molochronik
Donnerstag, 9. November 2006

»Ein großer Mensch…

…wer sein Kinderherz nicht verliehrt.« (Eintrag No. 308; Fiese Zeichnung) — So lautet die eigentlich im pro-phanastischen Sinne gemeinte Sigantur eines lieben Fantasy-Forum-Haberers. Hier nun meine schlechthinige Bösmenscheninterpretation.

Ein großer Mensch, wer sein Kinderherz nicht verliert.
Donnerstag, 26. Oktober 2006

Der Urahn des Brit-Pop: John Dowland

(Eintrag No. 307; Alltag, Musik) — Vor ein paar Wochen hörte ich auf Deutschlandradio einen kleinen Bericht darüber, daß Sting sich der Lieder des von mir hochverehrten John Dowland angenommen hat. Als jemand, der vor lauter Begeisterung für diesen Renaissance-Barden Dowland-Lieder mit Akkordeonbass-Begleitung singt und Texte des englischen Orpheus zum Spaß an der Freud übersetzt, bin ich freilich ziemlich hingerissen. — Nun kann man zu Sting stehen wie man will, aber ein Popmusiker der weiß, wer die wahren Meister sind und sich entsprechend an diese zwecks Respekt heranwagt, kann nicht ganz verwerflich sein.

Diese Woche hat Andrea (totz unserer knappen Haushaltslage) zugeschlagen und die CD »Songs from the Layrinth« mitgebracht. Ein Hoch auf die Deutsche Grammaphon, daß sie sich ›traut‹, einen U-Musiker, der sich an Gemmen der Weltmusikgeschichte ›vergreift‹, zu verlegen. Einziger Makel: mit nicht mal 50 Minuten und 13 Liedern wird natürlich nur ein kleiner Ausschnitt von Dowlands Werk geboten. Bonus: Sting liest auch schön aus einem Brief, den Dowland aus dem Exil dem Geheimdienstchef von Elisabeth I. geschickt hat (Geoffrey Rush spielt diesen Sir Walsingham hinreissend im Bio-Pic über die Golden Age-Königin von Shakar Kapur.)

Auf der Platte sind einige der besten Lieder Dowlands in Sting'scher Interpetation zu finden (besonders schön: »Five knacks for ladies«; »Can she excuse«; »In Darkness let dwell«). Sting versucht gar nicht erst, die Lieder ›stil- und fachgerecht‹ zu singen, so mit Countertenorstime oder eben klassisch-sauberem Ton. Er gibt die 400 Jahre Lieder vielmehr als Pop- oder ruhige Kneipensongs zum besten, ZU locker und rauchig für strengste Klassikohren, erfrischend und eben angemessen lässig, für Leute mit Ohren ohne Reinheitswahn. Das tut den Stücken nicht schlecht und Dowland wird (hoffentlich?—bestimmt!) Dank Sting viele neue Hörer finden. Gut so, denn Dowland macht glücklich und erzieht zu einem souveränen Umgang mit den Widrigkeiten der Existenz. Dowlands Mischung von Traurigkeit und Ironie, von Leidenschaft und Kalkül hat Ewigkeitsanspruch, ist ganz große Kunst, sowohl auf dem Gebiet der Musik, wie der Lyrik (auch wenn so mancher Text nicht von Dowland sondern einem seiner adeligen Gönner stammt).

Ich freue mich, daß Sting und der Über-Lautist Edin Karamazov zusammengefunen haben. Nebenbei: im Beiheftchen der CD entpuppt sich Herr Summers für mich als sehr netter Plauderer darüber, wie er diesen musikalischen Fingerakkrobaten kennenlernte und überhaupt von seiner Dowland-Beschäftigung.

