Woraus man, neben anderen Offenbarung über die Neugötter, erfährt wie sie aus Mangel an einem Viergroschenstück genötigt wurden, sich freundschaftlich in die Erde zu teilen.
Krack gab sich für einen pensionierten Rittmeister aus und Schwadronarius für einen Kapellmeister. Rittmeister Krack von Krackenheim, Krackmandel’scher Linie auf Krackendorf, gehörte zu den Leuten, deren Alter zwischen der Zahl von fünfunddreißig Jahren und der Ewigkeit auf und ab schwankt. Er trug einen Lerchenspieß voll Orden aller Farben, die er Gott weiß in welchem Befreiungskriegen sich erkämpft. Da übrigens jedes Individuum einer gesellschaftlichen Stellung bedarf, so führte er, obwohl einarmig, Karten, auf denen zu lesen war:
Schwadronarius, ehemaliger Capellmeister, hatte früher versucht, die Tonleiter zu revolutionieren und dem alten Klavierschlüssel seine philosophische Bedeutung wieder zu geben, aber seine Anstrengungen waren erfolglos geblieben. Keine Bühne wollte seine Oper »Der Geist und die Materie«, kein philharmonischer Verein seine große Symphonie »Das Ich und das Nicht-Ich« in C-dur aufführen. Nacheinander Maler, Musiker, Optiker und Mathematiker, hatte er sich eben auf die Mechanik der Himmelskörper geworfen, als ihm Puff eine Stelle als Gott anbot, die er ganz so wie es Krack getan, und ohne große Umstände zu machen, annahm.
Puff hätte sich wirklich seine Collegen nicht besser aussuchen können. Sie befanden sich Beide in Verhältnissen, welche das Bedürfnis einer totalen Umwandlung höchst fühlbar machten. Hut, Wäsche, Kleider, Stiefel, Alles riet ihnen, sich von Kopf zu Füßen in Götter umzugestalten. Als Ober-Neu-Gott berief Puff seine Mit-Neu-Götter zur Götterversammlung in dem gewöhnlichen Lokal und richtete hier, mit derselben großartigen Beredsamkeit, als ob er zu einer Versammlung von Eisenbahnactionairs oder ordentlichen Casinomitgliedern spräche, folgende Worte an sie:
»Ich habe Sie eingeladen, um mit mir die Vorteile der höchsten Macht zu genießen, aber ich würde zum Verräter an meiner Pflicht werden, wenn ich Ihnen die Schwierigkeiten unserer Stellung verheimlichte. Als ich allein war, fürchtete ich zu verhungern; wie soll es jetzt werden, da wir unserer Drei sind? Denn wir dürfen nicht vergessen, dass wir, obwohl constitutionelle Götter, keine Civilliste haben. Daher geht mein unzielsetzlicher Vorschlag dahin:
»Wir teilen uns in die Welt und das Los entscheide, wem von uns der Himmel, wem das Meer, wem die Erde zufallen. ― Dann vereinen wir die Documente, die Jeder von uns gesammelt hat, und verkaufen sie an einen speculierenden Verleger. Wäre ich nicht ein Gott, so würde ich sagen: ›Behagt Euch mein Plänchen?‹«
Krack und Schwadronarius verbeugten sich schweigend und gaben dadurch ihre Zustimmung zu erkennen.
»Lassen wir das Los entscheiden, wer den Himmel bekommt. Kopf oder Wappen?«
»Wie sollen wir das möglich machen?«, fiel ihm Krack in die Rede, »denn keiner von uns Dreien ist Herr auch nur eines lumpigen Viergroschenstücks.«
»Ach, das ist leider nur zu wahr!«, seufzte Puff. »Aber wir besitzen doch einen Hut. Wir werfen drei Lose in diese Filz-Urne und ziehen dann.«
»Der Boden unseres einzigen Hutes hat sich abgelöst«, bemerkte Schwadronarius, »das Geschick würde durchfallen.«
»Gut denn, so sei es ein freundschaftliches Übereinkommen«, sagte Puff feierlich. »Dir, Krack, das Meer, das tiefe geheimnisvolle Meer! Dir, Schwadronarius, den Himmel! Die Kometen wedeln Dir mit dem Schweife schon ungeduldig zu, und Luna, geborene Selene, streckt Dir die Arme entgegen. Ich, ich bleibe auf der Erde; diese Partie passt sich am besten für mich. ― Ist Euch das recht?«
»Ja, ja!«, riefen die beiden Mit-Neu-Götter.
