Eintrag No. 675 — Der Wochenrückblick fällt link-mäßig diesmal mager aus. Grund: Ich war angekränkelt und bin neben dem Brotjob vor lauter Zeichnerei und Übersetzerei zu wenig gekommen.
Lektüre: Immerhin bin ich beim Lesen von Arno Schmidts Riesenwerk »Zettel's Traum« ein gutes Stück weiter. Mehr dazu in meinem zweiten Lektürebericht.
Fertig gelesen habe ich Joe R. Lansdales »Kahlschlag« und bin überaus zufrieden damit. Auch hierzu hoffe ich, bald eine Rezension liefern zu können. Der Roman hat mir wieder Mal klar vor Augen geführt, was mir bei vielen Fantasy- und SF-Genrestoffen prinzipiell missfällt: nämlich, dass viele phantastischen Genre-Stoffe gleich mit der großen Schicksalskeule aufwarten und sich bei ihnen die Handlung mindestens um die Rettung der Welt und den Kampf gegen das absolute Böse dreht. »Kahlschlag« spielt dagegen ›nur‹ in einer kleinen Welt, der Sägewerksiedlung Camp Rapture und dem boomenden Ölfeld-Ort Holiday, irgendwo im Ost-Texas der 1930-Jahre. Äktschn-mäßig passiert zwar viel, und Lansdale versteht es, mit einem abwechslungsreichen & starken Figuren-Ensemble aufzuwarten, aber die Handlung dreht sich eben ›lediglich‹ darum, dass Menschen mit den harschen Bedingungen des ländlichen Lebens und den Widrigkeiten, die sie sich einander antun, zurande kommen müssen und versuchen, so gut es geht Recht und Ordnung zu wahren.
Nun lese ich seit dem Wochenende unterwegs »Gormenghast (1): Der junge Titus« von Mervyn Peake in der Neuausgabe, für die Alexander Pechmann die Übersetzung von Annette Charpentier überarbeitet hat, sehr zur Verbesserung des Buches, wie ich anhand der bisherigen Stichproben zu urteilen wage. Wenn alles so klappt, wie ich hoffe, dann werde ich Mervyn Peake neben Wolf von Niebelschütz zum Gegenstand meines Beiträges für das nächstjährige »Magira«-Jahrbuch machen.
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Film: Bin unglücklich in letzter Zeit. Das Angebot an englischsprachigen Filmen in Ffm ist seit dem Ende des »Turm Kino« dramatisch zusammengeschrumpft. Wahnsinnig gerne würde ich z.B. »Machete« von Robert Roriguiz sehen, aber der läuft nur in einem Kino, einmal am Tag (um 23:15!) und auf Deutsch. Muss ich also wieder bis zur DVD warten.
Auf DVD habe ich zwei Sichtungen vorgenommen: zum einen endlich »Walhalla Rising« gesehen. Im ›OliBlog‹ gibt es eine gute Rezension zu dem Film, und ich baue meinen dort platzierten Kommentar mal aus: Ich finde nicht, dass der Film keine Geschichte erzählt. Freilich erzählt er eine, sogar eine ziemlich komplexe, aber der Film erzählt eben nicht auf konventionelle Art. Neben der offensichtlichen Handlung (Kampf-Sklave befreit sich, tötet seine ehemaligen Peiniger, schließt sich zusammen mit einem Jungen einer Gruppe christlicher Wikinger an, die Jerusalem beistehen wollen; man treibt ziellos im Nebel umher, erreicht ein unbekanntes, wildes Ufer und sucht nach Halt und Ziel in der Fremde) tut sich schon eine Menge, aber eben non-verbal & betörend intensiv vermittelt durch die Bilder, den Sound und die Musik. Zudem wagt der Film offene Enden und Rätsel wie selbstverständlich unbeantwortet zu lassen.
(SPOILER/Was geschieht mit den nackichen Frauen-Sklaven im zweiten Kapitel?; Oder wie kommt es, dass ein Wikinger von den Naturwilden aufgenommenen wurde?/SPOILER-ENDE)
Was als Argument schnell mal als billige Entschuldigung für schlecht gemachte Stories angeführt wird, will ich hier als Lob und Anerkennung anwenden: dass nämlich einiges, vieles sogar der Phantasie des Zuschauers überlassen wird. Und da der Film so gut gemacht ist, verführt er dazu, dass man sehr intensiv in die damalige Zeit eintaucht. Zumindest mir scheint, dass dieser Film ein gnadenlos realistisches Bild von etwas vermittelt, das in Genre-Stoffen schnell mal verniedlicht, verkitscht und verharmlost wird.
— Punkte: Etwa 8 von 10.
Zweitens habe ich nun die lange (Extended Collector’s Cut) Fassung »Avatar« auf DVD. Obwohl die arg konventionelle Handlung, sprich: Vorghersehbarkeit, den Genuss schwächt, bin ich selbst überrascht, wie sehr mich »Avatar« begeistert. Schade nur, dass es in dieser Welt scheinbar (noch) nicht möglich ist, so einen Stoff bei dem Aufwand für Ab-16 oder Ab-18 zu produzieren. — Die ca. 20 Minuten längere Fassung meiner DVD beginnt in einer Megametrople auf der Erde. Sehr gut als Kontrast zur späteren Natur-Buntheit geeignet. Die Ankunft auf Pandora war alles noch der ›übliche SF-Genre-Bombast‹. Als der Rollstuhlfaherer Jake später dank seines frischangezogenen Avatar-Körpers genießt, wieder rennen zu können, hatte ich zum ersten Mal im Verlauf des Filmes dieses wunderbare erhebene Gefühl, weshalb man wohl in diese Art von Film geht: Kloss im Hals wegen ansteckender Freude an der Freude der Figur. Da hat es ›Klick‹ gemacht und der Rest funktionierte prächtig bei mir.
Der Weltenbau ist in jeder Hinsicht ein Wahnsinn!!! Sicherlich das beste auf diesem Gebiet seit LOTR, nur thematisch und stilistisch viel näher bei meinen persönlichen Vorlieben. Die Darsteller sind durch die Bank gut. — Der Star des Filmes ist für Stephen Lang. Mir ist der Schauspieler sonst nur noch prägnant als unglücklich verliebter schwuler Gewerkschaftsaktivist aus »Last Exit Brooklyn« in Erinnung (»Public Enemy« hab ich komplett verdrängt) und bin mehr als baff von seiner Darstellung des Security-Chefs. — Positiv aufgefallen ist mir zudem, dass es keine ›Bösewichter‹ gibt, sondern nur Figuren, die konsequent ihren eigenen Erfahrungen (Traumas?) gemäß handeln.
Ein Ärgernis ist für mich die zu weichgespülte Musik von James Horner, vor allem sein ermüdender Einsatz des Trompeten-Motivs, das Horner schon tausendmal als ›Gefahr in Verzug!‹-Zeichen eingesetzt hat (und ich finde es oberätzend, wenn man mitten in einem Film, hier »Avatar«, an andere Filme, z.B. »Krull« und »Willow« erinnert wird). Und ein, zwei Mal war der ›Eingeborenen‹-Schmalz etwas zu heftig für meinen abgebrühten Geist.
