Eintrag No. 741 — Beginne ich mit der Wanderung durch das zweite von sieben Billys (einem 80-er), dem ersten der westlichen Zimmerwand. Anmerk: Die Führung durch meine Bibliothek geht nicht geordnet von links nach rechts von statten, sondern ich erlaube mir, mal Regele der östlichen —(überwiegend Bildbände und Comics beherbergende)— und der westlichen Zimmerhälfte —(Schwerpunkt Prosa)— abzuwechseln, eben der Abwechslung halber.
Ganz oben druff stehen über vier Billy-Regal hinweg lauter (größtenteils englischsprachige) Taschenbücher. Die werden in einem eigenen Beitrag vorgeführt, dann aber auch die ganze Schlange auf ein mal.
Die 8 Regalbretter des ersten Billys beherbergen schöne Literatur und ein wenig Philosophie.
Ursprünglich beginnt links eine über drei Regalbretter lange alphabetische Ordnung gebundener größerer Bücher, doch im Lauf der Jahre ist die Ordnung verwässert worden. Aber die Wildheit der Mischung zu Beginn beruht immer noch auf dem Alphabet.
Los gehts mit Don Alphonsos »Liquide« (und es ist eine Schande, dass dieser Roman über den Internet-Boom der Jahrtausendwende immer noch nicht als Taschenbuch weitere Verbreitung gefunden hat), Michael Endes »Die Undendliche Geschichte« & »Momo« und Amerys »Die Wallfahrer«.
— Gracians »Das Kritikon« ist eines meiner Lieblingsbücher aller Zeiten.
— Castors »Der Blutvogt«, ein wirklich wuchtiger und lohnender historischer Berlin-Roman (von einem Perry Rhodan-Autor!), leider auch vergessen worden.
— Meine Bücher von Michael Chabon sind im ganzen Zimmer verteilt. Hier mein Erstling von ihm: »Die unglaublichen Abenteuer von Kavalier & Clay«.
— Als Schmuck steht hier »Hannibal« von Gisbert Haefs. In zweiter Reihe dahinter befinden sich die beiden ›Alexander‹-Romane und »Pilatus Tochter«.
— Meine schöne Erstausgaben-Nachdruck-Ausgabe von Kubins »Die andere Seite«.
— Lodemanns »Siegfried und Krimhild«; würde ich gerne noch mal lesen.
— Ein kleines aber sehr originelles und anregendes Buch ist Giorgios Manganellis »Irrläufe«. Hier gibt es hundert Romane in Pillenform, also ganz kurze Kurzgeschichten. Gutes Buch, um den Kopf durchzuputzen.
— Es folgt die ›Schwarze Serie‹ von Leo Malet (»Das Leben ist zum kotzen«, »Die Sonne scheint nicht für uns« & »Angst im Bauch«). Habe ich Anfang der Neunziger als noch nicht ganz Zwanzigjähriger gelesen. Malet habe ich über Tardis Nestor Burma-Comics entdeckt. Neben Orwell, Krausser, Burroughs und anderen hat Malet mich gelehrt, wie (unterhaltsame) Literatur und wache, kritische Weltbeobachtung gut zusammengehen können.
— Das gilt auch, obwohl ich sie erst als Mitzwanziger entdeckt habe, für E. Annie Proulx, von der nun drei Bücher folgen.
— Die erste Reihe wird nun abgeschlossen von allen Taschenbuchausgaben, die es bisher von Fernando Pessoas Sachen gibt. Ich gebe zu, einiges, sogar vieles von seinen Werken ist eher so lala, aber irgendwas an seiner Schreibe hat es mir angetan.
— Ach ja, das dicke Trumm »Hunger’s Bride« von Paul Anderson das oben auf liegt, habe ich mal aus dem Ramsch gefischt und bisher nur an- und quergelesen.
In zweiter Reihe stehen, wie auch anderswo, gelesene oder angelesene Sachen. Sowohl Esterhazy als auch Franzen könnte ich eigentlich mal wegschenken, denn so bewahrenswert sind deren dicken Dinger für mich nicht.
— »Sofies Welt« von Garder ist auch für mich ein netter Klassiker, auch wenn ich Angst habe, das Buch mal wieder in die Hand zu nehmen. Ich könnte es mittlerweile wohl zu flach finden.
