Donnerstag, 29. Januar 2009
Portrait: Charles Darwin (Darwin in der Schirn #1)
Erstellt von molosovsky um 19:58
in
Portrait
(Eintrag No. 540; Portrait) — Darwin-Jahr: 150 Jahre »Origin of Species« und 200. Jährung des Geburtstages. Zudem eröffnet am 5. Februar eine dolle große Schau zum Thema »Darwin – Kunst und die Suche nach den Ursprüngen« an meinem Arbeitsplatz und es wird richtig feine Sachen geben über die etwa ersten 100 Jahre Reaktion der bildenden Künste auf Darwins Schaffen, u.a mit Werken von meinem ganz speziellem Liebling Alfred ›Die Andere Seite‹ Kubin (ab 18!), Arnold Böcklin, Max Ernst, Odilon Redon, Frederic Church, Martin Johnson Heade, František Kupka, George Frederic Watts, Gabriel von Max und dem mir unheimlichen Ernst Haeckel.
Heute hatte ich zwischendurch 15 Minuten Zeit, um ein schönes Portraitgemälde vom bekannten Evolutionstheoretiker abzuskribbeln.
Wenn ich meine Zögerlichkeit überwinde, zu Wissenschaftlichem öffentlich den Mund aufzumachen, folgt bald mehr zum Thema.
»Charles Darwin«: Nach einem Gemälde von M. B. Messer, 1912. — Ca. 100 x 150 mm; Stylo MLJ20 in Moleskin-Kladde; 29. Januar 2009, Frankfurt am Main.
Dienstag, 27. Januar 2009
Improscape: »Noch ein weiter Weg«
(Eintrag No. 539; Grafimente, Improvisation) — Es hieß: was gegenständlich ist, solle unter ›Grafimente‹ abgelegt werden; und was nicht gegenständlich ist, solle unter ›Improvisation‹ abgelegt werden.
Nun ist es wieder mal geschehen, das ich eigentlich nicht recht weiß, wohin mit einem Bild, denn es ist weitestgehend von abstrakten Gestrichel und Gepunkte überzogen, streckt und reckt sich jedoch danach, irgendwann mal eine Bas-Lag-Illustration (also was gegenständliches) zu werden. Außerdem ist die Zeichnung nicht durchdacht und geplant entstanden wie ein gegenständliches Grafimente, sondern als gedankenverlohrenes Gekritzel wie meine Impros.
Am besten, ich halte mich einfach Stur an die Richtlinie und lege es unter ›Grafimente‹ ab, und hoffe, dass mich keine Garudas im Traum dafür mit ihren spitzen Speeren π-sacken.
»Noch ein weiter Weg«: Beim »ALIAS«-Gucken nebenbei entstanden. Erster Test meiner Box mit 48 Faber-Castall PITT artist pens ›brush‹; gezeichnet auf Brunnenkarton. — 200 x 200 mm; 26. Januar 2009, Frankfurt am Main
Samstag, 24. Januar 2009
Thomas Pynchon: »Die Versteigerung von No. 49«, oder: Die Queste der Oedipa Maas
Eintrag No. 538 — Wie aufmerksame Molochronik-Leser wissen, bin ich zur Jahreswende 2007/2008 vom Pynchon-Fieber erfasst worden, weiland ich damals die englische Ausgabe von »Against the Day« (2006, Deutsch 2008 als »Gegen den Tag«) verschlang. Mittlerweile habe ich mir alle sechs Romane dieses erstaunlichen Schriftstellers zugelegt, sowohl auf Deutsch, als auch auf Englisch.
»Gegen den Tag« (= GDT) ist aufgrund seines Umfangs von über 1000 Seiten, der verwirrenden Figurenvielzahl und der thematischen Breite sicherlich nicht unbedingt der die beste Eintrittskarte zu Pynchon Prosawelten (auf den ersten Blick zumindest, denn bei mir hat das dicke Ding ja voll gezündet). Allerdings kann ich sagen, dass verglichen mit Pynchons bekanntesten, von mir erst etwa zu einem Drittel bewältigtem Werk »Gravity’s Rainbow« (1973, Deutsch 1981 als »Die Enden der Parabel«), GDT ein zwar langer, aber bequem zu absolvierender Spaziergang ist.