— Punkte: Etwa 9 von 10.
Netzfunde
Peter Sloterdijk hat für ›SpOn‹ den Debatten-Text Der verletzte Stolz vorgelegt und macht damit wieder mal, was er gut kann, nämlich Antike und Gegenwart aufeinander beziehen und lässt dabei z.B. dem dummen Westerwelle-Geblah von der heutigen ›römischen Dekadenz‹ die Luft raus.
›Telepolis‹ hat mit dem Wirtschaftswissenschaftler Franz Hörmann gesprochen: Finale Krise des Finanzsystems im nächsten Jahr?. Hörmann ist einer der sympathischen Vertreter seiner Zunft, da er gerade heraus feststellt, die Mainstream-Wirtschaftswissenschaften seien Quark, Herrschaftspropaganda und alles andere als Wissenschaft.
Lehrreiche Veranschaulichung von ›The Map Room‹: Zehn Jahrhunderte in fünf Minuten. Leider hat man vergessen, irgendwo die Jahreszahl einzublenden. Aber damit lässt sich dieser Clip formidabel für ein kleines Wissensquiz in trauter Runde verwenden.
›Art & Letters Daily‹-Redakteur Denis Dutton hat 2009 »The Art Instinct« vorgelegt, und bei ›TED‹ gibt es nun einen ca. 15 Minuten langen Vortrag zu eben dem Thema dieses Buches: A Darwinian theory of beauty (›Eine darwinistische Theorie der Schönheit‹). Glorioserweise hat RSAnimate-Künstler Andrew Park mitgeholfen, die Theorie zu veranschaulichen!
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Eintrag No. 668 — Dem Kalender nach sollte es kälter werden, aber das Wetter tüdelt herum, als ob es einen zweiten Frühling anpacken möcht. Mein Immunsysthem spinnt entsprechend, meine Glieder knacken, meine Muskeln knirschen, und mein Nasen- & Stirnhöhlenbereich fühlt sich an wie etwas, das auf der Rückbank eines havarierten Autos vetrocknet. Trotzdem (leider — GOttseidank): zum richtig krank werden reicht es nicht.
Lektüre: Mit »Behemoth« von Westerfeld & Thompson bin ich fertig. Kurzweilig, wunderschön dank der Illustrationen, diesmal mit einer Prise gelungener Niedlichkeit & Liebeswirren. Und obwohl mir dieser zweite Band der »Leviathan«-Trio gut gefallen hat, haben sich merklich Ermüdungs- und Routineeffekte eingestellt, die mich daran hindern ein natürlicher Freund von Serien- & Mehrteilerwerken zu sein .
Die Spätantike erlebte schießlich den Untergang der Philosophie in der Theologie. {…} Fürsten sind an Priestern, nicht an Philosophen interessiert. {…} Monarchen ist nicht an Schülern gelegen, sondern an Gefolgschaften. {…} Der praktische Wert der »Geistigen« beschränkt sich in dieser Zeit aufs Untertanenmachen von innen.
Zu dem Bestand exoribitant schöner und ungewöhnlicher Bücher im Haushalt hat sich »I Wonder« der Typographin und Graphic Designerin Marian Bantjes gesellt. Auf Bantjes bin ich schon vor einigen Monaten aufmerksam geworden durch den TED-Talk »Intricate beauty by design«, für mich als Amœnokrat natürlich von besonderer Bedeutung. »I Wonder« ist eine Wunderkammer der modernen Ornamental-Gestaltung. In 13 Abschnitten denkt Bantjes über so verschiedenen Dinge wie Staunen, Verwunderung, Politik des Ornamementes, Erinnerungen (Photos und Schmierzettel), Heraldik, Firmenlogos, Ehre und Bedeutung nach. Am allerbesten aber finde ich »The Alphabet: A Critique«. In diesem merklich flappsigen Text kommentiert sie jedem Buchstaben und spannt dabei die ulkige Phantasie auf, dass ein anonymes Font-Studio der Altvorderen in Gemeinschaftsarbeit das Alphabet gestaltet hätten.
Ansonsten bin ich mit »Zettels Traum« Arno Schmidt bis etwa Seite 50 vorangekommen. Dän Pagenstecher doziert und das Übersetzerpärchen Paul und Wilma und deren Tochter Franziska lauschen, nicken, geben Widerworte zu den Ethym-Thesen von Dän, und seinen Theorien dazu, was den guten alten Edgar Allan Poe an unbewussten Impulsen und Prägungen zu seinen Texten getrieben hat. Ein Hase sprang bereits herum und Rehe wurden gesichtet. Also: eigentlich nix los, und dennoch, Dank der ungewöhnlichen Schreibe von Schmidt ist das ganze erstaunlicherweise unterhaltsam zu lesen. Wenn ich mein jetztiges Lesetempo beibehalte, dann bin ich in etwa einem Jahr mit diesem Trumm fertig.
Netzfunde
›Junge Welt‹ die Erste: In einem ausführlichen Dossier wird eine der widerlichsten Entwicklungen der gegenwärtigen Jurispudenz beleuchtet: Denn sie wissen was sie tun, legt dar, wie deutsche Rechtsgelehrte sich an dem Projekt beteiligen, in der westlichen Moderne die Folter wieder zu legitimieren.
›Junge Welt‹ die Zweite: Dass sich die Katholen, ihren eigenen öffentlich verlautbaren Moralansprüchen zum Trotz, zeihenswerterweise mit kriminellen Milieus gemein machen, ist zwar altbekannt, wird aber in diesem Text von Gerhard Feldbauer trefflich zusammengefasst: Gottes Bankster
Ganz grob (im Sinne von: hinfort mit den Privilegien gewährenden Staats-Samthandschuhen gegenüber den organisierten Kirchen) passt dazu thematisch ein Interview, dass die ›Jungle World‹ mit Michael Bauer führte, dem Sprecher des im Werden befindlichen Arbeitskreises Laizistischer Sozis: »Genossin Nahles will uns ausbremsen«.
Die frohe Kunde, dass letzte Woche (endlich) eine sich auf Lobbyismus spezialisierende Wikipedia ihren Betrieb aufnahm, wird unter anderem bei ›Telepolis‹ verbreitet: David gegen Goliath. Und hier geht es zu der Lobbypedia.
(Deutschsprachige) Phantastik-Funde
Hans Schmidt hat für ›Telepolis‹ einen laaangen Artikel geschrieben, in dem er zeigt, welch gewundene Wege im 19. & frühen 20. Jahrhundert die Flickenkreaturen und Blutsauger erlitten haben, bis sie zu den heutigen Kultfiguren im populären Monströsenkabinett werden konnten: »It’s alive!« und doch vergriffen: Frankenstein, Dracula und die Tücken des Urheberrechts.
