molochronik
Samstag, 15. März 2008

Improscape: »Schraffurgelände«

(Eintrag No. 480; Improvisation, Improscape) — So. Auskuriert und die Schwitzearbeit des Essayschreibens hinter mich gebracht. Jetzt bin ich ›nur‹ noch am Rödeln die nächste, dritte, Folge meiner »Sandman«-Handreiche und die fünfte Folge meiner »Bibliothek von Babel«-Wanderungen zusammenzustellen, und meine Beiträge (Plural!) für das diesjährige »Magira – Jahrbuch zur Fantasy« zu schreiben.

Gestern aber war wieder ein fruchtbarer Zeichentag, und so kann ich die nächsten Tage neue Skribbel-Landschaften anbieten.

Hier die erste von vier Zeichnung der gestrigen Session. Und hier gehts zu den anderen Skribbels: »Versammlung der Zeitmaden«, »Mesoschwurbel« & »Stadtlandschafts-Quark«.

»Improscape 14. III. 2008 A«, 100 x 100 mm, Faber-Castell PITT artist pen ›F‹ in Leuchturm1917 Agenda.

»Improscape: Scharffurgelände«
Mittwoch, 27. Februar 2008

Kleine Auszeit

(Eintrag No. 479; Wartung; Bescheidgeb) — Zum einen hab ich viel Arbeit um die Ohren, zum anderen rafft mich ein Grippeanfall dahin. Deshalb die Stille hier, trotz meines Vorsatzes, 2008 (möglichst) täglich zu posten. Lasst mich also erstmal fertig ausrotzen, dann geht’s hier wieder weiter.

Montag, 25. Februar 2008

Pratchett, Steward, Cohen: »Die Gelehrten der Scheibenwelt«, oder: Expeditionen in die Wirklichkeit der geschichtenerzählenden Affen

Eintrag No. 478

{Diese Rezension erschien ursprünglich in »Magira 2007 — Jahrbuch zur Fantasy«, Hrsg. von Michael Scheuch und Hermann Ritter. Hier exklusiv um einige weiterführende Links erweitert.
••• Hier gehts zum Trailer der Sammelrezi mit Introdubilo und Warentrenn-Überleitungen.}

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Ich weiß, ich weiß! Terry Pratchett ist einer der großen lebenden kapitalen Platzhirsche der Phantastik, vor allem der humoristsichen Fantasy, und da mittlerweile sogar öffentlich-rechtliche Sender[01] und überregionale Feuilletons und Buchmagazine bei Erscheinen eines neuen Pratchetts wohlwollend über den Scheibenweltschöpfer berichten, warum also hier in einem Fantasyjahrbuch ›unter Kennern‹ noch viele Worte über ihn und seine Bücher verlieren?[02]

Pratchetts Scheibenwelt hat sich seit 1983 zur einer der erfolgreichsten und prägendsten Fantasy-Institutionen entwickelt.[03] Als attraktivste Eigenheit der Entwicklung von Pratchetts Schreiben empfinde ich, wie er sich im Laufe der Jahre vom parodistischen Satiriker, der vornehmlich (allzu) liebgewonnene Eigenheiten der Genre-Fantasy genüsslich aufs Korn nimmt, zu einem humoristischen Moralisten entwickelte. Über den Kurs der (derzeit etwa) 40-ebbes Scheibenweltbücher zeichnet sich Pratchetts Auseinandersetzung mit geschichtlichen, gesellschaftlichen und philosophischen Problemen und Spannung immer deutlicher ab. Als markante Stationen dieses Erstarkens von Pratchetts engagierten Zeitgenossenschaftskommentaren verweise ich auf das Geschlechterrollengerangel zwischen Magiern und Hexen (»Equal Rites«, 1987), die Gräuel des fundamentalistischen Monotheismus (»Small Gods«, 1992), den Missbrauch von sowohl fremdenfeindlicher als auch Multikulti-Denke durch Diplomatie und Politik in Kriegszeiten (»Jjngo«, 1997). Eine thematisch-stimmungshafte »Verdüsterung« der Scheibenwelt hat sich endgültig ab »Night Watch« (2002) etabliert, immerhin werden hier Revolutionsunruhen, Bürgerkriegsmassaker und Serienmörderpathologien ausgebreitet. Anders ausgedrückt, schafft es Pratchett scheinbar so nebenbei, sich für seine Fantasywelt Epochen wie die Industrielle Revolution oder die moderne Konsum- und Mediengesellschaft als Material nutzbar zu machen. Entsprechend abwechslungsreich finden sich in den Scheibenweltbüchern die verschiedensten modernen Milieus ein, wird spielerisch-erzählend vorgeführt, wie die Identitäten von Minderheiten Eigenleben entwickeln, individuelle Weltbilder von der sozialen Einbettung geprägt werden, und wie schwer die Bemühungen (ja leider oft gewalttätig die Konflikte) um eine vermittelnde, umfassende Sicht auf die Wirklichkeit sind.

Pratchett gehört zudem einer (wie ich finde begrüßenswürdigen) Avantgarde der Fantasy an, da er sich nicht scheut wissenschaftliches Bildungsgut und die moderne Informationsgesellschaft deutlich erkennbar in seinen Fantasyweltenbau einfließen zu lassen, und das eben nicht nur, um nette kleine Kalauer auf die Tücken der Technik zu platzieren, oder gar um der Wissenschaft vorzuwerfen, dass sie sich vom Menschen hat missbrauchen lassen, und damit den schrecklichen Katastrophen des 20. Jahrhunderts (die beiden Weltkriege, Rassenhygiene und atheistische Gulags) förderlich gedient zu haben.[04] Das prominenteste Requisit[05] dieser erfreulichen Offenheit der Scheibenweltbücher für die tatsächlich stattfindende Moderne ist Hex, ein in »Soul Music« (1994) debütierendes Konglomerat aus Glasröhren, Ameisen und Magie, das als einfache mit Lochkarten betriebene Rechenmaschine anhob, und sich zu einer immer mächtigeren Denkmaschine und schließlich Großrechenanlage gemausert hat.[06]

Zur Reihe der »GELEHRTEN DER SCHEIBENWELT« selbst: Der erzählende Prattchet-Anteil[07] ist deutlich geringer als die Sachtextportionen von Jack Cohen[08] und Ian Steward (1945). Wer also zuvörderst neue Scheibenweltromane erwartet, wird vielleicht enttäuscht. Die Schreibenwelthandlung dient hauptsächlich als lockerers Korsett und kurzweilige Intermezzi des großen Sachbuchbogens. Steward und Cohen glänzen zwar oft durch ihren Schalk, aber verglichen mit dem Humorvirtuosen Pratchett erscheint ihre Kalauerei ab und zu ein wenig zu harmlos oder zu willkürlich. Wer wilde Bücher mit herumschlenkernden Habitus, z.B. solcher Sachbuchphantasten wie Robert Anton Wilson, Douglas R. Hofstadter oder Rudy Rucker mag, wird mit der stellenweise blumig-albernen Ideenjoungliererei von Steward und Cohen seinen Spaß haben. Was das Hin und Her zwischen Scheibenwelt-Novelle und Sachtext-Argumentation betrifft: Ich selber habe (beim ersten Mal) nicht gewagt, mich dem schwindelerregenden Wechsel auszusetzen, und habe die beiden Stränge jeweils für sich am Stück genossen.

