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»Eine andere Welt« (13) — Kap. XI: Eine Reise in den April von Grandville & Plinius dem Jüngsten

Eintrag No. 719Zur Inhaltsübersicht.

Die Illustrationen einer alten französischen Ausgabe habe ich dem flick-Album von blaque jaques entnommen.

XI. Eine Reise in den April.

Erfinden heißt Reisen. Aus den Briefen eines Verstorbenen.

Im April pflanz’ Deinen Kohl Und hüt’ Dich vor deinen Freunden wohl. Wetterregel des illustrierten Almanachs.

Wie Puff sich gezwungen sah, der Erfindung von künstlichen Gemüsen zu entsagen, und eine sehr lange Reise auf dem Papiere machte.

Attila stirbt, erstickt in seinem Bette an den Folgen einer Indigestion {= Verdauungsstörung}, und die Herrschaft der Welt entschlüpft ihm; ein vorrüberschreitender Esel weidet die Distel ab, und die Pflanzen bleiben unter dem Joch der Menschen. An solchen Fäden hängt das Geschick der Staatsumwälzungen!

Philosophische Betrachtungen nähren die Seele, aber nicht den Leib. Das begriff Puff sehr wohl, als er das Haupt der Verschworenen vom Kinnbacken eines Esels zermalmen sah, und dachte nun darüber nach, was er beginnen solle, da es mit dem künstlichen Gemüse Nichts war. Da fiel ihm plötzlich ein, dass er in den schönen Wissenschaften noch Nichts unternommen hatte. Von der theoretischen Kochkunst bis zur Nationalliteratur ist es nur ein Schritt. Die Reisebeschreibungen sind in der Mode, Reisebriefe, Reiseblätter, Reisenovellen, sagte Puff: schreiben wir Reise-Papyrus; das ist ein prachtvoller Titel, er hat so etwas Geheimisvolles! Das bringt mir schon ein Mittagsessen ein. Den Titel habe ich, jetzt nur noch einen Verleger und das Buch ist fertig.

Wenig Tage nachher zeigten schon alle Leihbibliotheken als vorrätig an:

Reise-Papyrus Ausflug in den April. Von Piff-Paff-Puff, Doctor der Weltweisheit und der Waidmannskunst.

Wir wollen unseren Lesern das Leihgeld sparen und ihnen einige Capitel aus diesem interessanten Werke gratis mitteilen.

Sieben und dreißigstes Capitel. Die Fischnovelle

Was lockst Du meine Brut? Goethe.

Noch viel practischer als die Regenschirmstöcke sind die Eisenbahnstöcke auf Reisen. Wenn man müde wird von der zu raschen Bewegung, so nimmt man die Schienen unter den Füssen fort, klappt sie zusammen, steckt sie in das elegante Stockfutteral, stützt sich darauf und wandelt behaglich weiter, seine Eisenbahn in der Hand haltend. So machte ich es heute Morgen, um ganz nach Gefallen den Krümmungen eines Flüsschens mit blumenreichen Ufer in dem von mir neu entdeckten Tale, zu folgen.

Mich meinen Träumen hingebend kam ich auf dieser Wanderung endlich an ein natürliches Wehr, wo das Wasser von Klippen herabstürzte, um sich klar und durchsichtig in einem Becken zu sammeln. Plötzlich hörte ich lautes Gelächter in meiner Nähe; ich verbarg mich hinter einem Schirm von Pappeln und Weiden und wollte von hier aus den Faun belauschen, der die Najade verfolgte. Es war mir interessant die Mythologie auf der Tat zu ertappen, und ich hielt mich daher ganz still.

Aber — wer beschreibt mein Erstaunen! — ich erblickte statt der Faunen eine Bande lustiger, geschwätziger Fische, die das Sprückwort: »Stumm wie ein Fisch«, Lügen straften.

»Fressen Fische Könige?«, rief ich mit Müllners längst verschollenem Yngurd aus, als ich die schuppige Gesellschaft — dies Mal in der größten Stille — ihre Angelhaken mit Köder versehen in das Wasser werfen sah.

In weniger als einer Minute zog ein junger roter Fisch seine Angel herauf, an deren Ende ein hübsches Weibchen zappelte, das eine Diamantnadel schon mehr als halb verschlungen und sich daran gefangen hatte. Ich richtete nun die Blicke auf den Teich und sah ihn voll Männer und Frauen, deren Bewegungen ich bei der Klarheit des Wassers genau beobachten konnte. Sie schnappten sämmtlich gierig nach dem Köder, der ihnen hingehalten wurde und sehr verschiedenartig aus Orden, Epaulettes, Goldbörsen, Titeln, Ehrenzeichen bestand, nach welchem sie aber mit wahrem Heisshunger bissen.

Jetzt wurde ich inne, dass ich mich in einem verzauberten Walde befand; das Laub waren harte Taler, die Früchte Goldbarren. Ich hoffte nun menschliche Vögel und Schmetterlinge mich umflattern zu sehen, aber meine Gegenwart verscheuchte sie wahrscheinlich.

Nach Verlauf von einer halben Stunde waren die Fische mit ihrem Fange fertig; sie füllten die Körbe, schulterten die Angelruten und zogen fort, und bald trug nur noch das schwache Echo den Refrain des bekannten Chors aus der »Stummen von Portici« zu mir her:

Still, still! Dem Meertyrannen Gilt die kühne Jagd!

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»Eine andere Welt« (12) — Kap. X: Revolution im Reich der Pflanzen von Grandville & Plinius dem Jüngsten

Eintrag No. 714Zur Inhaltsübersicht.

Die Illustrationen einer alten französischen Ausgabe habe ich dem flick-Album von blaque jaques entnommen.

X. Die Revolution im Reiche der Pflanzen.

Auf Gurken! Zu den Waffen! Neue Marseillaise.

In diesem Kapitel werden die Pflanzen aus dem revolutionären und gemüsigen Gesichtspunkte betrachtet.

Dr. Puff an Krack von Krackenheim

Lieber Getreuer! Dein erhabenes Manuscript ist mir ohne Tintenfleck und die Flasche ohne Sprung angekommen. Du findest hier die Denkschrift beigeschlossen, die ich der Neugöttlichen Akademie über Deine Entdeckungen überreicht habe, so wie einen genauen Bericht von dem, was sich mit mir seit Deinem Untertauchen zugetragen hat. — Ich bitte Dich, meiner Abhandlung über die unterseeischen Rassen freundliche Aufmerksamkeit zu widmen; ich führe in derselben Deine Ansichten über das Vorhandensein einer eigenen Tierfamilie, welche die Mythe des Altertums gekannt hat oder der diese vielmehr ihren Ursprung verdankt, weitläufig aus. Die Tritonen und Nereiden find Proben existierender Gattungen, welche nur momentan verloren gegangen sind; die Constatierung dieses Factums wird uns bei den Männern der Wissenschaft den größten Ruhm erwerben.

In diesem Augenblicke bin ich damit beschäftigt, die Liquidation meines Hauses für physiologische Verkleidungen abzuschließen; dies Geschäftchen hat hübsche Procente getragen; es war eine glückliche Idee, die ich Dir verdanke; der bereits realisierte Gewinn setzte mich in den Stand, den Januar und einen Teil des Februar ganz behaglich hinzubringen; um mich während der Fastenzeit durchzuschlagen, sinne ich jetzt auf eine neue Speculation; aber, wie soll man an seine kleinlichen Interessen denken dürfen, wenn man die Übel in das Auge fasst, welche die Menschheit bedrohen!

Ein ganzes Naturreich empörte sich! Das ist die grässliche Neuigkeit, die ich Dir mitzuteilen habe. Du kennst meine Liebe für den Gartenbau, diese Erholung aller großen Seelen; auf meinem Fensterbrett stehn zwei Monatsrosen und eine Fuchsia in Töpfen. Dank meinem gründlichen orientalischen Studien, die Blumensprache ist mir geläufig. — Neulich nun, als ich mich meinem hängenden Garten näherte, um die Fortschritte und Wirkungen des Frühlings zu beobachten, belauschte ich das Geheimnis einer Verschwörung, deren Loosungswort der Westwind von einem Kelche zum anderen trug; einen besseren Mitverbündeten konnten sich die Blumen wahrlich nicht gewählt haben.

