molochronik

Molos Gastauftritt im »Arkadien« von Niebelschütz und »Raben«-Übersicht

Eintrag No. 329 — Anläßlich des BibPhant Buchzitateraten habe ich nach langer Zeit mal wieder im Wolf von Niebelschütz seiner respektlosen Epistel »Auch ich in Arkadien« (Haffmans Verlag, 1987) geblättert und fand auf S. 60 meinen Nickname, noch dazu in einem begeisterungsstiftenden Zusammenhang:

Vom Molo nahten neue Sensationen, Umspühlt von neuen Massen, und es waren Wildfremde Leute schrankenlos bereit, Den nächsten besten hominem sapientem — So etwa uns — an ihre brust zu ziehen.

Zwei Bezüglichkeiten auf Molo in Helmut Kraussers Tagebüchern, und nun das. Weiß gar nicht mehr wohin mit mir vor lauter Größenwahn!

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Und gerade im Netz entdeckt: Martin Juckers feine Übersicht der 62 (+) »Raben«, dem Magazin für jede Art von Literatur, das von 1982 bis 2001 erschien, mit dem ich ausgewachsen bin; das mit-hauptverantwortlich ist für meinen Literatur-Geschmack; das ich so schmerzlich vermisse.

Deutschsprachige Leser frugen, China Miéville hat geantwortet

Eintrag Nr. 328 — Letztes Jahr im Oktober haben die Haberer von Seblons großartiger China Miéville-Bas Lag-Site Interviewfragen gesammelt. Mein großes Idol der zeitgenössischen Phantastik hat sich unserer 33 Fragen mit bewunderswerter Geduld angenommen.


Was gibt es Neues? Es geht…

  • …um den springenden Punkt aller Phantastik;
  • … um das Kreuz mit der Rezeption homosexueller Protagonisten;
  • … um Chinas Begeisterung für Walter Moers »Die 131/2 Leben des Käpt’n Blaubär«;
  • … um die derzeitigen Epochenspannungen zwischen sekularen und religiösen Weltbild-Facaden;
  • … um den Wohlklang von ›Blitzbaum‹ und ›Luftgeist‹;
  • …um die vermeintliche Radikali- & Originalität der Techniken literarischer Postmoderne…

… und vieles andere mehr. — Was mich besonders freut: China ließ sich von uns zu neuen Literaturempfehlungen ermuntern.

Alle, die sich ganz allgemein (es geht immerhin auch um Berthold Brecht!) oder besonders als Phantasten für relevant-engagierte und ideensprühende Literatur interessieren, und die Miévilles Werke noch nicht kennen, können sich also hier im »Großen Bas-Lag-Forum-Interview« einen ersten Eindruck über diesen erstklassigen Autoren verschaffen.

Großen Dank und ›Hut ab‹ für Seblon, daß Du trotz Roboti und Klausurenstress die Zeit und Kraft für all die Orga & Fizzelei aufbringst!

Der wüste Planet

Eintrag No. 322 — Bei SF-Fan stellt mephisto einige Fragen zu Frank Herberts epischer SF-Reihe »Der Wüstenplanet«. Hier meine Antworten.

Freiwillige Angaben (Optional)

Alter: Derzeit 34. Geschlecht: Immer noch männlich.

Fragen

Frage 1: Wie würden sie Science-Fiction Literatur (Kurzgeschichte, Roman usw.) mit eigenen Worten definieren ?Antwort: Fiktionen sind ausgedachte Geschichten (im Gegensatz zu Schilderunen wirklich vorgefallener Geschehnisse) und ›Science Fiction‹ sind entsprechend ausgedachte Geschichten, in denen im weiteren oder engeren Sinne wissenschaftliche Themen als Kern zu finden sind. SF kann, muß aber nich, Spekulationen und Prognosen über die nähere oder ferne Zukunft liefern. — Der Großteil der SF (vor allem in den neueren Medien nach dem Buchdruck) liefert in meinen Augen ›Fantasy‹ im SF-Gewand (siehe Subgenres Science Fantasy, Space Opera). — SF-Szenarien müssen nicht hauptsächlich auf den harten Wissenschaften gründen (Astrophysik, Technik, Energie, Informationstechnologie ect), sondern können auch Spekulationen auf den Feldern der wiechen Wissenschaften als Thema haben (z.B. Gesellschafts-, Kultur- und Wirtschaftswissenschaften).

Frage 2: Was macht für sie den Reiz an Science-Fiction (Literatur oder auch Film) aus?Antwort: Wie bei jeglicher Kunst, interessiert mich die Darstellung dessen, was man als menschlich umschreibt oder begreift. Bei Filmen sind freilich auch zu einem Gutteil explodierende Außerirdische und andere Äktschn-Ereignisse, die mich begeistern können. — Speziell die Darstellung von Alltag finde ich immer sehr spannend in der SF; leider widmet man sich dem nicht so häufig, bzw. ausführlich.

Frage 3: Lesen sie SF-Romane ? Wenn ja welche Art von Romanen oder Subgenres (z.B. Cyberpunk oder Military SF ) bevorzugen sie?Antwort: Ja, ich lese SF-Romane. Im Lauf der Zeit hatte ich wohl am meisten mit Cyberpunk und Steampunk meine Freude.