Terry Prattchet, Ian Steward, Jack Cohen: »Die Gelehrten der Scheibenwelt«In der Erzählung des ersten Bandes der Reihe, »Die Gelehrten der Scheibenwelt«, beginnt alles mit Ponder Stibbons (Hex-Experte der Unsichtbaren Universität) Projekt der Spaltung des Thaums (= elementare magische ›X-Teilchen‹), gedacht als billige und effektive Energiequelle und Möglichkeit die Grenzen des Wissens zu erweitern. Da der Energieausstoß so gigantisch ist, dass er das Scheibenweltuniversum zu vernichten droht, leitet man die Energie in eine Glaskugel um, in der es keine Materie, keine Realität und, am wichtigsten, keine Magie gibt. Durch das neugierige Rummgefummel der Zauberer entsteht sozusagen als Unfall unser Universum. Die Zauberer haben ihren ›Videospielspaß‹ damit Materieklumpen aufeinanderzudonnern (= Sonnen zu schaffen), mittels des Schnellvorlaufs die aberwitzig langfristige Entwicklung des Universums auf etwa einen Monat zu verkürzen, und der allerweil hochstressierte weil überängstliche Zauberer Rincewind wird in einer Art ›Virtual Reality‹-Tauchanzug in unser Universum geschickt, um sich vor Ort genauer umzugucken. Die Zauberer verfolgen erstaunt das hartnäckig als Unwahrscheinlichkeit erscheinende Aufkommen von intelligenten Lebensformen. Andererseits drohen kosmische (es reichen auch globale) Katastrophen höhere wie niedere Arten mit Massenexitus. Das Buch klingt damit aus, dass die Scheibenweltgelehrten beobachten wie eine höhere Lebensform die Erde mittels eines Weltraumaufzuges verlässt, rechtzeitig bevor die nächste fiese Eiszeit zuschlägt.

Terry Prattchet, Ian Steward, Jack Cohen: »Die Philosophen der Scheibenwelt«In »Die Philosophen der Rundwelt« gibt es dann mit den parasitären Elfen und ihrer Königin richtige Bösewichter, die sich aus der Scheibenwelt in die Rundwelt eingeschlichen haben, um mit ihrer verführerischen und täuschenden Magie die Menschen in abergläubischer Ehrfurchtsdummheit dümpeln zu lassen und damit zu versklaven. Da die menschliche Gabe der Vorstellungskraft das empfindliche Einfallstor für die Elfenmagie ist, sorgen die Zauberer der Scheibenwelt bei ihrem ersten Rettungsversuch in der Steinzeit dafür, dass die Frühmenschen ihren Hang zum Aberglauben nicht entwickeln[09]. Dadurch aber bleiben die Menschen so beschränkt, dass sie sich nie über das kulturelle Niveau der Steinzeit hinaus entwickeln. Beim zweiten Rettungsversuch, diesmal zur Zeit der englischen Renaissance, trachten die Zauberer deshalb danach, mit der richtigen Art von Geschichten die Kreativität der Menschen über das anfängliche Maß hinaus zu steigern, um die Menschheit gegen die unheilbringenden Elfenverführungen zu immunisieren (wobei Shakespeare und sein Theater ›The Globe‹ eine entscheidende Rolle spielen).

Terry Prattchet, Ian Steward, Jack Cohen: »Darwin und die Götter der Scheibenwelt«Der dritte Band »Darwin und die Götter der Scheibenwelt« nimmt sich dann insbesondere die Evolutionstheorie vor, sowie die Kontroversen über sie, was nichts anderes ergibt, als ein gründlichen Exkurs über die Rivalität zwischen Wissenschaft und Religion. Die Gegner der Menschheit sind diesmal die Revisoren der Realität, ein Rudel ›himmlischer Bürokraten‹, die alle höheren Lebensformen hassen, weil die mit ihrer quirligen Umtriebigkeit nicht zum Ideal der Revisoren von einem wie ein perfektes Uhrwerk ablaufendes Universum passen. Durch die Eingriffe der Revisoren verfasst Charles Darwin statt seiner »Entstehung der Arten« eine »Theologie der Arten«, in der er darlegt, dass die Evolution von der ordnenden Hand eines Schöpfer geleitet wird. Leider führt das Werk zu einer stagnierenden Denkblockade der Menschheit, der Weltraumaufzug droht wieder nicht rechtzeitig zur gnadenlosen Eiszeit fertigzuwerden. Es kommt zu einem aberwitzigen Krieg der Zauberer gegen die Revisoren, in der beide Seiten wieder und wieder in den historischen Zeitenlauf eingreifen. Schließlich verschlägt es Darwin auf die Scheibenwelt, wo er seine Unschlüssigkeiten zur ihn selbst arg beunruhigenden Evolutionstheorie[10] im Gespräch mit dem Scheibenweltgott der Evolution überwindet.

Die Sachtextabschnitte erzählen vom Werdegang der wissenschaftlichen Durchdringung der Welt. Es gibt spannende Anekdoten über Forscher und Philosophen und ihre Heureka- und Homer Simpson-Momente. Berühmt-berüchtigte und nicht so bekannte Gedankenexperimente und Spezialmetaphern sprühen hier Funken und es wird (ziemlich aktuell) über den Stand von kontrovers verhandelten Fragen referiert. Löblich vor allem, dass Wissenschaft hier nicht als Hort absoluter Wahrheiten dargestellt wird. Immerhin, desto eingehender man sich mit irgendeinem wissenschaftlichen Thema beschäftigt, um so deutlicher wird, dass wir Menschen eben nicht genau wissen wie und warum etwas so oder so funktioniert oder beschaffen ist. In einem Podcast der BBC anlässlich des 100-jährigen Jubiläums von Albert Einsteins Publikations-Wunderjahr 1905, sprechen die drei Scheibenweltgelehrten munter über die Ambivalenz der Begriffe Technik und Magie[11], und dass die Phantasie ein eminent wichtiges Talent für jegliche Wissenschaft ist. Tatsächlich muss ja jeder Person, die nicht nicht hinreichend in die Mysterien der Technik eingeweiht ist, ein Mikrowellenherd, Lichtschaltermagie, Fernsehen und Telefon wie Zauberartefakte erscheinen. Banal umschrieben wurde Magie dann angewandt, wenn am Ende eines Prozesses augenscheinlich mehr Ergebnis / Produkt / Auswirkung geerntet wird, als man anfänglich Aufwand / Arbeit / Tat investiert hat. – Die Evolutionstheorie kann hierzu als Beispiel für konkurrierende Erklärungs-Phantasmen dienen. In ihren Rückzugsgefechten um die Deutungshoheit zur Beschaffenheit der Welt, berufen sich die fundamentalistischen Religiösen auf einen Schöpfergott (oder in kosmetischer Verschleierung: auf Intelligent Design), um hochkomplexe Hervorbringungen der Natur, wie das Auge oder den Menschen selbst mit seinem wundersamen Bewusstseinsvermögen, zu erklären. Solche Leute hängen ihre Argumentation an dem Himmelshaken ›Schöpfergott‹ auf, und Gott wird schlicht als wahr vorausgesetzt, basta.[12] Wissenschaftliche Denke aber ist zu der Erkenntnis gelangt, dass genügend Zeit und Variation in kleinteiliger, aufeinander aufbauender Krahnarbeit eben vollkommen ausreichen, um die wundersamen Höhen an Gestaltungsarbeit zu erreichen, als die wir Menschen uns selbst gerne wähnen. Und bezügliche menschlicher Selbsterhöhung hat mich der feinsinnigen Spott des Trios beeindruckt, wenn sie derartige allzumenschliche Schwächen bloßstellen und z.B. lausbübisch statt der selbstglorifizierenden Bezeichnung ›Homo sapiens‹ (Weiser Mensch) den – zumindest auch für mein Empfinden – zutreffenderen Begriff ›Pan narrans‹ (geschichtenerzählender Schimpanse) vorschlagen.

Abschließend ein paar Worte zur neuen deutschen Auflage der Reihe bei Piper-Taschenbuch. Gut übersetzt von Andreas Brandenhorst (Pratchett) und Erik Simon (Cohen & Steward); erfreulich, dass die Paul Kidby-Illustrationen für die Umschlagszier übernommen, und die Reihe schön einheitlich gestaltet wurde. Ein Ärgernis aber ist das Papier, bzw. die Untugend, durch schweres und dickes Papier das Volumen von Büchern künstlich aufzublähen.[13] Die englischen Taschenbücher kann man in der Gesäßtasche einer Jeans mitnehmen, für die deutschen Ausgaben braucht’s schon mindestens Military- oder Baggy-Klamotte mit großen Beintaschen. Zudem finde ich es betrüblich, dass die ausführlichen Stichwort-, Namens- und Werksregister der Originalausgaben nicht übernommen wurden. Nur schwachen Trost spendet da der bibliographische Anhang mit weiterführende Lektüre des dritten Bandes. So lästig diese Makel auch sind, mindern sie nicht die einzigartige Bereicherung, die diese Reihe Wissbegierigen zu bescheren vermag.