Das Volk (der Samenkapseln) steht auf, der Sturm (der Staubfäden) bricht los gegen die Menschheit. Treibhaus und Krautgarten reichen sich die Hand, bald werden die Glasglocken zum Sturm läuten; der Geist der Verschwörung hat sich in alle Kelche geschlichen, die Sonne und die Rache machen alle Pistille ausschwellen. Die Artischocke wetzt stillschweigend ihre Stachelspitzen; die Melone bereitet sich eine Schaalenrüstung, die dem schärfsten Messer Trotz bietet; ich hörte einen Chor von Gurken singen:

Das Volk steht auf, der Sturm bricht los! Wer legt noch die Hände feig in den Schoß? Pfui über die Buben dort an den Spalieren, Mögst Du durch Urban† getroffen erfrieren! Bist doch ein ehrlos erbärmlicher Wicht. Eine treue Rebe umarmt Dich nicht. Eine blecherne Gießkann’ erquickt Dich nicht, Ein ehrlicher Spaten häufelt Dich nicht. Stoßt mit an! Mann für Mann! Wer sich emporranken kann! †{Bezieht sich wahrscheinlich auf Urban einen Wetterzauberer im tirolischen Pustertal des 17. Jahrhunderts.}

Als ich dies vernahm, machte ich eine botanische Exkursion und brachte eine ganze Kapsel voll Kleinigkeiten mit; heimliche Schauer durchzogen die Beete mit jungen Bohnen; ein verdächtiges Flüstern verbreitete sich vom Kopfsalat bis zum Spinat und von diesem drang es weiter zur Cichorie und zum Sellerie. Die Verschwörer erwarten das Signal zum Aufstande.

Eine Königskerze, geschworene Feindin aller Empörungen, und eine loyale Immortelle, eine begeisterte Freundin des Bestehenden, haben mir alle Einzelheiten des Complots vertraut. Eine ganz gemeine Pflanze, aus den niedrigsten Klassen der Botanik stammend, kurz eine obscure ranglose Distel hat den rechten Plan ausgeheckt und sich an die Spitze der Revolution gestellt; nur Leute, die Nichts zu verlieren haben, sind begeistert für gewaltsame Umwälzungen.

In das Geheimnis eingeweiht, begab ich mich nun an den Versammlungsort der Verschworenen. Hier überzeugte ich mich, dass die Pflanzen schon lange eine geheime Verbindung organisiert haben, welche in Kränzchen, Sträuße und Girlanden zerfällt; diese Klassification, von der die Polizei eben so wenig ahnt, wie es Linné und Jussieu taten und Schleiden und Endlicher jetzt tun, flößte mir eine hohe Meinung von der politischen Bildung der Verbündeten ein.

Nichts ist so gefährlich wie ein Volksredner aus dem Volke; das hat mir die Distel recht deutlich bewiesen. Die Versammlung war vollzählig, alle Klassen des Pflanzenreiches hatte ihre Repräsentanten gesandt. — Der Catilina der Blumenwelt durchlief mit seinen Blicken die Reihen der Anwesenden und redete dann zu ihnen wie folgt:

Bäume und Sträuche, Büsche und Pflanzen! Blätterreiche Mitverschworene, geliebte Geschwister!

»Der Augenblick ist da, den Händen unserer Unterdrücker Spaten, Hacke und Hippe zu entreißen. Wir wollen uns nicht mehr von ihnen, nach ihrem Gutdünken, beschneiden und anbinden lassen, wollen nicht mehr eine gezwungene und noch obendrein gemischte Ehe mit einem uns fremden Pfropfreis schließen. Die Pfropfschaft ist noch tausend Mal hassenswerter und unmoralischer als die Leibeigenschaft, gegen welche sich das feige Menschengeschlecht selbst so oft empört hat.«

Zeichen des Beifalls unter den Zuhörern.

»Vergissmeinnicht, erhebt Euch aus Euren weichlichen Träumen! Rosen, Nelken, Veilchen, Jasmine, entsagt Euren entwürdigenden Liebschaften, legt Eure bunten Festkleider ab, wappnet und rüstet Euch, wenn Ihr wollt, dass der Mensch künftig nicht mehr aus Euren edelsten Säften unreine Essenzen, verhasste Waschwasser, schmierige Pomaden bereite! — Und Du, Gemüse, redliches, fleissiges, kinderreiches Volk, wirst Du es noch länger dulden, dass man Dir Dein Liebstes, Deine Kleinen, schon in zartester Jugend raube, um sie im Übermut als erste junge Erbsen, junge Bohnen zu treffen!«

Eine Zwiebel vergießt heftige Tränen.

»Für die Erstgeborenen der Artischocke — unglückliche Mutter! — ward die Folterqual der Pfefferbrühe und des Backens in Teig von den Allesverzehrenden ersonnen. Hört das Klagegeschrei der Opfer, die aus dem tiefen Grunde der Kasserolen Euch beschwören ihre Rächer zu werden!« Schauer und Zähneknirschen unter den Zuhörern.

»Mohnköpfe, wacht auf aus Eurem Schlafe, es geht Euch an den Kopf!«

»Und Ihr, aufkeimende Champignons, die man so grausam der heimatlichen Erde des friedlichen Mistbeetes entreisst, statt der den Feinschmeckern so angenehmen Säfte entquelle Euch künftig ein tödliches Gift. — Euch aber, geliebte Pfeffergurken, verdammt das grausame Menschengeschlecht nicht allein zu der ewigen Hölle des gläsernen Kerkers, es zweifelt auch an Euren geistigen Kräften.«

Murren auf der Bank der Pfeffergurken.

»Ich frage Euch, Ihr Melonen, wollt Ihr Euch auch ferner so ruhig schlachten, Euch, Ihr Radiese, wollt Ihr Euch immer so roh behandeln, Euch, Ihr Zuckerrüben, wollt Ihr stets mit Haut und Haaren Euch kochen lassen?«

»Nein, meine Freunde! So darf es nicht bleiben; der Zorn, der Euch entflammt, bürgt mir dafür. Zu den Waffen, Ihr Sprossen des Pflanzenreiches! — Mögt Ihr siegen oder fallen, Unsterblichkeit wird Euch zu Teil. Die Trauerweide wird Tränen über der Ruhestätte der Toten vergiessen und die Cypresse am Grabe ihren Ruhm den Überlebenden verkünden, den Ruhm derer, die da tapfer starben für Freiheit und Vaterland.«

Nach dieser Rede trennten sich die Versammelten, aber die höchste Begeisterung erfüllte jedes Einzelnen Brust. Die Spargel trugen den Kopf noch ein Mal so hoch und selbst der Kürbisse kaltes Innere durchflammte des Freiheitsdranges lodernde Glut. Der Taback allein blieb seinem gewöhnlichen Indifferentismus {= Gleichgültigkeit} getreu; die ganze Rede hindurch liess er seine Pfeife nicht ausgehen.

Wenn die Zwietracht sich nicht unter die Verschworenen schleicht, so ist es um unsere Küche geschehen. Aber die Moose und die Farnkräuter sonderten sich bereits ab und bildeten einen eigenen politischen Club. Zwischen der Runkelrübe und dem Zuckerrohr kam es bereits zum Zweikampf und die — leider nur zu späte — Dazwischenkunft der Mohrrübe vermochte allein die erbitterten Gegner zu trennen. Die Runkelrübe wäre sonst ganz erlegen und der Bürgerkrieg ausgebrochen.

Was rät man mir zu tun? Soll ich die menschliche Gesellschaft in Kenntnis setzen von den geheimen Umtrieben, die die Kochkunst in ihren Grundfesten zu erschüttern drohen? — Nein, ich schweige — und erfinde ein Surrogat für das Gemüse. —

Was hälst Du von der Idee?

Doch ich vergesse, geliebter Krack, dass Du aus so weiter Ferne mir nicht zu antworten vermagst, und wähne mich immer von Deinem teuren Geiste umschwebt. — Beeile Dich indessen, mir die Flasche baldigst wieder zu senden, die ich der Courierpost des Weltmeers anvertraue.

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»Eine andere Welt« (11) — Kap. IX: Das Reich der Marionetten von Grandville & Plinius dem Jüngsten

Eintrag No. 706Zur Inhaltsübersicht.

