Dath ist ein Autor, den zu besprechen für mich sehr schwer ist.
Einerseits: seine Sprache & seine Ideen bezaubern mich; ich finde toll, welche Probleme in seinen Romanen verhandelt werden; ich mag seinen Humor (auch wenn ich nicht immer sicher bin, ob ich den auch korrekt erkenne). — Andererseits: bei wenigen Autoren habe ich derart große Probleme was die Handlungsstruktur angeht; manche Abschnitte (vor allem ruhige, die Zwischenmenschliches schildern) gehen mir bald gehörig auf den Zeiger, obwohl sie für sich selbst genommen eigentlich sehr schön sind, aber innerhalb des Romangefüges wirkt dieses Raunen im Imax-Format, diese mit großem Ernst vorgetragenen ›poetisch-zwischenmenschlichen‹ Bemühungen, diese Handlungsstillstandzonen ohne entsprechend geschickt platzierte Aussichten, blöderweise wie sommerliches Auf-dem-Fleck-Wanderungen durch Weichkäsefelder.
Die eigentliche Schwierigkeit für mich einen Dath-Roman zu besprechen rührt aber daher, dass ich gegenüber diesem Autor einen ansehnlichen Minderwertigkeitskomplex schiebe, weshalb ich auch schnell zu der Annahme neige, dass ich schlicht zu doof bin, um wirklich was Gescheites zu seinen Büchern von mir geben zu können (egal, ob im Guten oder Schlechten). Aber trotzig hält mein Instinkt dagegen, dass Dath zwar ein brillanter Essayist, auch ein bewundernswerter Prosalyriker ist, aber als Erzähler vor lauter Programmatik und Hirn sich selbst dabei im Wege steht (oder ganz eigenwilliger Künschtler: stehen will), einfach nur ein wirklich souveräner Romanautor zu sein.
Der Plot, die Handlung von »Pulsarnacht« war für mich nur mäßig spannend. Es gibt viele Figuren die für mich kaum Profil entwickeln, da sie sich überwiegend alle sehr ähnlich sind. Die paar Figuren, die sich wunderbar als Protagonisten geeignet hätten, werden nach dem ersten von sechs Teilen zum Hintergrundensemble degradiert (absoluter Höhepunkt für mich: Weltraumsoldatin Saskia verbringt nach einem Einsatz einige Zeit mit Hardcore-Entspannung, also Saufen, Ficken, Schlägereien. Das kommt in Daths kräftiger, biegsamer und köstlicher Sprache so doll rüber, dass ich hoffe, Dietmar möge doch bitte irgendwann einfach einen – für seine Verhältnisse – ›platten‹ Abenteuergarn liefern. Braucht ja kein langes Großwerk zu sein. Ein kleines 200-Seiten Romänchen würde mir vollends reichen zum deutschsprachigen Genre-Glück.)
Eine gut geknüpfte Handlung ist für mich nicht allzu deutlich zu erkennen, denn auf der einen Seite wird das, was sich eigentlich als typische Space Opera-Handlung anbietet (siehe Titel: »Was ist die Pulsarnacht?«) mit zu viel Geheimnisgetue und zu vage dargeboten, um für mich zugänglich oder spannend zu sein. Zudem wird die zweite wichtige Handlungsebene, die ich erkennen konnte, welche sich um die Beziehungen ehemaliger politisch-militärischer Gegner eines Bürgerkrieges rankt, von der zugrundeliegenden Theorie-Pflicht, die der Autor sich abgesteckt hat (und die er in einem Nachwort offenbart, was ich für ein heikles Unternehmen halte, und deshalb zu schätzen weiß) erstickt.
Dennoch gebe ich »Pulsarnacht« gerne 4 ›Goodreads‹-Sterne, weil Dath zu lesen auch diesmal bei mir zu interessanten rauschartigen Zuständen geführt hat. Die Denkanregungen welche »Pulsarnacht« bietet, gefallen mir, und ich habe mich oft amüsiert, auch wenn ich nicht durchwegs sicher bin, ob ich mich mit dem Autoren oder über ihn, oder an ihm vorbei amüsiert habe.
Wenn es um Weltenbau-Ideen geht, und wie man diese mal mit sprachlicher Wucht, mal mit schon lyrischem Schillern, mal mit kalaueraffinen Witz, mal mit grüblerischer Seelenschüferei zum Ausdruck bringt, kann es wohl derzeit keiner mit Dath aufnehmen. Das Gesamtgefüge mag nicht mein Gefallen finden, aber es gibt so viele einzelne glänzende Facetten – Stadtbeschreibung, Kampfsequenz, Dialog, eingestreutes Märchen, Schildung wirtschaftlich-politischer Geflechte, Technik-Babbel –, dass es mir schwer fällt, ignorant gegenüber der Errungenschaft des Romans zu bleiben. Womöglich werde ich ihn mir beizeiten schlicht ein zweites Mal vorknöpfen müssen, wissender darum, auf welche Details ich mein Augenmerk richten muss, um den größeren Zusammenhang der Handlung ergiebiger würdigen zu können. — (Spontane Schlussnotiz: »Es ist für mich 100 x vergnüglicher, mich mit den Romanzumutungen von Dath abzurackern, als Spaß zu haben mit den mundgerechten Schreibformel-Ergebnissen eines Eschbach«)
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Dath, Dietmar: »Pulsarnacht«; 34 Abschnitte in sechs Teilen, inkl. Glossar & Nachwort des Autoren auf 431 Seiten; Broschierte Erstausgabe, Heyne Verlag, 2012: ISBN: 978-3-453-31406-1.
Auch als eBook erhältlich.
Der ›Hugo Award‹ gehört zu den bekanntesten, ältesten, wichtigsten und wohl auch zu den angeseheneren Preisen für Science Fiction-Literatur (& Filme). — Gestern hatte ich nach der Arbeit ca. drei Stunden lang meinen Spaß (fett!) mit dem Lesen, Favoritisieren, Retweeten & Selber-Schreiben von Tweets zu dem Stichwort (= ›hashtag‹) ›Falsche Hugo-Award-Kategorien‹ (#FakeHugoAwardCategories), auf das ich ich durch einen Tweet von Matt Ruff gestolpert bin:
Best Use of Cover Art to Alienate Potential Readers.
— Beste Verwendung der Umschlags-/Titelbildgestaltung zur Befremdung von potentiellen Lesern — Link
Hier nun meine Beiträge (ursprünglich auf Englisch geschrieben, von mir selbst übersetzt. Hoffentlich um alle Flüchgtiekitzfehler breenigit):
The ›Háček‹ = fantastic exotism by way of using typography and/or spelling-Award. #FakeHugoAwardCategories #WineStainsTabaccoCrumbsOnManuscript ••• Der ›Háček‹ = Bester Einsatz von Typographie und/oder Schreibung zur Erzeugung von Phantastik-Exotismen. #FalscheHugoAwardKategorien #WeinFleckenTabackKrümelAufManuskript
Best techno babble rephrasing of traditional spirituality/religion. ••• Bester Neuaufguss traditionaller spiritueller/religiöser Konzepte mit Hilfe von Technobabbel.
Award for biggest pile of worldbuilding exposition without payoff. ••• Preis für größte Anhäufung von Weltenbau-Exposition, die sich nicht auszahlt.
Best approximation of naturalist/realistic literature (Flaubert, Zola ect) in a Space Opera setting. ••• Beste Annäherung naturalistisch-realistischer Literaturtradition (Flaubert, Zola usw.) mit einer Weltraumabenteuer-Szenerie.
Best stand alone novel so dense other writers would’ve made at least a trilogy out. ••• Bester abgeschlossener Einzelroman, der so prall ist, dass andere Autoren mindestens eine Trilogie daraus gemacht hätten.
Best story that represents the middleground between John Norman and Samuel R. Delany. ••• Preis für die Geschichte, die sich am besten der Mitte zwischen John Norman und Samuel R. Delany annähert.
Most daring use of onomatopoetic words in a totally serious context. ••• Gewagteste Verwendung onomatopoetischer Wörter in einem völlig ernst gemeinten Zusammenhang.
Best appendix and/or glossary that is way more intriguing than the story itself. ••• Bester Anhang und/oder Glossar, die um ‘ne ganze Ecke interessanter sind als die Geschichte selbst.
