Sydney Padua: »The Thrilling Adventures of Lovelace & Babbage«, oder: Auf zur Differenz-Maschine!
Neu veröffentlich in meinem Nachfolge-Blog »molochronik reloaded«.
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Es ist wieder soweit: Hier der Jahresrückblick meiner Lese-, Glotz- & Lausch-Glanzlichter.
Dann: Muss ich bei der Reichskulturkammer dafür Abbitte leisten 2012 keine deutsche Prosa gelesen zu haben (hab zwar zig Texte im Buchladen oder im Netz angelesen, von denen konnte mich jedoch keiner verführen).
Eintrag No. 747 — Perry Rhodan feiert Fufzigsten?! Soll sein. Schön für die Rhodan-Fans … mir herzlich Wurscht. Vielleicht, aber nur ganz vielleicht, wenn eine angeschwipse Muse mir das Hirn durchwuschelt, werde ich mir den bald erscheinenden ersten Band des Neustarts der Reihe, »Perry Rodan NEO«, besorgen.
IX.XI. hat zehnten Jahrestag. Führt mir nur vor Augen, dass ich zu den sogenannten ›Verschwörungstheoretikern‹ gehöre, weil ich nicht dem traue, was die öffentlich-rechtlichen- und (sogenannten) Qualitäts-Medien über diesen Zerstörungsakt verbreiten. Halt. Stop. Schon alles durcheinander.
Als jemand, der ziemlich früh der Meinung war, dass an den offiziell verbreiteten Erklärungen zum Anschlag etwas nicht stimmt, gehöre ich wohl zu den ›IX.XI.-Verschwörungstheoretikern‹. Andererseits ist das, was Mainstream-Medien und herrschende politische Kräfte an Erklärungen verbreiten selbst geeignet, als Verschwörungstheorie bezeichnet werden zu können … eben als ›offizielle Verschwörungstheorie‹. Und nun kann man sich nun lange gegenseitig zeihen, Anhänger der einen (paranoiden) oder anderen (gutgläubigen) Verschwörungstheorie zu sein. Bringt aber auch nicht viel.
Sinnvoll wäre schon eher, die ganze Angelegenheit mal wirklich ordentlich zu untersuchen, und nicht etwa, entscheidende Daten und Dokumente zu vernichten oder gar nicht erst heranzuziehen, bzw. wichtige Zeugen zu befragen, bzw. deren Aussagen zuzulassen. Wie ich vor einigen Wochen schon berichtete, bietet das Buch »9.11. Zehn Jahre danach« von Bröckers und Walthers eine schöne Übersicht zu den undichten und fragwürdigen Stellen der offizellen Version.
Ach ja, dieser ›Telepolis‹-Text von Marcus Klöckner ist ein schönes Beispiel für die Art, wie die Qualitätsmedien mit den (paranoiden) IX.XI.-Verschwörungstheorien umgehen: 9/11: Wie Kritiker zu Zirkusdarstellern wurden (= Eine Analyse des ›Die Zeit‹-Artikels Ein Wahn stützt den anderen von Jörg Lau).
Lektüre: Mit großer Begeisterung nun fast die Hälfte von Neal Stephensons »Reamde« erreicht. Zur Struktur: Das Buch – die Atlantic-Ausgabe – hat 1042 Seiten besteht aus zwei Teilen: A) »Nine Dragons« (7 Kapitel, bzw. 142 Abschnitte), und B) »American Falls« (12 Kapitel, bzw. 142 Abschnitte), mein Dramatis Personæ (also Verzeichnis der Figuren mit Namen) zählt bisher 41 Figuren, und ich habe eine ganze Reihe Abschnitte hinter mir, die Szenenapplaus verdienen. Jupp, Stephenson gehört zu den wenigen Autoren, bei deren Büchern ich mitgehen kann, wie sonst nur bei Popkorn-Kino.