Die Illustrationen einer alten französischen Ausgabe habe ich dem flick-Album von blaque jaques entnommen.

IX. Das Reich der Marionetten.

Im Lande der Marionetten ist das Gliedermännchen König. Hegel.

Die Pirouette erfordert den ganzen Menschen, vom Hirn bis zur Fußsohle. Aus Mäulchens Ästhetik.

Die Erklärung dieses Kapitels wird sich finden.

Müde, die Vögel um ihre Ansicht vom Menschen zu befragen, war Schwadronarius eingeschlafen und hatte seinen Ballon von den Luftströmungen forttreiben lassen. Nach einiger Zeit — so ungefähr in der Mitte zwischen einer Minute und einem Jahr — wachte er von einem starken Stosse, den sein Schiffchen erhalten, auf, und sass nicht im unendlichen Raume, wie er geglaubt hatte, sondern auf dem Dache eines Hauses fest.

»Wäre ich auf die Erde zurückgesunken?«, rief er erschreckt, die Blicke umherwerfend, aus. Was er gewahrte, war auch eben nicht geschaffen ihn zu beruhigen, denn von der Höhe des Observatoriums, das ihm der Zufall angewiesen, erblickte er Strassen, Läden, Müssiggänger, Wagen, Karren, kurz alles, was eine Stadt characterisiert. Er versuchte nun sich wieder empor zu schwingen, aber sein Ballon hatte einen Riss bekommen und musste erst wieder geflickt werden. Für’s Erste war also Nichts zu tun, als vor Anker zu gehen; er faltete daher seinen Luftballon zusammen, steckte ihn in die Tasche und stieg durch ein Mansardenfenster, das zufällig offen stand, in das Haus hinein.

Es war eine Wohnung, wie eben alle Wohnungen sind. Schwadronarius kam bis zum ersten Stock ohne Jemanden anzutreffen. Er setzte sein Reise bis zu der Loge des Portiers fort. Dort sah er einen Mann in einem Lehnstuhl sitzen und einen Glockenzug in der Hand halten. In dieser Loge herrschte die bewundernswerteste Ordnung und die vollkommenste Unbeweglichkeit. Vor dem Kamine lag eine schlafende Katze, die nicht einmal mit den Augen zwinkte oder ein Haar ihres Felles regte; eine Uhr zeigte genau die Stunde, ohne dass sich der Perpendikel auch nur leise schwang, geschweige denn tickte oder den Zeiger sichtlich vorwärts trieb. Der Excapellmeister näherte sich dem Portier um ihn zu fragen, wo er sich eigentlich befinde; der wachsame Hüter nickte zwei Mal mit dem Kopfe, kurz und abgemessen, drehte die Augen erst rechts dann links und versank darauf wieder in seine alte Unbeweglichkeit, so dass Schwadronarius trotz allen Bemühungen ihm keine andere Antwort zu entlocken im Stande war. Ungeduldig ging er nach der Haustür, die einem Drucke seiner Hand nachgab und sich, nachdem sie ihn herausgelassen, hinter ihm sogleich von selbst wieder schloss.

Er kam nun auf die Strasse, an deren Ende er ein großes hölzernes Gebäude erblickte mit der Inschrift

THEATER.

Dort war aber weder Casse, noch Controlle, noch Garderobe, so dass er ohne Weiteres in einen leeren Saal trat und sich in einer Loge hinsetzte, in der sich Niemand befand. Plötzlich brannten siebzehntausend Gasflammen, wie durch Zauber angezündet. Da sah er in einer Loge des Amphietheaters ein Gliedermännchen, das zwei Mal in die Hände klatschte und rief: »Anfangen!«

Der Vorhang ging auf, und Schwadronarius sah an den Decorationen, den Anzügen, den Soffiten, dass ein ihm bekanntes Ballett »Die Liebe der Venus« gegeben wurde. Es begann mit einem von Tascgebjrevseb ausgeführten Pas de Trois; die Nymphen wurden von Mäusen, die Cyclopen von Rosskäfern dargestellt, die den berühmten Ambosstanz tanzten, mit welchem der erste Act endigte.

Schwadronarius tat, was Jeder an seiner Stelle getan haben würde; er ging hinaus, um frische Luft zu schöpfen und Erkundigungen enzuziehen. Als er auf den Markt kam, sah er das Gliedermännchen aus dem Amphietheater, welches die Gläser in einem großem Transparent wechselte; alsbald trat Mondlicht an die Stelle des Sonnenscheins.

Zur selben Zeit erblickte der Capellmeister einen Menschen, der auf ihn zukam, und dessen ganze Beschäftigung darin bestand, seine Lorgnette vor die Augen zu halten und sie dann wieder auf die Brust fallen zu lassen. Alle Bewegungen dieses Individuums schienen durch einen inneren Mechanismus geregelt zu werden.

»Hätten Sie wohl die Gewogenheit, mein Herr, mir zu sagen, in welcher Stadt ich mich befinde?«, fragte ihn Schwadronarius sehr höflich, Jener setzte aber seinen Weg fort ohne auch nur die mindeste Notiz von ihm zu nehmen.

Unser Reisender fand, dass die Einwohner dieser Stadt noch gewaltig in der Cultur zurück seien, und betrachtete nun die Gegenstände, die ihn umgaben, mit sorgfältiger Aufmerksamkeit. Der Marktplatz war mit einem Brunnen geschmückt, aber das Wasser, das aus demselben floss, war von Glas nachgemacht und drehte sich um sich selbst, wie das künstliche Wasser einer Tischuhr mit Federn, die einen Brunnen darstellt. Wagen fuhren vorrüber, jedoch nicht weiter als bis zu einer gewissen Stelle, wo sie umkehrten, wieder nach der entgegengesetzten Seite auch bis zu einer gewissen Stelle und so regelmäßig hin und her rollten.

Der Herr mit der Longrette ging in das Theater; Schwadronarius folgte ihm, weil er vermutete, dass der Zwischenact zu Ende sei. Dies Mal fand er alle Plätze besetzt. Elegante Damen ließen ihre Fächer spielen, Andere lächelten beständig, wieder Andere drehten abwechselnd den Kopf, rechts und links. Unter den Männern gähnten Einige, Andere legten den Kopf auf den Arm und schliefen, wieder Andere neigten sich zu ihren Nachbarn.

Das Seltsame bei Allem diesem bestand darin, dass Jeder stets dieselbe Bewegung machte und dieselbe Stellung fortwährend behauptete.

Das Gliedermännchen klatschte von Neuem in die Hände und der zweite Act bekann. Schwadronarius geriet in einen wunderbaren Zustand und schrieb mit folgenden Worten die empfangenden Eindrücke in seinem Tagebuche auf.

Ich ward im Geist entzückt und sah ein Weib, Das tanzte, ganz in Mousselin gekleidet, Mit Gold- und Silbersplittern reich besetzt; Es hatte Flügel an von Silberzindel Und eine Krone auf von Similor.

Vor jener Bühne unten waren Sitze Mit rotem Wollensammet überzogen Und auf den Sitzen thronten Händepaare, Die sonder Augen, Geist und Kunstsinn waren. Das erste Paar trag gelbe Handschuh zierlich. Das zweite Paar glich Menschenpfoten ganz. Das dritte war ein Paar von Krabbenscheeren, Das vierte Schlägel nur von Fleisch und Bein, Die anderen leere Flaschen oder Gläser.

Rings um die Bühne schwangen sich empor Entflammte Greisenherzen, Schreibefedern Und Weihrauchfässer. Unten waren auch Gar sonderbare unsichtbare Tiere; Das Erste schrie gerade wie ein Esel, Das Zweite weinte wie ein saugend Kalb, Das Dritte endlich brüllte wie ein Löwe, Der eine Cigarette raucht dazu.

Kaum war diese Vision — denn eine solche musste es sein — vorrüber, als Schwadronarius eine neue Tänzerin sah. Sie hatte einen Leib von Fichtenholz, Arme von Steinpappe und Beine von Kork.

Der Zuschauerraum füllte sich plötzlich mit Bärtigen und Schnurrbärtigen, welche einstimmig schrieen: »Brava! Vivar due Cachucha

Das Gliedermännchen in der Loge liess ein ›Brrrtt‹ hören, was so viel heissen sollte wie: »Sehr gut!«

Nun trat ein Tänzer auf, dessen ganzer Köprer aus Werg und Baumwolle gemacht war.