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»Die Gelehrten der Scheibenwelt« (»The Science of Discworld 1«) engl 1999, erweitert 2002; 528 Seiten; Piper Taschenbuch 2006; ISBN: 3-492-28616-X
»Die Philosophen der Rundwelt« (»The Science of Discworld 2 – The Globe«) engl. 2002; 478 Seiten; Piper Taschebuch 2006; ISBN: 3-492-28624-6
»Darwin und die Götter der Scheibenwelt« (»The Science of Discworld 3 – Darwins Watch«) engl. 2005; 430 Seiten; Piper Taschenbuch 2006; ISBN: 3-492-26622-3
Alle drei Bücher übersetzt von Andeas Brandenhorst (Pratchett), Erik Simon (Steward & Cohen) und mit Titelbildern von Paul Kidby.

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ANMERKUNGEN:

[01] Beispielsweise das ZDF in der »Aspekte«-Sendung vom 08. September 2006 zum Erscheinen von »Thud!«:

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[02] Zu Pratchett siehe auch »MAGIRA 2003«: »Welt und Spiegel aller Welten« von Lydia Eslinger, S. 267; Carsten Kuhr über »Der Zeitdieb«, S. 327. –/– »MAGIRA 2004«: Erik Schreiber über »Rettet die Rundwelt«, S. 252. –/– »MAGIRA 2004«: Michael Scheuch über die Hörbücher von »Gevatter Tod« und »Wachen! Wachen!«, S. 301. –/– »MAGIRA 2006«: Michael Scheuch über die Hörbücher von »Ein Hut voller Sterne« und »Pyramiden«, S. 405, 408. ••• Zurück
[03] Der moderne Volksmund der Engländer mutmaßt z.B., daß die Eisen-, S- und U-Bahnen auf der Insel dem ungeschriebenen Gesetzt folgen, daß kein Zug losfahren darf, ehe nicht mindestens ein den neuesten Pratchett lesender Fahrgast anwesend ist. ••• Zurück
[04] Menschen haben Menschen gedient, und sich bei Planung und Durchführung der Technik bedient. ••• Zurück
[05] Vielleicht doch genauer: der ›prominenteste Charakter‹? ••• Zurück
[06] Die Portrait-Skizze von Paul Kidby in dem prächtigen Bildband »Die Kunst der Scheibenwelt« (Heyne, 2006) läßt als Bestandteile von Hex u.a. erkennen: einen skeletierten Widderschädel; eine Tastertur mit Hebeln und kleinen Lochkartensteckschlitzen, nebst einem A4-Schreibfederplotter; einen Teddybären; ein nacktes, verknicktes Regenschirmgestell an dem Fische hängen; ein etwas schlapper Wasserball; ein Glockenwindspiel; eine wabbelige Dali-Kuckucksuhr; ein Aquarium; ein Miniatursteinkreis; ein traditionell-geflochtener Bienenkorb; eine Sanduhr an einer kräftigen Federwage; eine Mondphasenuhr, viele viele Zähnräder verschiedenster Größe und das allem zugrundeliegende ameisendurchwuselte (›Anthill inside‹) Gewirr aus Glasröhren, Retorten und Kolbenflaschen. ••• Zurück
[07] Etwa 30% in Band 1 & 2 und 25% in Band 3. ••• Zurück
[08] Ich muß einfach auf Jack Cohens »X-FILES« und »MILLENIUM«-Connection hinweisen. Neben vielen anderen Tätigkeiten arbeitet Cohen als Berater für die Filmindustrie, z.B. wenn möglichst realistische Aliens entwickelt werden sollen. Cohen hat die TV-Leute wohl gehörg beeindruckt, denn der durchgeknallteste Drehbuchautor der für die beiden Serien schrieb, Darin Morgan, hat mit der Figur des SF/Sachbuchautoren Jose Chung eine zum Kringeln lustige Homage auf Cohen geliefert, zu genießen in »Andere Wahrheiten« (»X-FILES«, Staffel 3, olge 20) und »Die Phantasien des José Chung« (»MILLENIUM«, Staffel 2, Folge 9). ••• Zurück
[09] Die schönste mir bekannte Klage über Aberglauben findet sich in Caesars erstem Tagebuchbrief an Lucius Mamilius Turrinus aus Thornton Wilders »Die Iden des März« (1948):
Dem Paket dieser Woche schließe ich ein halbes Dutzend jener unzähligen Berichte bei, die ich als Pontifex Maximus von den Auguren, Wahrsagern, Himmerlsbeobachtern und Hühnerwerfern erhalte. Was ist zu tun? Ich habe diese Last von Unsinn und Aberglauben geerbt. Ich regiere unzählige Menschen, muß aber anerkennen, daß ich von Vögeln und Donnerschlägen regiert werde. Das hemmt und hindert häufig die Staatsführung. {…} Vor allem wird durch diese Observanzen der wahre Lebensgeist im Gemüt des Menschen angegriffen und untergraben. Sie gewähren unsern guten Römern vom Kehrichtfeger bis zum Konsul ein unbestimmtes Gefühl der Zuversicht, wo es keine Zuversicht gibt, und flößen ihnen gleichzeitig eine Ängstlichkeit ein, die weder zum Handeln anspornt, noch den Geist erfinderisch macht, sondern nur lähmt. Mit den anderen Feinden der Ordnung läßt sich fertigwerden.

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[10] Apropos: Eine alternativ-historische Fantasy-Auseinandersetzung mit der vielleicht großartigen Idee aller Zeiten, der Evolutionstheorie, legte der von mir letztes Jahr für »Aether« (»The Light Ages«) gelobte Ian R. McLeod 2005 mit »House of Storms« vor. ••• Zurück
[11] Zum Übersicht der Podcast-Reihe »Relatively Einstein« der BBC. ••• Zurück
[12] Etwas origineller ist das Manöver der transzendenten Metaverkettung von Himmelhaken. Wenn der buchstäblich im Nichts hängende Himmelshaken an einem übergeordneten Himmelhaken befestigt ist, und dieser wieder an einem noch höheren Himmelshaken … ad infinitum. ••• Zurück
[13] Auch der Heyne-Verlag ließe sich da wegen seiner Aufbereitung der »WÄCHTER«-Tetralogie von Lukianenko rügen. Legt die gewichtige Mehrheit der (womöglich überwiegend jugendlichen, leichtblendbaren?) Leser tatsächlich Wert auf solche ›Ich tu so, als ob ich dicker (= wichtiger? seriöser?) wär‹-Ausgaben? Ist das so ein haptischer Fetischismus? Bestehen richtige Genre-Leser womöglich auf derartig aufgeblähte Mimikri-Ziegel? ••• Zurück
Sonntag, 24. Februar 2008

Gezeichnetes Tagebuch & Fehlgeschlagene Ideale

(Eintrag No. 477; Woanders, Zeichenkunst, Humorskribbel) — Ich freue mich ganz besonders, dass ich Euch verehrte Leser heute dazu anstiften kann, sich der zeichnerischen Werke zweier Freunde der Molochronik zu widmen.

Zum einen: Tagebuchforscher, Medien- und Kunstwissenschaftler aufgepasst!