Nun aber zu meiner zweiten abgeschlossenen Pynchon-Lektüre, »The Crying of Lot 49« (1966, Deutsch 1973 als »Die Versteigerung von No. 49«). Der oftmals ausgesprochenen Empfehlung, dass dieser (zweite) Roman von Thomas Pynchon (1937) den bekömmlichsten Einstieg in sein Werk bietet, kann ich von meiner bisherigen Warte aus voll und ganz zustimmen. Hier lernt man auf kurzer Strecke in sechs Kapiteln bereits die wichtigsten Themen, atmosphärischen Facetten und erzählerischen Kniffe dieses Autors kennen.
Bei »The Crying of Lot 49« handelt es sich grob gesagt um eine Konspirations-Räuberpistole. Oedipa Maas, die Heldin des Mitte der 1960ger-Jahre angesiedelten Romans, erfährt nach dem Tod ihres Ex-Geliebten, dass sie von diesem steinreichen Immobilien- und Industrie-Mogul Pierce Inverarity zur Testamentsvollstreckerin bestimmt wurde. Um dieser angesichts des riesigen Vermögens ungeheuren Aufgabe gerecht zu werden, beginnt Oedipa eine Recherche-Rundreise durch Kalifornien und stößt dabei im Zusammengang mit einer Briefmarkensammlung aus dem Nachlass des Verstorbenen, auf die undurchschaubare Verschwörung eines Post-Untergrundnetzwerkes, des Tristero-Systems. Ihren Anfang nahm diese geheimnisumrankte Organisation irgendwann in den Wirren der europäischen Geschichte, als sich die Tristero-Intriganten dem Thurn & Taxis-Monopol der Briefzustellung entgegenstellten. Die Fährte dieses Ringens zwischen staatstragenden Kommunikations-Monopolisten und anarchistischen Tristero-Rebellen zieht sich durch die Jahrhunderte bis hin in Oedipas Lebenswelt. Einmal darauf aufmerksam geworden, entdeckt sie überall die geheimen Tristero-Zeichen, z.B. das Akronym W.A.S.T.E. auf als Mülleimern getarnten Tristero-Briefkästen, komische Schreibfehler auf Pots- Poststempeln, oder ein Symbol, das ein durch einen Dämpfer unnütz gemachtes Posthorn zeigt. — (Es besteht für mich kein Zweifel, dass Pynchons Charadenspiel-Thematik inspirativ auf nachfolgende Fiktionen wie die »Illuminatus!«-Trio (1975, Deutsch 1977) von R. A. Wilson & Robert Shea, oder Umberto Ecos »Das Fouccaultsche Pendel« (1988, Deutsch 1989) eingewirkt hat.)
Oedipa versucht sich gegen Ende des Buches einen Überblick zu ihrem Dilemma zu verschaffen, und kommt auf folgende vier Möglichkeiten (S. 189 f; Zitatangaben nach der Deutschen Taschenbuchausgabe):
- … dass sie wirklich einen ›geheimen Schatz‹, ein…
… Nachrichtennetz, über dessen Drähte eine ganz schöne Menge von Amerikanern aufrichtig miteinander kommuniziert, während sie ihre Lügen, ihr routinemäßiges Geschwätz {…} dem offiziellen Verteilersystem der Regierung anvertrauen …
… entdeckt hat;
- … dass sie sich das nur einbildet;
- … dass sie auf einen elaborierten Komplott-Ulk ihres verstorbenen Liebhabers Pierce Inverarity hereingefallen ist, der Dank seiner weitreichenden Mittel in der Lage war, Spuren zu fälschen und Darsteller anzuweisen Oedipa etwas von der Tristero-Verschwörung vorzugaukeln;
- dass sich Oedipa diesen Komplott-Ulk nur einbildet
Die Auflösung werde ich hier natürlich nicht verraten und ich warne davor, im Netz danach zu suchen, denn das Vergnügen, welches die letzten Zeilen des Romanes bieten, ist zu köstlich, um es sich ver-spoilern zu lassen.
Lebhaft und abwechslungsreich gestaltet sich die Lektüre des Romans durch die Kombination von episodischen und verschachtelten Erzählens. Episodisch, weil wir Oedipa bei ihrer Queste begleiten (und das Buch bietet vergnügliche Auftritte von Durchgeknallten, Außenseitern und Exzentrikern); verschachtelt, weil immer wieder kürzere und längere Abzweigungen vom Hauptstrang genommen werden, z.B. wenn Abenteuerspielfilme des Kinderfernsehens, blutige jakobinische Theaterstücke parodiert, oder historische Ausflüge zur Tristero-Verschwörung dargeboten werden.