Die Handlung teilt sich bisher in zwei große Stränge. Zum einen wird die Geschichte von Richard Forthrast erzählt, dem ›schwarzen Schaf‹ eines gut situierten Farmerclans aus Iowa, der sich 1972 vor der US-Armee nach Kanada verkrümelt hat und mehr aus Zufall damit beginnt, durch den Schmuggel von Dope über die Grenze Geld anzuhäuften. Mit diesem Geld hat er in British Columbia ein hübsches Landschloß renoviert und betreibt es zusammen mit einem Motorradclub-Kumpel als Ausflugsziel für Ski- & Snow Board-Narren. Nach einigen ziellosen Jahren gründet Richard in den späten 80ern dann zusammen mit einem chinesischen Geschäftsmann eine Spiele-Firma und startet das Multiplayer Rollenspiel der Fantasywelt T’Rain. Ein Gutteil des Romanes dreht sich um die Entwicklung und wirtschaftliche Funktionswiese von T’Rain, und einige packende Abschnitte finden in der Spielewelt selbst statt.
Eine der erwähnten Szenen, die mich zum lauten Johlen und lustvollem Jauchzen brachte, schildert ein Arbeitstreffen der Story-Entwickler der T’Rain-Spielewelt. Richard hat zwei Fantasy-Autoren engagiert. Zum einen einen den angesehenen englischen Professor Donald Cameron, Mittelalter- und Sprach-Experte; zum anderen den amerikanischen Vielschreiber Devin Skraelin. Die beiden kriegen sich in die Wolle was die Schreibweise von Fantasy-Begriffen der T’Rain-Welt angeht, was in der sogenannten ›Apostropocalypse‹ mündet. Donald, ganz penibel auf Plausibilität und Schlüssigkeit bei der Entwicklung von Fantasy-Begriffen erpicht, deutet aus, dass die Art wie Devin mit Apostrophen um sich schmeißt Unsinn ist. Devin findet derart kleinkrämerische Begründungsambitionen Quatsch, denn Fantasy-Begriffe wie T’Rain, K’Shetriae oder D’uinn sollen einfach nur cool aussehen. — Dieser Gegensatz ift typisch für die Fantasy-Szene und spiegelt sich auch wider in einem Krieg zwischen zwei Spieler-Fraktionen auf T’Rain: Fantasy-Welten und deren Inhalte werden von Design-Teams entworfen und das Aussehen der verschiedenen Rassen, Klassen usw. richtet sich unter anderem nach bestimmten Farbpaletten. Die einen Spieler bleiben den klassischen Farbpaletten treu (= die ›Earthtone Coalition‹), andere Spieler basteln sich Modifizierungen um z.B. iheren Zwerg in schrillen Popfarben herumlaufen zu lassen (= ›Forces of Brightness‹).
Handlungstreibendes Element ist ein gemeiner Virus, eben REAMDE, der Computer von T’Rain-Spielern infiziert, dort dann alle privaten Daten verschlüsselt und die Opfer auffordert, eine Summe der Spieleweltwährung in einem bestimmten Gebiet von T’Rain abzuliefern. — Der zweite große Handlungsstrang folgt Richards Nichte Zula und ihrem Hacker-Freund Peter. Peter hat sich mit einem zwielichtigem Typen, Wallace, auf einen Handel mit Creditkartendaten eingelassen. Dummerweise ist Wallace ein begeisterter T’Rain-Spieler und seine IT-Anlage hat sich REAMDE eingefangen. Und richtig fatal ist nun, dass Wallace unter anderem wichtige Finanzdaten der russischen Mafia verwaltet, und diese durch REAMDE durch Geisel-Verschlüsselung unzugänglich wurden. Zula und Peter finden sich schneller als ihnen Lieb ist in der Gewalt von russischen Gangstern, denen sie helfen sollen müssen, die Virus-Programmierer zu finden. Es kommt zu einer großen Äktschn-Sequenz, mit ca. 230 Seiten schon ein Roman im Roman, in der chinesischen Sonderwirtschaftszonen-Stadt Xiamen.
Genug zu »Reamde« für heute. Hier die Links.
Politik, Gesellschaft & Hochkultur:
(Deutschsprachige) Phantastik-Links
Zuckerl: Popkultur & Kunst
Tape Generations from johan rijpma on Vimeo.
