molochronik

Verborgene Orte: Acht — Presse

(Eintrag No. 340)

Prosalyrische Wanderungen ins Unbekannte

»Reality is just a story thats taken on a life of its own.«
— John Constantine, Dez. 1997

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Presse

Sie ist eingesperrt. In einer Kammer. Ohne Bewegungsmöglichkeit. Versuche es, aber mach dich auf etwas gefaßt…

Komme und öffne die Schachtel. Greif hinein und spüre nackte Haut. Reibe dich daran. Laß es wölben. Steig dazu und vergrößere die Enge, damit Aufstrebendes eindringen kann.

Sie schließt in sich wieder, die nun zweifach zusammengekauerte Nacktheit; umschlungen in die Ecke getrieben; Finger beginnen zu gleiten; Küsse suchen nach spießenden Zungen; Schweiß wird gekeltert und die tröpfelnden Bewegungen der Lust erweiche die Wände; der Raum wird warm und fleischlich; umschließt die zwei Gedanken und pulsiert zart.

Die Schachtel schwillt an. Sie bläht sich auf und reißt hie und da; schließlich platzt sie und alles zu einem Organ gewobene bricht auseinander, verteilt sich im Wirbel driftender Spritzer.

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Verborgene Orte: Sieben — Vakuum

(Eintrag No. 339)

Prosalyrische Wanderungen ins Unbekannte

»Reality is just a story thats taken on a life of its own.«
— John Constantine, Dez. 1997

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Vakuum

Innerhalb eines Tages erreicht mich die Einsamkeit.

Wie jeden Tag vernichtet sie den Abstand zwischen mir und ihr. So viel ich versuche zu vergessen; so viele Bulldozer auch wegschieben; die Sucht nach Menschen, die Entzugserscheinungen der Liebe, klettern aus jeder noch so bodenlosen Tiefe empor; trocknet jedes noch so trennende Meer aus; füllt jeden noch so gähnenden Leerraum mit Abscheu und Ekel vor mir selbst.

…stürme den Tunnel. Krieche in den Schächten. Suche nach den Schlächtern und bete zur Steckdose…

Die Adern krümmen sich vor Schmerz; das Gedärm knirscht in stiller Disharmonie; die Choreographie meiner Scham kommt aus dem Takt; Gewaltverlust breitet sich aus; Selbstverstümmelung scheint ein netter Bluttrost für entschwundene Zärtlichkeit; statt eines Streichelns eine dünne Spur rinnendes Blut auf der verwaisten Haut; die Augen sträuben sich irgend etwas Schönes wahr zu nehmen; der Anblick der Muse wird zur Singularitat verstrudelter Unerreichbarkeiten.

…baumle am Knochengerüst. Lache in den kalten Eimer. Zertrete die Gehirnkrümel und lästere der Zunge…

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Verborgene Orte: Sechs — Herren der Hölle

(Eintrag No. 338)

Prosalyrische Wanderungen ins Unbekannte

»Reality is just a story thats taken on a life of its own.«
— John Constantine, Dez. 1997

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Herren der Hölle

In erstickender Umschlingung würgen sich ihre aufgedunsenen, riesenhaften Schwulstleiber umeinander. Ihre stinkende Umgarnung und zärtlichen Verrate umtanzen ihre blinden, einsam umhertastenden Traumgespinste.

Zusammen zerdrücken sie mit arroganter Ahnungslosigkeit der Lebenden Leute Leiber, deren umherdribbelndes Blut der Lindwürmer Liebesbrunnen ist. Zwanghaft und pathologisch tolerant, das ständige Hinken und Stolpern zum grazilen Tanz erklärt. Trotz aus ängstlich hilfloser Distanz die Spiegelkabinettigkeiten zur Tugend erhoben, sind sie mit all ihrer Macht eines nicht: zwingend systemimmanent.