Sprachlich trumpft das Buch auf, indem es sowohl satirische Übertreibungskunst und slapstickhaftes Blöden meistert (z.B. wenn Oedipa sich mit dem Anwalt von Pierce Inverarity in einer zum Seitensprung ausartenden Motel-Nacht auf eine Partie Strip Botticelli einläßt und eine außer Kontrolle geratene Haarspraydose für totales Chaos sorgt), es auch vermag, die fragileren Tonlagen des Grübelns, Zweifelns und Sinn-Strebens der Heldin anzustimmen.
Gerade als Phantastik-Liebhaber bin ich hingerissen vom großen Geschick Pynchons für umfassende Metaphern, die sowohl blickerweiternd als auch desorientierend wirken, die offen und anknüpffreudig genug bleiben um mir als Leser Raum für eigene Deutungen zu gewähren, ohne dabei zu gängeln oder in die Beliebigkeit abzugleiten. Was kann und darf man sich mehr von einem kurzweilig zu lesenden Stück Literaur erwarten, wenn zugleich ernsthaft über die Herausforderungen des Lebens in der modernen Welt (oder des Mensch-Seins) erzählt werden soll?
Markant appeliert das Buch zu dieser Problematik dann an seine Leser, wenn eine Figur, der Bühnenkünstler Randolph Driblette, sagt (S. 85/86) …
{…} wer kümmert sich schon um Worte? Das sind nichts als Eselsbrücken {…} Die Wirklichkeit ist drin in diesem Kopf. In meinem. Ich bin der Projektor im Planetarium {…}
Groß war mein Vergnügen, als Kuppel für die Projektionen von Meister Pynchon zu dienen, dabei von ihm eingeladen und ermuntert zu werden, mein eigenes Licht leuchten zu lassen: innerhalb der kleinen sicheren Romanwelt von »Die Versteigerung von No. 49«, aber auch in der großen Welt der tatsächlich stattfindenden Kultur und Natur-Ereignisse.
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Lese-Empfehlungen: Blogs über Comics
Erstellt von molosovsky um 11:58
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Woanders
(Eintrag No. 537; Woanders, Literatur, Kunst, Comics) — Letztens frug Bloggerkollege Volker nach guten Comic-Blogs. Hier meine Tips zu deutschen Blogs, mit je drei extra von mir herausgepickten Kostprobelinks.
Aufg das Comic-Blog der F.A.Z. von Andreas Platthaus habe ich hier bereits hingewiesen.
Stefan Pannor, in einigen Foren mir als ›L. N. Nuhr‹ bekannt. Ist ein Edelblogger insofern, als dass er als Journalist, Übersetzer & Lektor seine Brötchen verdient. Steffan schrieb bereits …
• … über den Leo Malet-Krimisammelband »Paris des Verbrechens« mit dem Detektiv Nestor Burma (kein Comic, aber Burma-Krimis wurden durch Jaques Tardi überwältigend vergraphiknovelisiert, z.B. »120 Rue de la Gare«);
• … über »Insel Bourbon 1730« von Lewis Trondheim (Zeichnungen) & Appollo (Szenario);
• … über die deutsche Ausgabe von »The Invisibles« (Sammelband 1 von 5) von Grant Morrison (Text) und diversen Zeichnern.
›Irgendeine Userin‹ aus Hessen gestaltet das Blog »Ja! Es sind Comics!« (ehemals: »Mein Leben mit Comics und graphischen Novellen«), und dort gab es bereits erhellende Einträge …
• … über »Wanted« von Mark Millar (Text) & J. G. Jones (Künstler);
• … über den Vortrag »Geschichtserzählungen in Comics – Möglichkeiten und Grenzen eines Mediums« von Andreas Platthaus;
• … über »Lost Girls« von Alan Moore (Text) & Melinda Gebbie (Zeichnungen).