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ZUGABE: Im ersten Beitrag meiner Dowland-Übersetzungs-Fingerüberunen habe ich schon mal kurz auf die in meinen Ohren besten Dowland-Aufnahmen hingewiesen. Jetzt will ich Links nachliefern:

»John Dowland – The Collected Works«: The Consort of Musicke unter der Leitung von Anthony Rooley; Editions de L'Oiseau-Lyre, Decca. — Ensembleaufnahme der Olympierklasse. Nicht ganz billig, aber dafür gibts auf 12 CDs findet sich alls, was der Meister hinterlassen hat. Historisch korrekte Aufnahme. Edin Karamazov meint ja, daß »In darkness let me dwell« das großartigste Lied englischer Sprache ist. Aber die Consort of Musicke-Aufnahme von »Tell me true love« aus »A Pilgrims Progress — Forth Booke of Songs« schlägt für mich so ziemlich alles, was es an Liedgut gibt. Heute noch so aktuell wie annodazumals.

»A Musical Banquet«: Andreas Scholl, Markus Märkl, Christophe Coin; Decca. — Solo-Gesang-Aufnahme von unserem Meister Scholl, und auch hier glänzt Edin Karamazov an der Laute. Sehr dramatische und sehr berührende Aufnahme. Andreas Scholl ragt für mich heraus, weil er wie nur wenige Präzision und (im guten Sinne) Sentiment vereint. Wenn er diese Lieder singt, hat das trotz aller musikalischen Raffinesse immer auch einen ausgeprägt erzählerischen Tonfall. Gute CD zum Einstieg in die Dowlandwelt, denn diese Aufnehm gibts immer wieder (wie eben auch bei JPC) als 9 €-Schnäppchen!

»In Darkness Let Me Dwell«: John Potter, Stephen Stubbs, John Surman, Maya Homburger, Barry Guy; ECM. — Moderner, expressiverer Ansatz mit Saxophon und Zupfbass. Die Neu-Jazz-Variante, insofern sicherlich am stressigsten für Freunde der alten Musik. Vielleicht aber der beste Einstieg für Leute die sich a) sowieso auf die Jazz-Klassik-Melange von ECM stehen, oder b) sonstwie vom Jazz kommen. Die »In darkness let me dwell«-Version auf dieser CD ist sicherlich die unheimlichste und gothicste (im Sinne der Kunst- und Literaturepoche, nicht im Sinne der heutigen Lifestyle-Modeschublade).

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SCHLUSSHINWEIS: Es freut mich freilich, wenn durch »Songs from the Labyrinth« Begeisterte, auf der Suche nach deutschen Übersetzungen der Dowland-Texte, hier bei der Molochronik landen. Aber meine Amateurüberstzungen sind freilich nicht so gut, wie die Übertragungen, welche die Deutsche Grammophon auf der Website zur CD anbietet. Wer wegen schlechen Augen oder sonstigen Gründen das Passwort für das herunterladen der PDFs mit den deutschen Beiheft- und Textübersetzung nicht gefunden hat: es lautet Dowland.

Dienstag, 10. Oktober 2006

Buchmesse 2006 (9): Buchmessebericht von Phantastik-Blogger Hannes Riffel

(Eintrag No. 306; Literatur, Woanders, Blogging)Erste Nachreiche von Molosovsky zur Buchmesse 2006:

Sollte man nicht verpassen. Sehr anschaulich berichtet Hannes Riffel von seiner durch die Jahre steigenden Buchmessenbefremdung; vom Trubel, Terminenhinterherlaufen und vielen Fragen; über das gute Gefühl am Klett Cotta Stand zu sein (wirklich ein schöner Stand; die Ecke der Hobitt Presse ist auch für mich allerdings ein kleines Schreineckchen auf der Messe gewesen … Schande eigentlich, daß ich Hannes nicht angesprochen habe. Wie schrieb Anne schon: wir freuen uns aufs nächste Jahr); und outet sich als einer, der keine Bücher mehr von der Messe mehr mit nach Hause bringt und was nicht noch.

Aber gebt Euch nicht mit meinem kruden Anreißer hier zufrieden, lest selber.

