molochronik
Dienstag, 5. Februar 2008

Kugelschreiber-Impro

(Eintrag No. 460; Grafimente, Improvisation, Skribbel) — Heute mal was Blaues. Diese Impro entstand bei einer total öden Schicht als lebender Telephonanrufbeantworter in der Frankfurter Manpower-Zentrale.

»Bic«-Kugelschreiber im »Object of Beauty«-Tagebuch (No. XVI). Ca. 130 x 98 mm; 17. Februar 1999; Ffm.

Kugelschreiber-Impro vom 17. Februar 1999
Montag, 4. Februar 2008

»Peter’s Friends« & Hugh Laurie als Fabulator

(Eintrag No. 459; Film, Woanders, Phantastik & Komödie, Geheimagent) — Heute habe ich mich zum Jubel von Oli über »Peter’s Friends« in seinem Blog dazugesellt. Im Folgenden mein Kommentar von dort, plus einer kleinen Kostprobe des zum Niederknien dollen Räuberpistolen-Romanerstlings von Hugh ›Dr. House‹ Laurie.

Abgesehen vom Spaß den »Peter’s Friends« für’s Publikum bietet, finde ich, dass dieser Film (wie auch einige vergleichbare Werke von Woody Allen) jedem selbst-kreativen Phantasten als beherzigenswerte ›unphantastische‹ Inspiration dienen kann. Hier gibts keine Magie, nichts Wundersames, keine Gadgets, aber eben erfrischend, schockierendes, komisches, absurdes und weises Geschmenschel hochkonzentriert. — Unter anderem die Latte, die dieser Film vorlegt läßt mich (noch) zögern, selber als Fabulatur (professionell) hervorzutreten. Wenn, dann würde ich selbst zu gerne etwas vorlegen können, was Ernst und Alberei wunderbar versöhnt wie »Peter’s Friends«. Allein die Idee, wilde (Genre-)Phantastik zu betreiben, die aber zugleich so berührend einfach nur vom Auf und Ab des ›Person-Sein‹ erzählt, treibt mich seit Jahren um.

Im weitesten Sinne des Wortes ›Phantasie‹ (= sehen machen, erscheinen lassen) finde ich nämlich solche menschlich, allzu menschlichen Dramen überaus ›phantastisch‹, denn in bester Theatermanier werden hier unsichtbare, innere Vorgänge (Ängste, Hoffnungen, Irrungen und Überzeugungen) anschaulich gemacht.

Und nicht zuletzt brilliert Branagh ja auch mit seiner Regie, bzw. bietet der Film atemberaubende (Steady Cam-)Bildarbeit, z.B. bei der großen Ankunftsszene auf der Eingangstreppe zu Peters Haus.

Was Branaghs Ruf und Stellung angeht: an den Vorwürfen, dass dieser umtriebige irische Energiebolzen an einer übergroßen Portion Eitelkeit krankt, ist ja was dran; und auch, dass er nicht immer ein gutes Händchen bei seinen Projekten hatte. Ich für meinen Teil aber verzeihe diese Schwächen gerne einem, der es immer wieder so gut versteht seine Zuschauer mit seiner Begeisterung anzustecken. Wo ich echte Leidenschaft zu spüren meine, bin ich milde mit Kritik.

Und natürlich ist dieser Film für mich Kult, weil Hugh Laurie hier als Mundtrompeter brilliert.

Apropos Laurie: sehr empfehlenswert ist dessen (ich glaub) bisher einziger Roman »Der Waffenhändler« (antiquarisch als Haffmans-Buch zu haben; gut übersetzt von Ulrich Blumenbach! Aber was die Preise angeht, spinnen die Damen/Herren Anbieter da wohl derzeit heftig. Neuauflage als Taschenbuch tut Not, liebe Inhaber der deutschen Rechte.)