— Es folgt die Anthologie »Mesopotamia« von Christian Kracht, und dann, wie schon gesagt, einiges von Meister Haefs.
— »Die Reise ans Ende der Nacht« von Celine hat mir sehr gut gefallen, auch wenn ich im Lauf der Jahre merke, dass hier etwa meine ›ist mir zu düster‹-Grenze verläuft. Der Nadolny ist von Andrea, und ich muss das gute Stück über den »Gott der Frechheit« fertiglesen.
— Pelewin … kann eigentlich weg.
— Ich oute mich als jemand, der die ersten beiden Robert Schneider-Bücher ganz großartig findet. Die triefen zwar vor Kitsch, vor allem die hier stehende »Die Luftgängerin«, aber es ist schade, was aus diesem begabten Autor geworden ist.
— Von Andreas Onkel geerbt und bei mir zu Gast : »Ich, Claudius« von von Ranke Graves.
— »Oscar Wilde im Wilden Westen« von Walter Satterthwaith, dessen Romane ich alle mag und wieder eine traurige Schande, dass dieser Autor seit Jahren nicht mehr auf Deutsch verlegt wird.
— »Luna Park« von Ellis habe noch nicht gelesen. Littells »Die Wohlgesinnten« habe ich ehr ausgiebig quergelesen. Habe derzeit für sowas keine Kondition.
— Durchaus mit Vergnügen habe ich (wie die beiden Vorgänger) den dritten von Dan Browns Reissern über Robert ›Symbololologe‹ Langdon gelesen. Anspruchsvoll und eine packende Studie über die dunklen Seiten von Kreativität, Autorenfreundschaft und Konkurrenz bot mir Dan Simmons »Drood«.
Oben auf liegen noch die Werke von Marlow in der Schlüter’schen Übersetzung, Heinses Phantastik-Klassiker »Ardinghello« und de Nervals »Aurelia« mit Kubin-Illustrationen.
Eintrag No. 740 — Kinners, wie die Zeit vergeht! Wisst Ihr noch, wann ich das letzte Mal von meinen Entscheidungen bei ›Wer ist dir lieber?‹ berichtet habe? — Nein? — Vor über drei Monaten! — Also nicht lange gefackelt. Entscheidungen müssen her!!!
Jack Nichsolson oder Heath Ledger (als Joker): Wenn es nur darum ginge, wer der bessere Joker war, würde ich ›weder / noch‹ sagen, wenn es darum geht, wessen Schauspielerleistung ich höher schätze, dann Nicholson. — Yul Brunner oder Telly Savalas: Meine Stimme geht an den König von Siam! — Physik oder Chemie: Finde beides zu interessant und wertvoll, um mich entscheiden zu wollen, also wieder ›weder / noch‹. — Tim Taylor oder Al Borland: Ähh, das ist wohl TV-Kultur. Habe keine Ahnung. Kenne beide nicht. — Beckmann oder Kerner: Diesmal kenne ich immerhin die Namen dieser TV-Fuzzis. Weiß aber sonst zu wenig, um die unterscheiden zu können. Also wiederum, ›kenne beide nicht‹. — Inge Meysel oder Marie-Luise Marjan: Und nochmal ›kenne beide nicht‹. — Lena oder Nicole: Schlimme als das grausige »Ein bischen Friede« ist selbst lena nicht. Trotzdem unterm Strich für mich ein ›weder / noch‹-Fall. — Spiegelei oder Rührei: Klarer Fall. Ich bin ein Rührei-Typ. — Jim Knopf oder Lukas der Lokomotivführer: Ich mag Lukas ein kleines bischen mehr. — Darth Vader oder Yoda: Seit »The Attack of the Clones« ist für mich der Kampf-Flummi nicht mehr zu toppen. — David Beckham oder Victoria Beckham: Bin nicht kompetent genug, hier eine Entscheidung zu treffen, also ›weder / noch‹. — Prince William oder Kate Middleton: Ebenso.Wertner Enke oder Uschi Glas: Ich boller einfach mal so rum und wähle den Enke. — Cats oder Das Phantom der Oper: Hmmm, schwer. Als Teen mochte ich beide. Aber die Texte von Cats sind (siehe T. S. Eliot) doch 'nen winzigen Tick gehaltvoller. — Humphrey Bogart oder Ingrid Bermann: So sehr ich die Bergman mag, den Bogart finde ich einfach noch besser. — Max oder Moritz: Ist das nicht völlig Wurscht? Ich werf ne Münze … halt nein, ich finde, Max sieht nicht so nervig aus.Adam oder Eva: Meine Sympathien liegen bei Frauen, die mir was zu Essen bringen. — Liz Taylor oder Richard Burton: Wieder ein ›weder / noch‹-Fall. — Frühling oder Herbst: Mein liebste Jahreszeit ist eh der Herbst. — Harry oder Sally: Als Rollenvorbild für mich bevorzuge ich Harry. — Cornflakes oder Müsli: In Phasen die sich über mehrere Jahre erstrecken, mag ich mal das eine, mal das andere lieber. Derzeit bin ich ein Müsli-Typ.
