molochronik

Verlag mag nicht: Zu Thor Kunkels »Endstufe«

Eintrag No. 44 - Vor wenigen Jahren im Cafe-Rowohlt der Frankfurter Buchmesse: ich hochnervös weil armer Hund stehe inmitten dieser gutgelaunten, einander ästheteisch taxierenden Gesellschaft, es gibt riesige Shrimps auf knoblauchgebutterten Baguetts, netter Cool- oder Bar-Jazz aromatisiert die Athmo. Verschiedene Autoren kommen in der Stehgruppe vorbei, zu der mein Herzelieb Andrea, ich und Freund HelK gehören. Beispielsweise wurde mir da der Herr Spinnen sympatisch wie Lottogewinn, als er mir gestand: »Ja, auf das Nikolaus Heidelbach-Umschlagbild für ›Belgische Riesen‹ bin ih sehr stolz … ja, ich würde mir gerne Originale von ihm zu Hause aufhängen, aber ein echter Heidelbach ist nicht billig.« »Ist er ja auch wert.« »Oh ja, gewiss« — ect.

Normale Gespräche und Begenungen dieser Art, bis auf einmal (endlich) auch ein waschechter irrer Autor für einige Zeit bei uns bleibt. Er redet schnell aber klar, wuschelt ab und an in seinen schulterlangen blonden Wuschelhaaren und erzählt, wie sehr ihn die Schreibarbeit freut, wie geil es ist sich vollkommen dem Manuskriptgebähren hinzugeben, vor dem Textprogramm zu verkriechen, Tür zu, HirnHerzBauchSchwanz auf und klapperdiklapperdiklapper die Buchstaben in das Manuskript hacken. Ich hatte Glück, denn dieser kleine Schreibteufel war Thor Kunkel und ich hatte erst vor wenigen Tagen seinen Erstling »Das Schwarzlichtterrarium« fertiggelesen. Ein großartiger Roman der Ende der Siebziger in Frankfurt/M spielt, und der - ganz kurz gesagt - es durchaus mit Pulp Fiction und Co aufnehmen kann. Ohne daß ich es merke, sind Thor Kunkel und ich am schnellschwätzen und loben/lästern über das Glasaugenschwemme-Cover von Schwarzlichtterrarium und irgendwann beginnt er zu umreißen, was sein derzeit in Arbeit befindliches Buch so bringen werde. »Da gehts umd die Pornogeschäfte der Nazis.« Seit damals gab es in meinem Hinterköpfchen einen Balkon, von dem aus ich manchmal in heimlicher Vorfreude in die Zukunft blickte und mich auf eben dieses Kunkel-Buch freute. Nix da. Nun, Jahre später, sollte endlich im März 2004 (sozusagen wieder als Geburtstagsbuch extra für mich - manchmal muß man sich die Welt zurechtinterpretieren, damit man noch was auf sich halten kann) dieser Roman unter dem Titel »Endstufe« erscheinen. Doch jetzt, so kurze Zeit vor Erscheinensollen macht der Rowohlt-Verlag einen Rückzieher, weil die Matrerie zu heikel ist oder was weiß ich. Genaueres erfährt man wie immer nicht in diesem Dünkelland und so werde ich weiter harren, auf eine Geschichte, in der Nazis mit Projektoren (Klack-Klack-Klack) in Wüstenzelten Scheichen Lichtspiele mit poppenden Herrenmenschen vorführen, in der Hoffnung, daß man für mehr solch rassige Naturkunst Rohstoffe tauschen kann. Wie bei vielem aus der Zeit des Dritten Reiches, glaubte ich zuerst, daß dies fiktiv sei, aber Thor versicherte, daß dies wirklich geschah, er hätte recheriert und sich einige der Pornos vorführen lassen, wäre herumgefahren und was nicht noch.

Romane von Maxim Biller (»Esra«) und Alban Nicolai Herbst (»Meere«) gerichtlich verboten, weil sich Ex-Lebenspartnerinnen der Autoren zu sehr in den Büchern abgebildet wähnen. Wirbel in der Die Andere Bibliothek um das Annonymia- (»Eine Frau in Berlin«) und das »Manieren«-Buch von Asserate, weil einigen Journalisten zu hoch ist, wie Bücher entstehen; oder private bzw. Freimaurerlogen-Pissigkeiten sorgen hier dafür, daß es eine Zeit lang heißt: nicht echt, kolportiert, Mosebach-Ghostwriterei usw.

Und bei anderen Verlagen sind Lektoren und Programmmacher wirklich so blind, dumm und geil, daß sie sich auf sensationelle Enten einlassen (obwohl, z.B. ein ganzes aus der Nase gezogenes Buch eines angeblichen Ex-Stasi James Bond ist keine Ente mehr, sondern eine ausgewachsene Gans).

Angesichts dieser Entwicklung (Donalds Des-Informationskader arbeitet offenbar mal ruckelzuckellos) kann man verstehen, daß Rowohlt Muffensausen hat und »Endstufe« erstmal wieder hintanstellt. Ein bischen Pa-hö um ein Buch ist ja ganz fein fürs damit man darüber spricht und das Ding bekannt wird, aber so mit Gericht und Verbieten und vom Markt nehmen wird das teuer und am Ende hat bustäblich niemand was davon.

Gar grimmig ärgert mich das diesmal, denn Thor Kunkel ist ein sehr guter Autor, ihm traue ich zu, diesen Nazi-Porno-Irrwitz adäquat zu erzählen. Mal schauen: vielleicht wird Endstufe gleich auf Englisch in Übersetzung erscheinen, denn Engländer und Amis sind bestimmt hochbegeistert, wenn sie diese Geschichte in die Hand bekommen. Ich drück Thor Kunkel die Daumen, wünsche dem Rowohlt-Verlag Mut und Glück und Herzeruck, das Buch doch noch zu veröffentlichen: ich habe Ende März Geburtstag.

(P.S. Bericht zu all dem stand heute in SPIEGELonline. Da die aber früher oder später alle Artikel auf Bezahlen-dann-Lesen stellen, habe ich jetzt keinen Link gelegt. Aber bei <a href="hoehereweltenblog.twoday.net" target=_blank">hoeherewelten berichtet auch darüber.)

Nachbemerkung: Inzwischen hat sich - hurrah - der Eichborn-Verlag gefunden und wird nun im April Endstufe erscheinen lassen. Selbst wenn Thor Kunkel sich entpuppen sollte als politisch bedenklich verantwortungsloser oder unumsichtiger Autor, überrascht davon können nur Leute sein, die seine zwei bisherigen Bücher nicht kennen, denn die erfrischende, ihm künstlerische Autorität verleihende Qualität ist gerade seine Amoralität - frisches klares Menschendenken, daß den Chor der Moral im Angesicht des faktisch Realen als heuchlerisch begreift.