Buchmesse 2006 (8): Drei kuriose Knochen im Tal der Drachen, oder: »Bone«, das Fantasy-Comic-Epos von Jeff Smith.

<img src="molochronik.antville.org" align="right"style="margin-left:10px;">Eintrag No. 305 — Das ursprünglich als s/w-Comic erschienene ›funny fantasy epic comic‹ »Bone« von Jeff Smith ist eine der diesjährigen Ausstellungen im Comic-Bereich der Halle 3.0 gewidmet.

Da bin ich rundum enthusiasmiert, denn seit 1998/99 ich bin ein ›Fan‹ von »Bone«. Als jemand, der sonst eher grimmig-düstere Fantasy bevorzugt, war »Bone« für mich wie ein Licht aus einer anderen Welt. Immerhin ist »Bone« ein Garn für alle Altersgruppen von ca. 10 Jahren aufwärts. Solche Unternehmen fallen bei mir Monster- und Krassheiten-Wertschätzer schnell durch die Entsorgungsklappe für allzu sehr das Leserhändchen tätschelnde Butzi-Bussi-Belästigungen. — Nicht so »Bone«. Ich weiß sehr zu schätzen, wie Jeff Smith es geschickt versteht, zärtlich das Herz seiner Leser zu berühren. Ich geb zu, daß bei mir Zeichner (wenn sie eben so gut sind wie eben z.B. Smith) leichter meine entsprechenden Ressentiments überwinden, die ich erstmal gegenüber träumerischer und naiver Romantik nun mal hab (mich schüttelst heut noch ›mit Grausen‹ wegen des »Narnia«-Lichtspiel). Jeff Smith führt mir vor, daß alle Pauschalablehnung bestimmter ›Geschmacksrichtungen‹ (wie ›Kitsch‹, ›Trash‹ ect pp ff) durch Ausnahme-Gemmen in Frage gestellt werden. Für mich sind halt ›Trost‹, ›Sentimentalität‹ und ›Naivität‹ arge Reize bei denen es mir schnell mal zu heftig wird, so wie für jene, die sich am entgegengesetzten Ästhetik-Pol orientieren, ›Ekel‹, ›Angst‹ und ›Explikationshärten‹ eben HARDCORE sind. Wirklich Exzellentes, auf das man sich als ästhetisch allgemein Neugieriger einlassen kann, gibt es überall zu finden.

<img src="molochronik.antville.org" align="right"style="margin-left:10px;">— Rundum baff war ich, als ich vor einigen Wochen mitbekommen habe, daß Tokyopop diesen hinreissenden Comicroman in neuer Übersetzung, sowohl in ursprünglichem Schwarz-Weiß-, als auch im neuen Digital-Kolorierungs-Format raus bringt; zu Preisen, die ich mehr als fair nennen kann (Info zur gebunden & zur Taschenbuch-Ausgabe). Gestern am Stand des Verlages, hab ich den netten Damen und dem Herren von Tokyopop ein Beigeisterungstirilieren und -gefuchtel angedeihen lassen. Wann gabs denn auch zuletzt so schöne farbige, gebundene Sammelbände von Serien, bei denen die deutschen Ausgaben dann um so vieles günstiger waren, als vergleichbare Original-Ausgaben?

Zwar finde ich als über-kritischer Fantasy-Freund auch bei »Bone« ein paar Scharten und Splitter (wie einige eher unoriginell eingesetzte Monomythos-Rezepte und knarzende ›High Fantasy‹-Iconographien {z.B. geheimnisvolle ritterliche Kaputzentypen}, vor allem in den beiden ›bellezistischen‹ Schwert & Klaue-Finalbänden); — aber: dennoch überwiegt bei mir mit Leichtigkeit der Eindruck, daß die 1434 Seiten (und circa 6460 Kästchen) die Aufmerksamkeit und Schmöker-Hingabe wert sind, die das neunbändige Queste- und Schlachten-Epos auf sich zu locken vermag. Ich schreib ›Hingabe‹, weil die Wahrscheinlichkeit nicht gering ist, daß die Geschichte und die schönen Zeichnungen, wenn sie dich erstmal am Haken haben, vollends in ihren Bann ziehen, und du dir z.B. heißen Tee einschenkst, aber als ersten Schluck kalten Tee trinkst.

