molochronik

»Die Welt« reißt Kerbe bei Kompetenz-Kontrolle

(Eintrag No. 570; Woanders, Literatur, falscher Fehler) — Über folgende erheiternde Schlamperei bin ich schon letzte Woche gestolpert. Nun, da es immer noch im Netz, gebe ich die literarische Inkompetenz von »Die Welt« dem allgemeinen Geschmunzel preis.

Frage: Was stimmt nun nicht mit dieser Umfrage-Auswahl?

Antwort: Ken Follett ist Waliser und trotzdem für 15% der Umfrage-Teilnehmer der beste lebende US-Schriftsteller.

Leset & staunet: Hochliteratur-Magazin widmet sich Comics!

Zu »edition text + kritik«.Eintrag No. 565 — Es geschehen noch Zeichen und Wunder! Stolper ich doch im Buchladen über den aktuellen Sonderband (V/09) der »Edition Text + Kritik: ›Comics, Mangas, Graphic Novels‹«. Mjam-mjam-mjam, feines Lesefutter für die nächste Tage.

Na das ist doch eine mittelschwere Paradigmentektonik, wenn eines der Hochseeschiffe der Literatur-Literatur sich der graphischen Erzählkunst annimmt. Wie ungewöhlich, aber auch wie überfällig so ein pubizististisches Ehrenrettungssignal ist, umzirkelt bereits der Waschzettel auf der Sonderbandrückseite (nebst einigen Allgemeinplätzen).

Ja, Comics wurden (werden immer noch) lange pauschal als ›trivial‹ abgetan. Und Doppel-Ja: gerade die Sparte ›graphic novels‹ hat in den letzten Jahren viele Werke hervorgebracht, die diese Missachtung als ignorantes Larifari enttarnen. Tripple-Ja: auch Comics können ›ernste‹ Themen angemessen, originell behandeln.

Versammelt sind Werks- und Künstler-Portraits zu solchen Kapazundern wie Will Eisner, Robert Crumb, Hugo Pratt, Pierre Christin, Jacques Tardi und Alan Moore. Themenbezogene Aufsätze behandeln beispielsweise: das Verhältnis von Comics und Literatur; die Illusionsmaschine Entenhausen; Comics im Comic, sowie Mangas. Abgerundet wird der Band durch ein Gespräch mit dem »Reprodukt«-Verleger Dirk Rehm.

Leseeindrücke werde ich hier noch ergänzen, sobald ich Zeit gefunden habe, ausführlicher in dem Band zu stöbern. Derweil freu ich mich einfach.

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Hrsg: Heinz Ludwig Arnold und Andreas C. Knigge: »Text + Kritik. Sonderband (V/09): ›Comics, Mangas, Graphic Novles‹«; 272 Seiten (15. Aufsätze); edition text + kritik München 2009; ISBN: 978-3-88377-995-9.

»Fünf Projekte die jemand anderes unbedingt machen sollte« von China Miéville (Gastblogeintrag 3/3 für »Omnivoracious«)«

(Eintrag No. 564; Woanders, Ideen, Fantasy, Geschichte, Biologie, Soziologie) — Hier nun ein Anreisser zum dritten (und letzten) Gastblogbeitrag von China Miéville, der letzte Woche bei »Omnivoracious« unterwegs war, auch anlässlich der Vorstellung seines jüngsten Romans »The City & The City«.

In »Leave an Idea, Take an Idea« stellt Miéville vier Buch-Ideen und eine Projekt-Idee vor.

Meine komplette Übersetzung von »Schenk eine Idee, nimm eine Idee« kann man auf der deutschen Miéville-Fansite »www.bas-lag.com« lesen.