Ich sage: Beweist ein Künstler Talent und Können sind seine Werke über Kritik erhaben, Wurscht was für ein Charakterschwein oder Extremist der Küstler ist … natürlich mit Ausnahmen, aber ich denke nicht, daß Thor Kunkel ein Künstler ist, der sich einen Krieg, Genozid oder Weltenuntergang herbeisehnt, ja ihn herbeischreiben will … er scheint mir vielmehr bewußter als die meisten zu spühren, daß unsere so selbstverständliche Zivilisation bereits all dies längst ist und zeigt halt auf Dinge und Probleme, die er interessant findet. Mehr kann/darf man von einem Künstler nicht erwarten.

Die massenhaften Vergewaltigungen der deutschen Frauen sind schlimmer als der Holocaust. Das reizt natürlich das morallische Empfinden, und stellt die geschriebenen und ungeschriebenen Hierarchien an Greul und dem was wir das Böse nennen in Frage. Deutungshoheit muß deshalb verteidigt werden. So aber ist die Kunst: sie deutet auch ohne Hoheit, aus bloßer Faszination widmet sie sich auf Leben und Tod einer erzählerischen Sache, bietet letztendlich immer nur Phantastik.

Letztendlich ist das Thema so ungeheuerlich, daß wohl jeder weiß: Liebe Leut', vergleichen hat hier eigentlich keinen Sinn. Wie ich aus den Berichten erfahre, wird es aber nicht nur solche Vergleiche zwischen Kriegsverbrechen verschiedener Parteien geben, sondern auch solche zwischen damals und heute. Ich vermute mal ins Blaue, daß dieses Buch viel Ablehnung erfahren wird, wegen der zweiten Art von Vergleich, denn keiner möchte aufgeschreckt werden aus seiner Gewißheit, mit den Verbrechen der Nazis liege sowas wie der absolute Nullpunkt der Zivilisationsscheußlichkeiten vor. Jaaa, damals hat die Weltgemeinschaft wirklich mal nicht aufgepaßt, als eben ausgerechnet in Deutschland alle Sicherungen im Mitmenschlichkeits-Sicherheitskasten durchbrannten. Aber seitdem konnte es ja Gottlob nicht mehr SO weit kommen.. Naja, zumindest nicht mehr so offensichtlich. Solange wir aber weltgemeinschaftlich in einer merkantilen Technokratie und nicht in einer altruistischen Amoenokratie leben, wird Menschenverachtung und -mord ein wesentlicher Bestandteil der Zivilisation bleiben.

Schönheitsideal der Politik: fett und fetter werden.

(Gesellschaft) - Der Refrain ist bekannt: Unsere derzeitigen Probleme verdunsteten geschwind in der hoffentlich jeden Augenblick aufgehenden Strahlesonne properen Wirtschaftswahstums. Mir läuft bei derartig kindlicher Mehr-Mehr-Naivität immer ein kalter Schauer über die Seele. So freute ich mich, in der Novemberausgabe meiner Lieblingszeitung Le Monde diplomatique einen Artikel zu lesen, den ein bekennender Wachstumsverweigerer verfaßt hat.

Serge Latouche, ein emeritierter Professor in Frankreich schreibt fein von meinem Knochenmark ab. Auch wenn Latouche die Politik(er) seines Landes kritisiert, kann sein Text ohne Abstriche auf Deutschland oder die Erste Welt übertragen werden.

Linke wie rechte Politik lebt in der Kleinkinderphantasie, daß alle Probleme sich geben, feuert die Düse des Wachstums uns nur weit genug in den Wohlstands-Orbit. Geld und Einkommen gibt es genug, es ist (wird) nur ungerecht verteilt … aber hey: mit genug Wachtum sortiert sich das von selbst. Als ob ein blutrünstiger Hund plötzlich nett und freundlich wird, nur weil man ihm noch mehr Babys zum knabbern hinwirft.

Hunger in der Welt, Radikalisierung der Ideologien, Zernichtung der Umwelt, Degeneration der Instinkte, kommerzielle Psychagogie, alles nur vorrübergehende Wehwehchen, denn wenn wir nur mehr produzieren und mit dem Krempel profitieren … ja wenn also das Sackerl voller, die Kaka größer wird und der Konsum nicht mehr nur rattert sondern brummt, dann wird Gott höchstpersönlich das Ortschild Erde wieder gegen Paradies austauschen. Tatsächlich kommt diese Haltung allen entgegen, die mit der Weltraumkolonisierung nicht früh genug anfangen können, denn mit einer nur an Wachstum sich orientierenden Gesellschaft überschreitet man irgendwann (ehr früher als später) die Grenzen der terristischen Biosphäre und müßte woanders Wachstum betreiben gehen.

Schön auch der Ausdruck Ökologischer Fußabdruck , will heißen: Auf Fläche Land umgerechnet braucht jemand wieviel davon zur Aufrechterhaltung seines Lebensstandarts? Ein US-Amerikaner 9,6 Hektar, ein Canadier 7,2, ein Druchschnittseuropäer 4,5 ... leider weiß ich nicht, ob im Leben oder im Jahr oder am Tag – ich vermute zweiteres. Beim derzeitigen Stand der Weltbevölkerung wären übrigens 1,4 Hektar pro Person gerecht.

Wäre es also nicht besser, der Zeit ein wenig mehr Zeit zu geben (sag ich nur: Entschleunigung) und zu überlegen, wie man eine Entwicklung der Wachstumsrücknahme so gestaltet, daß die Leute friedlich und nett zueinander bleiben … konivial steht im Artikel, ein tolles Wort.

Der Artikel führt drei Beispiele auf, wo man mit Wachsumsrücknahme anfangen könnte:

Personen- und Wahrenverkehr in Frage stellen. Nörgel ich schon seit Vorkindergartenzeit drann rumm. Tourismus, Straßen- und vor allem der individuelle Personenverkehr verlocken mit dem windigen Freiheitsversprechen und Unabhängigkeit. Dabei ist der PKW nichts anderes als eine zivile Weiterentwicklung einer Gefängniszelle. (Ich persönlich frage mich ja, wann mir der die Weltgemeinschaft dafür dankt, daß ich keinen Führerschein habe.) • Reißerische Reklame in Frage stellen. Werbung hat zu einem erschreckenden (Groß)Teil keine nachweisbaren Auswirkungen auf das Käuferverhalten, ist aber dazu angetan unsere Vorstellungswelt verheerend zu dressieren. Die Werbung ist der Züchter des Pavlovschen Hundes in uns. • Produktion von Wegwerfartikeln und Gadgets in Frage stellen. Ja, leider ist z.B das klassische Ideal der Sparsamkeit im Materialverbrauch ist voll out. Unsere Konsumwelt versucht, uns wohl getarnt das Gefühl überzustülpen, daß es uns nur gut geht, wenn wir Mist und Dreck veranstalten, immerfort Krimskrams für unsere Dauerübersprüngshandlungen erzeugen.

