Eintrag No. 742 — Sorry sorry sorry. Habe vor lauter Begeisterung bei der Arbeit an meiner nächsten Übersetzung für Golkonda (von der ich noch nicht verraten kann, um was für ein Projekt es geht) und Einspringen für einen Kollegen bei meinem Brotjob vergessen, dass Dienstag war und entsprechend kommt dieser Wochenrückblick etwas verspätet (und rückdatiert).
Politik, Gesellschaft & Hochkultur:
Leider habe ich nicht die Energie, mit angemessener Sorgfalt auf den Terrorakt in Norwegen einzugehen. Hier aber ein ›Telepolis‹-Text von Rudolf Sturmberger, der meine Stimmung gut trifft: »Islamistischer Hintergrund« wird gerne genommen; Ein kleines Brevier zum Fernstudium für den angehenden Terrorismus-Experten. Neben dem Pavlow’schen Reflex einiger ›Äksbärten‹ und sonstigen Kommentatoren unserer ›Gwalidäts‹-Medien, die vor dem Bekanntwerden von Details der Taten von Breivik sofort lossülzten, dass freilich natürlich aber selbstverständlich nur islamistische Fanatiker so etwas kalkuliert Grauenvolles anrichten konnten, nervte mich besonders das plumpe Verteidigungsgebrabbel mancher überzeugter Christenmenschen, über das z.B. Florian Rötzer, ebenfalls für ›Telepolis‹, schreibt: »Christliche Fundamentalisten« gibt es nicht. Fast möchte ich wieder in eine der christlichen Kirchen eintreten, um deren Bude von innen mal richtig kritisch und befeuert vom heeeiligen Geist aufzumischen.
Der Anlass des ›Telepolis‹-Beitrags Katholische Ambivalenz und bärenhafte Dumpfheit von Reinhard Jellen ist eigentlich lediglich, dass Trikont (ein feines kleines CD-Label) eine neue Reihe über das kleine seltsame Volk der Bayern startet. Aber, ›hallo!‹, Jellig batzt die Allgemeinplätze über das urig-bayerische in der ersten Hälfte knallig zusammen zu einem kräftigen Sprachknödel. Sehr nett.
Wieder mal Lars von Törne, der für den ›Tagesspiegel‹ ein feines Comic lobt, diemal unter dem Titel Megan in den Städten das nun auf Deutsch (leider in zu kleinem Format) erschienene Großwerk »Local« von Brian Wood und Ryan Kelly. Hier geht es zu einer 24-seitigen Vorschau der englischen Fassung bei Oni Press.
›Superpunch‹ empört sich zurecht: Da kreiert eine Werbeagentur für ‘ne Paracetamol-Werbung ein irre detailiertes Skulpturen-Panorama, Paramex: End the Pain, das schön anzuschauen ist und bei dem es sich auch lohnt, sich die Zeit zu nehmen, all die kleinen Szenen zu entdecken (mein Liebling: links hängen Skelette von Hingerichteten, und dazewischen auch ein großer gehörnter Fisch). Das alles wäre wirklich schön und gut, hätte die Agentur nicht einfach nur offensichtlich das Werk des Künstlers Kris Kuksi abgekupfert (mit dem feinen Unterschied, dass Kuksi seine Skulpturen aus echtem Zeugs zusammenbaut und nicht photoshoppt)
Harry Potter ist nun auch als Film feddich. Gelegener Anlass um Euch zu zeigen, wie die Potter-Charaktere als Manga (via ›Burnred‹, unbekannter Künstler), oder als Disney-Version (bei ›lenneltan‹) aussehen könnten.
›Ufunk‹ präsentiert die Surrealistic Pillow-Photoserie von Ronen Goldman. Mein Liebling: Mann verteidigt sich mit Regenschirn gegen angreifenden Apfelschwarm.
Endlich vereint: Yoda und Kermit! Jetzt warten wir nur noch auf einer Duett-Fassung des Liedes »Grün sein, leicht sein ist es nicht«. — Und hier gehts zur Website des Künstlers Peter de Sève.
Stellt Euch vor, der unvergleichlich durchgeknallte Eugen Egner würde quietschebunte Pop Art-Cthulhu-Sachen machen: in etwa so wirkten die Sachen von Leong Wan Kok auf mich.
Traumatron Illustrations bietet ein ›flickr‹-Album mit sehr schönen Twin Peaks-Motiven! Gibt es auch als T-Shirts. Ich glaube, das hier ist bald meines.
Eintrag No. 740 — Kinners, wie die Zeit vergeht! Wisst Ihr noch, wann ich das letzte Mal von meinen Entscheidungen bei ›Wer ist dir lieber?‹ berichtet habe? — Nein? — Vor über drei Monaten! — Also nicht lange gefackelt. Entscheidungen müssen her!!!
Jack Nichsolson oder Heath Ledger (als Joker): Wenn es nur darum ginge, wer der bessere Joker war, würde ich ›weder / noch‹ sagen, wenn es darum geht, wessen Schauspielerleistung ich höher schätze, dann Nicholson. — Yul Brunner oder Telly Savalas: Meine Stimme geht an den König von Siam! — Physik oder Chemie: Finde beides zu interessant und wertvoll, um mich entscheiden zu wollen, also wieder ›weder / noch‹. — Tim Taylor oder Al Borland: Ähh, das ist wohl TV-Kultur. Habe keine Ahnung. Kenne beide nicht. — Beckmann oder Kerner: Diesmal kenne ich immerhin die Namen dieser TV-Fuzzis. Weiß aber sonst zu wenig, um die unterscheiden zu können. Also wiederum, ›kenne beide nicht‹. — Inge Meysel oder Marie-Luise Marjan: Und nochmal ›kenne beide nicht‹. — Lena oder Nicole: Schlimme als das grausige »Ein bischen Friede« ist selbst lena nicht. Trotzdem unterm Strich für mich ein ›weder / noch‹-Fall. — Spiegelei oder Rührei: Klarer Fall. Ich bin ein Rührei-Typ. — Jim Knopf oder Lukas der Lokomotivführer: Ich mag Lukas ein kleines bischen mehr. — Darth Vader oder Yoda: Seit »The Attack of the Clones« ist für mich der Kampf-Flummi nicht mehr zu toppen. — David Beckham oder Victoria Beckham: Bin nicht kompetent genug, hier eine Entscheidung zu treffen, also ›weder / noch‹. — Prince William oder Kate Middleton: Ebenso.Wertner Enke oder Uschi Glas: Ich boller einfach mal so rum und wähle den Enke. — Cats oder Das Phantom der Oper: Hmmm, schwer. Als Teen mochte ich beide. Aber die Texte von Cats sind (siehe T. S. Eliot) doch 'nen winzigen Tick gehaltvoller. — Humphrey Bogart oder Ingrid Bermann: So sehr ich die Bergman mag, den Bogart finde ich einfach noch besser. — Max oder Moritz: Ist das nicht völlig Wurscht? Ich werf ne Münze … halt nein, ich finde, Max sieht nicht so nervig aus.Adam oder Eva: Meine Sympathien liegen bei Frauen, die mir was zu Essen bringen. — Liz Taylor oder Richard Burton: Wieder ein ›weder / noch‹-Fall. — Frühling oder Herbst: Mein liebste Jahreszeit ist eh der Herbst. — Harry oder Sally: Als Rollenvorbild für mich bevorzuge ich Harry. — Cornflakes oder Müsli: In Phasen die sich über mehrere Jahre erstrecken, mag ich mal das eine, mal das andere lieber. Derzeit bin ich ein Müsli-Typ.
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Wunderbare Neuigkeiten! Matt Ruff präsentiert auf seiner Website nun erste offizielle Infos über seinen (auf Englisch) im Frühjahr 2012 erscheinenden fünften Roman »The Mirage«. Hier eine schnelle Übersetzung von mir vom Waschzettel des Buches:
9. November 9, 2001: Fundamentalistische Christen haben vier große Düsenmaschinen entführt. Zwei davon steuerten sie in die Tigris & Euphrat-Welthandels-Türme in Baghdad, und das dritte in das Arabische Verteidigungsministerium in Riad. Die Passagiere des vierten Flugzeuges, dessen Bestimmung Mekka gewesen sein soll, bringen ihre Maschine in der Wüste zum Abstürzen.
Die Vereinigen Arabischen Staaten rufen einen Krieg gegen den Terror aus. Eine Koalition arabischer und persischer Truppen landet an der Ostküste Amerikas und errichtet in Washington D.C. eine Grüne Zone …
Heute, einige Jahre später, ebbt der Krieg in Amerika langsam ab. Mustafa al Baghdadi, ein Agent der arabischen Heimatsicherheitsbehörde, verhört im Irak einen festgenommenen Selbstmordbomber. Der Gefangene behauptet, dass die Welt in der sie leben ein Trugbild ist — in der wirklichen Welt ist Amerika eine Supermacht und die arabischen Staaten nur eine Ansammlung ›rückwärtsgewandter Drittwelt-Nationen‹. Eine Ausgabe der New York Times vom 12. September 2001, die bei der Durchsuchung der Wohnung des Attentäters gefunden wird, scheint seine Aussage zu bestätigen.
Es bleibt nicht bei diesem einen Zwischenfall. Andere festgenommene Terroristen erzählen die gleiche Geschichte, und man findet weitere ›Artefakte‹. Der Präsident verlangt Antworten, doch Mustafa und sein Team entdecken bald, dass weitere Interessensgruppen ihre Finger im Spiel haben. Der Verbrecherboss Saddam Hussein führt eigene Ermittlungen durch, und der Chef des Nachrichtendienstes des Senates, ein Kriegsheld namens Osama bin Ladin, macht vor nichts Halt um die Wahrheit über das Trugbild zu verbergen.
Georg Dietz, ›Der Kritiker‹ unter den SpOn-Bloggern, klärt uns auf betreffs Sieben Wahrheiten über die Hochkultur. Durch die Brille der Genre-Theorie gesehen ist für mich schon lange klar, das ›Hochkultur‹ eben auch nur eine Nische für ein spezielles Fandom ist.
(Deutschrachige) Phantastik-Links
Für das Blog der ›Bibliotheka Phantastika‹ hat moyashi am Beispiel des »Games of Thrones«-Kalenders 2012 von Joe Picacio wunderbar zusammengemeckert, was an typischer Epic-Fantasy-Grafik nicht stimmt: Blind oder nicht blind, das ist hier udie Frage.