  1. Aus dem Rahmen gefallen: Ein Sachbuch, eine Essay- und Interviewsammlung über Menschen, deren Mitgliedschaft bei einer Organisationen gegen unsere groben Erwartungen verstößt. Beispielsweise jüdische Mitglieder der Palästinensischen Befreiungsorganisation, muslimische Mitglieder der Bharatiya Janata Partei, Protestanten die der Sinn Fein beigetreten sind, singhalesischen pro-Tamilien-Aktivisten, und so weiter.
  2. Ideen im Überfluss: »Eine Stadt, deren Straßen mit Zeit gepflastert sind«, brabbelt Madoc. »Köpfe aus Licht … ein Wer-Goldfisch…«, und so weiter. Madocs Ideen reichen vom Über-Einsichtsvollem: »Greife sollten nicht heiraten«, über das Numinöse: »Ein alter Mann … dem das Universum gehörte«, bis zum Humoristischen: »Zwei alte Weiber fahren mit einem Wiesel in Urlaub«, bis hin zum (scheinbar) Banalem: »Ein kleines Stück blauer Karton«.
  3. Außergewöhnliche Widersprüchlichkeit: »Romaine die Prophetin (sic!) war ein Mann, der seine Authorität auf seinen göttlichen Attributen gründete.« {…} Sicher, sicher ließe sich ein erstaunliches Buch über Romaine Rivière schreiben, der behauptete der Urenkel der heiligen Jungfrau zu sein, und der zu einem auf dem Kopf stehenden Kreuz betete. Er war verheiratet und hatte Kinder, dennoch drängt sich beharrlich die Frage auf: Liegt es vielleicht nicht an einer ›außergewöhnlichen Widersprüchlichkeit‹, dass er sich die Geschlechtergrenze übertretend benamste?
  4. Fremdländer: Eine Herde {Wallabies} hoppelt emsig im Peak-District-Nationalpark. Dort gibt es auch einen Schwarm Papageien. In der Themse tummeln sich Wollhandkrabben — bei denen es nicht mehr passend ist, sie als ›chinesisch‹ zu bezeichnen, genauso wenig wie bei den Muntjaks, die in Süd- und Mittel-England sowie Wales heimisch geworden sind. Es gibt kleine Süsswasserquallen vom Amazonas die es sich in Yorkshire bequem gemacht haben. Biberratten, Fasane, Mogolische Rennmäuse.
  5. Ein Meta-Vorschlag: Ich schlage vor, dass jemand mit der nötigen Zeit, Konzentration, Coding-Fähigkeit und Durchhaltekraft (die ich nicht nicht habe) die Website ›soemajet.com‹ einrichtet, das steht für ›SOllte Echt MAl Jemand Tun‹.

Hier geht es zu den Molochronik-Trailern der anderen beiden »Omnivoraciuous«-Gastblogbeiträge von Miéville:

»Fünf Bewegungen auf die man achten sollte« von China Miéville (Gastblogbeitrag 2/3 für »Omnivoracious«)

(Eintrag No. 563; Literatur, Phantastik, Fantasy, Woanders) — Eine kleine Zusammenfassung des zweiten Beitrages von China Miéville bei »Omnivoracious«, wo sich Miéville diese Woche (auch anlässlich seines jüngsten Romanes »The City & The City«) als Gastblogger herumgetrieben hat.

In »Neither a Contract Nor a Promise« erfindet, prognostiziert, spielt Miéville mit der Idee über fünf kommende, wünschenwerte, zu befüchtende Literatur- und Kunstströmungen.

Die komplette Übersetzung könnt Ihr auf der deutschen Miéville-Fansite »www.bas-lag.com« lesen.