Zuckerl
Das ›Old Hollywood‹-Blog hat ein altes Absage-Formular der Essanay-Studios ausgebuddelt, das köstlich unfreiwillig komisch-gruselig von der Praxis der frühen Filmindustrie erzählt.
Die ›Galerie 1988‹ aus Kalifornien bietet ätzende Zeitgenossenschafts-Kritik in Form von 55 fiktiven Straßenschildern der TrustoCorp: The New America.
Lobenswerte Photobuch-Idee: Der englische ›Telegraph‹ präsentiert mit einer Bilderstrecke eines Kostprobe des Photobandes Where Children Sleep von James Mollison. Solche Dokumente sagen mehr über die Schlechthinigkeit der Welt als 1000 kluge Worte.
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Eintrag No. 641 — Nicht lange rumlgelabert. Hier die dieswöchigen Links.
NETZFUNDE
Peter Sloterdijk, den manchen ja nur für einen bedenklichen Dampfplauderer halten, dessen Bücher mir aber großes Vergnügen bereiten, hat in »Der Welt« ein Interview gegeben: »Wir leben in einer Frivolitätsepoche«. Interessant ist, dass Sloterdijk dieses Gespräch dazu nutzt, irrige Interpretationen zu Äßerungen von ihm aus dem letzten Jahr zu relativieren. Sloterdijk hatte (flappsig umschrieben) in der jüngsten Vergangenheit vom verbrecherischen Akt erster Aneignungen und dem Steuerstaat als großen etablierten Dieb von Privatvermögen gesprochen und schließlich davon, dass es wünschenwert wäre, man käme weg von einer Zwangsabgabe hin zu einer neuen Kultur des Mäzenatentums und Spendens. Jetzt nun sagt er deutlich, dass der Staat sich durch irrationale Wirtschaftsideologien entmächtigen ließ, in der Finanzkrise aber wieder als einziger Milliardär der importiert rettend auftreten dürfe.
Othmar Keel lieferte für die »NZZ« einen Essay über die tierischen Ursprünge der Engel: Unheilabwendende Schlangen und geflügelte Löwen. Lustig, wie kurz skizziert wird, wie aus Schlangen (griechisch: ›seraphis‹) kleine nackte Bürschchen werden (römische Eros-Figuren).
Endlich: das Prospekt zum gesetzten »Zettel’s Traum« von Arno Schmidt als PDF. Auch wenn ich fürchte, dass ich kaum Zeit haben werde, mich ab Herbst dem Monsterschmöker mit gebührender Hingabe zu widmen, freue ich mich schon darauf, mir das Teil endlich ins Regal zu stellen und damit meine Schmidt-Werksausgabe zu kompletieren.
Auf dem letzten Comic-Con saßen J. J. Abrams und Joss Wheadon (Teil 1 von 7) gemeinsam auf dem Podium und beantworteten Fragen zum Thema Geschichtenerzäheln. Höhepunkte: Joss wuppt Maximal-Komplimente in Richtung J. J. für dessen »Star Trek«-Film. — J. J. fällt schockiert in sich zusammen, als Joss erklärt, dass er beim Drehbücherschreiben ohne Überarbeitung auskommt.
(Deutschsprachige) PHANTASTIK-FUNDE
Zufällig entdeckt, dass Georg Seeßlen seit einem guten Jahr unter die Blogger gegangen ist. Seeßlen schreibt sonst sehr gute Filmrezis für die großen Feuilletons, und ist mir seit langer Zeit als Sachbuchautor bekannt (legendär z.B. sein »Lexikon der Unterhaltungsindustrie« aus den Siebzigern). Sein Blog hat den ›verstörenden‹ Titel Das Schönste an Deutschland ist die Autobahn, und entdeckt habe ich es über den Eintrag CONTRA NATURAM: oder Die Weltordnung und das Wunder, einem gehaltvollen Kurzessay zum Thema Phantastik, Fantasy und Weltbilder.
Entdeckt habe ich das PDF-Magazin von Literaturzirkel. Monatlich reichlich Rezis, Schwerpunkt zwar auf Phantastik, aber immer wieder auch zu literarischen Titeln. Werd ich im Auge behalten.
In der »NZZ« erschien am 29. Juli eine unterhaltsam zu lesende Rezi von Leopold Federmair zum zweiten Borges & Casares-Band der neuen Hanser-Werkaushabe (ich habe die Fischer-Taschenbuchausgabe der Erstauflage): Dumme Detektive. Vor allem stimme ich dem Lob zur Anmerkungs-Poetik von Gisbert Haefs zu.
›Thomas Sch‹ hat für »Roter Dorn« eine Rezi »Die Zimtläden« von Bruno Schulz (dtv-Taschenbuchausgabe der Neuübersetzung bei Hanser) geschrieben.
Sehr gefreut habe ich mich über Oliver Kotowskis Rezi bei »Fantasyguide« zu dem schmalen aber feinem Büchlein »Die Erscheinungen im Weißen Hotel« von Herbert Rosendorfer (Text) und Fabius von Gugel (Illustrationen). Leider gibt es im Internet kaum Bilder des 2000 verstorbenen Phantastik-Künstlers Fabius von Gugel zu sehen. Ich hatte vor Jahren das Glück, den Bildband »Das graphische Werk« aus dem DuMont-Verlag günstig zu bekommen. Tja deutsche Phantastik-Feinschmecker, stöbert herum und lernt von Gugel kennen!!!
Für die »Literarische Welt« schrieb Elmar Krekeler eine Empfehlung zu »Handbuch der Detektive« von Jedediah Berrys. (Ich selbst bin, aus Mangel an Kenntnis des Werkes von Tschechow, ein Borgesianer). Dank an Oliver Naujoks für den Hinweis!
Bescheidgeb: Hier gehts zum PDF vom Fandom Observer No. 254; enthält unter anderem eine Rezi zu Dan Simmons »Drood«.
ZUCKERL
Der ›Narr im Wald‹ berichtet von seiner Begeisterung für die Collage-Romane von Max Ernst: Drive-In Saturday: Ernst Enough For Us. Viele Links, unter anderem zu …
… dem Künstler Dan Hiller, der die Tradition von Max Ernst weiterführt, speziell für alle heutigen Fans von Belle Epoche-Klamotten tragenden Hybrid-Wesen. In seinen Gallerien gibt es z. B. einen Vogelgentlemen mit hutlüpfendem Hut; — einen Waldgeist in blauer Nass in Nass-Technik; — und ganz blöd zusammengewachsene siamesische Brüder.