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Wunderbare Neuigkeiten! Matt Ruff präsentiert auf seiner Website nun erste offizielle Infos über seinen (auf Englisch) im Frühjahr 2012 erscheinenden fünften Roman »The Mirage«. Hier eine schnelle Übersetzung von mir vom Waschzettel des Buches:
9. November 9, 2001: Fundamentalistische Christen haben vier große Düsenmaschinen entführt. Zwei davon steuerten sie in die Tigris & Euphrat-Welthandels-Türme in Baghdad, und das dritte in das Arabische Verteidigungsministerium in Riad. Die Passagiere des vierten Flugzeuges, dessen Bestimmung Mekka gewesen sein soll, bringen ihre Maschine in der Wüste zum Abstürzen.
Die Vereinigen Arabischen Staaten rufen einen Krieg gegen den Terror aus. Eine Koalition arabischer und persischer Truppen landet an der Ostküste Amerikas und errichtet in Washington D.C. eine Grüne Zone …
Heute, einige Jahre später, ebbt der Krieg in Amerika langsam ab. Mustafa al Baghdadi, ein Agent der arabischen Heimatsicherheitsbehörde, verhört im Irak einen festgenommenen Selbstmordbomber. Der Gefangene behauptet, dass die Welt in der sie leben ein Trugbild ist — in der wirklichen Welt ist Amerika eine Supermacht und die arabischen Staaten nur eine Ansammlung ›rückwärtsgewandter Drittwelt-Nationen‹. Eine Ausgabe der New York Times vom 12. September 2001, die bei der Durchsuchung der Wohnung des Attentäters gefunden wird, scheint seine Aussage zu bestätigen.
Es bleibt nicht bei diesem einen Zwischenfall. Andere festgenommene Terroristen erzählen die gleiche Geschichte, und man findet weitere ›Artefakte‹. Der Präsident verlangt Antworten, doch Mustafa und sein Team entdecken bald, dass weitere Interessensgruppen ihre Finger im Spiel haben. Der Verbrecherboss Saddam Hussein führt eigene Ermittlungen durch, und der Chef des Nachrichtendienstes des Senates, ein Kriegsheld namens Osama bin Ladin, macht vor nichts Halt um die Wahrheit über das Trugbild zu verbergen.
Georg Dietz, ›Der Kritiker‹ unter den SpOn-Bloggern, klärt uns auf betreffs Sieben Wahrheiten über die Hochkultur. Durch die Brille der Genre-Theorie gesehen ist für mich schon lange klar, das ›Hochkultur‹ eben auch nur eine Nische für ein spezielles Fandom ist.
(Deutschrachige) Phantastik-Links
Für das Blog der ›Bibliotheka Phantastika‹ hat moyashi am Beispiel des »Games of Thrones«-Kalenders 2012 von Joe Picacio wunderbar zusammengemeckert, was an typischer Epic-Fantasy-Grafik nicht stimmt: Blind oder nicht blind, das ist hier udie Frage.
»20th Century Boys« hat letztes Wochenende den Eisner-Award gewonnen, schöne Gelegenheit für den ›Tagesspiegel‹Inga Steinmetz dieses beeindruckende Groß-Manga empfehlen zu lassen: Mörderische Freundschaft.