Das Bemerkenswerteste an »Bone« ist für mich die Art und Weise, wie hier ›J. R. R. Tolkien‹- oder ›Alexander Llyod‹-artige, klassische ›Heldenromanzen‹-Fantasy mit zeitlosem ›kleine lustige Männeken-Slapstick‹-Humor vermengt werden (»Ich liebe es, wenn kleine Wesen sich zanken«, sagte in etwa ja schon Napoleon, allerings nicht in unserer Welt).

Der Comicroman breitet zudem eine vielstimmige und abwechslungsreiche (und doch irgendwie am Ende hübsch übersichtliche) Fantasy-Welt aus, in der es bedrohliche Rattenwesen und fruchteinflößende Riesenpumas gibt (coole Monster halt); in der alte Omas es an Agilität und Kampfeskraft mit den orientalischen Altersgenossen wie Meister Li (z.B. in den »Chinese Ghost Story«-Filmen) aufnehmen kann; in der hinreißend putzige Waldtierchen (vom Käfer über Oppossum-Nachwuchs bis zu Schildkröten) heldenhaft gegen viel größere Böse kämpfen; und in der untote Unglücks-Propheten mit mysteriösen Stimmen in Dunklem babbeln; es gibt Flüchtlingslager- und Indiana Jones-Passagen; und naiv-brilliante Liebeslyrik, und und und …

… und es gibt es die Gebrüder Bone, drei an Walt Kellys sanfte Formensprache erinnernde ›Cartoon‹-Figuren, in einer ansonsten überwiegend eher ›realistisch‹ vorgestellten Welt. Das Durcheinander an Dialog- und Situations-Komik, das der grantige und machtgeile Phoney (sözusagen ohngeföhr Groucho), der faule und subversive Smiley (Chico) und der phantasievolle und mitfühlende Fone (ein Harpo der aber reden kann) bieten, ist schlichtweg köstlichste Humoristik. Eigentlich sind die drei unglücklicherweise in eine große Fantasy-Geschichte gestolpert, und begleiten als Nebenfiguren die eigentlichen Epik-Protagonisten. Und dieses Erzählen aus der Sicht von buchstäblich planlos Dahergelaufenen, verleiht dem sich langsam entfaltenden Großdrama einen Kick, mit dem selbst für mich als Skeptiker gegenüber Schlachten- und Adels-Fantasy die große Abenteuer-Queste stabil trägt und beste Laune bereitet.

Zuckerl (1): Der Meister bloggt selber Jeff Smith berichtet selber grad hier aus Frankfurt von der Buchmesse. Einfach mal dort sich exemplarisch vorführen lassen, wie man als Autor und Künstler das Bloggen als Werkstatt- und Alltagsmeldungs-Medium/Nexus nutzen kann.

Zuckerl (2): Zahlenfetischismus Bei Tokyopop harrte man meiner Zählergebnisse! — ›Circa‹, weil ich gestern abend nur einmal die neun Bände durchgezählt hab, als Nach-Buchmessentrubel-Entspannung. — Für Kapitelübersicht-haben-Woller in Kleinschrift noch die Aufdröselung der Zahlen (sorry, daß ich die englischen Titel anführe, aber ich hab nun mal keine deutsche Ausgabe im Haus):