»20th Century Boys« hat letztes Wochenende den Eisner-Award gewonnen, schöne Gelegenheit für den ›Tagesspiegel‹Inga Steinmetz dieses beeindruckende Groß-Manga empfehlen zu lassen: Mörderische Freundschaft.
Noch was aus dem ›Tagesspiegel‹: Diesmal hat sich Steffen Richter der ersten sechs Titel der ›Neue Welt‹-Reihe des Verlages Matthes & Seitz angenommen: Luftschlösser und Quantenburgen. Diese Science Fiction-Reihe wurde von der Szene (mich eingeschlossen) selbst bisher kaum wahrgenmoen, mit Ausnahme von Thor Kunkels lesenswerten Roman »Schaumschwester«.
Viel Stoff für die Ohren bieten die Tonmitschnitte der Seminare Science Fiction and Politics von Courtney Brown. Bereits verkostet habe ich die Einführungsfolge, sowie die Beiträge zu Neal Stephensons »Snow Crash«. Ganz besonders freut mich, dass auch das Werk der Science Fiction-Musikerin Janelle Monáe berücksicht wird.
Zuckerl: Popkultur & Kunst
Seit ich als Hauptschüler Bachs Orgelmusik in der Einspielung von Helmut Walcha kennenlernte, und kurz darauf die Böhmsche Einspielung der Brandenburgischen, bin ich dem Jay Es Be verfallen. Letztes und dieses Jahr hatte ich wieder eine von diesen monatelangen Phasen, in denen ich auf dem Weg zur und von der Arbeit praktisch nur Bach hörte (Savall und Göbel-Einspielungen). — David Ramirer ist einer meiner Freunde, die so eine arge Bach-Begeisterung verstehen. Ihn hat’s, wie’s scheint, in letzter Zeit auch wieder vermehrt zum Thomas Cantor hingezogen, denn in seinem Blog tummeln sich wieder vermehrt elektromusikalische- und bildnerische Interprationen Bach’scher Werke: hier erstmal zum Hören für die freunde gehobener contrapunktik das »Ricercar a 6« (aus »Musikalisches Opfer«), und anschließend dann zwei visuelle Analysen / Umsetzungen dieses Stücks: ein wenig musikanalyse am mittwochabend und ein semi-chromatischer tanz.
Dank an Andrea für diesen Linktipp: Kent Rogowski macht Collagen aus verschiedenen Puzzels und nennt diese knallbunten Farbgranaten dann Love=Love.
Das Architektur-Blog ›The Web Urbanist‹ bietet einen umwerfenden Rundgang durch menschengemachte Himmelgewölbe: 15 Stunning Modern Ceiling Designs.
Zum Abschluss ein Filmchen bei ›Neatorama‹, das ich putzig-gruslig finde (aber vorsicht: manche von Euch finden folgendes sicherlich grausig-eklig!): Leckerer (toter!) Tintenfisch fängt wegen des Natriums in der Soja-Soße an zu zucken: Tanzender Tintenfisch
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Eintrag No. 735 — Lektüre: Geht etwas wild und durcheinander zu bei mir derzeit, da ich in einer Phase bin, in der ich verschiedenes durcheinander lese. Auf dem Gebiet der Sachbücher erfreue ich mich zweier Aufsatzsammlungen zum Thema Science Fiction.
1)»Red Planets. Marxism and Science Fiction« (Hrsg. von Mark Bould und China Miéville), in dem sich 13 Texte finden. In der Einleitung leistet Mark Bould eine interessante Schau auf die Veränderung der Kommentierung der globalen Ökonomie durch die SF anhand von Jules Vernes »20.000 Meilen unter dem Meer« und »The Matrix«. — Die erste Abteilung »Things to Come« beschäftigt sich mit den Spuren des utopischen ›noch nicht‹ von Ernst Bloch; — die zweite Abteilung »When Worlds Collide« legt u.a. am Beispiel der Werke von Charles Stross und Ken MacLeod dar, wie SF geschichtliche Zustände kommentiert, in denen sich Gelegenheiten für revolutionäres Hanlen eröffnen; — die dritte Abteilung »Back to the Future« schlägt am Beispiel der Werke u.a. von Philip K. Dick, Ursula K. Le Guin und dem Weimarer Kino alternative Science Fiction-Studien vor, die vom durch Darko Suvin gesetzten Paradigma abweichen. In seinem Nachwort »Cognition as Ideology: A Dialectic of SF Theory« nimmt China Miéville dann Suvins Theorie derart beim Wort, dass deren unterschwellige ideologische Setzungen deutlich zu Tage treten.
2) Eine wahre Fundgrube (mit 554 großformatigen Seiten) ist »The Routledge Companion to Science Fiction« (Hrsg. Mark Bould, Andrew M. Butler, Adam Roberts & Sherryl Vint). In vier Abteilungen werden Aufsätze zu den Bereichen Geschichte (18 Texte), Theorie (14 Texte), Themen und Herausforderungen (12 Texte) und Subgenres (12 Texte) geboten. — Soweit ich die Texte zur Geschichte der SF gelesen habe (die Ausführungen zur Literatur, Film und Comics umfassen), bin ich schwer begeistert über die nüchternen und sachkundigen Darlegungen. — Der Theorie-Teil berücksichtigt neben den zu erwartenden Aufsätzen über Feminismus, Sprache, Postmoderne und postkoloniale Studien auch Texte über marxistische SF-Theorie, Queer-Theory, Virtualität und Posthumanismus. — Die Abteilung Themen und Herausforderungen sind vor allem für akademische Leser von Interesse, denn hier werden Themengebiete behandelt, die sich (wenn) noch eher am Rande der universitären Diskurse abspielen, also Sachgebiete wie z.B. Tierstudien, digitale Spiele, Umweltfragen, Musik und Pseudowissenschaft. — Der Subgenre-Teil widmet sich dann gebräuchlicheren speziellen Feldern und Betrachtungswinkeln wie Arthouse- und Blockbuster-Filmen, Hard-SF und Space Opera, Alternativgeschichten und Slipstream. Besonders freut mich natürlich der Aufsatz über Weird Fiction von China Miéville.
Bereite mich auf’s zehnjährige Jubiläumsrekapitulieren von IX.XI. vor, u.a. indem ich Mathias Bröckers (dessen »Die Drogenlüge« ich empfehlen kann) & Christian C. Walthers »11.9. Zehn Jahre danach« lese. Gutes Buch, das zusammenträgt, welche Teile der offiziellen Geschichtsschreibung (vor allem »9/11 Commission Report«) einer ordentlichen staatsanwaltlich-forensischen Untersuchung nicht genügen, wer also nochmal vorzuladen ist, welche Unterlagen freizugeben sind, welche Umstände von unabhängigen Experten geprüft werden müssten. Es ist ja wahrlich erstaunlich und empörend, was da von Statten ging und geht: wie die offizielle Untersuchung geführt wurde, welche Erkenntisse, Spuren und Zeugen (begründungslos oder mit platten Ausflüchten) unberücksichtigt blieben.
In der ›F.A.Z.‹ (im Netz nun anderswo nachzulesen) erschien am 15. Juli eine Kurzkritik von Raphael Gross, der sich darüber beklagt, dass das Buch in einer ARD-Sendung lobend vorgestellt wurde: Verschwörungstheorie: Was geschah am 11. September 2001? / Die ARD präsentiert ein Panorama der Unsicherheiten. — Eine, wie ich finde, ziemlich ungustiöse Kritik, denn Gross geht gar nicht auf die Sache selber ein, sondern verfrachtet Autoren und Ansinnen einfach mal in die böse Ecke des Krypto-Antisemitismus. — Erfrischend dann aber wieder die Erwiderung von Herrn Walthers im Blog von Herrn Bröckers: Versagende Überwachungsinstanzen.
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Um nicht kirre zu werden vor lauter Sachbuch-Fakten entspanne ich mich mit den »Demon Download«-Büchern von Jack Yeovil (= Kim Newman).
Ich habe diese Quatrologie vor ca. 20 Jahren unkomplett gelesen. Neben den »Warhammer Fantasy«-Romanen von Yeovil gehören die »Demon Download«-Bücher nicht nur zum Besten, was jemals für die legendäre Spieleschmiede ›Games Workshop‹ geschrieben wurde, sondern auch zum Höhepunk dessen, was ich (bisher) an knackiger, exzellent geschriebener Genre-Krachbumm-Phantastik kenne.
Allein die Mischung! Der ›Dark Future‹-Weltenbau ist in einer nahen, ziemlich kaputten Zukunft angesiedelt und erinnert an Stoffe wie »Mad Max« und »Die Klapperschlange«. Wir haben also knappe Rohstoffe, chaotische Zustände in gesetzlosen Zonen der U.S.A., eine korrupte Regierung die nach der Peiffe großer Technologie- und Bio-Ware-Unternehmen tanzt, überall auf der Welt gewalttätige Konflikte zwischen Unabhängigkeits-Kämpfern und Hegemonie-Söldnern, während mediale Blödmaschinen die neusten Promi-Skandale und Sexutainment-Spielchen verbreiten. Western-artig ist der Gesetzeshüter- und Banditen-Konflikt, nur wird weniger geritten als mit Autos, Trucks und Motorrädern herumgefahren. Vom Cyperpunk entleiht man sich transhumanistische Gadgets, Hackerei und Datensurfen. Von Lovecraft und den Seinen übernimmt Yeovil das Konzept der Großen Alten, also finsteren Dämonen, die danach trachten, ihr Unwesen auf der Erde zu treiben. Das alles ist angereichert mit deftigen parodistischen und satirischen Dreingaben, ohne dass die äktionreichen Stories darunter leiden.
In eigener Sache 1: Soweit ich weiß das erste Mal, dass ich als Quelle in einem Wikipedia-Artikel erwähnt werde: Liste von Steampunk-Werken. Es freut mich ganz besonders, dass es meine Rezension von Ian R. MacLeods »Aether« angegeben wird, denn leider ist dieser vorzügliche Roman bei uns etwas untergegangen, so dass die ebenso brillante Weiterspinnung dieses magischen Steampunk-Weltenbaus, »House of Storms«, noch nicht auf Deutsch erschienen ist.
In eigener Sache 2: Es ist mir eine Ehre, dass meine Rezension von Max Brooks »Operation Zombie« von Maik Nümann auserkoren wurde, in seinem hervorragenden Blog ›Dystopische Literatur‹ als Gastbeitrag zu erscheinen.