  1. Zombiefail ‘09-ism: Der Standpunkt der Autoren wird sein, dass was als Kräftigung (man scheut sich in diesem Zusammenhang von ›Wiederbelebung‹ zu sprechen) eines alten Themas anhob, sich mittlerweile wie ein Virus derart verbreitet hat, dass ihre Allgegenwart in ambulonecrotophilen Kitsch umschlug. Zombies, die einst das kulturelle Unterbewußtsein heimsuchten wie unheilvoller Tadel, haben sich zu knuddeligem Spielzeug gewandelt, zu toten Metaphern (ta-da!) die uns nicht länger in Wallung bringen. Paradoxerweise werden die Zombiefail ‘09-istischen Autoren aus Respekt für die zunehmend herabgewürdigten Zombies entweder diese Banalisierung ausdrücklich mit melancholischem Spott untergraben, oder sich weigern überhaupt über sie zu schreiben und stattdessen aus verschiedenen anderen Mythen verschmähte Monster plündern, an denen die Welt zugrunde gehen kann.
  2. Post-Elegieanismus: Egal ob der Weltuntergang nun eintritt wegen dem Versiegen des Erdöls, dem Ansteigen des Meeresspiegels, der Rache der Natur, wegen Krieg, Kriegsherren, atomarem Weltenbrand oder — D’oh! — einem künstlich gezüchteten Virus, er wird weder schmerzhaft schön, noch eine Moralität sein. Darauf werden die Post-Elegieanisten beharren. Diese grummelige Gruppe literarischer Querdenkender wird verärgert sein über die spärlich getarnte Endzeit-Pornographie der unzähligen, vorgeblich ›trostloten‹ und ›dystopischen‹ (richtig…) Apokalyptik-Fiktionen und -Kulturen. Visionen, in denen verblüffend großartige Eisschollen am Chrysler-Wolkenkratzer vorrübertreiben, mit schwermütig vollmundigen Beschreibungen von Aschelandschaften, und die klumpige Bukolik all der zugewucherten Städte wird so gar nicht nach ihrem Geschmack sein.
  3. HochLit Prätorianer: Dementsprechend wird diese Bewegung fortfahren, jene Aspekte von Fiktionen zu bevorzugen, die, zumindest für einige, das unentbehrliche Ein und Alles der Literatur selbst ist — ein Fest der ›Innerlichkeit‹ und eines bestimmten Protagonistenkonzepts der ›Person‹; eine Prosa, die für sich beansprucht ›sparsam‹ und ›genau‹ zu sein; ein Streben zum Metaphernhorizont, um vollendet irgendeine ›menschliche Wahrheit‹ mittels konkreterer Dinge zu beschreiben (Geschirr, Malfarbe, ein bestimmtes Tier, eine Wetterbegebenheit ect., auf die sich vorzugsweise im Buchtitel bezogen wird); ein Wechselspiel kunstvollen Wiedererkennens und so weiter.
  4. Noird: Weird Noir, ausgesprochen ›Nward‹. Kandidaten für diese Bewegung tauchen bereits auf in Form von Kriminalromanen, speziell solchen des Hard Boiled-Schlages, die durchdrungen sind mit fremdartigen Seltsamkeiten. {…} Du wirst wohl Noird lesen, wenn ein(e) makelhafte(r) Held(in) mit Filzhut ein Tiefes Wesen mit Fragen löchert, Beweisstücke findet, die sich nachdem sie eingetütet und ettiketiert wurden von selbst zu wertlosen Schmuck rekonfigurieren, Tchotchkes und Odradeken; oder der (die) Held(in) erkennt, dass der Mörder ein personifizierter Alptraum einer schleierhaften Komplikation des Alltäglichen ist.
  5. Salvagepunk: Wenn (Walter) Benjamin warnt, dass die historische Geschichte ein Engel ist, der auf einen gewaltigen Schutthaufen starrt, dann ignoriert Slavagepunk den Engel und stöbert im Schutt auf der Suche nach einem Auto das man kurzschließen kann.

Hier geht es zu den Molochronik-Trailern der anderen beiden »Omnivoraciuous«-Gastblogbeiträge von Miéville:

Welcher Fantasy-Autor bis Du?

(Eintrag No. 562; Woanders) — Heute mal wieder referrers und Google abgeklopft.

Dolle Sache: da hat ein gewisser ›Rymdolov‹ bei HelloQuiz (auf Englisch) den Test »Which Fantasy Writer Are You?« entworfen. Bei einigen Ergebnissen gibts Portraitzeichnungen aus meinem Magira-Flickralbum als Illustration (C. S. Lewis, Mary Gentle, China Miéville soweit ich weiß).

»Fünf Gründe warum Tolkien rockt« von China Miéville (Gastblogbeitrag 1/3 für »Omnivoracious«)

(Eintrag No. 560; Literatur, Phantastik, Fantasy, Woanders) — Anlässlich seines neuen Romanes »The City & The City« verdingt sich der englische ›Weird Fiction‹-Autor China Miéville seit Anfang dieser Woche als Gastblogger bei »Omnivoracious«. Wie schon desöfteren bin ich von Chinas Schreibe so hingerissen, dass ich mich als Übersetzter ins Zeug gschmissen habe.

Erstaunlich, was er in seinem Gastbeitrag zum Besten gibt. Wir erinnern uns: Miéville hat zu Beginn seiner Laufbahn als Autor heftig gegen den Übervater der modernen Fantasy polemisiert (siehe hierzu seine ›klassische‹ Betrachtung »Mittelerde trifft auf Mittelengland« vom Januar 2002). Bei all dem enthusiasmierten High Fantasy-Wahn, der (seit) damals auf der Welle der Peter Jackson-Filme mitgischt(e), war diese stellenweise respektlos tönende, aber durchaus fundierte Kritik eine Linderung für meine nervösen ästhetischen Nerven. — Selber neige ich dazu, zustimmend zu nicken, wenn man an der Vormachtstellung der Tolkien’schen Fantansy-Tradition kratzt, dennoch habe ich mich auch schon mit dem gebotenen Respekt zu Tolkien und seinem Werk geäußert (am bündigsten wohl in meiner Besprechung von Tom Shippeys Buch).