Dieser wurde kalt aufgenommen; als aber gleich darauf zwei Tänzer mit Springfedern in den Gliedern erschienen, da kannte der Enthusiasmus keine Grenze.

Das Gliedermännchen schwang sich, wie auf ein Pferd, auf den Rand seiner Loge und rief: »Wunderschön! Genau wie drunten!«

Gleich nachher leerte sich das Schauspielhaus, die Gasflammen erloschen, und als Schwadronarius auf die Strasse kam, war sie öde und verlassen.

»Ich gäbe meinen Titel als Neu-Gott darum«, sagte er, »wenn ich wüsste, wo ich bin und was die Uhr ist. Hätte ich nur Feuer, meine Cigarre anzuzünden; rauchen ist nachdenken.«

In diesem Augenblicke ging Jemand mit einer Laterne vorrüber. — Schwadronaius fragte, was es geschlagen habe; — keine Antwort. Nun wollte er die Cigarre anstecken, da sah er entsetzt, dass die Flamme in der Laterne keine wirkliche Flamme sei. —

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»Eine andere Welt« (10) — Kap. VIII: Physiologische Verkleidungen von Grandville & Plinius dem Jüngsten

Eintrag No. 699Zur Inhaltsübersicht.

Die Illustrationen einer alten französischen Ausgabe habe ich dem flick-Album von blaque jaques entnommen.

VIII. Physiologische Verkleidungen.

Die Maske wird künftig die Wahrheit sein. Landesgesetz für die Redouten.

Die Larve ist dem Menschen gegeben worden, um seine Gedanken zu offenbaren. Tallerand.

Prospectus.

Schon vor längerer Zeit sagte ein begeisterter Redner: die Masken haben sich überlebt; den Harlekin zernagen die Würmer, den Hamlet bedeckt fingerhoch der Staub, die Saiten der Cither des Minnesängers zerfrisst der Grünspan. — Der Fasching ist seinem Ende nah. Man muss ihn auferwecken, aber ihn moralisch machen.

Was ist ein Maskenball?

Ein Pandämonium von Flitterstaat, eine Sündflut von Trachten, ein Wirbel von Tanz, Intrigue {hier in seiner Bedeutung als dramaturgischer Fachbegriff die ›sichtbare Seite der Ereignisse zeigend‹ gemeint}, Späßen und Langeweile.

Diese Sündflut zu stillen, diesen Wirbel zu dämpfen, dieses Chaos zu ordnen blieb unseren Tagen vorbehalten.

Es gibt keine Intriguen mehr; eben so wenig auf den Redouten {= Kostümball}, wie in den Lustspielen. Diese Lücke muss ausgefüllt werden.

Um das zu erreichen, beabsichtigt der Unterzeichnete, der Maskentracht eine neue Gestaltung zu geben und ihre moralische Würde zu verleihen.

Ehemals sagte man mit verstellter Stimme auf der Redoute zu einer anmutigen Tyrolerin oder Türkin: »Maske, ich kenne dich, du wohnst an der Pomeranzenstraßenecke, eine Treppe hoch, vorn heraus, bei dem Glaser, und heißest Hannchen Zwiebelmeier.«

Es bedurfte außerordentlichen Geistes, um diese Freuden des Maskenballes zu genießen; durch unsere neue Erfindung werden sie Jedem für ein Billiges zugängliches gemacht.

Durch unser System errät man nicht allein die Wohnung, sondern auch das Geschlecht, den Stand und den Character der einzelnen Maske und die Intrigue erhält dadurch eine psychologische Basis. Die Redoute wird zu einem vollständigen Kursus practischer Philosophie. Je mehr sich Jemand verkleidet, desto kenntlicher macht er sich. Meine Maskenanzüge sind doppeldeutig wie das menschliche Herz.

Die Neo-Maskerade wandelt einer bedenklichen Vergnügungen in einer Sittenschule um; ich helfe dadurch einem dringend gefühlten Bedürfnisse ab, und die Nachwelt wird mich noch segnen, weil ich vollständige philosophische Maskenanzüge für den billigen Mietpreis von 1 Rthlr. {= Reichstaler} 10 Silbergroschen bis zu 10 Rthlr. Per Abend liefere.

Schöne Künste und Gewürzkrämer. Parade und Zofe. Krieger und Bürger. Das Haupt in den Wolken, die Füße im Kot. Was sechszehn Ellen Seide decken.

Befleckte Anzüge werden nicht zurückgenommen. Jeder Abmieter ist für etwaige Beschädigungen verantwortlich.

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»Eine andere Welt« (9) — Kap. VII: Verkleidete Charaktere von Grandville & Plinius dem Jüngsten

Eintrag No. 693Zur Inhaltsübersicht.

Die Illustrationen einer alten französischen Ausgabe habe ich dem flick-Album von blaque jaques entnommen.

VII. Verkleidete Charactere oder Verkleidungen von Characteren.

Tu' die Maske vor und ich will Dir sagen, wer Du bist. Sprüche Neronis.

Alle Tiere sind mehr oder minder verkleidete Menschen und alle Menschen mehr oder minder verkleidete Tiere. Der kleine Unbekannte.

Verkleidung eines deutschen Perfectum in das Griechische; Doctor Puff erfindet die Philosophie der Verkleidung als Fortsetzung der Philosophie der Geschichte. — Entwicklung dieser von Gas erhellten Theorie.

Puff wollte den ersten Teil von Krack's Manuscript zu Ende lesen und setzte daher seine Lectüre fort.

»… amüsiert, doch fing das Bedürfnis nach einiger Ruhe an sich in mir zu regen. Ich wollte mich eben nach einem Hotel erkundigen, wo ich ein behagliches Zimmer und ein gutes Bett fände, da hörte ich einige Maikäfer davon sprechen, sich nach einem anderen Maskenball in der Nähe zu begeben, die unterseeische Aristokratie kennen zu lernen; die Neugier gab mir neue Kräfte und ich schloss mich jenen an.

Der Türsteher, ein alter Hai, betrachtete mich mit Bewunderung und ließ mich durch, ohne mir eine Eintrittskarte abzufordern. Stolz auf diesen Erfolg trat ich mit vornehmer Haltung ein; es bildeten sich alsbald zahlreiche Gruppen um mich und die Menge drängte sich hinzu, um meine Züge und mein Wesen zu beschauen. Ich machte offenbar Aufsehen. Das setzte mich nun eben nicht in Erstaunen, aber ein anderes Ding überraschte mich und war mir ein seltsames Rätsel. Hatte ich Menschen als Tiere oder Tiere als Menschen maskiert vor mir? Erst gegen das Ende des Balls kam ich darüber in das Klare, als ich eine Wasserratte die Larve abnehmen sah, um ein Glas Maraschino-Eis zu verzehren.

Die Aristokratie hatte nämlich das Princip der Verkleidung modificiert und, statt die Physiognomien anderer Tiere zu benutzen, menschliche Gesichter zu Masken genommen. Nun wußte ich, wehalb ich so großes Glück gemacht; man hielt mich für ein Tier und bewunderte daher die Genauigkeit meiner Verkleidung. Eine zudringliche Eidechse bat mich sogar, ihr die Adresse meines Lieferanten zu geben.

Als ich eintrat, war der Ball sehr belebt. Der in Krystall gehauene Saal hallte wieder von den Sprüngen der Tänzer und der gläserne Fußboden zitterte jeden Augenblick. Elephanten-Sylphen, Bajazzo-Käfer, Bären, Windhunde, Ziehenböcke, Geier gaben sich den Freuden des Tanzes mit solchem Eifer hin, dass die Grotte fortwährend krachte, wie das Verdeck eines scheiternden Schiffes. Das Gedränge und der Lärm wurde aber so stark, dass ich es für geraten hielt, zu gehen und mir Stock und Pfeife in der Garderobe wiedergeben ließ.