Vor kurzem habe ich Phil & Lamonts Comic-Kolumne entdeckt, und dort befinden sich feine Einträge z.B. …
• über »Der Turm« aus der Reihe »Die Geheimnisvollen Städte« von Francois Schuiten (Zeichnungen) & Benoit Peeters (Szenario);
• … über »Jonas Valentine« von Frank (und Bom);
• …über den ersten Sammelband von »Sandman Mystery Theatre: The Trantula« von Matt Wagner (Text) & Guy Davis (Zeichnung).
— Schade nur, dass seit Oktober 2007 keine neuen Beiträge eingepflegt wurden. Was ist los? Ist Euch doch nix passiert, oder? Macht weiter, bitte!
Der Comic-Neurotiker ist schon über 30 und hat nichts als Comics im Kopf. Ein Vorwurf für manche, aber nicht für mich. Empfehlen kann ich folgende Einträge …
• … über die Reihe »Donjon« von Lewis Trondhein (& Co.);
• … über »Une semaine de bonté« von Max Ernst (Hinweis für China Miéville-Freunde: die Surrealismuskunst von Max Ernst wurde von Miéville einige Male als Inspirationsquell für seine Bas-Lag-Romane genannt);
• … über Mike Mignolas Comicversion der klassischen Schwert & Magie-Fantasyabenteuer Fritz Leibers: »Fafhrd und der Graue Mausling«.
Freitag, 23. Januar 2009
Improscape: »Rambaldis Schneuztüchel«
(Eintrag No. 536; Grafimente, Improscape) — Klassischer Fall: Aufhören, bevor man eine Zeichnung vollkommen über den Abgrundrand hinausführt. So bleiben also bei folgendem Blatt viele Stellen vergleichsweise kahl und undefiniert. Aber immer noch besser als ein Totalabsturz. — Die heikle Wakelei um die Ausgewogenheit und Wimmiligkeit der Zeichnung ist dem Umstand geschuldet, dass ich mit einer kleinen Farbpalette hantierte (11 Töne, dabei nur ein Blau und ein Grün). Sooooo gut bin ich eben nicht, um dann locker nebenbei ein exzellentes Ergebnis zu liefern.
Gestern abend hat mein Kontostand zu mir gesagt, dass ich mir durchaus die komplette 48 (achtundvierzig!) Stifte enthaltende BrushPen-Box von Faber-Castell leisten kann. War das ein schönes Gefühl, das Böxli Heim zu tragen. Die Kollegen auf der Arbeit haben teilweise den Kopf arg geschüttelt; Andrea hat am Abend die Box mit Ehrfurcht gebührend bewundert. Wird also einiges auf Euch zukommen. Ab jetzt wird es Improscaopes auch in buntig geben (Huarhargh-Harrgharrrharharhar…)
»Rambaldis Schneuztüchel«: Beim »ALIAS«-Gucken nebenbei entstanden.
Ca. 220 x 220 mm; Faber-Castell PITT artist pen ›brush‹ No. 107, 112, 118, 120, 126, 169, 175, 184, 233, 272, 199 auf Brunnen Zeichenkarton; 20. und 21. Januar 2009, Frankfurt am Main.
Montag, 19. Januar 2009
Lesenswerte F.A.Z.-Blogs
(Eintrag No. 535; Woanders) — Nur kurz bescheidgegeben, dass es unter den vielen F.A.Z.-Blogs mittlerweile schon zweie {EDIT-Ergänz: 19. Juli 2009} dreie gibt, die ich gebookmarkt habe.
Da ist zum einen Andreas Platthaus mit seinem Comic-Blog, wo er z.B. über Tardis »Scheißkrieg!«, Manu Larcenet »Der alltägliche Kampf«, oder über die Eröffnung der Ausstellung »Superman & Golem« im Jüdischen Museum zu Frankfurt berichtet.
Und letzte Woche {Januar 2009} habe ich als Unterkunftsgastgeber am Rande die historische Entwicklung miterlebt, wie der notorische F.A.Z.-Schelterer Don Alphonso nun selber zum F.A.Z.-Blogger wurde, mit seinen »Stützen der Gesellschaft«, heute eröffnet mit dem Eintrag »Darüber spricht man nicht«. Allein der absatzlange Satz, welcher in der rechten Spalte das Blog-Thema zusammenfasst, ist göttlich. — Interessant, wie der Don in seinem eigenen Blog »Rebellenmarkt« die persönliche ›Misere‹ darlegt, wie er, für den F.A.Z. ein Feindbild ist, dazu kommt für eben dieses zu bloggen. — {EDIT-Ergänz:} Ganz furchtbar dringend unbedingt empfehlen muss ich den Eintrag »Herr Burda ist ein kunstsinniger Mann«.