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Verborgene Orte: Fünf — Archiv

(Eintrag No. 337)

Prosalyrische Wanderungen ins Unbekannte

»Reality is just a story thats taken on a life of its own.«
— John Constantine, Dez. 1997

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Archiv

In den Regalen tümmeln sich allerlei Exponate.

Viele von gänzlich unscheinbarer Form. Andere wirken monströs, melken Ekel in uns hoch, aber doch sind sie von ungleichem Anmut und Reiz.

Viele der Sachen wirken alt und gebraucht. Staub umgarnt viele Stücke, die in ihrer Art archaisch und roh wirken. Wertvoll und einzig mögen all diese Dinge sein, doch die wenigsten verraten diese Eigenschaft.

…komm und stirb. Stampfe in meinem Klang…

Den Plunder- und Tandgeschmack legen einige Stücke ab, kostet man mehr von ihren Formen; leckt man an ihrem geronnen Blut; sehnt man sich nach zeremoniellen Gesängen.

…langsam und zucke. Gegen meine Stille hilft kein Pfeifen. Weise und töricht sind meine Bücher. Allein dein Sinn gibt ihnen Tat. Die fahrige Angst die uns umnebelt, ist ehr eine Furcht vor unserer Macht…

Man erkennt nun unter tausend Ornamenten verbergender Frohnatur die tanzenden Krieger. Man steht vor ihren wilden Weibern, die dreieckigen Köpfe im Krampf verzückt, aufrechte Glieder, tanzende Speere, vibrierende Brüste, gespreizte Beine, Tierfratzen, verbrannte Feinde, erlegtes Wild, zertrampelte Dämonen, verschwundene Wünsche, gemarterte Engel, verführte Märtyrer, vergewaltigter Pöbel.

…so heiß wie die Bronze beim Guß ein jederwelcher betörend geilen GOttfigur, ist das Leben in deinen Adern.

Wenn die Teufel dich genug gebissen haben die Fledderer deiner Habe geifernde Diebe, die Wucherer deiner Träume Hehler wirst du die unverschämte Gabe haben, nicht mehr vor uns ausweichen zu können.

Von Irgendwo weht Licht herein und der Schein ist hinweg. Das wenig Helligkeit aus einem gedungenen Spalt reicht aus, langweilige Schatten auf das Regal zu werfen. Sind doch alle seine Gegenstände nur Schattenbilder dessen, was sie eigentlich begatten sollten. Zwar sind sie alle Unikate, doch so unendlich viele…

Sie gleichen sich unmündig doch alle bis aufs Jota.

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Verborgene Orte: Vier — Fluß

(Eintrag No. 334)

Prosalyrische Wanderungen ins Unbekannte

»Reality is just a story thats taken on a life of its own.«
— John Constantine, Dez. 1997

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Fluß

Vergesse nicht. Verspreche nichts was du nicht halten kannst; lehne dich nicht auf gegen jene, von denen du nichts weißt. Schönheit und Furcht haben ihre Wurzeln meist im selben Humus; das fürchterliche Unbekannte keimt seit Denkensanbeginn in allen Wünschen die wir gebären, deshalb ist die Schönheit von unseren Ängsten umwoben. Versuche nicht mit brackigem Wasser dem Verlangen feste Form zu geben; schöpfe aus dem strömenden Naß und schwemm deinen Staub vom Gemüt.

Harre aus. Wache schlafend und fürchte nicht das ewige Fließen und willkürliche Wirren der Zeit; mach aus ihm keinen zerfressenden Strom des ätzenden Vergessens; ertrinke nicht im reißenden Tod der potentiellen Möglichkeiten; bewahre dir die wenigen Tropfen und wandle sie in behagliches Blut.

Erstarre nicht. Verhake dich nicht in den Zahnrädern der Spontaneität; die angstgepressten Kiefer maskiert als dachsisches Fletschen; jeder Eindringling der Veränderung des Status Quo der Diktatur wird gefoltert, mißverstanden ausgewiesen; doch so festgefrohren statisch läßt sich kein Leben zappeln.