Mit »Der Waffenhändler« (»The Gun Seller«) reicht Laurie seinen Lesern einen betörenden Mix aus James Bond und P.G. Woodehouse, wenn Thomas Lang, Ex-Geheimagent, in eine üble Intriegenkiste verstrickt wird und sich zudem noch in die Tochter des Kerls verliebt, den er killen soll.

Da der Roman ja dereit schwerst vergriffen ist, hier als Trost und Probestückerl der Anfang:

Stellen Sie sich vor, Sie müssen jemandem den Arm brechen.
Den rechten oder den linken — spielt keine Rolle. Wichtig ist, Sie müssen ihn brechen, denn wenn nicht … egal, das spielt auch keine Rolle. Sagen wir einfach, wenn nicht, passiert etwas Furchtbares.
Nun frage ich Sie: Brechen Sie den Arm schnell — knacks, hoppla, ‘tschuldigung, kann ich ihnen beim improvisierten Schienen behilflich sein —, oder ziehen Sie die Sache genüßlich in die Länge, erhöhen ab und zu in winzigen Stufen den Druck, bis der Schmerz rosa und grün und heiß und kalt und ganz generell brüllend unerträglich wird?
Jawohl. Genau. Das Richtige, das einzig Richtige ist, daß Sie es möglichst schnell hinter sich bringen. Brechen Sie den Arm, holen Sie den Brandy, seien Sie ein guter Bürger. Eine andere Antwort gibt es nicht.
Außer.
Außer außer außer.
Was ist, wenn Sie die Person am anderen Armende hassen? Und ich meine hassen, richtig hassen.
Diese Überlegung mußte ich jetzt in Betracht ziehen.
Sonntag, 3. Februar 2008

Neu-York, oder »Berlin am Hudson«

(Eintrag No. 458; Woanders, Kunst, Alternativwelt) — Man stelle sich vor, dass die Nazis nicht nur in Europa gesiegt (wie das wäre, kann man z.B. im Alternativwelt-Krimi »Vaterland« {1992} von Robert Harris lesen), sondern auch jenseits des Atlantiks Nordamerika eingeheimst hätten ins Roich.

Die Künstlerlin Melissa Gould hat sich dazu am Beispiele eines ›Neu-Yorks‹ en detail alle Mühe gegeben diese ›schauderhafte kontrafaktische Vorstellung‹ zu veranschaulichen. Sie hat alte Karten von New York genommen und die tatsächlichen Namen durch Bezeichnungen alter Karten von Berlin ersetzt.

Das ist dann…

…an exploration of psychological transport, place, displacement and memory. This re-imagining of the city plays with comparison and misrecognition, exploring the coexistence of past and present, fiction and reality.
…eine Erforschung psychologischer Verfrachtung, Orte, Fehlplatzierungen und Gedenkinhalte. Diese Neu-Imaginierung der Stadt spielt mit der Vergleichbarkeit und dem Nicht-Wiedererkennen, ergründet so die Gleichzeitigkeit von Vergangenheit und Zukunft, von Fiktion und Wirklichkeit.

Stegreif-Übersetzung von Molo.

Hier zur Seite des Projekts »Neu-York«, mit 21 Detailansichten, Projektbeschreibung, einem Englisch-Deutschen und Deutsch-Englischen Index, Gästebuch und der Möglichkeit einen Druck der Karte zu kaufen (derzeitiger Preis: 2500 US$).

Gefunden im »Strange Maps«-Blog; darauf aufmerksam geworden durch Neil Gaiman.

Portrait: William Beckford

(Eintrag No. 457; Portrait, Literatur, »Bibliothek von Babel«-Autor) — Ein großer Exzentriker vor dem Herren, der gute William. Fällt aber auch leicht, wenn man als Teen zum Alleinerbe eines wahnwitzigen Vermögens wird. Dennoch: trotz meines immer lauernden Sozialneides ein Bursche, der meine Sympathien hat. — Hier er wird demnächst näher behandelt, wenn ich mich in meiner 5. Babel-Wanderung seinem »Vathek« widme.

