War überrascht, wie sehr mich dieser schmale Band (erster Teil einer Trio) plätten und begeistern würde.
Düsterer Fantasy-Pulp um einen eigentlich behämmerten (weil platt-patriotischen) Kampfflieger des Deutschen Kaiserreiches – Dietrich von Warnstein –, den es bei einem Sturm mit seinem mascheinengewehrbestückten Doppeldecker in eine fremde Welt verschlägt, wo er mit der Seele eines seit zwanzigtausend Jahren schlummernden Gottkriegers – des titelgebenden Sardor – verschmilzt, um die Menschen (genauer: unchristliche Heidenvölker) beim Anbruch des Zweiten Kosmischen Krieges gegen mannigfache monströse Schrecken zu verteidigen. Sozusagen Portalfantasy a la »Unendliche Geschichte« für Fans von »Heavy Metal«-Comics (und Mukke), den heroischen Kämpfern und bestialischen Viechern von Frank Frazetta, den finsteren Bizarrerien eines Philippe Druillet, der »Chroniken des Schwarzen Mondes« und der Art von Warhammer-Fetzerei als Warhammer noch cool war (also etwa die Zeit der Erstveröffentlichung dieses Romans, 1984). — Kurz: Lovecrafts kosmischer Grusel trifft Howards Barbaren-Bratz.
Sprachlich stellenweise mitreissend, Dank eines dick aufgetragenen Pathos, der sich seiner Überspanntheit bewusst ist und entsprechend ungehemmt auf die Spitze zu treiben traut. Erzielt dabei einige Male – absichtlich! – wunderbar humorige Effekte, eben wenn das Grauslige, Eklige, Böse ins Komische kippt (man denke an entsprechende Momente in frühen Terry Gilliam-Werken wie »Jabberwocky«, oder die Harkonnen in David Lynchs Verfilmung von »Dune«).
Nur selten wird der Bogen überspannt mit einem Tacken zuviel Wiederholungen (Merke: beispielsweise ›Myriaden‹ und ›infernalisch‹ sollten nur alle 50 Manuskriptseiten verwendet werden). Ansonsten wunderbare rohe, lyrische Qualität. Viel Handlung wird nicht aufgeführt, dafür immer wieder Weltenbau-Ausflüge veranstaltet. — Ganz großartig fand ich, dass es in einem der frühen Kapitel eine richtiggehend mit Worten geschilderte Karte gibt, wenn eine Figur von der Höhe auf die weitere Umgebung guckt, die den Schauplatz dieses Romanes liefert.
Wunderbar auch, wie prall aufgepumpt die Überzeichnungen der eigentlich bekannten DüsterFantasy-Typen und -Kulissen rüberkommen. Da stimmen schon die Namen: die Krograniten-Berge, die Seufzerschründe, der Geborstene Berg, die Schmerzarchen der Eisernen, die Gehörnten, die Nachtmahre, der Bosling, der Schwarze Mirn, die Hainvölker (die Nurn unter Fürst Caliman; die Myrten unter Fürst Tur; die Anger unter Fürst Gorrenhart; die Woyden unter Fürstin Lidinya).
Im Grunde ein großes Wimmelbild, ein Panorama aufgemotzer Heere, exquisiter Grausamkeiten, titanischer (Alp)Traumlandschaften & Architekturen und morbider Verwesungsdioramen. Simpel und doch detailreich. Deshalb leicht lesbar (auch unterwegs) und dennoch sehr anregend.
Absolute Leseempfehlung (vier Sterne) vor allem für alle deutschsprachigen Fantasy-Fans und Autoren!
Band 2 gleich vorgenommen, und Band 3 steht bereit.
Ziegler, Thomas: »Sardor – Der Flieger des Kaisers« (Sardor #1); Deutsche Erstauflage 1984; 10 Kapitel auf 184 Seiten; Broschierte Neuauflage Golkonda Verlag 2013; ISBN: 978-3-942396-51-6.
Auch als eBook erhältlich.
Angefixt durch den Film (Super-Grusel: »Die Toten Augen von Werner Herzog!«. Sonst: Klassisch ruhig und mit Geduld inszeniert. Die wenige Fressenschläge- & Autohatz-Äktschn kommt um so kraftvoller).
Freund David, großer Fan der Bücher, beglückt mich bald darauf mit dem ersten Roman als Geschenk per Post. Also reingeschnuppert in Originalfassung. Sehr bald vom Stil (die Massen kurzer Sätze; immer und immer wieder Rekapitulationen auch in kurzer Folge nach Erstinfo; stupides Ausbuchstabieren aller Handgriffe und Kleinkramigkeiten) eher angewidert.