Zuckerl: Popkultur & Kunst
Habe in den vergangenen Tagen nach neuen Schreibtischhintergrund-Schmuckbildern gestöbnert und folgende Gemmen geerntet: Behold the Power; — Lions, Kenya (Photo von Wai Chun Turnbull bei ›National Geographic‹); — Tree, Arches National Park (Photo von Bill Keaton bei ›National Geographic‹).
Unter dem Titel Nahaufnahmen hat ›Der Freitag‹ ein schönes Portfolio der Reportagen-Illustrationen von Güdel zusammengestellt. Ich bin ein leidenschaftlicher Fürsprecher der Tradition, Zeitungstexte mit genuinen Illustrationen zu versehen.
Zweimal dolle Kunst, die im Blog ›This is colossal!‹ vorgestellt wurde: Zum einen die Verpixelten Tiere von Laura Bifano. Eine wahrhaft schräge Idee, in Gemäldeform Tiere so darzustellen, als ob sie aus Pixelblöcken zusammengesetzt wären.
Find ich einfach nur (aufgemerkt, folgendes Wort verwende ich sehr selten) ›geil‹, wie Klaus Lindner, Michael Krämer, Wiebke Priehn für die ›Neue Rheinische Zeitung‹ in ihrer Expertise unabhängiger Juristen die hochinteressante Frage stellen, ob die Bertelsmann Stiftung ›gemeinnützig‹ im Sinne von §§ 52 ff. AO ist. Jeder, der auch nur ein bischen mitbekommen hat, was Bertelsmann so treibt, weiß, dass bei der Prüfung dieser Frage nur ein Ergebnis herauskommen kann: Ist sie nicht.
Gratulation Andrea Diener! Zum zehnten Mal glänzt sie uns bereichernd als gewieft-launige und sachkundige Bachmann-Wettbewerbs-Kommentatorin. Hier geht es zum Bachmann-Wettlesen im ›Reisenotizen aus der Realität‹-Blog Tag eins; Tag zwei; und Tag drei. — Ich freue mich für Andrea auch über die das ausführliche Zitiertwerden ihres diesjährigen Klagenfurt-Bloggens beim Perlentaucher.
Wunderbare Gemme im erstaunlichen Archiv von ›UbuWeb‹. Ein Dokumentaionsfilm aus dem Jahre 1983 vom englischen Cinematographen-Künstler Peter Greenaway: Four American Composers, über John Cage, Robert Ashley, Meredith Monk und Philip Glass.
Großartiger Essay bei ›Bibliotheka Phantastika‹: Die Redaktion hat unter dem hinreissenden Stichwort ›Metaflöz‹Acht Argumente für Fantasy & Phantastik zusammengestellt, die flappsig in etwa so gehen:
Beurteile ein Buch nicht nach seinem Umschlag! (Ja schon klar, dass viele Fantasy-Cover einfach nur ›würg‹ sind … das wurmt anspruchsvolle Fantasy-Leser mit Geschmack ganz besonders).
Die großen Fantasy-Erfolge liefern keine gute Orientierung dazu, was Fantasy alles ist (bzw. sein kann). Ein bischen schwächelt dieses Argument finde ich, denn die großen Fantasy-Erfolge der letzten Jahre sind schon ziemlich typische Vertreter ihres Genres. Kommt halt darauf an, wie sehr man sich auf diese ›Ideal-Vertreter‹ kapriziert und von ihnen bei seinen Betrachtungen des Genres (ab)lenken lässt.
Mythen, Romantik und überhaupt die ehrenvolle Ahnen-Traditionslinie des Genres!
Zitier ich den anfänglichen Kernsatz ganz, denn dieses Argument ist m.E. kommt etwas schwach und verglückt rüber:
Fantasy erlaubt, Probleme der realen Welt durchzuspielen, ohne exakt an die Nachzeichnung realer Umstände gebunden zu sein oder irgendjemandem aus ebendieser realen Welt mit Schuldzuweisungen etc. auf die Füße zu treten – sei es, dass es um allgemeingültige Schwierigkeiten geht, die in Mittelerde ebenso auftreten wie in Mitteleuropa, sei es, dass bestimmte Dinge im weitesten Sinne symbolisch zu verstehen sind
Die Sache mit dem ›tritt niemanden auf die Füsse‹ wäre für mich eher eine Schwäche, statt eine Stärke.
Fantasy ist eine ›Was wäre wenn?‹-Experimentierwiese. Hmmm, … ist das nicht jegliche Art von Fiktion?
(Gute) Fantasy bietet den Reiz des ganz anderen, des Unbekannten.
Zur Abwechslung eine geschwollene Umschreibung des Arguments, soweit ich es im Guten zu verstehen glaube: Fantasy gemahnt an die mythische Geworfenheit des Einzelnen in einer für diesen nur zum kleinsten Teil durchschaubaren Welt, die sich einem letztendlichen Verstehen sowie der vollkommenen Kontrolle entzieht. Gerade deshalb also bitte erst fühlen, denken und ethisch-moralische Folgen abwägen, dann drauf los handeln.
Der kalifornische Künstler James Jean ist ein unfassbar guter Zeichner, noch dazu einer, der sich gerne mit schrägerer Phantastik spielt. Bei uns dürfte er vielleicht den ein oder anderen bekannt sein als Coverzeichener für die Comic-Reihe »Fables« (hier z.B. für die Nummer 52 im Blog von James). Der eigentliche, mich umhauende Wahnsinn geht aber in seinen Moleskin- & Skizzenbuch-Arbeiten ab. Hier ein paar Beispiele:
Letzte Woche erst entdeckt, diesen Klassiker der modernen Portrait-Photographie von Phill Toledano: die Gamers. — (Diese Aufnahme eines Daddlers, der kurz davor ist einen unerwarteten ›Epic Win‹ einzustreichen, wurde in einem TED-Vortrag von Jane McGonigal gezeigt, in dem es um weltverbesserung durch Anzapfen des Gamer-Potentials ging.)
Zum Abschluss ein Trailer, den ich zuerst bei Stefan vom ›PhantaNews‹-Blog gesehen habe. Internationaler Zweieinhalbminuten-Trailer zum kommenden »Tim & Struppi«-Film. Ich bin so nervös. Hoffentlich versauen Spielberg und Jackson es nicht. Der Trailer lässt Hoffnung zu.
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Eintrag No. 728 — Veränderung von Molos Kommunikations-Gebahren. Noch ist die Soschial-Nätwörg-Funktion ›Google+‹ in der Beta-Phase, aber ich habe mich zur Gruppe der bereits Teilnehmen gesellt. ›Facebook‹ war nie 'ne Option für mich. Zu umständlich, zu undurchsichtig, zu beschränkt, zu gierig und unterm Strich: nicht sexy, nicht Molo-like genug. Auch wenn Google zweifelsohne ebenfalls ziemlich unheimliche, sinistere Aspekte hat, macht Google+ auf mich vom Fleck weg einen besseren Eindruck. Ist eine Mischung aus Netzwerkerei (bilde Deine Kreise), Twitter- und Kurzbloggerei. Kreise kann man erstellen wie's einem taugt, aber es wird anderen nicht angezeigt, in welche Kreise man die Leuz, denen man folgt, eingeteilt hat (vorstellbar ist z.B. ein Kreis namens ›Volltrottel über deren Stuss ich mich beeumel‹) . Soviel verrate ich, dass mein erster selbst gezirkelter Kreis ›Phantasten‹ heißt.
Ab nun werde ich die Links, welche ich für einen im Werden befindlichen Wochenrückblick sammle, auf die Schnelle via meinem Google+-Konto verbreiten. Dienstags gibts dann wie gewohnt die geballte Ladung dieser Links in der Molochronik. — Neu ist auch der ›+1‹-Knopf oben in der rechten Spalte. Mit dem kann man die Molochronik ›plussen‹, sprich: empfehlen (erhört mein Ranking & wasnichtnochalles).
Schluss mit dem Getüdel. Es gibt viele Links diese Woche. Also los.
Halt. Stopp. Eines noch. Die Links sind diesmal nach etwas anderen Begriffen sortiert. Lasst mich wissen, ob Ihr die alte oder die neue Methode besser findet.
»Blödmaschinen«: Leider hatte ich selbst noch nicht die Zeit & Muse, einen eigenen Beitrag über mein großartiges Leseerlebnis mit diesem Buch von Markus Metz & Georg Seeßlen zu verfassen. Immerhin kann ich auf eine gute Rezension von Jürgen Nielsen-Sikora bei ›Glanz & Elend‹ verlinken: Die Herrschaft der Narren.
— Großer Spaß auch, wie Herr Seeßlen seinem Blog (›Das Schönste an Deutschland sind die Autobahnen‹) in einem zweiten Nachtrag zum Buch auf eine mittlerweile ausgestrahlte Radio-Rezi eingeht, die dem Buch u.a. »undifferenziertes Geraune« (und wie geht ›differenziertes Geraune‹) und »obszönen Exzess an Kritik« vorwirft.
— Nebenbei-Empfehlung: Zur Klärung & Erforschung des Begriffes ›obszön‹ verweise ich auf den enorm gehaltreichen Band »Jahrhundert der Obszönität« von Eckhard Henscheid & Gerhard Henschel. Darin auch das prächtige Herbert Marcuse-Zitat:
Nicht das Bild einer nackten Frau, die ihre Schamhaare entblößt, ist obszön, sondern das eines Generals im vollen Wichs.
Entsprechend: Nicht die analytische Untersuchung und dialektische Kritik der Blödmaschinen ist obszöner Exzess (der Kritik), sondern eben die Totalität der Herrschaft und Stupiditätsfabrikation der Blödmaschinen.
Bescheidgeb: Der Verbrecher Verlag hat die Tagebücher von Erich Mühsam ins Netzel gestellt: Mühsam Tagebuch. Die Aufbereitung ist vorbildlich. Glosar ist integriert (Klick auf’n Begriff öffnet links eine Erläuterung), und Klick auf’s Datum zu Beginn eines Tagebucheintrages öffnet Fenster zu einem Scan der Originalseite. Ganz großes Lob!