William Beckford
Samstag, 2. Februar 2008

Jaques Cazotte: »Der verliebte Teufel«

VIERTE FOLGE VON MOLOS WANDERUNGEN DURCH »Bibliothek von Babel«-Banner, klein. DER BÜCHERGILDE GUTENBERG

Jaques Cazotte (1719 - 1792 guillotiniert). Klick auf das Bild führt zu einer größeren Ansicht des Portraits.Eintrag No 456Entgrenzter Beginn: wie sehr treibt mich die Sehnsucht, mich immer und immer wieder der süßen Illusion hinzugeben, ich könne mich zurücklehnen, die Welt wie ein Gemälde betrachten, und zugleich hineinfallen lassen, mit all dem mitempfinden, was sich da im Laporello meines Panoramablicks tummelt. Ich weiß, dass diese Spielart des ›Kuchen essen, und Kuchen behalten‹ ein Ding der Unmöglichkeit ist. Aber es ist diese Spannung, dieses Pendeln, was mich auf Trapp hält bei all meinen Wanderungen durch die Gefilde der Literaturen, Künste, Medien: einerseits der Schönheitsrausch angesichts der Vielfalt und Seltsamkeit der Erscheinungen des Universums, andererseits die Skepsis gegenüber den Verlogen- und Beschränktheiten des Menschen (inklusive meiner eigenen Person).

Ein hilfreicher Rat gegen die Gefahren eines enthemmten Holismus scheint mir da das Sprüchlein: »Der Teufel steckt im Detail«[01], besonders dann, wenn mensch interpretiert. Es ist bestimmt keine exzentrische Übertreibung, wenn ich als Liebhaber der phantastischen Künste der Meinung bin, dass gerade die Phantastik manniglich zu schaffen hat mit einem besonders verknotungs- und verirrungsgefährdetem Gefizzel beim Auseinanderklamüsern von Wahrheit und Lüge, Illusion und Ent-Täuschung, richtig- und daneben-liegen beim Interpretieren. — Ein kleiner Zitatenkranz als Einstimmung.

In meiner ersten Wanderung durch die von Jorge Luis Borges zusammengestellte Anthologiereihe habe ich mittels eines Schlenkers auf Ecos Roman »Der Name der Rose« ein Beispiel für eine harsche Weisung zu Problemen der Wahrheitsnavigation gegeben:

Wer zweifelt, wende sich an eine Autorität, befrage die Schriften eines heiligen Vaters oder Gelehrten, und schon endet jeder Zweifel.

Diese Art von streng hierarchischer Formatierung der Zugänge zur Wahrheit ist charakterisch für vormoderne Gesellschaftsverfassungen. Und wiederum bei Eco (in seinem Vortrag »Mögliche Wälder«) fand ich eine exemplarische Aussage dazu, was nun den Umgang mit Wahrheitsspannung seit dem Aufbruch der Moderne, spezieller, seit dem Anheben des pluralistischen Spiels der erzählenden Fiktionen betrifft, wenn er auf den Punkt bringt:

Indem wir Romane lesen, entrinnen wir der Angst, die uns überfällt, wenn wir etwas Wahres über die Welt sagen wollen.

Bereits ganz und gar weltliche Äußerungen über die Welt, über Vergangenheit und Zukunft und andere nicht(an)fassbare Phänomene wollen da auf ihren Wahrheits- und Vorgaukelei-Gehalt abgeklopft werden. Wie arg potenziert sich diese Notwendigkeit aber erst, wenn wir das Gebiet der Phantastik betreten? Die sich dabei (nicht für alle locker zur lustvollen) Spannung aufschaukelnden Bredoullien des Durchblickenwollens, umschreibt Ludwig Wittgenstein ganz treffend, als er schrieb[02]:

Die Sprache verkleidet den Gedanken. Und zwar so, daß man nach der äußeren Form des Kleides, nicht auf die Form des bekleideten Gedankens schließen kann; weil die äußere Form des Kleides nach ganz anderen Zwecken gebildet ist als danach, die Form des Körpers erkennen zu lassen.
Die stillschweigenden Abmachungen zum Verständnis der Umgangssprache sind enorm kompliziert.