Es gilt ein großartiges Zwitterwerk zu entdecken, denn vor einigen Tagen hat mein Wiener Haberer und Kunst-Kammerad David Ramirer eines seiner schönsten und erstaunlichsten Werke aus seinem reichhaltigen Fundus zugänglich gemacht. Siebzig Scans umfasst dieses Flickr-Album mit den (inkl. Vorder- und Rückumschlag) 140 Seiten visuell geführtem Tagebuch aus dem Jahre 1993. — Nehmt Euch Zeit und staunt und genießt! Wagt es, Euch auf die wagemutige Großzügigkeit und wortwörtliche ›Offenherzigkeit‹ von Meister Ramirer einzulassen.

Zum anderen: Melancholischer Slapstik!

Ebenfalls jüngst erreichte mich die Meldung von Molochronik-Mitglied ishiro (aka. Jueps), der unter »ideals gone wrong« begonnen hat, ›lustige Zeichnungen‹ zu verbreiten. Ich finde Jueps Arbeiten bewundernswert, mit ihrer berührenden Mischung aus krudem Blödsinn & schönster Weltschmerzschwelgerei. — Ich hoffe, die Sammlung wird sich eines gesunden Wachstums erfreuen!

Samstag, 23. Februar 2008

Wieder mal: Fantasy und Phantastik und was die wert sein sollen

Eintrag No. 476 — Ein Artikel erregte meinen Unmut, bzw. regt mich an, ein wenig ›Notizenmaterial zum Kapieren‹ oder auch des Widerspruchs unters Volk zu streuen.

In dem umständlich benamsten Artikel »Warum ein Jugendbuch literarisch noch viel bedeutsamer ist als das Lob der Kritiker erkennen lässt und der Buchbranche als Wegweiser dienen könnte« von Buchmarkt-Chefkolumnist Gerhard Beckmann, werden zwei Anliegen miteinander ungeschickt vermischt und dabei entsprechend wischi-waschi m.E. Blödsinn verbreitet. — Zum einen steht er dort als begeisterter Empfehler Wieland Freunds und dessen Phantastik-Roman für junge Erwachsene »Jonas Nichts« bei. Ich hab das Werk noch nicht angeschmeckt, aber wenn ich Beckmanns Ton den er anschlägt lausche, scheint das Buch bisher nicht so dolle angekommen zu sein. So legt sich Beckmann ins Zeug »Jonas Nichts« anzupreisen und zu loben, und tut (das allein ist ja noch nicht rügenswert) in dem er dieses Buch abgrenzt gegen vermeindlich Schlechtes und Zeihenswertes. Und so nennt er zum anderen das Übel pauschal ›Fantasy‹ und haut munter drauf ein, wenn er schreibt…

Denn die Fantasy-Literatur spielt in fiktiven übernatürlichen, magischen Reichen, die als (in sich) real geschildert werden. Kulturell, politisch wie sozial spiegeln sie — natürlich stark idealisiert — gewöhnlich eine weit zurückliegende Epoche, rückständige Gesellschaftsordnung und archaisch religiöse Verhältnisse. So etwas fällt unter den allgemeinen Begriff Fantastik. Seit Fantasy gegen Ende des vorigen Jahrhunderts aber zu Massenbuchware wurde, seit sie zu einem eigenen populären Genre geworden ist, werden ihre Titel – häufig serienweise – zunehmend noch aus immer gleichen Versatzstücken zusammengeschustert.
Erwachsene Leser, die für ihre Sehnsüchte in der modernen Realität keine Befriedigung finden und sich in solche Lektüre flüchten, riskieren, dass die schon entwickelten Keime und Energien schöpferischer Phantasie sich zurückbilden. Für Kinder aber besteht die viel größere Gefahr, dass diese kreativen Energien und Fühler sich gar nicht erst entwickeln und damit auch ihre Fähigkeit zu spielen verkümmert. So paradox es klingt: Die Fantastik der Fantasy-Literatur nimmt ihnen die Phantasie.

Das ist in mehrfacher Hinsicht so falsch, dass ich es als Gag so stehen lasse.

Mich ärgert was anderes: Phantastik wird bei sehr vielen unterschiedlichen Namen gerufen: ›Horror‹ oder ›Science Fiction‹ zum Beispiel, und schon immer wichen jene, denen diese Ettiketten (oder andere) zu lasterhaft dünkten, darauf aus, dass sie feinere Bezeichnungen heranzogen, wie z.B. eben ›Phantastik‹ oder ›Magischer Realismus‹ (mensch kann dieses Nobilitierungsspiel auch am Pärchen ›Comics‹ = Bäh und ›Graphic Novels‹ = Edel-edel beobachten). Und richtig wirr wird es, wenn ein holistischer Larifari wie ich zu Bedenken gibt, dass ›Phanastik‹ auch oftmals zum Schimpfwort verkommt, wenn man damit z.B. Parteiprogrammtiken (siehe ›christliche Wurzeln Europas‹ a la Söder und Co.) oder die reichlichen Erzeugnisse ideologischer und theologischer Dichtung als Blumen im Beet der Phantastik bezeichnet. Da schwingt dann deutlich der Vorwurf ›Hirngespinst‹ mit ›Täuschung‹ mit.

Im Anglo-Amerikanischen hat sich erst in der vergleichsweise jüngeren Vergangenheit in einem Prozess von ca. Mitte der Fünfziger bis Anfang der Achtziger des 20. Jhds. der Begriff ›Fantasy‹ für eine gewisse Fiktions-Spielart eingeschliffen; ein Begriff, der gerade durch seine oft undifferenzierte und den Vermarkungsschubladen der Verlagsprogrammatik naiv folgenden Nutzung m.E. mehr Verwirrung als Orientierung stiftet. In den letzten Jahren kommt es auch im Anglo-Amerikanischen wieder zu Wortmeldungen, die an die nicht so enge (Genre-)Bedeutung des Begriffs ›Fantasy‹ erinnern, an eine Zeit bevor vor allem die mächtigen Werke Tolkiens das Terrain erschütterten und eine Schar Nachfolge-Pfadfinder ermunterten, Derivative von unterschiedlichster Güte zu produzieren. (Auch der Aufstieg von Rollenspielen darf hier nicht unterschätzt werden. Rollenspiele kommen mit ihren Regelapperaten nicht umhin, die ›Sekundärwelten‹ die sie als Spielraum aufziehen, zu sortieren, schematisch zu unterteilen.) China Miéville, M. John Harrison oder Neil Gaiman geben Beispiele für derartige kritisch-genre(selbst)bewußte Reflektionen zum Begriff ›Fantasy‹.

Als ›Gegengift‹ zu Beckmanns Pauschal-Klatsche möchte ich deshalb ein Zitat des englischen Edel-Literarten Ted Hughes anbieten, der in seinem Essay »Mythen und Erziehung« von 1976! (aus »Wie Dichtung entsteht«, Insel Verlag, 2001) über den grundlegenden Sinn und Zweck von Phantastik schrieb, und besser ausdeutet, was die Attraktion und den Wert dieses fabulatorischen Modus ausmacht.