Das neueste F.A.Z.-Blog in der Runde ist »Ding & Dinglichkeit« von Andrea Diener das vorgestern, am Freitag den 17. Juli online ging mit dem ersten Eintrag über »Die Ikone der Werktätigkeit: Der Spaten«. Ich bin schon gespannt, was da noch alles kommen wird!
Sollte die F.A.Z. noch weitere dolle Blogs einrichten, werden die hier ergänzt.
Improscape: »SD6 vs. CIA«
(Eintrag No. 534; Grafimente, Improvation) — Erste fertige Zeichnung im neuen Jahr, weshalb ich sie nicht weghau, sondern mal aufheb. Außerdem gehe ich Stift-mäßig fremd, bin also meinen geliebten Faber Castell-Stiftharem untreu.
Überhaupt nebenbei: habe entdeckt, dass es einen Faber Castell-Shop in Frankfurt gibt. Muss unbedingt mal hin. Kann ja nicht sein, dass Freund David mich immer in die Ecke protzt mit seiner BrushPen-Sammlung — (Hey David, falls Du das liest: Es gibt jetzt seit kurzem auch einen PITT artist pen brush BIG!)
Ach ja, hier die Angaben zum Bild:
»SD6 vs. CIA«: Stifttest Stylo MLJ20 auf Brunnenkarton; 230 x 250 mm;. Entstanden nebenbei während Gucken von »ALIAS« Staffel 1 — 17./18. Januar 2009, Frankfurt am Main.
Freitag, 16. Januar 2009
Otto Kallscheuer: »Die Wissenschaft vom Lieben Gott«
Eintrag No. 353 — Was die für mich bisher und ansonsten vorzügliche Reihe »Die Andere Bibliothek« angeht, so dachte ich bis jüngst, dass es da weder Mittelmäßiges noch gar Schlechtes gäbe. Nun aber bin ich eines besseren belehrt worden, denn zur Jahreswende habe ich mir »Die Wissenschaft vom Lieben Gott« von Otto Kallscheuer (wenn auch nur als Taschenbuch) gegönnt.
Vergnügt hat mich das Buch schon, auch und gerade indem es mich uffgeregt und genervt hat. Kallscheuer babbelt die meiste Zeit derart flappsig und kalauernd daher, dass ich mich frug, ob ich es hier mit einem (Möchtegern-)Komiker zu tun hab. Den glaubensverteidigenden Humorleistungen eines G. K. Chesterton kann Kallschauer jedoch nicht das Wasser reichen und so wirkt die Witzischkeit von »Die Wissenschaft von Lieben Gott« desöfteren mehr wie aufgesetztes Ornament, nicht wie tragende Struktur. Die besteht leider aus jenem (für mich Ungläubigen mal zutiefst unheimlich, mal putzig anmutendem) kirrem, sturem und treuherzigem Postulieren von Absolutismen, also ›Überdrübergehtnixmehr‹-ismen, welche unter dem exotisch und ehrwürdig klingenden Namen Theologie angeredet werden dürfen.
Theologie geht ja so: verleibe Dir möglichst viel von der Konkurrenz ein (antiker Philosophie, Heidentum, Volksaberglaube), steigere all das dann zum Besten, Größen, Herrlichsten, Mächtigsten usw. und wenn jemand dann auf die Fehler, Widersprüchlichkeiten und Unklarheiten aufmerksam macht, redet man sich raus mit dem Hinweis, dass über GOtt zu reden oder ihm gar mit Vernunftargumenten beikommen zu wollen eh eine Knieschußaktion ist, weil unsere menschliche Sprache zu unvollkommen, unser menschlicher Verstand zu begrenzt, unsere menschliche Existenz zu beschränkt seien, um sprechend, denkend oder seiend IHM, DER DA IST wirklichend gerecht werden zu können. Nur wer wahrhaft glaubt, kann der Gande zuteil werden, irgendwie und ungefähr GOtt zu erfahren und SEINE HERRLICHKEIT ein izzi-bizzi-wenig aber mystisch zu schauen.