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—Douglas R. Hofstadter (*1945), »Ich bin eine seltsame Schleife«, Klett-Cotta 2008, Seite 343
Manchmal grinse ich gedankenverloren, wenn ich mir vorstelle, es gäbe ein Leseratten-Rollenspiel, bei dem Spieler sich in Leseabenteuer stürzten. Wie bei anderen Rollenspielen auch, könnten Spieler dabei aus einem Pulk verschiedenster Charakterklassen wählen und beispielsweise (unter anderen) träumerische Genussleser, detailversessene Sprachpedanten, mystische Metapherndeuter, pietätvolle Ekstasejunkies, argumentationsgewahre Zeitläuftendeuter oder modebewusste Trendsurfer verkörpern. Es ginge darum, dass man in der erschlagenden Vielfalt der Bücher befriedigende und erhellende Lektüren aufstöbert, im Lauf der Zeit eine respektable Bibliothek zusammenträgt, sich einen guten Ruf als glänzender Interpret und Bücherblätterwaldpfadfinder schafft. Auf dem Charakterbogen fänden sich solche Fähigkeitsspalten wie Wortschatz, »Lesegeschwindigkeit«, »Leseausdauer«, »Bedeutungsspürsinn«, und eine Punkteskala für »Leselust-/Frusterlebnis« gäbe die Analogie für Lebenspunkte ab (bei wem dieser Balken dauerhaft auf Null verharrt, der/die gibt das Bücherlesen auf).
Vorlieben und Abneigungen sowie natürlich die von den momentanen Lebensumständen diktierten Gemüts- und Verstandesverfassungen würden beeinflussen, ob und wie sich aus den diversen inhaltlichen, stilistischen und ästhetischen Eigenschaften eines Buches freud- oder leidvolle Lektüreerlebnisse ergeben. Mit Bonus- und Maulus-Fähigkeiten wie »eidetisches Gedächtnis«, »Humorlosigkeit«, »Hypersensibilität«, »Legasthenie« oder »perverse Neigungen« (verschiedenster Art) könnte man seinen Charakter Würze verleihen. Ein einzelnes Abenteuer könnte davon handeln, wie gut man sich behauptet eine verwirrende Geschichte zu deuten, etwa »Ein Vorfall an der Owl-Creek-Brücke« von Ambrose Bierce. Eine viele Spielabende umfassende Kampagne könnte sich darum drehen, das Gesamtwerk von James Joyce oder Friedrich Wilhelm von Junzt ohne Schaden an Herz und Verstand zu überstehen, oder indem man bei einem Diskurs darüber ob ›High‹- oder ›Low Fantasy‹ das Bessere (oder was darunter überhaupt zu verstehen) sei, möglichst viele Deutungshoheitspunkte ergattert. Wessen Charakter nicht druffgeht (sprich: die Lust am Lesen nicht einbüßt und vermeiden kann, zum Beispiel zu einem Bier- und Glotze-Lemuren zu werden), kann sich in den höheren Leveln daran machen, verschiedene Wege einzuschlagen um selbst aktiv am Bücherweltstoffwechsel teilzunehmen: als fabulierender Autor, als Lektor-Hebamme, als berüchtigter Kritiker, als eloquenter Dozent an einer Uni, als Raritäten dealender Antiquar, als brückenbauender Übersetzer. Und natürlich gäbe es für Spieler die nach Abwechslung dürsten Erweiterungen wie »Kästchen & Sprechblasen: Im Reich der Comics«, »Lesen mit den Ohren: Im Land der Hörspiele & Hörbücher«, »Filmgeschichten: Leinwand & Flimmerkasten«, »Die Strudel der Immersion: Videospiele & Virtuell Reality« und für die ganz Hartgesottenen: »Semiotik & Mystik: Die ganze Welt ein Buch, das eigene Leben als Text«.
Abgesehen von dem Vergnügen, welches mir dieses Gedankenspiel bereitet, fände ich es bisweilen schlicht und ergreifend nützlich, wenn sich Leseratten anhand des Vergleichens ihrer Charakterbögen (und denen der Bücher) schnell und bequem darüber orientieren könnten, welche Lektüren einen näheren Blick wert sind, und um welche Autoren und Stoffe man vielleicht besser doch einen Bogen macht, beziehungsweise, mit welchem Rüstzeug sich die unwegsameren Lese-Terrains freudvoller durchqueren lassen. Nicht zuletzt wäre so ein Leseratten-Rollenspiel ein feines Medium, um sich über die strategischen Feinheiten des Lesens auszutauschen, in etwa so: »Bei diesem Titel brauchst Du für die ersten Handvoll Kapitel einen Geduldstrank«, oder: »Wenn man dieses Buch laut liest, kann man einen +2-Bonus für melodische Sprachschönheit ergattern«, oder: »Für dieses Buch muss man einen kritischen Skepsiswurf -3 schaffen um nicht gelangweilt zu werden, außer, Du hast mindestens die zweite Stufe der Fertigkeit Gegen-den-Strich-Lesen inne, dann darf man alle Dutzend Seiten einen Gacker-Gewinnwurf von 3 mal W8 machen«.