Das Wort ›Phantasie‹ bezeichnet gewöhnlich nicht viel mehr als die Fähigkeit, ein Bild von irgendwas in unserem Kopf zu erschaffen und dieses dort festzuhalten, während wir darüber nachdenken. Da dies die Grundlage beinahe aller unserer Handlungen ist, kommt es zweifellos sehr darauf an, ob unsere Phantasie eher stark oder schwach ist. Die Erziehug vernachlässigt diese Fähigkeit vollkommen.
{…} Der dämonisierte Zustand unserer Welt ist millionenfach spürbar geworden. Wie kommt es, dass Kinder sich so zu ihr {der Phantastik} hingezogen fühlen? Jedes Kind ist eine Chance der Natur, die Fehler der Kultur zu korrigieren. Kinder sind ihr {der Welt} gegenüber höchst sensibel, weil sie am wenigsten durch wissenschaftliche Objektivität für ein Leben in der Kameralinse konditioniert wurden. Sie haben ein doppeltes Motiv, aus der Linse auszubrechen. Sie wollen der Häßlichkeit der entspiritualisierten Welt entfliehen, in welcher sie ihre Eltern eingesperrt sehen. Und sie sind gewahr, dass diese innere Welt, die wir von uns gewiesen haben, mehr ist als nur ein Inferno verkommener Impulse und verrückter Explosionen verbitterter Energie. Unser wahres Ich liegt da unten. Da unten, vermengt mit all dem Wahnsinn, liegt alles, was einst das Leben lebenswert machte. All die verlohrene Bewußtheit und die Kräfte und Bindungen unseres bilogischen und spirituellen Seins. Die Versuche, dieses verlorene Erbe wieder anzutreten, nehmen viele Formen an, und sind das Hauptanliegen eines Schwarms von Kulturen.
{…}Objektive Phantasie {welche die Äußere Welt betrachtet und erforscht und aneignet} also, so wichtig sie ist, riecht nicht aus. Wie wäre es mit einer ›subjektiven Phantasie‹? … Das eigentliche Problem kommt mit dem Umstand, dass die äußere und die innere Welt jederzeit voneinander abhängig sind. Wir sind einfach der Ort ihrer Kollision. Zwei Welten, mit einander widersprechenden Gesetzten oder Gesetzten, die uns als solche erscheinen, prallen jede Sekunde aufs neue aufeinander, kämpfen um friedliche Koexistenz. Ob es uns gefällt oder nicht: unser Leben ist das, was wir aus dieser Kollision und diesem Kampf machen.
Was wir also offensichtlich brauchen, ist eine Fähigkeit, die beide Welten gleichzeitig umfasst. Ein großes, flexibles Verständnis, eine innere Vision, die wie ein großes Theater die Wettkampfarena weit offen hält und die beiden Seiten gleichzeitig Respekt zollt. Die, wie Goethe sagte, der der Dinge und der Geisterwelt gleichermaßen die Treue hält.

Beckman tut mit seinem Artikel Wieland Freund m.E. keinen Gefallen. Welche potentiellen jungen oder erwachsenen Phanatstik-Freund werden nach seinem tollpatischen Rumpeln gegen ›DIE Fantasy‹ noch Bock haben »Jonas Nichts« eine Chance zu geben? Wer so mit dem Oberlehrer-Zeigefinger wedelt, macht keine Laune. Da bleibt mir nur, entsprechend mit dem Zeigefinger zurückzuwedeln.

Für mich als gnadenlos von den phantastischen Literaturen und Modi Hingerissener besteht der Wert der Phantastik ganz allgemein darin, dass dieser Modus des phantastischen Erzählens, Reflektierens und Spekulierens über die Welt die stärksten und mächtigsten Instrumente eben dazu liefert um über sich selbst, ›Gott und die Welt‹ nachzudenken und zu verhandeln. Zugestanden: zugleich gehen damit aber auch intensivere Gefahren einher, da die Phantastik der Psychagogen, Demagogen, Schwarzmagier, (Stimmungs-)Giftmischer und Schadenszauberer dazu führen kann, dass die Leute und die Gesellschaft ihre kostbaren Tat- und Denk- und Empfindungs-Ressourcen verschwenden für Verwirrung, Missverständnisse, Täuschung, Illusionen, Zwist & Tatenlosigkeit. — Ich halte es jedoch für kreuz-fatal, wenn man angesichts dieser mit der Phantastik verbundenen Gefahren zusammenzuckt und sich auf ein (vermeintlich) sichereres Terrain des so genannten (puristsichen) ›Realismus‹ zurückzieht, oder Klein-Klein-Gefechte aufführt indem man verschiedene Ettikettenworte, die alle unter ›Phantastik‹ subsummiert werden können, gegeneinander auszuspielen trachtet.

Nicht, dass man mich falsch versteht: Natürlich lässt sich über Wert und Unwert einzelner Phanatstik- oder Kunst-Strömungen trefflich streiten, und das sollten wir (die Leser, Autoren und Kritiker) auch. Aber Werten hängt immer vom jeweiligen Standpunkt, der jeweiligen Lebenslage, Welt-Erfahrung und Befindlichkeit ab. Meiner Meinung nach kommt man also auch beim Versuch, möglichst objektiv über diese Dinge Aussagen zu tätigen nicht umhin, den Empfängern faire Einblicke in die eigene subjektive Sender-Verfassung zu gewähren, damit der Empfänger ‘ne Ahnung davon bekommt, von wo aus und zu welchem Zweck mensch Aussagen und Wertungen anstellt.

Dazu nochmal eine kleine Schau auf ein Gegensatzpaar in das mensch, wenn mensch will, die Bedeutungs- und Werte-Ebenen auseinander sortieren kann. (Ich mixe dabei munter den bereits erwähnten Ted Hughes mit Fetzen aus den Werken von Peter Sloterdijk und dem Ethnologen Hans Peter Duerr … Fetzen, die sich halt in meinem Hirn sinnfällig zusammengefunden haben):

  1. Die intimere, intensivere Ebene der eigenen Person, der eigenen Gruppe oder Kultur (der kleineren und mittleren ›Blasen‹). Das sind die Werte der überschaubaren Gruppe, des Stammes, Clans, der Familie, des Dorfes und der Kleinstadt usw. Man nennt das auch die tribalistischen Werte der Untergruppen gegenüber der Welt. Die entsprechenden Zusammengehörigkeits-Mythen werden oftmals als spießig, altmodisch, beschränkt und einengend bezeichnet oder empfunden (man denke an die ständige Beäugung durch die eigene ›Peer Group‹, den eigenen Stamm, die starken Spannungen, Vergleichs-Animositäten und wilden Gerüchte dieser ›Bei uns hat man das immer schon so gemacht‹- und ›Wo kämen wir denn dahin‹-Werte).
  2. Die konfusere, relativistischere Ebene des Verbundes oder der Summe von Gruppen (die kleinen, mittleren und größten ›Blasen‹ die zusammen als ›Schaum‹ gesehen werden können … maximal eben der Schaum der globalen Menschheit, der sich aus den vielen vielen Untergruppen-Blasen mit ihren jeweiligen Traditionen und Interessen zusammenfügt). Die entsprechenden, arg in Verhandlung und deshalb Wandlung befindlichen Global-Mythen werden oftmals als flach, beliebig, leer, degradiert und herabsetzend bezeichnet (man denke an den Vorwurf gegenüber der Moderne oder Postmoderne, nur Wischiwaschi zu liefern, an die Gefahren des Nihilismus, der Entmutigung angesichts von Entfremdung durch Zweckrationalismus).

Zwischen diesen beiden Ebenen gibt es eine Barriere, einen Zaun, und alle Menschen sind mehr oder weniger ständig auf einer ›Queste‹ zwischen dem Hüben und Drüben zu vermitteln, einen persönlichen Ausgleich zu schaffen.

Herr Beckmann als Chef-Kolumnist des angesehenen Branchenblattes »Buchmarkt« inokkuliert seinen Beitrag leider nur ungeschickt. Statt sich darüber aufzuregen, dass die Verlage und Marketingleute uns ärgerlicher weise zuschütten mit schlechter oder auch nur seichter Serien-Phantastik, sollte er sich lieber weiterhin (wie er es lang schon macht) für eine bessere Ausbildung der Buchhändler einsetzten. Phantastik (und Fantasy) ist ein riesiges Terrain. Da tut’s so ein plattes Zitieren überkommener Vorurteile kaum. So hätte Beckmann z.B. ruhig den Mut haben können, auszudeuten, dass es schon die Werke der ehrwürdigen ›Fantasy‹Klassiker Lewis und Tolkien sind, die nur so strotzen vor platt-naivem Mittelalter-Nostalgik, und dass es aber heutzutage durchaus ›Fantasy‹-Novitäten gibt, die — obwohl sie einige Aspekte dieser Strömung weiterführen — von einem sehr modernen Weltverständnis ausgehen, wie Hal Duncan, Steven Erikson oder eben mein persönlicher Favorit China Miéville.