»Nun denn«, fuhr Puff fort, »reist ohne Verweilen ab und schreibt mir bald. Ich erwarte Krack’s Observationen, Schwadronarius’ Inspirationen mit Ungeduld. ― Kommt noch einmal in meine Arme und lebt wohl. Lasst die Schnupftücher stecken; Ihr könnt sie ein anderes Mal anwenden, wenn wir mehr Zeit haben.«
Krack hing die Flasche um den Hals, in welcher er seine Entdeckungen dem Ober-Neu-Gott wollte zukommen lassen, ließ seine Pfeife ausgehen und sprang kopfüber in das Weltmeer.
Schwadronaius, mit seinem Album und Bleifedern versehen, öffnete einen Taschenluftballon, blies ihn auf und schwang sich im Raume empor. Bald schwebte er hoch über den Feueressen und den Rücksichten der Menschen; ehe er jedoch ganz den Blicken der Sterblichen entschwand, richtete er noch folgende Abschiedsworte an sie:
»Ich verlasse Euch ohne Reue, o Menschen, die ich in den Tagen der Torheit meine Freunde nannte; Ihr gleicht jenen Springern, die ich in diesem Augenblicke ihre Künste auf dem Markte machen sehe. Lebe wohl, verwünschte Erde und du, Stadt des Dampfes und Kotes, Heimat der Tagediebe, der Gaukler und Gauner; treibe dein Wesen nur fort, was kümmert es mich; mich trägt mein Flug zu besseren Gestirnen!«
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Puff erzählt seine Geschichte und beweist, daß die Welt einen neuen Glauben brache.
Ich heiße PUFF: der Name sagt genug. Meine Ahnen sind Engländer, aber ihre Nachkommen haben sich über die ganze civilisierte Erde verbreitet. Ich bin der Stammhalter der künftigen deutschen Linie.
Ihr habt mich jung, schön, glänzend, alle Herzen erobernd gesehen; Schmeichler umgaben mich; man spannte die Pferde aus vor meinem Wagen und sich dafür ein. ― »Sel’ge Zeit, wie schnell bist Du entschwunden!«
Aber reden wir nicht in poetischen Floskeln, reden wir verständlicher. ― Poesie gilt nichts mehr, wenn sie nicht politisch ist, und ich bin zu politisch, um politische Poesie zu machen. Das überlasse ich jungen Leuten, die noch nichts sind, aber gern etwas sein möchten, und zwar so wohlfeil wie möglich.
Mein Schmerz ist ein Weltschmerz ― denn ich habe keinen ganzen Rock mehr; mein Ellbogen sieht durch den Ärmel in das kalte Leben; ich bin europamüde, denn das undankbare Europa bittet mich nicht zu Tische, sondern lässt mich hungern.
O hätte ich nicht meine Reichtümer so mit vollen Händen verstreut; jetzt könnte ich von meinen Einkünften auf dem Lande oder in der Provinz leben, Vereine stiften, Kleinkinderbewahrungsanstalten errichten, Bürgerversammlungen leiten und Collecten für wohltätige Zwecke machen, bei patriotischen Mahlzeiten den ersten Toast auf den gnädigsten Landesherrn ausbringen und zur rechten Zeit mein Schäfchen scheren, um in der Wolle zu sitzen.
Jetzt haben mir alle Leute mein Geheimnis abgesehen, besonders die Zeitungsschreiber und die Buchhändler. Jeder herumgastrollende Schauspieler weiß, was es kostet und wo er zugleich gut und wohlfeil bedient wird. Alles hat einen festen Cours und an Ruhm-Maklern fehlt es nirgends.
Es geht mit mir zu Ende; ich merke es an den Sohlen meiner Schuhe; wie sie abgelaufen sind, ist es auch meine Existenz.
Aber Puff stirbt nicht; er verwandelt sich nur. Wohlauf denn, wie metempsychometamorphisiere {Metempsychose = Seelenwanderung; griechisch für ›Reinkarnation‹} ich mich? Soll ich Mystiker werden, Homöo-Hydropath oder Tenor? Diese drei Gewerbe tragen jetzt am meisten ein.
Halt! Ich werde Mystiker und gründe einen neuen Glauben. Ich stelle ein neues theopsychophilosophisches System auf. Ich werde ein Neugott. ― Die alten Götter hat die Welt längst zu Grabe getragen. Atheismus ist eine Sünde, Neotheismus eine Tugend, eine Wohltat für das Menschengeschlecht, denn was ist der Mensch, wenn er keine Götter hat?