Es fehlt mir an der Zeit, meine Betrachtungen zu ordnern, doch kann ich folgende Bemerkungen nicht unterdrücken: Gibt es Menschen in diesen neu entdeckten Reichen, oder haben sich die Tiere jene Masken nur in Folge des Unterganges eines Schiffes verschafft? — Zwiefache Frage, die ich einigen Akademien vorzulegen Willens bin.«


Ziehen wir jetzt dem Präteritum Heureka die griechische Hülle ab und suchen wir Rechenschaft zu geben von den Beweggründen, welche Puff zu dem ehrgeizigen Ausruf veranlassten: »Ich hab's gefunden!«

Puff hatte Krack's Manuscript aufmerksam durchgelesen und sich überzeugt, dass während des Carnevals die Thorheit der Tiere der Thorheit der Menschen nicht nachstehe. Aufmerksam betrachtete er die Zeichnungen, die sein Mit-Gott als Urkundenbuch beigelegt, und sand nun Folgendes.

Er überzeugte sich nämlich, dass der Mensch moralisch den Tieren, deren Abbildungen vor ihm lagen, gleicht.

»Der Mensch«, sagte er zu sich, »hält sich stets für eine Einheit und ist immer eine Zweiheit, seine Physiognomie und sein Character führen beständig Krieg mit einander. Ich will diesen Kampf benutzen, um dem Fasching eine neue Außenseite zu geben.«

Am nächsten Tage hing folgendes Schild über einem Magazin von Maskenanzügen.

Zur selben Zeit ließ er folgenden Prospectus in der ganzen Stadt verteilen.

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»Eine andere Welt« (8) – Kap. VI: Krack’s von Krackenheim Manuscript von Grandville & Plinius dem Jüngsten

Eintrag No. 690Zur Inhaltsübersicht.

Die Illustrationen einer alten französischen Ausgabe habe ich dem flick-Album von blaque jaques entnommen.

VI. Krack’s von Krackenheim Manuscript.

Erstes Capitel.

Sitten. — Bevölkerung. — Gesetzte. — Allgemeine Betrachtungen.

»Ich kann nicht genau bestimmen, wie lange mein Untertauchen währte, da es bedenklich war, meinen Chronometer, wenn auch nur auf Augenblicke, dem Einfluss der Salzflut auszusetzen; irre ich nicht, so dauerte meine perpendiculare {= senkrechte} Flutfahrt drei Tage, denn ich hatte sehr mit dem Zwischenströmungen zu kämpfen und ein Zug Heringe sperrte mir lange den Weg. Nach vielen mühseligen Anstrengungen gelang es mir endlich, ihn zu durchbrechen, und ich ruhte nun auf einer Austerbank aus, wo ich frühstückte. Dann setzte ich mit frischen Kräften meine Flutfahrt fort und befand mich, als ich am Morgen des dritten Tages meine Berechnungen und Messungen anstellte, fünftausend Fuss tief unter der untersten Schwimmschicht der Walfische. Hier landete ich gleichsam auf einer Bank von feinem Sande und stellte meine in Unordnung geratene Toilette wieder her. Große Mühe machte mir meine Frisur, in der sich unzählige noch unbeschriebene Mollusken und viele den überflutlichen Naturforschern noch gänzlich unbekannte Muschelarten, die ich in einem besonderen Werke mit illuminierten Abbildungen zu beschreiben gedenke, festgesetzt hatten. Kaum war ich damit im Reinen, als ich auch schon eine große Menge von Bewohnern dieser hydrogenen Regionen um mich versammelte und mich mit seltsamen Grimassen zu meiner nicht geringen Verwunderung begrüßte. Später erfuhr ich, dass das Meer gerade seinen Fasching feiere und dass die Maskenfreiheit dieses eben nicht sehr artige Benehmen gestatte.

So viel ich mich bis jetzt zu überzeugen im Stande war, ist der Meerboden bevölkern, wie der Erdboden; die Symbolik des Mythos der Nereiden liess das schon lange ahnen. — Götter gibt es jedoch nicht mehr ihm Ocean. Proteus hat, zufolge eines Auszuges aus dem Kirchenbuche von Ichthyopolis, dem ehemaligen Fischanz, bereits am 31. Poseideon der letzten Olympiade alten Stils das Zeitliche gesegnet, und Thetis ist vor Alter kindisch geworden. Nur aus ehelicher Treue allein findet sich Helios bewogen, täglich nach seiner Ausfahrt zu ihr zurückzukehren und das feuchte Lager mit ihr zu teilen, was seinem Character als Ehemann große Ehre macht.

Die Sitten der unterseeischen Völker scheinen mir sehr sanft zu sein. Selten erhebt sich ein Streit unter ihnen. Meiner Ansicht nach hat ihre Religion große Ähnlichkeit mit dem Neo-Paganismus, doch habe ich unter ihnen Fische mit Bischofsmützen bemerkt. Eine Bande Musikanten, die auf Seemuscheln bliesen, unterbrach mich plötzlich in meinen Beobachtungen, da sie die Luft mit ihren Tönen erschütterten. Sie befanden sich an der Spitze eines ungeheueren Zuges, der sich bei mir vorüber bewegte; es war das Geleite des Fastnachtsochsen, von dem ich hier eine Abbildung beilege. Sein Gefolge war höchst geschmackvoll angeordnet und befand aus verkleideten Tieren, welche die für den Menschen leckersten Schüsseln aus ihrem Reiche darstellten. Der Ochse selbst kam von den Weidenplätzen des alten Nereus, des ehemaligen Viehmästers der Herden des Neptun. Folgendes Programm ward dazu ausgegeben.«

Programm.

In Erwägung der Schwere des Festochsen werden alle Straßen, durch die der Zug geht, dreifach gepflastert sein.

Der Fastnachtochse nimmt seinen Zug von dem Suppenmarkte nach der Austernstraße, von da durch die Rotweingasse und die Weißweingasse nach der Champangnerstraße; Halt wird gemacht auf den Puddingplatze, vor dem Würstchenschlosse und vor dem Hause des Präsidenten der Kochkunst, Excellenz, Großkreuz des Hausordens u. f. w.

Herr Cervelat, einer der ausgezeichneten unterseeischen Mäster, der zum zwanzigsten Male diesen Zug leitet, ist darauf bedacht gewesen, ihn diesen Fasching ganz besonders auszuschmücken. Der Siegeswagen, in welchem er seinem Zögling folgt, ist ganz mit Perlenmutter ausgelegt. Der Gott Romus sitzt auf dem Bock, Neptun und Amphitrite Herren Cervelat gegenüber und Najaden und Tritonen umgeben das Fuhrwerk.

Diejenigen geehrten Feinschmecker, welche ein Beefsteak von dem Festnachtsochsen zu haben wünschen, werden gehorsamst ersucht, sich eigenhändig in den Listen einzuzeichnen, welche bei dem Restaurator Herrn Lendenbraten ausgelegt sind, woselbst auch täglich von 7 Uhr Morgens bis Mitternacht delicate frische feine Hirnwurst mit Trüffeln zu haben sind.

Anordnung des Zuges.

Der Zug verlässt die reichen Magazine des Herrn Kochgut, um sich zu den unterseeischen erwählten Magistratspersonen zu begeben. Die Stopfer, Nudler, Mäster, Züchter, Führer, Käufer, Vorleger, Esser u. f. w. Abgerechnet: besteht aus folgenden Mitgliedern:

1. Fasanierter Hase. 5. Bekrümelte Ente. 9. Kapauniertes Wildschwein.
2. Umgefischte Gans. 6. Gehechtete Kriechente. 10. Gebratener Schwein-Truthahn.
3. Gelachster Hummer. 7. Turtel-Schnecke. 11. Ente mit Oliven.
4. Rebhuhn mit Krebsschwanz. 8. Gebackener Frosch. 12. Reh mit Hahnenkamm.

»Da auf der Erde Tag war, so erhellen hier unten Fackeln den Zug. Bei sinkender Nacht begann die Morgenröte zu erscheinen und nun eilte alles auf den Ball, welcher in einer azurnen Grotte mit Perlmuttermauern statt fand, deren von den zurückgeworfenen Strahlen der Sonne beschienene Stalactiten wie goldene Kronleuchter glänzten. Die Tiere trugen eben so einfache wie geschmackvolle und malerische Maskenanzüge. Ein junges sehr zartes Lamm eröffnete den Ball mit einer schon etwas altlichen Frau Panther; dieses Paar, das kaum auf den Pfotenspitzen walze, fesselte ziemlich lange meine Blicke. Dann werde ein reizender Contretanz von Affen und Affeninnen, die wie Windspiele frisiert waren, aufgeführt und diesem folgte eine Menuet voll Anmut und Bescheidenheit.