Nun also, einige Jahre reifer, hat Miéville in seinem Beitrag »There and Back Again« fünf Gründe zusammengetragen, weshalb ›wir‹ (Phantastik-, Fantasy & wie ich s auffasse auch Literaturfeinschmecker) Tolkien dankbar sein sollten.

Hier nur auszugsweise Chinas Argumente. Die komplette Übersetzung könnt Ihr auf der deutschen Miéville-Fansite »Bas-Lag.com« lesen.

  1. Nordische Magie: Allzu lange waren die griechisch-römischen Geschichten die fetten Pantheons auf dem Gelände. Zeus hier, Persephone da, Skylla & Charybdis dort, das Rauschen war endlos, und jeder der von Mythen hingerissen war, musste sich anstrengen mal was anderes zu vernehmen. {…} Man vergleiche damit die knotige, herbstliche, blutige Unvorhersagbarkeit der nordischen Geschichten, mit ihren anti-moralischen, schwer zu fassenden Feinheiten, ihren grundlosen und faszinierend-variantenreichen Götterrängen, ihren herzerweichend bizarren Nomenklaturen: Ginnungagap; Yggdrasil; Ratatösk. Aus dieser Tradition hat Tolkien geschöpft und sie glorifiziert {…} Wir wussten schon immer, dass diese anderen Götter und Monster cooler sind.
  2. Tragik: Die letzten Tränen in den Augen der Charaktere und Leser sind nicht solche der unumwundenen Freude. Ja, einerseits gewinnen die Guten; aber andererseits, was für eine Schande, dass eine ganze Epoche ihre Glorie verliert. Die Magie zieht natürlich nach Westen, doch auf eigentümliche Weise wird einer Erzählform abgeschworen, mit dem seltsamen Echo nach der letzten Schlacht, dem Nach-Ende von »Der Herren der Ringe«, der Säuberung des Auenlands, das Peter Jackson sträflicherweise weggelassen hat. {…} die Tragik der schleichend flatterhaften Alltäglichkeit verleiht Mittelerde eine kraftvolle Melancholie, die bedauerlicherweise bei vielem was folgte fehlt.
  3. Der Wächter im See: Sag über ihn was Du willst, aber Tolk fährt gute Monster auf. Shelob, Smaug, der Balrog … mit ihren erstaunlichen Namen, dem furchterregenden Elan ihrer Beschreibungen, ihren unterschiedlichen ungezähmten Böswilligkeiten, sind diese Kreaturen ganz in unsere Weltsicht eingeflossen.
  4. Allegorie: Indem er Allegorien abschwört, weigert sich Tolkien der Haltung zuzustimmen, dass fiktionale Werke eingeengt und präzise auf irgendeine zu reduzierende Art und Weise hauptsächlich, einzig und allein oder tatsächlich ›über‹ etwas anderes oder ›von‹ etwas anderem sprechen; dass die Arbeit des Lesers die eines Code-Brechers ist, dass wir mit dem richtigen Schlüssel einen hermeneutischen Algorithmus anwenden und das Buch ›auflösen‹ können. Tolkien weiß, dass dies sowohl zu plumpen Fiktionen als auch zu klobigen Codes führt.
  5. Zweitschöpfung: {D}er Paradigmenwechsel, für den es auch andere Beispiele geben mag, für den aber Tolkien mit weitem Vorsprung der exemplarische Herold ist, bedeutet eine außerordentliche Umkehrung des Verfahrens, und bereichert das Handwerk des Erzählens um einzigartige Werkzeuge und Möglichkeiten. Die Ordnung ist auf den Kopf gestellt: zuerst kommt die Welt, und erst dann geschehen in dieser Welt Dinge, treten Geschichten hervor.

Hier geht es zu den Molochronik-Trailern der anderen beiden »Omnivoraciuous«-Gastblogbeiträge von Miéville:

Was Krimis und Phantastik gemeinsam haben

(Eintrag No. 556; Woanders, Genre & Literatur) — Ausführliches, interessantes Interview mit dem Krimiblogger (»Watching The Detectives«) & Krimiautor (»Menschenfreunde«) Dieter Paul Rudolph gibt’s in Thomas Klingenmaeiers »Propellerinsel«-Blog zu lesen.