Ich werde ein absoluter, unpersönlicher Gott. Eine Theogonie ist ja Kinderspiel in unserer Zeit; die meinige wird ein Meisterwerk sein; sie soll die heiteren Fictionen des hellenischen mit den unbegreiflichen des indischen Mythos vermählen. Zeus und Wischnu durchdringen sich. Von Letzterem leihe ich die Inkarnation.
Gedulden Sie sich einen Augenblick, meine Herren und Damen; ich verschwinde durch diese Versenkung, ziehe mich um, incarniere mich und komme gleich wieder. Berlicki! Berlocki! Der Neo-Paganismus ist fertig. Seine segensreichen Folgen wird die Folge zeigen.«
Und der Neu-Gott Puff schuf die beiden anderen Neu-Götter nach seinem Bilde. Er verbot ihnen weder die Pfeife noch den Sackpaletot {= Ärmelloses Übergewand für Männer}, ließ ihnen Orden und Bart und auch ihre alten Namen Schwadronarius und Krack, unter denen sie den Kellnern, Marqueurs, Bierwirten und anderen gelehrten Gesellschaften wohlbekannt waren.
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Es war einmal ein Maler, ein fröhliches Blut, aber ein armer Schelm und zwar ein doppelter, den er hatte zugleich den Schelm im Nacken; darum fehlte es ihm auch an Gönnern und Beschützern; die reichen Leute wollten sich nicht von ihm malen lassen, weil sie ihm nicht trauten und die armen Leute, nun, die lassen sich von Natur nicht malen; die sind jetzt schon sehr froh, wenn ihnen nur Nichts weiß gemacht wird und man sie nicht bei ihren Vorgesetzten oder Brotherren anschwärzt; von bunten Farben ist also bei ihnen nicht die Rede, denn das Leben macht es ihnen oft bunt genug. Besagter Maler aber war sehr übel daran; er gehörte zu gar keiner Schule, weder zu der Münchener, noch zu der Düsseldorfer, weder zu der Dresdener, noch zu der Berliner, ja nicht einmal zur Filial in Leipzig noch zu der großen Porzellanmalergilde aus dem Thüringer Walde oder zur Dosendeckel-Akademie in Schmölle oder Braunschweig. Daher bekam er auch von nirgends her Aufträge und hatte weder Fresken für eine Dorfkirche noch Mimilis für einen zukünftigen Fabrikanten auf Papier-Masche zu liefern; er malte nur für sich und war sein eigener Gönner, sein eigener Kunstverein und sein eigenes Publikum. Reich wurde er dabei just nicht, auch nicht immer satt; die Farben gingen ihm zuletzt aus; er behielt nur etwas Weiß auf seiner Nase und Schwarz in seinem Geldbeutel, denn Schwarz entsteht bekanntlich aus Mangel an allen anderen Farben und ferner aus Mangel an Licht, und wo kein Geld ist, da kann es nicht leuchten, wo es aber nicht leuchten kann, wird es nie eine Finsternis vertreiben.
Kein Prediger auf der Welt predigt so nachdrücklich und so eindringlich als der Überfluss an Geldmangel; diese Predigten aber bekam unser Maler so oft zu hören, dass er doch endlich auf den Gedanken fiel, er müsse einen neuen Adam anziehen. Der alte Adam, der im Paradiese nämlich, faulenzte, der neue aber, der außerhalb des Paradieses, musste im Schweiße seines Angesichts sein Brot essen. Diesen neuen Adam nun zog unser Künstler an und beschloss für Geld zu arbeiten und zwar weder Fresken noch Ölbilder, weder Stillleben noch Portraits, sondern Karikaturen zu liefern. Er hatte nämlich gehört, dass Karikaturen, wenn sie recht zeitgemäß sind, abgehen wie warme Semmeln, und da ihm die warmen Semmeln lange abgegangen waren, so dachte er, es sei doch besser, seine Karikaturen gingen ab und die warmen Semmeln kämen zu ihm. Es war damals gerade eine bewegte Zeit, das heißt, es war ein langer Friede und die Leute hatten eigentlich Nichts zu tun, sondern machten sich nun allerlei zu tun und zwar meist allerlei Unnützes, und dadurch entstand Hader und Streit, wodurch die ganze Welt wirklich zu tun bekam, freilich auch Unnützes. Die Polizei musste spionieren, das Militär füsilieren, der Gerichtshof inquirieren, die Ärzte trepanieren {= operatives Verfahren zum Öffnen von fest, z.B. durch Knochen, umschlossenen Körperräumen; Beispiel: Kopf aufbohren}, die Censur damnieren {= jmd. Verurteilen, verdammen, verwerfen}, die Zeitungen referieren, kurz das -Iren spielte durch alle Variationen des Grundthema’s und unser Maler glaubte, nun sei die beste Zeit, die Zeit selbst zu karikieren. Dabei ließ er sich aber vom Teufel verführen, seine Zeichnungen mit Worten zu illustrieren, und nun ging es ihm schlecht, denn nun ging es an ein Confiscieren, Inquirieren und Inhibiren {= hemmen, lindern}, Nichts half sein Protestieren, man drohte ihn zu exilieren, denn er war kein Eingeborener und am Ende fand er, es sei das Geratenste sich zu skisiren {= ›sich entschuldigen‹ im Sinne von ›aus dem Staub machen‹}. Glücklicher Weise ließ sich das leicht bewerkstelligen; er hing seinen Stubenschlüssel an den Schlagbaum dicht vor seinem Hause, schlug einen Purzelbaum und war im Nu über die Grenze in eines anderen Herren Land.