Aber … (!) … eben doch auch reichlich schöne kleine Beobachtungen, Ideen, Wendungen, Originalitäten um mich bei Stange zu halten. Die Art der Faszination einem Porno nicht unähnlich (der Kurzsatzstil knetet Hirn halt doch weich; da kann höheres Ästhetikbewußtsein nicht lange gegen an).
Feiner, kräftiger Männerkitsch (als Kompliment zu verstehen, denn ich habe mich ja vergnügt). Einsamer Wolf. Nerven aus Titanium. Reueloser Schädlingsbeseitiger von widerlichen egoistischen Sadisten und skrupellosen Opportunisten. Schöne Träume der gerechtfertigten Gewalt. Frust-Therapeutikum.
Dann auch: angemessene weibliche Mitstreiterin in Gestalt einer Polizistin. Dezent geschilderter Sex. Verherrlichung des Hinterns.
Nicht zu vergessen: interessantes Setting. Kleinkaff. Fälschung. Alle geschmiert oder willig oder eingeschüchtert.
Überraschend: Ausflüge in Schilderung menschliche Nähe und Anteilnahme. Am besten gelungen: die alte schwarze Sängerin. Ach ja: Reachers Liebe für Blues! Ein harter Kerl mit Jukebox-Fähigkeit im geistigen Ohr (sehr sympathisch).
Kurz: Bravouröse Lösung der Problematik, wie man so übergroße Alphamännchenfastschonsuperhelden Feingefühl und humanen Respekt zeigen lassen kann (Hut ab dafür).
Fazit: Als Ganzes eigentlich nicht wirklich hoch gezielt, aber eben souverän getroffen. Also solide Unterhaltung und somit unerschütterliche drei Sterne. (Vier Sterne, wenn man das Buch ›nur‹ als schnelle Arbeitsweg-Bespaßung nutzt.)
Hab mir den zweiten Reacher-Thriller (»Die Trying«) schon als englisches eBook besorgt. Allein schon, um zu gucken, ob ich die Erzählperspektive aus 3. Person besser abkann, als (wie bei »Killing Floor«) aus 1. Person.
Danke David! Ein dolles Geschenk. Überlege nun Revanche.
•••••
Lee Child: »Killing Floor« (Jack Reacher #1); US-Ersterscheinung 1997; 34 Kapitel auf 525 Seiten; Bantam Books Paperback; ISBN: 978-0-553-50540-5.
Münchner Verwaltungsgerichtshof-Richter haben entschieden & das Bundesverwaltungsgericht-Richter haben bestätigt, dass Leuten, die kiffen & Alkohol konsumiern der Führerschein entzogen werden kann … selbst dann, wenn gar nicht berauscht Auto gefahren worden ist.
Warum?
Weil der Mischkonsum von Allohoool und Graaas grundsätzlich die Verkehrsuntüchtigkeit von jemanden beweist. — Das kommt mir in etwa so fortschrittlich vor, wie Leuten das Recht abzusprechen, ihre Kinder zu erziehen, nur weil sie keine monogame Ehe führen.
Wissen die denn nicht, dass Kiffer in der Regel vorsichtiger fahren und dass man richtig heftige Mengen THC-potentes Zeug konsumieren muss, bis man sooo langsam oder übermütig fährt, um eine Verkehrsgefährdung zu sein.
Mit Folgendem will ich nun nicht die deutsche Übersetzung von Thomas Pynchons »Vineland« (engl. 1990 / dt. 1993) durch Dirk van Gunsteren schlecht reden. Im Gegenteil: ich will zeigen, wie gemein und fizzelig die Fallen sein können, die man als Übersetzer meistern muss.
Habe schon auf Twitter kurz vermeldet, dass van Gunsteren einen speziefischen Ausdruck aus »Star Trek« (am öftesten verwendet in der Serie »The Next Generation«, 1987-1994) nicht erkannt und entsprechend holperig klingend übersetzt hat.
#Pynchon#Vineland S. 140: Gunsteren übersetzte ›Prime Directive‹ (#StarTrek) mit ›Grundregel des Ordens‹. Auch die besten bau’n mal Mist.
Obwohl ich als Übersetzer-Kollege nicht finde, dass man dem van Gunsteren einen Vorwurf machen kann, so wundert sich der SF- und Phantastik-Fachdepp in mir schon, dass Dirk bei der Dichte an Zaunpfahlwinkbegriffen nicht der vage Verdacht gekommen ist, dass Pynchon nicht nur allgemein beliebige Science Fiction-Metaphern aneinanderreiht, sondern eben ganz gezielt auf eine bestimmte SF-Sprache anspielt.