Freitag, 22. Februar 2008

»Schnell wird es Nacht«

(Eintrag No. 475; Musik, Woanders, Zwischenorienierung) — Ganz schnell nur. Allen, die sich wundern, was aus meinem ›ich will 2008 täglich bloggen‹-Vorsatz wurde, sei gesagt: Am Sonntag/Montag war antville down, kaporres, offline. — Und gestern hatte ich Arbeit Arbeit Arbeit bis oben hin, bis kein Platz mehr war für anderes. — Zwischendurch zeichne ich wie wild Portraits für’s diesjährige (achte) »Magira«, transkripiere & übersetzte Interviews und bossle an weiteren Folgen der Reihen »Bibliothek von Babel«-Wanderungen und »Sandman«-Handreiche.

Jetzt nur ganz schnell, meine jüngsten Umsonst-Musik-Funde mit (bei LastFm und/oder C|Net-Musicdownload. Die direkten Links rauszufiddeln ist mir grad zu viel. — Stichwort: Urban Folk und Progressive Bluegrass.

  • Ani DiFranco, vor allem ihr Song »Both Hands« hat’s mir angetan.
  • Split Lip Rayfield, mit »Should Have Seen it Coming«
  • Richtig fetzig find ich die The Meat Purveyors die tollen neuen Punk-Bluegrass machen. »TMP Smackdown« wendet sich also an Hörer, die entweder zu jung, oder zu besoffen sind, um mit zu kriegen, was Bluegrass eigentlich ist (traditionelle Musik, also Volkskulturpflege und so).

Und einen neuen, wirklich guten Minmalisten habe ich entdeckt: den Hongkonger Alan Morse David, der von der Ballettmusik kommt. Vor allem die 5 Anschmeck-Tracks der Reihe »Night Falls Fast« find ich doll. Sowas geht mir seit Jahren auch oft durch den Kopf. Endlich hats mal einer ausgeschrieben und eingespielt!

Mittwoch, 20. Februar 2008

Wer wäre nicht gern ein »Städtischer Untoter«?

(Eintrag No. 474; Woanders, schöne Zeitverschwendung) — Letztens stolper ich über die Netzelecke von Kevan Davis, dessen Vielseitigkeit mich schlicht plättet. Ein Genie, anders kann ichs nicht zusammenfassen. Hier nur ein paar Beispiele seines Ideenreichtums.

Ach ja: Alles auf Englisch.

Erfahrungspunkte einheimsen für Hausarbeiten und sonstige Alltags-Pflichten? Bitteschön, dann bei »Core Wars« tummeln, die eigene WG oder Bürogemeinschaft anmelden und sich der Queste verschreiben, wer der Sauberheld der Gruppe ist.

Oder einfach nur Lust auf sinnloses Geprügel zweier Affen deren Kampffähigekten durch den eingegeben Namen ausgetrudelt werden? Bitteschon, dann auf zu »Food Eating Battle-Monkeys«.

Fast angemeldet (und immer noch am zucken, ob nicht doch) hätte ich mich ja hier: dem 20.000 Mitspieler (und ca. 830.000 Figuren) umfassenden Browser-Zombi-Rollenspiel »The Urban Dead«. Vielleicht melde ich mich ja noch an, aber ich habe Angst davor, dann wieder viel Zeit zu verschwenden. — Wenigstens ‘ne Tasse werd ich mir wohl irgendwann bestellen.

Immer wieder schön und von mir mittlerweile oft geklickt wurden die Träume vom Antiterror-Spezialisten Jack Bauer auf »24 Dreaming«. Ich hab ja nur ein paar Folgen der TV-Serie geguckt und für zu mau befunden. Aber eine Serie die mit folgendem Intro anfängt, würde ich sofort einschalten (Schnellübersetzt von mir):

»In diesem Augenblick planen Särge einen rattenarschigen Wassersprinkler in die Luft zu jagen. Meine Handtasche und mein Fischadler sind nach Norden ausgerichtet, und Konkubinen mit denen ich arbeite könnten kriminell sein.

Ich bin Federal Agent Jack Bauer, und das ist der selbst-haftenste Mumin meines Lebens.«

Dienstag, 19. Februar 2008

Gnadenfrist für Wackelkandidaten

(Eintrag No. 473; Wartung, Volkszählung)Vor einem Monat begann meine Bestandsaufnahme der registrierten Mitglieder der Molochronik mit Bitte um eMail-Bestätigung, damit ich etwaige schwarze Schafe aussortieren kann (falls ein Mitglieds-Konto nur als spamtechnische Fassade dient).

Ich danke allen, die innerhalb der Frist bis heute reagiert haben. An unklare Wackelkandidaten habe ich heute eine zweite eMail geschickt, mit der Bitte sich bis zum 26. Februar 2008, also Dienstag nächster Woche zu melden. Ansonsten werden deren Mitglieds-Konten hier gelöscht.

Es handelt sich dabei um:

  • chesire_cat
  • cialis
  • georgefra
  • keuner
  • kromone
  • MariaAnn
  • micc
  • molily
  • rtsffrx
  • schnappüber
  • uadalrik

Eine andere Möglichkeit mir kund zu tun, dass ich es bei den genannten Mitgliedern mit Menschen zu tun habe, wäre, im Profil den Link zur jeweiligen eignenen Homepage, Website oder zu einem Blog einzupflegen. Kommerzlinks zu gewerblichen Internet-Seiten werden gelöscht!

Danke für die Aufmerksamkeit Beste Grüße Alex / molosovsky

EDIT-ERGÄNZ: 28. Februar 2008 So. Die Frist sich bei mir zu melden ist mehr als abgelaufen und die oben aufgeführten Mitgliederkonten sind gelöscht worden.

Montag, 18. Februar 2008

Portrait: Matt Ruff

(Eintrag No. 472; Portrait, US-Autor, Phantast) — Gezeichnet nach einem Photo, dass ich anläßlich des Interviews mit Matt am 06. Februar im Euroturm zu Frankfurt gemacht habe. Gezeichnet habe ich das Portrait für das im Sommer/Herbst erscheinende »Magira« Fantasy-Jahrbuch 2008.

Faber Castell PITT Artist Pen ›M‹, ›S‹, ›F‹; ca. 120 x 135 mm, 17. Februar 2008.

Matt Ruff in Frankfurt

Edit-Ergänz: Mittlerweile hat Matt in seinem Blog über seine Europa-Tour berichtet. Hier geht’s zum zweiten Teil, wo er über seine Reise in Deutschland schreibt. Ich bin ganz gerührt, dass er dort mein Portrait mit seinen internationalem Publikum teilt.

Und hier noch zu meinen beiden Molochronik-Eintragen zu Matts Büchern:

Samstag, 16. Februar 2008

Meine liebste ›Fantasy‹-Mukke: Ralph Vaughan-Williams und seine »Fantasia on a Thema by Thomas Tallis«

(Eintrag No. 471; Musik, ›typisch‹ England, Streichorchester, Renaissance & Moderne, Agnostik) — Heut knall ich Euch mal wieder besten Bildungsbürgerkrempel vor die Füß’. Im Thread »Fantasy und Musik« senfte ich gestern meinen Teil dazu, und bin dann, über welche Google-Pfade genau, weiß ich schon nicht mehr (es hatte aber was mit dem Unterschied / Streit zwischen ›absoluter‹ und / versus ›programmatischer‹ Musik zu tun) bei Ralph Vaughan-Williams (1872 - 1958) gelandet.

Diesen englischen Komponisten des letzten Jahrhunderts habe ich als Teen für mich entdeckt (ich glaub, durch die Life-TV-Übertragung der Eröffnung eines Schleswig Hollstein-Musikfestivals) und bin seitdem ein ›Fan‹ von seinem Zeug. — Bei uns kennt man wohl noch am ehesten seine »Fantasia on Greensleves« und eben das Stück, das auch zu meinen absoluten Favoriten aller Zeiten und Musikrichtungen gehört: die »Fantasia on a Theme by Thomas Tallis«.