Schön auch die sechs Schritte, mit denen sich daran machen könnte, die Wachstumsrücknahme anzugehen: Neubewerten • Umstrukturieren • Umverteilen • Reduzieren • Wiederverwenden • Recyceln

Und natürlich die Wertvorstellungen, die sich ändern müßten, für eine Kulturphase des Wachstumsrückgangs (ich würde sagen: an die 50 bis 100 Jahre sollten wir das schon durchziehen): • Alturismus statt Egoismus • Kooperation statt ungezügelter Konkurrenz • Muße statt zwanghafter Arbeit • Gesellschaftliches Miteinander statt grenzenlosen Konsum • Spaß am schönem Einzelergebnis statt produktivistischer Effizienz • Vernunft statt Rationalität

So. Solche Artikel sind der Grund, warum ich einmal im Monat die TAZ kaufe, und verpasse ich die entsprechende Freitagsausgabe, in der die monatliche deutsche Le Monde diplomatique beiliegt, dann geb ich ernsthaft die 3,60 für 24 Seiten Zeitung aus. Es lohnt sich.

••• BEARBEITUNG 18. okt. 2004: Fehler ausgebessert und neu formatiert. •••

Excerptien aus Richard Tarnas: »Idee und Leidenschaft«

Eintrag No. 21 — Zusammenfasungen der Zusammenfassungen des Buches »Idee und Leidenschaft — Die Wege des Westlichen Denkens« von Richard Tarnas (›The Passion of the Western Mind‹; HC zuerst bei Roger & Bernhard; als TB bei DTV; dann unter dem Titel »Das Wissen des Abendlandes« bei Patmos). 1991 auf Englisch, 1997 auf Deutsch erschienen, bietet einen guten groben Überblick über viele Themen/Spannungen die in Sachen Weltenbau, Magietheorie usw von Bedeutung sind. — Tarnas möchte ich mal als Steinbruch vorstellen, denn sein Buch ist mir mittlerweile als nützlich aufgefallen. Da bemüht sich einer, möglichst umfassend eine Kultur- und vor allem Ideengeschichte zu beschreiben, und legt dabei (soweit ich das abschätzen kann) wert darauf, nüchtern und objektiv zu bleiben. Meistens kann ich seinen Vereinfachungen und Aussagen zustimmen. Er versucht nicht polemisch zu sein, trübt aber damit auch den Blick auf heikle und exotischen Aspekte.

Aus sieben Teilen setzt sich Tarnas Buch zusammen:

I. Griechisches Weltbild / II. Transformation der klassischen Ära / III. Christliches Weltbild / IV. Transformation des Mittelalters / V. Modernes Weltbild / VI. Transformation der Moderne / VII. Epilog.

Die erste Zusammenfassung findet sich im ersten Teil und umreißt das duale Vermächtnis des Weltbildes der Antike. Zwei Fünfheiten stehen sich umkreisend gegenüber.

ERSTE FÜNFHEIT: Griechischer Rationalismus und griechische Religion wie vor allem durch Platon geprägt (S. 83f):

  1. Die Welt ist ein geordneter Kosmos, dessen Ordnung mit der des menschlichen Geistes verwandt ist. Eine rationale Analyse der empirischen Welt ist deshalb möglich.
  2. Der Kosmos als Ganzes ist Ausdruck einer planvollen Intelligenz, die der Natur Sinn und Zweck verleiht, und diese Intelligenz ist dem geschulten und gereiftem menschlichen Bewußtsein direkt zugänglich, wenn es sich ganz auf diese Intelligenz ausrichtet und konzentriert.
  3. Eine durchdringende geistige Analyse offenbart auf ihrem Höhepunkt eine zeitlose, ihre temporären und konkreten Manifestationen übersteigende Ordnung. Die sichtbare Welt trägt eine tiefere, sowohl rationale als auch mythische Bedeutung in sich, die von der empirischen Ordnung widergespiegelt wird, aber aus einer ewigen Dimension stammt, die Quelle und Ziel aller Existenz ist.

    Zum Begriff ›mythisch‹ und ›Mythos‹: ist für mich zuvörderst die Geschichte, wie sie von den Gewinnern (fast immer Aggressoren und Betrüger) geschrieben wurde. Mythen dienen also zur Propaganda, bzw. dem Vertuschen von (Betriebs-)Geheimnisen, sowie dem Überhöhen der eigenen und dem Herabsetzten der anderen Seite. — Verständigungsproblem beim Bau von Fantasy-Welten und Kulturen. Soll ein Mythos den man sich ausdenkt als ›Wahrheit‹ im Sinne des antiken Weltbildes verstanden werden, oder, wie durch moderne Augen gesehen, als pathetische Verklärung, Über-Untertreibung?

  4. Die Erkenntnis der grundlegenden Struktur und Bedeutung der Welt erfordert Übung und den Einsatz einer Vielzahl von kognitiven Fähigkeiten — rationalen, empirischen, intuitiven, imaginativen und moralischen.
  5. Die unmittelbare Verstehen der tieferen Wirklichkeit der Welt befriedigt nicht nur den Geist, sondern auch die Seele: es ist seinem Wesen nach eine erlösende Vision, ein dauerhafter Einblick in die wahre Natur der Dinge, intellektuell entscheident wichtig und zugleich spirituell befreiend.

    Zumindest ich bin ein bischen baff, wie sehr diese ersten 5 Positionen noch virulent sind; in meinen misanthropischen Stimmungen nehm ich an, daß ›die Masse‹, das Gemensche sich kaum von diesen Ansichten gelößt hat.

ZWEITE FÜNFHEIT: Kritische Antipoden zu diesem idealistischen Realismus stellen folgende geistigen Annahmen und Tendenzen der griechischen Welt-Denkerei dar (S. 84f):

  1. Wahres Wissen ist nur durch die strikte Anwendung von menschlicher Vernunft und empirischer Beobachtung erreichbar.
  2. Die Basis wahren Wissens liegt in der gegebenen Erfahrungswelt, nicht in einer unbeweisbaren jenseitigen Wirklichkeit. Die einzige Wahrheit, die dem Menschen zugänglich und nützlich ist, ist immanent, nicht transzendent.
  3. Die Ursachen natürlicher Phänomene sind unpersönlicher und physikalischer Art und sollten innerhalb des Bereichs der Naturbeobachtung gesucht werden. Mythologische und übernatürliche Elemente sind als anthropomorphe Projektionen aus kausalen Erklärungen herauszuhalten.