Großartige Radiostunde! BR2 »Radiospitzen« widmet eine Sendung den diesjährigen Preisträger des Salzburger Stiers: »Cordoba – Das Rückspiel« von Florian Scheuba und Rupert Henning. Schauspieler Cornelius Obonya brilliert in allen Rollen des Stückes über ostdeutsche Flüchtlinge, einheimische Österreicher, türkische Geschäftsleute, deutsche & russische Touristen ext. — Gönnt Euch die Sendung, solange sie noch im Netz steht.
Auf den Seiten des österreichischen ›Der Standard‹ bespricht Josefson in seiner diesmonatigen SF- & Fantasy-Rundschau Die Dampf-Revolution Bücher von: David Marusek (Golkonda Verlag! Yeah!), Jeff VanderMeer, Stephen Baxter, Antoine Volodine, A. Lee Martinez, Paul di Filippo, Scott Westerfeld (»Behemoth«, Yeah!), Tobias O. Meißner, Jonathan Strahan, Ronald Malfi und Stephen Hunt.
›SF-Fan‹ vermeldet die Empfänger der Kurd-Laßwitz-Preise 2011. Besonders freuen mich freilich die Preise an China Miéville (für »Die Stadt & Die Stadt«) und Juliane Gräbener-Müller & Nikolaus Stingl (für die Übersetzung von Neal Stephensons »Anathem«).
Jubiläum: Am kommenden Samstag, den 09. Juli, kann man den hundersten Geburtstag von Mervyn Peake feiern. Im Vorfeld dazu bot letzte Woche der ›Guardian‹ schon mal A celebration of the writing and art of Mervyn Peake. Michael Moorcock portatiert vor allem den Menschen Peake, seine Wiederentdeckung bei Penguin Modern Classics; — Hilary Spurling preist das zeichnerische Werk von Peake; — China Miéville beschäftigt sich mit den »Gormenghast«-Büchern; — und AL Kennedy schreibt über Peaks Verhältnis zu der Insel Sark.
Zuckerl: Popkultur & Kunst
Neues Dauer-Lesezeichen: Interessantes, simples Projekt verfolgt das ›Blog für Leser‹Fünf Bücher von Melanie Voß und Philippe Wyssen.
Kunst (1): Als wären Asteroiden in der Galerie eingeschlagen, oder als hätten gigantsche, mythisch-monströse Ur-Viecher Eier gelegt, so wirken die andersweltlichen Papierobjekte (im ›This is Colossal‹-Blog) des koreanischen Künstlers Chun Kwang Young.
Kunst (2): Grandios wandelt Kate MacDowell mit ihren (zumeist weißen) Skulpturen auf dem schmalen Grat zwischen Verstörung und Bezauberung. Meine Favoriten in ihrem Portfolio: Hase mit Gasmaske; — sezierter Frosch mit Menschenfötus; — das Wurzelhirn. — Würde ich gerne mal im Original sehen.
Schockschwerenot! Matteo Bittanti und IOCOSE haben mit der Photographin Kenzie Burchell eine erschütternde Bilderserie aufgenommen, die uns die Folgen von maßlosen Daddeln zeigen: Game Arthritis. Gottseidank stelle ich an mir selbst keinerlei erste Anzeichen eines ›Playstation Daumes‹ fest … trotzdem überlege ich, meine PS3 sofort zu entsorgen. — (Entwarnung: Das ganze ist fiese, brillante, ernste Satire, aber eben brutal verstörend dank der Arbeit der Maskenbildnerin Emma Alexandra Watts.)
Raumkunst: Der polnische Künstler Marek Tomasik hat aus Holz und Computerschrott eine Rauminstallertion geschaffen, die überwältigend ist. Hier zu einem Bericht bei ›Laughing Squid‹ (engl.) mit Filmchen, Photos und (ohne nervigen Computersound), und hier zur Raumphoto-Seite des Künstlers (mit nervigen Computersound): You sometimes have to be open.
»Der Herr der Ringe« mal anders: Wie sähe LOTR als moderne ›Kumpel auf Rundreise‹-Geschichte aus? Illustratorin Noelle Stevenson hat sich das für uns in ihrem ›A Girl And Her Demons‹-Blog die»The Broship of the Ring«. Laut gelacht habe ich über die Hippster-Hobbits (»Wie, Du weißt nicht was ein zweites Frühstück ist?!«).
Analyse: Nicht wirklich überraschend, dass Michael Bay in seinem neusten »Transformers«-Streifen Schnipsel aus seinem Film »The Island« recyled hat, aber dennoch erstaunlich, wie der Vergleich aussieht: »Transformers 3« scene from »The Island« von Jermain Odremán.
Superhelden-Humor: Die vier intelligenten Spinner der ›After Hours‹ von ›Cracked‹ streiten sich, Ob Batman schlecht für Gotham ist (engl.). Achtet auf den Asperger-Test mit den Zuckertütchen!
Zum Schluss ein Filmchen: Die Idee an sich ist nicht so prickelnd, ist aber gut umgesetzt. Auf zum wilden Springen durch verschiedene Populär-Genres mit der Plot Device (von ›Red Giant‹). Mein Favorit: Natürlich der S/W-Krimi mit kommentiernder Gedankenstimme aus dem Off.
Eintrag No. 725 — Derweil nur die Links. Leider sehe ich mich nicht vor Freitag dazu kommen, auch etwas über die Lektüren und Filmsichtungen der vergangenen 14 Tage zu schreiben.
Nur soviel auf die Schnelle: »Blödmaschinen« von Georg Seeßlen und Marcus Metz war für mich die ganzen vielen 780 Seiten spannend und ertragreich. Absolute leseempfehlung meinerseits.
Und das neue Opus von Terrence Malick, »Tree of Life«, gefällt mir zwar nicht ganz so gut wie »Thin Red Line« und »The New World«, führt aber dennoch exzellent vor, wie toll, tief und kunstvoll Kino sein kann.
Hier die Rückblick-Links, teilweise auf Hau-Ruck-Art.
Nehmt das, ihr beschränkten Acolyten jeglichen Rassenreinheitswahns. Unsere Vorfahren haben nicht nur mit Neanderthalern geschnackselt (also sich vermischt wie Pferde mit Eseln), sondern das hat uns auch immunologisch fitt gemacht für die Ausbreitung über die Erde … berichtet dieser (engl.) Artikel von Michael Marshall auf der Website von ›New Scientist‹Breeding with Neanderthals helped humans go global. — Dabei entdeckt, dass die ›Royal Society‹ einen feinen Netzauftritt pflegt, mit Artikeln, Blog, Filmen und Pi Pa Po. Warum gibt es sowas nicht auf Deutsch von unseren edlen, altehrwürdigen Forschungs-Gesellschaften? (Oder hab ich’s bloß noch nicht entdeckt?).
Die ›TAZ‹ liefert, wozu öffentlich-rechtliche Medien wohl zu blöd oder zu behäbig sind: eine wunderschöne graphische Übersicht zu den (bekannten) Finanzspritzen für die Politik: Parteispenden Watch 2009 – AB 10.000 Euro.
Noch eine aufregende Flash-Aufbereitung von Zwölf Entwicklungen die alles verändern werden (engl.) hat ›Scientific American‹ zusammengestellt. Sehr schön gemacht und ein toller Rundgang zu Dingen wie Polkappen- & Gletscherschmelze, Kontakt mit Außerirdischen, Klonen von Menschen, nukleare Bedrohung, Asteroiden, Pandemien, Schaffung von Leben, Künstlicher Intelligenz, Supraleitern bei Zimmertemperatur, Höheren Dimensionen und Fusionsenergie.
(Deutschrachige) Phantastik-Links
Jubiläum: 25 Jahre ist es (echt schon…?; : !) her, dass Alan Moores & Dave Gibbons Meisterwerk »Watchmen« erschienen ist. Guter Grund für ein Sachbuch (»Under the Hood – Die Verweis-Struktur der Watchmen« von Hans-Joachim Backe) zu diesen lecker-schmecker semiotischen Spaghetti unter den Graphic Novels und eine Besprechung desselben für den ›Tagesspiegel‹ durch Lars von Tröne: Pop-Exegese: Forschungen in der Parallelwelt.
Für ›Omnivoracious‹ unterhält der eine Meister der zeitgenössischen Phantastik, der Amerikaner Jeff Vandermeer, sich mit dem anderen, dem Engländer China Miéville, über den neuesten Roman von letzteren: »Embassytown«.
Was dein Lieblings-»Alien«-Film über Dich verrät (engl.) — Meredith Woerner hat für ›io9‹ diesen Persönlichkeits-Bespiegelung ausbaldowert. Mich spricht demnach die kalte, dunkle Welt des Unbekannten an, denn mein Favorit ist immer noch der erste »Alien« von Ridley Scott (allein schon wegen der Pionierleistung).
Zuckerl
Verrückte Skulptur-Kunst von Tim Hawkinson stellt ›Indianpolis Museum of Modern Art‹ vor: irre Mischung aus Modellbau und Mathematik, dieses Möbiusband-Schiff.
TGWTG No 1: Stimme den Entscheidungen des ›Nostalgia Critic‹ in allen Punkten zu, wenn er bei seiner neusten Ausgabe von ›Alt vs. Neu‹ der Coen-Brüder-Fassung von »True Gritt« gegenüber der John Wayne-Fassung den Sieg einräumt: Old vs New: »True Grit«.
TGWTG Nr. 2: Wer Popkorn- und Genre-Knall-Bumm mag und dennoch einen (Anstands-)Rest Geschmack und Hirn nicht missen möchte, kann sich Bestätigungswonnen verschaffen bei Mathew ›Film Brains‹ Buck genüsslicher Zerlegung von Michael Bays »Transformer 2 – The Revenge of the Fallen« (zweites Video von oben ist der fast einstündige komplette Megacut).
Laaange und sehr kluge Besprechung mit reichlich Zeitgeschichts- und Kultur-Erklärung zu Thomas Pynchons »Inherent Vice« hat John Carvill für ›Bright Lights‹ geschrieben: The ›Bong‹ Goodbye (engl.).
Filmpalaver: was kommt raus, wenn sich zwei Regiesseure, deren Werk ich sehr schätze, ungezwungen unterhalten? Gebt Euch den Wahn mit Lars van Trier und Paul Thomas Anderson (engl.) auf ›Cigarettes & Red Vines‹.
Kurz vor Schluss ließ mir Andrea einen Link-Tipp zukommen. Vorsicht: Über-Putzigkeit voraus! Hier kommt der kleine Eichhörnchen-Nachwuchs im ›flickr‹-Blog.