Aber was jetzt beginnen? ― Hungrig war der arme Schelm immer noch, satt wollte er werden, und ein anderes Mittel sich zu sättigen als seine Kunst hatte er nicht. Die Kunst musste nach Brot gehen, und bei diesem Gehen ging es ihr, wie es ihr eben so oft geht, sie fand keins und wurde vor der Zeit so müde, so müde, dass sie am Ende vergaß, dass die Kunst nur um ihrer selbst willen auf der Welt sei, und meinte, sie sei eigentlich nur geschaffen, um sich von anderen Leuten misshandeln zu lassen oder zu hungern.
Solche und ähnliche Gedanken gingen unsere Maler durch den Kopf, und verstimmten ihn immer mehr, je mehr er fühlte, dass je voller er den Kopf habe, desto leerer sei sein Magen.
»O! diese Welt, diese Welt!«, rief er erbittert aus und wollte noch Allerlei hinzusetzen, als plötzlich eine fremde Stimme vernahm, die zu ihm sagte: »Thor! Wenn Dir diese Welt nicht behagt, warum machst Du Dir nicht eine andere? Du hast ja die Mittel dazu von der Natur empfangen.«
Erstaunt blickte er auf und sah eine junge schlanke Dame vor sich stehen, die zwar nicht nach der neuesten Mode gekleidet, deren Tracht aber stets neumodisch war, denn sie war hübsch und ihr ganzer Anzug erhöhte ebenso ihre Reize, wie ihre Reize ihren Anzug.
»Gehorsamer Diener!«, sagte der kleine Maler, »mit wem habe ich die Ehre?«
»Du kennst mich nicht?«, erwiderte sie erstaunt. »Du kennst mich nicht! Nein, das geht ja über mich selbst hinaus!«
»Ja«, entgegnete er, »das mag wohl sein, aber damit weiß ich immer noch nicht wer Sie sind und was Sie von mir wollen? Sind Sie die Dame Censur? Von der habe ich immer gehört, sie ginge in Sammet und in Seide und schnitte sich selber die Gewänder zu, dass ja Alles recht genau auf ihren Leib passe.«
»Nicht doch.«
»Aber die Dame Pressefreiheit können Sie nicht sein, denn sie ist eben keine Freundin von verhüllenden Gewändern.«
»Nein, auch nicht, doch sind wir Geschwisterkind und soll ich mich frei bewegen, darf sie nicht fern sein. ― Ich bin die Phantasie.«
»Oh!«, sagte der kleine Maler und schlug wieder einen Purzelbaum, »das ist ja scharmant. Du willst mir gewiss den abscheulichen prosaischen Hunger stillen, der mich schon so lange plagt, denn sonst wärst Du ja keine Göttin und am Wenigsten meine Göttin.«
»Stillen! So weit geht meine Macht nicht, aber Dir helfen ihn zu vergessen.«
»Ach Gott! Der Hunger hat ein gar zähes Gedächtnis; er ist wie ein Kettenhund der im Hofe meines Magens liegt und wenigstens knurrt, wenn er nicht beißen kann.«
»Du wirst ihn vergessen, wenn Du Dir eine neue Welt schaffst.«
»Wie soll ich das anfangen?«
»Wirf Dich mir in die Arme!«
»O, mit dem größten Vergnügen!«
Gesagt, getan! Der kleine Maler schlug keck den Arm um sie und fasste sie »mit feurig schlauen Blicken wohl um die schlanke Hüfte frei« und sie schwang ihren Zauberstab. Sie war größer als er und er daher, um ihr gleich zu sein, auf einen kleinen Erdhaufen gestiegen, der unter seinen Füßen zerbröckelte. Als er nun näher hinschaute sah er, dass das kein kleiner Erdhaufen, sondern die ganze alte Erde sei, der er einen tüchtigen Knacks gegeben. Den Nordpol hatte er eingedrückt, das Eismeer war übergelaufen und das Eis natürlich von der Friction {= Reibung} geschmolzen; den schlimmsten Riss hatte Europa bekommen. Das Menschengeschlecht war dabei untergegangen und nur einige vorsündtflutliche Sparbüchsen und Runkelrüben hatten sich gerettet und wussten nicht, wohin. Ein dicker Blasebalg sah sich die Sache von Weitem grämlich an und seine Frau die Feuerzange stand hinter ihm und schlug vor Verwunderung die Beine zusammen; sie waren Beide wie Philemon und Baucis, denen die Hütte abgebrannt ist. Neben der Phantasie gestaltete sich aber unmittelbar unter ihrem Zauberstabe eine neue Welt und aus dem Wasser