Ein Fuchs tat sehr schön mit einer Henne und ein kokettes Rebhuhn wußte trefflich einen von seinen Reizen hingerissenen Wachtelhund zu beschäftigen. In einem nicht sehr erleuchteten Seitengage machte ein Bär einer Scholle den Hof und bot ihr seine Equipage an, um sie nach Hause zu begleiten; ein Hahn verfolgte eine Löwin so heftig mit seinen Liebesanträgen, dass sie sich kaum zu retten wusste, und eine Gazelle schleifte einen jungen Tiger, ihren Geliebten, den sie bei einem Stelldichein mit einem Windspiel von der Oper überrascht hatte, an den Haaren fort. Überall herrschten Freude, Lust, Scherz und Lebendigkeit.

Ein allgemeines Lärmen verkündete das Ende des Maskenballs die feineren Besucher waren schon lange fort. Viele schliefen, Andere schwatzten, Viele waren unwohl; man hätte glauben sollen, auf der Erde zu sein. Den Bechluss machte ein Charactertanz, den ein junger Enterich mit einer jungen Ohreule aufführte und welchem der schon bejahrte Gatte der Letzteren, wenn es nicht ihr Vater war, was auch möglich ist, gravitätisch zusah. Nie habe ich mich so sehr …«

Hier unterbrach sich Puff plötzlich im Lesen und rief: »Heureka!« …

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»Eine andere Welt« (7) – Kap. V: Der Fasching in der Flasche von Grandville & Plinius dem Jüngsten

Eintrag No. 684Zur Inhaltsübersicht.

Die Illustrationen einer alten französischen Ausgabe habe ich dem flick-Album von blaque jaques entnommen.

V. Der Fasching in der Flasche.

Alles ist in Allem. Axiom eines Hegelinaers.

Die Unendlichkeit des Meeres gefällt der Unendlichkeit des Gedankens. Staberle.

Die Kutte macht den Mönch. Aus dem Vighmara Redasastra.

Man wird die Notwendigkeit dieses Kapitels erst später einsehen, jedoch den Keim der Philosophie der Verkleidung, welche die Fortsetzung der Philosophie der Geschichte bildet, jetzt schon darin entdecken.

Puff war zu sehr Neugott, um nicht zu wissen, dass sich Nichts leichter abnutzt als der Erfolg; daher sann er auch schon darauf, etwas Neues zu erfinden, das seine gegossenen Musikanten vorteilhaft ersetzen könnte. Von tausend verschiedenartigen Ideen durchkreuzt, wandelte er am Strande des Mittelmeeres einher und fühlte in seinem Gehirne — der freundliche Leser gestatte uns die Metapher — die Flut und Ebe wechseln, die er zu seinen Füssen erblickte. Siehe da! Plötzlich trugen die schaumgekrönten Wogen, die Jungfrauen mit dem weissen Perlenschleier, eine Flasche auf ihren siegreichen Armen daher, die einem armen Gefangenen glich, der sich der Wut der Feinde preisgegeben sieht, und ihn um Hülfe anzuflehen schien. Der Doctor war menschlich genug, um in diesem Augenblicke zu bedauern, dass er kein Wasserhund sei, seo ein tüchtiger Neufoundländer nämlich. Die Flasche fuhr indessen fort, ein Notsignal nach dem anderen zu geben. Glücklicher Weise ward sie von einer starken Welle gepackt und auf den Strand geschleudert.

Als er sich nun der Schiffbrüchigen näherte, um ihr seine Hülfe angedeihen zu lassen, die ihr Zustand erforderlich machte, las Puff zu seiner eigenen Überraschung folgende Etikette, welche die Ohnmächtige auf ihrem Herzen trug.

Ich ersuche jeden, der mich auffischt, mich baldmöglichst an folgende Adresse gelangen zu lassen.

Sr. Hochwohlgebohren

Herrn Dr Puff, Neugott.

Franco. Zerbrechlich.

Überall.

Krack's Andenken und die Erinnerungen an seine unterseeischen Versprechungen stiegen jetzt vor der Seele seines Kollegen auf. Er nahm die Flasche in die Arme und eilte nach Hause unter den Ausrufungen:

»Ist es möglich! Kann ich meinen Augen trauen! Er ist es! Der Teuere, schmerzlich Vermisste!«, und was dergleichen Redensarten mehr sind, deren man sich bedient, wenn man tun will als zweifelte man an einer ausgemachten Sache.

Es war möglich! Er war es, der schmerzlich Vermisste; Puff durfte seinen Augen trauen; es war Krack, der seinem Freunde eine unterseeische Depesche sandte. In einer Kapsel, die an der Flasche befestigt war, befand sich ein Manuskript, das wir uns bemühen wollen, dem ungeduldigen Leser zu entziffern und vorzulegen, denn wir können uns denken, mit welchem Heißhunger derselbe eine Nachricht von seinem alten Bekannten, dem Rittmeister, Ritter vieler hoher Orden, Professor der Reit-, Fecht-, Schwimm-, Turn- und Tanzkunst, Krack von Krackenheim, Krackmandelscher Linie auf und zu Krackendorf erwartet.

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»Eine andere Welt« (6) – Kap. IV: Die Erde in der Vogelperspektive von Grandville & Plinius dem Jüngsten

Eintrag No. 679Zur Inhaltsübersicht.

Die Illustrationen einer alten französischen Ausgabe habe ich dem flick-Album von blaque jaques entnommen.

IV. Die Erde in der Vogelperspektive.

Gott! Wie klein sind die Menschen! Altes Volkslied.

Schwadronarius, Neugott und Aerostograph, beurteilt die Menschen aus der Vogelperspective und empfindet dieses Herzeleid 6000 Fuß hoch über dem Niveau des Straßenpflasters.

Die schönste Verwünschungen des Altertums halten keinen Vergleich aus mit der gedankenreichen Anrede, welche Schwadronarius' Munde entströmte, als er die Erde verließ. Die Schnelligkeit seines Aufsteigens fand nur in der Schnelligkeit seiner Worte einen würdigen Nebenbuhler. Die Gegenstände, welche seine Blicke trafen, dienten allein dazu, die Flut seiner lyrischen Improvisation zu vermehren. Über einer Reitbahn ließ er den Ballon anhalten, aber nicht um den Raum, den er durchschnitten, zu messen, sondern nur um gegen die Menschen im Allgemeinen und die Kunstreiter im Besonderen neue Redensarten zu schleudern.

»Das sind Menschen, die ihr Leben damit verbringen, Wendungen und Verrenkungen auf der Croupe eines Pferdes zu machen; Frauen, die ihren Ruhm darin suchen, durch einen mit Ölpapier beklebten Reif zu springen und in fleischfarbenen Tricots und flatternden kurzen Gewändern ihre Künste hoch zu Ross zu producieren, Alles nach den Worten: ›Hupp! Hupp! Hupp!‹, oder ›Hopp! Hopp! Hopp!‹ mit Begleitung von türkischer Musik.«

Kaum war er damit fertig, so trieb ein Windstoß seinen Ballon nach der linken Seite und Schwadronarius schwebte jetzt über der Terrasse eines Gartens, dessen Bezeichnung sehr viele, mehr oder minder interessante Romane enthalten. Ein Jüngling und eine Jungfrau plauderten miteinander auf dieser Terrasse sehr leise, dicht aneinander sich drängend. Unten schlich ein Mann, Vater, Oheim oder Vormund vorsichtig auf dem Fußsteige längs der Gartenmauer näher. Schwadronarius lächelte über die vergeblichen Anstrengungen, die er ihn machen sah, um sie zu überraschen, als er plötzlich gerade in dem Augenblicke, wo die Jungfrau dem Jüngling den Scheidefuß zu geben im Begriff stand, in der Ersteren sein Bäschen Gertrude erkannte, für die er die zärtlichsten Liebeslieder in Musik gesetzt und ihr gewidmet hatte. Da begriff er zum ersten Mal, dass ein Gott lieben und leiden könne, wie ein gemeiner Schäfer. Nun hätte er gern seinem Rächer beigestanden und gesehen, wie dessen Zorn und Regenschirm den verhassten Nebenbuhler traf, aber er fühlte zu sehr das Bedürfnis, seine neue Würde zu retten, und stieg daher majestätisch wieder empor.