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Eintrag No. 721 — WICHTIGE DURCHSAGE: Mit der jüngsten Version der antville-Architektur gibt es neue Möglichkeiten:
1) Kann man sich nun auch zum Kommentieren anmelden, ohne sich bei antville selbst registrieren zu müssen. Wer ein Google, Twitter oder Facebook-Konto hat, kann ab jetzt auch dieses zur Anmeldung nutzen.
2) Gibt es nun auch eine Möglichkeit, mir direkt über eine Eingabemaske der Molochronik eine Mitteilung zukommen zu lassen: KONTAKT.
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Schöne Nachricht: Dem Literatur-Portal ›Literra‹ (genauer, Eric Hantsch, der selbst auch ein interessantes Blog führt: »Der dunkle Planet« Phantastik und lovecraft’scher Horror) gefallen meine Portraitzeichnung so gut, dass man sie für die Autoren-Seiten verwenden will. Als erstes wurde meine Zeichnung von Edmond ›Captain Future‹ Hamilton eingepflegt. — Freude!
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Ein schönes Sinnbild des Kapitalismus. Gehe auf dem Weg zur Arbeit frühmorgens in meine örtliche Sparkassenfiliale, um Geld abzuheben. Die Automatiktüren des Vorraums waren die Nacht über defekt und längere Zeit offen. Da die Viecher den Schein des Bankomaten-Monitors mit fernem Himmelslicht verwechseln, schwärmten hunderten kleine (und ein paar große) Mücken herein, um elendig beim Versuch sich am vermeintlichen Sternenglanz zu orientieren zu verrecken. Ihre vielen kleinen Leichen bedeckten die Handablage vor dem Montor fast zur Gänze. — Schade, dass ich keine Kamera dabei hatte.
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Lektüre: Nicht sehr viel (ca. 100 Seiten) weiter gekommen bin ich mit meinem derzeitigen Steampunk-Klassiker »Infernal Devices« von K. W. Jeter. Ich bin jetzt auf Seite 233 von ca. 340 und mittlerweile weiß ich ein bischen mehr über die obskuren Machenschaften diverser Geheimgesellschaften (die so tolle Namen haben wie ›The Royal Anti-Society‹, ›Godly Army‹ und ›Ladys Union for the Supression of Carnal Devices‹), und über die schon von Beginn des Romanes weg einiges geraunt wurde, und in deren Händel und Konkurrenz-Gekabbel ›Held‹ George Dowes hineingezogen wurde. — So möchte ein irrer Wissenschaftler-Lord die Welt vernichten, um höheren, außerirdischen Intelligenzen ein Zeichen seiner Ebenbürtigkeit zu geben, damit sie ihn retten und er mit ihnen über Wissenschaft plauschen kann. Zudem hat jemand das Gerücht verbreitet, dass George nicht er selbst, sondern ein unglaublich geschickter Automat seines Uhrmacher-Vaters sei. Köstlich eine Szene, als alle von George, dem vermeintlichen Paganini-Imitations-Automaten, verlangen, ein Konzert für ein ausgewähltes Publikum zu geben, und eine Lady ihm an die Wäsche will, in der Annahme, dass George der Automat auch über die berüchtigten Sexmaniac-Eigenschaften des teuflischen Geigenvirtuosen verfügt. — Weiterhin ist mir sehr sympathisch, wie George mehr von Szene zu Szene stolpert und flüchtet, und dabei über die mehr oder minder derangierte Verfassung seines Verstandes spekuliert. Macht die Handlung zwar zu kaum mehr als einer simplen Episodenfolge, aber der elegante und sachte mit Humor gewürzte Stil gleicht diese Einfachheit wieder aus.
Als Einschlaf-Lektüre genieße ich den den sechsten »Hellboy«-Sammelband: »The Conquerer Worm«. Sehr fein, wie das Werk das gleichname Gedicht von E. A. Poe zitiert; dass wieder Mal Nazis mit okkulten Weltuntergangs-Plänen gestoppt werden müssen; dass der entsprechende Obernazi-Wissenschaftler eines seiner Labore unter einem Friedhof »in der Nähe von Ingolstadt« hatte. — Hab’ ich’s doch geahnt, dass in dieser oberbayrischen Gegend meiner Kindheit und Jugend Finsteres verborgen ist.
Hauptlektüre ist derzeit ein großartiges Sachbuch. »Blödmaschinen. Die Fabrikation von Stupidität« von Markus Metz und Georg Seeßlen. Vor allem ist das für mich eine sehr affirmative Lektüre, denn ich teile die Ansicht der Autoren, dass wir umgeben sind von Blödmachmaschinen: das Fernsehen, die Poltik, die Bürokratie, die Autoindustrie, die Unterhaltungsindustrie, die Mode, der Wissenschaftsbetrieb, die Schulen, der Sport, Mega-Events, Volksfeste und und und. Ganz simpel gefällt mir das dicke Buch (782 Seiten) bisher also, weil ich ihm so viel zustimmen kann, und — oh je! — mit dieser mich einlullenden Tröstlichkeit ist das Buch selbst leider teilweise auch nur eine kleine Blödmachmaschine.
Bisher habe den ersten von drei Teilen durch, der sich der Dialektik von Blödmaschinen (hervorragend veranschaulicht am Beispiele des Überraschungs-Eis), ihrer Geschichte und ihrer Manifestation als dumme Dinge widmet. Vor allem der historische Teil begeistert mich heftig. Da wird, zugegeben ziemlich vage, in Form von drei Erzählungen die Entwicklung dargestellt, von den alten, traditionellen Blödmaschinen (Kirche, Herrschaft, Wissenschaft) zu den neuen, (post)modernen (Medien, Mode, Waren). — Als einzige Makel muss ich die auffällig dünne Bibliographie und den fehlenden Index anführen.
Netzfunde
Einen kleinen Vorgeschmack auf das, was in »Blödmaschinen« abgeht, vermittelt nicht nur die oben beim Buch-Cover verlinkte Suhrkamp-Seite, auf der man eine Leseprobe der ersten 20 Seiten finden kann, sondern auch dieses polemische ›TAZ-Schlagloch‹ von Georg Seeßlen: Tracht und Niedertracht. — Oh, was habe ich mich mit Andrea gestritten über diesen Artikel. Kein Wunder, denn sie kennt sich mit Mode aus, und kritisiert (zu Recht) dass eine große Ironie der modernen Trachtenbegeisterung unerwähnt blieb: die Leutz kaufen sich nostalgisierte Heimatverbundenheit in Form von in China hergestellten Dirndeln. — Dennoch verteidige ich den TAZ-Artikel, auch wenn die Problematik im »Blödmaschinen«-Buch ungleich besser vermittelt wird, allein schon, weil hier der Mittelstands-Code ›Landhausmode‹ als Kontrast die Unterschichten-Gefängniskleidung der ›kik‹-Mode gegenübergestellt wird.
Ich bin im Augenblick zu faul, meine Eindrücke zu »X-Men: First Class« zu beschreiben, außer, dass ich sehr zufrieden mit diesem Sommerblockbuster bin. Michael Fassbender spielt sich Film für Film in die Liga der von mir verehrten Mimen. Wenn ein Superheldenspektakel es schafft, dass ich mit einem ambivalenten (noch-)Helden der zum Bösewicht (oder zumindest Fanatiker) wird (Magneto) Mitgefühl habe, weil ich miterleben kann, wie er mit Hilfe seines (noch-)Freundes (Prof. X) seine eigenen Traumata-Blockaden überwindet, mittels des (Wieder-)Findens einen kleinen Restes Trostes und Freude in seinem verkorksten Seelenhaushalt, und dadurch zu neuen Höchstleistungen befähigt wird, und wie sich in diesem Augenblick des Satallitenschüssels-Drehens die Mimik von Eric/Magneto Freude, Schmerz, (Selbst-)Überraschung , Machtlust und Befreiung spiegeln, dann ist das großes Kino und eben ein toller Darsteller. — Meinem Empfinden recht nahe bringt (wieder Mal) Rüdiger Suchsland die Sache für ›Telepolis‹ auf den Punkt: Der zornige Jude.
Noch dürfen wir nicht sicher sein, ob die Meldung (hier bei ›io9‹), dass mit Tom Hanks als Produzent »American Gods« von Neil Gaiman zu einer HBO-Miniserie umgesetzt werden soll, nun etwas gutes oder schlechtes bedeuet. Aber hoffen wir mal, dass etwas Gescheites dabei herauskommt. Das Material des Buches wird offentlich nur als Sprungbrett genutzt und erheblich ausgeweitet, denn es sollen 6 Staffeln zu je 10 bis 12 einstündigen Folgen gedreht werden.
Zuckerl
Auf den ehemaligen Mitarbeiter von Rockstar-Games, Comic-Autor und Zeichner Brian Wood bin ich aufmerksam geworden, als ich bei dem lokalen Comicdealer meines Vertrauens (›Terminal Entertainment‹) den Band »Demo« entdeckt habe; danach genoss ich »Lokal« und schließlich seitdem die ›Vertico‹-Serien »Northlanders« und (vor allem) »DMZ«. — Hier nun geht es zu einer umfangreichen Umsonst-Portfolio von Brian Woods: Public Domain 2 mit Skizzen, Charakterstudien, Propaganda-Parodien, kurzen Comicgeschichten, Coverart-Skizzen. Ganz besonders reizvoll finde ich Woods Arbeiten, wenn er (ganz Erbe des großartigen Will Eisner) öffentliche Räume, Straßen, Ladenfassaden, Brücken, U-Bahnstationen portraitiert und dokumentiert. Hier geht es zur Download- bzw. Ansicht-Möglichkeit als PDF im Browser.
Eintrag No. 720 — Lektüre: Gefunden beim Buchhändler meines Vertrauens für Englischsprachiges, habe ich mir nun einen Klassiker des Steampunk-Genres vorgenommen: »Infernal Devices«, geschrieben von K. W. Jeter, dem Mann, der 1987 in einem Leserbrief an das SF-Magazin ›Locus‹ den Begriff scherzhaft geprägt hat:
{…} Personally, I think Victorian fantasies are going to be the next big thing, as long as we can come up with a fitting collective for Powers, Blaylock and myself. Something based on the appropriate technology of that era; like ›steampunks‹, perhaps… .