Mir ist aufgefallen, dass einiges von dem, was D. P. Rudolph über das Krimigenre (und seinen Werdegang als Krimifreund) erzählt, auch auf die Phantastik (und meinen Werdegang als Phantastikfreund) zutrifft:

  • Die jugendliche Lesebegeisterung wurde durch ›triviale‹ Stoffe entfacht. Es folgte eine ›Hochliteratur‹-Phase und anschließende Rückkehr zum ›Trivialem‹.
  • Erkenntnis: Jeder bedeutende Autor des 20. Jahrhunderts (ich sage: nicht nur des 20 Jahrhunderts) ist auch zutiefst trivial. Döblin, Faulkner, Joyce, Nabokov, Arno Schmidt usw. haben mindestens so viel von den Trivialliteraturen gelernt, wie diese später von ihnen.
  • Krimi ist noch lange nicht ausgeschöpft, wenn man die Grundannahme der Kriminalliteratur akzeptiert, dass wahrscheinlich alle Gesellschaften auf Verbrechen fußen. — Molos Paraphrase: Phantastik ist noch lange nicht ausgeschöpft, wenn man die Grundannahme der Phantastik akzeptiert, dass wahrscheinlich alle Gesellschaften auf Phantasiegebilden fußen.
  • Durch die Genre-Klammer ›Krimi‹ werden die ambitionierten und literarisch fruchtbareren Krimiwerke schnell mal übersehen, und oft wird irrig von den platteren Genrewerken auf alle Genrewerke geschlussfolgert.
  • In der deutschen Krimifreundekultur gibt es zwar ein Bewusstsein dafür, dass man die Kräfte mal bündeln müsste um die ernsthaftere Kriminalliteratur auszuloten, aber das wird als unmöglich zu verwirklichendes Vorhaben abgetan.

Anlässlich der Neuausgabe von Alfred Kubin: »Die Andere Seite« (mit Link-Service)

Eintrag No 555 — Wenn ich nach Gipfeln der deutschen Phantastik gefragt werde, nenne ich immer zwei Namen: Wolf von Niebelschütz (1913-1960) und Alfred Kubin (1877-1959). Ich finde es finster, wie wenig man sich (sowohl in den ernstliterarischen wie den Genre-Kreisen) mit diesen beiden Phantasten auseinandersetzt, wobei die Lage bei Kubin phasenweise immer wieder mal aufhellt.

Da bot zum Beispiel die »Neue Galerie« in New York von Ende September 2008 bis Ende Januar 2009 eine große Alfred Kubin-Ausstellung, zum Frühwerk des großen Monsterzeichners, anläßlich derer wieder einmal ein neuer Werkauswahlband zusammengestellt wurde (»Alfred Kubin Drawings 1897-1909«, gemeinerweise ist die deutsche Ausgabe einfach so 20 Euro teurer). — Und auch in der Frankfurter Schirn Kunsthalle gab es eine kleine feine Auswahl Kubinradierungen in der Ausstellung »Darwin – Kunst und die Suche nach den Ursprüngen« zu sehen.

Der von mir hoch geschätzte Jeff Vandermeer hat sich die Ausstellung New York gegönnt. Er bietet einige Aufnahmen aus dem Katalog und findet es interessant, wie Kubin beispielsweise Mervyn Peake und H. P. Lovecraft vorweggenommen hat.

Ebenfalls durchaus erfreulich ist, dass endlich mal wieder mittels einer schönen Neuausgabe der einzige Roman von Kubin, »Die Andere Seite« (1909) verbreitet wird. Zwar kann man noch billig gebrauchte Exemplare einer der vielen Taschenbuchausgaben erstehen, die es im Laufe der Jahrzehnte von dem Roman gab, aber die meisten dieser TB-Ausgaben sind schrecklich und derweil auch hie & da schrecklich (über)teuer(ert). Wirklich empfehlen kann ich nur die gebundene Ausgabe von Edition Spangenberg (ein Reprint der Erstausgabe) und eben jetzt die schöne Neuausgabe als Band 1444 der Bibliothek Suhrkamp.

Die gebundene Suhrkamp-Ausgabe ist nicht ganz billig (25 Euro), hat aber ein schönes Format (140 x 212 mm) und einen angenehmen Satz und ist auf feinem Papier gedruckt, enthält die 51 Illustrationen und einen Stadtplan der (Alp)Traumstadt Perle. Aber so gar nicht zufrieden, ja sogar enttäuscht und verärgert bin ich über das Nachwort des Büchnerpreisträgers Josef Winkler. 549 Zeilen ca. 19 Seiten lag ist es, und unverschämt eitle 104 Zeilen widmet Winkler Anekdoten zu seinen katholischen Kindheits- & Jugendprägungen. Nur halbwegs befriedigend ist die Bespiegelung Kubins durch von Winkler vorgestellte Zitate Julien Greens von dessen Besuch einer Kubinaustellung 1977. Der Rest bietet zwar eine gut geschriebene, aber flüchtig wirkende biographische Skizze zum Leben und Schaffen Kubins. Setzten: Fünf Minus! — Eine geraffte Fassung dieses Nachwortes (immer noch mit viel Winkler-Bauchnabelschau) kann man bei »Die Welt« lesen: »Tausend gottlose Wunderräusche«