Special Classicist-Revival-Trophy for first 21-century-SF-epic actually written in hexameters. ••• Klassizismus-Sondertrophäe für das erste SF-Epos des 21sten Jahrhunderts, das tatsächlich in Hexametern geschrieben wurde.
Most mindboggling Rube Goldberg machine like plot just for the fun to describe stuff going BOOOM! ••• Preis für die abgefahrenste Rube Goldberg-Maschinen-artige Handlung die zu nichts anderem dient, als zu beschreiben, wie Zeugs in die Luft fliegt.
Best poetic appreciation of nature incorporated in a story about cosmological horror. ••• Schönste poetische Natur-Wertschätzung im Rahmen einer Geschichte über das kosmologische Grauen.
Most effective meme bomb that causes readers to forsake all mundane trappings & become a (deadly) hermit. ••• Wirkungsvollste Meme-Granate, die ihre Leser dazu bringt, alle weltlichen Verstrickungen hinter sich zu lassen, um ein (tödlicher) Einsiedler zu werden.
Best SF-homage to classic philosophical dialogues (aka »Anathem«-Award). ••• Beste Science Fiction-Würdigung der Form des klassischen philosophischen Dialoges (auch bekannt als: »Anathem«-Preis).
Most sensitive failing of Bechdel test. ••• Für das empfindsamste Scheitern des Bechdel-Tests.
Best skiping at least 1000 years halfway through the story-Award. ••• Bestes Überspringen von mindestens 1000 Jahren mitten in der Handlung.
Best intimidation of editor to spineless coward-Award. ••• Beste Einschüchterung seines Lektors zu einem rückgratlosen Feigling.
Best follower of the *suggestions* made by PR- & Consumer Research-Office-Award. ••• Bestes Befolgen der ›Anregungen‹ von PR- & Marktforschungs-Abteilungen.
The Joseph Campbell Monomyth Bullsh*t Bingo-Award. ••• Der Joseph Campbell-Monomythos-Schwirrwort-Bingo-Kacke-Preis.
The Gibbon-Asimov-Award for best remaking of literary classic into a SF story. ••• Der Gibbon-Asimov-Preis für den besten Wiederaufguss eines literarischen Klassikers als SF-Geschichte.
Most courageous utilization of deus ex machina after having written story into a cul de sac. ••• Mutigster Einsatz eines deus es machina, nachdem man sich mit der Geschichte in die Ecke geschrieben hat.
Best application of irony to hide the fact that author is a cynical square. ••• Beste Verwendung von Ironie um zu verbergen, dass der Autor ein zynischer Spießer ist.
Bester (deutschsprachiger SF-)Roman mit Erstausgabe 2012:
• Dietmar Dath, »Pulsarnacht«, Heyne-Verlag. — Stilistisch kraftvoll & extrem abwechslungs- & stimmungsreich. Thematisch anregend, phantasie- & ideenvoll, sowie engagiert.
Bestes ausländisches Werk (zur SF mit Dt. Erstausgabe) von 2012:
• China Miéville, »Stadt der Fremden«, Bastei-Verlag. — Gelungene Großmetapher über die Beziehung von Sprache, Bedeutung, Sucht & Abhängigkeit.
• John Scalzi, »Redshirts«, Heyne-Verlag. — Humorvolle & gehaltvolle Untersuchung narrativer Klischees der Space Opera, sowie berührende Meditation über die Verantwortung von Kreativen gegenüber ihrem Publikum und Figuren.
Beste Graphik 2012 (für Titelbild/Illustration einer deutschsprachigen Ausgabe zur SF von 2012):
• benSwerk (bürgerlichen Namen bitte z.B. über Hannes Riffel vom Golkonda-Verlag erfragen). Beispiel Titelbild- & Buchgestaltung der 3-bändigen Ausgabe von Samuel R. Delanys »Geschichten aus Nimmeya«, deren erster 2012 bei Golkonda erschienen ist. — Stellvertretende Titel-Nennung, da benSwerk seit Bestehen des Golkonda-Verlages für diesen tätig ist und zeigt, wie man geschmackvoll zum Inhalt passend Bücher und Umschläge gestalten kann, ohne billige Lösungen oder ausgelutsche Klischees heranzuziehen.
Sonderpreis 2012 (für einmalige herausragende Leistung im Bereich der deutschsprachigen SF im Jahr 2012):
• Ralf Bold & Wolfgang Jeschke (Herausgeber), Michael Haitel (Verlag) & Team. — Für Zusammenstellung, Gestaltung & Herausgabe der SFCD-Preisträger-Anthologie »Die Stille nach dem Ton«.
Sonderpreis 2012 (für langjährige herausragende Leistung im Bereich der deutschsprachigen SF mit besonderem Anlass 2012):
• Josefson (aka Jürgen Doppler) & Wissenschafts- bzw. Website-Verantwortliche von ›www.standard.at‹. — Verfasst bzw. veröffentlicht seit 5 Jahren (Mai 2008, soweit ich weiß) engagierte, kurzweilig zu lesende, mit Kennerschaft verfasste, klar argumentierende Rezensionen von deutscher & internationaler Genre-Phantastik für den Online-Auftritt der österreichischen Qualitäts-Tageszeitung ›Der Standard‹; immer noch das einzige Medium seiner Art, dass regelmäßigen Raum für Genre-Phantastik einräumt und damit hilft, die vermeintlichen Gräben zwischen U- & E-Literatur zu überwinden.
Es ist wieder soweit: Hier der Jahresrückblick meiner Lese-, Glotz- & Lausch-Glanzlichter.
Gut Buch (Prosa)
Erstmal: Ich werde mich bei dieser Liste auf jene Titel beschränken, denen ich auf meiner 2012-Goodreads-Seite vier oder fünf Sterne gegeben habe (was aber nicht bedeutet, dass die dort von mir mit ›nur‹ drei Sternen bewerteten Sachen lau sind … ich habe seit Jahren nix mehr gelesen, was ich richtig schlecht oder auch nur seicht & langweilig fand, weshalb meine Qualitätsmaßstabe mittlerweile wohl etwas verzerrt sind).
Dann: Muss ich bei der Reichskulturkammer dafür Abbitte leisten 2012 keine deutsche Prosa gelesen zu haben (hab zwar zig Texte im Buchladen oder im Netz angelesen, von denen konnte mich jedoch keiner verführen).
»The Mirage« von Matt Ruff: ›IX.IX.‹ und ›War on Terror‹ auf den Kopf gestellt, in einer Alternativwelt, die irgendwann zur Zeit des Ottomanischen Reiches von unserer Realwelt abzweigte. Ruff beweist wieder einmal, dass er einer der besten derzeit schreibenden Weltenbauer ist, wenn er durchspielt, wie es wäre, wenn der arabisch-islamische (angeführt von den UAS = United Arab States) und der euro-nordamerikanisch-christliche Kulturraum (unser Hegemon sind ja die USA) ihre weltgeschichtlichen Rollen tauschen würden. — Großartig, wie die erzählenden Kapitel ergänzt werden durch Einträge der ›Library of Alexandria‹, dem Wiki dieser Alternativwelt. Viel Gelegenheit für Denkanregungen und Popkultur-Witzelein. — Doll fand ich, wie eigentlich immer bei Ruff, die große Bandbreite an Stimmungen und Themen. Da gibts Humor, Thrillerspannng, grandiose Äktionsequenzen, politische Satire, berührende familiäre Geschichten und nicht zuletzt geheimnisvolle Fantasy-Magie.
»Angelmaker« von Nick Harkaway: Auch der zweite Roman (nach »The Gone-Away World«) von Nick rockt voll Pulle. Seine Virtuosität der Abschweifung entzückt mich, ebenso die Bandbreite der Stimmungen und Themen seiner ›Existenzialismus-Pulp‹-Romane. Hier müssen sich der nach Ruhe & Normalität sehnende Sohn eines legendären Londoner Gangsters und eine betagte Superspionin samt knorzigen Köter in einem apokalyptischen Plot gegen einen nach Apotheose gierenden Finsterling bewähren. Enthält neben vielem anderen eine wunderbare Verbeugung vor der ›Craftmanship‹-Ethik von John Rushkin; eine der pfiffigsten Sex-Szenen, die ich seit einiger Zeit gelesen habe; sowie Elephanten-Rachengel, U-Boot- & Eisenbahnabenteuer, apokalyptische Uhrwerk-Bienen, und eine wuchtige Hymne, wie geil es ist, mit einer Tommy-Gun alles kurz und klein zu ballern.