    Tja, in Fantasy-Welten ist nun z.B. genau das die Spielwiese :-)

  4. Jeder Anspruch auf ein ganzheitliches theoretisches Verstehen muß sich an der empirischen Wirklichkeit des konkreten Einzelnen in all seiner Verschiedenheit, Veränderbarkeit und Einzigartigkeit messen lassen.

    Auch irdische Weisheit kennt den kontinuierlich gemahnenden Basslauf, daß der Mensch sich besser nicht selbstverständlich auf die Wiederholbarkeit von etwas verlassen kann und soll.

  5. Kein Denksystem ist endgültig, und die Suche nach Wahrheit muß sowohl kritisch als auch selbstkritisch sein. Menschliches Wissen ist relativ und fehlbar und muß im Licht neuer Befunde und weiterer Analysen immer wieder revidiert werden.

Die nächste Zusammenfassung widmet sich der christlichen Transformation des klassischen Denkens, und stellt eine Sechsheit an Differenzen zum griechisch-römischen Denken vor. Tarnas weißt darauf hin, daß solche Zusammenfassungen immer ungenau sind. (S. 206f)

  1. Durch die Anerkennung eines höchsten Gottes, dem dreieinigen Schöpfer und Herrscher über die Geschichte, hat das Christentum eine monotheistische Hierarchie im Kosmos geschaffen, die den Polytheismus der heidnischen Religionen überwand …

    {naja, man könnte auch ›verdrängt‹ sagen}

    … und in sich aufnahm, während sie der Metaphysik der archetypischen Formen ihren Vorrang nahm, sie aber nicht eliminierte.

    Monos gegen Pluris. Darf ich das so platt gegenüberstellen?

  2. Der platonische Dualismus von Geist und Materie wurde verstärkt durch seine Verschmelzung mit der Lehre von der Erbsünde, dem Fall des Menschen und der Natur, der kollektiven menschlichen Schuld. Eine weitere Zuspitzung kam dadurch, daß die Natur jede immanente Göttlichkeit, ob poly- oder pantheistisch, weitgehend abgesprochen wurde, ohne ihr aber dabei die Aura übernatürlicher Bedeutung zu entziehen — sei sie göttlich oder satanisch; sowie durch die radikale Polarisierug von Gut und Böse.
  3. Die Beziehung des Transzendenten zum Menschen wurde dramatisiert als Gottes Herrschaft über die Geschichte, als die Erzählung vom auserwählten Volk, als historisches Erscheinen Christi auf Erden und als seine letztliche Wiederkehr, um die Menschheit in einem künftigen apokalyptischen Zeitalter zu erlösen. So entstand ein neuer Sinn für historische Dynamik, für die göttliche Logik der Erlösung innerhalb einer linear, nicht zyklisch verlaufenden Geschichte, der jedoch durch die schrittweise Verlagerung dieser erlösenden Kraft in die institutionelle Kirche implizit wieder zugunsten der Restauration eines statischeren Geschichtsverhältnisses zurückgenommen wurde.
  4. Den heidnischen Mythos von der großen Mutter-Gottheit verwandelte das Christentum in eine historisierte Theologie mit der Jungfrau Maria als menschlicher Mutter Gottes und in die beständige historische und soziale Wirklichkeit Kirche als Mutter.
  5. Das Beobachten, Analysieren und Verstehen der natürlichen Welt wurde abgewertet und damit die rationalen und empirischen Fähigkeiten gegenüber den emotionalen, moralischen und spirituellen vernächlässigt oder negiert, wobei alle menschlichen Fähigkeiten den Anforderungen des christlichen Glaubens und dem Willen Gottes untergeordnet waren.
  6. Das Christentum verzichtete auf die Fähigkeit des Menschen, die Bedeutung der Welt selbstständig intellektuell oder spirituell zu durchdringen, aus Ehrfurcht vor der absoluten Autorität der Kriche und der Heiligen Schrift, denen die endgültige Bestimmung der Wahrheit überlassen bleibt.

Nun die Achtheit an Grundlagen des modernen Weltbildes. Versimpelt umreißt Tarnas folgenden Bogen: Die Antike war Bunt, das Christentum ist ‘ne Art von strenger Auskristallisierung bestimmter Aspekte und nun schwingt das Pendel wieder in die andere Richtung. Tarnas konzentriert sich auf die Aspekte des modernen Weltbildes, durch die es sich am stärksten von den Vorgängern abhebt (S. 359ff — Ich zitiere nur die ersten, bzw. markantesten Sätze der einzelnen Punkte):

  1. Im Gegensatz zum mittelalterlich-christlichen Kosmos, den ein persönlicher und allmächtiger Gott nicht nur geschaffen, sondern auch stets und unmittelbar regiert hatte, war das moderne Universum ein unpersönliches Phänomen. {…} Er war nun weniger ein Gott der Liebe, des Wunders, der Erlösung und der historischen Intervention als eine höchste Intelligenz und erste Ursache, die das materielle Universum und seine unveränderbaren Gesetzte zwar geschaffen, sich dann aber jeder weiteren direkten Einflußnahme enthalten hatte. {…} Während in der mittelalterlich-christlichen Auffassung der menschliche Geist die im Grunde übernatürliche Ordnung des Universums nicht ohne die Hilfe der göttlichen Offenbarung verstehen konnte, war der menschliche Geist nach moderner Auffassung kraft seiner eigenen rationalen Fähigkeiten dazu in der Lage, die Ordnung des Universums zu verstehen; und diese Ordnung war ganz und gar natürlich.

    Markant an der Zeichendeuterei der Vormoderne ist für mich, daß sie oft bis zur Lächerlichkeit naiv, hysterisch und paranoid war. Man muß nur mal bei den zivilierten Heiden (z.B. Griechen) gucken, was denen alles als Orakelmaterial diente. Zukunft vorhersagen anhand der Art wie Käse gerinnt, wie jemand lacht, anhand der Asche eines abgebrannten Feuers, anhand der Art wie eine Spinne ihr Netz gebaut hat. Immerhin glaubte man, dass Gott (oder Götter) noch dauernd in der Schöpfung rumfummelte und versuchte mit Zaunpfahlwinkerei die Schäfchen ins Trockene zu lotsen.

  2. Die christlich-dualistische Betonung der Vorrangstellung des Spirituellen und Transzendenten vor dem Materiellen und Konkreten wurde jetzt weitgehend umgekehrt und die physische Wirklichkeit zum zentralen Bereich des menschlichen Interesses. {…} Der christliche Dualismus von Geist und Materie, Gott und Welt wurde allmählich in den modernen Dualismus eines subjektiven und persönlichen menschlichen Bewußtseins und einer objektiven und unpersönlichen materiellen Welt verwandelt.