kamen schon allerlei Geschöpfe, noch ehe sie halb fertig war, um sie zu bevölkern. Ein himmellanger Tambourmajor hatte bereits von ihr Besitz genommen, aber ein Bär mit einem Menschenkopfe kam und demonstrierte ihm, dass sein Reich nicht von dieser Welt sei. Hinter der alten Erde standen allerlei Mammuthe und Leviathans die durch den Eindrückungsprocess wieder lebendig geworden und gern auf die neue Welt wollten, damit die künftigen Naturforscherversammlungen Futter hätten für ihre Forschungen. Oben am Himmel ging es auch seltsam zu; Sonne, Mond und Wassermann, Zodiacallicht und einige halbgebildete Planeten guckten neugierig und teilnehmend zu; nur ein Komet zog hoch oben stolz seine Bahn und der abgesetzte Schütz des Tierkreises spielte Fangball mit den Sternen des großen Bären und einigen anderen Himmelskörpern, ohne sich um die neue Erde zu kümmern, auf der er doch auch hätte einen Wirkungskreis finden können, der seinen Kräften und Fähigkeiten angemessen war.
Der kleine Maler war außer sich vor Vergnügen und wollte sich gleich an das Werk machen; allein da er weder Farben noch Pinsel bei der Hand hatte, sondern nur Feder und Kreidestifte, so musste er sich mit bloßem Skizzieren begnügen, was seiner Freundin, der Phantasie, auch ganz recht war, die ihm versprach ihm nachher zu Hause bei der Ausführung mit Farben zu helfen. ― Aber was geschah nun: Feder und Kreidestifte wurden lebendig, erhoben sich aus dem Futteral in dem sie friedlich neben einem soliden Federmesser geschlummert, wuchsen zu menschlicher Größe an, erhielten halb menschliche Gestalt und fingen an sich ganz menschlich um den Vorrang zu streiten. ―
»Erst komme ich«, sagte die Feder, »ich schildere, und was ich geschildert habe, magst Du dann versinnlichen.«
»Warum nicht gar«, fragte der Kreidestift, der in einem messingenen Rocke mit langen Schößen steckte, Porte-Crayon genannt, »umgekehrt wird ein Schuh daraus. Erst zeichne ich, dann magst Du beschreiben. Ich
―― will nicht länger Diener sein, Will nun selbst den Herren machen;
ich habe Deine Tyrannei satt; Deine Inspirationen genügen mir nicht mehr; ich war zu bescheiden; ich will mich emancipiren, will meiner eigenen Nase nachgehen, mein eigener Führer sein! Verstanden?«
»O Himmel!«, rief die Feder aus, »so ein Kreidestiftchen will Redner sein, so ein Stiel mit seinem Styl prunken! – Unverständiger Jüngling, weißt Du, was Du beginnst? Wer war Deine Bonne? {Bonne = Dienstmädchen, Hausfrau} Wer hat Deine ersten Schritte in die Welt geleitet, wer Dir gezeigt, wie man Schatten und Licht gehörig zu verteilen habe? Wer führte Dich in das Heiligtum der Geister ein, sicherte Dich vor der Geißel der Kritik? Ich war es, ich tat es, ich ganz allein, und so dankst Du es mir! Zieh hin, Undankbarer, und mögen Dir Gummi elasticum und alles Weißbrot gnädig sein.«
Als die Feder diese Rede geendet hatte, schluchzte sie wie eine junge erste Liebhaberin in einem Trauerspiel. Der Kreidestift war aber ein zugespitzter Jüngling und die Jugend ist heutzutage aus Egoismus und Eitelkeit zusammengesetzt; er achtete daher der Klagen seiner früheren Gattin gar nicht – bisher hatten nämlich bei allen illustrierten Werken Feder und Kreidestift als ein treu verbundenes Ehepaar gemeinschaftlich gewirkt und die Feder als weibliche Hälfte, wie ganz natürlich, das Regiment geführt – und rief ihr zu: »Ich will nicht länger Dein Ehemann sein, ich will mich emancipieren, darum halte Deinen Schnabel!«
Über die abscheulichen Wortspiele, die er unmöglich von ihr, der Feingeschnittenen, gelernt haben konnte, sondern aus früherer unerlaubter Bekanntschaft mit gewissen, leichtsinnigen Federn sich bewahrt haben musste, geriet die arme Feder außer sich und weinte so laut, dass das Federmesser davon erwachte.