—K.W. Jeter
Molos Schnellübersetzung:{…} Ich selbst glaube, dass Viktorianische Phantasien bald groß rauskommen werden, vorausgesetzt, wir finden einen passenden Sammelbegriff für Powers, Blaylock und meine Wenigkeit. Vielleicht ein Name, der zu der dieser Epoche entsprechenden Technologie passt, zum Beispiel ›Steampunks‹… .
—K.W. Jeter
»Infernal Devices« erschien erstmals 1987 (auf Deutsch bei Ullstein 1990 als »Das Erbe des Uhrmachers«). Habe etwa die Hälfte des 340 Seiten umfassenden Romanes gelesen und bin angetan. Man folgt den Aufzeichnungen von Geroge Dower, einem eher bequemen und durchschnittlichen, wenn auch gelangweilten Londoner Gentleman, der die Uhrmacher- und Feinmechanik-Werkstatt seines Vaters geerbt hat, nicht jedoch dessen Genialität. Jeter versteht es vorzüglich, die Erzähl- und Räsonier-Umständlichkeit der viktorianischen Epoche zu beschwören, sie jedoch flockig lesbar zu gestalten. — Bisher hat sich noch nicht allzu viel getan, außer Geraune von Geheimgesellschaften, Weltvernichtungsmaschinen und den Versuchen Georges, mehr über die merkwürdigen Kunden zu erfahren, die seinen geruhsamen Alltag durcheinander gebracht haben. Bisher ist es sehr vergnüglich, wie George in einem (natürlich!) nebelverschleierten London unterwegs ist, um mehr über obskure Münzen mit Fischmenschen-Portraits und die Schöpfungen seines Vaters herauszubekommen. — Ich kann dem Klappentext und Blurbs bisher zufrieden Recht geben, wenn sie »Infernal Devices« als gelungene Mischung aus H. G. Wells, Arthur Conan Doyle und Lovecraft beschreiben.
Hier eine traurig & wütend machende Meldung (bei ›Telepolis‹) zum Stand der Staudamm- & Wasserkraftwerk-Entwicklung am Xingu-Fluss. Da haben James Cameron (siehe »Eine Nachricht von Pandora«-Doku der Extended Collector’s Cut-Version von »Avatar«) und andere Promis noch versucht, im Protest die Weltaufmerksamkeit auf dieses Wahnwitzunternehmen zu richten, aber geholfen hat es nichts: Brasilien genehmigt gigantisches Belo-Monte-Wasserkraftwerk.
Ein wie ich finde wirres aber seltsames PDF: 15 Thesen zur nächsten Gesellschaft von Dirk Baecker von der Zeppelin Universitat Berlin. — Für ›Telepolis‹ versucht Jörg Wittkewitz die Thesen verständlich und kritisch auszudeuten, aber die bleiben für mich trotzdem von ausgesuchter Undurchschaubarkeit: Die nächste Gesellschaft. Wittekitz deutet es schon an, dass Baecker im Grunde versucht, Gesellschafts-Prognosen mit Technik-Sprache zu betreiben … ich gehe weiter und meine, dass Baecker im Grunde keine Wissenschaft sondern Poesie betreibt. Seine »15 Thesen« würden sich vielleicht besser als Warmschreibtext für ein Science Fiction-Szenario machen. — Mein Favorit lautet:
Das Individuum der nächsten Gesellschaft spielt, wettet, lacht und ist ratlos. Es zählt wie in der Stammesgesellschaft, fühlt wie in der Antike, denkt wie in der Moderne und muss sich dennoch jetzt und heute an der Gesellschaft beteiligen.
Ein Satz von überwältigender Unbrauchbarkeit.
(Deutschrachige) Phantastik-Links
Die neueste Science Fiction- und Fantasy-Rundschau von Josefson für den ›Der Standard‹: Intelligente Wolken und Drogennebel, diesmal mit Rezensionen zu Büchern von Hannu Rajaniemi, Karsten Kruschel, Ken Scholes, Lavie Tidhar, Nir Yaniv, Kazuo Ishiguro, Chris Wooding, Andreas Brandhorst, Nnedi Okorafor, Jeff Somers, Kai Meyer. — Ist diesmal nichts dabei, was ich (schon) kenne, oder worauf ich (nun) neugierig geworden bin. Schade eigentlich.
Es freut mich, dass für die ›TAZ‹Ulrich Gutmair ein großes Lob auf den neuesten Roman von William Gibson anstimmt: Der Kommunismus der Dinge.
Was machen, wenn man sich teure Hirmer-Bildbände nicht leisten kann? Wenigstens gute Rezi-Zusammenfassungen des Inhalts genießen, wie Cathrin Nielsens Besprechung Gegenwelten über Werner Hofmanns »Phantasiestücke. Über das Phantastische in der Kunst«.
Zuckerl
Wohlverdienter Sieg beim Wettbewerb um’s beste Photo mit einem ›Last Exit Nowhere‹-T-Shirt: Best Picture of May 2011. — (Zur Info: Gewinnerin Emily Rogers trägt ein T-Shirt mit dem Firmenlogo von ›Wayland-Yukatami‹, der großen, mächtigen Firma, die in dem SF-Weltenbau von »Alien« & Nachfolgern die Fäden zieht.)
Die Mannschaft des ›Clockworker‹-Blogs hat mich auf die Zentrifugal-Geburtsmaschine aufmerksam gemacht. Ob die jemals getestet wurde?
Schräge Blog-Idee: Thom Dicomidis spinnt jede Woche ein Gedankenspiel zusammen, wie ein Zweikampf zwischen X und China Miéville verlaufen würde … offensichtlich ist Thom ein um einige Dimensionen ärgerer Miéville-Fan als ich. Bisher hat noch niemand gegen C.M. gesiegt: Could They Beat Up China Miéville.
Apropos China Miéville: der Meister selbst pflegt ja ein ziemlich inspiriertes Blog, ›Rejectamentalist Manifesto‹, in dem er Fundstücke teilt. Mein Liebling der letzten Zeit: Such acts of worship are conducted with a fervour that seems wholehearted but defensive (in etwa: ›Diese Gesten der Huldigung werden mit einer Inbrunst vollzogen, die von ganzen Herzen zu kommen, aber auch zurückhaltend scheint‹).
Naturkunde die stinkt und kracht: beginnt etwas dröge, steigert sich aber wunderbar von den seichteren zu den heftigeren Reaktionen der Alkalimetalle Lithium, Natrium, Kalium, Rubidium und Cäsium auf Luft und Wasser: Alkali Metals In Water (via ›BussFeed‹).
Über die VBlog-Besprechung von »X-Men: First Class« durch Nostalgic Chicks Linsey & Nella habe ich vom Bechdel-Test erfahren. Ein Film besteht den Test, wenn er die folgenden drei Kirtierien erfüllt:
1. Mindestens zwei Frauen kommen in dem Film vor …
2. … die miteinander reden …
3. … und zwar (auch) über etwas anderes als Männer.
Erstaunlich, welche Filme bei diesem Test durchfallen!
(Infoschwall: Der Test wurde inspieriert durch den Comic-Strip »The Rule« von Alison Bechdel. Ja genau, die Autorin von »Fun Home«. Hier bei ›Femenist Frequency‹ werden die Regeln als Filmchen erklärt.)
Zum Abschluss ein wunderschöner Zeichentrick-Kurzfilm, Abschlussarbeit von Ya-ting Yu, sowie Yeh Ya-hsuan und Chung Ling, an der Nationalen Hochschule für Künste Taiwans: Out of Sight.
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Eintrag No. 718 — Welche Gemeinsamkeit haben »Thor«, »Hanna«, »Scream 4«? Sind alles Filme, die ich gerne auf Englisch im Kino sehen würde, aber seit es kein Turm-Kino mehr gibt, ist das frankfurter Angebot englischsprachiger OV-Filme erschreckend zurückgegangen. Ich erlaube mir etwas zu grummeln.
Lektüre: Seit ich als Jugendlicher über den Haffmans-Verlag das Schaffen von Gisbert Haefs kennen- & schätzen gelernt habe, gehört er zu den Autoren, deren Bücher mich seit vielen Jahren begleiten. Haefs hat als Krimi- (›Balthasar Matzbach‹-Romane) & HistoAbenteuer-Fabulant (»Hannibal«, »Alexander«), als Übersetzer & Werksausgaben-Herausgeber (Sherlock Holmes, Ambrose Bierce, Rudyard Kipling, Jorge Luis Borges) und als Selbsteinsprecher eines Hörbuches (»Roma. Der erste Tod des Marc Aurel« ist eines meiner Allzeit-Lieblingshörbücher) bewiesen, dass er einer der ganz wenigen hiesigen Gegenwartsautoren ist, die es druffhaben, die Tradition klassischer Unterhaltungs-Genre gekonnt fortzuführen. — Entsprechend habe ich mir die Taschenbuchausgabe der neuesten Unternehmung von Haefs besorgt, »Die Rache des Kaisers«. Der Roman erzählt die Geschichte von Jakob Spengler, der 15 Jahre alt ist, als er Anno 1519 vom Waldrand aus beobachtet, wie eine Schaar Söldner sein Heimatdorf niedermetzelt. Die Gesichter der vier Anführer prägen sich Jakob ein. Einige Jahre begleitet er als ›gefundener Sohn‹ einen orientalischen Diplomaten und dessen beiden Krieger-Diener, dann macht sich Jakob auf, die Schlächter seiner Familie zu suchen. Bisher habe ich das halbe Buch durch und finde es angenehm kurzweilig. Das Chaos und die Grausamkeiten der Bauern- & Söldner-Aufstände & Reformations-Unruhen sind passende Gelegenheiten, um kritische Gedankengänge über Religion, Gott, Abkehr vom Glauben, soziale Ungerechtigkeit und dergleichen einzustreuen. Wie immer versteht es Haefs, knapp und ohne langes Gefasel ein lebendiges Ensemble zu schaffen, Orte zu beschwören, komplexe Zusammenhänge zu erklären. Geschickt werden die ernsteren und abenteuerlichen Passagen abgewechselt durch beispielsweise romantische, zünftige oder alberne Stellen. Wenige Unterhaltungsautoren beherrschen diesen Kniff. — Ich liebe es, wenn plötzlich in einer eigentlich ziemlich harten Rachegeschichte wie hier, solche Sachen abgehen: Jakob und Freund / Waffengefährte Avram verbringen schwermütige Tage in Venedig und verfallen beim Wein in folgenden Dialog (Seite 204). Avram fragt, mit welchem Spitznamen Jakob Venedig bedacht hat:
»Kanalrattenstadt«, knurrte ich, »mit Wänden voller Kanalrattenschatten.«
{…} »Schlafen Ratten auf Matten? Werfen dabei Kanalrattenmattenschatten?«
Er {= Avram} rülpse leise: »Das will erwogen sein. Wenn sich zwischen platten Schatten satte Ratten matt begatten…«
Meine Freude am neuen Roman von Gisbert Haefs ist eine passende Gelegenheit, einige Erzähl-Tugenden zu benennen, welche »Die Rache des Kaisers« beispielhaft auszeichnen, und die ich allen Genre-Autoren zur inniglichen Beherzigung nahelegen möchte:
— 1) Überkandidelte Sprache braucht kein Mensch. Aber es steht auch vornehmlich auf Unterhaltung abziehlenden Reissern gut an, die Prosa (natürlich passend zum jeweiligen Stoff) hie und da mit kleinen Sprachkapriolen zu würzen.