Frage 4: In welche Richtung wird sich der SF-Roman ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren entwickeln ? Stirbt das Genre vielleicht gar aus?Antwort: ich denke, daß die SF ›gewonnen hat‹, was aber vielleicht in einiger Hinsicht einen Phyrrus-Sieg darstellt. Vielerlei SF-Elemente und Themen sind mittlerweile von Nicht-SF-Genres assimiliert worden. Das Ringen um die Gestaltung der Zukunft läßt sich mehr oder minder offen beobachten; entsprechend sind Inhalte der SF in der Gegenwartswelt angekommen. SF ist mitunter der Anteil des weltweiten Selbstgespräches der Menschheit, in dem über die Wurzeln und anstehenden Probleme der sogenannten Globalisierung/Gloabalität locker flockig verhandelt werden (z.B. Imperialismus oder »Regeln für den Menschenpark«). Man darf davon ausgehen, daß ein nicht unerheblicher Zeck so mancher SF darin besteht, diesbezügliche Erwartungshaltungen zu fördern, sprich: Vorstellungs-Claims in den Köpfen der Individuen abzustecken (siehe z.B. Transhumanismus)

Frage 5: Ist ihnen Frank Herberts „Der Wüstenplanet“ ein Begriff ? Wenn ja haben sie den Roman gelesen oder eine Verfilmung gesehen?Antwort: Gelesen vor ca. 20 Jahren; damals als er ins Kino kam auch den Lynch-Film gesehen (den ich sehr gut finde), bzw. den ersten Brocken der TV-Verfilmnung mit Uwe Ochsenknecht mitbekomen (die ich sehr schwach fand).

Frage 6: Was gefällt oder missfällt ihnen besonders an dem Roman in Hinsicht auf Handlungsführung , Charakterisierung und Atmosphäre?Antwort: Skeptisch (bzw. leicht genervt) war ich wegen des ganzen Adels- und Militär- und Messias-Schmu des Romans. Nett dagegen fand ich die Idee des Spice und der Bene Gesserit-Schwesternschaft (sozusagen ein weiblicher Vatikan). Im Großen und Ganzen fand ich den Roman okey, auch wenn ich mich für dessen episches Gepräge nicht unbedingt erwärmen konnte.

Frage 7: Sehen sie in „Der Wüstenplanet“ gesellschaftskritische Ansätze ? Wenn ja welche?Antwort: Am bemerkenswertesten ist wohl die Abhängigkeit der galaktischen Zivilisation von dem Großraumreisen ermöglichenden Spice; was ich als Bespiegelung der irdischen Abhängigkeit der Avandgarde-Zivilisation von (fossilen) Energieträgern nehme.

Frage 8: Geben sie ein kurzes persönliches Statement zu besagtem Roman ab falls sie in den vorhergehenden Fragen ein Aspekt ausgelassen wurde den sie für wichtig erachten!Antwort: Unterm Strich ein beeindruckendes Epos, mir persönlich allerdings zu pompös und breitgetreten. Zudem finde ich, daß die Wüstenplanet-Reihe zu viele Fantasy-Elemente birgt. Pragmatisch läßt sich die Dune-Reihe zwar durchaus ohne Verrenkung als SF nehmen (Raumschiffe, Wunderwaffen, Großkonflikte), aber von unserer tatsächlichen Wirklichkeit ist die Reihe doch ziemlich losgelößt und bietet eben überwiegend Aristorkaten-Intrigen und Soldaten/Revoluzzer-Abenteuer, gewürzt mit monotheistischer Mystik. — Ich ordne die Reihe eher der Space Fantasy und Space Opera zu.

Woraus wohl Habenichtse gemacht sind?

(Eintrag No. 321. Literatur, Nervige Bücher; Vom schlechten Gewissen eines Musenlesers) — Zugegeben: ich werfe mich gerne in die Pose des ungebunden freien, weil eben nichtkommerziell daherschreibenden Phantasten. So gern ich mich deshalb glücklicher wähne als Rezensenten, die im Auftrag lesen und besprechen müssen, kommt es vor, daß mir meine Freiheit ein wenig auf der Seele lastet. Wenn ich zum Beispiel wegen meines mikrigen ›Rufes‹ als Non Profit-Rezensent nicht an gewünschte (kostenlose) Besprechungsexemplare rannkomme. Oder wenn mich Mitleid mit Aurftrags-Rezensenten überkommt, die immer wieder gezwungen sind, sich durch ›schräckliche‹ Bücher zu quälen.

So geschehen in den letzten Wochen: meine Partnerin Andrea besucht ja derzeit das Aufbaustudium »Buch- und Medienpraxis«. Zwar beneide ich Andrea z.B. darum, daß sie dort jemanden wie Andreas Platthaus als Lehrer hat, ist er doch einer der hiesigen Feuillitionmacher, die für mich ›in die Suppe kommen‹ (weil er eben schmackhaft und nahrreich berichtet, und dabei auch mal über Graphische Literatur, vulgo: Comics schreibt). Doch zum Thema Romankritik hatte Andreas Klasse jüngst zwei harte Brocken in der Reissen.

So saßen Andrea und ich in den letzten Wochen abends nebeneinander. Während ich — ganz meinem Gusto folgen könnend — meine Freude mit köstlichen Schmökern hatte, die ich für »MAGIRA 2007« zu besprechen gedenke (Clarkes »Jonathan Strange & Mr. Norrell«, Stephensons »Barock-Zyklus«, Shippeys Buch über Tolkien als Autor des Jahrhunerts, Lukianenkos »Wächter«-Reihe und die »Science of Discworld«-Reighe von Prattchett, Cohen und Steward), und ›Entspannung‹ fand, indem ich nun seit Kurzem in meiner endlich kompletten Sammlung an Schopenhauerania (Werke, Vorlesungen und Nachlass) stöbern, bzw. den neuen Dr. Lector-Roman von Thomas Harris verköstigen konnte, robbte sich Andrea raunzend durch zwei typische Kaliber deutscher Schwurbelprosa.

Lange Einleitung, kurze Linktipps: gönnt Euch Andeas stichhaltige Besprechungen zweier diesjähriger Romane, die mit großer Aufmerksamkeit und meist mit Wohlwollen von den berufsmäßigen Literaturmeinungsverbreitern besprochen wurden. Mit schon lausbübischer Freude beobachtete ich, wie Andrea meine Rand-Notation für schlimmen Formulierungsquark (›ARGH!‹) und emotionell-poetische Zuckerwatte und Laktitze (›STÖHN!‹) übernommen hat.