••• Teil eins: VENERAL EQUINOX • Band 1: »Out Of Boneville«; 142 Seiten, ca. 773 Kästchen. • Band 2: »The Great Cow Race«; 143 S., ca. 630 Kästchen. • Band 3: »Eyes Of The Storm«; 180 S., ca. 788 Kästchen. ••• Teil zwei: SOLSTICE • Band 4: »The Dragonslayer«; 182 S., ca. 899 Kästchen. • Band 5: »Rock Jaw«; 124 S., ca. 544 Kästchen. • Band 6: »Old Man's Cave«; 126 S., ca. 565 Kästchen. ••• Teil drei: HARVEST • Band 7: »Ghost Circles«; 158 S., ca. 673 Kästchen. • Band 8: »Treasure Hunters«; 140 S., ca. 604 Kästchen. • Band 9: »Crown Of Horns«; 229 S., ca. 984 Kästchen.

Buchmesse 2006 (6): Mit oder ohne Buchschmuck: das neue Buch von Susanna Clarke bereitet Molosovsky…

… Freude! Eintrag No. 303 — Schon in ein paar Tagen (am 06. Oktober) erscheint »Die Damen von Grace Adieu« von Susanna Clarke bei Bloomsbury Berlin.

Clarke hat ja mit ihrem voluminösen »Jonathan Strange & Mr. Norrell« (desweiteren: JS&MN) so richtig auf den Putz gehaun. Da finden sich die Realweltgeschichte vom beginnenden 19. Jahrhundert und alt-nordenglische Magiewelt-Mythen zu einer ganz verzüglichen Phantastik verzwribelt; zu edel (wie ich find), um das sprachlich wie auch begrifflich ungeschickt importierte Genre-Label ›Fantasy‹ draufzupappen; und doch wie keck von einer so vorzüglichen Autorin, es selbstbewußt dann doch zu tun!

Immerhin!: Leser ›richtiger‹ Romane, die sonst alle Gesichtsmuskeln verreißen wenn man ihnen mit ›Fäntäsy‹-Phantastik vor der Brille rumfuchtelt, entspannten sich willig anhand einer edelfederigsten Prosa, deren Haltung und Ton sich des ausgesprochen fruchtbaren Respekts & Insprisierenlassens von Frau Clarke für & von Klassikern der portraitierten Epoche, wie Jane Austen und Charles Dickens, verdankt. Und Lesern, welche sonst eher ziemlich Genre-Phantastik-lastig zu schmökern belieben (siehe ›die Markt-Marke Fantasy‹), wird eine feine Gelegenheit geboten, sich von eher altmodischen Prosa-Registern verführen (und hinreissen und bilden!) zu lassen.

Das ist eine gute Gelegenheit ein wenig über die Wonnen der englischsprachigen Literatur- und Geisteswissenschafts-Bloggerei zu jubilieren. Wenn sich z.B. 15 kommunikations- und diskrus-freudige Akademiker zusammengefinden, sich ihren Gruppen-Blog-Namen aus einem markigen Zitat vom großen Deutschen Immanuel Kant borgen, um fürderhin unter Crooked Timber mit anregenden Beiträgen großzügig die Blogosphäre zu bereichern… alles für umme zu lesen, wenn man sich nur des Englischen mächtig genug wähnt.

Grad den ›typischen‹ (mal polemisch imaginierten*) bezahlten deutschsprachigen 08/15-Literaturvermittlern möchte ich hiermit ganz besonders die Crooked Timer Seminare (unter ›book events‹ links weiter unten zu finden) zur inniglichen Orientierung nahelegen. — Nun sind die Geisteswusler vom krummen Holz von Beginn an Fans von JS&MN gewesen, und haben entsprechend eines ihrer Seminare diesem Roman gewidmet. Nur mal so als Beispiel, wie man intelligent, verständlich und verständnisvoll über ›Fantasy‹ schreiben kann hier eine kleine Übersicht: (jaja, schon richtig: bei Fantasy vom Qualitätskaliber eines JS&MN ists nicht so schwer, auch als in E-Gefilden konditionierter Literatur-Bespiegler was Gescheites zusammenzureflektieren):