Diese Phantasie birgt aber auch reichlich Sprengstoff, denn was käme dabei heraus, würde man Büchern und ihren Lesern ein rollenspieltypisches Punkte- und Wertungssystem überstülpen? Richtig: Unfrieden drohte bei solcherart hierarchischen Stufenleitern. Denn wo es dann einerseits bestimmte Bücher gäbe, für die man mehr Erfahrungspunkte einheimste, und gewisse Werke sich besser knacken ließen von fortgeschrittenen Leser-Spielercharakteren, so fänden sich andererseits am gegenüberliegenden Pol die Nichtschwimmerbecken-Bücher für (noch) unmächtigere Lesespielercharaktere. Und wer möchte sich schon gerne nachsagen lassen, dass er vornehmlich auf Stützräder-Romane ausweichen muss um Leseerfolge verbuchen zu können? — Derartiger Spott über die Leser und Bücher der niederen Erfahrungslevels soll hier aussen vor bleiben. Das Ungeschick und die Borniertheit der literarisch Hochnäsigen, speziell jener, für die alles (oder doch das allermeiste), was als ›Genre-Phantastik‹ daherkommt automatisch beschränkter Schund ist, sei uns Ärger genug und lediglich Anlass für vergnügte Empörung, wenn wir unseren matten Kreislauf und gelangweilten Geist auf Zack bringen wollen. Jedoch kann ich nicht verhehlen, dass ich mich als Mittdreissiger, der seit gut 20 Jahren alle möglichen Buchstaben-Donjons durchirrt, nicht mehr voll-authentisch und auf gleicher Augenhöhe an die jugendlichen Lesefrischlinge wenden kann, genauso wie ich gegenüber gestandenen Schmöker-Veteranen (die mir Jahre, wenn nicht Jahrzehnte an Leseerfahrungen voraus sind) beim Austrudeln von Sinn, Weh und Wert der Phantastik gehörig ins oftmals peinliche Fuchteln gerate. Aber als jemand, der mittenmang irgendwo im Transitbereich zwischen den unschuldig-begeisterten Lektürehaltungen der Adoleszenz, und der kennerhaft-spitzfindigen des Alters herumeiert, will ich mich mühen, entsprechend zwiegefärbte Kunde zu geben, hier sozusagen in ansteigender Herausforderungsabstufung. Letzteres sei so zu verstehen, dass ich mich von den Titeln, die sich entspannter, lockerer handhaben lassen, hochwurschteln werde zu den Werken, die sich an Leser wenden, welche selbst bei kompliziertester Lektüreakkrobatik mit Freude an der Sache mitzuhampeln vermögen.
Als bekennender Fanboy von China Miévilles bisherigem Schaffen, hatte ich auch mit dessen Jugendroman-Erstling »Un Lon Don« meine Freude, wenn Miéville wiederum geschickt gesellschaftskritische Watschen austeilt und dabei so manche Genreformel umkrempelt und bloßstellt; angetan bin ich von Max Brooks Debut »Wer länger lebt ist später tot – Operation Zombie«, in dem sich unsere moderne Welt angesichts der Megakrise einer Untoten-Pandemie bewähren muss; mit Wonne habe ich die elegant-humorigen, verplauderten Abschweifungen von Nick Harkaway (ebenfalls ein Debutant) verköstigt, der mit »Die gelöschte Welt« einen kampfkunstgesättigten, postapokalytischen Genre-Cocktail zusammengeschüttelt hat; gehadert, aber schließlich erstmal überzeugen lassen habe ich mich von Hal Duncans »Vellum«, dem erstem Band des zweiteiligen Werkes »DAS EWIGE STUNDENBUCH«, einem vermessen wilden Mythen- und Genremix der scheinbar vom Zufallsmodus beherrscht wird; gehörig verdutzt war ich, dass sich »Gegen den Tag« vom wohl schrägsten aller ewig leer ausgehenden Nobelpreis-Kandidaten, Thomas Pynchon, so gar nicht als unlesbar und schwer zugänglich präsentierte, sondern als lustvolles gigantisches Prosagemälde mit viel abenteuerlichem Steampunk-Western-Reiseabenteuer-Flair; zuletzt berichte ich davon, wie mir Mark Z. Danielewski mit seinem schon ungescheit extravaganten »Das Haus – House of Leaves« wahrlich schreckensgetränkte Schlaflosigkeit bescherte. Den Beginn aber macht eine heimische Autorin, auf die ich große Hoffnungen setzte.