— 2) Zeiträume können ruhig übersprungen, die Schilderung von Ereignissen gerafft werden. Haefs führt das glänzend vor. Abenteuerliche Romane werden nicht unbedingt besser, wenn sie aufgebläht werden, weil sie immer eng am Zeitstrahl entlangkriechen. Die Darstellung von Lebensabenteuern werden nicht zwangsweise ergiebiger, wenn man alles was vorfällt ausbreitet.
— 3) Ruhig ab und zu einige Originaltöne einflechten. So bringt Haefs seinen Lesern die schreckliche Plünderung Roms durch spanische und deutsche Söldnertruppen durch Ausszüge aus der Chronik eines gewissen Gregorius oder Georgius nahe; zitiert die Nachwehen des Grauens durch die Schriften des Landsknechthauptmanns Sebastian Schertlin von Burtenbach. Früher im Roman listet der Icherzähler Jakob die Forderungen der aufständischen Bauern in deutschen Landen auf. So lassen sich geschickt die Kleinigkeiten von historischen Panoramen auffächern.
— 4) Wiegesagt: Keine Angst vor Albernheiten oder ›Sentimentalitäten‹ oder blumigen Sprachbildern. Hier eine für meinen Geschmack besonders gelungene Stelle, wenn Jakob, inzwischen gute 20 Jahre alt, eine letzte Nacht bei seiner Geliebten Laura in der Nähe von Venedig verbringt, bevor er sich wieder auf den Weg macht, sich an den vier Mordbrennern zu rächen:
Für Laura und mich wurde es eine lange weiße Nacht. Zwischendurch gab es etwas, das ich nicht Liebe nennen mag, eher einen verzweifelten gegenseitigen Angriff; der Rest war Reden, Fragen, Nachfragen, Vorwürfe. Und Laura war nie schöner als in jener Morgendämmerung, da sie neben mir lag, auf den rechten Ellenbogen gestüzt, die Honigkaskaden des Haars über Schulter und Brust. Schön wie ein geschliffenes Schwert. Als es mir das Herz schlitzte, als ihre Augen Leid sprühten und dabei trocken blieben, hätte ich gern geweint.
Reiseberichte sind immer eine gute Lektüre. Ich durfte zuhause in den letzten Tagen schon Andreas Begeisterung für die »Russische Reise« von John Steinbeck & Robert Capa aus dem Jahre 1948 erleben. Ein Hoch auf die Büchergilde Gutenberg und die von Illja Trojanow herausgegebene Reihe ›Weltlese‹. Hier eine ausführliche Empfehlung von Thomas Hummitzsch für das Portal ›Glanz & Elend‹: Menschen wie du und ich.
Hatte noch keine Zeit für gründliche Lektüre des Eintrages Imagination im Online-Philosophie-Lexikon der Universität Standford. Wird aber noch erledigt.
Es ist mir immmer ein Vergnügen, wenn respektable Literaturkritik sich Sachen vornimmt und zudem lobt, die von feuilletonistischen oder akademischen Kreisen leider allzuoft links liegen gelassen werden. Hier bei ›Literaturkritik.de‹ bricht Ole Petras eine Lanze für DEN Meister der erotisch angereicherten ›langbeinige Grazien‹-Comics: Sex in Zeiten der Anarchie: Zur Milo-Manara-Werkausgabe, am Beispiel des Comics »El Gaucho«.
Folgendes ist so irre und doch passend, als ob Metallica Beethoven-Symphonien interpretieren würden. Für die ›Financial Times‹ hat Stephen Fry ein Interview mit Lady Gaga geführt. Atemlos las ich Frys Bericht und lauschte dem Treffen dieser außergewöhmlichen Künstler im kompletten Interview, wenn Fry und Gaga locker mit Oscar Wilde, Bert Brecht und Thomas Mann um sich werfen. — Hier als Zugabe ein Link zum ersten Teil vom HBO Special: Lady Gagas Monster Ball. Und jetzt dürft Ihr Euch aufhören zu wundern, dass ich was mit Lady Gaga anfangen kann. »The Fame Monster« und »Born This Way« sind gloriose Meisterwerke der überproduzierten Popmusik und wie Fry auch, habe ich mir bei den ersten Musik-Videas von ihr gleich »Aha, Verfremdungseffekt! Kabarett!« gedacht und den Wahnsinn für gut beheissen.
(Deutschrachige) Phantastik-Links
Ich selber werde wahrscheinlich kaum dazu kommen, an der SF-Challange des Schweizer Anlegestelle für Bibliophile ›raVenport‹ teilzunehmen. Aber die Aktion findet meine Sympathie und ich bin gespannt auf die Beiträge.
›Fictionfantasy‹ und ›Literatopia‹ präsentieren Der Phantast No 2: Dunkle Zeiten, 82 satte Seiten, diesmal mit deutlich verbessertem Layout, feinen Illustrationen von Frank Melech, und lesenswerten Artikeln und Rezensionen. Besonders freuen mich die Besprechungen zu Karl Capeks »Der Krieg mit den Molchen«, zu Paolo Bacigalupis »Biokrieg« und der begonnenen Gesamtausgabe von »Valerian & Vernonique« von Jean-Claude Mézières & Pierre Christin.
›peacay‹ bietet in seinem erstaunlichen Blog ›BibliOdyssey‹ wieder mal eine Gemme der Illustrationskunst: Peter Pan in Kensington Gardens, mit Arbeiten des unvergleichlichen Arthur Rackham zu James M. Barries Meisterwerk.
Der geniale John Coulthart hat für ›Tor:Com‹ eine Übersicht zusammengestellt: H.P. Lovecraft’s Favorite Artists, die solch illustre Meister der graphischen Seltsamkeiten und Extra-Devi-Vaganz wie Heinrich Füssli, Francesco Goya, John Martin, Gustave Doré, Sidney Syme, Nicholaus Roerich, Anthony Angarola und Virgil Finlay, versammelt
Sehr appart finde ich gelungene Mischungen aus Horror und Niedlichkeit, wie z.B. das ›2photo‹-Portfolio von Tony Sandoval zeigt. Besonders grauslig-niedlich finde ich diese nackte Schönheit mit Monster-Eingeweiden; — diese im Wasser sich spiegelnde Geistererscheinung; — und diese umschlungenen Skelette, die mich an eines der besten Roman-Enden aller Zeiten erinnern (»Der Glöckner von Notre-Dame« von Victor Hugo).
Nostalgie-Anfall! Beim Stöbern in iTunes habe ich entdeckt, dass Nik Kershaw immer noch vor sich hin bosselt. Als Teen war ich ein großer Fan seiner Alben »Human Racing« und »The Riddle«. Inzwischen hat er seine alberne Haarpracht abgelegt und sieht er aus wie ein richtig handfestes englisches Mannsbild. Und ich bin entzückt, über die Akustik-Version seines Hits »Wouldn’t It Be Good«, zu finden auf dem Album »No Frills«.
Zum Schluss ein wenig derbe Bildungshuberei. Zu meinen liebsten Musik-Schätzen gehört die »Madrigal History Tour« der King’s Singers (begleitet vom ›Consourt of Musicke‹ unter der Leitung von Anthony Rooley). Unter den aus Deutschland stammenden Liedern der Sammlung befindet sich »Vitrum Nostrum Gloriosum«, und so klingt das schöne lateinische Sauflied in der Aufnahme der King’s Singers selbst (hier in der Fassung der TV-Serie zur geschichtlichen Madrigal-Europareise). Der Text geht so:
Vitrum nostrum gloriosum,
Deo gratissimum.
O, vitrum! Levate!
Fac, fac, bibe totum extra,
ut nihil maneat intra,
Depone!
Hoc est in visceribus meis.
Prosequamur laude!
Und wenn ich die englische Übersetzung des Beiheftes der CD ins Deutsche übersetzte ergibt sich folgender Inhalt:
Unser herrlicher Kelch,
zum höchsten Gefallen Gottes.
Oh Kelch! Hebt ihn hoch!
Kommt, trinkt ihn aus
bis auf den letzten Tropfen.
Hinunter damit!
Ich fühle wie es {das Getränk} mich innerlich wärmt.
Lasst unser Lob sich ihm anschließen.
Und es gibt noch Winkel in der Welt (kann jemand das Schild das ab und zu rechts oben im Bild zu sehen ist entziffern?), wo nicht gelehrte Sänger sondern das gewöhnliche Volk rustikal dieses Lied anstimmen: Vitrum nostrum gloriosum.
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Eintrag No. 717 — Brutale Woche. Erstens, weil ich kein Sonnenmensch bin und die Invasion des Sommers entsprechend nicht zu schätzen weiß. Die zwanzig Minuten Regenschauer, mit denen ich am Sonntag beglückt wurde, waren mir zu wenig. — Zweitens, weil zwei meiner Kollegen von Krankheit darniedergerafft wurden und ich sechs Tage Dienst hinter mir habe. Dadurch blieb weniger Zeit zum Lesen, Daddeln, Stöbern und entsprechend wenig Links gibt es diese Woche.
Aber: Andrea hat mir von ihrem letzten Kurzaufenthalt in Italien ein hübsches Anti-Atomkraft-Shirt der ›Legambiente‹ mitgebracht. Zu sehen ist der Venezianische Löwe im Simpsons-Stil, mit drei Blinky-Augen und der Pfote auf einem Atommüll-Fass (statt dem Buch der Stadt).