    Schönes Beispiel von extremistischen Pendelbewegungen in Sachen Ideologie. Wo der Verstand (weil zu bedrohlich kritisch) hinantgestellt wurde, zerrt man ihn in der Reaktion überprominent in den Vordergrund. Entsprechend kommt es in der Postmoderne (Stichwort: Negative Dialektik) zu einem scheinbar anti-rationalen Umkehrbild einer Kritik des Aufklärungsprozesses.

  3. Die Wissenschaft ersetzt die Religion als überragende, das kulturelle Weltbild definierende, beurteilende und überwachsende geistige Autorität. {…} Mit einer transzendenten Wirklichkeit assoziierte Vorstellungen … galten als nützliche Beruhigungsmittel für den emotionellen Anteil des Menschen; als ästhetisch befriedigende Schöpfungen der Phantasie; als potentiell brauchbare heuristische Annahmen; als notwendige Bollwerke für Moral und gesellschaftlichen Zusammenhalt; als politisch-ökonomische Propaganda; als psychologisch motivierte Projektion; als die Lebendigkeit unterdrückende Illusionen; als abergläibisch, irrelevant oder sinnlos.

    Dieser Punkt umreißt knapp die Funktionen und Restrinnsale des Religiösen (im europ.-westlichen Kerngebiet der Säkularisierung). Die nun entmonopolisierte Spiritualität wird zunehmend kommerzialisiert und privatisiert, von Freimaurei, Magierkreisen, über Popkultur & Rock'n Roll & Fandoms, bis hin zur Kunst, auspendelnden Körnerfresserei usw.

  4. Ähnlich wie in der klassischen griechischen Anschauung besaß das moderne Universum eine immanente Ordnung. {…} Die moderne Weltordnung war keine transzendente, alles beherrschende Einheitsordnung, die sich im Inneren des Verstandes genauso wie in der äußeren Welt widerspiegelte und in der die Erkenntnis des einen zwangsläufig das Wissen des anderen nach sich zog. {…} Das Universum an sich war nicht mit bewußter Intelligenz oder Zwecken ausgestattet; allein der Mensch besaß solche Eigenschaften.

    Hier bröckelts ja auch seit einiger Zeit (siehe ›Kultur bei Tieren‹). Aber ich behalte den Punkt ›bewußte Intelligenz‹ im Augenwinkel.

  5. Im Gegensatz zu der integierten Vielfalt von Erkenntnismethoden der klassischen Antike war die Ordnung des modernen Kosmos prinzipiell allein den rationalen und empirischen Fähigkeiten des Menschen zugänglich. {…} Die Erkenntnis des Universums war jetzt in erster Linie eine Angelegenheit nüchterner, unpersönlicher wissenschaftlicher Forschung. War sie erfolgreich, so endete sie nicht so sehr mit Erfahrung spiritueller Befreiung … sondern mit der intellektuellen Beherrschung der Natur und der materiellen Verbesserung des Lebens.

    Hier sind wir wieder beim Flackerbegriff der Magie bzw. Technik. Ich finde, man kann beides zusammenhaun und diesen Audruck ›intellektuelle Beherrschung der Natur‹ als Kernpunkt beider Disziplinen nehmen. Magie ist Technik, von der so getan wird, als wäre sie etwas Übernatürliches, Wundersames (siehe Hüten von Betriebsgeheimnissen).

  6. Die Kosmologie des klassischen Zeitalters war geozentrisch, endlich und hierarchisch; sie nahm die Himmelskörper als Orte transzendenter archetypischer Kräfte wahr; deren Bewegung bestimmten und beeinflußten die menschlicher Existenz. {…} Anders als im antiken und mittelalterlichen Weltbild besaßen die himmlichen Körtper des modernen Universums keinerlei geistige oder symbolische Bedeutung; sie waren nicht dazu da, dem Menschen sein Schicksal zu zeigen oder seinem Leben Sinn zu verleihen. {…} Ähnlich wurden auch alle Zeichen des Göttlichen in der Natur als Symptome eines primitiven Aberglaubens und wunschgeleiteten Denkens bewertet und aus dem ernsthaften wissenschaftlichen Diskrus entfernt.

    Vieles, vor allem praktisches Wissen ging verlohren, einzelne Wissenschaften machen sich nun wieder auf, die brauchbaren Aspekte dieses alten ›Wunderglauben-Wissens‹ zu suchen und zu sammeln. Meiner Einschätzung nach, war aber vieles was im Fortlauf der Moderne als Aberglaube verunglimpft wurde, wirklich kaum der Erkenntnis wert.

  7. Dank der Integration der Evolutionstheorie und ihrer vielfältigen Auswirkungen auf andere Gebiete ließen sich das Wesen und der Ursprung des Menschen sowie die Dynamik des Wandels in der Natur jetzt ausschließlich natürlichen Ursachen und empirisch beobachtbaren Prozessen zuschreiben. {…} Die Struktur und Entwicklung der Natur war kein Ergebnis eines wohlmeinenden göttlichen Plans und Zwecks, sondern eines amoralischen, zufälligen und brutalen Kampfes ums Dasein, in dem nicht der Tugendhafte, sondern der Taugliche Erfolg hatte. {…} Das moderne Universum war jetzt ein ausschließlich säkulares Phänomen, das immer weiter fortfuhr, sich selbst zu verändern und zu erzeugen. Es besaß keine göttlich konstruierte Finalität mit einer ewigen und statischen Struktur, sondern war ein sich entfaltender Prozess ohne absolutes Ziel und ohne absolute Grundlage, außer Materie und ihren Verwandlungen.
  8. Anders als das mittelalterlich-christliche Weltbild bestätigte das moderne radikal die Unabhängigkeit des Menschen — ob geistig, psychisch oder spirituell. {…} Das klassische griechische Weltbild hatte die Vereinigung — oder Wiedervereinigung — des Menschen mit dem Kosmos und dessen göttlicher Intelligenz als Ziel der intellektuellen und spirituellen Tätigkeit des Menschen hervorgehoben. Das christliche Ziel war es, den Menschen und die Welt wieder mit Gott zu vereinigen. {…} Im Vertrauen auf die Kraft seines autonomen Intellekts ließ der moderne Mensch die Tradition weitgehend hinter sich und machte sich alleine auf den Weg, entschlossen, die Prinzipien seines neuen Universums zu entdecken, dessen neue Dimensionen zu erforschen und zu erweitern sowie seine Erfüllung hier und jetzt zu finden.