Vaughan-Williams machte sich u.a. mit diesem Stück einen Namen als ›verrückter, junger, moderner Komponist‹, denn im Jahr seiner Erstaufführung, 1910, war dieses Stück in der Tat etwas Unerhörtes. — Es freut mich, dass bei lastfm die Möglichkeit besteht, eine komplette Aufnahme in guter Qualität zu hören, eingespielt vom New Zealand Symphony Orchestra unter der Leitung von James Judd (als CD bei Naxos erschienen).

Manche werden das Stück vielleicht wieder erkennen, denn es begleitet sehr effektvoll eine der tragischsten Szenen des brillianten Historienabeneteurfilms »Master and Commander«.

Das von Vaughan-Williams in der Fantasia verarbeitete Thema hat Thomas Tallis (ca. 1505 - 1585) — einer der großen Meister der elizabethanischen ›Golden Age‹ englischer Renaissance-Musik — 1567 für ein Psalter-Gesangsbuch des anglikanischen Erzbischofs von Canterbury geschrieben. Damals, mitten in den Auseinandersetzungen zwischen dem anglikanischen und dem katholischen Fraktionen, haben die Leute zu dieser Melodie folgenden kämpferischen Text gesungen:

Why fum'th in fight the Gentiles spite, in fury raging stout? Why tak'th in hand the people fond, vain things to bring about? The Kings arise, the Lords devise, in counsels met thereto, against the Lord with false accord, against His Christ they go.

Später dann (1906), legte man andere, zahmere Psalm-Verse auf diese im phrygischen Modus gehaltene Melodie.

Wer gut genug Englisch versteht, sollte sich unbedingt die folgenden sechs Teile einer Sendung der Reihe »Discovering Music« von BBC 3 gönnen. Darin wird erfreulich genau die »Fantasia on a Thema by Thomas Tallis« auseinandergenommen und erklärt.

Teil 1 / Teil 2 / Teil 3 / Teil 4 / Teil 5 / Teil 6.

Es gibt mittlerweile viele viele Einspielungen dieses Stückes. Die beste ist für meinen Geschmack (ich mags als durch Leonard Bernstein, Riccardo Muti und Claudio Abbado und Günter Wand Geprägter eben satt, mit wumms und mächtig brazend) die durch das »Orpheus Chamber Orchestra«, aufgenommen für »Deutsche Gramophon«.

•••

Für alle, die des Englischen nicht so mächtig sind, hier notizenhaft eine Zusammenfassung der Ausführungen au der BBC-Doku »Discovering Music«.

Teil 1 stellt das Stück erstmal als eine Kompositionen vor, die dafür bekannt ist, etwas essentiell ›typisch Englisches‹ auszudrücken, was schon in der Besetzung zum Ausdruck kommt, nur Streicher welche damals, 1910, viele englische Zeitgenossen hingerissen hat. Es folgt ein Beispiel der ursprünglichen Tallis-Hymne für Chor, ganz geprägt von einer ›maskulinen Christlichkeit‹, protestantisch und kämpferisch der ›heidnischen Bedrohung durch die katholischen Spanier‹ entgegentretent, äh, -singend. Vaughan-Williams nimmt dieses Thema und verarbeitet es von Beginn an mit einigen sehr tiefgründigen Strömungen, die auf mehr verweisen als nur ›Englischhaftigkeit‹. — Zuerst wird das Thema von gezupften Cellos und Violas vorgestellt, worauf gestrichene Geigen gesangartig antworten. Mit melancholisch-suchender Geste wird das Thema dann richtig etabliert, mit dunklem Klang aber den hellen, schimmernen Noten der ersten Geigen. Das ist Welten entfernt von der Einfachheit der ursprünglichen Tallis-Fassung. Die schimmernden Harmonien lassen an einen Glorienschein denken. Worauf dieser Schein verweist, zeigen die allerersten fünf getragenen, weitgefächterten Akkorde. Vor allem der erste Akkord klingt besonders gespenstisch, mit einer seltsamen aetherischen Resonanz von ›ursprünglicher Reinheit‹. Auf diesen ersten Klang wird das Stück noch einige Male zurückkommen. Es ist ein G-dur-Akkord, der sich über die gesamte Spannweite des Streichorchesters erstreckt.

Teil 2 lenkt die Aufmerksamkeit auf das Nachhallen dieses ersten Akkordes. Das ist ein sorgfältig eingestzter Effekt, denn die einzelnen Noten des Akkordes (g, b und d) lassen die g- und b-Seiten der Streichinstrumente sympathisch warm mit- und damit nachklingen. Aber was will Vaughan-Williams mit diesem leuchtenden, aetherischen G-dur-Klang darstellen? — Um dem nachzuspühren, werden zwei andere Orchesterstücke erwähnt, die auf überraschend ähnliche Weise diesen Effekt nutzen: Paul Hindemiths Symphonie »Mathis der Maler« von 1938 (übrigens dem »Batman«-Thema von Danny Elfman sehr ähnlich) und Charles Ives »The Unanswered Question« von 1908. Ives trachtet mit seinem Stück die schweigende Transzendenz des (Welt-)Raumes darzustellen, und dessen unerforschliche Geheimnisse. — Vaughan-Williams war aber einer, der es nicht mochte seinen Hörern auszudeuten, was seine Musik genau bedeutet. »Können die Leut’ nicht verstehen, dass ein Mann einfach nur eine Melodie niederschreiben will?«, grummelte er, als Musikkritiker seine 6. Symphonie als »A War Symphony« beschrieben. — Dennoch: der eröffnende G-dur-Akkord gewährt für einen Augenblick die Vision von etwas Überirdischem, die aber dann verblasst und abgelöst wird durch Fragmente der Tallis-Hymne. Um diese Deutung zu untermauern, greift die Dokumentation auf ein früheres Stück von Vaughan-Williams zurück, »Toward the Unknown Region«, nach Versen des amerikanischen Dichters Walt Whitmann. In »Toward the Unknown Region« geht es um den Tod, auf den aber vielleicht eine Wiedergeburt folgt; was aber auch nur im übertragenen Sinne gemeint sein könte (also als ›los- und hinter sich-lassen um sich erneuern zu können‹.) Durchaus plausibel, dass auch die Tallis-Fantasia sich in unbekannte Gefilde aufmachen will.

Teil 3 untersucht nun genauer, wie Vaughan-Williams die Melodie von Tallis entwickelt. Bemerkenswert ist die große rhythmische Ungebundenheit des Tallis-Themas; zwar ist die Melodie in einem langsamen 3/4-Takt notiert, aber sie fließt und wabert mal schneller, mal langsamer. Auch die Harmonik erscheint unstabil, denn sie legt sich nicht auf G-dur oder g-moll fest. Das liegt an der von Tallis verwendeten alten phrygischen Tonart mit ihren verminderten ersten und letzten Intervall. Für an moderne Tonarten (seit der Temperierung der Tonleiter) gewohnte Ohren klingt das eigenartig ruhelos. — Weiter geht’s damit, dass die Cellos wieder nach dem anfänglichen geheimnisvoll-friedlichen Glanz des G-Dur-Akkord streben, jedoch wieder absinken, während die Geigen und Violas die steigende Bewegung aufgreifen und fortsetzten. Das läßt dann an die aufstrebenden Säulen einer alte Kathedrale denken.