»Bibliothek von Babel«, Band 6: »Der verliebte Teufel« von Jaques Cazotte; Edition Büchergilde Gutenberg; Umschlagszier von Bernhard Jäger.Zu den stillschweigenden Abmachungen bei Interpretationen gehört im Allgemeinen, dass man sich Werke nicht zurechtbiegt, oder dass man sich nicht nur jene Stellen aus ihnen herauspickt, die zur eigenen Sicht der Dinge passen (oder zumindest, dass man derartig einseitigen Beispiel-Gebrauch eingesteht und erklärt). Gemäß einer der (leider) immer noch einflußreichsten Theorien zum ›Phantastischen‹, Tzetvan Todorovs »Einführung in die fantastische Literatur«, liegt

… das Fantastische im Moment der Ungewissheit …

und dabei wird Jaques Cazottes bekanntester Text als Beispiel für typische ›fantastische Literatur‹ im Todorov-Sinne herangezogen[03].

Für mich dabei Ärgernis: alle Beispiele die Todorov aus Cazottes »Der verliebte Teufel« pflückt, stammen aus Abschnitten des späteren Verlaufs des Buches, in denen sich der Held der Erzählung, der junge Adelige Alvares, tatsächlich nicht ganz sicher ist, ob seine aufgegeilten Sinne nur verrückt spielen und ihm die wildesten Einbildungs-Streiche spielen, oder ob die junge Verführerin Biondetta wirklich der Leibhaftige in Frauengestalt ist. — Ja, Alvares mag sich sich ungewiss sein, aber als Leser bin ich’s nicht einen Moment und wundere mich, wie Todorov die deutlichen Hinweise auf den wundersamen, märchenhaften Charakter der Erzählung unter den Teppich kehrt. Der Roman beginnt immerhin damit, dass Held Alvares in Neapel bei einem lockeren Abend mit Wein und Plausch die Bekanntschaft mit von Alchemie und Geisterbeschwörung raunenden Fremden macht. Im zweiten Kapitel begibt man sich in die nahen Ruinen von Portici und mit Kerzen, Zauberkreisen und Beschwörungsformeln zitiert Alvares den Anleitungen der Fremden folgend Beelzebub herbei, und für mich gibt es hier keine Ungewisseheit darüber, ob der Text lediglich ein Scharadenspiel schildert, oder ob tatsächlich Magisches geschieht. Ein Fenster des Gewölbes öffnet sich und[04]

… ein Lichtstrom bricht durch die Öffnung, glänzender als das Tageslicht; ein Kamelskopf, ebenso scheußlich durch seine Dicke wie durch sein Aussehen, zeigt sich am Fenster; übergroß sind seine Ohren. Das häßliche Gespenst öffnet seinen Rachen und antwortet in einem der übrigen Erscheinung angemessenem Tone:
»Was willst du?«

Und zauberhaft-grotesk geht’s wenige Zeilen später weiter, als[05]

… das anstaunenswürdige Kamel seinen sechszehn Fuß langen Hals aus{reckt}, sein Haupt in die Mitte des Saales {neigt} und ein weißes Löwenhündchen mit feiner, glänzend-seidener Wolle aus{spie}…

Der Hund spricht dann auch noch, und statt seiner steht dann plötzlich ein junger Page am Ort der Teufelsbeschwörung. Der Page ist eigentlich ein junges Mädel (Biondetta eben), das Mädel ist eigentlich eine Sylphe, ist eigentlich der Teufel.