Hier also zu Andreas…

Viel Spaß. Ach ja: und ein gutes 2007 allen Molochronik-Lesern.

Mervyn Peake und seine Titus-Bücher, auch bekannt als »Gormenghast«

Eintrag No. 312 — Die gelöste Heiterkeit, die einen beim Habhaftwerden eines neuen Schatzes erfüllt, sollte man (wie ich meine) teilen. So etwa einmal im Quartal gönn ich mir von meinem Budget eine Postlieferung mit englischen Büchern. Beim letzten Mal habe ich endlich daran gedacht, die Overlook Press-Ausgabe von »Gormenghast« aus dem 1995-Jahr zu ordern. Ein günstiger Anlass für mich, ein bisschen über diese vorzüglichen Fantasy-Bücher zu plaudern. Immerhin darf man ein Gormenghast-Jubiläum feiern, denn vor 60 Jahren, 1946, erschien das erste Titus-Buch.

Damit Sie — geschätzte Molochronik-Leser — nicht verwirrt werden, will ich lieber jetzt noch klären, daß ich hier nicht unbedingt etwas zum Inhalt der Titus-Bücher erzählen werde. Im Folgenden gibt’s ehr so lautes ›Vor-mich-hin-Denken‹ zum »Gormenghast«-Werk, sowie einige weiterführende Kostproben und Links.

1174 Seiten hab ich also nun, ein gut in der Hand liegender, typographisch angenehm gesetzter Schwabbelumschlag-Schinken, der nicht nur die ersten drei Titus-Bücher des Malers, Illustrators, Dramatikers, Dichters und Autors Mervyn Peake (1911–1968) enthält, sondern eine ganze Reihe interessanter und erfreulicher Dreingaben:

  1. Ein Vorwort von Quentin Crisp von 1946;
  2. Ein Vorwort von Anthony Burgess (bekannt als Autor von »Uhrwerk Orange«) von 1988;
  3. Kompletten Text der drei abgeschlossenen Titus-Bücher: a. »Titus Groan« (1946); b. »Gormenghast« (1950); c. »Titus Alone« (1959);
  4. Eine Abteilung mit kritischen Würdigungen, zusammengestellt von G. Peter Winnington, der auch das Intro mit einer Übersicht zu allgemeinen Literaturkritik-Reaktionen des englischsprachigen Feuillitions lieferte;
  5. »Memories of Mervyn Peake« von Louise Collins (1986);
  6. »The Gutters of Gormenghast« von Hugh Brogan (1973);
  7. »Situating Gormenghast« von Ronald Binns (1979);
  8. »›The Passions in their Clay‹: Mervyn Peake's Titus Stories« von Joseph L. Sanders (1984);
  9. »Titus and the Thing in Gormenghast« von Christiano Rafanelli (1976);
  10. »Fuchsia and Steerpike: Mood and Form« von G. Peter Winnington (1977);
  11. »Gormenghast: Psychology of the Bildungsroman« von Bruce Hunt (1978);
  12. »Gormenghast: fairytale gone wrong« von Margaret Ochocki (1982);
  13. »The Cry of a Fighting Cock: Notes on Steerpike and Ritual in Gormenghast« von Ann Yeoman (1991);
  14. »Beowulf to Kafka: Mervyn Peake's Titus Alone« von Colin Greenland (1981);
  15. »A Critical Conclusion: The End of Titus Alone« von Laurence Bristow-Smith (1981);
  16. »A Barrier of Foolery? The Depiction of Women in Titus Alone« von Tanya Gardiner-Scott (1988);
  17. Die wenigen Seiten an Notizen und Fragmenten zum vierten Buch »Titus Awakes«;
  18. Sowie 31 s/w-Illustrationen (24 zu den Romanen) von Mervyn Peake.


I.—Wurzeln der ›anderen‹ Fantasy: düster und befremdend

Von Peakes Werk bin ich schon seit vielen Jahren begeistert.

Die Gormenghast-Bücher gehören zu den großen Monolithen der Literatur, und sind vielleicht neben den »Der Herr der Ringe«- (erschienen 1954/55) und anderen Mittelerde-Werken von J.R.R. Tolkien (sowie den pulpigeren Burschen wie R. E. Howard, Firtz Leiber und Poul Anderson) DIE Fundamente der modernen ›Fantasy‹-Phantastik; d.h., wenn man beachtet, daß im deutschsprachigen Raum Peake immer noch ein ›Geheimtip‹ (was immer das bedeuten mag) ist, und der große Einfluss seiner Bücher sich bei uns eben eher auf verschlungenen Wegen zeigt.

Ach je! ›Fantasy‹, dieses Genre-Etikett das so viel Verwirrung stiftet. Im Englischsprachigen wurden damit lange Zeit alle im weiteren Sinne ›phantastischen Literaturen‹ bezeichnet. Unter anderem im Zuge des überwältigenden Erfolges der Mittelerde-›Kult‹-Bücher (also ab den späten Sechzigern, vor allem durch die Erfolge auf dem US-Markt), wurde dann ›Fantasy‹ mehr und mehr reduziert zu einem Wegweiser, der vor allem auf jene Spielarten der Phantastik zeigt, die Tolkien-ähnlich anmuten. Ich mache Tolkien keinen Vorwurf (denn nerven tun mich seine Nachahmer und übereifrigen Akolyten), aber ich beklage durchaus das Durcheinander und die Engstirnigkeit, die seitdem Unterhaltung über ›Fantasy‹ ab und zu eindunkeln.