»Year Zero« von Rob Reid: Als Hörbuch genossen und reichlich geschmunzelt und gelacht. Kommt 2013 mit extrem doofem Cover unter dem Titel »Galaxy Tunes®« als Heyne-Taschenbuch zu uns. Begeistert hat mich, wie es Rob Reid (als ›listen.com‹-Gründer und Internet-Unternehmer hat der Mann einfach Ahnung) gelingt, die Themen Urheber- & Lizenzrecht, also trockenes Juristen-Mumbo-Jumbo, in Form einer satirischen SF-Klamotte durchzuschütteln (nebst vielen trefflichen Späßchen auf Kosten der Popkultur und des Zeitgeschehens). — Für Musikfans die auch Science Fiction mögen eigentlich ein Muss!
»Railsea« von China Mieville: Es zeichnet sich der Trend ab, dass Miéville bei seinen Büchern für junge Leser (dessen zweiter »Railsea« nach »Un Lun Don« ist) ungezügelter drauflos-abenteuert und -fabuliert, als bei seinen Stoffen für Erwachsene. Was als staunensreich-verquere Homage auf Melvilles »Moby Dick« anhebt (fanatische Kapitänin einer Jagdtmanschaft stellt mit Eisenbahn im Schienenmeer einem gigantischen fahlem Maulwurf nach) entwickelt sich zu einer wendungsreichen Meditation über die Natur des Erzählens, die Ethik von Besessenheiten und die Rechnungen, die einem für das Verfolgen von Wachsumsideologien präsentiert wird.
»Alif the Unseen« von G. Willow Wilson: Lange Rezension gibt’s hier — Kurzfassung: Gelungene & durch Engagement glänzende Mischung aus ›Urban Fantasy‹, hAcktivim-Thriller, Bürgerrechts-Panorama und Liebesgeschichte. Wenn dieser Roman nicht fluggs von einem deutschen Verlag aufgegriffen wird, ist das ein gleissendes Zeichen dafür, dass die Programmgestalter dort einfach null Ahnung haben.
Desweiteren kann ich als lesenswert empfehlen (bzw. dazu raten, nach den event. noch erscheindenden deutschen Übersetzungen Ausschau zu halten):
• »The Folly of the World« von Jesse Bullington: Nach »The Sad Tale of the Brothers Grossbart« und »The Enterprise of Death« der dritte Roman von Bullington. Ein schwules Verbrächerpärchen – ein ab & zu halluzinierender Schlagmichtot und ein skrupellose Pläne schmiedender Edelmann-Bastard – machen sich mit einem halbwilden Meisterschwimmer-Mädel auf, sich fette Beute zu ergaunern. Bullington traut sich Finten und Wendungen auszuführen, wie nur wenige. Im Mittelteil etwas planlos, aber als Ganzes sehr stimmungsvoll, sprachlich von großer Wucht (wo’s derb ist) und Schönheit (wo’s z.B. um das Setting geht, die überschwemmten Niederlande des 15. Jahrhunderts).
• »Soulless« von Gail Carringer: Einer meiner Ausflüge in das für mich sehr wundersame Genre der ›Vaginal Fantasy‹ (gepriesen sei Felicia Day für diesen nützlichen Genre-Begriff) und ich bin entzückt. Die Krimihandlung um Vampire, Werwölfe und ihre Gegener im viktorianischen England ist eher Stangenware und reichlich vorhersehbar, aber die stets für humorvolle Griffe bereite Sprache, sowie die stellenweise exzessiven Flirt- & Knutsch-Einlagen zwischen Heldin Alexia und Werwolfrudelführer Lord Maccon sind allererste Kajüte. — Muss unbedingt rumgranteln, dass die deutschte Übersetzung der Titel einfach nur furchtbar ist (ich muss dass hier einfach auflisten. Die englischen Titel der 5 Romane der ›Parasol Protectorate‹-Reihe heissen: 1. »Soulless«; 2. »Changeless«; 3. »Blameless«; 4. »Heartless«; 5. »Timeless«. Und daraus wurde auf Deutsch: 1. »Glühende Dunkelheit«; 2. »Brennende Finsternis«; 3. »Entflammte Nacht«; 4. »Feurige Schatten«; 5. »Sengendes Licht«) und dass die deutschen Coverbilder auch nicht sooo der Hit sind. — Ach ja: Dank an Ju für den Tipp!
• ›Acacia‹-Trilogy von David Anthony Durham (1. »The War With The Mein«; 2. »The Other Lands«; 3. »The Sacred Band«): Große Polit-Fabel auf Sklaverei, Rohstoffabhägigkeit, die Fragwürdigkeit ›gerechter Kriege‹, Völkerverständigung, Machterhalt und Bevölkerungsunterwerfung und nicht zuletzt darüber, die wie Kommerzfürsten alle gegeneinander ausspielen und bescheissen. Hätte durchaus noch einen Lektoratdurchgang vertragen können, denn teilweise is datt Janze ein bisschen sentimental, und mir sind in der englischen Originalfassung einige ungeschickte Wortwiederholungen aufgefallen. Dennoch: tolle, ›fast klassische‹ Fantasywelt, die den Mumm zeigt, so mancher Routine vors Schienbein zu treten und mit vielen Details gewohnte Klischees geistreich umzukrempeln (vor allem was Geschlechterrollen, Rassen & Kulturen betrifft). Dadurch z.B. einige sehr interessante weibliche Hauptfiguren. Mit Magie und Zauberwesen geht’s erst ab Band zwei so richtig los, dann aber mit Wumms (wo gekämpft wird) & allerliebst (wenn z.B. wunderschöne Vogelechsen-Drachen gezähmt werden und die dann auch noch Eier legen). — Nochmal »Mercie!« an Gero für seine Empfehlung auf dem Dreieich-Con 2012!
• »John Saturnall’s Feast« und »The Pope’s Rhinocerous« von Lawrence Norfolk: Hier geht es zur ausführlichen Rezension von »Ein Rhinozeros für den Papst«. Dauerte ›nur‹ ca. 16 Jahre gedauert, mich durch dieses reichlich vertrackt geschriebene Renaissance-Abenteuer zu kämpfen, hat sich aber dicke gelohnt. — »Das Festmahl des John Saturnall« ist der bisher zugänglichste Roman von Norfolk, auch weil er sich immer wieder eines etwas märchenhaften Duktus bedient (und die Stimmung hat mich streckenweise entfernt an Mervyn Peakes »Gormenghast« erinnert), bzw. Fantasy-Flair aufkommen lässt. Mit den Wirren der Cromwell-Zeit als Hintergrund wird der Aufstieg des Sohns einer Kräuterfrau/Hexe zum angesehensten Koch seiner Ära geschildert. Sehr gefallen hat mir die Behandlung von protestatischem Glaubens-Eifer und der Überlieferung von (römischer) Geschichte in Form von Legenden, bzw. wie sich Biblisches und Heidnisches in Legenden mixen zu neuen Rezepten können. Zudem ein feines Stück über Arbeit, in diesem Fall vor allem natürlich der, die in der Küche anfällt. Und die Liebesgeschichte geht auch ans Herz.
• ›Millenium‹-Trilogy von Stieg Larsson (1. »The Girl With The Dragon Tattoo«; 2. »The Girl Who Played With Fire«; 3. »The Girl Who Kicked The Hornet’s Nest«): Wenn das Ex- & Hopp-Mainstream-Unterhaltungsliteratur ist, dann gerne her damit, bzw, dann kann’s um den Geschmack ›der gemeinen Massen‹ sooo schlimm nicht bestellt sein. Selten hab ich dicke Dinger derart flott weggefräst. Nicht nur, dass Larsson mit Lisbet Salander eine atemberaubende soziopathisch angehauchte, ›Opfer schlägt zurück‹-AntiHeldin geschaffen hat, mir taugen auch seine Themen und seine Politik (AntiFa, AntiSexismus, Anti-Frauenhandel, Kritik an Selbstermächtigung von Geheimdiensten usw.).