Das Federmesser, von Amts- und Rechtswegen Beider Vormund, reckte und dehnte sich, klappte sich auseinander, richtete sich auf, stellte sich auf seinen Spalter und sah die Beiden verwundert und zürnend an. Das Federmesser war ein solider Mann, hatte einen glänzenden Jabot und ein spitzes Toupe und trug einen Paletot von Schildplatt mit langer Taile und großen Knöpfen. Man sah ihm an, dass es sich seines Ranges, seines Wertes und seines Einflusses wohl bewusst war. Freilich hatte es im Dienste seines Monarchen, des Malers, nicht bloß die Feder, sondern zu Zeiten auch den Kreidestift corrigieren müssen und durch dessen Hartnäckigkeit am unteren Teile seiner Klinge einigen Schaden gelitten, aber es war doch noch immer ein rüstiger Beamter, eine wackere Stütze der Bureaukratie und eine einflussreiche Person. Im Gefühl seiner Würde fragte es daher streng: »Was gibt es hier? Warum weinst Du, liebe Penna?«
»Er will mich böslich verlassen!«, schluchzte die Feder, »will ohne mich eine Reise von Gott weiß wie vielen Lieferungen antreten; als ob es ihm ohne mich gelingen würde!«
Das Federmesser runzelte die sonst so glatte Stirn; der Kreidestift ließ sich aber dadurch nicht einschüchtern und erwiderte: »Ich brauche Dich nicht, doch bin ich gar nicht gesinnt, Dich, wie Du sagst, böslich zu verlassen; Du kannst mich in Apollo’s Namen begleiten, jedoch unter gewissen Bedingungen.«
»Und die wären?«, fragte die Feder bereits etwas beruhigt.
»Du gewährst mir volle Freiheit, zu verweilen oder fortzusetzen, wo, wie und wann ich es für gut finde. – Ich habe eine neue Erde zu entdecken und darzustellen; ein zweiter Columbus werde ich von einem unbekanntem Festlande Besitz nehmen. Ich will zuerst meine Fahne dort aufpflanzen und Niemand soll mir diesen Ruhm rauben. Du kannst meinen Geheimschreiber abgeben und meine ruhmreichen Züge schildern, jedes Mal wenn ich von ihnen zurückgekehrt bin.«
»Das darf ich doch auf meine Weise tun?«
»Behüte der Himmel. Ich werde Dir den Inhalt angeben und Du redigierst ihn ganz einfach, ohne fremde Gelehrsamkeit, ohne Citate, ohne überschwängliche Redensarten in gutem, ehrlichem und reinlichem Deutsch.«
»Nun wohl, ich bin es zufrieden; ich will ja Nichts als Deine treueste Freundin und Ratgeberin sein. Arm in Arm mit Dir, so fordere ich mein Jahrhundert in die Schranken!«
»Lieber Engel, nur keine Citate, selbst nicht aus Schiller. Eine Feder wie Du muss sich nicht mit fremden Federn schmücken wollen.«
»Verzeih«, sagte die Feder, »es ist eine alte pedantische Gewohnheit, ich will mich bemühen sie abzulegen.«
»Recht so, meine Kinder!«, sprach nun das Federmesser. »Als Eure Ehe beschlossen ward, als unsere Fürstin, die schöne Literatur, Euch ihren Segen gab, da rief sie mit Schiller, den sie vor Allem das Recht hat zu citieren: ›Seid einig! einig! Einig!‹ – Ihr seid es jetzt. Umarmt Euch! Ich wünsche Euch glückliche Reise; ich werde in der Stille Eure glorreiche Rückkehr erwarten; vielleicht bedürft Ihr dann Meiner. Also nochmals glückliche Reise und gute Nacht.«
Und es geschah wie das Federmesser gesagt hatte. Unter dem Geräusch der zärtlichen Umarmung des liebenden Paares schlummerte es ein.