Unserem göttlichen Aeronauten bot sich, als er so hoch über den Straßen, den Häusern und Vorstädten dahinschwebte, noch manches Schauspiel zwar umsonst, aber nicht eben ergetzlich dar. Unwillkürlich richtete er den Blick auf ein Ballet unter offenem Himmel, das einige junge Savoyarden und einige alte Pudel aufführten.

»Unglückliche Kinder! Unglückliche Hunde!«, rief er. »Dazu verwendet der Mensch Eure Jugend, Eure Anmut, Eure Frische! Unschuld, Alter, Hunde, Alles macht er seinem Vergnügen dienstbar. Wahrlich, ich werde mich nicht mehr um ihn kümmern!«

Dieser Entschluss hinderte ihn jedoch nicht, eine vorübergehende Amsel zu fragen, was sie von den Menschen halte.

»Der Mensch«, pfiff die Amsel, »ist ein plattes Wesen. Er verabscheut uns und beneidet uns sein ganzes Leben hindurch um die Fähigkeit, zu fliegen. Endlich stirbt er aus Verdruss darüber, dass die Flügel, die er sich macht, an der Sonne schmelzen. Das ist meine Meinung über den Menschen.«

Schwadronarius tat nun dieselbe Frage an den Kranich.

»Der Mensch«, entgegnete der Kranich, »ist ein sehr plattes Wesen. Er versucht vergebens, uns nachzuahmen. Auf Locomotiven strebt er uns einzuholen und ist eifersüchtig, dass unsere Flügel uns weiter tragen als ihn seine Eisenbahnen.«

Eine Lerche sang ihm auf dieselbe Frage folgende Antwort:

»Der Mensch ist ein außerordentliches plattes Wesen. Die Vortrefflichkeit meines Gesanges bringt ihn zur Verzweiflung. Er versuche es einmal, wie ich einen Triller im Aufsteigen zu schlagen, seine Töne zwischen Himmel und Erde erschallen zu lassen und ein Solo, umgeben von den Strahlen der aufgehenden Sonne, zu singen. Der Mensch ist neidisch und ohne Fähigkeiten. Das ist meine Meinung.«

Eine junge Nachtigall flötete ihm dieselbe Ansicht über den Menschen zu.

»Die Vögel haben Recht«, sagte Schwadronarius, »ich teile ganz ihre erhabene Ansicht und habe die Plattheit des Menschen nie besser begriffen als jetzt.« Nachdem er diesen Gedanken in sein Album geschrieben, beschloss er ihn dem ersten Zugvogel mitzuteilen, der ihm begegnen würde. Eine wilde Ente, die nach Europa flog, um sich dort von einer Leberkrankheit kurieren zu lassen, war so gefällig, das Blatt mitzunehmen.

Schwadronarius schwebte gerade über Paris und gewahrte tief unten auf dem Vendomeplatze die Napoleonssäule.

»Ich sehe«, fuhr er fort, »dieses großartige Denkmal menschlichen Ruhmes. Kutscher und Wasserträger, Herzoginnen und Hökerinnen {= herumziehende Händlerin}, vornehme Herren und gemeines Volk, kurz alle Welt umkreist das Monument; zwischen der hundert Fuss hohen Säule und den Menschen sehe ich keinen Unterschied; sie scheinen mir sämmtlich gleich hoch zu sein. — Von dem Gesichtspunkte aus, auf dem ich mich befinde, ist der Ruhm gleich dem Nichts.«

Befriedigt von dieser Definition schwang sich Schwadronarius wieder zur Sonne empor.

Als seine Blicke zum letzten Mal auf der Erde ruhten, sah er das Pflaster des Boulevard von Fiakern {= zweispännige Pferdekutsche}, Kutschen und Wagen voll Masken überschwemmt. Ein verwirrtes misstöniges Geschrei drang bis zu ihm. Er wollte sich von diesem für das Auge eines Philosophen so traurigen Scenen entfernen, aber eine Windstille hielt seinen Ballon fest. Diese Zeit benutzte er, um sein Tagebuch zu schreiben, hielt es jedoch für passend, seinem Obergott die Geschichte mit Gertrude zu verschweigen. Wir verdanken diese Episode der Schwatzhaftigkeit eines Hänftlings; sie beweist, dass Alles, selbst von oben gesehen, seine Nachtseite haben kann.

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»Eine andere Welt« (5) – Kap. III: Eine Hand wäscht die andere von Grandville & Plinius dem Jüngsten

Eintrag No. 676Zur Inhaltsübersicht.

Die Illustrationen einer alten französischen Ausgabe habe ich dem flick-Album von blaque jaques entnommen.

III. Eine Hand wäscht die andere.

Gib mir von Deinem, geb' ich Dir von Meinem. Persisches Sprüchwort.

Bericht der Pickelflöte, Zeitung für Geist, Herz und Musik, über das Concert des Dr. Puff im Besonderen und die Dampfmusik im Allgemeinen.

Puff war, wie man sich denken kann, Zeitungsschreiber gewesen. Der Redacteur des Journals, »Die Pickoloflöte«, Zeitschrift für Geist, Herz und Musik, welches damals den Ton in der literarischen und artistischen Welt angab, gehörte zu seinen Freunden. Puff, der eine glänzende Recension über den letzten Roman desselben geliefert hatte, schrieb ihm und bat ihn um die Aufnahme eines Artikels über sein Concert. Eine Hand wäscht die andere, sagen die Deutschen, und beide zusammen das Gesicht, setzten die Italiener hinzu. Der Redacteur erklärte in der Antwort seine Bereitwilligkeit, Alles aufzunehmen, was der Verbreiter der Dampfmusik für passend fände ihm zu senden.

Puff nahm die Feder und schrieb den folgenden Bericht, kraft jenes Axioms, das oft falsch ist wie alle Axiome: »Man wird stets am Besten durch sich selbst bedient.«

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No. 91. Auflage 111,111 Exemplare 99. Jahrgang

Die Pickelflöte. Melodisch-harmonisch-symphonische Zeitschrift für Geist, Herz und Musik.

Verantwortlicher Redacteur: Dr. Schreibefinger.

Illustrationen: Die Herrn Aquatinta und Bleistift, und die Damen Kreide und Tusche.

Verleger: Die Druckalles'sche Buchhandlung in Lindenstadt.

Mitarbeiter: Die berühmtesten Schriftsteller in Europa, Asien und Van-Diemenland.

Die musikalische Teil unter Leitung der Herrn Hofcapellmeister Ikhtmftbdg und Straccinati.

Censor: Geheimrath Bretnagel.

Art des Erscheinens

»Die Pickelflöte« erscheint täglich und stündlich von 7 Uhr Morgens bis Mitternacht wie die Omnibus.

Jede Nummer bringt als Extrabeilagen drei Walzer, fünf Romanzen, acht Etudes und eine Sonate von den berühmtesten Componisten.

Außerdem erhalten die Abonnenten achtzehn Freibillets für die täglichen Concerte der Pickelflöte. Gegenwärtig wird ein neuer Saal gebaut, der groß genug ist, alle Abonnenten zu fassen.

Bedingungen für das Abonnement.

Für 1 Woche, 1 Monat, 1 Tag: Gar Nichts.

Für ein Vierteljahr erhalten die geehrten Abonnenten: Eine noch ungedruckte Symphonie von Ikhtmftbdg.

Für ein halbes Jahr: Eine ganze nich unbekannte Oper von Straccinati.

Für ein Jahr: Ein Flügelpiano und lebenslänglichen freien Eintritt in die musikalische Akademie.

Ferner als Extrazugabe die Portraits von Ikhtmftbdg und Straccinati.

Am 1. April 1850.