Hier die Originalpassage aus Chapter 8 von »Vineland« (Vintage Paperback-Ausgabe mit dem feinen Coverschmuck von Yuko Kondo), S. 110. Zaunpfahl-SF-Begriffe untertrichen hervorgehoben:
The penitents in the kitchen, weird-eyed as colonists on some galactic outpost, greeted her {= Prairie} arrival as a major event. As it turned out, none of them could fix anything even they liked to eat. Some here had grown indifferent to food, others actively hated it. Nevertheless, new recips were seized on like advanced technology from beyond the local star system. After checking out the vegetable patch, the orchards, the walk-in freezers an pantries of the Retreat, wondering if she was violating some Prime Directive, Prairie taught them Spinach Casserole.
Und hier die deutsche Fassung (Rowohlt Taschenbuch, 6. Auflage 2007), S. 140. Gleiche Hervorhebungsmethode wie oben:
Für diese Küchensträflinge mit dem irren Blick von Kolonisten auf irgendeinem galaktischen Vorposten war ihr Erscheinen eine Sensation. Wie sich herausstellte, war kein einziger von ihnen in der Lage, etwas zu kochen, das er gern aß. Manchen hier Essen einfach gleichgültig geworden, andere hassten es rundheraus. Dennoch stürzte man sich auf neue Rezepte, als wären sie ein Stück überlegener Technologie von außerhalb des heimischen Sonnensystems. Nach einer Inspektion der Gemüsebeete, der Obstgärten und der Kühl- und Speisekammern des Klosters brachte Prairie ihnen Spinatauflauf bei und fragte sich insgeheim, ob sie damit wohl irgendeine Grundregel des Ordens verletzte.
Mit einiger Verspätung, weil ich in den letzten Wochen vor lauter 200-Stunden-Plus-Brotjob, Angekränkeltsein & ›Nebenbei-Übersetzen‹ von Hellboy-Prosastories zu nix komme (von »GTA V« ganz zu schweigen … hüstel), ist es nun endlich so weit, dass ich folgenden wunderschönen Gastbeitrag von Ju Honisch aufbereiten konnte.
Ju ist nicht ›nur‹ (eine irre gut kochende!) Nachbarin & seit einigen Jahren meist meine Mitfahrgelegenheit zum BuCon im nahen Dreieich, zudem ist sie eine erfahrene Fantasy/SF/Filk-Haudegin (die ganz früher, wie ich auch, bei einem lustigen Fantasy-Verein war, der das »Fest der Fantasy« der Völker Magiras ausrichtet) die u.a. als studierte Anglistin & Historikerin richtig was auf dem Kasten hat, und durch ihre Verbindungen zu Kreativen & Fans des englischsprachigen Raumes über ein erkleckliches Maß an Genre-Weisheit gebietet.
Was mich darüber hinaus auf ganz besondere Weise mit ihr freundschaftlich und literaturleidenschaftlich verbindet, ist der Umstand, dass ich als Beta-Leser ihrer ersten beiden historischen Fantasy-Romane fungieren durfte (»Das Obsidianherz« und »Salzträume« {Band 1 / Band 2}).
Viel Vergnügen mit ihrem Beitrag über Wohl & Weh von Klappentexten.
Cheers
Alex / molo
•••
Vielen Dank an Molo, der mich auf sein Blog losgelassen hat, während ich weitere Ecken der Blogosphäre bereise.
Richtig? Falsch? Oder anders?
Klappen- oder Werbetexte sollen Anreize schaffen. Der potentielle Leser soll drauf gucken und sagen: »Ui, das klingt interessant! Das will ich unbedingt lesen!«
Aber Bücher lassen sich nicht gar so einfach in ein paar wenige Sätze zusammenfassen, schon gar nicht, wenn sie über 600 Seiten und mehr als nur einen Handlungsstrang haben. So ist es kaum verwunderlich, dass die meisten Autoren mit den Klappentexten, die die Verlage für verkaufsfördernd halten, oft nicht so ganz hundertprozentig konform gehen. Manchmal liest man sie und erkennt sein Buch nur in Bruchstücken wieder. Dann steht man vor den glatten Worten und möchte sagen: »Aber … aber … aber … es geht doch eigentlich um was ganz anderes?« — »Doch nur so verkauft sich’s«, sagt dann der Verlag. Und das ist schließlich ein Argument.
In »Die Quellen der Malicorn« geht es u.a. um Macht und Machtmissbrauch. Damit verkauft man natürlich keine Phantastik. Und es ist ja tatsächlich nicht so, als würde einem irgendeine ›Lehre‹ um die Ohren geschlagen. Das Buch beschreibt ein Abenteuer, das mit wechselnden Personen in zwei verschiedenen Welten stattfindet, in unserer (in der Jetztzeit in Irland) und in Talunys, einem mythischen Reich, zu dem die geheimen Zugänge auf einmal wieder offen sind.