• ›Raylan Givens‹-Geschichten von Elmore Leonard (Romane: »Pronto«, »Riding The Rap«; Kurzgeschichte: »Fire In The Hole«): Die TV-Serie »Justified« hat mich überzeugt, und da habe ich mir die Vorlagen besorgt. Leonards sparsame aber hocheffektvolle Prosa ist respektgebietend (Genial simpler Rat für alle Autoren, und ich fände es spannend, wenn sich mehr Fantasy-Schöpfer davon anregen ließen: »Lass die Stellen weg, welche von Lesern übersprungen werden«). Und schön zu sehen, wie fein sich Western-Athmo in die heutige Welt übertragen lässt. Bleibt zu beklagen, wie kümmerlich die Auswahl deutscher Leonard-Ausghaben ist, aber immerhin scheint sich nun Suhrkamp kümmern zu wollen (dort erschient 2013 der dritte Raylan-Roman, der einfach nur »Raylan« heißt, den ich auch noch nicht kenne).
• »Dog Of the South« von Charles Portis: Hingerissen von »True Gritt« habe ich mir alle anderen vier Romane von Portis besorgt. Dieser hier ist ein schräges ›Road Movie‹. Selten fand ich es so spannend, wenn geschildert wird, wie nix passiert, denn selbst dann weiß dieser Roman mit einer eigenartigen Mischung aus trockenem Humor, cooler Exzentrik, Melancholie und schierem Aberwitz zu überzeugen.
• »The Coldest War« von Ian Tregilis: Vielleicht noch besser als »Bitter Seeds«, der erste Band der ›Milkweed‹-Trio. Der zweite Weltkrieg ist vorbei, nun geht’s in die frühen Jahre des Kalten Krieges mit englischen Blutdämonen-Beschwörern gegen sowietische Götterelektron-Übermenschen. Hut ab vor einer beeindruckenden Orakel-Antagonistin, bzw. zwielichtigen Helferin auf der Seite der Guten, die aber leider so irre & unberechenbar ist, dass weder Leser noch Romanfiguren sich sicher sein können mit ihr. Viel Tragik, die Äktschn ist packend inszeniert. Erfreulich reif und berührend für diese Art grimmer Genre-Garn. Ich freu mich sehr auf den Abschlussband »Necessery Evil« 2013.
• »The Half-Made World« von Felix Gilman: Der Wilden Westen ist m.E. eine vorzügliche Fundgrube für Fantasywelten und Gilman formt aus zwei der kräftigsten Symbole der Epoche/des Genres die tragenden Säulen seines Weltenbaus. Es stehen sich gegenüber: die Heerscharen an Beamten & Soldaten von ›the Line‹ (dämonischen Eisenbahnmaschinen; verbreiten Industrie, Ordnung, Ausbeutung, Pharmazie; süchtig nach Treibstoff) und die Draufgänger-Banditen von ›the Gun‹ (über den Raum hinweg in Feuer-Beschwörungen konferierende Dämonen, die in Pistolen hausen und deren Träger Superkräfte verleihen; allesamt ziemlich anachrische und bluthungrige Knilche und Knilchinnen). Zwischen den Fronten haben einst die Leute von der Red Valley Republic versucht, einen dritten Weg zu finden, wurden aber aufgerieben. — Freut mich zu sehen, dass es mittlerweile einen weiteren Roman von Gilman gibt (»The Rise of Ransom City«), der in dieser Welt angesiedelt ist, und dass dieser anscheinend ähnlich wie bei Miévilles ›Bas-Lag‹-Büchern sowohl als Fortsetzung als auch als Einzelroman funktioniert.
Gut Buch (Sach)
»Der Implex« von Dietmar Dath & Barbara Kirchner: Richtig dick, famose Herausforderung. Bin sicherlich ein gutes Stück zu dumm, bzw. zu ungebildet, was einige der Geistesgrößen betrifft, über die im Buch desöfteren referiert wird. Dennoch doll, vor allem dank reichlicher Beachtung der Phantastik als wichtige Sache für den sozialen Fortschrift.
»Combined & Uneven Apocalypse: Luciferian Marxism« von Evan Calder Williams: Anhand von Filmen und anderen populären Medienwerken seit den 60ern/70ern bis heute untersucht der Autor, welche Erkenntnisse/Offenbarungen diese bieten bzgl. des Untergangs des Kapitalismus, sowie was danach kommt. Besonderes Augenmerk gilt dem sogenannten ›Salvagepunk‹ (mehr dazu hier unter Punkt 5), dem modernen Zombie-Mythos, sowie ruinöser Stadtlandschaften der dystopisch-apokalyptischen Science Fiction. Kurz: ein richtig knuffiges Gute Laune-Buch für stoisch-misantrophische Optimisten wie mich.
Gut Comic
»Dragonball« von Akira Toriyama: Bin ich froh, dass mein neuer junger Brotjobkollege M. W. mir mehrmals in höchsten Tönen dieses 8000-Seiten-Manga empfohlen hat, bis ich zustimmte, er solle mir ruhig mal die ersten 5 (von 42) Bänden mitbringen, damit ich reinlesen kann. In vielerlei Hinsicht vielleicht die irrste, aufregenste, spassigste, süchtigmachenste & äktschnreichste Lektüre seit ich weiß nicht wann für mich. Zwar gibt es eine längere Strecke, die ein klein wenig eintönig ist, aber die Eintönigkeit besteht aus langen immer krasseren Mega-Kampf-Szenen die sich über mehrere hundert Seiten erstrecken ... also eigentlich kein schwerwiegender Minuspunkt. Ganz großartig immer die Slapstick-Humor-Einlagen; grandios die ausführlichen Kampfkunst-Tuniere; vom Stuhl gefallen bin ich über die ungezügelt niedlichen sexistischen Witzelein vor allem in den frühen Bänden (»Ich wünsche mir: eine Mädchenunterhose!«). Wahrlich: »Dragonball« ist ein fetziger Klassiker, und ich freue mich schon darauf, ihn ein zweites Mal wegzuschlürfen.
»Die Besten Feinde« (Teil 1: 1783 bis 1953) von Jean-Pierre Filiu (Text) & David B. (Zeichnung): Diese Franzosen! Machen eine Sach-Graphic Novel in schwarz-weiß über die außenpolitischen Macheleukes der USA im Orient, reichern das ganze mit babylonischen Mythen an und veranschaulichen die diplomatisch-militären Knäul anhand surrealer Bildkompositionen. Da bleibt mir nur, mich auf Band 2 zu freuen.
»DMZ« von Brian Wood (Autor) & diversen Künstlern: Hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Matt Ruffs »The Mirage«, insofern, als dass auch hier ein Alternativweltenbau geschildert wird, in dem die zeitgenössischen USA in einen neuen Bürgerkrieg gestürtzt sind und in dem New York als von Krisennarben & Kriegsgreul gebeutelte entmilitarisierte Zone portraitiert wird. Meisterhaft fand ich, wie Wood und sein Team zuerst Fronten und Parteien gegeneinander aufzustellen, um dann immer mehr die Grenzen zwischen Gut und Böse mit viel moralischen und tragischen Grau-Grau zu verschmieren.
»Shenzhen« und »Pyongyang« von Guy Delisle: Eine Empfehlung von Andrea, für die ich sehr dankbar bin. Vordergründig eine Sammlung simpler autobiographischer Skizzen eines Franzosen, der zwecks seines Jobs für ein Animationsstudio in der Fremde die billigen Produktionskräfte beaufsichtigt. Mit großem Beobachtungs- & Erzähl-Können, kraftvollen einfach gehaltenen Zeichnung beschenkten die Bände mich mit einem Potpourrie kleiner Alltagsfreuen- & Absurditäten, menschlich anrührenden Momenten ... kurz: eine effektvolle Mischung aus Humor, Melancholie und Posie.
Gut Mukke
»Theatre Is Evil« von Amanda Palmer: Endlich wieder ein Album von Frau Palmer auf der Höhe ihres Meisterwerkes »Who Killed Amanda Palmer?«. Kantik, pompös, melodiös, theatralisch, rau, melancholisch. Lieblingssongs: »The Killing Type« und »Want It Back«.
»Lightning On The String, Thunder On The Mic« und »Rappalachia«von Gangstagrass: Noch eine Anregung durch die TV-Serie »Justified«, für die Gangstagrass die Titelmusik geliefert hat. Warum hat es so lange gedauert, bis jemand auf die Idee kam Rap und Country/Bluegrass miteinander zu verkuppeln. Lieblingssong: »Big Branch« feat. Tomasia.