Noch was aus dem ›Tagesspiegel‹: Diesmal hat sich Steffen Richter der ersten sechs Titel der ›Neue Welt‹-Reihe des Verlages Matthes & Seitz angenommen: Luftschlösser und Quantenburgen. Diese Science Fiction-Reihe wurde von der Szene (mich eingeschlossen) selbst bisher kaum wahrgenmoen, mit Ausnahme von Thor Kunkels lesenswerten Roman »Schaumschwester«.
Viel Stoff für die Ohren bieten die Tonmitschnitte der Seminare Science Fiction and Politics von Courtney Brown. Bereits verkostet habe ich die Einführungsfolge, sowie die Beiträge zu Neal Stephensons »Snow Crash«. Ganz besonders freut mich, dass auch das Werk der Science Fiction-Musikerin Janelle Monáe berücksicht wird.
Zuckerl: Popkultur & Kunst
Seit ich als Hauptschüler Bachs Orgelmusik in der Einspielung von Helmut Walcha kennenlernte, und kurz darauf die Böhmsche Einspielung der Brandenburgischen, bin ich dem Jay Es Be verfallen. Letztes und dieses Jahr hatte ich wieder eine von diesen monatelangen Phasen, in denen ich auf dem Weg zur und von der Arbeit praktisch nur Bach hörte (Savall und Göbel-Einspielungen). — David Ramirer ist einer meiner Freunde, die so eine arge Bach-Begeisterung verstehen. Ihn hat’s, wie’s scheint, in letzter Zeit auch wieder vermehrt zum Thomas Cantor hingezogen, denn in seinem Blog tummeln sich wieder vermehrt elektromusikalische- und bildnerische Interprationen Bach’scher Werke: hier erstmal zum Hören für die freunde gehobener contrapunktik das »Ricercar a 6« (aus »Musikalisches Opfer«), und anschließend dann zwei visuelle Analysen / Umsetzungen dieses Stücks: ein wenig musikanalyse am mittwochabend und ein semi-chromatischer tanz.
Dank an Andrea für diesen Linktipp: Kent Rogowski macht Collagen aus verschiedenen Puzzels und nennt diese knallbunten Farbgranaten dann Love=Love.
Das Architektur-Blog ›The Web Urbanist‹ bietet einen umwerfenden Rundgang durch menschengemachte Himmelgewölbe: 15 Stunning Modern Ceiling Designs.
Zum Abschluss ein Filmchen bei ›Neatorama‹, das ich putzig-gruslig finde (aber vorsicht: manche von Euch finden folgendes sicherlich grausig-eklig!): Leckerer (toter!) Tintenfisch fängt wegen des Natriums in der Soja-Soße an zu zucken: Tanzender Tintenfisch
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Eintrag No. 739 — Kommen wir nun zum untersten und letzten Regalbrett des nord-östlichen 80-cm-Billys. Hier gehts okkult und durcheinander zu. Kein Wunder, denn dieses Regal ist etwas schwer zugänglich und da sammelt sich nun mal schnell, was ich nur selten rausziehe.
Es beginnt links mit ein wenig Erotica: der kleine Jan Saudek von Taschen; ein kleiner Katalog des Frankfurter Kunstvereins aus dem Jahre 1998 mit Zeichnungen des wahnsinnigen Javier Gil und der Taschenbildband »Digital Desires« von Natacha Merritt.
— Darauf liegen die Tarot-Karten, mit denen ich ab und zu rummwurschtl: eines von Milo Manara, das klassische Rider Waite-Deck und die unglaublich coolen ›World of Darkness‹-Karten aus der Welt des Rollenspiels »Mage – The Ascension«.
— Daneben dann einige alte Bücher von Andrea, die ich gerne in Verwahrung genommen habe: über Hexen, Haiti & Voodo, wobei »Der Tanz des Himmels mit der Erde« von Maya Deren sicherlich der beste Titel ist. Auch der weiter rechts stehende (ebenfalls Andrea gehörende) Band »The Magic Island« von William Seabrook ist ein lesenswerter Klassiker über die magische Seite von Haiti
— Nun meine paar alten Magie-Bücher, die im Lauf der Zeit nicht aussortiert wurden: toll zum Blättern der fette »Alchemie & Mystik«-Ziegel von Taschen; dann die Werke von Austin Osman Spare; und das wundervolle Buch zum Giger-Tarot und das Nachschlagewerk von Akron & Banzhaf zum Crowley-Tarot (ein Klassiker der Wohngemeinschafts-Esoterik).