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Verborgene Orte: Drei — Wüste

(Eintrag No. 335)

Prosalyrische Wanderungen ins Unbekannte

»Reality is just a story thats taken on a life of its own.«
— John Constantine, Dez. 1997

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Wüste

Wir verrichten unsere Notdurft des Geistes.

Sand schlängelt durch unsere Venen. Wasser verdunstet vor Schreck. Unserer Angesicht wird starr, wie unsere Waffen scharf sind; unser Blut erblaßt in konfuser Langeweile, unsere fahle Haut nur noch Pergament der Zeit; unsere Wünsche verfliegen schimmernd, Hüftschüße der Platzpatronen unserer ungeborenen Tage.

Wir wischen unseren Seelenarsch mit Stacheldraht aus.

In der Ferne ein Luftspiegelungsbollwerk, der Elfengebeinturm unserer Herkunft. Unsere Worte irren ins Leere, wie die anklagenden Zeigefinger auf alles deuten was verwirrt, wenn bezeichnet wird um abzulenken; unsere Gefühle verstecken sind zwischen den endlosen Dünen, wie unsere Ehrlichkeit vom Wind sachte zerblasen wird; unsere Sucht dörrt uns aus, wie unsere Inspirationen uns verdursten läßt.

Aus Sand und Lehm matschen wir unsere Labyrinthe; zerstören uns selbst und helfen den anderen sich in belanglosen Fallen des Geistes zu verirren.

Ein Vogel umkreist die Aussicht und gibt seine Wunder des Träumens preis; Konzerte arbeitsloser Musiker trudeln durch unsere Ohren; Salz träufelt sich auf unsere Gaumen und beißt unser Verlangen.

Wir schreiben unsere Fragen in den Sand.

Lassen uns von der Zeit erhitzen. Echsen verwischen unser Tagwerk und krabbeln in blinder Lebenswut Hyroglyphen auf die Dünen; der Vogel senkt sich auf den Horizont: ein Geier. Wie eine Eingebung kommt er, faltet seine schwarzen Flügel und zerrupft die Kadaver unserer Erinnerung.

Einige Tropfen Wasser, von einer Wolke vergessen, verdunsten eh sie glühenden Körpern Kühlung gönnen. Wenn wir uns treffen in der unendlichen Wüste, dann laß unsere Körper sich verflechten, die Schuppen ineinander haken; abtauchen in den Sand.

Bestandteil dieser Wüste werden.

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Verborgene Orte: Zwei — Zugfahrt & Cafehaus

(Eintrag No. 334; Juvenilia)

Prosalyrische Wanderungen ins Unbekannte

»Reality is just a story thats taken on a life of its own.«
— John Constantine, Dez. 1997

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Zugfahrt…

Aus den Tälern des Geistes steigen die Nebel des Summens.

Häuser parademaschieren am Fließband der Schienen.

Bewege ich mich im Zug, oder gleitet die Landschaft?

Von den Höhen des Schmerzes tönt das Rattern vom Herz.


& Cafehaus

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Verborgene Orte: Eins — Exodus

(Eintrag No. 220)

Prosalyrische Wanderungen ins Unbekannte

»Reality is just a story thats taken on a life of its own.«
— John Constantine, Dez. 1997

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Exodus

Laßt uns auswandern aus diesen Geistesbreiten. Einen anderen Trampelpfad finden, oder einen reizenderen Fluß der Verheißung.

Aber vielleicht haben wir auch den Mut. Die Kraft hinterbehält uns und die Scheu nimmt vor Schreck und Kummer reißaus, ihre Staubwolke umnebelt uns; doch keine Trübung, nur ein Staubkorn im Gesicht, eine brennende Träne rinnt herab; die Dreckwolken senken sich. Stille kehrt ein.

Durst, Angst und Verlohrenheit umklammern uns. Hilflos und gedörrt baumeln wir in der Mitte der Kreuzung.