Ergiebiger und informativer sind da folgende im Netz zu findende Texte über Kubin und »Die Andere Seite« (kleine Auswahl der lesenswertenden Beiträge aus der Masse der Googlefunde):

  • Eine knappe Beschreibung aber ausführliche Lektüreempfehlungen hat man bei »Sandammeer« zusammengestellt.
  • Eine (fast schon zu ausführliche) Inhaltsbeschreibung liefert »Wie man mit Buchstaben einen Alptraum malt« von Florian Kuhrt. Besonders schön formuliert ist sein Resümee:
    Kubin haut uns in dieser monströsen Parabel Existenzphilosophie, Solipsismustheorien, Erkenntnisfragen und moralische Bärenfallen um die Ohren; selbst als die Menschen sich in reinste Trieb- und Bedürfnisanstalten verwandeln, sämtliche Sitten, Gedanken und Vernunft verfault sind, bleibt eines gewiß: die Leidenschaften des Menschen relativieren Begriffe wie Gut und Böse. Und auch wenn man jeden hermeneutischen Ansatz außer Acht läßt, bleibt eine großartige phantastische Erzählung.
  • Tolle Beispiele für Kubins Zeichenwucht findet sich auf den Seiten des Kubinkabinetts, hier als Ankostbeispiel zur Reihe »Die Sieben Todsünden«.
  • Hier zur Seite von Dedalusbooks, bei denen die englischsprachige Ausgabe »The Other Side« erschienen ist. Der Link für zur Leseprobe der Übersetzung von Mike Mitchell.
  • Das englischsprachige Blog »David X – Extraodinari Books« eine begeisterte Besprechung dieser englischen Ausgabe und zeigt einige Zeichnungen von Kubin. Sein Fazit lautet:
    This book is a definite must read. It should be required reading in the hope that the warning signs of violent psychosis shown by an entire society may someday be heeded preventing future bloodbaths and perhaps accomplishing homosapiens next great evolutionary step into a truly self aware being, no longer controlled by ancient demons and evil forces.
    {Molos Schnellübersetzung:} Dieses Buch muss man lesen. Man sollte es in der Hoffnung lesen, dass die warnenden Vorzeichen gewaltsamer Psychosen einer Gesellschaft eines Tags als beachtenswerter Rat dienen können, um zukünftige Blutbäder zu vermeiden und somit möglicherweise Homo Sapiens dabei unterstützen, den nächsten großen evolutionären Schritt zu tun hin zu einem wahrlich selbstbewußten Lebewesen das nicht länger den Dämonen und bösen Mächten der Vergangenheit unterworfen ist.
  • In »Welcome To My Nightmare« bietet 1800blogger eine hymnische Besprechug der oben erwähnten »Neue Galerie«-Ausstellung nebst deren Katalog, inklusive weiterer Bildbeispiele zu Kubins Kunst.

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Alfred Kubin: »Die Andere Seite« Ein phantastischer Roman. Mit 51 Zeichnungen und einem Plan des Autors. (Erstausgabe 1909); Nachwort von Josef Winkler; Gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen; 309 Seiten; Bibliothek Suhrkamp 2009; ISBN: 978-518-22444-1.

Flucht- und Fliehmomente, oder: Wieder Mal Fantasy und die Medien

(Eintrag No. 549; Alltag, Woanders, Literatur, Phantastik) — Erstmal einige Links zum Blog von Thomas Plischke (ja, dem Mann, dessen »Die Zwerge von Amboss« mich so (wenn auch nicht ganz vergnügungslos) ›verstört‹ hat). Seit einiger Zeit führt Plischke die quixot’sche Lanze der (ab und zu arg spöttisch-flappsigen) Erwiderung gegen Flachdenk-Artikel der großen Medien & des Feuilleton in Sachen Fantasy und Phantastik.