»Who Is Feeling Young Now?« von Punch Brothers: Was für die Veredelung der heimischen Volks- & Tanzbodnmusik die Biermösl Blosn ist, das leisten die Punch Brothers bezüglich des reichen Deltas, in dem Country, Folk, Bluegrass, Polka, Rock und was nicht noch alles münden. Lieblingssong: die Ballade »Clara« und das überfetzige Instrumentalstück »Flippen«.
Ebenfalls großartig fand ich den »Assassins Creed III«-Spiele-Soundtrack von Lorne Balfe (stimmungsvoller Orchestral-Bombast aus der Hans Zimmer-Schule), sowie die Filmmusik zu »The Girl With the Dragon Tattoo« von Trent Reznor & Atticus Ross (experimenteller & sperriger als der im letzten Grenzübergang empfohlene Soundtrack zu »The Social Network«, aber ideal für kalte Tage).
Gut Film/Serie
Kinners, war das ein reichhaltiges Phantastik-Filmjahr! Vielleicht wird man einmal auf 2012 zurückblicken wie auf das ›Annus mirabilis‹ 1982. Ich führe die Filme hier ungefähr in der Folge auf, in der ich sie gesehen habe, bis auf den ersten, denn …
… »The Cabin in the Woods« ist mein Lieblingsstreifen des Jahres. Locker, spritzig, stimmungsvoll, mit so dollen doppelbödigen Grundgerüst, dass man noch nicht mal die ersten 5 Minuten erzählen kann, ohne jenen, die nicht Bescheid wissen, den Spaß gehörig zu versemmeln. Selbst wenn der Film luschig wäre, enthält er eine der überwältigsten Großgemetzel-Szenen der mir bekannten Filmgeschichte (ich sag nur: alle Türen gehen auf).
»The Girl With The Dragon Tattoo«, die David Fincher-Fassung. Ich finde schon die schwedische TV-Version sehr fein, aber Finchers exzellente Ausführung setzt nochmal einen drauf. Zudem muss ich zugeben, dass mir Maras komplexere Lisbet-Darstellung einen Tacken mehr taugt, als Rapaces herbere Interpretation der Figur.
»War Horse«: Wie schieb ich letztes Jahr anhand von »Tim & Struppi«? Spielberg hat’s noch immer druff! Natürlich ist »War Horse« derart gnadenlos rührselig (auf eine allerdings knuffig-altmodische Weise), dass alles zu spät ist, was mir aber den ungewöhnlichen Reiz dieses ›Erster Weltkrieg aus Sicht eines Pferdes‹-Films nicht versauen kann.
»Downton Abbey« Staffeln 1-3: Nachdem mehrere Mädels mich immer wieder darauf hinwiesen, wie großartig diese Adels- & Dienstboten-Saga ist, habe auch ich sie endlich entdeckt. Schon ungeheuerlich, wie weit sich Autor Julian Fellows traut zu gehen, um dramatische Höhepunkte rauszukitzeln. Wenn hier gestorben wird, räumt einen das richtig heftig weg. Da bleibt kein Auge trocken. Hier geht es zu einem exzellenten Lob auf die Serie von Andrea Diener für die F.A.Z.
»Mad Men« Staffeln 1-5: Ja gugge mal da! Die Amis können also auch subtil, ruhig & auf leise humorige Weise kritisch mit ihren eigenen goldenen Zeitaltern & Milieus sein. Für mich das beste an der Serie: die gnadenlose Autopsie der affigen Selbstverherrlichung von Männchen, sowie das Ringen der Frauen im Egotrip-Grabenkrieg der Werbeagentur und deren Umfeld.
»The Avengers«: Marvel-Comics sind mir ziemlich Wurscht, und die verschiedenen in diesem Film mündenden Vorläuferfilme über die einzelnen Helden fand ich zwar kurzweilig von ›ganz nett‹ (»Thor«, »Iron Man 2«) bis ›erstaunlich okey‹ (»Hulk« mit Edward Norton, »Iron Man 1« & »Captain America«), aber nicht sooo umwerfend wie manch anderer Superhelden-Sympathisant. Auch wenn »The Avengers« nicht vollkommen perfekt ist, macht er viel mehr richtig als falsch, und schafft es ergo locker, meinen fast schon verkümmerten Glauben an das große Popcorn-Sommerblockbusterspektakel wieder zu beleben.
»The Hobbit: An Unexpected Journey«: Ist es hochproblematisch aus dem schmalen Kinderbuch unter Anzapfung von Zeugs aus »Silmarillion«, »Unfinished Tales« & »History of Middle-earth« eine dreiteilige Filmflotte zu machen? Geschenkt. Ich finde, die Angleichung der ursprünglich unbedarfteren, kindlicheren »Hobbit«-Geschichte an den schicksalsgeschwängerten, düster-epischer Ton von »Der Herr der Ringe« ist überwiegend gut gelungen. Nach zweimaligen Begutachten im Kino bin ich sogar der Meinung, dass dieser erste »Hobbit«-Film besser ist, als die erste »LOTR«-Kinoversion vor 10 Jahren.
»Dredd 3D«: Endlich haben wir einen Film-Judge Dredd, der dem englischen Comic-Klassiker gerecht wird. So ehrlich und geradeaus, wie ein Tritt in die Fresse. Schön zu sehen, dass es noch möglich ist, gut gemachten Brutalo-Krawumms mit Niveau serviert zu bekommen.
»Coupled«, BBC-Serie: Empfehlenswert für alle, denen »Friends« zu zahm & süßlich ist. Vor allem die später durch »Leverage« international bekannter gewordene Gina Bellman brilliert als durchgeknallte Narzissa-Nudel.
»American Horror Story«, Staffel 1: Großer Dank an Markus Pogopuschel für diesen Tipp! Statt eines ersehnten freidvollen Neuanfangs nach Umzug von Ost- an Westküste, gibts für eine dreiköpfige Familie verschachtelten Gespensterhorror und reichlich spinnerte Nachbarn. Ganz groß, wie mit einem Minimum am Blut und Gewalt ganz viel Gänsehaut verursacht wird.
»Brows Held High: ›Melancholia‹«: Ja wirklich, diese zweiteilige Video-Besprechung über Lars van Triers Film finde ich so gut, dass ich sie zu den besten Filmen des Jahres zähle. Immerhin: Kyle Kallgren gelingt es angemessen ernst und gehaltvoll über das Tabu-Thema des Filmes (Depression) zu sprechen und dennoch gekonnt mit dem nötigen, weil schmackhaft machenden Humor, aufzuwarten. Also, Cinephile, überzeugt Euch: Hier geht’s zu Teil eins und hier zu Teil zwei.
Kurze Erwähnungen haben auch verdient (ohne besondere Reihenfolge):
• »Cloud Atlas«: Bei soviel Ambition knickt natürlich so manches als albern und naiv vorn & hint runter. Trotzdem eine beeindruckende Leistung und ein großer Guck-Spaß.
• »Prometheus«: Die beste herbe Enttäuschung. Doofes Drehbuch, aber sehr schöne Bilder und brauchbare Stimmung. Die Kommentartonspuren von Regie & Drehbuch-Leuz auf der Blue Ray geben erhellende Einblicke in die Werdegänge beknackter Entscheidungen. Herr Scott, beim nächsten großen Genre-Flick bitte genauso viel Sorgfalt, Sensibiliät und Hirnschmalz ins Drehbuch investieren wie ins Design, versprochen? Dann klapps auch mit der Fan-Base.
• »Looper«: Science Fiction ist ein wunderbares Vehikel um dem nichts ahnenden Spektakel-Publikum unbequeme moralische Botschaften reinzuwürgen. Bravo!
• »Chronicle«: Siehe »Looper«, plus ich wähne hier nicht wenig Verbeugung vor einem meiner Lieblings-Klassiker der Supermutanten-SF (»Akira«). Zudem ein überzeugendes Beispiel, dass sich aus Wackelkamera & Found Footage durchaus Brauchbares machen lässt.
• »Juno«: Lustig, knuffig, schräg. Hach ... Ellen Page ist einfach unvergleichlich.