Halte durch mein scheuer Freund. Bleibe hier und erstarre nicht zu einer Feuersäule. Wir brauchen deinen Charme. Wir wollen dein weiches Fleisch, um unsere Leben formen zu können.

Wir trinken deine nässende Angst und ergötzen uns an deinem Witz. Flüchte weiter, tappse umher auf der Suche und Hoffnung nach deinem Land; deinen Geistesbreiten und Gefühlsmeridianen.

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Exodus

John Dowland: »Were every thought an eye«

(Literatur, Lyrik) – Text und Übersetzung eines Liedes des englischen Renaissance-Komponisten und Lautisten John Dowland (1563-1626).

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Were every thought an eye and all that eyes could see, her subtle wiles their sights would beguile, and mock their jelousy. Her fires do inward burn, they make no outward show. And her delight amid the dark shades, which none discover, grow.

Desire lives in her heart, Diana in her eyes. 'Twere vain to whish womens true 'tis well, if they prove wise. The flow'rs growth is unseen. Yet ev'ry day it grows. So where her fancy is set it thrives but how none knows.

Such a love deserves more grace, than a truer heart that hath no conceit, to make use of both time and place, when a wit hath need of all his slight.

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Wenn jeder Gedanke ein Auge wäre, und all diese Augen sehen könnten, mit feiner List würde die Dame sie täuschen, und der Augen Eifersucht spotten. Der Dame Feuer brennen innerlich, sie zeigen sie nicht äußerlich. Und ihre Entzücken, inmitten dunkler Schatten, die niemand entdeckt, wachsen.

Verlangen lebt in ihrem Herz, in ihren Augen Diana. Vergeblich wärs, sich zu treue Frauen zu wünschen, wenn diese Bescheid wissen. Unbeobachtet ist das Wachstum der Blume. Und doch wächst sie jeden Tag. Sie gedeiht so wie es ihrer Laune entspricht, doch niemand weiß wie.

Solch eine Liebe verdient mehr Gnade, als ein treueres Herz das keine Dünkel hegt, um sich Zeit und Raum zu nutze zu machen, wenn der Witz all seines Geschickes bedarf.

Aus »A Pilgrims Solace – Forth Booke of Songs«, 1612.

John Dowland: »Love, those beams that breed«

(Literatur, Lyrik) – Text und Übersetzung eines Liedes des englischen Renaissance-Komponisten und Lautisten John Dowland (1563-1626).

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Love, those beams that breed, all day long, breed, and feed, this burning: Love I quench with floods, floods of tears and mourning. But alas tears cool this fire in vain, the more I quench the more there doth remain.

I'll go to the woods, and alone, make my moan, O cruel: for I am deceiv'd and bereav'd of my life, my jewel. O but in the woods, though Love be blind, he hath his spies, my secret haunts to find me.

Love then I must yield to thy might, might and spite oppressed, since I see my wrongs, woe is me, cannot be redressed. Come at last, be friendly Love to me and let me not endure this misery.

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Liebe, ihre leuchtende Blicke brüten, den ganzen Tag, brüten und nähren dieses Brennen: Liebe lösche ich mit Fluten, Tränenfluten, nächtlichen Tränen und Trauer. Doch leider kühlen die Tränen das Feuer vergeblich, von dem mehr bleibt, je mehr ich lösche.

Ich werde in die Wälder gehen und alleine mich beklagen, Wie grausam: denn ich täusche mich und bin beraubt meines Lebens, meines Juwels. Doch in den Wäldern, auch wenn Liebe blind ist, lauern Spione, die mein Geheimnis jagen.

Liebe, so muß ich weichen vor deiner Macht, Gewalt und Groll unterdrücken, da ich meine Fehler erkenne, ach Weh ist mir, und kann nicht behoben werden. Komm doch endlich, sei meine freundliche Liebe und laß mich dieses Unglück nicht länger ertragen.

Aus »A Pilgrims Solace – Forth Booke of Songs«, 1612.

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