Ich bin (als mehr oder minder unfreiwiller Phantastik-Elitarist) zwar mit Plischkes Polemiken gegen dumme phantastik- und fantasyskeptische-Artikel nicht immer ganz glücklich, da Plischke darin Autor(innen) wie Stephenie Meyer verteidigt (die hat eh (zu)viel Erfolg, liefert aber Bücher von – für mich – äußerst zweifelhafter Qualität). Dennoch hier eine kleine Übersicht der Dummschwätzartikel und der Erwiderungen von Thomas:

  • »Susanne Weinhart, die Fantasy und wir« (16. März ‘09): Der dümmste Spruch aus dem Weinhart-Artikels in der »Süddeutschen Zeitung« lautet:
    Die Gegenaufklärung hält sich: Fantasy-Literatur und Computerspiele erfreuen sich ungebrochener Beliebtheit.
  • »Es geht schon wieder los« (26. März ‘09): Erwiderung auf einen Artikel von Armgard Seegers im »Hamburger Abendblatt«.
  • »Titus Arnu, die Fantasy und wir (diesmal mit einer Extraportion Vampir)« (3. April ‘09): In diesem Kontra zu einem abermaligen Text der »Süddeutschen Zeitung« steigert sich Plischke am Ende in eine ›Apologie‹ und Lobpreisung der Fantasy rein, die ich für als Fürsprache für dieses Genre für unzuträglich erachte. Was also machen mit dem Eskapismusvorwurf, der so oft gegen die Fantasy und Phantastik erhoben wird? Plischke bietet da folgendes:
    Der Eskapismusvorwurf an die Fantasy ist schlichtweg unfair, denn etwas umformuliert lautet er ungefähr: Warum lasst ihr euch durch das Bunte, das Exotische – und ja, auch durch das Rückwärtsgewandte und Vereinfachende – so leicht verführen?
    Meine Antwort sähe unter Umständen so aus: Weil gute Fantasy ein Versprechen abgibt, das sie erfüllt.
    Sie verspricht den Tumult eines Basars statt der Ordnung einer Aldi-Filiale.
    Das Spaßbad mit zwölf verschiedenen Rutschen statt des einfachen Freischwimmerbeckens.
    Den Vollrausch anstelle eines Angeschickertseins.
    Die Achterbahn mit vier Loopings, nicht das Kettenkarussell.
    Gut möglich, dass man kotzen muss, falls man es übertreibt – und manche Menschen haben einen empfindlicheren Magen als andere oder leiden unter diversen Unverträglichkeiten –, aber das ist ein Risiko, das jeder mit sich selbst auszumachen hat. Mit dem Bluttrinken ist das übrigens ähnlich…

    Für mich wird hier ›das Vergnügen‹ oder ›die Leselust‹ welche Phantastik- und Fantasyliteraturen zu bereiten vermögen zu knallig-einseitig auf ›Spaß, Gute Laune, Halligalli‹ verkürzt. Es ist ja mitnichten so, dass Fantasy und Phantastik nur von Anhängern einer ›unreflektierten‹ Spaßfraktion mit Genuß goutiert werden kann.

  • »Der Spiegel und die Fantasy« (4. Mai ‘09): Hier bietet Thomas einen zurückhaltender tönenden und solide durchdachten Leserbrief zu einem Artikel von Urs Jenny (dessen Text über den Fantasy-Boom zwar auch durch einige der üblichen Recherche- und Denkschwächen gezeichnet ist – z.B. dass der Amerikaner Ire C. S. Lewis wieder Mal zum Engländer mutierte –, der aber schon mal um einige Tacken besser ist, als die oben verlinkten Artikel von Weinhart, Seegers und Arnu.

Der Höhepunkt aber, der sich in dieser ganzen Angelegenheit in Thomas Plischkes Blog ereignet, findet sich in dem Linksammlungs-Eintrag »Es regt sich Widerstand«. Vor allem beim Wortwechsel zwischen dem von mir geschätzten Literatursachverständigen Ralf Reiter (vom »Inklusorium«-Blog) und dem Journalisten Thomas Klingenmaier (Autor des »Hauptfilm, Trailer, Extras«-Blogs für die »Stuttgarter Zeitung« und als tkl auch kommentierender Molochronik-Leser) wird sehr klug und erhellend das ganze seltsame Phänomen besprochen, warum es die Phantastik und ihre Genre (vor allem eben die Fantasy) immer noch so schwer haben in der Medien- und im Feuilltonlandschaft. Vor allem die analytische Zusammenschau von Klingenmaier ist es wert, zur Kenntnis genommen zu werden, wenn er diese sechs Punkte zusammenfasst: (1) die Konkurrenz der Themen; (2) die Konkurrenz der Autoren; (3) die Zugewinnrechnung; (4) die Themen-Redundanz; (5) das Schreckbild vom unreifen Leser; (6) die Wertungsungewissheit.