Lektüre: Immer wenn ich besonders wenig Zeit und Nervenstärke fürs Lesen erübrigen kann, greife ich auf die exzellente Hörbuchfassung von Neal Stephensons »Barock-Zyklus« zurück. Im Lauf der letzten Woche habe ich das zweite Drittel dieses gigantischen Werkes, Band 2 »The Confusion«, zu Ende gehört und bin weiterhin äußerst entzückt davon, wie gekonnt Simon Prebble den Roman vorträgt. — Kurze Hörprobe gibt es bei ›Audible‹.
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In zwei Tagen unterwegs weggeschlürft habe ich das neueste auf Deutsch bei Tropen erschienene Buch von Douglas Coupland: »Marshal McLuhan. Eine Biographie«. Dazu muss ich sagen, dass ich (bisher) kaum eine Ahnung von McLuhan hatte, außer, dass er in den Sechzigerjahren prophetische Bücher über unsere moderne Medienwelt geschrieben hat. Natürlich kenne ich die zwei Aussagen von ihm, die zum fixen Fundus eines jeden Bullshit-Bingos zum Thema moderne Medienwelt gehören:
— 1)»Das Medium ist die Botschaft« (gemeint ist laut Coupland: »der augenscheinliche Inhalt sämtlicher elektronischer Medien ist unerheblich und das Medium selbst hat eine viel größere Auswirkung auf die Umwelt und Konsumenten«);
— 2)»Die modernen Medien machen die Welt zu einem globalen Dorf« (gemeint ist: »elektronische Technologien sind eine Ausweitung des menschlichen Zentralnervensystems und die kollektiven Nervenleitungen unseres Planeten bilden eine einzige blubbernde, diffuse, quasi-fühlende, rund um die Uhr akrive Meta-Community«). — Coupland bereitet das Thema kurzweilig und doch eigenwillig auf. Seine Art, sich eher wie ein Objektkünstler dem Schreiben zu widmen ist offenkundig, wenn er wie bei einer Collage Anagramme, Internet-Auszüge und Zitate zu einem großem Gedankenbild anordnet. Zudem traut er sich, seine sehr persönliche Sicht auf McLuhan anzubieten, was das Buch zu einer weniger verkopften Angelegenheit macht, als man bei dem Gegenstand befürchten mag. — Wichtig ist Coupland unter anderem, dass die körperliche Verfassung, vor allem die dies Gehirns, zum Verständnis der Besonderheit eines Denkers wie McLuhan ist. Ein Beispiel dafür (wie auch für Coupland persönliche Färbung) liefert eine Fussnote auf Seite 61, bei der ich Tränen gelacht habe:
Halloween 1988 habe ich mit dem Rauchen aufgehört. Im Dezember lief ich durch einen Schneesturm, nieste wie noch nie zuvor in meinem Leben und hatte danach einen Gewebeklumpen in der Hand, der aussah wie eine kernlose grüne Weintraube. Durchzogen von blutigen Äderchen. Ich war natürlich mit den Nerven am Ende und lief sofort zum Arzt, der mir erklärte, ich solle dankbar sein, »Immerhin ist es jetzt draussen«.
Hier ein Schmankel zum Kennelernen von McLuhan ein vierteiliges Youtube-Video (genauer: Tonmitschnitt) eines Vortrages. Leider ist nicht angegeben, wo und wann McLuhan diesen Vortrag gehalten hat, wahrscheinlich irgendwann in der zweiten Hälfte der 60er-Jahre. Man bekommt einen guten Eindruck, warum McLuhan als provokaten Thesen verbreitender Prohet und fesselnder Redner galt: Marshall McLuhan - Address to Author's Luncheon (1 von 4).
Spiel:Freund David hat bereits gemeldet, dass ihn »L. A. Noire« enttäuscht hat, er aber gespannt ist, wie ich dieses Spiel finde. Ich hatte bis Sonntag noch Dienst, und damit nicht wie David die Möglichkeit »L. A. Noire« in kurzer Zeit durchzudaddeln. Vielleicht ein Vorteil, denn die knappen Sessions, die ich bisher als Kommissar Phelps im Los Angeles des Jahres 1947 verbachte, haben mir sehr gut gefallen. — Okey, es dauerte einige Zeit, bis ich mich an den Stil des Spieles gewöhnt habe. Bei den bisher von mir gespielten Rockstar-Titeln (der moderne Gangster-Kracher »GTA IV« inkl. seiner beiden Erweiterungen und das Spätwestern-Epos »Red Dead Redemption« inkl. der Zombie-Erweiterung) konnte ich weitestgehend frei Schnauze durch die Welt eiern und viele unterschiedliche Dinge abseits der Haupt- und Neben-Geschichte(n) anstellen. Deshalb gelten diese Spiele auch als ruhmvolle Beispiele für das ›Open World‹- oder ›Sandbox‹-Spiel-Genre. Im Gegensatz dazu verschleiert »L. A. Noire« kaum, dass der Spieler auf einem ziemlich gradlinigen Pfad durch die Geschichte gelotst wird. Zudem kann man sich nicht wie in bisherigen Rockstar-Welten nach Herzenslust benehmen. Als Gesetzteshüter ist man angehalten, keinen Sach- oder Personenschaden anzurichten. Kein chaotisches Remmidemmi also, was durchaus schade ist. Allerdings wird dieser ›Makel‹ (für mich) wieder mit der Athmosphäre und Geschichte ausbalanciert. Das Spiel macht auf mich, trotz der ein oder anderen humorigen Nuance, einen erstaunlich reifen und erwachsenen Eindruck. Der Ton und die Figurenzeichnung von »L. A. Noire« sind sozusagen die Umkehrung von »GTA IV« und »Red Dead Redemption«: bei den beiden Vorgänger dominierte deftige, mitunter zynische Satire den Gesamteindruck, und hie und da eingestreute ernste Facetten erinnerten an die grimmigen Tatsachen der realen Welt, die dem Weltenbau der Spiele zugrundeliegen. Bei »L. A. Noire« wird man als Ermittler Phelps Stück für Stück in die unangenehme Position bugsiert, hilflos zu durchschauen, dass man als Handlanger der politisch gut vernetzten Übeltäter einen Unschuldigen nach dem anderen als Sündenbock einbuchtet. — Ich bin schon gespannt, wie die ganze Geschichte ausgeht.
Nachtrag: Freund Volker B. hat in seinem Blog ›Random:Notes‹ mehrere Einträge zu »L. A. Noire« geschrieben: einmal seine allgemeinen Eindrücke nach der ersten Spielsitzung: L.A. Noire (I); für die Website von T-Online dann diese (auch oben beim Cover des Spiels verlinkte) Rezension Der Tod in der Stadt der Engel; und wieder in seinem Blog diesen quirligen Bericht einer längeren Session in etwa aus der Mitte des Spieles: L.A. Noire (III) – jetzt mit +++ Liveticker +++.
Netzfunde
Ich sammle ja Anthologien. 1) Weil die sich vorzüglich eignen, Kenntnisse zu erweitern, unnützes Wissen anzuhäufen & sich neuen und unbekannten Themenfeldern zu nähern; 2) Weil mein Anthologie-Vorrat mich davor bewahrt, nicht zu wissen was ich lesen soll, da Anthologien prima Lesekitt zwischen zwei Büchern sind. — Zu meinen Lieblingsanthos gehört »Eyewitness to History«, herausgegeben von John Carey, Avon Books 1990 (US-Augabe von »The Faber Books of Reportage«, 1987). — Zwar hatte ich noch nicht viel Zeit zum Stöbern, finde es aber doll, dass man diese Anthologie-Idee auch ins Internet übertragen hat: EyeWitness to History (Augenzeugen der Historie).
Apropos: Hat zwar nichts mit Bürges Artikel, aber mit Kirche und Christen zu tun. Was mich wundert ist deren großes Schweigen dieser Tage. Im »Spiegel« und anderswo wurde vergangene Woche berichtet, wie ein altbekanntes Hamburger Versicherungshaus Mitarbeiter mit einer Runde Ringelpiez mit Anfassen in Prag ›belohnte‹, kurz: ‘ne Sexorigie auf Kosten des Hauses. Ist einerseits eine feine Art der Belohnung, gleichzeitig schweißen solche gemeinsame ›verruchte‹ Erlebnisse zusammen und machen erpressbar. Angeblich sollen Belohnungs-Veranstaltungen dieser Art verhältnismäßig verbreitet sein (was ich mir durchaus vorstellen kann und für wahrscheinlich halte, auch wenn ich nicht glaube, dass viele Firmen solche Veranstaltungen übers offizielle Konto abrechnen). — Was mich nun völlig verdutzt, ist, dass kein Christenprediger, die sich ja sonst gerne mal in alles mögliche populistisch einmischen, hierüber ein Wort äußert. Oder ich hab’s nicht mitbekommen?
Zu den Autorinnen, die ich außerordentlich schätze, über deren Bücher (z.B. »Schiffsmeldungen«, »Mitten in Amerika« und die Sammlungen mit Kurzgeschichten aus Wyoming, deren bekannteste wohl »Brokeback Mountain« ist, verfilmt von Ang Lee) ich aber bisher noch nichts in der Molochronik geschrieben habe, gehört die Amerikanerin Annie E. Proulx. Hier bei ›Slow TV‹ habe ich ein Video gefunden, in dem sie mit dem australischen Autor Tim Flannery über die Wechselbeziehung zwischen Wissenschaft und Kunst plaudert: Science is the new art. Ist anfangs etwas zäh, aber wenn Proulx und Flannery anfangen, von ihren Naturerlebnissen zu erzählen, wird es hochspannend.
Zuckerl
›Asia Obscura‹ nimmt uns mit auf einen Photorundgang durch den Dongyue Tempel (= ›Tempel des Ostberges‹) in Peking mit 19 unglaublichen Taoistischen Göttern. Für die Hasenfreunde der Molochronik sei insbesondere auf diesen blauen Gott der taoistischen Tierabteilung hingewiesen.
Bei ›Neatorama‹ habe ich dieses runde Drei-Parteien-Schach gefunden. Würde ich gerne mal eine Partie spielen.
›Slash / Paris‹ präsentiert die wundersamen und verstörenden Skulpturen des koreanischen Künstlers Choi Xooang: The Islet of Asperger. Weitere Photos von Xooangs Werken finden sich bei ›This is Colossal‹.