»Nun mein Freund«, sagte die Phantasie zu dem Maler, »bist Du bereit?«
»Ja«, erwiderte dieser, »aber weder ich, noch das Volk da, das sich schon auf die Beine gemacht hat«, – der Schlingel von Kreidestift läuft mit einer brennenden Cigarre im Munde wie toll voran und seine arme Feder kann kaum nach –, »wir drei dürfen unmöglich die Helden dieser allerneusten Odyssee sein; wirklichen Personen schenkt die Welt nur mit Widerstreben Glauben. Hast Du keine besseren Helden?«
Die Phantasie schwang von Neuem ihren Stab und es erschien ein Kleeblatt von Heroen, wie nur sie allein zu begeistern vermag.
»Das sind sie, das sind die rechten!«, jubelte der Maler. »Das sind die Könige der Welt; alle Zeitungen huldigen ihnen; alle Leute schenken ihnen Glauben, Bauer und Bürger lassen sich zu Zeiten für sie totschlagen oder schlagen sich um ihretwillen die Köpfe blutig. Diese drei, sie sollen der Columbus, der Cortez, der Pizarro meiner neuen Welt und zusammen der Atlas derselben sein.
»Frisch an das Werk! Eilen wir, meine getreuen Diener einzuholen.«
Und siehe, am Arm der Phantasie, von ihr geleitet, vergaß der kleine Maler Hunger und Durst und durchschritt, ein neuer Mensch, die neugeschaffene Erde.
Hier endet das wahrhafteste aller Märchen und die Wirklichkeit beginnt.
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Eintrag No. 655 — Wie ich in meiner Empfehlung dieses Klassikers der Phantastik in »Stromern auf ungetrampelten Pfaden« (zu finden in »Magira – Jahrbuch für Fantasy 2010«) versprochen habe, werde ich in den kommenden Monaten Kapitel für Kapitel den Text von »Eine andere Welt« hier in der Molochronik zugänglich machen. Der Test von Plinius dem Jüngerem mit den Illustrationen von Grandville erschien 1844 in Frankreich, der 1847 eine deutsche Übersetzung durch die Hand von Goethes Sekretär Oskar Ludwig Wolff folgte. Diese Fassung habe ich mir erlaubt um erläuternde Links und Begriffserklärungen zu ergänzen, sowie die Rechtschreibung stellenweise für heutige Leser zugänglicher zu gestalten, ohne jedoch gänzlich den Charme der alten Schreibweisen zu tilgen.
Die kompletten Illustrationen einer alten französischen Ausgabe habe ich dem flick-Album von blaque jaques entnommen.
Apotheose des Doctor Puff.Puff erzählt seine Geschichte und beweist, daß die Welt einen neuen Glauben brauche.
I. Die Teilung der Erde.Woraus man, neben anderen Offenbarung über die Neugötter, erfährt wie sie aus Mangel an einem Viergroschenstück genötigt wurden, sich freundschaftlich in die Erde zu teilen.
II. Das Dampf-Concert.Von der wunderbaren Entdeckung, welche Dr. Puff machte, mit deren Hilfe er ein Riesenconcert geben und für sechs Silbergroschen zu Mittag essen konnte.
III. Eine Hand wäscht die andere.Bericht der Pickelflöte, Zeitung für Geist, Herz und Musik, über das Concert des Dr. Puff im Besonderen und die Dampfmusik im Allgemeinen.
IV. Die Erde in der Vogelperspektive.Schwadronarius, Neugott und Aerostograph, beurteilt die Menschen aus der Vogelperspective und empfindet tiefes Herzeleid 6000 Fuß hoch über dem Niveau des Straßenpflasters.
V. Der Fasching in der Flasche.Man wird die Notwendigkeit dieses Kapitels erst später einsehen, jedoch den Keim der Philosophie der Verkleidung, welche die Fortsetzung der Philosophie der Geschichte bildet, jetzt schon darin entdecken.
VII. Verkleidete Charactere, oder Verkleidungen von Characteren.Verkleidung eines deutschen Perfectum in das Griechische; Doctor Puff erfindet die Philosophie der Verkleidung als Fortsetzung der Philosophie der Geschichte. ― Entwicklung dieser von Gas erhellten Theorie.
XI. Eine Reise in den April.Wie Puff sich gezwungen sah, der Erfindung von künstlichen Gemüsen zu entsagen, und eine sehr lange Reise auf dem Papiere machte.
XII. Wie im Tiergarten!Sandsteinbildsäulen, Bäume, die im Sande nicht recht gedeihen, Kot, Staub.
XIII. Das Reich der Marionetten.Dieser Abschnitt muss unbedingt gelesen werden, denn man erfährt durch denselben Nichts über das Gliedermännchen und ebenso wenig über das Land, in welchem das Feuer kein Feuer ist.