Ju Honisch: »Das Obsidianherz«, oder: Dämonen- und Zauberschrifthatz im königlich-bayerischen München.
Von durch München-Eleganz und -Romantik geprägter Abenteuerphantastik nun zu solcher, die durch appellative Subversion und metropolitäre Rotzigkeit auffällt. Auch hier stehen vor allem (junge) Damen im Mittelpunkt, und auch hier hegt ein verborgener Schrecken großherrschaftliche Ambitionen.
China Miéville: »Un Lon Don«, oder: Querfeldein in London diesseits und jenseits des Absurdums.
Im nächsten Titel sind die Bösen noch nicht einmal willenlose Handlanger von sich im Okkulten verbergenden, sich mit Trug und Schein tarnenden Strippenziehern, sondern simple Fresszellen in Menschengestalt. Das düstere Fantasyland der Zombiefiktionen erfreut sich vermutlich vor allem wegen zweier Eigenschaften großer Beliebtheit: von der nicht so empörenden, der metaphorischen Flexibilität der Zombies ist gleich ausführlicher die Rede; beunruhigender und sicherlich spektakelträchtiger ist allerdings der Umstand, dass Zombies menschenförmiges, jedoch entmenschlichtes Böse sind, gegenüber dem sich keine Zurückhaltung empfiehlt und Reue deplatziert ist (auch wenn der Blick durchs Zielfernrohr vorm Abdrücken Mitleid für den Ex-Menschen erregen mag).
Max Brooks: »Wer länger lebt ist später tot – Operation Zombie«, oder: Weltkrieg Z – Eine mündliche Geschichte des Zombie-Krieges.
Zu meinen schönsten Leseerlebnissen gehört, wenn ich mich richtiggehend in die Schreibe und Ideenwelt eines Autors verliebe. Grob kann ich zwei Arten solcher Hingerissenheit unterscheiden: Einmal die harmlosere und für das Funktionieren im Alltag verträglichere, wenn Bücher mich ›einfach nur‹ gut unterhalten, da sie sich unangestrengt flott wegschlürfen lassen. Das geht, wenn Geschichte, Setting und Figuren ausreichend interessant sind um mich zu fesseln, in übersichtlicher Manier und Ereignisfolge erzählt wird, und der Stil weitestgehend kapriolenfrei (= gewöhnlich, unaufdringlich) bleibt. Dann blättern sich die Seiten wie bei einer Dominokettenreaktion wie von selbst um. Solche Bücher müssen nicht zwangsläufig seichter Tüdelkram sein.[01] — Und dann gibt es Romane, die sich hinsichtlich ihres Ideenreichtums und ihrer Wendigkeit bei der strukturellen Darbietung, ihrer Sprachakrobatik und Stilregistervarianz förmlich überschlagen, so dass ich mich anstrengen muss um einen sicheren Erwartungshaltung-Stand auf ihren schwankenden Exzentrikplanken zu wahren. Das sind dann auch die Bücher, die sich nur schwerlich in einer bestimmten Schublade unterbringen lassen. Bücher, die vor allem zu Beginn und vielleicht auch immer wieder mal zwischendurch zu sperrig oder glitschig sind um sie mit sicherem oder dauerhaften Griff zu fassen, die aber (wenn’s gut geht) die erhöhte Konzentrations- und Geduldsmühen mit einem ganz eigenen Faszination- und damit Unterhaltungszauber entlohnen.