(Eintrag No. 531; Gesellschaft, Geld, Großraum-Phantastik) — Große Freude macht mit ein aktuelles Interview mit Peter Sloterdijk, dessen Bücher ich ja, wie die Freunde der Molochronik wissen, durchaus sehr zu schätzen weiß. Sloterdijk ist ja gern und oft mal mit einem Kommentar in den Medien zu Stelle, und diesmal erklärt er uns den Zusammenhang zwischen dem Platzen der Finanzwirtschaftsblase und der Fantasy. Im Ernst. Es sind genau solche großen Zusammenhänge zwischen Weltbild-Illusuion und die aus ihnen folgenden knallhart durchgezogenen Praktiken der Gestaltungs- und Deutungsmächtigen, weshalb ich dafür eintrete, den Phantastikbegriff wieder in den politisch-gesellschaftlichen Diskurs zu holen.
Peter Sloterdijk: Die Finanzkrise hat ihren Grund in technischen Fehlern der Zentralbanken. {…} Was wir heute erleben, ist eine Folge davon, dass sich die Inflationisten beziehungsweise die Schuldenakrobaten auf ganzer Linie durchgesetzt haben. {…}Die heutige Wertekrise ist das Werk grauer Bürokraten, die meinen, man könne dem Verlust an Vertrauen mit der Emission von Scheingeld abhelfen.
{…}
SZ:Stimmt. Und alles geschah im Zeichen des neoliberalen Glaubens an die problemlösende Macht des Marktes ...Peter Sloterdijk: In Wahrheit im Namen eines magischen Weltbilds. Der eigentliche Held des Neoliberalismus ist Harry Potter.
SZ:Wie bitte das?Peter Sloterdijk: Weil die Potter-Romane die Fibel einer Welt ohne Realitätsgrenze darstellen. Sie überredeten eine ganze Generation, den Zauberer in sich zu entdecken. Das englische Wort Potter bedeutet übrigens »Töpfer«, einen Handwerker, der Hohlkörper verfertigt. Nur Verlierer glauben heute noch an die Arbeit, die Übrigen betreiben magische Töpferei und lassen ihre strukturierten Produkte fliegen.
SZ:Weil sie keinen Inhalt haben können?Peter Sloterdijk: Doch, sie müssen sogar Inhalt haben, aber nicht als Selbstzweck! Gefäße sind Medien, die aufnehmen, um abzugeben. Martin Heidegger hat in einer tiefsinnigen Betrachtung über das Wesen der »Dinge« am Beispiel eines Kruges ausgeführt, wie der seine Funktion nur in dem Maß erfüllt, als er hohl ist, mithin gefüllt werden kann. Was er erhält, gibt er in der Gebärde des Schenkens weiter. Der moderne Mensch hat den Schnabel des Kruges verstopft. Da fließt nichts mehr hinaus, das geht auf Dauer nicht gut.
SZ:Weshalb wir lieber mit dem Zaubern aufhören sollten?Peter Sloterdijk: Zaubern ist eine Tätigkeit, die das Verhältnis von Ursache und Wirkung verdunkelt. Die Verwirrung beginnt, wenn die Wirkung die Ursache maßlos übertrifft — ökonomisch gesprochen, wenn der Profit in keinem Verhältnis mehr zur Leistung steht. Genau diese Unverhältnismäßigkeit prägt die Grundstimmung der vergangenen Jahrzehnte. Zahllose wollten aus einer Wirklichkeit aussteigen, in der man für 40 Stunden Arbeit pro Woche kaum ein Durchschnittseinkommen erreicht, während man durch ein paar Stunden Magie in die Runde der Superreichen aufgenommen wird. Wir haben eine gefährliche Rechenart erfunden. An die Stelle von prosaischen Gleichungen treten wunderbare Ungleichungen. Das ruiniert den Sinn für Adäquation.
Was Sloterdijk und die SZ hier freundlich als ›zaubern‹ umschreiben, kann man auch schlicht als ›Beschiss‹, ›Nepp‹ und ›Bauernfängerei‹ bezeichnen. Da wird mit viel Tam-Tam und Marketingbeschwörungen mit einem Kapitalanlage-Zylinder herumgefuchtelt, will man dann aber in den Zylinder langen, findet sich kein Kaninchen mehr. Nix. Nada. Alles verpufft bis auf das, was die Trickser dem Publikum abgreifen konnten.
Eintrag No. 486 — Derzeit stöbere ich in Peter Sloterdijks neuestem Buch »Gottes Eifer. Vom Kampf der drei Monotheismen«. Sloterdijks Bücher lese ich sehr gerne, denn abgesehen von den Stellen, wo er mir mit Fremdworten, die ich in keinem meiner heimischen Wörtbuch finde, vor’s Hirn haut, bereiten die mir einfach Spaß. Da ich in meinem Alltag umgeben bin von lauter Menschen, die seufzend den Kopf schütteln, wenn ich Sloterdijk erwähne, muss ich mein Blog als Überlaufventil nutzen und ein bischen Begeisterung ablassen. Vorsicht, denn was ich hier nun folgt, ist ein Remix vermengt mit eigenen Gedanken, keine Rezension.
Dabei reicht es mir schon, nur über’s erste Kapitel von »Gottes Eifer« zu faseln. Das dreht sich um die Prämissen (›das Vorausgeschickte‹) des Buches, worum es so geht, was man als Leser beachten sollte, um sich nicht das Gemüt zu stossen. Richtig gehend fetzig fand ich dort eine Unterteilung der Phänomene, die mit dem Transzendenten, dem Heiligen zu tun haben.
Da gibt’s zuerst mal vier Phänomene, die sich mittlerweile ohne große Umstände auf weltliche Art und Weise beschreiben lassen, und wo also (sag ich jetzt mal) heiliges und sakrales Getue vielleicht eine nette Folklore darstellt, aber mehr auch nicht. Sloterdijk beschreibt entsprechend diese Transzendenz-Phänomene als ›Verkennungen‹.
1—Verkennung des Langsamen: Praktischer Aspekt: Wie bewerkstelligt man die Koordinierung, wenn es gilt, über Generationen hinweg an einem Projekt zusammenarbeiten? Hier braucht’s Leute, die sich der langsamen Verwaltung widmen, und diese Leute nutzen dazu orientierende Ideal-Phantasmas. — Erkenntnis-Aspekt: Menschen im Lauf der Zeit immer besser gelernt, die langsamen Prozesse um sich zu beobachten und richtiger zu deuten, siehe z.B. die Evolutionstheorie. Also nix mit einem im Über oder Außen thronenden Schöpfer und Planer. Wir Menschen müssen uns selber organisieren, bzw. blubbert das Evolutionstreiben allein Geschöpfe hervor, ohne großen himmlischen Knetmeister.
2—Verkennung des Heftigen: Superkrasse Wut-, Zorn- und andere aus der ›Wildnis von Innen‹ auflodernden heftigen Erregungszustände (inkl. ihrer Umkehr in sich selbst wegmachen wollende Scham) sind derart überwältigend, dass, wer von ihnen ergriffen wurde, sich als von etwas erfüllt wähnt, das von Woanders, von Oben, von Außen in ihn gefahren sein muss. Siehe Amoklauf und Berserker.