— Bereichernde Schau auf die Geschichte der modernen Esoterik bieten die beiden Bücher von Colin Wilson »Das Okkulte« und »Mysteries«, auch wenn ich den Ausführungen über die geistigen X-Kräfte nicht mit dem Herz folgen mag.
— Schnitt und wir befinden uns in einer kleinen Abteilung mit Büchern über ferne Weltgegenden und historische Reiseaufzeichnungen des Unionsverlages und des Erdmann Verlages.
— Auch wenns nicht komplett ist, mag ich die etwas zerfledderte Diogenes-Ausgabe von Jules Vernes »Die großen Seefahrer & Entdecker«; daneben steht der »Südöstliche Bildersaal« des unvergleichlichen Fürst Pückler (mein erster Kandidat für eine deutsche ›Liga der außergewöhnlichen Gentlemen‹).
— Ganz rechts, eigentlich völlig Fehl am Platze, steht das dicke Ding mit den vergnüglichen Aufzeichnungen von Karl Ignaz Hennetmair »Ein Jahr mit Thomas Bernhard«.
Oben auf liegen noch zwei Sachbücher: einmal das etwas trockene aber ausgiebige Recherchefrüchte bergende »Magie & Magier im Mittelalter« von Christa Tuczay und der etwas planlose aber ebenfalls stoffreiche Titel »Der Teufel« von Alfonso di Nola.
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Damit ist die Wanderung durch das erste Regal abgeschlossen. Stehen noch sieben vor uns.
Die Anziehungskraft beherrscht alle Körper.
Newton.
Drum prüfe wer sich ewig bindet!
Schiller.
An Scheidung ist fortan nicht mehr zu denken.
Nr. 1754896 der Gesetzsammlung.
Hier erfährt man die wirklichen Ursachen der Eklipse, welche zwei tausend Jahre vor der Erschaffung einer anderen Welt stattfand.
»Sie scheinen ein erkleckliches Erstaunen zu verspüren über Alles, was Sie hier gewahrten, wertester Herr!«, sagte das Gliedermännchen zu Schwadronarius, als er ihn wieder auf dem Markte traf, »und ich wette, Sie haben Lust mir viele Fragen vorzulegen.«
»Gnädiger Herr! Ich kann es nicht leugnen«, entgegnete Schwadronarius, »wenn Sie mir nur wenigstens sagen möchten, wo ich mich eigentlich befinde?«
»Ich werde Ihnen gar Nichts sagen: Sie sind neugierig, desto besser, meine größte Freude wäre, wenn Sie vor Neugier außer sich gerieten. Sie sehen das bizarreste aller Gliedermännchen vor sich. Ich will, dass Sie vor Neugier bersten; wie Sie bis jetzt gesehen haben, ist noch gar Nichts im Vergleich zu dem, was ich Ihnen noch zeigen werde. — Übrigens fragen Sie nie, wenn Sie etwas erfahren wollen, und antworten Sie nur, wenn ich Ihnen eine Frage vorlege. Kommen Sie!«
Schwadronarius sah wohl ein, dass dieser Gott stärker sei als er und dass es demzufolge das Gescheiteste sei, sich dem Willen desselben zu unterwerfen. Er folgte also dem Gliedermännchen, das unterwegs lauter Purzelbäume schlug.
Nachdem sie eine weite Ebene mit Bäumen von Pappe und Blumen von Papier und Läppchen durchschritten, erstiegen sie einen Hügel, der eine weite Fernsicht gewährte. Tiefe Stille herrschte überall, kein Lüftchen regte sich, kein Vogel belebte diese Einsamkeit durch seinen Gesang; die Landschaft war erhellt, aber man sah keinen Strahl, der dies Phänomen erklärte; das Blau des Himmels hatte ganz den Anschein eines himmelblauen Creppschleiers, der über diesem sonderbaren Lande ausgespannt war.