Natürlich ist diese Zweiteilung taxonomischer Firlefanz, denn die allermeisten Romane lassen sich nur π-mal-Daumen und eben nicht eindeutig unter ›locker-flockig‹ oder ›aufregend-anspruchsvoll‹ wegsortieren. Die allermeisten Romane zeichnen sich durch ›sowohl als auch‹-Eigenschaften aus, auch wenn sie mehr oder minder deutlich einem der beschriebenen Pole näher sind (was ja nicht zuletzt von der jeweiligen Perspektive des Lesers abhängt). Und der folgende Roman befindet sich meiner Einschätzung nach in etwa in der Mitte dieses Spannungsfeldes, und lässt sich also je nach Sichtweise noch als ›leichteres‹ (aufgrund seiner heiteren Abenteuerlichkeit) oder bereits als ›herausforderndes‹ Lesevergnügen einstufen (aufgrund seiner inflationären erzählerischen Hakenschläge).
Nick Harkaway: »Die gelöschte Welt«, oder: Ninjas, wandernde Städte nach dem großem Bumm und eine seltsame Freundschaft.
Mit »Die gelöschte Welt« als Übergangszone habe ich nun endgültig die »einfacher« zu genießenden Bücher, (die trotz überraschender spannungserzeugenden oder sprachverspielten Kapriolen vergleichsweise übersichtlich bleiben und das Realitätsempfinden und Orientierungsvermögen ihrer Leser nicht mit allzu ungebändigten metaphysischem und stilistischen Extravaganzen durcheinander bringen wollen) dieser Sammelrezension passiert. Jetzt geht’s auf in die Narrationswildnisse, wo das Erzählen zu nichts endgültig Rundem und Ganzen mehr führt; wo die wichtigste Trostspende der Literatur, die Durchschaubarkeit des Gelesenen, verweigert wird.[02]
Es heißt Abschied nehmen von klaren Anfängen in der Normalität, die durch Krisen in Auf- und Abschwüngen aus Gefahr und Rettung verwandelt werden und zum Ende hin eine weitestgehende Auflösung der angestauten Spannung erfahren (womöglich sogar in einer Idylle).
Wenn entnervte oder enttäuschte Leserproteste und Unmutsmeldungen als Indiz gelten, dann muss ich die verbleibenden drei Titel dieser Sammelrezi Wohl oder Übel als schwierig-herausfordernde Lektüren markieren. Ins Positive gewendet zeigen diese Bücher jeweils auf ihre eigentümliche Weise, zu welch artistischen Höhenleistungen man die phantastische Romaneform treiben kann, wenn man ihre Bestandteile gründlich auseinandergenommen, um originelle Form-, Sprach- und Perspektivregister erweitert und zu etwas gänzlich Unerwartetem wieder zusammengefügt hat.
Thomas Pynchon: »Gegen den Tag«, oder: Leinen los, oh, ihr Gefährten der Fährnisse!
Auch das nächste Buch spielt mit dem Thema vom ewigen mythischen Gekabbel zwischen Freiheit und Zwang, zwischen der Anarchie des Individuums und der Kontrollbestrebungen der Ordnungsmächte. Doch bleibt »Gegen den Tag«, verglichen mit dem nächsten Kandidaten, trotz seiner ins Unübersichtliche artenden Handlungsstrangvielfalt und stilistischen Wandlungsfähigkeit ein vergleichsweise klassischer Großroman. Das folgende Buch geht bei seiner Zertrümmerung und willentlichen Leserverwirrung noch einige entscheidende Schritte weiter und lädt dazu ein, sich mit Genuss zu verirren, mit Schaudern über einem erhaben-apokalytischen Abgrund zu schweben.
Hal Duncan: »Das Ewige Stundenbuch 1 – Vellum«, oder: Die Mythen-Jukebos voll aufgedreht.
Als Abschluss meiner diesjährigen Sammelrezi wähle ich den Überwahnsinn, wo alles zusammenkommt und sich trefflich fügt: ein experimentelles Werk eines neuen Autoren, mit herausragendem Engagement und großer Könnerschaft übertragen. Beim letzten Titel der diesjährigen Runde wurde mit hohem künstlerischen Einsatz gepokert, sicherlich auch ein wenig geblufft, dennoch ist das Ergebnis ein Werk, das gerechtfertigterweise schnell den Ruf eines (post)modernen Klassikers für sich verbuchen konnte, eines Romanlabyrinths das zum Vergnügen auffordert sich in ihm hoffnungslos zu verirren.
Mark Z. Danielewski: »Das Haus – House of Leaves«, oder: Hausbuch/Buchhaus frisst seine Leser, nee andersrum, oder?