• John Quiggin behauptet, daß der Roman an den eigentlichen Wurzeln der Science Fiction anknüpft, denn bei SF geht es im Grundbass um die Zeitenwende- und Wirkungen der Industrielle Revolution. • Maria Farrell meint, daß das buch ein Aufeinandertreffen zwischen dem von Jane Austen imaginierten Regency-England und ›romance novels‹ auf der einen Seite, und der tatsächlichen geschichtlichen Regency-Epoche auf der anderen Seite ist. • Belle Waring fragt sich, wer der/die Erzähler/in des Buches ist, und wohin die weiblichen Zauberer eigentlich sind (und mutmaßt, daß beide Fragen durch eine Antwort erhellt werden). • John Holbo untersucht Zauberei, Ironie und die Darstellung der Diener-Klasse. • Henry Farrell behauptet, daß die versteckte Handlung des Romans eine Kritik an der englischen Gesellschaft darstellt. • Und zuletzt antwortet Susanna Clarke (sehr aufschlußreicher Werkstatteinbick, sozusagen).

Und für jene, denen das zum am Bildschirm-, im Netz-Lesen viel zu viel Text ist, bietet Crooked Timber einen englischen PDF-Service-Link zum Ausdrucken. {15. Nov. ‘06: EDIT-NACHTRAG — Mittlerweile hab ich vor lauter »Ich Muß Was Nützliches In Meiner Zeit Tun« das ganze Seminar übersetzt. Hier geht’s zum entsprechenden Molochronikeintrag, und hier der Klick für ein deutsches PDF.}

Wieder zum neuen Buch mit Kurzgeschichten von Susanna Clarke. Ungemein enttäuscht bin ich, daß Bloomsbury Berlin die durch höchste Kunstfertigkeit und Eleganz brillierenden 20 Illustrationen von Charles Vess NICHT dem deutschen Publikum von »Die Damen von Grace Adieu« offeriert. Nach dem guten Verkauf von JS&MN wär doch eine etwas aufwändigere Ausgabe drinn gewesen, oder? — Dass Heyne damals Neil Gaimans/Charles Vess »Stardust« ohne die Vess-Illus veröffentlichte, geht ja noch irgendwie in mein Produktions- & Gewinnmargenkalkül-verständiges Hirn. — Aber schluß jetzt mit Genöle.

Soweit ich bisher mitbekommen habe, sind die neuen Geschichten von Clarke in der selben (oder doch sehr ähnlichen) Welt wie JS&MN angesiedelt. Auch auf Deutsch gibts eine der Geschichten für umme auf der (sehr schönen!) Verlags-Site zu Clarke: »Der Herzog von Wellington geht seines Pferdes verlustig«.

Viel Vergnügen mit all den Umsonstlektüren wünsch ich noch. *Und falls sich einige bezahlte Literaturvermittler und -bewerter arg auf den Schlips getreten fühlen: bitte nehmt dies schlimmstenfalls als meine anbiedernde Versuche, Euch alle anzuregen, mindestens so geschickt über Phantastik für's Feuillition zu schreiben, wie z.B. (um spontan einige willkürliche Namen zu nennen) Dietmar Dath, Marcus Hammerschitt, Denis Scheck, Thea Dorn und Georg Seeslen.

Buchmesse 2006 (5): Molosovskys erster Fund: Wiedersehen eines geschätzten Strichs nach langer Zeit

<img src="molochronik.antville.org" align="right"style="margin-left:10px;"> Eintrag No. 302 — Vor etwa 15 Jahren in Wien hatte ich einen Fantasy-Rollenspiel-Kumpel als WG-Kammeraden, und dank seiner Sammlung an englischen Regel- und Quellenbüchern, kam ich in den Genuß der wohl durchgeknalltesten Spielwelt aus dem »Dungeons & Dragons«-Universum. »Planescape« ist eine Gemme der Multikulti-Allesdurcheinander-Fantasy, mit einer Pizzawelt die in unterschiedlichste Segmente unterteilt ist, in deren Mitte eine spitze Bergspindel herausragt, über der eine Stadt in Doughnut-Form schwebt. (Im Netz find ich derweil leider ›nur‹ diesen englischen Wikipedia-Link zu »Planescape«. Gibt dort aber Karten über die Geographie dieses köstlich ungestümen Weltenbaus)

