammelrezension passiert. Jetzt geht’s auf in die Narrationswildnisse, wo das Erzählen zu nichts endgültig Rundem und Ganzen mehr führt; wo die wichtigste Trostspende der Literatur, die Durchschaubarkeit des Gelesenen, verweigert wird.[02]

Es heißt Abschied nehmen von klaren Anfängen in der Normalität, die durch Krisen in Auf- und Abschwüngen aus Gefahr und Rettung verwandelt werden und zum Ende hin eine weitestgehende Auflösung der angestauten Spannung erfahren (womöglich sogar in einer Idylle).

Wenn entnervte oder enttäuschte Leserproteste und Unmutsmeldungen als Indiz gelten, dann muss ich die verbleibenden drei Titel dieser Sammelrezi Wohl oder Übel als schwierig-herausfordernde Lektüren markieren. Ins Positive gewendet zeigen diese Bücher jeweils auf ihre eigentümliche Weise, zu welch artistischen Höhenleistungen man die phantastische Romaneform treiben kann, wenn man ihre Bestandteile gründlich auseinandergenommen, um originelle Form-, Sprach- und Perspektivregister erweitert und zu etwas gänzlich Unerwartetem wieder zusammengefügt hat.

Thomas Pynchon: »Gegen den Tag«, oder: Leinen los, oh, ihr Gefährten der Fährnisse!

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Hal DuncanAuch das nächste Buch spielt mit dem Thema vom ewigen mythischen Gekabbel zwischen Freiheit und Zwang, zwischen der Anarchie des Individuums und der Kontrollbestrebungen der Ordnungsmächte. Doch bleibt »Gegen den Tag«, verglichen mit dem nächsten Kandidaten, trotz seiner ins Unübersichtliche artenden Handlungsstrangvielfalt und stilistischen Wandlungsfähigkeit ein vergleichsweise klassischer Großroman. Das folgende Buch geht bei seiner Zertrümmerung und willentlichen Leserverwirrung noch einige entscheidende Schritte weiter und lädt dazu ein, sich mit Genuss zu verirren, mit Schaudern über einem erhaben-apokalytischen Abgrund zu schweben.

Hal Duncan: »Das Ewige Stundenbuch 1 – Vellum«, oder: Die Mythen-Jukebos voll aufgedreht.

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Mark Z. DanielewskiAls Abschluss meiner diesjährigen Sammelrezi wähle ich den Überwahnsinn, wo alles zusammenkommt und sich trefflich fügt: ein experimentelles Werk eines neuen Autoren, mit herausragendem Engagement und großer Könnerschaft übertragen. Beim letzten Titel der diesjährigen Runde wurde mit hohem künstlerischen Einsatz gepokert, sicherlich auch ein wenig geblufft, dennoch ist das Ergebnis ein Werk, das gerechtfertigterweise schnell den Ruf eines (post)modernen Klassikers für sich verbuchen konnte, eines Romanlabyrinths das zum Vergnügen auffordert sich in ihm hoffnungslos zu verirren.

Mark Z. Danielewski: »Das Haus – House of Leaves«, oder: Hausbuch/Buchhaus frisst seine Leser, nee andersrum, oder?

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ANMERKUNG:

[01] Robert Harris (»Imperium«, über Aufstieg des Verbal- und Argumentationsmagiers Cicero), Annie E. Proulx (»Mitten in Amerika«, Sinnqueste eines Slackers im Panhandlegebiet und Kampf gegen böse Schweinemassenfarmkapitalisten), Gisbert Heafs (»Ceasar«, zünftige Soldatenabenteuer in Caesars Armee inkl. doller Plutarch-Remixe ) oder auch der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk (»Schnee«, politisch-kulturelle Wirren und Konflikte in Hinteranatolien mit einem traurigen Dichter als verliebter Narr in der Fremde) haben mich im Zeitraum seit »Magira 2008« mit vorzüglich-kurzweiliger und eingängig lesbarer Relevanz versorgt. ••• Zurück
[02] Zu den bedeutensten zivilisations- und identitätstabilsierenden Eigenschaften der neuzeitliche Romane (egal ob phantastisch oder nicht), gehört, dass sie Aufgaben übernommen haben, welche bis dahin die von Autoritäten vorgesetzten Mythen erfüllten. Schönes Zitat dazu aus »Kultur als Zwischenwelt – Eine evolutionsbiologische Perspektive« von Karl Eibl (Suhrkamp, edition unseld 2009), Seite 172:
Dass die Menschen aus solchen Geschichten {Heldenepen, Bildungsromane, Geschichten im Fernsehen usw.} Persönlichkeitshäppchen zum eigenen Gebrauch herausnehmen oder Informationen über die Welt und die Menschen erhalten, ist vermutlich von zweitrangiger Bedeutung. Viel wichtiger ist, dass Riten und Mythen das Vertrauen bestärken, dass Kontinuität überhaupt möglich ist und dass unterhalb der fragmentarischen Erfahrung des Alltags irgendeine bleibende Substanz west.

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Nick Harkaway: »The Gone-Away World«, oder: Ninjas, wandernde Städte nach dem großen Bumm und eine seltsame Freundschaft

Eintrag No. 521

Für die Sammelrezi »Wonniglich verirrt im Labyrinth der Phantastik« in »Magira 2009« überarbeitet und erweitert worden.

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Nick HarkawayNick Harkaway (1972 geborener Sohn von John le Carre) hat mit »Die gelöschte Welt« einen Debutroman hingelegt, der vollends meinem Verlangen nach kunterbunt-unterhaltsamer ›Anspruchs‹-Literatur gerecht wird. Zuerst aufgefallen ist mir die Sprache. Harkwaways Prosa suhlt sich mit Wonne in den vokabularischen Möglichkeiten, welche dem Englischen zuhanden sind (und ich bin sehr gespannt, wie die deutsche Übersetzung klingen wird), vermischt genussvoll hohe und niedere Ausdruckniveaus verschiedenster Milieus (mit besonderer Parodieaufmerksamkeit für Multi-Corperate-, Militär- und Studentenkneipen-Slang) und zuweilen durchquert man absatzlange Satzgeflechte, die sich durch exquisite Fizzelfreude auszeichnen.

Zur Szenerie: alles beginnt in einer an »Mad Max« oder »Fallout« erinnernden Restwelt damit, dass nach einer Explosion der Strom ausfällt, während der Erzähler und seine Kumpels und Kumpelinnen von der »Haulage & HazMat Emergency Civil Freebooting Company of Exmoor County« Billard in der »Namenlosen Bar« spielen. Irgend jemanden ist es gelungen, mit einem Sabotage-Akt die »Jorgmund Pipe«, das größte und wichtigste Objekt der noch bestehenden Welt empfindlich aus dem Gleichgewicht zu bringen. Die Welt wie wir sie kennen ist nämlich, pardauz!, vor einigen Jahren bei einem Nicht-Krieg durch den Einsatz einer neuen, seltsamen Sorte Bomben verschwunden. Die wenigen Überlebenden haben sich zurückgezogen in den schmalen Streifen der »lebenstauglichen Zone«, welche sich an das mächtige Jorgmund Rohr schmiegt. Aus diesem Rohr wird eine mysteriöse Substanz versprüht, welche die monstergebärende Unwirklichkeit auf Abstand hält. Und eben dieses Jorgmund Rohr steht nun in Flammen. Der Erzähler und seine Freunde sind Veteranen des »Un-Krieges«, nach dessen Ende sie wegen unseliger Entwicklungen während der Wiederaufbau-Anstrengungen desertierten. Nun sollen sie als freie Söldner und Transportunternehmer mit einem Haufen dicker Sprengladungen per Vakuumeffekt den Großbrand löschen, um die Welt zu retten. Soweit die Infos des ersten Kapitels, die reich garniert werden mit Abschweifungen beispielsweise zu von Schweinen angetriebenen Notstromgeneratoren und zu den unterschiedlichen Entmenschlichungsgraden von administrativen Schnöseln.[01]