    Oder anders betrachtet: Die Menschheitsgeschichte ist die der zunehemend enger werdenden Nachbarschaft; die Kulturgeschichte ist die Geschichte des von Menschen umzingelt werdenden Menschen. Die älteste Lösung dieses Engeproblens ist die Flucht nach Außen (territoriale Flucht), die Flucht nach Innen (mystisch-asketisch-ekstatische-usw Flucht) und die Flucht in die Zukunft (bzw. Schuldenabschieben auf Nachfahren).

Als hier vorläufig letzte Zusammenfassung folgt ein Sprung über Jahrhunderte, ins kalte Wasser Bucheepilogs, wenn Tarnas eine postmoderne Theorie zum Mutter-Kind ›Double-bind‹ — also über wechselseitig sich widersprechende Forderungen die dazu führen, das Menschen schizophren werden — auf das Verhältnis Welt-Mensch umformuliert (S. 526f):

  1. Die Beziehung des Kindes (Menschen) zur Mutter (Welt) zeichnet sich durch vitale Abhängigkeiten aus (ist durch vitale Abhängigkeiten geprägt), was es für das Kind schwierig macht, Mitteilungen der Mutter richtig einzuschätzen (was es schwierig für den Menschen macht, die Beschaffenheit dieser Welt richtig einzuschätzen).
  2. Das Kind empfängt auf verschiedenen Ebenen widersprüchliche oder unvereinbare Informationen von der Mutter, indem beispielsweise eine explizite verbale Botchaft durch einen nonverbalen Kontext zugleich wieder dementiert wird — etwa wenn eine Mutter ihrem Kind mit feindseligen Augen und verspanntem Körper sagt, »Schatz, du weißt, daß ich dich sehr lieb habe«. Beide Signale lassen sich nicht in Übereinstimmung bringen. (Der menschliche Geist empfängt in sich widersprüchliche oder anderweitig unvermeidbare Informationen über seine Situatiuon in bezug zur Welt. Unter anderem stimmt seine innere psychologische und spirituelle Wahrnehmung der Dinge nicht mit der allgemeinen — auch von ihm selbst anerkannten — wissenschaftlichen Sicht der Dinge überein.)
  3. Das Kind wird keinerlei Gelegenheit gegeben, der Mutter Fragen zu stellen, die die Kommunikation klären oder den Widerspruch auflösen kann. (Erkenntnistheoretisch ist es dem menschlichen Geist unmöglich, in eine direkte Kommunikation mit der Welt zu treten.)
  4. Das Kind kann das Feld, das heißt die Beziehung nicht verlassen. (Existentiell ist es dem Menschen unmöglich, das Feld zu verlassen.)

Kann sein, ich bin kopfkrank oder Übungen im optimistischen Nihilismus.

Eintrag No. 11 — Zum Einjährigen der IX.XI-Anschläge hatte ich kein großes Vergewisserungsbedürfnis; hab also nicht herumgefernseht.

Ausnahme: zufällig die Doku über die Architektur des WTC auf Phoenix erwischt und mich amüsiert. Gut, die Bauweise war damals innovativ, aber Technik ist halt nicht gegen Zeitraspel und Kreativität gefeit, auch wenn die architektonischen Werke der Technik zuweilen solange in der Gegend herumstehen, daß die kurzlebigen Menschleins gerne glauben möchten, es hätte irgendwas Menschgemachtes in dieser Welt doch so was wie einen Ewigkeitsfreischein.

Insofern bekenne ich ein Apokalyptiker zu sein, der das Kleinklein menschlichen Tuns größtenteils als eitel Tand einstuft. Da ist mein Zeitfokus sicherlich zu unmenschlich weit gefaßt, um im Alltagsleben praktikabel Meinung geben zu können. (Aber: Freudvoll vertraue ich dem Nichts.) Seltsamerweise hat mich der Anschlag gelassener gestimmt. Die Welt hat sich (mir zuliebe) zur Abwechslung mal auf der Bühne so aufgeführt, wie sie es meiner Einschätzung nach jenseits der zivilisatorischen Scheuklappenkulissen eh die ganze Zeit tut.

Die Naivität des Gemensches geht mir aber zuweilen doch sehr gegen den Strich. Dann setzte ich meine Misantrophenkappe auf und Wünsche mir einen Holocaust gegen die Dummheit. Natürlich gibt es Ausnahmen. Die Bewohner New Yorks im Besonderen und die Amerikaner allgemein haben bei mir sozusagen emotionellen Kredit, bevor ich sie für vollkommen naiv und ignorant halte. Sollen sie Trauern, sollen sie an einer Neuformatierung ihres Kollektivgemüths arbeiten (Reboot America, wie die wunderbare Seite Unamerican Activities fordert). Es gibt ja inzwischen erkennbare Anzeichen dafür, daß die Amerikaner lange nicht so einseitig und unkritisch auf die Ereignisse reagieren, wie es das Verhalten von Teilen der US-Regierung suggerieren und sogenannte antiamerkanische Panikhanseln diagnostizieren.

Nun aber mein derzeitiges Weltanschauungsexperiment: Versuchen, Prezel-Bush, Ashcroft, Cheny, Rice und Co. wirklich und wahrhaftig für DIE GUTEN zu halten. Wie muß ich mir die Welt der Menschen denken, damit daß, was diese Mächtigen anstellen, als DIE praktikabelste und weiseste Option erscheint?

Zum Beispiel die letzte Bush-Rede, mit der die Uno (und andere) unter Druck gesetzt werden: Schon einen Tag nach der Rede macht sich die Arabische Liga auf, mal ein ernstes Wörtchen mit Hussein bezüglich der Waffeninspektion zu reden. Na bitte. Das lenkt zwar den Blick nicht wesentlich deutlicher auf das eigentliche Problemland des arabischen Kontinentes - die Saudis - aber es bringt doch begrüßenswerte politische Bewegung in die Region. Zugegeben ist mein Experiment zumindest aus deutscher Befindlichkeitsperspektive recht abseitig.

Zwischenschritt: Weil es uns (1. Welt) zu gut ging und geht, weigert sich der Pelbs, die Wirklichkeit zu sehen wie sie ist: sinnlos, zufällig und unbequem bis wir mit unserer Sinngebung eingreifen. Zu letzterem gehört aber Engagement, und das geht einer Gesellschaft, die sich auf Konsum ausrichtet natürlich pö-a-pö abhanden. Bleibt Eigenintiative im kleinen aus, werden die großen Verhältnisse mehr und mehr von Entropie infiziert.

Angewandt auf mein Gedankenspiel: Die Bush-Regierung (und die US-Tradition des Unilateralismus) setzt nun genau das, machtpolitische Eigeninitiative, auf die Tagesordnung.