Teil 4 setzt dann bei der Stelle ein, als dieses Strecken und Auffächern zu dem G-dur-Akkord gefährdet wird durch eine g-moll-Unterbrechung. Aber gleich macht sich das Streichorchester noch mal auf, zurückkehren zu wollen zur ursprünglichen Glorien-Vision, nach dem Scheitern nun aber mit heftigerer und auch dunklerer Intensität (dies ist auch die Passage, welche in »Master & Commander« verwendet wurde). — Dieser zweite Versuch kommt aber nicht zu einem richtigen Zwischenstop, sondern verliert sich in unheimlichen Wiederholungen, die zudem immer weiter vom G-Dur-Ursprung wegdriften. — Nun macht Vaughan-Williams etwas sehr Ungewöhnliches, indem er das Streichorchester in zwei Teile spleißt: einen großen Hauptkörper und einen entfernteren kleineren Kammerorchester. Ein Dialog beginnt, mit mutig-kräftigen Phrasen des Hauptorchesters und gesangsartigen Erwiderungen des Kammerorchesters. Dieser Gegensatz zwischen dem warm-strebsamen, nahen menschlichen und den körperlos-fernen, überirdischen Klängen wird noch deutlicher werden. Diese Passage ist geprägt vom Umhertasten und der Suche nach den anfänglichen, reichen und schönen G-Dur-Klang. — Hier wird nun auf ein anderes Stück von Thomas Tallis verwiesen, »Spem in alium«, das ebenfalls sehr geschickt raumklanglicher Effekte nutzt. Bemerkenswert auch, dass der Text von »Spem in alium« sich mit der auf Gott vertrauenden Hoffnung beschäftigt. Ist es zu abwegig anzunehmen, dass Vaughan-Williams mit seiner »Fantasia on a Theme by Thomas Tallis« auf eine ähnliche Art und Wiese die Sehnsucht nach spritueller Gewissheit und Hoffnung zum Ausdruck bringen möchte wie Tallis selbst? — Weiter gehts mit einer Solo-Viola, die ein Thema der Tallis-Hymne aufgreift und einen neuen Abschnitt beginnt, fast schon improvisierend, als ob hier ein einzelner Musiker für sich selbst in Gedanken versunken vor sich hin fiedelt. Die beiden Streichorchester erinnern zwischendurch an das Ursprungsthema und wo es herkommt. Weitere Solo-Streicher greifen die Viola-Improvisation auf und entwickeln sie weiter zu einem Streichquartett, das aber überhaupt nicht wie ein ›klassisches‹ Streichquartett klingt. Der Rhythmus ist so ungebunden, dass es schwer ist überhaupt einen festen Takt auszumachen und die Stimmen wogen in einer frei fließenden Polyphonie. Das klingt, als ob vier Folk-Musiker auf der Höhe ungezwungenen Improvisierens miteinander musizieren.

Teil 5 spekuliert nun, ob Vaughan-Williams tatsächlich an Folk-Musiker dachte (= ›Volksmusikanten‹, nicht zu verwechseln mit ›volkstümlichen Musikanten‹), die für eine andere Art von Ursprünglichkeit stehen könnten als die alte Kirchenmusik. Vaughan-Williams war immerhin von Folkmusik fasziniert, machte sich oftmals auf sie zu suchen und aufzuschreiben und sie somit vor dem Vergessen zu bewahren. Auch läßt die Streichquartett-Passage an die Musik von Henry Purcell und William Lawes denken, die ebenfalls zur Zeit, als Vaughan-Willliams seine Tallis-Fantasie schrieb, nach Langem wiederentdeckt wurden. — Markant erwähnt wird nun der Titelbegriff »Fantasia«, als ob Vaughan-Williams damit sagen wollte, dass es sein Ansinnen war, ein Resumme über die ferne musikalische Vergangenheit seines Heimatlandes zu komponieren. »Hier in dieser von uns vergessenen Musik«, scheint Vaughan-Williams sagen, bzw. zeigen und erscheinen lassen zu wollen, ist der Keim zu etwas Neuem, eine Alternative zur von germanischen Moden geprägten Musik, ein frischer, nach vorne blickender nationaler Stil.« — Es es geht aber wohl um mehr als nur musikalische Moden, nämlich zudem auch um die Suche nach spiritueller Identität, um eine transzendente Wahrheit, die vielleicht durch den aetherischen G-dur-Anfangsakkord dargestellt werden soll. Wir haben diese Wahrheit flüchtig in der alten Kirchenmusik und in der Volksmusik gehört, aber wie können wir sie als Heutige wiedererlangen? — In der Klimax wiederholt das ganze Orchester die Improvisation des Quartetts, frei von der Gängelung der 3/4-Takteinteilung, ganz so wie auch Stravinski 3 Jahre später in seiner »Frühlingsweihe«. — Ist es arg übertrieben die Tallis-Fantasia als moderne Musik zu bezeichnen? Eigentlich nicht, denn es ist ein großes Thema der Moderne, die Vergangenheit wiederzuentdecken und wie sich dabei etwas Neues schaffen läßt. Vaughan-Williams’ Tallis-Fantasia ist eine der ersten prächtigen Kompositionen, mit der sich ein moderner Komponist unerschrocken und sehr fruchtbar einer über 1000-jährigen musikalischen Vergangenheit stellt. — Wie aber sieht es mit der ›ursprünglichen Reinheit‹ des anfänglichen G-dur-Akkords aus? Das Orchester hat in der Klimax diese Vision fast erreicht, doch nun beginnt sie wiederum zu verblassen, die Schatten werden länger. Die Reise in die ›unbekannten Gefilde‹ war von Beginn an eine heikle, düstere Sache und die Dunkelheit droht nun wieder überhand zu nehmen. Wieder steiegen als Bass-Pizzicato Fragmente des Tallis-Themas aus den Tiefen hervor.

Teil 6 erzählt, wie zum Ende fast der anfängliche G-Dur-Akkord vollends wiederkehrt, wenn die Violas aufsteigen, begleitet von tremolierenden Geigen und gezupften Cellos und Bässen. — Eine Geige und eine Violine lassen noch mal zusammen das Tallis-Thema erklingen, wobei die Geige ganz dem alten Kirchenlied verpflichtet bleibt, und die Viola es in freier Volksmusikmanier kontrapunktisch umtänzelt. Aber wird der strahlende Anfangsakkord wiederkehren? Langsam trudelt die Musik wieder zurück zu G-Dur und streckt sich nach dem Glanzakkord, das Orchester fächert sich auf und kehrt zu dem reichen, weitgespreizten Anfangsakkord zurück. Oder? Kaum ist der Akkord erklungen, verdunkeln die Bässe, Cellos und Violas die Vision wieder, indem sie ihre Noten mit anschwellender Kraft wiederholen. »Die Suche ist nicht vorbei. Die Vision liegt (immer) etwas jenseits unserer Reichweite. So nah, und doch so fern. Wir wissen, dass diese transzendente Vision möglich ist, wie haben sie gehört, aber nur für einen kurzen Moment. Wir haben sie erspäht, aber nur am Rande unseres Gesichtsfeldes. Sobald wir sie klar zu sehen trachten, verschwindet die Vision.« — Wenn diese Deutung richtig ist, dann spiegelt sich in der Tallis-Fantasia Vaughan-Williams’ eigene Haltung gegenüber transzendenten Angelegenheiten. Als Komponist fühlte er sich sein ganzes Leben lang zu religiösen, spirituellen Texten hinzugezogen. Und dennoch bezeichnete er sich selbst nie als jemanden, der christlichem oder sonstigen religiösem Glauben anhing. Für ihn konnten die Möglichkeit des religösen Glaubens und die Tatsächlichkeit unbeantwortbarer Zweifel nebeneinander bestehen, wie es wohl in seiner Tallis-Fantasia zum Ausdruck kommt. Auch dies ist eine sehr moderne Haltung. — Das bestimmt vielleicht auch die uneindeutige emotionelle Qualität des Endes. Das Stück könnte ja einfach mit dem anfänglichen strahlenden G-Dur-Akkord enden, aber stattdessen erhebt sich mit bedauerndem Tonfall eine Solo-Geige über das Orchester und endlich findet das Orchester zurück zu einem warmen G-Dur-Klang. Dieser Schluss-Akkord unterscheidet sich aber von dem G-Dur-Akkord des Anfangs. Mit seinem strebsameren Klang ist der Schlußakkord weltlicher. Damit verleiht Vaughan-Williams vielleicht musikalisch seiner Ansicht Ausdruck, dass wir nicht in Gott oder etwas Überirdischem Trost und Halt finden können, sondern in den humanistisch-sekulären Ideen vom Mensch-Sein.

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