In der Phantastik ist Magie eine feste Größe. Sir Terry Pratchett schreibt
»any sufficiently advanced magic is indistinguishable from technology«.
Anmerk Molo: Auf Deutsch etwa »Jede hinreichend fortschrittliche Magie ist von Technologie nicht zu unterscheiden«, was freilich eine sinnreiche Umkehrung von Arthur ›2001‹ C. Clarkes Gesetzt No. 3 ist: »Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.«
Damit gibt er dem Möglichen mehr Raum. Und er hat recht. Ein Flugzeug wäre einem Mittelaltermenschen als Magie erschienen. Und was uns magisch anmutet, mag wiederum nur eine Technik / Geistestechnik sein, die wir noch nicht ge- oder erfunden haben.
Was aber, wenn es in einer Welt Wesen gibt, die Magie beherrschen, und solche, die sie nicht beherrschen? Man kann schon davon ausgehen, dass es sehr schnell zu einer Zweiklassengesellschaft käme. Der Konflikt, der daraus entsteht, bietet mannigfaltige Möglichkeiten, ›Abenteuer‹ unterzubringen — auch in Harry Potter wird das schließlich thematisiert. Dennoch steht in keinem Klappentext:
Die Bücher von J.K. Rowling behandeln das Problem von Macht und Machtmissbrauch in einer modernen Gesellschaft, in der unterschiedlichen Menschen sehr unterschiedliche Technologien und Fertigkeiten zur Verfügung stehen, um Macht auszuüben und zu missbrauchen oder ein bestehendes soziales Gefüge so wie es ist zu erhalten, um die Rechte des Einzelnen zu sichern.
Mit dem Klappentext hätte niemand HP gekauft.
Ich mache mir also jetzt den Spaß und poste hier ein paar Klappentexte: alle für das gleiche Buch. Ich sage nicht, welcher es über den Verlag ins Internet geschafft hat, welcher auf dem Buchrücken steht oder welcher (meiner) in der Versenkung verschwunden ist:
Klappentext-Variation #1:»Abiturientin Una ist gerade von ihrem Freund verlassen worden, und statt des Party-Sommers in Spanien ist nun Urlaub mit den Eltern in Irland angesagt. Verständlich, dass sich Unas Begeisterung in Grenzen hält. Doch in Irland, der Insel der Mythen und Sagen, ist nichts unmöglich, und so findet Unas Langeweile bald ein Ende, als sie auf einer ihrer ausgedehnten Radtouren Kanura begegnet, der Una mit in seine Welt nimmt — die Welt der Einhörner und Nymphen. Dort entdecken die beiden nicht nur ihre Gefühle füreinander, sondern kommen auch einer Verschwörung auf die Spur, die beide Welten für immer zerstören könnte …«
Klappentext-Variation #2:»Nach Jahrhunderten bricht in der Welt Talunys erneut Krieg aus. Hier herrschen die friedliebenden Einhörner, das kunstsinnige Gestaltwandler-Volk der Tyrrfholyn. Im Kampf verschlägt es den Fürstensohn in die Menschenwelt, von wo er Una mit zurücknimmt. Una, eine emanzipierte, junge Menschenfrau mit Witz und Verstand, findet sich in einer Welt wieder, in der ein grausames Regime sich anschickt, alles zu unterwerfen, was es für minderwertig hält. Plötzlich geht es in diesem Krieg auch um ihr Leben und nicht nur um das eines Mannes, der sehr viel mehr ist als — einfach nur ein Mann.«
Klappentext-Variation #3:»Einst waren sie ein fester Bestandteil unseres Lebens, weise, friedvoll und verehrt: Einhörner. Doch sie verschwanden und wurden zur Legende. Das dachte auch Una, bis sie eines Tages an einer Quelle in Irland einem jungen Mann begegnet, der von sich behauptet, aus einer anderen Welt zu kommen und ein Einhorn zu sein. Bevor Una weiß, wie ihr geschieht, zieht er sie mit in sein Reich und damit in einen gefährlichen Kampf zwischen der guten Magie der Einhörner und der ihrer dunklen Gegner.«
Klappentext-Variation #4:»Irland hat Hunderte von gut verborgenen ›Heiligen Quellen‹. Seit der Christianisierung sind sie jeweils einem Schutzheiligen zugeordnet. Doch es gab sie schon vorher, und sie galten in jenen altkeltischen Tagen als Übergänge in die Anderwelt. In ›Die Quellen der Malicorn‹ sind sie das auch wieder, und die deutsche Touristin Una wird in eine andere Welt verschleppt, während mythische Wesen von dort nach Irland kommen. Gemeinsam mit Irene, einer irischen Musikerin aus Deutschland, und einer übriggebliebenen Göttergestalt des keltischen Mythos’ suchen sie nach der Lösung des Geheimnisses, das hinter all den rätselhaften und erschreckenden Ereignissen steckt.«
Lesern von 15 bis 95, so hatte der Verlag es sich gewünscht, sollte dieses Buch gefallen. Das ist eine eher weite Kategorisierung des Zielpublikums. Ich würde mich natürlich freuen, wenn ich den Geschmack eines so weiten Feldes getroffen hätte.