3—Verkennung der »Unerreichbarkeit des Anderen«: Mein persönlicher Schwachsinns-Favorit. Weil ›etwas‹ nicht auf mein Zetern, Klagen, Bitten usw. reagiert, muss ›es‹ höher sein als ich oder die Welt. Sehr fein ist aber Sloterdijks prächtiges Resummee, wenn er schreibt:
Selbst wenn hier also eine von Verkennung markierte Konzeption der Transzendenz vorliegt, sollte man »Gott«, sofern das schlechthin Andere gemeint ist, als ein moralisch fruchtbares Konzept würdigen, das Menschen auf den Umgang mit einem unmanipulierbaren Gegenüber einstimmt.
Weitergedacht, invertiert und ein klein wenig übertrieben: zum »Gott« steigt man denen gegenüber auf, die einem nicht ans Bein pinkeln können, egal was man anstellt.
4—Verkennung von Immunitätsfunktionen: Bei Immunitätsfunktionen geht’s um die Instanzen zur Abwehr von schädlichen Einflüssen (biologisch), zum Ausgleich von Dingen die außer Balance geraten sind (juristisch) und zum Motivieren in Situationen, wo es nach menschlichem Maßstäben nicht weitergeht (Chaosüberwindung).
a—Verarbeitung von Integrationsstörungen: Um mit solchen fiesen und piesakenden Naturkräften wie Tod, Zufall, Leiden fertig zu werden, hilft ritualisiertes Trösten, Mutmachen, Trauern usw. und aus dem narrativem Drumherum der entsprechenden Rituale lassen sich symbolisch gebastelte Weltbilder machen. Wenn man aber das aus den ›ritualisierten Sprechakten‹ zusammengefügte Weltbild verwechselt mit der höchsten Wahrheit, wird’s fatal, denn dann wird das helfende Mittel (die Lindernden Wirkungen der tröstenden Mumbojumbo-Rituale) zur Gottheit und fertig ist die Kulturhaltung eines Junkies, nur dass dort, wo dieser seinen Rausch-Kick braucht, der fundamentalistische Gläubige seinen Recht-behalten-Kick braucht.
b—Kanalisierung & Kodierung von Exzessbegabungen: Junge, was kann der Mensch auszucken! Gerade dann, wenn es durch das Zusammenleben von Menschen immer mehr Menschen besser geht und sie sich etwas gönnen oder sie sich ausruhen oder feiern oder Blödsinn anstellen können, werden Überschüsse frei und man will, muss, darf was anstellen. Besser also, man bändigt diese frei flotterenden Tatenergien, bevor sich allzu viele weh tun, die sich nicht weh tun wollen! Die einen Kasteien im religiösen Kontext sich selbst, andere peitschen sich mit lustigen Lederklamotten im sado-masochistischen Kontext, und der gemeine Proll verabredet sich zur großen Post-Fußballspiel-Prügelei irgendwo am Waldrand.
Daraufhin folgen zwei Transzendenz-Phänomene, die sich aufgrund ihres schon geheimnisvolleren Charakters ein bissi gegen eine Umsetzung in rein weltliche oder naturalistische Zusammenhänge sperren:
5—Die höhere Intelligenz: Zu den selbstbezüglichen Seltsamkeiten des menschlichen Bewußtseins gehört die Fähigkeit, sich ›etwas‹ vorzustellen, das intelligenter ist als wir Menschen. Meine persönliche Vermutung ist ja schlicht, dass wir hier einfach unser Verhältnis zum Nutz- und Haustier umkehren, wenn wir uns in bangen Museaugenblicken fragen, ob wir selbst zum Nutzen für ›etwas‹ oder zu dessen Vergnügen gehalten werden, so wie wir uns einen Hamster, einen Hund oder ein Pferd halten. Bei Katzen gibt es ja bekanntlich eine große Fraktion, die annimmt, dass wir die Haustiere und Dosenöffner-Büttel der Viecher, und diese die eigentlichen Chefs der Tier-Mensch-WG sind. — Wie dem auch sei: Sloterdijk verweist am Rande darauf, dass es die Welt der Bücher ist, in der man seine entsprechenden Bedürfnisse nach Kontakt mit höherer Intelligenz weltlich ausleben kann.
6—Das Reich der Toten: Ja wo tummeln sie sich denn alle, die von uns gegegangen sind? In einem idylischen Arkadien, in schrecklichen Höllenpfuhlen? Warten unvorstellbare Fremdartigkeiten jenseits der Schwelle des Todes auf uns, oder hinterfotzige Bürokratien einer vogonengleichen Karma-Recycle-Wirtschaft? Wir können es nicht wissen, bzw. was wir sicher wissen, ist nicht so wahnsinnig ermunternd (Wümer, Bakterien usw.) und deshalb stellen wir uns da halt von Herzen gerne etwas Erbaulicheres, storymäßig Griffigeres vor (statt dem Verdacht zuzustimmen, dass da eben nix kommt) und so haben sich Menschen anderwoige Jenseitse in manigfachen Varianten ausgesponnen.
Und zuletzt das siebte Transzendenz-Phänomen, das so heikel ist, dass hier, so Sloterdijk, derweil noch beim Deutungsspiel zwischen Wissen und Glauben letzter meistens siegt.
7—Offenbahrungen: Woher kommen diese Stimmen in meinem Kopf? Wer flüstert mir die dollen Ideen, Weisungen, Befehle ein, die ich hab? Und freilich ist meine innere Stimme die einzig wahre und richtige und mit universeller Authorität ausgestattete, und deine innere Stimmen ist nur eine dämonische Irreleitungen, Truggebrabbel, Rückbänklergemurmel. — Jau, wie übersichtlich wird die Welt, wenn man sich vorstellt, es gäbe wirklich irgendwo in der Weltenmitte einen absoluten, über und in und jenseits von allem thronenden Herrscher, und manche von uns habe eine gute Antenne um seine Mitteilungen zu empfangen, ein exklusiv durch Gnade freigeschaltetes Free-Prophetie-Abo, während andere leider leider leider nur taube Hirne und Herzen mit so primitiven Kugelspielen haben, damit sie was zum in der Hirnschale Hin- & Herklappern haben.
(Eintrag No. 410; Gesellschaft, Medien, Phantastik, Bildung & Unterhaltung) — Obwohl ich schon einige Monate mit einer komfortablen Breitbandleitung durchs Web gurke, habe ich erst in diesem Monat angefangen, mich in entsprechenden Portalen umzuschaun, wie es um lohnende Filmchen bestellt ist. Hier eine mehr oder weniger munter-unsortierte Auswahl lohnender Clips und Streams.
Kann sein, daß meine Links nicht lange online, oder die entsprechenden URLs schnell wieder unaktuell sind und wieder verschwinden. Gebt halt ggf. als Kommentar hier bescheid, wenn dem so sein sollte.