Für mich bedeutet ›Fantasy‹ erstmal schlicht ›Phantastik‹, beginnend etwa mit dem Gilgamensch-Epos und den Werken von Homer, Rabelais, J. Swift, L. Carroll, Tieck, E.T.A. Hoffmann, Potocki, … Goethes »Faust 1 & 2«? Phantastik! Fantasy! (Was sonst?). — Ich kann mich aber auch darauf einstellen, daß andere unter ›Fantasy‹ vornehmlich die Tradition a la Tolkien, C.S. Lewis und ihrer Vorläufer und Nachfolger verstehen: also ›irgendwie‹ mittelalterlich (oder archaisch) anmutende Welten voller Kuttentypen, Schwerter, Magier, Artefakte und Monster, und ja bitte als Quest oder Aventure servieren, und ‘ne Karte wär sehr fein. Danke, ganz lieb.

Dabei ist es nicht so, dass Peake und Tolkien völlig unterschiedliche Werke vorgelegt haben. Beide haben ihre jeweils grandiose und eigenwillige Zweitweltschöpferei geleistet. Tolkien mit der Linguistik, Peake mit der Malerei als zugrundeliegender Kraftquellen- und Anker-Disziplin. Beide Autoren sind durch und durch anschauliche Vertreter des ›typisch englischen‹, geduldigen, detailbesessenen und in kreativer Abschweiferei schwelgenden Bosselns. Die Biographien der zwei wurden jeweils durch die Kolonialgeschichte Englands (Peake wurde in China, Tolkien in Süd-Afrika geboren) und die Katastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts geprägt. Es hat wie ich finde wenig taug, wenn man Peake und Tolkien gegeneinander ins Rennen schickt und gegeneinander ausspielt. (Das ist etwa so sinnvoll, wie entscheiden zu wollen, ob die Erfindung des Rads oder des Feuers ›besser‹ ist.) Aber weil Tolkiens Einfluss nun mal unbestreitbar kräftig und die Aufmerksamkeit für Peake bei uns eben eher schmächtig ist, sei mir dieses Nebeneinanderstellen dieser beiden Großphantasten verziehen.

Es gibt eben zwischen HDR und den Titus-Büchern auffällige Unterschiede. Man kann zwar über die großen Werke beider Autoren sagen, dass sie kraftvolle Sprachkunstwerke sind, die hätten jedoch kaum gegensätzlicher geartet ausfallen können. Der nicht gerade konventionell strukturierte »Der Herr der Ringe« (= HDR) nimmt sich neben den Titus-Büchern aus, wie ein gradliniger Spaziergang (trotz aller z.T. langen und/oder indirekten Schilderungen, Orts/Zeit-Wechsel). Wer die Unregelmäßigkeiten von Zeitraffungen und -Sprüngen bei Tolkien schon auf bezaubernde Art verwirrend fand, hat gute Aussichten, sich in Gormenghast vollends mit Wonne zu verlaufen. HDR ist ein verhältnismäßig ernstes- und überraschend jux-loses Werk; Tolkien hat seinen wunderbaren lausbübisch-anarchistischen Humor (leider) vornehmlich in kleineren Werken ausgelebt (z.B. in »Bauer Giles von Ham« oder eben auch in »Der kleine Hobbitt«), aber obwohl sich auch im Helden-Epos-Panorama von HDR hie und da kleine Bockssprünge des ungebändigten Witzes finden lassen, überbieten Peakes Titus-Bücher das Tolkien-Werk spielend, bieten sie ja praktisch auf jeder Seite viele komisch-alberene und/oder komisch-seltsame Gedankenhüpfer.

Am meisten scheiden sich die Geister wohl wegen der Art von Zugangs- und Verweilhaltung, das diese beiden archetypischen Fantasy-Geschmacksrichtungen von der Leserschaft fordern bzw. bieten. Obwohl die Mittelerde-Welt in unzählige Richtungen offen ist, kann man sich in dieser Zweitschöpfung fast schon zu leicht behaglich einrichten. Tolkien betrachtete, von seinem Glauben geprägt, ›Trost zu spenden‹ als eine Hauptaufgabe seines Werkes, und so löblich diese Ambition an sich sein mag, verleitet sie Autoren eben dazu, die Leser immer wieder an der Hand zu nehmen und zu beruhigen. Das liegt nicht jedem. — Der ästhetische Imperativ für Peake war dagegen schlicht, seinen Gedankengrillen und Phantastereien größtmögliche Freiheit einzuräumen. Die Welt von Gormenghast eignet sich zwar durchaus für Leser, darin eigene Zweitweltschöpfungsgedanken zu weben, aber diese Welt bleibt trotzdem letztlich immer fremdartig, undurchschaubar, und tröstlich nur für trittsichere Wanderer auf dem ästhetischen Lebensweg der Melancholia, der angenehm-nachdenklichen Traurigkeit.

Es ist kein Wunder, dass gemäß dieser Ambitionen sich im Zentrum von HDR ein kleiner Sieg, die Heilung einer großmagischen Welt-Wunde befindet; es wird erzählt, wie den allgewaltigen entropischen Chaos- und Auflösungs-Mächten des Universums (aller Universen), dank einer glücksbringenden Katastrophe (Eukatatstropie) getrotzt werden kann; — im Mittelpunkt von Peakes Romanen aber schwelt beständig das Feuer der Rebellion, der Auf- und Ablehnung (vor allem personifiziert durch den manipulativen Steerpike und durch Titus Groan, 77. Herrscher des Steinreiches selbst) gegen die verstaubte und vermoderte Zivilisation der gigantischen Gebäude- und Riten-Welt von Gormenghast, gegen die umständlichen und rein zeremoniellen Rituale und ganz allgemein: gegen Engstirnig- und Phantasielosigkeit.