Freilich kann man diese Teufelsbeschwörung und die damit zusammenhängenden Okkult-Fuzzis unter anderem auch als Metapher lesen. Die gewagteste Deutung dazu von mir läßt mich an Mädchenhandel denken. Aber ausdrücklich nahegelegt wird diese oder andere Deutungen, die Zauberhaftes ausschließen und stattdessen tatsächliche Echtweltmacheleukes als Erklärung nahelegen, nicht. Dazu gleich mehr.

Entsprechend gepfeffert war eine Retourkutsche des polnischen Phantasten Stanislaw Lem gegen Todorovs strukturalistische Zurechtbiegung in »Science Fiction Studies«. Lem greift in seinem Essay dabei selber — mit phantatischem, also verdeutlichenden, ›sehen machenden‹ Kniff — auf eine Metapher zurück, nämlich ›das Bett des Prokrustes‹ und mokiert sich zurecht über die äußerst enge Kropusauswahl, auf die Todorov seine Thesen zum ›fantastischen Genre‹ stützt.

Hinfort nun mit diesem kleinteiligen Einblick in das Hin- und Her zum Nutzen und Übel von über’s Ziel hinauspreschendem Strukturalismus und entsprechend polemischem Zurückgegrunze, und lieber hingewandt zu der ertragreichen und fruchtbaren Internet-Ressource des Romanisten Erich Köhler, der sich in seinen »Vorlesungen zur Geschichte der französischen Literatur« (Aufklärung, Teil II, Hrsg: Dietmar Rieger; Seite 111 bis 120) mit Umsicht und Einsicht Jaques Cazottes verliebtem Teufel widmet.

Dort kann man lernen, dass Cazotte als Monarchist und gläubiger Kathole zwar ein streitbarer Gegner der Aufklärung (insbesondere Voltaires) und der Französischen Revolution war, dass er aber als Künstler und phantastischer Hallodri durchaus genug Eigenwilligkeit im Blut hatte, um mit »Der verliebte Teufel« ein Werk vorzulegen, dass sich als Übergangsbrückchen zwischen die älteren Märchenerzählungen (Conte merveilleux) und den sich neuerdings aufmachenden phantastischen Erzählungen der Romantik deutschen Schlages (Conte fantastique) positioniert. Zudem ragt »Der verliebte Teufel« als anti-aufklärerisch-philosophische Erzählung (Conte anti-philosophique) hervor.

Dazu eine kleine Interpretationsphantasie von mir: Sehr deutlich klingt bei Cazotte an einer Stelle an, dass es einst die Mathematik war, deren Ausraffinierung für das Finanz- und Versicherungswesen binnen einer Genration während der Renaissance dafür sorgte, dass die Astrologie vom wahrscheinlichkeitsberechnenden Risikomanagements verdrängt wurde[06]. Das liest sich dann so, wenn Alvares sich mit Biondetta syphilischer Expertise im Casino vergnügt[07]:

Nichts in der Welt geschieht zufällig. Alles war und ist eine Folge notwendiger Berechnungen, welche nur die Wissenschaft der Zahlen verstehen lehrt, deren Grundsätze so abstrakt und so tief sind, daß sie einen Lehrer erfordern, den man auffinden und sich zu eigen machen kann.

Bei Erich Köhler erfährt man desweiteren genaueres über die von Cazotte in im Nachwort nur angedeuteten zwiefachen allegorischen Schichtung von »Der verliebte Teufel«. Zum einen schildert die Erzählung da, auf der Ebene der individuellen Person, den Kampf der Tugenden und Laster um die Seele von Don Alvares, was in der Sprache der mittelalterlichen Gelehrsamkeit ›Psychomachia‹ genannt wird; und zum anderen, auf der Ebene der gegeneinander strebenden gesellschaftlichen Kräfte, versucht Cazotte das Hauen und Stechen der alten, sich im Rückzugsgefecht befindlichen Ordnung (kirchliche und aristokratische Authorität mit ihren Glaubens- und Offenbahrungswahrheiten) gegen die neuen, aufstrebenden weltlichen Tendenzen der Aufklärung (Bank- und Handelswesen, Empirie, Naturwissenschaft, Pluralität mit ihren klassenübergreifenden Lustbarkeiten) zu fassen.