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Eintrag No. 521
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Nick Harkaway (1972 geborener Sohn von John le Carre) hat mit »Die gelöschte Welt« einen Debutroman hingelegt, der vollends meinem Verlangen nach kunterbunt-unterhaltsamer ›Anspruchs‹-Literatur gerecht wird. Zuerst aufgefallen ist mir die Sprache. Harkwaways Prosa suhlt sich mit Wonne in den vokabularischen Möglichkeiten, welche dem Englischen zuhanden sind (und ich bin sehr gespannt, wie die deutsche Übersetzung klingen wird), vermischt genussvoll hohe und niedere Ausdruckniveaus verschiedenster Milieus (mit besonderer Parodieaufmerksamkeit für Multi-Corperate-, Militär- und Studentenkneipen-Slang) und zuweilen durchquert man absatzlange Satzgeflechte, die sich durch exquisite Fizzelfreude auszeichnen.
Zur Szenerie: alles beginnt in einer an »Mad Max« oder »Fallout« erinnernden Restwelt damit, dass nach einer Explosion der Strom ausfällt, während der Erzähler und seine Kumpels und Kumpelinnen von der »Haulage & HazMat Emergency Civil Freebooting Company of Exmoor County« Billard in der »Namenlosen Bar« spielen. Irgend jemanden ist es gelungen, mit einem Sabotage-Akt die »Jorgmund Pipe«, das größte und wichtigste Objekt der noch bestehenden Welt empfindlich aus dem Gleichgewicht zu bringen. Die Welt wie wir sie kennen ist nämlich, pardauz!, vor einigen Jahren bei einem Nicht-Krieg durch den Einsatz einer neuen, seltsamen Sorte Bomben verschwunden. Die wenigen Überlebenden haben sich zurückgezogen in den schmalen Streifen der »lebenstauglichen Zone«, welche sich an das mächtige Jorgmund Rohr schmiegt. Aus diesem Rohr wird eine mysteriöse Substanz versprüht, welche die monstergebärende Unwirklichkeit auf Abstand hält. Und eben dieses Jorgmund Rohr steht nun in Flammen. Der Erzähler und seine Freunde sind Veteranen des »Un-Krieges«, nach dessen Ende sie wegen unseliger Entwicklungen während der Wiederaufbau-Anstrengungen desertierten. Nun sollen sie als freie Söldner und Transportunternehmer mit einem Haufen dicker Sprengladungen per Vakuumeffekt den Großbrand löschen, um die Welt zu retten. Soweit die Infos des ersten Kapitels, die reich garniert werden mit Abschweifungen beispielsweise zu von Schweinen angetriebenen Notstromgeneratoren und zu den unterschiedlichen Entmenschlichungsgraden von administrativen Schnöseln.[01]
In einer sich über mehrere Kapitel erstreckenden Rückblende berichtet dann der Erzähler von seiner Kindheit: wie er vom Spielplatz weg vom gleichalterigen Gonzo William Lubitsch und seiner Familie adoptiert wurde; wie die beiden Jungs mit viel Hingabe und Talent Kampfsportkünste lernten (wobei Gonzo sich der harten, der Erzähler sich der weichen Schule widmet). Haarsträubende Erzähl-Umwege legen die Historie des »Hauses des Stimmenlosen Drachen« von Meister Wu dar und seiner obskuren Feinde, der Ninjas der »Uhrwerk Zeiger Gesellschaft«. — Der Amateur-Kampfsportler Harkaway ist (zurecht wie ich meine) stolz darauf, einen anspruchsvollen Roman mit Ninjas geschrieben zu haben. Entsprechend bietet »Die gelöschte Welt« atemberaubend inszenierte Kämpfe. Da wird vorgeführt, wie gefährlich Tupperware in den Händen eines einfallsreichen Kampfmeisters werden kann, oder wie selbst ein älteres Ehepaar mit Pheromonen und afrikanischen Bienen einem Pulg gutausgebildeter Meuchelmörder beizukommen vermögen. — Desweiteren geht’s mit Studentenabenteuern (sprich: Kneipenszenen, angeschickerte Politdiskussionen & Beziehungswirren), Anti-Terror-Razzien, Folterverhören durch quasi-staaliche Sicherheitsorgane, und schließlich landen der Erzähler und Gonzo bei der Agentenausbildung des Projekt Albumen, wo sie nicht nur Auto-Kampfsportunterricht erhalten, sondern sich auch die Entwicklungslabore für die Unbombe befinden.