Ob das überhaupt geht? Und ob man all diese jungen und nicht ganz so jungen LeserInnen mit ein und demselben Klappentext ›kriegt‹, ist auch noch die Frage. Vermutlich hat der Verlag schon recht, wenn er etwas auf den Buchrücken schreibt, dass der ›großen Masse‹ am ehesten gefallen mag. Doch wer — um Himmels Willen — ist eigentlich diese viel zitierte große Masse?
Ich erlaube mir also zum Abschluss noch den üblen Streich, hier einen Klappentext zu verfassen, wie er vielleicht dem akademischen Bildungsbürgertum das gleiche Buch näher bringen und ihm gleichzeitig die Angst nehmen könnte, man würde das Abitur aberkannt bekommen, wenn man etwas liest (und auch noch zugibt!), in dem das Sagenhafte eine Rolle spielt. Ich weiß nicht mehr, welche deutsche TV-Liesl es war {Molos Link-Hinweis: ›Hust-hust‹}, die ihr wohlfundiertes Talkshow-Halbwissen dadurch aufwerten wollte, dass sie öffentlich erklärte, sie würde grundsätzlich nichts lesen, in dem so was wie Elfen, Hexen, Dämonen o.ä. vorkommen. Tja, Johann Wolfgang, da hättest du das mit dem Faust wohl besser lassen sollen. Das konnte ja nichts werden.
Klappentext-Variation #5:»Das Sagenhafte ist in uns angelegt. Seine Archetypen leben in unserer Seele und prägen unser Denken und Fühlen. Doch was, wenn sie einer fernen Realität entspringen und plötzlich und unvermutet in unser Leben treten? Die junge Deutsche, Una, macht Urlaub in Irland, als sich die Tore zur Anderwelt — wie in der keltischen Mythologie — plötzlich öffnen. Das, was auf der anderen Seite ist, ist keine rosa Märchenwelt, sondern ein geteiltes Land, in dem es Krieg gibt, ein Reich mit unterschiedlichen Herrschaftsstrukturen, mit Rassismus, Unterdrückung und einer — ganz wörtlich — schweigenden Minderheit, die ihre Sprachlosigkeit als Rettung vorm Untergang versteht. Von einem Wesen verschleppt, das zugleich Mann und Einhorn ist und das dennoch so gar nicht dem christlichen Symbol für Reinheit entsprechen will, erfährt Una, dass man an seine Grenzen gehen kann und jenseits dieser Grenzen immer noch etwas ist, das schön sein mag oder grausam, das man überwinden oder an dem man zugrunde gehen kann.«
Ich weiß noch nicht so recht, was ich im Spiel machen werde, aber grade das ist ja das Großartige: Jeder erlebt “sein” GTA irgendwo anders. Wenn ich mit meinem guten Freund Alex drüber rede, wie er GTA 4 wahrgenommen hat, was er darin getan hat, dann unterscheidet sich das fundamental von meiner Spielerfahrung.
}… hier ein wenig GTA-Reminszenz von mir.
Nachdem ich die Kindertage der Computerspiele (VC20, C64 ff. pp.) als Beisitzer von »Elite«, »Ultima«, »Monty on the Run« & Co irgendwann satt hatte & raffte, dass dieses Medium noch zu lullig ist, habe ich über Jahre immer wieder von der Seitenlinie aus beobachtet, wie die Entwicklung vorankommt & darauf gewartet, dass Spiele zu einer Form finden, die ich als kopflastiger Haudrauf-Ästhet ernst nehmen kann. (Mein Ideal in etwa: Äktschn mit Tiefgang; Philosophischer Diskurs mit explodierenden Monstern; Genre-Kunst-Trash.)
Irgendwann stand also eine PS2 für ca. 2 Wochen leihweise während einer Freiphase in meiner Bude und ich daddelte mich durch »GTA: San Andreas« (und »Bully«; BTW: ein Wahnsinns-Titel & ich bin freudig bespannt auf den nächsten Titel dieses Franchises).
Habe es damals mit viel OffMission-Herumstromern bis zu den ersten Aufgaben von Las Venturas geschafft. Hätte ich damals schon die Kohle gehabt, fast wäre ich bereit gewesen, mir nur wegen diesem Titel eine PS2 anzuschaffen, denn »GTA: SA« war schon nahe an dem Grad an Raffinesse dran, das ich von Spielen eigentlich erwarte.