Wer sich ordentlich über die Geschichte theologischen Denkens informieren will, kann sich das Buch sparen, denn es bietet weder eine historische noch eine thematisch sinnvolle Aufbereitung des monotheistisch-theologischen Denkens und Glaubens. Vor allem aus den ersten zwei Dritteln kann man aber durchaus erfahren, aus welchen Legosteinchen der Glaube an einen absoluten persönlichen Eingott zusammengesteckt wurde.
Die Verstiegenheit des Buches fasst sich im letzten Absatz selbst ganz prächtig zusammen, wenn es heißt, dass die Globalisierung, also die ethisch-politische Vereinigung zu einem Königreich, ein Projekt Gottes sei, inklusive der wissenschaftlich-technischen Erforschung und Durchdringung der Welt. — Das ist richtig gruselig, denn durch das Buch zieht sich als ein roter Faden (oder als Achse des Westlich Guten™???) die Lobpreisung eines gewissen Bildes vom geistig-philosophischen Westen (für Kallscheuer eben die Essenz der drei Monotheismen Judentum, Christentum und Islam). Hiermit ist eine Denkart gemeint, bei der es noch EINE höhere Zielgerichtetheit, EINE teleologische Schöpferabsicht in der Welt und für uns Individuen, eben EINE Wahrheit gibt. Entsprechend hat das Buch nur Spott und Schimpf für antike und moderne Phantasmen-Vielfältigkeiten übrig (ganz nach dem Gebot: »Du sollst kein Trugbild haben neben mir«), grämt sich über die Popularität von fernöstlichem, weichgewaschen-christlichen und pokulturll-beliebigen Glauben. Diskurse die wahrhaft kritisch zu werden drohen sind Kallscheuer abhold.
Zudem: Ulkige Fehler lassen sich finden. Kallscheuer zitiert zwar alle möglichen obskuren Katholen mit Inbrunst, aber aus dem ägyptischen, einen Falkenkopf tragenden Gott Horus macht er einen ›Stiergott‹ (S. 161), und aus Hergé, dem Schöpfer von Tim & Struppi, wird ›Hervé‹ (S. 386).
Das Buch bietet auch Lobenswertes: da ist als erstes der dialogische Aufbau des Textes zu nennen, welcher im Großen und Ganzen für eine lockere Lesbarkeit sorgt (ein paar Kapitel gehen trotzdem wegen ihrer eintönigen »GOtt ist groß«-Formelhaftigkeit schwer runter); dann ist der Spott und die Schimpfe, die Kallscheuer den ganz engsternigen (Un-)Glaubensgenossen angedeien läßt, erfrischend zu lesen, und so genoß ich die verbalen Kopfnüsse und Brennesseln gegenüber Kreationisten, Wohlfühl-Esotrikern und Bequemlichkeits-Atheisten; und drittens amüsiert das Buch streckenweise mit seinen begeisterten Science Fiction- und Fantasy-Einlagen, wenn zum Beispiel quantentheoretische Multiversum-Spekulationen, oder freakige Jesutien-SF über den Omegapunkt der Evolution referiert werden.
Am meisten auf den Wecker gegangen ist mir allerdings die Art, wie Kallscheuer sich selbst in seinem Dialog immer wieder das Wort verbietet, ja geradezu anherrscht, nur bis hier und nicht weiter zu spekulieren, zu fragen, und also das Maul zu halten:
»Lassen wir das! Das wäre schon wieder eine andere Debatte {…} Ihre Frage ist ja sinnvoll, aber hier muß ich die Notbremse ziehen {…} Darum lassen wir hier die Finger davon, mon cher {…} Halt! Zu diesem Punkt entziehe ich Ihnen (und mir) das Wort {…}«
Nene, von einem guten Sachbuch erwarte ich anderes.