In einer sich über mehrere Kapitel erstreckenden Rückblende berichtet dann der Erzähler von seiner Kindheit: wie er vom Spielplatz weg vom gleichalterigen Gonzo William Lubitsch und seiner Familie adoptiert wurde; wie die beiden Jungs mit viel Hingabe und Talent Kampfsportkünste lernten (wobei Gonzo sich der harten, der Erzähler sich der weichen Schule widmet). Haarsträubende Erzähl-Umwege legen die Historie des »Hauses des Stimmenlosen Drachen« von Meister Wu dar und seiner obskuren Feinde, der Ninjas der »Uhrwerk Zeiger Gesellschaft«. — Der Amateur-Kampfsportler Harkaway ist (zurecht wie ich meine) stolz darauf, einen anspruchsvollen Roman mit Ninjas geschrieben zu haben. Entsprechend bietet »Die gelöschte Welt« atemberaubend inszenierte Kämpfe. Da wird vorgeführt, wie gefährlich Tupperware in den Händen eines einfallsreichen Kampfmeisters werden kann, oder wie selbst ein älteres Ehepaar mit Pheromonen und afrikanischen Bienen einem Pulg gutausgebildeter Meuchelmörder beizukommen vermögen. — Desweiteren geht’s mit Studentenabenteuern (sprich: Kneipenszenen, angeschickerte Politdiskussionen & Beziehungswirren), Anti-Terror-Razzien, Folterverhören durch quasi-staaliche Sicherheitsorgane, und schließlich landen der Erzähler und Gonzo bei der Agentenausbildung des Projekt Albumen, wo sie nicht nur Auto-Kampfsportunterricht erhalten, sondern sich auch die Entwicklungslabore für die Unbombe befinden.

Die im ersten Viertel des Buches hervortretenden politischen Wirren konzentrieren sich in einer Abschweifung wirtschaftliche Begehrlichkeiten auf globaler Bühne, wenn Harkaway über das Hickhack um das fiktive Land Addeh Katir (irgendwo an den Ostausläufern des Himalajas gelegen) sehr trefflich über die finstereren Machenschaften des neoliberalen Großkapitalwahnsinns und fatal-hirnloser internationaler Gierdiplomatie fabuliert. In dieser Fremde geraten der Erzähler und sein Kumpel Gonzo schließlich in die Nicht-Kriegswirren um Addeh Katir, und hier, etwa zur Halbzeit, beginnt sich der Roman endgültig zu einem überwältigenden Pandämonium zu entfalten, wenn wir lernen die Go Away-Bomben zu lieben und das kosmische Grauen aus dem freigesetzten, wankelmütigen »Zeugs«-Gewaber und dem Gestobe menschlicher Träume und Ängste steigt. Durch Go Away-Bombon beraubt man Materie und Wesen ihrer sie in Gestalt haltenden Information und verwandelt sie damit in »Stuff«. Die nichteinkalkulierte Knieschußfolge ist, dass sich dieses »Zeugs« und alles was mit ihm in Kontakt kommt planlos neue Informationen aus der Noospähre[02] zuzelt und dadurch in alles möglich Vorstellbare verwandeln kann.

Die zweite Hälfte des Romanes schildert die Ereignisse nach dem Un-Krieg, wenn die Reste der überlebenden Menschheit improvisierend mit Hilfe der zugänglichen technischen Großmitteln der zur Unwirklichkeit gewordenen Erde Überlebenszonen abtrotzt, kurz: das besagte Jorgmundrohr wird errichtet. Das lässt die dabei gebildete Jormundfirma zum alleinigen unheimlichen Weltherrscher der wenigen Komfortzonen alten Stils aufsteigen, und wahrhaft erschreckend sind die Grundlagen ihres Erfolges. — Nach der Rettungsaktion, zu welcher man im ersten Kapitel aufbrach, wird der Erzähler von seinen Kumpanen getrennt und er bricht auf zu einer Queste, um die dunklen Geheimnisse der Jorgmundfirma zu enthüllen, aber auch, um die Rätsel seiner zweifelhaften Freundschaft mit Gonzo Lubitsch und schließlich die trügerische Natur seiner eigenen Existenz zu ergründen.