Das Problem ist uns vom deutschen Besitzstandswahrunghickhack bekannt. Die Mehrheit sieht die Notwendigkeit zu Erneuerungen, aber niemand will dafür auf Bequemlichkeit verzichten oder etwas riskieren. Aber der Gürtel schnallt sich materiell bedingt auch ohne unsere Zustimmung enger. Die Chance selbst dabei gestaltend einzugreifen wird vertan. Und das wollen sie Bush-Krieger nun nicht ertragen. Lieber machen sie sich unbeliebt, nehmen die Buh-Rufe aus der Staatengemeinschaft in Kauf. So denke ich mir, muß man mal versuchen das zu sehen.

Märchen für die Neuzeit halt.

Plakatverbot — Fortsetzung

Den Anfang der Geschichte um das Verbot des »Wir machen's gleich«-Wahlplakates der Grünen könnt Ihr hier nachlesen. Nun die Fortsetzung (aus Diskretion habe ich den Namen des netten Ordnungsamtmitarbeiters außen vor gelassen):

Königstein an mich:

Sehr geehrter Herr Müller,

es war das erste Mal, dass ein Plakat in Königstein verboten wurde. Es war auch sicher das erste Mal, dass eine Partei ein derartiges Wahlplakat hat drucken lassen. Zwischenzeitlich wurde die Verbotsverfügung jedoch aufgehoben, um den Bundestagswahlkampf nicht zu beeinflussen.

Falls Sie weiter Interesse an den Beweggründen haben, übermitteln wir Ihnen nachfolgend die Begründung:

»Die Darstellung von zwei unbekleideten Frauen gemeinsam mit zwei unbekleideten Männern auf einem Wahlplakat mit der zweideutigen Aufschrift "Wir machen's gleich" lässt zu (oder beabsichtigt), dass darunter der Geschlechtsakt verstanden wird. Das Wahlplakat überschreitet mit seiner Aussage die Grenze zu einer ornographischen Schrift bzw. Darstellung.

Da dieses Wahlplakat im öffentlichen Verkehrsraum oder auf einem öffentlich zugänglichem Grundstück aufgestellt auch von Kindern und Jugendlichen jeden Alters gesehen wird, darf es deren seelisches Wohl nicht beeinträchtigen.

Nach den allgemein geltenden Moralvorstellungen ist die Darstellung von sexuellen Handlungen nicht für Kinder und Jugendliche geeignet. Daher ist durch § 6 JÖSchG des Gesetzes zur Neuregelung des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit-Jugendschutzgesetz (JÖSchG) festgelegt, dass Filme für bestimmte Altersklassen freigegeben werden müssen und nur vor diesen vorgeführt werden dürfen. Dies gilt nach § 7 JÖSchG ebenso für Videokassetten, Bildplatten und Bildträger. § 8 Abs.5 JÖSchG verbietet die Aufstellung von Unterhaltungsspielgeräten, mit denen sexuelle Handlungen dargestellt werden, an für Kinder und Jugendliche zugänglichen Orten.

Diese Aufzählung belegt, dass die bildhafte Darstellung von sexuellen Handlungen für Kinder und Jugendliche nach dem JÖSchG als seelische Gefährdung zu werten ist. Gemäß § 1 JÖSchG haben die zuständigen Behörden die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wenn sich Kinder an Orten aufhalten, an denen Ihnen eine Gefahr für ihr seelisches Wohl droht. Kinder und Jugendliche von den betreffenden Orten, z.B. der Ausfahrt des großen öffentlichen Parkplatzes in Königstein gegenüber dem Haus Hauptstraße 13 ist nicht möglich, da viele die in unmittelbarer Nähe befindlichen Bushaltestellen im Rahmen Ihres täglichen Schulweges benutzen müssen. Daher ist es ein geeignetes Mittel, die restlose Entfernung der betereffenden Plakate aus dem öffentlichen Verkehrsraum zu fordern.«


Mit freundlichen Grüßen im Auftrag

Ich wieder an Königstein:

… vielen Dank für Ihre Antwort-eMail, ich kann mir vorstellen, die Stadt hat besseres zu tun, als Neugierigen seltsame eMails zu beantworten. Sehr sympathisch Ihre Gesprächsbereitschaft.

Ich gebe zu, daß mich als weitgereisten Bayern das Vorgehen der Königsteiner Ämter doch ehr belustigt als ärgert. Die Entscheidung das Verbot derzeit nicht anzuwenden ist vernünftig.

Einfach ausgedrückt ist es doch sehr schmerzhaft zu sehen, wie einerseits auf mannigfaltige Art für kommerzielle Zwecke sehr agressiv sexuelle/koitusative Motive verbunden mit sprachlicher Mehrdeutigkeit eingesetzt werden können, andererseits aber eine Partei (egal welche) nicht auf Sexuelles verweisen darf, wenn es denn Gegenstand ihrer Politik ist.

Das Wahlplakat empfinde ich in erster Linie als spielerisch; dann durch den Verweis auf das klassische Louvre-Bild etwas bemüht; schließlich technisch sauber gearbeitet und in seiner Aussage angemessen.

Zuletzt möchte ich anmerken, daß ich zwar ein Verteidiger (guter) Pornographie und Erotica bin, der aber bedauert, daß (wie Alfred Döblin sagte) das größte Fenster zu unserer Seele, die Erotik und Sexualität, wie selten was zugepflastert worden sind, von dem Geschrei der Leute.

Meine Komplimente an Sie (und an Ihren Auftraggeber), mit freundlichem Gruß Molosovsky

Königstein wieder an mich:

… ich habe mir Ihren Eintrag in Ihrem Web-Tagebuch angesehen und muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Phantasie nicht annähernd der Realität gleich kommt. Urheber des Plakatverbots sind besorgte Mütter aus Königstein, die es nicht hinnehmen wollten, dass ihre Kinder dieses Plakat nun über mehrere Wochen auf dem Schulweg ansehen müssen. Aufgrund dieser Beschwerden wurde Plakat bewertet und letztlich verboten.

Da Sie ansonsten wohl recht sachlich dieses Thema diskutieren gebe ich Ihnen die Freigabe zur Veröffentlichung der Antwort (Bitte entfernen Sie nur vorab meine Kontaktadresse; einer Überflutung mit Emails und Telefonaten bin ich leider nicht gewachsen).

Mit freundlichen Grüßen im Auftrag

Ich wieder an Königstein:

… vielen Dank für Ihre Antwort. In der Tat versuche ich alle Perspektiven auf dieses Problem zu verstehen und bin nicht an einseitiger Polemik interesiert, dafür ist mir das Thema des Konfliks zu sehr mit dem echten Leben verbunden.

Es muß mehr kommuniziert werden heutzutage, viele ausgeblendete Differenzen in der Gesellschaft wollen geklärt werden.