Zum anderen möchte ich darauf verweisen, dass es nun in der Bücherrundschau bei »Perlentaucher« auch eine Kategorie für Fantasy- und Science Fiction gibt. Ich habe vor einiger Zeit eine Leser-eMail an die Perlentaucherredaktion geschrieben, ob sie sich prinzipiell vorstellen könnten, neben ihrer Krimikolumne »Mord und Ratschlag« auch eine Phantastik-Kolumne anzubieten. Die Antwort lautete, dass man durchaus gerne machen würde, aber leider nicht genug Kapazitäten dafür hat. Naja. Vielleicht ändert sich das ja mal.

Zum Abschluss zitiere ich (wieder Mal) aus Umberto Ecos »Der Name der Rose«, wo gezeigt wird, dass Eskapismus und nerdiges Geektum keineswegs allein eine Sache von jugendlichen (oder nicht erwachsen gewordenen) Fantasy-Fans ist. — Bei einer der nächtlichen Exkursionen in der geheimnisvollen Bibliothek meint William von Baskerville zu seinem Schüler Adson (S. 399):

»{…} es waren finstere Zeiten, in denen sich die Grammatiker mit abstrusen Fragen vergnügten, um eine schlechte Welt zu vergessen. Einmal, so heißt es, diskutierten die beiden Gelehrten Gabundus und Terentius vierzehn Tage und vierzehn Nächte lang über den Vokativ von ego. Am Ende griffen sie zu den Waffen …«

Lese-Empfehlungen: Blogs über Comics

(Eintrag No. 537; Woanders, Literatur, Kunst, Comics) — Letztens frug Bloggerkollege Volker nach guten Comic-Blogs. Hier meine Tips zu deutschen Blogs, mit je drei extra von mir herausgepickten Kostprobelinks.

Aufg das Comic-Blog der F.A.Z. von Andreas Platthaus habe ich hier bereits hingewiesen.

Stefan Pannor, in einigen Foren mir als ›L. N. Nuhr‹ bekannt. Ist ein Edelblogger insofern, als dass er als Journalist, Übersetzer & Lektor seine Brötchen verdient. Steffan schrieb bereits … • … über den Leo Malet-Krimisammelband »Paris des Verbrechens« mit dem Detektiv Nestor Burma (kein Comic, aber Burma-Krimis wurden durch Jaques Tardi überwältigend vergraphiknovelisiert, z.B. »120 Rue de la Gare«); • … über »Insel Bourbon 1730« von Lewis Trondheim (Zeichnungen) & Appollo (Szenario); • … über die deutsche Ausgabe von »The Invisibles« (Sammelband 1 von 5) von Grant Morrison (Text) und diversen Zeichnern.

›Irgendeine Userin‹ aus Hessen gestaltet das Blog »Ja! Es sind Comics!« (ehemals: »Mein Leben mit Comics und graphischen Novellen«), und dort gab es bereits erhellende Einträge … • … über »Wanted« von Mark Millar (Text) & J. G. Jones (Künstler); • … über den Vortrag »Geschichtserzählungen in Comics – Möglichkeiten und Grenzen eines Mediums« von Andreas Platthaus; • … über »Lost Girls« von Alan Moore (Text) & Melinda Gebbie (Zeichnungen).

Vor kurzem habe ich Phil & Lamonts Comic-Kolumne entdeckt, und dort befinden sich feine Einträge z.B. … • über »Der Turm« aus der Reihe »Die Geheimnisvollen Städte« von Francois Schuiten (Zeichnungen) & Benoit Peeters (Szenario); • … über »Jonas Valentine« von Frank (und Bom); • …über den ersten Sammelband von »Sandman Mystery Theatre: The Trantula« von Matt Wagner (Text) & Guy Davis (Zeichnung). — Schade nur, dass seit Oktober 2007 keine neuen Beiträge eingepflegt wurden. Was ist los? Ist Euch doch nix passiert, oder? Macht weiter, bitte!

Der Comic-Neurotiker ist schon über 30 und hat nichts als Comics im Kopf. Ein Vorwurf für manche, aber nicht für mich. Empfehlen kann ich folgende Einträge … • … über die Reihe »Donjon« von Lewis Trondhein (& Co.); • … über »Une semaine de bonté« von Max Ernst (Hinweis für China Miéville-Freunde: die Surrealismuskunst von Max Ernst wurde von Miéville einige Male als Inspirationsquell für seine Bas-Lag-Romane genannt); • … über Mike Mignolas Comicversion der klassischen Schwert & Magie-Fantasyabenteuer Fritz Leibers: »Fafhrd und der Graue Mausling«.

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