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Otto Kallscheuer: »Die Wissenschaft vom Lieben Gott. Eine Theologie für Recht- und Andersgläubige, Agnostiker und Atheisten« 486 Seiten, XVIII Kapitel; Die Andere Bibliothek, 2005 (gebunden), ISBN: 978-3-821-84561-6; — Piper, 2008 (Taschenbuch) ISBN: 978-3-492-25221-8
Donnerstag, 8. Januar 2009
Ist das die Zukunft?: Pynchon, der mysteriöse Mann
Erstellt von molosovsky um 10:22
in
Woanders
(Eintrag No. 352; Comic, Woanders, Literatur) — Mal was kleines, albernes für Zwischendurch. Im vergangenem Jahr bin ich, als begeisterter Wanderer durch den fetten Roman »Gegen den Tag«, ja unter die Pynchonianer gegangen. Toooodsicher werde in den kommenden Monaten und Jahren auch noch die fünf Vorgängerromane (und den einen Kurzgeschichtenband) dieses ungebändigten Rundum-Erzphantasten verköstigen. — {Ergänzung: Vor ein paar Minuten habe ich die englische Ausgabe von »The Crying of Lot 49« beendet. Ist schon enorm, was dieses dünne Büchlein da leistet, noch dazu weil die alten Thurn & Taxis hier als Partei eines sinisteren Kräftemessen auftreten dürfen. Kann diesen kürzesten Pynchon mit gutem Gewissen als Einstiegslektüre in die einzigartige Prosawelt dieses Meisters empfehlen. Nicht vergessen: zieht vielleicht ein bischen mehr an, wenn ihr euch auf eine Runde Strip Botticelli einlasst.}
Im Zuge meiner Pynchon-Begeisterung bin ich über die Reihe »Is This Tomorrow?« von Kelly Shane & Woody Compton gestolpert. Die beiden betreiben ihre lobenswerte Seite mit Pikto-Literatur seit 14. Juli 2003.
Hier nun meine (schnelle) Übersetzung der Folge vom 21. Juli 2003, welche eben Thomas Pynchon gewidmet ist.
Kästchen 1; Oben: Thomas Ruggels Pynchon Jr. wurde am 8. Mai 1937 geboren. Berühmt für seine Zurückgezogenheit sind nur wenig biographische Informationen über einen der vielleicht wichtigsten Autoren des 20. Jahrhunderts bekannt.
Bild: {Schild} Auf Sendung
{Sprechblase} Danke, Musikliebhaber!
Unten: Jedoch soll er mal den Bandleader Spike Jones, den King of Corn, als frühen Einfluss genannt haben.
Kästchen 2; Oben: Es gibt nur wenige bekannte Photographien des Schöpfers von »Die Versteigerung von No. 49«, »Die Enden der Parabel« und »Mason & Dixon«, und alle zeigen ihn als jungen Mann.
Unten: Man vermutet, dass der Autor sich nach der Veröffentlichung seines Debut-Romans »V.« 1963 die Zähne richten ließ.
Kästchen 3; Oben: Es wird gemunkelt / dass Pynchon in den 60ern-Jahren einmal / Torten im Wert von 50$ erwarb / und eine Tortenschlacht vom Zaun brach.
Bild: Don’t fuck with the rocketman {Deutsch im Original: Fickt nicht mit dem Raketenmensch.}.
Unten: Er war auch dafür bekannt, in dieser Zeit ein kleines Plastikschwein bei sich zu haben.
Kästchen 4; Oben: In einem Playboy-Artikel schrieb der Autor Jules Siegel, dass Pynchon / ganz versessen war auf die Shirley Tempel-Nachahmung / von Siegels Ehefrau.
Bild: On the go-go-od ship lollipop …
Unten: Das ähnelt einer Szene in »Die Enden der Parabel«. / Siegel behauptet auch, / dass Pynchon eine Affäre mit seiner Frau hatte.
Kästchen 5; Oben: Pynchon ließ den ulkigen Professor Irwin Corey den National Book Award für »Die Enden der Parabel« in Form einer komischen Stehgreifnummer entgegennehmen.
Bild: … akzeptiere ich diese finanzielle Verfügung – ah – das Stipendium im Namen von, uh, Richard Python für seinen großen Beitrag, und um einige der Geschosse die er geliefert hat zu ziteren …
Unten: Während Corey sprach / flitzte ein nackter Mann / über die Bühne.
Kästchen 6; Oben: 1994 wollte die John Larroquette Show eine Referenz bezüglich einer Pynchon-Sichtung und kontaktierte deswegen den Agenten des Autors.
Unten: Pynchon ließ ausrichten, man solle ihn beschreiben als jemanden, der ein T-Shirt trägt auf dem ein Bild der TX Rocklegende Roky Erikson aus Austin zu sehen ist.