Schließlich habe ich mir via MobTel-Bundle zum Erscheinen von »GTA IV« eine PS3 geholt und meine Erwartungen wurden erfüllt. KurzBeispiel: Seit der Zeit ein Schnelltest meinerseits für die Güte von Open World-Titeln; Figur irgendwo (sicher!) abstellen und Spielwelt als Ambient-Sound & Zufalls-Happening-Aquarium laufen lassen.
Mit leichter Sorge nehme ich nun am Rande Teile der bisherigen Kritik an »GTA V« zur Kenntnis; dass es dramaturgisch ein Rückschritt zur Inkarnation »IV« darstellen soll, sprich: mehr infantile ›Proll‹-Jokes für die Heinis, denen »IV« & »Episodes« zu ›ernst‹ war. Die Story von »GTA IV« hat mich damals mit ihren erwachsenen Tönen überrascht, vor allem was (aber nicht nur) die weiblichen Nebenfiguren angeht (durch das eigene kriminelle Leben oder das ihrer Gatten ausgelaugte, kaputte, überdrehte, hysterische, paranoide Seelen). Es tut einem gewaltgeilen Sandkasten wie GTA nur gut, wenn merklich eingeflochten wird, dass die tatsächlich stattfindende Wirklichkeit keinerlei Anlass gibt, das professionelle Straßengängsterleben schönfärberisch auf’s Podest zu stellen.
Sollte »GTA V« tatsächlich wieder eher etwas für gefühlsstumpfe MachtErfüllungsPhantasieJunkies sein, werd ich halt ›etwas‹ mehr saufen müssen, um das Spiel ›voll‹ zu genießen zu können. Ein Abstrich, den ich gern mach.
Hatte am Samstag Arbeit und mir deshalb erst am Sonntag die Eurovision-Beiträge via YouTube anguggen & auf Twitter kommentieren können. Hier mein gesammelter Senf.
Frankreich: Morphing-Mitte zwischen Tina Turner & Barbara Streisand. Mitstampf-Klage, vermutlich (kein kein Französisch).
Lithauen: Och ist der süüüß. Holt der schon Stöckchen? Kann’er Männchen machen?
Moldavien: Lavakönigin mit Sahnetopping liefert brauchbaren Galaauftritt ab.
Finnland: Lollipop-Chainsaw CosPlay ohne Kettensäge?! Geh mir fort!
Spanien: Trotz sehr feinem Gaita-Tröten sowas von harmlos. Putze Fingernägel.
Belgien: Brautloser Sänger dem zwei Hupfdohlen aus Palmers »Addicted To Love«-Video zugelaufen sind.
Estland: Haben vergessen, die Farb-TV-Gebühr komplett zu zahlen. Bisher domierten die biederen.
Belarus: Das Zeug auf den Beinen der Trällermaus ist sicher auch gut für Edelholz- & Lederpflege.
Malta: Soll das ein Song sein oder ein Pitch für eine freundliche Vorabendserie über Social Media-Nutzer?
Russland: Ach diese Tartarinnen die ›bauwer‹ statt ›power‹ singen.—Kein Kaviar mehr im Kühlschrank. Argh! Grumpf!
Deutschland: Wiederhole; Puntschkrapfen-Umpfta-Pop von der Stange (nach der Mode des vergangenen Jahres).
Armenien: LeZepp & Black Sabbath als Inspiration? Wenigstens gibts mal eGitarren. Männer-Duschgelwerbung-tauglich.
Niederlande: Erster Sympathie-Bonus von mir für gnadenloses Moll & vom Dach purzelnde toooote Vögel. Ich freu mich!
Rumänien: Als Ming der Grausame noch Haare hatte! Der Schmerz! Bleib mir weg mit dem Gom-Jabbar!
England: Bonnie Tyler liefert unvermeidliche Hausfrauen-Ballade. Gott ist das öde & fad & unendlich langweilig.
Schweden: Der Junge mit der Ereaserhead-Frisur hat seine Mutti verloren & will aus dem Jodelparadies abgeholt werden!
Ungarn: Mitleid überflutet mein kleines karges Gemüt. In Ungarn Herzeige-Nerd sein ist wohl echt hart.
Dänemark: Diese Flöte hat nur eine Melodie. Der Rest ist auch von exquisit weichgebügelter Monothonie.
Island: Oh, der Labrador kann auch singen. Diese Hundepreisschauen werden immer raffinierter.
Azerbajian: Unterm Strich schmerzen orientalische Schwiegermütter-Träume mich nicht so sehr wie die westlichen.