II.—Ein Blick ins Foyer der drei Titus-Bücher

Hier die jeweils eröffnenden ersten Absätze als Kostprobe. Immerhin sind die Bücher auf Deutsch nicht ganz billig (ich sehne mich schon lange nach einer günstigeren Taschenbuchausgabe!). Aber die in der Hobbit Presse bei Klett Cotta 1982/83 erschienene Übersetzung von Annette Charpentier lohnt sich auch für alle, die sich nicht getrauen, die englischen Sprachwogen von Peake zu durchpaddeln. Ein respektabler Kraftakt. — Na? Haben Sie genug Nerven, um folgenden Stil über 1000 Seiten genießen zu können?

(Ein Phantastik-Freund macht mich aufmerksam darauf, Euch noch auszudeuten, daß die Titus-Bücher keine Trio sind. Peake hatte geplant, eine ganze Reihe »Titus«-Romane zu schreiben, doch leider hat’s ihn schon bei der Arbeit am dritten Buch dahingerafft, weshalb »Titus Alone« auch erst mit der Revidierung durch Langdon Jones 1970 in seiner heutigen, ›endgültigen‹ Form erscheinen konnte. Und die ist nicht vollkommen, sondern eben Fragment. Die Bezeichnung »Gormenghast«-Trio ist also wieder mal eine handliche Vereinfachung. Keineswegs sollte im Fortlauf des angedachten Titus-Zyklus das Schloss Gormenghast im Mittelpunkt stehen, sondern eben die Lebensreise des letzten Lord Groan, und die begibt sich in »Titus Alone« ja schon in die Welt jenseits der Gormenghast’schen Gemäuer.

—Danke Gero, für den Hinweis!)

»Der junge Titus« (dt. 1982; 533 Seiten, 69 Kapitel mit Namen) »Titus Groan« (engl. 1946; ca. 396 Seiten)
DIE HALLE DER EDLEN SCHNITZWERKE: — Gormenghast – oder genauer: der größte Teil des alten Mauerwerks – hätte, für sich gesehen, eine bestimmte, eindrucksvolle Bauweise repräsentiert, wäre es nur möglich gewesen, jene umliegenden schäbigen Behausungen zu ignorieren, die sich wie eine krankhafte Wucherung um die Außenmauern legten. Sie breiteten sich über den Hang aus, eine jede halb über dem Nachbargebäude aufragend, bis die oberen Hüten aufgehalten durch die Befestigung der Burg, wie Napfschnecken am Felsen klebten. Aufgrund eines alten Gesetzes war diesen armlesligen Behausungen die fröstelnde Nähe der über ihnen drohenden Festung gewährt. Zu allen Jahreszeiten fielen über die unregelmäßigen Dächer die Schatten der von der Zeit angenagten Zinnen, der zerfallenen und der hochaufragenden Türmchen und, am gewaltigsten, der Schatten des Pulverturms. Dieser Turm, ungleichmäßig mit Efeu bewachsen, erhob sich wie ein verstümmelter Finger aus einer Faust von knöchelartigem Mauerwerk und wies blaphemisch gen Himmel. Des Nachts verwandelten ihn die Eulen in einen hallenden Schlund; tagsüber ragte er stumm auf und warf seinen langen Schatten.
THE HALL OF THE BRIGHT CARVINGS: — Gormenghast, that is, the main massing of the original stone, taken by itself would have displayed a certain ponderous architectural quality were it possible to have ignored the circumfusion of those mean dwellings that swarmed like an epidemic around the outer walls. They sprawled over the sloping earth, each one half way over its neighbour until, held back by the castle ramparts, the innermost of these hovels laid hold on the great walls, clamping themselves thereto like limpets to a rock. These dwellings, by ancient law, were granted this chill intimacy with the stronghold that loomed above them. Over their irregular roofs would fall throughout the seasons, the shadows of time-eaten buttressses, of broken and lofty turrets, and, most enormous of all, the shadow of the Tower of Flints. This tower, patched unevenly with black ivy, arose like a mutilated finger from among the fists of knuckled masonry and pointed blasphemously at heaven. At night the owls made of it an echoing throat; by day it stood voiceless and cast its long shadow.
»Im Schloß« (dt. 1983; 550 Seiten, 80 nummierte Kapitel) »Gormenghast« (engl. 1950; ca. 410 Seiten)
EINS: — Titus ist sieben. Sein Gefängnis: Gormenghast. Gesäugt von Schatten; aufgezogen in einem Gewebe von Riten: für seine Ohren – Echos, für die Augen – ein Labyrinth aus Stein: und dennoch in seinem Körper etwas anderes – etwas anderes als dieses schattenreiche Erbe. Denn zu allererst ist er ein Kind.
ONE: — Titus is seven. His confines: Gormenghast. Suckeld an shadows; weaned, as it were, on webs of ritual: for his ears, echoes, for his eyes, a labyrinth of stone: and yet within his body something other – other than this umbrageous legacy. For first and ever foremost his is child.
»Der letzte Lord Groan« (dt. 1983; 285 Seiten, 122 nummerierte Kapitel) »Titus Alone« (engl. 1959/1970; ca. 214 Seiten)
EINS: — Ob Norden, Süden, Osten oder Westen, wie er sich auch drehte, es dauerte nicht lange, bis die vertraute Landschaft verschwand. Verschwunden war die Umrißlinie seiner bergigen Heimat. Verschwunden die zerrissene Welt der Türme. Verschwunden die Flechten; verschwunden der schwarze Efeu. Verschwunden das Labyrinth, das seine Träume speiste. Verschwunden das Ritual, sein Mark und Fluch. Verscheunden die Kindheit.
ONE: — To north, south, east oder west, turning at will, it was not long before his landmarks fled him. Gone was the outline of his mountaininous home. Gone that torn world of towers. Gone the grey lichen; gone the blach ivy. Gone was the labyrinth that fed his dreams. Gone ritual, his marrow and his bane. Gone boyhood. Gone.