Aufgefallen und sehr gefallen hat mir »Planescape« damals vor allem wegen der wunderschönen Illustrationen von Tony DiTerlizzi (>>>hier zu seiner englischen Flash-lastigen Site, Ahh-ja, dort unter ›Art/Gaming‹ bis ca. ›Page 3‹ blättern und »Planescape«-Illus gucken.).

In Halle 3.0 beim Stand E 105 des cbj-Verlages seh ich dann das Supplement-»Handbuch für die fantastische Welt um Dich herum« (müßte es nicht ›über‹ statt ›für‹ lauten?) zur Arthur Spiderwick-Serie. Treue für die Serie gedenke ich erstmal keine zu investrieren. Aber ich hoffe sehr auf ein Rezensionsexemplar des Handbuches.

Montag, 9. Oktober 2006

Stöckchenfragen: Haben und Nichthaben

(Eintrag No. 301; Alltag) — Eigentlich finde ich diese Stöckchen-Spielchen a bissi doof. Will wenigstens so nett sein, die Fragen, die mir Oli zukommen hat lassen zu behandeln, wenn ich schon nicht weiterreiche an fünf neue Opfer.

Fünf Dinge, die ich habe, aber nicht will:

  1. Derzeit am entwürdigensten: Habe nur lädierte Schuhe;
  2. Habe keine Ahnung, als was ich mich wie bei wem bewerben soll (angeblich gehts ja hier in Ffm wieder bergauf mit Jobs);
  3. Habe aber sonst viel zu viele Ideen;
  4. Uraltmusikanlage mit knatternden und knisternden Sound;
  5. Autoservicewerkstatt vor dem Schlafzimmerfenster.

Fünf Dinge, die ich will, aber nicht habe:

  1. Derzeit am dringlichsten: ein Paar neue Schuhe;
  2. Kontakte und Vitamin B aufgrund Herkunft und Stand;
  3. Ein Drawpad für meinen Mac (mindestens A4);
  4. Den »Codex Seraphinianus« (sauteures Phantastik-de-luxe-Buch);
  5. Richtiges statt vorgetäuschtes Selbstverstrauen.

Fünf Dinge, die ich nicht habe und auch nicht will:

  1. Parteibuch;
  2. Führerschein;
  3. TV-Anschluß;
  4. Klicki-bunti im Browser, aufm Mobilphone ect;
  5. Schmuck am Leib (egal ob Ohrring, Kette oder Tattoo).
Mittwoch, 4. Oktober 2006

Buchmesse 2006 (4): Gutes Viertelstündchen vor dem Buchmessen-Bloggertreffen

(Eintrag No. 300; Buchmesse, Bloggerei) — Eigentlich wollte ich den dreihundertsten Molochronik-Eintrag mit einer kleinen Jubelei begehen und meine eigenen Lieblingsbeiträge vorstellen und dazu korrigieren (sozusagen ›Molochronik-DeLuxe‹-Einträge hervorheben). Dies muß nun bis nach der Buchmesse warten und eine eben nichtrunde Überdreihunderter-Nummer tragen. Sei's drumm, egal.

Jetzt gibts erstmal ein kleines Buchmessen-Skribbel. Heute war Literaturwelt-Blogger-Treffen im Pressezentrum der Buchmesse. Mein ›Chef‹ (der unermüdliche Projekt-Zugbulle) Oli Gassner und ich waren ein wenig zu früh da. Oli hat gebloggt. Ich hab Hausmacherworscht gegessen und ein wenig durchgeatmet.