Griechenland: Ne Niedersauffhymne mit trad. Akkustikinstrumenten & SkaRhythmus. Gebongt!
Ukraine: Hodor! Boah. Das ist die fröhlichste Nihilisten-Hymne, die ich seit langem gehört habe.
Italien: Na, dieser gutangezogene, geschmackvolle Schmachtfetzen hat wenigstens mal Hand & Fuß. Trotzdem: ital. Robbie-Williams-Klon
Norwegen: Wenigstens EIN Titel mit fett Elektromukke, wenn auch das Lied selbst mega-mäh ist.
Georgien: Liefern diesmal den Albano & Romina Power-Tribute. Alarmsirenen-Idyllik, bäh!
Irland: Man merkt, daß die Iren richtig gut Übung haben im planlos peinlich sein.
Große Chance, voll verschenkt. Leider wurde meine Erwartung nicht erfüllt, dass der Hausverlag von Egon Friedell, C. H. Beck, endlich eine schon seit langem klaffende Lücke schließt, indem er eine lesenswerte Biographie über den von mir für seine Kulturgeschichten der Neuzeit & des Altertums hochverehrten Autor bietet.
In mancherlei Hinsicht schürt die von Bernhard Viel vorlegte Biographie bei mir den Verdacht, eine nicht sehr sorgfältig & mit nur wenig Gespür für den Gegenstand verfertigte Auftragsarbeit anlässlich der 75. Jährung von Friedells Freitod zu sein. Die Absicht an sich ist ja löblich, das Ergebnis aber nervt wegen der Zusammenkunft unter anderem folgender Mängel:
Friedell bleibt in der ihm gewidmeten Biographie eher eine Nebenfigur, verglichen zum breiten Raum, den Zeitgeschichte, Milieu-Schilderungen & biographische Ausflüge zu anderen Personen einnehmen. Das kann nur ein Stück weit entschuldigt werden durch den Umstand, dass die Quellenlage zu Friedell karg sein mag. Insofern verständlich, wenn z.B. Carl Zuckmayer seitenweise das Wort gegeben wird (was für sich schön zu lesen ist), um Österreichs Anschluss ans Dritte Reich zu schildern. Peter Altenberg, Lina Loos oder eben Zuckmayer treten als farbigere Protagonisten ihrer Zeit hervor, als der im Titel genannte Biographierte.
Mir scheint, als wollte Viel hie & da mit dramaturgischen Tricks die im Großen und Ganzen schmerzlich oberflächlich wirkende Biographie aufmöbeln. Ein ganzes Kapitel lang (»Jung Wien stellt sich vor«) raunt Viel absatzlang über auftretende Personen, bevor er sie beim Namen nennt. Soll das ein Quiz sein? — Ein andermal erdichtet Viel sich einen Tag Friedells, was in Maßen vielleicht ein gelungener Kniff gewesen wäre, um z.B. Beschreibung von Alltag, Wohnung & Stadtviertel nicht zu trocken geraten zu lassen; doch traut sich Viel zu, bis ins Kleinste Friedells Seelenregung & Mimik beim Alleinsein & Sinnieren zu beschreiben. Ich dachte, die Zeiten, in denen eine seriöse Biographie sich zu solchen Taschenspielertricks hinreissen lässt, seien vorbei.
Am schlimmsten fand ich unnötige Wiederholungen & Rekapitulationen, das nicht enden wollende Name-Dropping und die geistlose Aufzählerei. Diese Unarten kommen fast stets dann zum Zuge, wo ich mir besser recherchierte Details gewünscht hätte. So ziemlich jede damals prominente Person wird von Viel wichtigtuerisch als ›der angesehene X‹, oder ›die berühmte Y‹ vorgestellt, und das nicht nur einmal, sondern desöfteren, wenn die entsprechende Person nach einigen Seiten oder Kapiteln Abwesenheit erneut erwähnt wird. Schmerzlich substanzlos sind vor allem die Schilderungen zum Theater- & Kabarettleben von Friedell. Hier verkommt die Biographie oftmals zu einem reinen Datenfluss ohne Elan. Spielte auf Bühne X, unter Regiesseur Y, zusammen mit den (später durch Film Z berühmt gewordenen) Schauspieler L. So geht das formelhaft am Leser voll vorbei.
Als Freund der Phantastik kann ich nicht umhin, ganz besonders zu tadeln, dass Friedells offensichtliche Begeisterung für literarische Phantastik lediglich anhand der ›Glacial-Kosmogonie‹ Hanns Hörbigers veranschaulicht wird; — dass Friedell in bester (heutzutage sogenannter) Fan Fiction-Manier eine Fortsetzung zu H. G. Wells »The Time Machine« verfasst hat, wird nur beiläufigst erwähnt. Wells selbst wird nicht genannt & kommt somit noch nicht einmal im Namensindex vor! (Nebenbei: Kein Sach-Index?! … »Fuck you!«, gebundenes 25 Euro/350-Seiten-Buch!)