III.—Kleine Link-Sammlung zu Mervyn Peake

Ausgangspunkt aller Erkundungsklickerein sollte die englischsprachige, offizielle englische Website über Peake sein. Viel Material zum Leben und Werk, mit vielen Bildern von Peakes Illustrationen, z.B. zu »Alice im Wunderland« und »Die Schatzinsel«. Besonders empfehlen möchte ich diese Titelgestaltung einer Ausgabe der Grimm'schen Märchen, farblich fast eine Vorwegnahme von späterem Horrorcomics-Flair. — Die angegliederte Seite zu Gormenghast bietet einen Rundgang durch die Bücher.

Während ich diesen Beitrag zusammenflicke, läuft nebenher meine Doppel-DVD der 4-teiligen BBC-Produktion von Gormenghast; eine durchwegs stimmungsvolle und erstaunlich treue TV-Aufbereitung, in der sich solche Größen wie Sir Ian Richards, Sir Christopher Lee, Stephen Fry, Jonathan Rhys Meyers und Richard Griffiths die Stichwörter geben. — Ich halte es für eine äußerst zeihenswerte Schande, daß diese exzellente Fernsehangelegenheit noch nicht im deutschsprachigem TV lief, oder wenigstens als DVD eingedeutscht wird! {Edit 10. Dezember 2009: Siehe Kommentar. Jubel!}

Für am schönsten gestaltet halte ich die Gormenghast-Website von PBS. Hier gibt’s reichlich weiteres Material zum BBC-Vierteiler, zum Beispiel diese Inhaltszusammenfassung, wobei zu beachen ist, daß die Fernsehfassung nur die ersten beiden der drei Titus-Bücher umgesetzt hat. Auch werden dort RealPlayer/Quicktime-Trailer zur TV-Fassung angeboten (in der es etwas wischiwaschi heißt, Gormenghast wäre ein ›Fantasy-Klassiker in der Tradition von HDR und Dune‹.

Dann möchte ich der Übersichtlichkeit halber nur auf drei englische Texte verweisen: • Einmal Carl Darnells Portrait über Peake für das Scriptorium von The Modern Word. • Zum zweiten auf Michael Moorcocks längere (im guten Sinne) Remisinzenz »An Excellence of Peake« bei Fantasticmetropolis. • Und drittens ein kleiner Aufsatz von Mr. Pye für die Great Science Fiction & Fantasy Works-Website.

Und zuletzt einige Beispiele mit wohligen, hiesigen Meldungen von Lesereisen in Peake'sche Gefilde: • Fang ich an mit dem agitpop-Blog, wo man erstmal gehörig getollschockt eine Pause zwischen Buch 1 und 2 einzulegen gedenkt; • dann berichet Wysiwig, wie's ist Gormenghast in Prag zu lesen; • es freut mich, daß in dem HDR-Verfilmungs-Begleit-PDF der Stiftung Lesen Gormenghast als wichtiges Werk der Fantasy empfohlen wird; • und schließlich loben Barbara König und Ludwig Dickmann den ersten Teil für Buchkritik.at.


Spürbar angehaucht vom Weltgemäuer Gormenghast

Am deutlichsten sind mir in den letzten Jahren Peake- und Gormenghast-Einflüße auf Stil, Formensprache, Atmosphäre und Szenerie auf dem Feld der europäischen Fantasy- und Phantastik-Comics (oder auch Graphic Novels) aufgefallen. Die hier verlegten Links führen zu externen Seiten (viele davon englisch oder französisch), die irgendwie nichtkommerzigen Einblick in die jeweiligen Werke gewähren:

»Hier Selbst« von Jean Claude Forest (Text) und Jaques Tardi (Illustration), 1979; Edition Moderne 1989.

»Sambre« von Balac (Text) und Yslaire (Illustration).

  1. »Der Krieg der Augen«, Carlsen 1987;
  2. »Unruhige Herzen«, Carlsen 1992;
  3. »Die Farbe der Freiheit«, Carlsen1994;
  4. »Vielleicht auch sterben…«, Carlsen 1997.

»Das Narrenschiff« von Turf.

  1. »Irrwater«, Splitter 1996, Neuauflage bei Kult Editionen;
  2. »›Regenmonat 627‹«, Splitter 1997, Neuauflage bei Kult Editionen;
  3. »Turbulenzen«, Splitter 1997, Neuauflage bei Kult Editionen;
  4. »Ans Werk«, Kult Editionen 2002.

• Die Einzel-Alben von Frederic Bezian: • »Der Fluch des Adam Sarlech«, Carlsen 1991; • »Das verborgene Brautgemach«, Fest 1993; • »Das Testament unter dem Schnee«, Fest 1995.

»Horologiom« von Fabrice Lebeault:

  1. »Der Mann ohne Schlüssel«, Splitter 1995, Neuauflage bei Kult Editionen;
  2. »Die Stunde des Damokles«, Splitter 1996, Neuauflage bei Kult Editionen;
  3. »Nahedig«, Splitter 1998, Neuauflage bei Kult Editionen;
  4. »Die Stunde des Aufbauers«, Kult Editionen 2003.

»Monsieur Noir« von Dufaux (Szenario) und Griffo (Illustration), zwei Bände bei Splitter 1996/1998. Leider hab ich hierzu keinen Link gefunden, den ich unbeschämt anbieten könnte.

»L'etat morbide« von Hulet:

  1. »Der Turm«, Fest 1992;
  2. »Der verschlingende Zugang«, Fest 1994;
  3. »Waterloo Exit«, Fest 1993.