Samstag, 3. Januar 2009
Fantasyfinanzen
(Eintrag No. 531; Gesellschaft, Geld, Großraum-Phantastik) — Große Freude macht mit ein aktuelles Interview mit Peter Sloterdijk, dessen Bücher ich ja, wie die Freunde der Molochronik wissen, durchaus sehr zu schätzen weiß. Sloterdijk ist ja gern und oft mal mit einem Kommentar in den Medien zu Stelle, und diesmal erklärt er uns den Zusammenhang zwischen dem Platzen der Finanzwirtschaftsblase und der Fantasy. Im Ernst. Es sind genau solche großen Zusammenhänge zwischen Weltbild-Illusuion und die aus ihnen folgenden knallhart durchgezogenen Praktiken der Gestaltungs- und Deutungsmächtigen, weshalb ich dafür eintrete, den Phantastikbegriff wieder in den politisch-gesellschaftlichen Diskurs zu holen.
Peter Sloterdijk: Die Finanzkrise hat ihren Grund in technischen Fehlern der Zentralbanken. {…} Was wir heute erleben, ist eine Folge davon, dass sich die Inflationisten beziehungsweise die Schuldenakrobaten auf ganzer Linie durchgesetzt haben. {…}Die heutige Wertekrise ist das Werk grauer Bürokraten, die meinen, man könne dem Verlust an Vertrauen mit der Emission von Scheingeld abhelfen.
{…}
SZ: Stimmt. Und alles geschah im Zeichen des neoliberalen Glaubens an die problemlösende Macht des Marktes ...
Peter Sloterdijk: In Wahrheit im Namen eines magischen Weltbilds. Der eigentliche Held des Neoliberalismus ist Harry Potter.
SZ: Wie bitte das?
Peter Sloterdijk: Weil die Potter-Romane die Fibel einer Welt ohne Realitätsgrenze darstellen. Sie überredeten eine ganze Generation, den Zauberer in sich zu entdecken. Das englische Wort Potter bedeutet übrigens »Töpfer«, einen Handwerker, der Hohlkörper verfertigt. Nur Verlierer glauben heute noch an die Arbeit, die Übrigen betreiben magische Töpferei und lassen ihre strukturierten Produkte fliegen.
SZ: Weil sie keinen Inhalt haben können?
Peter Sloterdijk: Doch, sie müssen sogar Inhalt haben, aber nicht als Selbstzweck! Gefäße sind Medien, die aufnehmen, um abzugeben. Martin Heidegger hat in einer tiefsinnigen Betrachtung über das Wesen der »Dinge« am Beispiel eines Kruges ausgeführt, wie der seine Funktion nur in dem Maß erfüllt, als er hohl ist, mithin gefüllt werden kann. Was er erhält, gibt er in der Gebärde des Schenkens weiter. Der moderne Mensch hat den Schnabel des Kruges verstopft. Da fließt nichts mehr hinaus, das geht auf Dauer nicht gut.
SZ: Weshalb wir lieber mit dem Zaubern aufhören sollten?
Peter Sloterdijk: Zaubern ist eine Tätigkeit, die das Verhältnis von Ursache und Wirkung verdunkelt. Die Verwirrung beginnt, wenn die Wirkung die Ursache maßlos übertrifft — ökonomisch gesprochen, wenn der Profit in keinem Verhältnis mehr zur Leistung steht. Genau diese Unverhältnismäßigkeit prägt die Grundstimmung der vergangenen Jahrzehnte. Zahllose wollten aus einer Wirklichkeit aussteigen, in der man für 40 Stunden Arbeit pro Woche kaum ein Durchschnittseinkommen erreicht, während man durch ein paar Stunden Magie in die Runde der Superreichen aufgenommen wird. Wir haben eine gefährliche Rechenart erfunden. An die Stelle von prosaischen Gleichungen treten wunderbare Ungleichungen. Das ruiniert den Sinn für Adäquation.
Was Sloterdijk und die SZ hier freundlich als ›zaubern‹ umschreiben, kann man auch schlicht als ›Beschiss‹, ›Nepp‹ und ›Bauernfängerei‹ bezeichnen. Da wird mit viel Tam-Tam und Marketingbeschwörungen mit einem Kapitalanlage-Zylinder herumgefuchtelt, will man dann aber in den Zylinder langen, findet sich kein Kaninchen mehr. Nix. Nada. Alles verpufft bis auf das, was die Trickser dem Publikum abgreifen konnten.