Den Anfang macht das einzige Web-TV-Angebot der öffentlich-rechtlichen, das ich regelmäßig verfolge: »Das Philosophische Quartett« mit Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski. Für mich, der ich mir kaum leisten kann abends mal aufn Bier zum Klönen wohinzugehen, sozusagen mein Stamtischersatz. Glaubt bloß nicht, ich nehm alles ernst, was die Damen und Herren des Quartetts so daherphilosophieren. Aber genau das, Daherphilosophieren (und zwar unaufgeregt), ists, was diese Sendung für mich so reizvoll macht. Leider reicht das Archiv nicht allzuweit in die Vergangenheit.
Ein Abend mit Neil Gaiman. Ich habe Gaiman ja im Frühjahr 2007 in Leipzig erlebt und kann sagen: Der Mann weiß, wie man einen vergnüglichen Leseabend gestaltet. Der hier verlinkte Fora.tv-Beitrag dauert fast 2 Stunden. Neil liest aus neustem Kurzgeschichtenband »Fragile Things«, inkl. Frage und Antwortspiel. Nict versäumen sollte man die Story »Secret Brides Of The Faceless Slaves Of The Forbidden House Of The Nameless Night Of The Castle Of Dread Desire«, ein Muss für alle, die eine deftige Parodie auf Gothic Novel-Schwulst abkönnen (zugleich aber auch eine köstliche Verteidigung der Phantastik). — Knackig auch Neil Gaimans Gedanken über Horror- und Weird Fiction Papst H. P. Lovecraft.
Apropos H.P.L.: Hier gibt Howard Philip Lovecraft Auskunft (1933). Fast möcht ich meinen, daß es sich hier um einen geschickten Fake handelt, aber der Clip wurde augenscheinlich von Lovecraft-Experten S.T. Joshi beigesteuert.
J.R.R. Tolkien spricht über die seine Mythologie. Man braucht schlaue Ohren, um das murmelnde Gebabbel vom Papa Hobbit zu verstehen, aber es lohnt sich. Was dieser Clip zeigt: Ian McKellen hat alle zuhandenen Filmaufnehmen des Meisters studiert und gibt als Gandalf eine beeindruckende Hommage auf Tolkien.
Der Neurologe, Humorist, Theater- und Opernregiesseur Jonathan Miller hat für die BBC versucht eine »Rough History of Atheism« auszubreiten. Kein leichtes Unterfangen, haben doch aus Angst vor gröberer Unbill lange Zeit Atheisten gezögert, sich als solche zu outen. Die Dokumentation hat drei Teile, die jeweils in etwa 10-minütige Clips aufgeteilt wurden. Hier zu den ersten Abschnitten von Sendung eins (»Shadows of Doubt«), zwei (»Noughts and Crosses«) und drei (»The Final Hour«). — Eine der schönsten Gemmen dieser Reihe ist Millers Unwohlsein mit dem Begriff ›Atheist‹. Immerhin: Warum sollte man speziell dem Nichtglauben an GOtt (oder Göttern) einen eigenen Namen geben? Gibt es ein besonderes Wort für Menschen, die nicht an Geister, Kobolde und Einhörner glauben? Eben. — Zusätzlich hat Jonathan Miller mit einer Reiher prominenter Nichtgläuber (und einem Gläubigen) Interviews geführt, die schon in seiner »Rough History« gekürzt verwendet wurden. Unter dem Titel »Atheism Tapes« kann man aber die ganzen Gespräche goutieren. Hier gehts zu den jeweils ersten Clips der Interviews mit Colin McGinn (Wissenschafts-Philosoph), Steven Weinberg (Physiker), Arthur Miller (Dramatiker), Richard Dawkins (Biologe), Denys Turner (Theologe), Danniel C. Dennett (Wissenschafts-Philosoph). — Wer nicht glotzen will, kann die kompletten Transkripte der Gespräche hier lesen.
Nach so viel ernsten Zeug über Glauben und Nichtglauben, hier noch ein Clip mit den englischen Humoristen, Schauspielern und Autoren Stephen Fry und Hugh Laurie, die in England berühmt sind für ihre Sendung »A Bit of Fry & Laurie«. — Unsterblich genial ist dieser Scetch »On Language«. Jupp: so isses.
Und als Schlußzuckerl schließlich noch zu den beiden haarsträubend grotesken kurzen Filmchen des amerikanischen Animationskünstlers Bill Plympton (einigen Freaks hierzulande bekannt als Schöpfer des gandiosen Films »The Tune«): »How to Kiss« und »25 Ways to Quit Smoking«.
Wenn man die üblichen Grenzen zwischen ›Trash‹ und ›Literatuuur‹ mal vergisst, ist es erstaunlich festzustellen, dass hierzulande gescheiter und lustvoller Genre-Fantasy betrieben wird, als man bei übler Laune schlecht reden kann. Da geb’ ich lieber Zeitung von einer mir neuen heimischen Fantasy-Hoffnung, und freue mich denn ‘nu auch besonders, wenn Lorenz Jäger für die noble FAZ den ›Schwert aber Nix-Magie‹-Fantasyroman eines jungen Berliner Buch- und Comicautors lobt. Der immer nach neuen Krassheiten gierende Äktschn-Freak in mir nimmt Jägers ›Warnung‹[1], dass …
»… {n}iemand dies Buch ohne Verstörung lesen können (wird), …«
… hoffnungsvoll als Kauf- und Leseanreiz.
Das Geständnis vorweg: Ein endgültiges Urteil zu »Das Paradies der Schwerter« will ich nicht wagen. Ich schwebe, was diesen sowohl inhaltlich wie auch sprachlich sehr durchmischten Roman betrifft, in einer Ambivalenz irgendwo zwischen gackernder Kleinjungenbegeisterung und skeptischer Verkopftheit. Ich bewundere Tobias O. Meißner (1967) aufrichtig für seine Chuzpe und Experimentierfreude. Aber ich bin völlig unsicher, ob ich seinen Roman als abenteuerliche Fantasy ernst nehmen kann, vom ›Meisterwerk‹-Ettikett ganz zu schweigen. Zu viele Stilblüten und schiefe Unplausibilitäten türmt er (scheinbar?) munter-unbekümmert aufeinander. Jäger lag also richtig: ich bin verwirrt. Aber ich wollte es ja nicht anders.
Zweifellos bietet aber, wie schon der Titel verspricht, »Das Paradies der Schwerter« zumindest Fresseschläge satt. Üppige Tabelaux mit testosteronprallen Kämpfer-Typen schrecken mich nicht, im Gegenteil. Ich bin so frei, mir durchaus zuzutrauen, solche Geschichten über triebstarke und tatendurstige Kriegerhelden so lesen zu können, dass sie mehr hergeben als lediglich platte Propaganda für bestialisch-›faschistische‹ Männermythen.[2]
Der Bischof der befestigten Stadt am Grünen Fluss im Tal der Glocken lässt ein großes Kampfturnier auf Leben und Tod veranstalten. Sechzehn Kämpfer sollen paarweise in vier Runden gegeneinander antreten. Als Preis wartet ein goldener Stirnreif im Wert von 1000 neuen Talern auf den Turniersieger. Meißner hat also ein kräftiges und altbewährtes Handlungsgerüst gewählt, hochprozentiger lässt sich die große Erzählung über das Dasein als Wettkampf aller gegen alle kaum destillieren.[3]
Die erste Hälfte (Kapitel 1 bis 17 des Buches) kommt als Episoden-Collage daher und stellt dem Leser in sechszehn Strängen erst mal die Teilnehmer des Turniers vor. Das bietet reichlich Anlässe für Stil- und Kulissenwechsel. Eine passende Stelle, um meiner Begeisterung darüber Ausdruck zu verleihen, dass Meißner es wagt, die ästhetische Herausforderung anzunehmen, die die neuen Medien wie z.B. PC- und Konsolenspiele für das schriftliche Erzählen darstellen.