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Wir eilen dem verehrten kunstliebenden Publicum Bericht abzustatten von dem ersten humano-mechanischen Concert des eben so ausgezeichneten wie mit Recht berühmten Dr. Puff. Um würdig diese Aufgabe zu lösen, bedürfte es der glänzenden Beredsamkeit eines Mireabeau und der Flammenzunge eines Propheten des alten Testaments; unsere Schilderung — wir sind uns dessen nur zu wohl bewusst — muss weit hinter der Wirklichkeit zurückbleiben und rechnet nur zu sehr auf die Nachsicht des freundlichen Lesers. Dank sei es dieser wunderbaren Erfindung, von nun an werden Schnupfen, Husten, Heiserkeit und dergleichen Gesangshindernisse eine verklungene Sage sein. Die Stimmen der Tenore, Bässe, Baritons, Soprane und Alte sind vor allen Unfällen fortan bewahrt; die durch Dampf in Bewegung gesetzten Instrumente bringen Wirkungen von unglaublicher Genauigkeit hervor und die großen Meister unserer Zeit haben endlich Interpreten gefunden, die auf gleicher Höhe mit ihren unsterblichen Compositionen stehen. In diesem Jahrhundert des Fortschritts ist die Maschine ein vervollkommneter Mensch.

Wir enthalten uns der Schilderung des unbegrenzten Enthusiasmus, welchen jede von den Virtuosen des Dr. Puff executierte Piece hervorbrachte. Sein Orchester kann die Orchester aller Conservatoires der ganzen Welt, sogar unser Lindenstädter, dreist zum Kampfe auffordern und wird siegreich daraus hervorgehen. In dem großen Duett »Eisenbahn und Dampfschiff« gab Fräulein Locomotive das fünfgestrichene hohe C mit einer Fülle von Stimme und Dampf, dass alle Zuhörer vor Entzücken laut aufjauchzten. Eine junge Virtuosin von zweiundzwanzig Monaten, sechs Tagen und einer Nacht, welche aus Bescheidenheit nicht genannt zu sein wünscht, hat auf der Dampf-Harfe die schwierigsten Variationen aufgeführt, ohne auch nur einen Augenblick aus der Schienenbahn der Harmonie herauszugleiten, mit einer Fülle und einer Zartheit des Aufschlags, die ihr fortan einen Ehrenplatz unter den berühmten Künstlern der Jetztzeit sichern werden.

Als Gratisbeilage geben wir unseren verehrlichen Abonnenten heute die wohlgelungenen Portraits einiger Mitwirkenden, nebst Facsimiles ihrer Handschrift, außerdem verschiedene ihrer bis jetzt noch ungedruckten Compositionen.

Ein ungeheures Ereignis hat das Ende dieses Concerts ausgezeichnet. Während des Feuerwerks aus D-dur, im Augenblick als die Fuge smorzando {= verlöschend, ausklingend, leiser werdend} mit einer zarten, träumerischen Melodie sich endigte, platze plötzlich eine zu stark mit Harmonie geladene Ophicleide, in dem sie gleich einer Bombe ganze, halbe, Achtel- und Sechszehntel-Noten, ja ganze Passagen verschoss. Wolken musikalischen Dampfes und tausend Melodieen-Funken durschschwirrten die Atmosphäre. Mehreren Dilettanten wurden die Ohren zerfleischt, andere durch das Umherfliegen des F- und G-Schlüssels verwundet. Zur Verhütung jedes ähnlichen Unfalls sind geeignete Maßregeln getroffen worden.

Dr. Puff, welcher durch seinen doppelten Character die Abstammung des Äskulaps vom Apollo beweist, hat allen Verwundeten mit einer über jedes Lob erhabenen Uneigennützigkeit sogleich ärztlichen Beistand geleistet und sie geheilt entlassen.

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»Eine andere Welt« (4) – Kap. II: Das Dampf-Concert von Grandville & Plinius dem Jüngsten

Eintrag No. 670Zur Inhaltsübersicht.

Die Illustrationen einer alten französischen Ausgabe habe ich dem flick-Album von blaque jaques entnommen.

II. Das Dampf-Concert.

Der Dampf wird der Welt ― und der Musik eine neue Gestaltung geben. Ich bedaure Nichts so sehr, als ihn nicht gekannt zu haben. Napoleon auf St. Helena

In diesem Jahrhundert des Fortschritts ist die Maschine ein vervollkommneter Mensch. »Die Pickelflöte«. Musikalisches Journal.

Von der wunderbaren Entdeckung, welche Dr. Puff machte, mit deren Hilfe er ein Riesenconcert geben und für sechs Silbergroschen zu Mittag essen konnte.

Nach dem er das Inventarium aller Mobilien, Immobilien, Actien, Erfindungen und Partituren, welche ihm seine Mit-Neu-Götter zurückgelassen, aufgenommen hatte, befand sich Dr. Puff auf dem Punkte, der Verzweiflung anheimzufallen, als er plötzlich unter diesem Material ein Dutzend gegossener Musikanten entdeckte.

Er nahm sie aus der Kiste, welche sie barg, und konnte nicht umhin auszurufen:

»Das ist der Mann, den sie verkannt, das Genie, dass sie zehn Jahre lang mit zerrissenen Stiefeln umhergehen ließen! Und doch, Schwadronarius, bist du der Einzige und Erste, der das Mittel gefunden, die Anforderungen des musikliebenden Publikums zu befriedigen, und das Geheimnis ersonnen hat, Sänger mit ehernem Gaumen zu schaffen und ein Orchester durch Dampf in Bewegung zu bringen. Mein sei der Ruhm, deine erhabene Erfindung der Vergessenheit zu entreissen. Heute noch gebe ich ein Concert; denn ich muss mir Geld zum Mittagsessen schaffen.«

Ohne Zeit zu verlieren, ließ er an allen Straßenecken folgenden illustrierten Zettel anheften.

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Mit hoher oberigkeitlicher Bewilligung Mechanisch-Metronomisches Instrumental-, Vocal- und Phänomenal- Concert in zwei Stationen.

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Am Schlusse: Jubelhymnus für 200 Posaunen Herr Doctor Puff dirigiert die Maschinen.

Erste Station:
  1. Ouverture für großes Orchester aus der Oper »Die Schienen-Noten«.
  2. Eisenbahn- und Dampfschiff-Duett, vorgetragen von Fräulein Locomotive und Herrn Schlotfang.
  3. Trinklied von Fräulein X, 22 Monate, 6 Tage und eine Nacht alt.
Zweite Station:
  1. »Das Ich und das Nicht-Ich«; philosophische Symphonie in C-Dur.
  2. »Die umgeschlagenen Waggons«. Polonaise für 400 Ophicleiden.
  3. »Der Dampfkessel«. Symphonie für Hochdruck, mit 300 Pferdekraft.
  4. »Die Explosion«. Jubel-Hymnus für zweihundert Posaunen.

An das hochverehrliche Publikum.

Alle Kinder unter vier Jahren, welche anfangen zu rauchen, zu dichten und zu componieren, bezahlen den halben Eintrittspreis doppelt. ― Das Concert findet mit vollem Gasometer statt in einem tragbaren gegossenen Saal und macht vier Meilen Koloraturen in der Stunde. ― Für die Inexplosibilität der Musikanten wird Bürgschaft geleistet. ― Die Eröffnung beginnt auf dem Bahnhof präcise fünf Uhr Abends. ― Die erste Fahrt ist in C-dur. Die zweite in B-Moll.

Die Coupés, Sitze und Waggons haben mittlere Temperatur. ― Man kann Dampfbäder in vergitterten, besonderen Logen erhalten.

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Höchst wichtige Schlussbemerkung.

Es wird ausdrücklich gebeten, weder Finger noch Nasenspitzen herauszustrecken. Alle Zeichen der Missbilligung, alles Murren oder Pfeifen, die dem Luftstrom eine falsche Richtung geben und Gesundheit und Leben der Zuhörer in Gefahr bringen könnten, sind ausdrücklich untersagt. ― Die Zeichen des Beifalls dagegen, bei denen man solche Folgen nicht zu fürchte hat, sind dem hochverehrlichen Publicum, das sich der Begeisterung ganz hingeben kann, durchaus freigestellt.

Um alles Unglück bei dem Schlusse des Concerts zu vermeiden, werden viele Ventile für den Abzug des Publicums geöffnet werden.

Das Concert findet zum Besten eines antimillionären Künstlers, der in den Mond geflohen ist, statt.

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Artistische Gratiszugabe für die Abonnenten des Journals: »Die Pickelflöte« Fräulein Locomotive und Herr Schlotfang in dem Duett »Eisenbahn und Dampfschiff.«

ha ha ha         ha ha         ha ha         ha ha ha ha ha ha ha ha ha         ha ha ha ah ah ah oh la la la!         oh! ah!         oh! ah!         la! la!

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