Durch all diesen quirligen Garn zieht sich auch ein frech-zarter romantischer Faden der verhäkelt ist mit Elisabeth, der Adoptivtochter von Meister Wu. Hier ist auch eine interessante Argumentationsebene eingebettet, in der ergründet wird, was kraftmeierische Helden eigentlich liebeswürdig macht. Zudem ziehe und werfe ich meinen Hut johlend vor Begeisterung, immer wenn Harkaway einen anarchistisch-ulkigen Trupp Pantomimen auftreten lässt, über seine Idee und Schilderung eines Zirkus von Aussteigern, die sich Egalität halber alle K. nennen; wegen Zaher Bey, Pirat und Widerstandskämpfers von Addeh Katir; sowie wegen einem mit Safran handelndem, extrawortgewaltigem, dauerstreitendem Ehepaar. Die amüsanten Auftritte all dieser Figuren, und die stets gegenwärtige Schlagfertigkeit der Gedanken des namenlos bleibenden Erzählers ließen mich willig mit Milde über die zwei, drei dreisteren Hau Ruck-Kniffe des Handlungsverlaufes hinwegsehen, welche das ›In die Irre führen der Leser‹-Spiel des Romanes zumutet. Wer derartige Herausforderungen einzugehen gewillt ist, dem wird anhand dieses

Fantasyromans für Leute, die normalerweise Fantasy scheuen[03]

vorgeführt, wie vorzüglich produktiv sich reißerische Äktschn, relevante Satire, kosmisches Grauen und spekulierende Fabulierlust miteinander verschränken lassen.

(P.S.: Die Umschlaggestaltung der UK-Ausgabe ist perfekt. Hier geht es zu einer kleinen Flickr-Dokumentation der Entwicklungsgeschichte des Covers.)

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ANMERKUNG:

[01] Hier als Beispiel für Harkaways Systemsatire eine Zusammendampfung seiner Schreibtischhengst-Klassifizierung:
Typ M bis E: wirkliche Menschen die kreischend der seelenverschlingenden professionellen Beamtenpersona entkommen wollen;
Typ D: kecker Möchtegern-Zahlmeister mit verkümmerter Menschlichkeit;
Typ C: glucksender Lakai des entmenschlichenden Systems;
Typ B: herzlose bürokratische Maschine;
Typ A: wäre eine Person, die derart umfassend von den Mechanismen des Systems für das er oder sie arbeitet aufgesogen wurde, dass die Person aufgehört hätte eine eigenständige Wesenheit zu sein. ••• Zurück
[02] Noosphäre (in etwa: ›Welt der Gedanken‹) ist ursprünglich die Wortschöpfung eines heilsgeschichtlich überspannten Jesuiten aus den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts, entsprechend theo- und teleologisch aufgebrezelt als Phase des kollektiven Menschengeistes auf dem Weg zum Omegapunkt, das heißt, dem am Jüngsten Tage wiedererscheinenden Christus. Die weltlich-mildere, heute gebräuchlichere Bedeutung bezeichnet mit Noosphäre schlicht die Welt der Ideen und denkbaren Gedanken. ••• Zurück
[02] So Harkaway selbst in einem Interview über seinen Roman. Man darf das auch lesen als Empfehlung des Romanes für »Fantasyfreunde, die die Schnauze voll von Formel-Fantasy haben«. Wobei das Wort ›Fantasy‹ sich hier als ›Phantastik‹ sinnvoller begreifen lässt, und weniger als ›Fantasy‹ im Sinne von ›aufgewärmte Mittelalterromantisierung mit Offenbarungsglasur‹. ••• Zurück

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Nick Harkaway: »The Gone-Away World«; 531 Seiten (16 Kapitel); William Heinemann 2008; ISBN-Trade Paperback: 978-0-4340-1843-7
Nick Harkaway: »Die gelöschte Welt«; aus dem Englischen von Jürgen Langowski; 800 Seiten, Piper Taschenbuch 2009; ISBN: 978-3-492-26704-5
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