• »The Hunger Games« (Teil 1): Große Überraschung für mich, denn ich dachte eingangs, dass »The Hunger Games« auch nur so’n Young Adult/Mädchen-Schmu ist, wie die »Twillight«-Filmchen oder lahme Enten wie »I Am Number Four«, aber ich bin gebafft, wie gut diese erstaunlich harte Geschichte umgesetzt wurde. Gebt mir jederzeit medien- und sozialkritische Dystopie-Science Fiction in der sich Kiddies zur Bespaßung bzw. Einschüchterung der Massen gegenseitig abmurksen. Hab mittlerweile innerhalb von zwei Tagen auch das erste Buch von Suzanne Collins verschlungen und für vorzüglich befunden.
• »A Wyrd Documentary: Lovecraft – Fear of the Unkown«: Lebende Genre-Größen & Kenner wie Guillermo del Toro, Neil Gaiman, John Carpenter, Peter Straub, Caitlin R. Kiernan, Ramsey Campbell, Stuart Gordon, S. T. Joshi, Robert M. Price und Andrew Migliore plaudern über den Papst der Weird Fiction, des Horrors & der Dark Fantasy, unterlegt mit viel Bildmaterial der edelsten Lovecraft-Illustratoren.
Beste / Schlimmste Momente
Seit April 2008, angeschafft zum Erscheinen von »GTA IV«, habe ich eine PS3, und bis vor kurzem spielte ich auf einem furznormalen Monitor, also mit Popelauflösung. Schimpft mich einen matten kleinen daddel-geilen Materialisten, aber ich freue mich narrisch über einen HDMI-fährigen PC-Monitor, der mir für umme überlassen wurde.
Zweimal Golkonda-Freude: a) Der von mir übersetzte Band mit Kurzgeschichten von Ted Chiang, »Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes«, hat zwar nicht sooo viele, dafür aber ausnahmslos wohlwollende, ja sogar begeisterte Rezensionen für sich verbuchen können, und wurde in Foren von SF-Fan- und SF-Netzwerk von einigen Lesern als ein Lieblingsbuch des Jahres erwähnt. — b) Die erste Hellboy-Anthologie aus dem Jahre 1999, »Odd Jobs«, ist endlich auf Deutsch unter dem Titel »Die Rache der Medusa« erschienen, und als Hellboy-Fan war es für mich freilich Übertop, dass ich die hälfte der Übersetzungsarbeit übernehmen durfte.
Bruder Hein grient: Aufsichts-Kollegin ist auf dem Weg zum Arzt auf der Straße tot umgefallen.
Frust: Zusagen werden nicht eingehalten. Da macht Loyalität nicht so viel Spaß.
Scham: Um Gefallen gebeten, der sich zu krasser Zumutung entwickelte.
Dauert nicht mehr lange, und es erscheint Ausgabe 24 von »SF-Personality« im Shayol Verlag Berlin. Es war schon seit längerem geplant, dass dieser Band sich Ray Bradbury widmen wird. Der traurige Zufall wollte es, dass Bradbury im Sommer dieses Jahres verstarb, und Band 24 von SFP somit eine höhere Relevanz aufgebürdet wurde. Was ich so aus der Werkstatt höre, wird es die bisher umfangreichste Ausgabe.
… wobei ich (was Molochronik-Stammlesern bekannt sein dürfte) das Akronym ›SF‹ wahnsinnig gerne vor allem als ›Speculative Fiction‹ auflöse, und erst in zweiter Linie als ›Science Fiction‹. — So läßt sich auch erklären, warum die Titel, welche ich im Folgendem genannt habe, ein bischen aus der Reihe tanzen.
Es begab sich nämlich, dass Michael Schneiberg von der schönen SF-Podcast-Seite ›Schriftsonar‹ um meine Expertise zum Thema »Most underrated SF-Novels« gebeten hat. Neben meiner bescheidenen Wenigkeit haben auch solche mit dem Phantatischen vertrauten Kapazunder wie Michael Iwoleit, Hardy Kettlitz, Arno Behrend und Christian Hoffmann geantwortet.
Meine Tipps gehen so:
A.S. Neill: »Die grüne Wolke« (»The Last Man Alive«) — Klassiker der wilden Jugendliteratur aus dem Jahre 1938. Irgendwo zwischen Endzeit-SF, Abenteuertumult und völligem Chaos. Übersetzt von Harry Rowohlt. Empfohlen sei die Ausgabe mit den Illus von F. K. Waechter (oder das von Herrn Rowohlt selbst eingelesene Hörbuch).
William Browning Spencer: »Résumé With Monsters« — Siebzehn Jahre ist dieser Roman alt und immer noch unübersetzt im Land der mehrfachen Lovecraft-Ausgaben. Hier trifft kosmisches Grauen auf moderne McJob-Arbeitswelt … mit Romanze!
Kleiner Stegreif-Vortrag, der mir gerade aus dem Hirn gepruzelt ist, eigentlich für den entsprechenden Thread im SF-Fan-Forum. Sollen aber die Molochronik-Leser auch was von haben.
Bei der Frage zum »Ende der SF« kommen schnell mal mindestens folgende drei Auffassungen des Genre-Begriffs ›SF‹ einander ins Gehege:
SF, so wie der Handel, das Marketing sie verstehen, aufs Buch pappen (oder auch nicht). So ärgerlich eine Praxis hier zuweilen sein kann, ermuntere ich dazu, mal gelassen zurückzutreten und sich zu besinnen: »Ach ja, hier geht es ums Ansprechen und Zum-Produkt-Lotsen von potentiellen Käufern. Also letztendlich um Aufmerksamkeitsmanagement« (nannte sich früher: Marktschreierei). — Wollen wir also die Zurechnungsfähigkeit dieser Art von ›Deutungshoheit‹ den Genre-Begriff SF betreffend mal mit großer Vorsicht genießen, ohne zu vergessen, jenen Verlagen und Programmgestaltern unseren Respekt und Dank zu zollen, die auf diesem Felde (noch) keinen (kompletten) Schindluder treiben.
Wenn sich bei den Gepflogenheiten, wie und ob und was als SF etikettiert wird merklich etwas so geändert hat, so dass man von einem »Ende der SF« unken kann, dann liegt das sicher zum einen an einer mutmaßlichen oder gut extrapolierten Sondierung des möglichen gesamten Publikums (vulgo: des Mainstreams oder Ottonormalpublikums); und (bei den umsichtigeren Programmgestaltern) auch an den Stimmungslagen, die dem Fachpublikum (also: SF-Fandom) abgelauscht werden. Also, spielt eine Rolle auch der SF-Genre-Begriff von …
… der Peer-Group, der Leserkreise, die mehr oder minder ausschließlich, oder zumindest mit großem Interesse und einhergehender Leidenschaft ›auch‹ SF lesen und entsprechend in eine vom Fandom gepflegte Diskurs-Tradition eingebunden sind. Wenn ich als Stichpunkte anführen darf, dass …
a) durch das Pendeln der Kreativen zwischen Markttauglichkeit (Wiedererkennbarkeit, Genre-Formel) und — man verzeihe mir den hehren Ausdruck — ›künstlerischer Ambition‹ (Originalität, Abweichung) …
b) … im Laufe von Jahren eine Genre-Dialektik der Ausreifung, Verfestigung, Hochblüte, Selbstbezüglichkeit, Überstrappazierung, Routinie-Ermüdung, Neulandsuche, Grenzüberschreitung, Abzweigung und Ausdifferzierung stattfindet, und es …
c) … deshalb logischerweise viele verschiedene Gruppen gibt, die z.B. einer bestimmten Spielart der SF die Treue halten, so ist es nicht verwunderlich, wenn …
d) … die Gespräche der Kenner über SF (und was SF sei) mitunter wie ein babylonisches Gezeter anmutet.
(Notfalls hier einfach an Morgan Freeman in dem Costerner-»Robin Hood« denken: »Gott liebt die wunderbare Vielfalt.«)
Schnell vergisst man da die Einigkeit der Liebe für das Genre angesichts der schier unüberschaubaren verschiedenen und teils einander widerstrebenden Sichtweisen. Die Klage der einen über ein »Ende der SF« mag dann durchaus begründet sein, weil eben ihre Variante im Rückgang befindlich ist; während andere, neue Varianten, Wiedergeburten des Genres noch oft genug gedreht, gewendet und von genügend Lesern abgeschmeckt werden müssen, bis sich verfestigt, dass es sich hier ›auch‹ tatsächlich um SF handelt (egal was Gruppe 1) auf den Umschlang etikettiert, oder kritische (oder einfach nur besonders hartnäckige) Mengen von Gruppe 2) noch abschlägig herumdefinieren).