Meine Vorstellung des Verbotsursprungs ist natürlich stark von der polemischen Berichterstattung zB der Bild-Zeitung beeinflußt. Die Information, daß es Ihr Bürgermeister war, der das Verbot anregte, stammt ebenfalls aus der Presse (die den Vorfall hauptsächlich auf seine Skalndalträchtigkeit hin aufbreitet).

Im nächsten Teil werde ich mich selbst als "kleinen Panikhuber" hinstellen, bei dem sofort die Alarmglocken im Gemüth losgehen, wenn er zB CDU-Machtmißbrauch wähnt. Eben diese meine (aber leider auch allgemeine) Verstörtheit ist es, die ich zu thematisieren versuche.

Darum wird es mit bei meiner Berichterstattung gehen: darzustellen, daß es hier um Probleme/Differenzen der Kultur geht, letztendlich um das (Selbst)Verständnis Menschsein und Gemeinschaft.

Ich danke Ihnen nocheinmal für Ihre Bereitschaft zum ›Gespräch‹ und kann Ihnen versichern, daß ich desweitern keine Anliegen (blöde Fragen pp) in dieser Sache habe. Sie können mir aber mailen, falls Sie mit meinen kommenden Berichten Probleme haben. Ergänzen Sie bitte ruhig über die Kommentarfunktion, wenn Sie meine Darstellung ergänzen, relativieren wollen.

Ich bin mehr als froh über Ihr Engagement um Klärung und Sie sind viel weiter auf mich zugekommen, als ich erwartet hätte. Und auch darum geht es: zu zeigen, dass man doch noch ruhig über ideologische Positionen reden kann, ohne gleich in Ressentiments zu verfallen. Alleine, daß Sie mich nicht böswillig verstehen, trotz meiner Sprache, ist ein tolles Zeichen, daß Königstein hiermit setzt (denke ich mal).

Kontaktadresse wird natürlich nicht genannt. Wer es selbst nicht schafft, sowas zu recherchieren, bekommt von mir keine Anweisung/Anleitung zum Amtsbelästigen.

Ich wünsche Ihnen noch ein schönes Wochenende, mit freundlichem Gruß Molosovsky (in glücklicher Hetero-Partnerschaft lebend).

Plakatverbot

Im schönen Taunus liegt das noch schönere Königstein, gegen unsittliche Umtriebe geschützt vom Bürgermeister der CDU. Der sah das Wahlplakat der Grünen und da fuhr der heilige Geist der Entrüstung in ihn: »Das ist ja eine pornographische Darstellung, mindestens jugendgefähredend, wenn nicht gar staatszersetzend!«

Dann laß er auch noch den Spruch »Wir machen’s gleich« und da gneiste der Gute, daß dies, zusammen mit dem Bild ja eine unmißverständliche und nichtzuwiderstehende Zwangsaufforderung zum totalen Gruppensex ist, womöglich mit Tieren und Minderjährigen. Kurzum: das Ordnungsamt muß rann und verbot der durchgeknallten Sittenschandepartei das Anbringen des Wahlplakates in Königstein, im schönen Taunus.

So stellte ich mir das vor, und wie ich mir das so vorstellte, da dachte ich mir, so geht's aber nicht ihr Heuchler, und schrieb an die Stelle für Plakatierungsgenehmigungen im Ordnungsamt Königstein.

•••

Gerade las ich in der BILD-›Zeitung‹, daß das Ordnungsamt Königstein die Plakatierung des Wahlplakates der Grünen verhinderte, dem Schutz der Jugend wegen, weil das Plakat pornographisch sei. Dazu habe ich zwei Anliegen:

  • Ist es möglich, eine genauere Stellungsnahme mit Begründung von Ihnen oder den für die entsprechende Anordnung Verantwortlichen Königsteins ob des Verbotes zu bekommen?
  • Mich würde auch interessieren, welche anderen Plakate aus der Vergangenheit in Königstein aus ähnlichen Gründen nicht plakatiert werden durften und dürfen.

Ich hoffe, daß das Ordnungsamt Königstein in dieser Sache konsequent handelt, und zB die Auslage der BILD-›Zeitung‹ verbietet und den Verkauf nur unter dem Ladentisch (unter Vorlage eines Altersnachweises nur an Personen ab 18) zuläßt. Die im Vergleich zum Plakat der Grünen gallopierende Pornographie auf den Titelseiten der BILD ist geeignet, vor allem männlichen Jugendlichen ein Frauenbild zu vermitteln, daß ungefähr so geht: »Natasha ist traurig denn der Reisverschluß ihrer Hotpants klemmt… Wer hilft Natasha?«

Sehr würde ich mich über eine Antwort freuen, mit freundlichem Gruß molosovsky

Hier geht es zum zweiten Teil der Korrespondenz.

Leben ist Krieg

In den Achzigern wurde wohl so mancher gehirngewaschen von dem Film <a href="www.koyaanisqatsi.org"target="_blank">Koyaanisqatsi, dieser bild- und musikmächtigen Feststellung, daß das Leben verrückt ist. Es folgte der ebenso unaussprechliche Powaqqatsi, der das Leben in Verwandlung zeigte. Bis heute ragen diese Filme ziemlich solitär aus dem Sumpf der Filmgeschichte.

Ich kann mich noch gut erinnern an die Kunststücke, dem damals von Dieter Moor moderierten Kulturprogramm von ORF II, dem Geheimtip, wenn man einmal die Woche von Mitternacht bis in die Puppen stranges Zeug sehen wollte. Neben Down by Law, Eraserhead und Co., lernte ich als Teenager damals auch Koyaanisqatsi kennen. Hab geheult wie ein Schloßhund nach dem Film, so gewaltig der Strom an Eindrücken, dem ich da ausgesetzt war.

Ein spielfilmlanger Phillip Glass Zeitraffer Zeitlupe Makro Mikroobejektiv Zivilisationskritik Musikclip. Es wundert und ärgert mich, daß bis auf die zweifelhaften Disney-»Fantasia«s, und löblichen Konzertfilm-Versuchen wie »Rattle’n Hum« (U2) und »Big Time« (Tom Waits) nicht mehr solche Kinomusikfilme produziert wurden.

Gute Nachricht aber: mit Naqoyqatsi wird die Qatsi-Trilogie dieses Jahr abgeschlossen.

There is no more nature. The is only technology. Everyday life is war.

So der Werbesloagen zum Trailer des im Herbst/Winter anlaufenden Filmes.

AKTUALISIERUNG: Der deutsche Start des Films ist der 12. Juni 2003.

Link-Tipp: Oli hat mittlerweile eine begeisterte Rezension zu »Koyaanisqasti« in seinem Blog veröffentlicht.

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