Nachgereichtes Material zum Seminar über »Jonathan Strange & Mr. Norrell«

(Eintrag No. 311; Literatur, Phantastik, Fantasy, Woanders) — Ich freue mich sehr, daß Henry Farrell bei Crooked Timber mit »Jonathan Srange & Mr. Norrell« auf meine Übersetzung verweißt. Henry hat gleich die Katze aus dem Sach gelassen, daß ich mit als nächstes das Crooked Timber Seminar vom Januar 2005 zu China Miévilles »Der Eiserne Rat« vorgenommen habe; entsprechend gab es gleich ein paar Kommentare zu Miéville in Henrys Meldung, und ich mußte ein wenig gegen die Daumen-runter-Urteile dort anschreiben.

Auch bin ich entzückt, daß Konrad Lischka im Seite4-Blog des »Bücher Magazins« über meinen Fantasy mit Fußnoten-Wahn berichtet. Ich hab dort ein bischen gegen Konrads Thesen aus seinem Artikel »Zaubern mit Wörtern« angemosert. Aber ich mag das »Bücher Magazin« trotzdem. Wenn alle meiner Meinung wären, würd ich wahrscheinlich an Langeweile eingehen. Immerhin zeigt Konrad ein gutes Händchen bei seinem Lob für den dicken Schmöker von Clarke.

Hier eine kleine deutschsprachige Rundum-Presse-Verlinkung:

Großmedien

Aus Blogs und Foren

Buchmesse 2006 (9): Buchmessebericht von Phantastik-Blogger Hannes Riffel

(Eintrag No. 306; Literatur, Woanders, Blogging)Erste Nachreiche von Molosovsky zur Buchmesse 2006:

Sollte man nicht verpassen. Sehr anschaulich berichtet Hannes Riffel von seiner durch die Jahre steigenden Buchmessenbefremdung; vom Trubel, Terminenhinterherlaufen und vielen Fragen; über das gute Gefühl am Klett Cotta Stand zu sein (wirklich ein schöner Stand; die Ecke der Hobitt Presse ist auch für mich allerdings ein kleines Schreineckchen auf der Messe gewesen … Schande eigentlich, daß ich Hannes nicht angesprochen habe. Wie schrieb Anne schon: wir freuen uns aufs nächste Jahr); und outet sich als einer, der keine Bücher mehr von der Messe mehr mit nach Hause bringt und was nicht noch.

Aber gebt Euch nicht mit meinem kruden Anreißer hier zufrieden, lest selber.

Buchmesse 2006 (6): Mit oder ohne Buchschmuck: das neue Buch von Susanna Clarke bereitet Molosovsky…

… Freude! Eintrag No. 303 — Schon in ein paar Tagen (am 06. Oktober) erscheint »Die Damen von Grace Adieu« von Susanna Clarke bei Bloomsbury Berlin.

Clarke hat ja mit ihrem voluminösen »Jonathan Strange & Mr. Norrell« (desweiteren: JS&MN) so richtig auf den Putz gehaun. Da finden sich die Realweltgeschichte vom beginnenden 19. Jahrhundert und alt-nordenglische Magiewelt-Mythen zu einer ganz verzüglichen Phantastik verzwribelt; zu edel (wie ich find), um das sprachlich wie auch begrifflich ungeschickt importierte Genre-Label ›Fantasy‹ draufzupappen; und doch wie keck von einer so vorzüglichen Autorin, es selbstbewußt dann doch zu tun!

Immerhin!: Leser ›richtiger‹ Romane, die sonst alle Gesichtsmuskeln verreißen wenn man ihnen mit ›Fäntäsy‹-Phantastik vor der Brille rumfuchtelt, entspannten sich willig anhand einer edelfederigsten Prosa, deren Haltung und Ton sich des ausgesprochen fruchtbaren Respekts & Insprisierenlassens von Frau Clarke für & von Klassikern der portraitierten Epoche, wie Jane Austen und Charles Dickens, verdankt. Und Lesern, welche sonst eher ziemlich Genre-Phantastik-lastig zu schmökern belieben (siehe ›die Markt-Marke Fantasy‹), wird eine feine Gelegenheit geboten, sich von eher altmodischen Prosa-Registern verführen (und hinreissen und bilden!) zu lassen.

Das ist eine gute Gelegenheit ein wenig über die Wonnen der englischsprachigen Literatur- und Geisteswissenschafts-Bloggerei zu jubilieren. Wenn sich z.B. 15 kommunikations- und diskrus-freudige Akademiker zusammengefinden, sich ihren Gruppen-Blog-Namen aus einem markigen Zitat vom großen Deutschen Immanuel Kant borgen, um fürderhin unter Crooked Timber mit anregenden Beiträgen großzügig die Blogosphäre zu bereichern… alles für umme zu lesen, wenn man sich nur des Englischen mächtig genug wähnt.

Grad den ›typischen‹ (mal polemisch imaginierten*) bezahlten deutschsprachigen 08/15-Literaturvermittlern möchte ich hiermit ganz besonders die Crooked Timer Seminare (unter ›book events‹ links weiter unten zu finden) zur inniglichen Orientierung nahelegen. — Nun sind die Geisteswusler vom krummen Holz von Beginn an Fans von JS&MN gewesen, und haben entsprechend eines ihrer Seminare diesem Roman gewidmet. Nur mal so als Beispiel, wie man intelligent, verständlich und verständnisvoll über ›Fantasy‹ schreiben kann hier eine kleine Übersicht: (jaja, schon richtig: bei Fantasy vom Qualitätskaliber eines JS&MN ists nicht so schwer, auch als in E-Gefilden konditionierter Literatur-Bespiegler was Gescheites zusammenzureflektieren):

• John Quiggin behauptet, daß der Roman an den eigentlichen Wurzeln der Science Fiction anknüpft, denn bei SF geht es im Grundbass um die Zeitenwende- und Wirkungen der Industrielle Revolution. • Maria Farrell meint, daß das buch ein Aufeinandertreffen zwischen dem von Jane Austen imaginierten Regency-England und ›romance novels‹ auf der einen Seite, und der tatsächlichen geschichtlichen Regency-Epoche auf der anderen Seite ist. • Belle Waring fragt sich, wer der/die Erzähler/in des Buches ist, und wohin die weiblichen Zauberer eigentlich sind (und mutmaßt, daß beide Fragen durch eine Antwort erhellt werden). • John Holbo untersucht Zauberei, Ironie und die Darstellung der Diener-Klasse. • Henry Farrell behauptet, daß die versteckte Handlung des Romans eine Kritik an der englischen Gesellschaft darstellt. • Und zuletzt antwortet Susanna Clarke (sehr aufschlußreicher Werkstatteinbick, sozusagen).