Schließlich der einzelne Leser, bei dem es eben vor allem darauf ankommt, wie seine ureigenste Lesereise sich gestaltet und gestaltet hat, wie der Verlauf dieser Reise wiederum seine Kenntnis, sein Urteilsvermögen, seinen Geschmack geformt hat. Nicht zuletzt hängt die Beantwortung der Frage nach einem »Ende der SF« durch diesen gedachten einzelnen SF-Lesern davon ab, wie seine Kenntnisse des Genre-Begriffes geartet sind, z.B. stur dem folgend, was Gruppe 1) deklariert (wie brunzdumm das auch teilweise sein mag); oder einem essentialistischen Genre-Verständnis folgend mit fixen EIn- und Ausschlusskriterien;
… diese beiden Beispiel-SF-Fans werden öfter herbe Enttäuschungen verbuchen müssen angesichts des Wandels der Moden und Begrifflichkeiten als z.B. SF-Fans, die sich lieber pragmatisch mit Einzelfällen auseinandersetzen, denen ein-eindeutige Schubladen-Taxonomien suspekt sind, und die über genug gedankliches Slalom-Geschick verfügen, auch mal etwas als SF zu nehmen, das weder von einer Quelle kommt, die SF-Stallgeruch hat, noch dass SF drauf steht.
Ich persönlich z.B. kann durchaus der Aussage zustimmen, dass ›SF‹ als Marktschreier-Anpreisungs-Schlagwort in den letzten Jahren von bestimmten Verwerten gemieden wird, sich de facto aber die SF als Ganzes, mit mannigfachen verschiedenen Erscheinungsformen tummelt und sprießt wie Bolle. — Oder, wie auch schon mal gesagt wurde, nicht nur von mir: SF hat gewonnen, sie wird deshalb seltener augenfällig ausgeschildert, weil man stillschweigend davon ausgeht, dass die SF-Zeit schon da ist (nur eben — William Gibson folgend — nicht gleichmäßig verteilt, und sicher nicht mehr so optimistisch Pfadfinder-fröhlich zu haben wie in manchen vergangenen Segmenten des Annodunnemals).
Der Text des 23. Bandes der Reihe »SF-Personality« des Shayol Verlages Berlin wird seit dieser Woche Korrektur gelesen, wie mir Herausgeber Hardy Kettlitz gestern gemailt hat.
Hier eine große Ansicht der Portrait-Vignette fürs Cover.
Vielleicht mache ich dieser Tage eine entsprechend empfindliche Phase durch, aber mich nerven diese Verlautbarungen von Genre-Freunden, dass ihr geliebtes Genre ›nur‹ Unterhaltungskram ist. Mir erscheint diese Haltung wie ein aggressives Beharren auf dem Spielplatz bleiben zu wollen, weil sich ins Labor, oder die Werkstatt, oder den Trainingsraum (oder eben woanders hin als einen Spielplatz oder ins Nichtschwimmerbecken) zu begeben, dummerweise bedeutet, ein bischen darauf zu achten, dass einem die Affekte nicht auf dem Kopf rumtanzen.
Darauf zu bestehen, dass man in seiner knappen Freizeit, in der man ja viel Stressabbauarbeit als Ausgleich zur Lebenserhaltungskostenverdienstarbeit leisten muss, gefälligst Spaß und Entspannung und ein wenig stoß- und unfallsicheren ›Sense of Wonder‹ konsumieren möchte, ist eine Sache, die ich niemanden zum Vorwurf mache. Allerdings finde ich es empörend (wie ich meine zurecht), wenn dem Verlautbaren eben dieses frommen Wunsches oftmals sogleich als Rattenschwanz folgt, wie man offenkundig jeden zarten Anflug ernsthafter Gedanken, den andere sich zum geliebten Genre-Feld machen, als Bedrohung missversteht, wogegen man sich nur mit antiintellektuellen Gefühlsrülpsern zu erwehren weiß.
Natürlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn man als Leser seinen Stoff vor allem als Unterhaltung begreift. Andererseits: wer ließt schon Bücher mit dem eisernen Vorsatz, sich zu quälen, zu langweilen und selbst in den Wahnsinn zu treiben! — (Obwohl, wenn ich bedenke, dass es Leute gibt, die ›gerne‹ Ulla Hahn oder Peter Handke lesen …)
Kurz: kein Genre (und das, was im Feuilleton als ›Hochliteratur‹ bezeichnet wird, ist auch ›nur‹ ein Genre von vielen) ist davor gefeit, dass sich unter seinem Schirm Werke finden lassen, die gehaltvoll, ausgeklügelt, relevant und herausfordernd sind UND SICH VON LESERN (nicht allen, aber schon so manchen) SOGAR ALS UNTERHALTUNG GENOSSEN WERDEN KÖNNEN!
Science Fiction ist ein Genre, dass sicherlich nicht jedermanns Sache ist, aber der von mir (und so manchem klugen Kopf wie z.B. William Gibson oder dem oben schon erwähnten Dirk van den Boom) hie und da im Internet diagnostizierte Sieg, die Entgrenzung der SF hinein in andere Genre-Felder, ist doch wohl ein Zeichen dafür, dass die Gegenwart aufgeschlossener ist für Gedanken über Zukunft, Technik, Wissenschaft und entsprechende phantastische (ernste) Späße, die man damit haben kann, als berechtigte Klagen über den von der Kulturindustrie ausgespuckten Einheitsbrei befürchten lassen. Die Lage ist weder schwarz (= »Alles Mist«) noch weiß (= »Alles toffte«), sondern eben irgendwo dazwischen (= »S’hat Aprilwetter«). — (Halt! Moment! Ich mag Aprilwetter, und wenn ich mich umgucke, was größtenteils pupliziert, gefilmt, gesendet und gedaddelt wird, dann hats in Sachen Science Fiction für meinen Geschmack kein Aprilwetter, eher Mongrovenwaldsommer. Doch es gibt genug gute Sachen, die sich finden lassen, wenn auch nicht immer ein großes leuchtendes ›SF‹-Genre-Ettikett draufpappt.)
Eintrag No. 747 — Perry Rhodan feiert Fufzigsten?! Soll sein. Schön für die Rhodan-Fans … mir herzlich Wurscht. Vielleicht, aber nur ganz vielleicht, wenn eine angeschwipse Muse mir das Hirn durchwuschelt, werde ich mir den bald erscheinenden ersten Band des Neustarts der Reihe, »Perry Rodan NEO«, besorgen.
IX.XI. hat zehnten Jahrestag. Führt mir nur vor Augen, dass ich zu den sogenannten ›Verschwörungstheoretikern‹ gehöre, weil ich nicht dem traue, was die öffentlich-rechtlichen- und (sogenannten) Qualitäts-Medien über diesen Zerstörungsakt verbreiten.
Halt.
Stop.
Schon alles durcheinander.
Als jemand, der ziemlich früh der Meinung war, dass an den offiziell verbreiteten Erklärungen zum Anschlag etwas nicht stimmt, gehöre ich wohl zu den ›IX.XI.-Verschwörungstheoretikern‹. Andererseits ist das, was Mainstream-Medien und herrschende politische Kräfte an Erklärungen verbreiten selbst geeignet, als Verschwörungstheorie bezeichnet werden zu können … eben als ›offizielle Verschwörungstheorie‹. Und nun kann man sich nun lange gegenseitig zeihen, Anhänger der einen (paranoiden) oder anderen (gutgläubigen) Verschwörungstheorie zu sein. Bringt aber auch nicht viel.
Sinnvoll wäre schon eher, die ganze Angelegenheit mal wirklich ordentlich zu untersuchen, und nicht etwa, entscheidende Daten und Dokumente zu vernichten oder gar nicht erst heranzuziehen, bzw. wichtige Zeugen zu befragen, bzw. deren Aussagen zuzulassen. Wie ich vor einigen Wochen schon berichtete, bietet das Buch »9.11. Zehn Jahre danach« von Bröckers und Walthers eine schöne Übersicht zu den undichten und fragwürdigen Stellen der offizellen Version.
Ach ja, dieser ›Telepolis‹-Text von Marcus Klöckner ist ein schönes Beispiel für die Art, wie die Qualitätsmedien mit den (paranoiden) IX.XI.-Verschwörungstheorien umgehen: 9/11: Wie Kritiker zu Zirkusdarstellern wurden (= Eine Analyse des ›Die Zeit‹-Artikels Ein Wahn stützt den anderen von Jörg Lau).