Literatur bleibt im Grunde immer einer linearen Programm-Natur verhaftet, wurscht wie gekonnt der Text den Leser in die Erzählung eintauchen lässt, egal wie gut es dabei gelingt, überzeugend in Mehrdeutigkeiten zu flackern, oder wie sehr auch immer mit Kunstkniffen versucht wird, vieldeutig ›ins Offene‹ zu zeigen. Turniere sind ein klassisches Daddel-Genre, das sich entscheidend dadurch auszeichnet, dass man als Spieler zwischen einer bunten Schar verschiedener Figuren wählen kann, mit denen (bzw. gegen die) man sich dann misst. Auf allzu detaillierte Hintergrundgeschichten wird dabei selten Wert gelegt. Vielmehr helfen bei Spielen (aber auch schon bei Rumsbumsfilmen) mehr die fetzigen Namen, das Styling und Design der Figuren, sowie ihre jeweils eigentümlichen Eigenschaften, Gebärden, Waffen und Tricks, sich verführen zu lassen und in die Charaktere, die Welt und die Äktschn einzutauchen. Dabei generiert jede Spielsession immer wieder eine neue Story-Variante, auch wenn sich diese ›Stories‹, bedingt durch die Begrenzungen des Möglichkeitsraums der Spielarchitektur, bis jetzt noch immer ziemlich ähnlich sind. Hier kann nun, wie Meißner zeigt, Literatur den interaktiven und adrenalinreizenden Spielen Paroli bieten, indem sie tiefere Hintergrundgeschichten statt oberflächlichem Detailreichtum bietet. Prickelnd ist zudem, wie die Leserschaft als Zeuge des ganzen wahnwitzigen Brot-und-Spiele-Irrsinns positioniert wird. Klar sind Romane auf ’ne lahmere Art ›interaktiv‹ als komplizierte virtuelle Digital-Realitäten. Ich nehme schon an, dass Meißner mit »Das Paradies der Schwerter« durchaus mehr anpeilt, als sich nur auf dem Feld der Literatur behaupten zu wollen. Ich vermute, er hatte wohlüberlegterweise im Sinn, sich mit dem Roman auch intermedial an Filmen, Comics und eben digitalen Genrewelten zu messen. —Knackige Äktschn mit Anspruch, wa? Ganz richtig, und ich nähere mich solchen Ambitionen gern mit neugierigem Wohlwollen.
Allerdings brachten mich andererseits Sprachseltsamkeiten des Romans oft zum Stirnerunzeln und Augenbrauenlüpfen, und rabiat-ungestümes Zusammenzimmern von Unterschiedlichstem ließ mich zudem grübeln, ob ich mich ›im Sinne des Buches‹ amüsierte, oder doch eher als ›gegen den Strich-Leser‹ meine Freude damit hatte. Beispielsweise als Piraten nächtens ein Schiff nahe der Küste des Tals der Glocken überfallen, und der junge Wandermönch Wei Guan Zhou, der aus fernen Landen im Osten stammt, Verdana rettet:
»›D … danke …‹, keuchte die junge Frau, eine Einheimische in knapper, Bewegung ermöglichender Abenteurerkleidung.«[4]
Solch moderner Versandhauskatalog-Sound klingt für mich wie ein alberner oder unpassender Anachronismus. Oder ist sowas als satirische Geste, als Insiderjoke auf Rollenspielklischees gedacht? Ich bin nicht sicher. Doch es gibt auch n’hübsches Büschel frech-origineller Anachronismen in Meißners namenloser Prügel-Welt, z.B. drogensüchtige, sprich an der Nadel hängende Glücksritter, oder westernmäßige Shootouts mit kleinen Armbrüsten.
Ein weiteres Beispiel für ein irritierendes Sprachtrumm bietet ein Kapitel mit Waisenkinderschar. Die kleine Lilin rennt aufgeregt durch den Wald, um ihren großen Brüdern von der Turnier-Einladung zu berichten:
»Sie war schnell wie ein Reh. Die Bäume zuckten vorüber, ein Wechsel von Dunkel und Grün, einzig verbunden durch ihre wehenden blonden Haare.«[5]
Leider keine neue Ent-Variante (obwohl hier Bäume mit blonden Haaren zucken), sondern nur eine missverständliche Bezüglichkeit. Ist das nun ‘ne echte Schlamperei des Autoren bzw. seines Lektorats? Oder soll das ein gewollt ›ungewöhnliches‹ Bild sein, vielleicht sogar zu verstehen als Diss gegen allzu impressionistisch-lyrische Töne, die in der Fantasy gern mal zu picksüßer Intensität anschwellen? Nun, ich ärgere mich nicht, sondern bin erstaunt und belustigt und eben unschlüssig. Aber immerhin: es ist durchwegs viel los. Die Tiefe des Weltenbaus, mit seinen manchmal haarsträubenden Vereinfachungen[6], bleibt durchwegs auf Marionettentheater-Niveau. Dafür überschüttet Meißner die Leser mit einem munteren Schwall an (ab und zu platten, doch überwiegend spritzigen) Ideen und Ereignissen. Grober atmosphärischer Kurs dabei: immer schön ordentlich rumscheuchen die Sprache, sowohl zu den niederen Pfaden, wenn’s grimmig, dreckig, martialisch, zornig zugeht, als auch hinauf zu idyllischen Wiesen, wenn Empörung, Mitleid, Sehnsucht und Trauriges zur Sprache kommt. —Haut‘s ummanand, ihr Metaphern, wu-ha!
Die zweite Hälfte des Romanes widmet sich dem Turnier selbst, das mit seiner ›programmhaft‹-linearen Szenenfolge einen schönen Kontrast zur Sprunghaftigkeit der ersten Hälfte bildet. Mit großem Gestus schließt Meißner gekonnt das Zusammenlaufen der Schicksalsfäden beim Auslosen der ersten Runde ab. Beeindruckend, wie viele mögliche Entwicklungen nun vom Ausgang der Kämpfe abhängen. Da wird naiv, verbissen oder fatalistisch gehofft. Pragmatischere Teilnehmer nehmen das Ganze mehr als Job, andere als spirituelle Prüfung, oder kompensieren mit der Konkurrenzgeilheit ihre verworrenen Triebe. Einige Nebenfiguren aus den Vorgeschichten der Teilnehmer sind mit von der Partie, in den feinen Logen, inmitten des launischen Pöbels, oder auch hinter den Kulissen. Da sind freilich welche, die versuchen, ihr eigenes krummes Ding durchzuziehen, andere geraten in immer tiefere Verzweiflung im Verlauf des ›Einer wird gewinnen‹-Tages.