Und für jene, denen das zum am Bildschirm-, im Netz-Lesen viel zu viel Text ist, bietet Crooked Timber einen englischen PDF-Service-Link zum Ausdrucken. {15. Nov. ‘06: EDIT-NACHTRAG — Mittlerweile hab ich vor lauter »Ich Muß Was Nützliches In Meiner Zeit Tun« das ganze Seminar übersetzt. Hier geht’s zum entsprechenden Molochronikeintrag, und hier der Klick für ein deutsches PDF.}

Wieder zum neuen Buch mit Kurzgeschichten von Susanna Clarke. Ungemein enttäuscht bin ich, daß Bloomsbury Berlin die durch höchste Kunstfertigkeit und Eleganz brillierenden 20 Illustrationen von Charles Vess NICHT dem deutschen Publikum von »Die Damen von Grace Adieu« offeriert. Nach dem guten Verkauf von JS&MN wär doch eine etwas aufwändigere Ausgabe drinn gewesen, oder? — Dass Heyne damals Neil Gaimans/Charles Vess »Stardust« ohne die Vess-Illus veröffentlichte, geht ja noch irgendwie in mein Produktions- & Gewinnmargenkalkül-verständiges Hirn. — Aber schluß jetzt mit Genöle.

Soweit ich bisher mitbekommen habe, sind die neuen Geschichten von Clarke in der selben (oder doch sehr ähnlichen) Welt wie JS&MN angesiedelt. Auch auf Deutsch gibts eine der Geschichten für umme auf der (sehr schönen!) Verlags-Site zu Clarke: »Der Herzog von Wellington geht seines Pferdes verlustig«.

Viel Vergnügen mit all den Umsonstlektüren wünsch ich noch. *Und falls sich einige bezahlte Literaturvermittler und -bewerter arg auf den Schlips getreten fühlen: bitte nehmt dies schlimmstenfalls als meine anbiedernde Versuche, Euch alle anzuregen, mindestens so geschickt über Phantastik für's Feuillition zu schreiben, wie z.B. (um spontan einige willkürliche Namen zu nennen) Dietmar Dath, Marcus Hammerschitt, Denis Scheck, Thea Dorn und Georg Seeslen.

Buchmesse 2006 (5): Molosovskys erster Fund: Wiedersehen eines geschätzten Strichs nach langer Zeit

<img src="molochronik.antville.org" align="right"style="margin-left:10px;"> Eintrag No. 302 — Vor etwa 15 Jahren in Wien hatte ich einen Fantasy-Rollenspiel-Kumpel als WG-Kammeraden, und dank seiner Sammlung an englischen Regel- und Quellenbüchern, kam ich in den Genuß der wohl durchgeknalltesten Spielwelt aus dem »Dungeons & Dragons«-Universum. »Planescape« ist eine Gemme der Multikulti-Allesdurcheinander-Fantasy, mit einer Pizzawelt die in unterschiedlichste Segmente unterteilt ist, in deren Mitte eine spitze Bergspindel herausragt, über der eine Stadt in Doughnut-Form schwebt. (Im Netz find ich derweil leider ›nur‹ diesen englischen Wikipedia-Link zu »Planescape«. Gibt dort aber Karten über die Geographie dieses köstlich ungestümen Weltenbaus)

Aufgefallen und sehr gefallen hat mir »Planescape« damals vor allem wegen der wunderschönen Illustrationen von Tony DiTerlizzi (>>>hier zu seiner englischen Flash-lastigen Site, Ahh-ja, dort unter ›Art/Gaming‹ bis ca. ›Page 3‹ blättern und »Planescape«-Illus gucken.).

In Halle 3.0 beim Stand E 105 des cbj-Verlages seh ich dann das Supplement-»Handbuch für die fantastische Welt um Dich herum« (müßte es nicht ›über‹ statt ›für‹ lauten?) zur Arthur Spiderwick-Serie. Treue für die Serie gedenke ich erstmal keine zu investrieren. Aber ich hoffe sehr auf ein Rezensionsexemplar des Handbuches.

Entdeckungen: wunderbare Phantastik-Links (Charles Vess & Susanna Clarke)

(Eintrag No. 295; Woanders, Phantastik-Meister) — Schnell bescheidgeben will ich nur: Zuerst merk ich heut erst, daß das englische genre-magazin <a href="www.thealienonline.net "target=_blank">Alien Online ein blog führt. Dort find ich meinen weg zum blog des Londoner phantastik-kauf-tempels <a href="www.forbiddenplanet.co.uk" target=_blank">Forbidden Planet, und dort stolper ich über die meldung, daß der großartig-altmodische illustrator/graphiker Charles Vess unter die blogger gegangen ist.

Besonders großen eindruck auf mich macht sein derzeit neuester eintrag über Vess' arbeit an den illustrationen für den kommenden erzählungs-band von Susanna Clarke: »The Ladies of Grace Adieu« — Bleibt die daumen zu drücken, daß diesmal die arbeit des künstlers Vess dem hiesigen puplikum vom deutschen herausgeber offeriert, nachdem das bei dem von Vess geschmückten Gaiman-buch »Stardust« nicht klappte.

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