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Lektüre: Mit großer Begeisterung nun fast die Hälfte von Neal Stephensons »Reamde« erreicht. Zur Struktur: Das Buch – die Atlantic-Ausgabe – hat 1042 Seiten besteht aus zwei Teilen: A) »Nine Dragons« (7 Kapitel, bzw. 142 Abschnitte), und B) »American Falls« (12 Kapitel, bzw. 142 Abschnitte), mein Dramatis Personæ (also Verzeichnis der Figuren mit Namen) zählt bisher 41 Figuren, und ich habe eine ganze Reihe Abschnitte hinter mir, die Szenenapplaus verdienen. Jupp, Stephenson gehört zu den wenigen Autoren, bei deren Büchern ich mitgehen kann, wie sonst nur bei Popkorn-Kino.
Die Handlung teilt sich bisher in zwei große Stränge. Zum einen wird die Geschichte von Richard Forthrast erzählt, dem ›schwarzen Schaf‹ eines gut situierten Farmerclans aus Iowa, der sich 1972 vor der US-Armee nach Kanada verkrümelt hat und mehr aus Zufall damit beginnt, durch den Schmuggel von Dope über die Grenze Geld anzuhäuften. Mit diesem Geld hat er in British Columbia ein hübsches Landschloß renoviert und betreibt es zusammen mit einem Motorradclub-Kumpel als Ausflugsziel für Ski- & Snow Board-Narren. Nach einigen ziellosen Jahren gründet Richard in den späten 80ern dann zusammen mit einem chinesischen Geschäftsmann eine Spiele-Firma und startet das Multiplayer Rollenspiel der Fantasywelt T’Rain. Ein Gutteil des Romanes dreht sich um die Entwicklung und wirtschaftliche Funktionswiese von T’Rain, und einige packende Abschnitte finden in der Spielewelt selbst statt.
Eine der erwähnten Szenen, die mich zum lauten Johlen und lustvollem Jauchzen brachte, schildert ein Arbeitstreffen der Story-Entwickler der T’Rain-Spielewelt. Richard hat zwei Fantasy-Autoren engagiert. Zum einen einen den angesehenen englischen Professor Donald Cameron, Mittelalter- und Sprach-Experte; zum anderen den amerikanischen Vielschreiber Devin Skraelin. Die beiden kriegen sich in die Wolle was die Schreibweise von Fantasy-Begriffen der T’Rain-Welt angeht, was in der sogenannten ›Apostropocalypse‹ mündet. Donald, ganz penibel auf Plausibilität und Schlüssigkeit bei der Entwicklung von Fantasy-Begriffen erpicht, deutet aus, dass die Art wie Devin mit Apostrophen um sich schmeißt Unsinn ist. Devin findet derart kleinkrämerische Begründungsambitionen Quatsch, denn Fantasy-Begriffe wie T’Rain, K’Shetriae oder D’uinn sollen einfach nur cool aussehen. — Dieser Gegensatz ift typisch für die Fantasy-Szene und spiegelt sich auch wider in einem Krieg zwischen zwei Spieler-Fraktionen auf T’Rain: Fantasy-Welten und deren Inhalte werden von Design-Teams entworfen und das Aussehen der verschiedenen Rassen, Klassen usw. richtet sich unter anderem nach bestimmten Farbpaletten. Die einen Spieler bleiben den klassischen Farbpaletten treu (= die ›Earthtone Coalition‹), andere Spieler basteln sich Modifizierungen um z.B. iheren Zwerg in schrillen Popfarben herumlaufen zu lassen (= ›Forces of Brightness‹).
Handlungstreibendes Element ist ein gemeiner Virus, eben REAMDE, der Computer von T’Rain-Spielern infiziert, dort dann alle privaten Daten verschlüsselt und die Opfer auffordert, eine Summe der Spieleweltwährung in einem bestimmten Gebiet von T’Rain abzuliefern. — Der zweite große Handlungsstrang folgt Richards Nichte Zula und ihrem Hacker-Freund Peter. Peter hat sich mit einem zwielichtigem Typen, Wallace, auf einen Handel mit Creditkartendaten eingelassen. Dummerweise ist Wallace ein begeisterter T’Rain-Spieler und seine IT-Anlage hat sich REAMDE eingefangen. Und richtig fatal ist nun, dass Wallace unter anderem wichtige Finanzdaten der russischen Mafia verwaltet, und diese durch REAMDE durch Geisel-Verschlüsselung unzugänglich wurden. Zula und Peter finden sich schneller als ihnen Lieb ist in der Gewalt von russischen Gangstern, denen sie helfen sollen müssen, die Virus-Programmierer zu finden. Es kommt zu einer großen Äktschn-Sequenz, mit ca. 230 Seiten schon ein Roman im Roman, in der chinesischen Sonderwirtschaftszonen-Stadt Xiamen.
Genug zu »Reamde« für heute.
Hier die Links.
Politik, Gesellschaft & Hochkultur:
Anlässlich der feinen Neu-Auflage von Egon Friedells »Kulturgeschichte des Altertums« und »Kulturgeschichte der Neuzeit« bei Diogenes, bringt ›Glanz & Elend‹ den Text Das Lebensrezept.
Weiland die Qualitätsmedien einen der brillantesten Großessays der seit langer Zeit erschienen ist tunlichst ignorieren (oder dumm-abfällig behandeln) , ich spreche von Georg Seeßlens und Markus Metz Buch »Blödmaschinen«, findet sich immerhin auf den Seiten von ›Literaturkritik.de‹ eine halbwegs faire und wohlwollende Besprechung von Thomas Neumann: Wie man blöd wird.
(Deutschsprachige) Phantastik-Links
Die neuste Ausgabe von Josefons SF- & Fantasy-Rundschau auf den Seiten des österreichischen ›Der Standard‹, Weird Weird West, behandelt diesmal Bücher von Allen Steele, Al Ewing, Jack Ketchum, Marcel Theroux, Armin Rößler & Heidrun Jänchen, Stephen Hunt, Brian Keene, Debra Doyle & James D. MacDonald, Steven Gould und Laird Barron.
Good News Everyone! Nick Harkaway, der mich mit seinem Debüt »The Gone-Away World« umgehauen hat, zeigt in seinem Blog das wunderhübsche Cover der UK-Ausgabe seines im März 2012 erscheinenden nächsten Romanes »Angelmaker«. — Und bei ›io9‹ kann man das ebenfalls ansehnliche US-Cover bestaunen, sowie zwei verschiedene kurze Waschzettel zum Inhalt.
Zuckerl: Popkultur & Kunst
Molo hat eine weiche Seite, vor allem wenn es um Natur geht. Hier mein neuster Desktopschmuck-Fund bei ›National Geographic‹: Hirsche in Japan, genauer in Nara, der erstaunlichen Stadt, in der Rehe als heilig gelten, und wo diese anmutigen Tiere deshalb frei herumlaufen.
Es gibt wenige Dinge, die mich so entzücken, wie locker-flockig dargebrachte wissenschaftliche Infos. Der youtube-Kanal von ›Minute Physics‹ bietet (auf Englisch) reichlich davon.
Phantastik jenseits der ausgelatschten Genre-Formeln 1: In seinem ›{feuilleton}‹-Blog bietet uns John Coulthart einen kleinen Einblick in das surrealistische Werk »Initiations In The Abyss« von Jim Hartem. Wer die Collage-Romane von Max Ernst mag, wird hier fündig.
Phantastik jenseits der ausgelatschten Genre-Formeln 2: Die Künstler Waone (= Wladimir Manzhos) und Aec (= Aleksei Bordusov) pflegen unter dem Namen ›Interesni Kazki‹ die schöne Tradition, Häuserwände mit bunten Motiven zu schmücken. In ihrem Blog Interesni Kazki kann man die Früchte ihres Schaffens am Objekt selbst bestaunen. Und auf der Website von ›All Over‹ werden einzelne Arbeiten der Ausstellung »Paranoya & Shtrihi geboten. Sei allen Phantastik-Fans von »Yellow Submarine« und Luigi Serafini empfohlen.
Zum Schluß etwas Video-Kunst von Johan Rijpma, der Verblüffendes mit Klebebandrollen anstellt: Tape Generations. Besonders hinreissend finde ich den Sound.