Kleinigkeiten:
Viel kennt den Unterschied zwischen Utopie & Dystopie nicht (schreibt ersteres, meint zweiteres).
Selten, aber dann heftig, unterlaufen ihm Stilunfälle (die auch das Verlagslektorat nicht zu korrigieren wusste) wie (kursive Hervorhebung von mir):
»{…} die Zeit, in der Friedell aufwuchs und seine Prägungen erhielt, war von wachsender Judenfeindlichkeit geprägt {…}«
Immer wieder schreibt Viel ›Knaster‹, wenn er das bezeichnet, was Friedell in seiner Pfeife rauchte, und verweist auf eine ganz spezielle Sorte, die nur eine bestimmte Trafik in Wien führte. ›Knaster‹ bezeichnete damals häufig durchaus sehr spezifisch THC-haltiges Hanfkraut. Ist das gemeint, ja oder nein? Sollte geklärt werden, um entsprechend verbildete Besserwisser wie mich nicht unnötig zu verwirren.
Leider war es nicht möglich, oder man sparte sich die Mühe, unter die Abbildungen wenigstens eine Kostprobe von Friedells Handschrift beizugeben, am besten einer Manuskriptseite oder eines Briefes. Das erachte ich bei Schriftstellerbiographien eigentlich als Standard.
Knapp bei Kasse muss ich sagen, dass ich etwas verärgert bin, denn die ca. 25 € für das gebundene Buch ausgegeben zu haben reut mich nun schon. Jede Rowohlt-Monographie die ich kenne ist besser & wäre zudem preiswerter gewesen.
Ich gebe zwei Sterne — was laut Goodreads euphemistisch »Ist in Ordnung« bedeutet — also einen Stern unter neutralem Mittelmaß, und das, obwohl ich gutmütig bin und anrechne, dass Friedell sicherlich kein einfacher Gegenstand ist, und ich mich grundsätzlich freue, dass nun endlich eine Biographie zu ihm vorliegt … wenn auch eine enttäuschende.
•••
Bernhard Viel: »Egon Friedell. Der geniale Dilettant«, 27 Kapitel in sieben Abschnitten auf 352 Seiten; 82 Abbildungen; gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag & Lesebändchen, C. H. Beck 2013; ISBN: 978-3-406-63850-3.
Wenn man mir gestattet, die Perlentaucher-Bücherschau als repräsentativen statistischen Indikator gelten zu lassen, dann kann ich verweisend auf die fleissige und lobhudelnde Aufmerksamkeit, mit der das Schreiben von Dodo-Preisträger Martin Mosebach bedacht wird, verdeutlichen, was nach meinem Dafürhalten mit dem deutschsprachigen Literaturkritikwesen nicht stimmt: ein Blender schafft es mit abgespreitztem stilistischem Finger und verdruckst vorgetragenem Missfallen gegenüber allem, was ihm nicht in sein Märchenbild einer gläubig-elitären guten alten Ordnung passt, seinen Lesern den Kopf zu verdrehen. — Man nehme einen beliebigen mit Furor gegen Fantasy gerichteten Angriff auf naive Weltenflucht, setzte statt den üblichen Beispielen läppischer Wohlfühlphantastik das Werk Mosebachs ein, und die Urteilswatsche träfe immer noch die richtige Backe.
Die Auszählung der Perlentaucher-Bücherschau ergibt: vierzehn Titel aus dem Zeitraum zwischen 2000 und 2011 hat man insgesamt vierzig Rezensionen in den Qualitätszeitungen angedeihen lassen; von denen kann man nur sechs als negative Kritik werten (allein fünf davon für den Roman »Der Mond und das Mädchen«); sechs weitere als ›so la-la‹; und ganze achtundzwanzig als wohlwollendes, wenn nicht gar überschwengliches Lob.
GOttseidank haben einige Medien dann letztes Jahr doch zurecht irritiert gezuckt, als Mosebach seine kuriosen Überlegungen über z.B. die Forderung nach einem »Zurück zur Lateinischen Messe!« hinaus trieb und in den Raum stellte, dass auch bei uns Blaphemie wieder gefährlich, sprich staatlich scharf sanktioniert, werden müsste.
Weil zumindest ich soviel prätentiösen Quark in der Birne kaum aushalte und nicht weiß, wohin mit mir vor lauter Baff-, Empört- & Angewidert-Sein, hier also das Reinigungs-Skribbel mit dem ich mich vom maliziösen Geist Martin Mosebachs zu befreien trachtete.