Nicht zuletzt aber hat mich, trotz der ideologischen Gräben die Cazotte und mich trennen, der blumige Zauber indirekt zur Sprache gebrachter Erotik und wild wallender sinnlicher Begierden begeistert, der (im schönsten Sinne) leidenschaftliche Schwulst des Buches. Da wird ›Ach‹ und ›Oh‹ geseufzt und gestöhnt, da zupfen Whippets gar sehr bedeutungsschwanger an Männerröcken und wird mit einer metaphorischen Lust (wenn auch für heutige Zeiten empörend einfältig) über die Rollenbilder von Männlein und Weiblein fabuliert, dass man das Spitzentüchelchen rausholen möchte um sich Luft zuzufächeln. Nicht immer tönt das dann anachronistisch oder flasch, zum Beispiel wenn Ich-Erzähler Alvares sinniert:

Der Mann entstand aus Ton und Wasser. Warum das Weib nicht aus Tau, Dünsten, Lichtstrahlen, aus einem verdichteten Regenbogen? Was ist möglich, und was ist es nicht?

In diesem Sinne wünsche ich den aus Regenbogendunst gepressten Molochronik-Lesern ein schönes Wochenende.

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ANMERKUNGEN:

[01] »Der liebe Gott steckt im Detail – Mikrostrukturen des Wissens«, so nannte der Kunstgeschichtler und Kulturhistoriker Aby Warburg 1925 seine Hamburger Vorlesungen, und irgendwer hat fluggs den entsprechenden Austausch von ›Gott‹ mit ›Teufel‹ getätigt. Vielleicht ringen die beiden ja ›im Detail‹ miteinander, so wie die zwei mythologischen Wölfe, ein guter und ein böser, laut den Legenden nordamerikanischer Indianer im Herzen eines Mannes miteinander ringen. — Zur Bedeutung von Details siehe auch: John Irving: »Witwe für ein Jahr«, bzw. die Verfilmung dessen erster Hälfte »The Door in the Floor«It's the small details. ••• Zurück
[02] »Tractatus logicus-philosophicus« (1918, erschienen 1921), edition suhrkamp, 23. Auflage 1992, Seite 32.••• Zurück
[03] »Einführung in die fantastische Literatur« (fr. 1970; dt. 1972), Kap. 2 »Definition des Fantastischen«. Freilich kann man aus Todorovs Großgedankenspiel-Vorlage durchaus Nützliches machen, wie Simon Spiegel mit seinem Buch »Die Konstitution des Wunderbaren – Zu einer Poetik des Science Fiction Films« (2007) beweist. In meiner Empfehlung dort biete ich auch einen kurzen Überblick zu Todorov durchaus orientungsspendender Phantastik-Einteilung in die fünf verschiedenen Geschmacksrichtungen (i) Reine Phantatsik; (ii) Phantastisch-Wunderbares; (iii) Phantastisch-Unheimliches; (iv) Unvermischt Wunderbares und (v) Unvermischt Unheimliches. — Die Gleichung ›Fantastik = Ungewißheit‹ erscheint mir zudem sprachlich ungeschickt, weil es z.B. mit ›Ambivalenz‹ einen viel gebräuchlichern Begriff für die Schwebe des Unentschiedenen gibt. ••• Zurück
[04] »Der verliebte Teufel« dritte Fassung von 1776, Büchergilde Gutenberg, S. 21. — Nebenbei: »Babylon 5«-Freunde werden das Böse erkannt haben an seiner typischen Verführungsfrage, wie in der SF-Serie die ›Shadows‹ stellen. Die Guten fragen dort ja: »Wer bist du?« Und beide bekommen ja dann für ihre ideologische Verbohrtheit von den Menschen gehörig die Leviten gelesen. ••• Zurück
[05] Ibid. S. 23. ••• Zurück
[06] Mehr zu diesem gigantischen aber etwas im okkulten dümpelden Epochenwendethema findet sich abenteuerlich aufbereitet in Neal Stephensons »Barock Zyklus«, wenn der jesuitische Agent de Gex im Band »System of the World« (Heyne Manhattan, angekündigt für Herbst 2008) über die alle Hierarchien auflösenden Kräfte des Kommerzes flucht; und erzähl-philosophisch aufbereitet in Peter Sloterdijks »Die letzte Kugel – Zu einer philosophischen Geschichte der terristsichen Globalisierung« in »Sphären II – Globen« (Suhrkamp 1999), erweitert gesondert erschienen als »Im Weltinnenraum des Kapitals« (Suhrkamp 2005). Auch der leider immer noch zu sehr übersehene Wolf von Niebelschütz kommt in seinem galantem Roman »Der Blaue Kammerherr« (Suhrkamp 1949), mit einer schwummrig machenden Passage auf das Getrickse fiskalischer Zahlen zu sprechen, im vierten Band »Die Bürgerin Valente«, dort im elften Kapitel (»Der Traum vom Brunnenschacht, plutonisch«). ••• Zurück
[07] »Der verliebte Teufel«, Büchergilde Gutenberg, S. 49. ••• Zurück
Donnerstag, 31. Januar 2008