Dienstag, 3. Oktober 2006

Buchmesse 2006 (3): Die sieben Favoritenerwähler von der »Die {Literarische} Welt«

(Eintrag No. 299; Literatur, Gesellschaft) — Für »Die Welt« dürfen sieben Herren ihre jeweiligen Buchmesse-Saison-2006-Perlen ausbreiten. Keinen Ranglistenhierachien, keiner Kanonambitionen gibt sich das Septett hin, sondern empfiehlt halt, was man für glänzend und wohlfeil rund hält. Obere Reihe von links nach rechts: Krekeler, Werner, Müller, Wittstock; Untere Reihe: Krause, Stein, Kellerhof.

Elmar Krekeler mags vergnügt aberwitzig und legt uns Haas »Der Wetter vor 15 Jahren« (›fintenreiche, literarisch abgründige, literaturbetrieblich aufreizende, fiese, geniale Geschichte‹), Galvinic »Die Arbeit der Nacht« (›verdienten Durchbruch‹) und Stanisic »Wie der Soldat das Grammofon repariert« (›steckt unser altes Deutsch unters Sauerstoffzelt‹) ans Herz.

Henrik Werner breitet drückt dreimal für das Themenfeld ›Historie‹ die Hupe: für Kosellecks »Begriffsgeschichten« (›dem Verstehen {zuarbeiten}, wie es so weit mit uns kommen konnte‹); für Assmanns »Der lange Schatten der Vergangenheit« (›akribische Vermessung des Spannungsfeldes zwischen persönlicher Erfahrung und offiziellem Gedenken‹) und Hinck »Romanchronik des 20. Jahrhunderts« Teil 3 »Historien« (›geradlinig, gewitzt und meinungsfreudig‹).

Felix Müller gibt sich ebenfalls Geschichtssachbüchern hin, und macht Laune auf Sloterdijks »Zorn und Zeit« (›zündende Assoziationskraft und höchste begriffliche Anstrengung‹), Bedinis »Der Elefant des Papstes« (›wunderbar schillerndes Porträt Roms auf dem Höhepunkt der Renaissance‹) und Besiers »Das Europa der Diktaturen« (›eindrucksvolle, gewaltige Arbeit‹).

Uwe Wittstock hatte nur Zeit oder Bock für zwei Favoritisierungen, nämlich »Mikado« von Strauß (›Geschichten, in denen Zeitkritik nicht zur sauren Predigt wird‹), und »Jedermann« von Roth (›ist von großem literarischem Format‹).

Tilman Krause ist völlig und weg weil er »Drei Tage bei meiner Mutter« von Weyergans (›dass man außer sich geraten möchte vor Entzücken‹), »Ich nicht« von Fest (›Für Neubürger Pflicht-, für Altbürger Wehmutspensum!‹) und den Handke-Lenz'schen Briegwechsel »Berichterstatter des Tages« (›tröstliches, ein heilsames Buch‹) zur inniglichen Beherzigung anführen kann.

Auch Hannes Stein bestreitet seine diesmalige Buchmessenempfehlungsgelegenheit mit ›nur‹ zwei Titeln: Bajohrs und Pohls über die Deutschen im Dritten Reich »Der Holocaust als offenes Geheimnis« (›sine ira et studio‹), und den neuen Gedichten »Heimat« von Biermann (›handelt gar nicht von Deutschland, sondern von Südfrankreich‹).

Zuletzt streut Sven Felix Kellerhof seine lockerern Tipps für Heavy-History-Lektüren an: Weinke »Die Nürnberger Prozesse« (›knapp und präzise‹), »Halbmond und Hakenkreuz« von Mallmann und Cüppers (›Pflichtlektüre‹) und »Gefangen unter Hitler« von Wachsmann (›{zeigt nebenbei wie} harte Wissenschaft und Verständlichkeit fast mühelos koexistieren können‹).

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