XV. Eine eheliche Eklipse.Hier erfährt man die wirklichen Ursachen der Eklipse, welche 2000 Jahre vor der Erschaffung einer anderen Welt stattfand.
XVI. Liebesgeschichte des Gliedermännchen.Geheime Denkwürdigkeiten aus der mythologischen Zeit. Eines Zeyphir’s Autobiographie. ― Die Rache der Venus. ― Ein Gliedermännchen, das seine Flügel wieder erhält.
XVII. Ein Nachmittag im zoologischen Garten (1).Krack’s Manuscript, zweites Kapitel. ― Eindrücke und Documente für die Aprilreise erwartend, setzt Puff die Lectüre von Krack’s Manuscript fort.
XIX. Der Tod einer Immortelle.Nachdem er sein Kaoutschuk-Beefsteak und das zweite Kapitel von Krack’s Manuscript, beide gleich schwer verdaulich, zu sich genommen, geht Puff in einen Garten, um den Duft der Blumen zu atmen, und wird Zeuge eines Selbstmordes.
XX. Aerostatische Locomotionen.Doctor Puff, Neugott, führt nacheinander auf verschiedene Weise mehrere Luftfahrten aus, kehrt mit ungewöhnlicher Schnelle auf die Erde zurück und findet hier einen ganz unerhofften Empfang.
XXI. Die Geheimnisse des Unendlichen.Schwadronarius’ Wanderungen durch den Raum. Der Reisende entdeckt den Ursprung aller Dinge und noch einiger anderen.
XXII. Die Jahreszeiten.Schwadronarius sammelt in diesem Kapitel Stoff zu einem Gedichte auf die vier Jahreszeiten, von wegen Sonnenschein und Regen.
XXIII. Die Langen und die Kurzen.Puff entdeckt auf einer Inselgruppe den Urgrund aller gesellschaftlichen Unterschiede, aber es fällt ihm nicht ein, dies Motiv auf die Bühne zu bringen.
XXIV. Das junge China.Puff sieht die Morgenröte einer neuen Civilisation dämmern.
XXV. Ein Tag in Regulanum.Krack entdeckt das Altertum, das nicht verloren gegangen ist, knüpft frühere Bekanntschaften mit Patriciern, Tribunen, Rittern, Prätoren und Questoren von Neuem an, und findet Gymnasien, Athenäen, Lyceen, Koliseen, Odeen, Akademien und andere Anstalten und Monumente wieder.
XXVI. Himmlisches Geschmisch-Geschmach. Götter, Engel, Teufel.Hier erfährt man, was aus der Göttin des Ruhmes geworden ist, sowie eine Menge anderer Dinge, namentlich wie es die Teufel anfangen, die Engel zu quälen. ― Schadronarius wird durch die Liebe aufgetaut.
XXVII. Eheliches Wettrennen.Doctor Puff verläßt China. Reise zur Entdeckung eines Herzens und einer Aussteuer. Nach reiflicher Überlegung beschließt der Doctor, sein Glück noch zu vertagen.
XXVIII. Elysium und seine Freuden.Krack, der in den Schlummer der Tradition versunken ist, träumt, dass er nach Elysium hinabsteige, einem göttlichen ländlichen Vergnügungsorte, in welchem sich die Weisen wie Narren amüsieren.
XXIX. Krack’s Hölle. Ein Seitenstück zu Dante’s Hölle.Nur eine notwendige Ergänzung des Vorhergehenden. Krack, gleich allen Helden eines Epos, steigt in die Hölle hinab, gleichfalls vom Führer des Dante begleitet.
XXX. Die Hochzeit des Dr. Puff mit der Dame Censur.Doctor Puff, als Preis oben auf einer Kletterstange, erstrebt von mehr als elftausend Jungfrauen. ― Die Heirat durch das Wochenblatt.
XXXI. Die Metamorphosen des Schlafes.Ist nur eine lange Extase, durch die man jedoch erfährt, was aus Schwadronarius geworden, als ihn Armor augetaut.
XXXII. Die beste Regierungsform.Wieder auf die Oberfläche des Wassers zurückgekehrt, unterwirft Krack sämmtliche Regierungsformen einer staatswissenschaftlichen Prüfung, und erfindet ein unfehlbares Mittel, alle Menschen glücklich zu machen.
XXXIII. Das Ende der einen, wie der anderen Welt.So inhaltsreich, das eine Inhaltsangabe zu den Unmöglichkeiten gehört.
Epilog.
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