»Ausgeguckt«

(Eintrag No. 455; Grafimente, Skribbel) — Folgende Zeichnung entstand am gleichen Tag & auf dem gleichem Blatt wie der »Kubikmensch«. Nebenbei: ich hab ja seit in etwa ohngefähr 15 oder 17 Jahren keinen TV-Anschluß mehr (guck aber ganz gern DVD-Serien, gewisse Verleihungen bei Bekannten und hör ansonsten viel Radio, vor allem Wort- & Klassik-Sender).

»Ausgeguckt«, 85 x 66 mm; Rotring Art Pen ›M‹ & ›S‹ in große Chinakladde, 17. April 2004, Frankfurt/M.

»Ausgeguckt«
Mittwoch, 30. Januar 2008

Die Sau zeigt nicht genug Ehrfurcht vor den Göttern!

(Eintrag No. 454; Gesellschaft, Religion, Kritik, Großraumphantastik, Deutungshickhack, Infowar) — Auf der Frankfurter Buchmesse letztes Jahr habe ich bereits hochvergnügt darin geblättert und hätte es ja gerne fürmeine Sammlung respektloser Bilderbücher: »Wo bitte geht’s zu Gott? fragte das kleine Ferkel«von Michael Schmidt-Salomon (Text) und Helge Nyncke (Illustration), erschienen im Alibri Verlag.

Aber — Himmel hilf! — das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend will das Werk verbieten lassen! Der Humanistische Pressedienst berichtete unter der Überschrift »Großer Ärger um kleines Ferkel«, und hat als PDF-Anhang den Indizierungsantrag der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften zugänglich gemacht.

Hanebüchender als der Verbotsantrag der Bundesprüfstelle geht’s ja schon eigentlich nimmer, wie man sich überzeugen kann, wenn man Bilderbuch und Verbotsantrag nebeneinander hält. Immerhin kann man dieses Pa-Hö aber auch so deuten: Das kleine Ferkel macht seine Sache hervorragend. Denn das Bilderbuch soll ja zeigen, wie Religionen mit krassen Phantastereien die wildesten Dinge mythos-bastamäßig behaupten. Wem nutzen solche religiösen Irrationalismen wohl mehr: Den Schäfchen, oder den Hirten? Und wenn man auf die Mythen- und Phantasmenkerne der Religionen zu sprechen kommt, kann man eigentlich gar nicht anders, als diese der Lächerlichkeit preiszugeben. Sich selbst herabsetzten tun jene, die mit Hirngespinsten noch großgesellschaftlich Gestaltungsmacht an sich reissen wollen, nicht jene, die darauf aufmerksam machen.