Die im ersten Viertel des Buches hervortretenden politischen Wirren konzentrieren sich in einer Abschweifung wirtschaftliche Begehrlichkeiten auf globaler Bühne, wenn Harkaway über das Hickhack um das fiktive Land Addeh Katir (irgendwo an den Ostausläufern des Himalajas gelegen) sehr trefflich über die finstereren Machenschaften des neoliberalen Großkapitalwahnsinns und fatal-hirnloser internationaler Gierdiplomatie fabuliert. In dieser Fremde geraten der Erzähler und sein Kumpel Gonzo schließlich in die Nicht-Kriegswirren um Addeh Katir, und hier, etwa zur Halbzeit, beginnt sich der Roman endgültig zu einem überwältigenden Pandämonium zu entfalten, wenn wir lernen die Go Away-Bomben zu lieben und das kosmische Grauen aus dem freigesetzten, wankelmütigen »Zeugs«-Gewaber und dem Gestobe menschlicher Träume und Ängste steigt. Durch Go Away-Bombon beraubt man Materie und Wesen ihrer sie in Gestalt haltenden Information und verwandelt sie damit in »Stuff«. Die nichteinkalkulierte Knieschußfolge ist, dass sich dieses »Zeugs« und alles was mit ihm in Kontakt kommt planlos neue Informationen aus der Noospähre[02] zuzelt und dadurch in alles möglich Vorstellbare verwandeln kann.
Die zweite Hälfte des Romanes schildert die Ereignisse nach dem Un-Krieg, wenn die Reste der überlebenden Menschheit improvisierend mit Hilfe der zugänglichen technischen Großmitteln der zur Unwirklichkeit gewordenen Erde Überlebenszonen abtrotzt, kurz: das besagte Jorgmundrohr wird errichtet. Das lässt die dabei gebildete Jormundfirma zum alleinigen unheimlichen Weltherrscher der wenigen Komfortzonen alten Stils aufsteigen, und wahrhaft erschreckend sind die Grundlagen ihres Erfolges. — Nach der Rettungsaktion, zu welcher man im ersten Kapitel aufbrach, wird der Erzähler von seinen Kumpanen getrennt und er bricht auf zu einer Queste, um die dunklen Geheimnisse der Jorgmundfirma zu enthüllen, aber auch, um die Rätsel seiner zweifelhaften Freundschaft mit Gonzo Lubitsch und schließlich die trügerische Natur seiner eigenen Existenz zu ergründen.
Durch all diesen quirligen Garn zieht sich auch ein frech-zarter romantischer Faden der verhäkelt ist mit Elisabeth, der Adoptivtochter von Meister Wu. Hier ist auch eine interessante Argumentationsebene eingebettet, in der ergründet wird, was kraftmeierische Helden eigentlich liebeswürdig macht. Zudem ziehe und werfe ich meinen Hut johlend vor Begeisterung, immer wenn Harkaway einen anarchistisch-ulkigen Trupp Pantomimen auftreten lässt, über seine Idee und Schilderung eines Zirkus von Aussteigern, die sich Egalität halber alle K. nennen; wegen Zaher Bey, Pirat und Widerstandskämpfers von Addeh Katir; sowie wegen einem mit Safran handelndem, extrawortgewaltigem, dauerstreitendem Ehepaar. Die amüsanten Auftritte all dieser Figuren, und die stets gegenwärtige Schlagfertigkeit der Gedanken des namenlos bleibenden Erzählers ließen mich willig mit Milde über die zwei, drei dreisteren Hau Ruck-Kniffe des Handlungsverlaufes hinwegsehen, welche das ›In die Irre führen der Leser‹-Spiel des Romanes zumutet. Wer derartige Herausforderungen einzugehen gewillt ist, dem wird anhand dieses
vorgeführt, wie vorzüglich produktiv sich reißerische Äktschn, relevante Satire, kosmisches Grauen und spekulierende Fabulierlust miteinander verschränken lassen.
(P.S.: Die Umschlaggestaltung der UK-Ausgabe ist perfekt. Hier geht es zu einer kleinen Flickr-Dokumentation der Entwicklungsgeschichte des Covers.)
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ANMERKUNG:
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