—Jetzt geeehts loo-oos!, denn mit Turnierbeginn nimmt Meißner neben dem Schreibzeug auch das Rollenspielwürfel- und Tabellenwerkzeug zur Hand, um die Geschichte erst mal auszuspielen, bevor er – selbst zum ohnmächtigen Zuschauer und Analytiker ›degradiert‹ – die Ereignisse des Kampfprotokolls schriftstellerisch aufbereitet.[7] Da nutzt ein Autor die Praxis und das Werkzeug des Rollenspielgenres, aber nicht um eine Serie loszutreten, oder als eines von vielen Rädchen den steten Produktausstoß einer Marke zu gewährleisten, sondern um einen Roman lang sein eigenes Experiment aufzuführen: —Hut ab! Als Leser schaute Meißner neugierig und gespannt dabei zu, welche ungewöhnlichen Handlungskurven durch die Zufallsentscheidungen der Würfelei gekratzt werden. Allerdings ragen auch hier wacklig-ungebändigte Sprachornamente aus dem Erzählfluss, z.B. vor dem Schlussakkord des ersten Kampfes:
»Über Grotyn Terentius Craos Kopf detonierte die Sonne und überschüttete das trichterförmige Universum mit hochbeschleunigten Magmanadeln.«[8]
Und im dritten Kampf werden Waffen ziemlich unbekümmert vermenschlicht:
»Wieder stöhnte das Schwert auf, schien die Erlösung des Zerbrechens zu erwägen.«[9]
—Doch hinfort mit euch, ihr dummen Nörgelgedanken eines Sprach- und Klangfetischisten.
Für das Publikum besteht die Gaudi eines Turniers zu einem Gutteil darin, dass sich unten in der Arena erbarmungslos eliminiert wird, während sich von oben das Schicksalsgeschehen wunderbar ungeschoren verfolgen und bewerten lässt. Auch diesen Aspekt von Turnierereignissen zapft Tobias O. Meißner auf anregende Art an, und versteht zumeist überzeugend, die Arena als Kessel der Gemütserregungs- und Enttäuschungs-Dynamiken zu inszenieren. Zwischen den Kämpfen kommentieren zwei berühmte Wettkönige in Sportmoderatoren-Manier die Duelle, stellen Prognosen auf und bemühen sich, den zunehmend chaotisch-herben Verlauf des Wettkampfes durch Gewitzel aufzulockern. Durchaus gekonnt unheimlich dabei, wie leicht es diesen beiden Kennern fällt, ›tödliche Spiele‹ als sportiv-ästhetische Darbietung zu genießen. Meißner spottet erfreulich ätzend über z.B. das hysterische Gewese, das in den Massenmedien um Show-Wettkämpfe, Ekel-Tests und Superstar-Erwählungen veranstaltet wird.
Die Arena als Brennglas eines Fantasy-Spektakels über Spektakel, Spektakelindustrie und Spektakel-Lüsternheit. In Sachen Stilsouveränität eine vielleicht etwas schmutzige Linse, die nicht immer die richtige Sprachklang-Tiefenschärfe findet, aber die ›Unbescheidenheit‹ Meißners wiegt das für mich locker auf. So klug und selbstgewahr, wie er sich in dem oben erwähnten Interview äußert, kann er dem Rezensenten und anderen Lesern vielleicht nachsehen, wenn deren ›innere Literaten‹ sich finster grummelnd unter Deck verkriechen. Der Posse von ›inneren Trash-Freaks & Metallern‹ wird mit »Das Paradies der Schwerter« reichlich Gelegenheit geboten, mitzujohlen und headzubangen. Das Buch mag mit enervierenden Makeln gesprenkelt sein, aber das ist nun mal der Preis dafür, wenn man es darauf ankommen lässt, dass Literatur ›rocken‹ soll. Wer sich dafür interessiert, welch interessante Pfade die zeitgenössische, zudem die deutschsprachige, Fantasy einschlagen kann, sollte mal ein Exemplar des Buches in die Hand zu nehmen und ankosten. Subjektiv bin ich nicht sicher, ob der Roman ein krasser Spaß oder alberne Akrobatik ist, aber wenn ich den Inhalt Revue passieren lasse, muss ich innerlich grinsen. Und selbst wenn meine Belustigung nicht immer ›im Sinne des Autors‹ sein mag, nehme ich sie als Hinweis dafür, dass das Buch objektiv betrachtet wohl durchaus was taugt, trotz aller Geschmacks-Grätschen. —Good fight. Good night.
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[1] »Warnung vor einem Meisterwerk – Das Leben ist ein Turnier: Tobias O. Meißners Kunst der Grausamkeit« in der FAZ vom 27. März 2004.
[2] Man ›gönne‹ sich z.B. die bestenfalls lapsige, schlimmstenfalls arrogante Begründung von Rainer Zondergeldt, Fantasy und nichteuropäisch-westliche Werke weitestgehend aus seinem »Lexikon der Phantastischen Literatur« (Suhrkamp Verlag 1983; erweiterte Neufassung zusammen mit Holger E. Wiedenstried, Erdmann Verlag 1998) auszuklammern, wie auch seinen ›tendentiösen‹ (sprich: geringschätzigen) Eintrag zu Robert E. Howard dort.
[3] Oder wie es der berühmt-berüchtigte ›Medienphilosoph‹ Peter Sloterdijk in seiner großen Menschheitserzählung umschreibt:
»Die Faszination von Turnieren {…}: Bei ihnen wird, analog zur Tierzucht, das Eliminationsverfahren zu einer menschgemachten Selektion. Er oder ich, wir oder sie – das wird in der Arena wie in einer Versuchsanordnung künstlicher Selektion eingeübt. {…} Wenn das griechische Leitwort lautete: Erkenne dich selbst, so heißt das römische: Erkenne die Lage.«
Aus dem Exkurs »Später sterben im Aphitheater. Über den Aufschub, römisch« in »Sphären: Globen – Makrosphärologie«, Suhrkamp 1999, Seite 330 ff.
[6] Kapitel 24, S. 277: Eine junge Landadelige, die um einen Teilnehmer (ihren namenlosen Retter aus einer der Vorgeschichten) bangt, und ihren Vater dafür haßt, sie zum Turnier geschleift zu haben, damit Heiratswillige die ›Ware‹ beschauen können. Meißner schreibt:
»Angrica hätte darüber nachgedacht, ihren Vater aus Zorn und Verachtung zu ermorden, aber ihre Erziehung legte ihr den Gedanken an Selbstmord näher.«