Exemplarisch für die Einseitigkeit fundi-religiöser Denke und Selbstdarstellung ist ein Bericht zum Verbotsantrag beim »Pro Christliches Medienmagazin«. Da wird über die Macher des Ferkelbuches, bzw. den neuen Atheismus den sie vertreten geschrieben, sie seien ›sendungsbewusst‹ und führten ihren Kampf gegen den Glauben mit ›missionarischem Eifer‹. Naja, kein Wunder dass man als Anhänger von (noch) priviligierten Spiritualitätsverwaltern da schnell mal pikiert reagierend auf seinem Monopol hockt und anderen das Recht auf Mission nicht gönnt. Wie wär’s mal zwecks Glaubwürdigkeitsaufbesserung mit einem kritischen Artikel zu Konkordatslehrstühlen bei Euch, liebes »Pro Chistliches Medienmagazin«?

Habe ich also gleich mal das blaue Solidaritäts-Netzbildchen hier unter Verwendung von Motiven aus Nynckes Zeichnungen gebastelt, weil das erste Webbanner zur Verteidigung der Ferkel-Meinungsfreiheit zu breit für die Molochronik ist. Mittlerweile hat man bei Alibri beschlossen, mein Banner zu übernehmen. Danke für die Ehre!

»Wankelschreitender Suspek-Tanz«

(Eintrag No 453; Juvenilia) — Heute aus Zeitknappheit auch wieder lyrisches Archivmaterial aus meiner Teen- und Twen-Zeit. Diesmal ein in der Schlaflosigkeit des 11. Mai 1992 frühmorgens entstandenes Gedicht.

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WANKELSCHREITENDER SUSPEK-TANZ

liebe und menschen komische sache frauen und männer seltsames spiel.

da rennen sie rum die menschenkinder den kopf voller hirn das herz voller blut

versuchen zu leben und beladen zum spaß sich gegenseitig bewohnte särge auf ihre müden knochenschultern

diese ganze sexuelle fummelei wenn sie so schluderig herzlos gehandhabt wird ist mir wahrhaft suspekt

die sätze werden länger die gedanken kürzer wer braucht schon narben ich tanz mit mir selber

Dienstag, 29. Januar 2008

»Kubikmensch«

(Eintrag No. 452; Grafimente, Skribbel) — Der heutige Beitrag ist wieder aus meinem Archiv. Die folgende Zeichnung hab ich am 17. April 2004 gezeichnet, und damals »Hingeschmolzener Ferngucker« genenannt. Blöder Titel. Ich finde »Kubikmensch« paßt besser.

93 x 86 mm; Rotring Art-Pen ›M‹ und ›Sketch‹ in eine chinesische große Skizzenkladde.

Kubikmensch
Montag, 28. Januar 2008

Index-Schaff und interne Links. Sonst nix für heut.

(Eintrag 451; Wartung) — Heut Nacht bis in den frühen Montagmorgen den Index aktualisiert. Mein Tempo der Bloghäufigkeit wird besser, was aber viel Pflegearbeit mit sich bringt. Seit August 2007 bis heute sind 50 neue Einträge hinzugekommen. Außerdem habe ich die neue Themenschublade ›Musik‹ im Index angelegt und dann gleich noch einige Molochronik-interne Links geknüpft und in einen Beitrag ein dazu passendes Skibbel als Illu reingedengelt.

So. Ansonsten steht heute eine Feier an für die — und für die Arbeit an Texten für bedrohlich näherrückende Abgabetermine — ich mir ansonsten heute frei nehme.

Bis morgen also. Macht selber was :)

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