Schwadronarius konnte sich des Ausrufs nicht enthalten: »Wo zum Kuckuck! ist den die Sonne; warum wehen die Winde nicht, und warum höre ich die Vögel nicht singen?«
»Schon wieder Fragen, Musjeh!«, {Musjeh = Verhöhnung der franz. Anrede ›Monsier‹} sagte das Gliedermännchen strafend. »Lass er das nicht noch einmal geschehen! Ich bin ein guter Kerl, aber ich werde böse, wenn man mir nicht gehorcht.«
Zu gleicher Zeit schlug er mit dem Absatz den Erdboden und es kam ein Dreifuß heraus, auf dem ein Kästchen stand, das wie eine Laterna magica aussah.
»Jüngling! Leg’ Dein Auge an das Glas und sag’ mir dann, was Du siehst.«
»Gnädiger Herr, ich sehe einen glänzenden Palast von Wolken umgeben und in diesem Palaste ein Gemach, in diesem Gemach ein Bett, in diesem Bett einen Mann, der eben sein Licht ausgelöscht hat und vor dessen Fenster seltsame Gardienen hängen.«
»Weiter!«
»Eine Treppe höher ist noch ein Gemach, in diesem Gemache ein Bett, in diesem Bett eine junge verschlafene Dame, die eben aufsteht — das Weitere zu melden, verbietet mir der Anstand.«
»Dummes Zeug. Als ob es unanständig wäre, Strümpfe anzuzuiehen, wenn man ausgehen will.«
»Ein Mann, der einen mit Strahlen besetzten Hut auf hat, richtet seine Schritte nach dem Palaste; er trägt einen Hirtenstab in der Hand und einige Schaafe folgen ihm.«
»Junger Fremdling! Alles das setzt Euch in Erstaunenm, nicht wahr?«
Schwadronarius verbeugte sich, ohne etwas zu erwiedern.
»Sehr wohl; ich schätze Ihre Discretion, sie verdient eine Belohnung. Sie fragten mich eben«, fuhr das Gliedermännchen fort, »wo zum Kuckuck der Sonnengott sei? Er ist in seinem Bette, Sie haben ihn eben gesehen. — Vor einer Stunde begab er sich hinter einem Vorhange von Bäumen zur Ruhe, um die Poeten nicht Lügen zu strafen. Die Dame, welche eine Treppe höher Toilette macht {im Sinne von ›Sich-Zurecht-Machen‹ = Körperreinigung , Körperpflege und Ankleiden }, ist Frau Luna; der Mann aber, der seine Schritte nach dem Palaste richtet und einen Hut mit Strahlen besetzt trägt, der Morgenstern oder der Stern der Hirten; er hat sich aufgemacht um den etwas faulen Sonnengott zu wecken, der mitunter die Zeit verschläft, zumal, wenn er von seinen Liebschaften träumt. Sie wissen, dass die Ehe des Herrn Helios und der Frau Selene Luna nicht eben zu den glücklichsten gezählt werden kann Der Präsident des himmlischen Oberconsistoriums hat selbst auf Scheidung von Tisch und Bett erkannt und sein Urteil war ein durchaus gerechtes, was beide Teile gestehen mussten. Wenn sich auch Madame auf ihr Abenteuer mit Actaeon berief, um ihre Treue zu beweisen, so war doch die berühmte Geschichte mit Endymion zu bekannt, als dass die Leute an ihre Tugend glauben mögen. Herr Helios dagegen gibt sich gar nicht die Mühe seine täglichen Besuche bei Frau Thetis geheim zu halten, die kleinen Liebschaften mit den Nymphen, Dryaden, Hamadryaden und anderen leichtfertigen himmlischen Dämchen gar nicht einmal zu erwähnen. Beider Untreue wurde daher mit schlagenden Gründen bewiesen und die Scheidung zur Notwendigkeit. Die beiden Ehegatten haben also eine gesetzliche Abneigung gegen einander, aber um sie für das schlechte Beispiel zu strafen, welches sie gegeben, verordnete das himmlische Oberconsistorium, dass Herr Helios und Frau Luna zu gewissen Zeiten zusammenkommen und sich vor ihrem ganzen Hofstaate feierlich umarmen sollten. Auf Erden nennt man diese Zusammenkunft……«
»Sie sind nicht ohne Kenntnisse, mein Bester; das freut mich. So wissen Sie denn, dass gerade heute eine Eklipse Statt findet; legen Sie ihr Auge an das Glas links und blicklen Sie nach unten; Sie werden eine Menge von Teleskopen gewahren, welche von Amtswegen beobachten, was studierte Leute wie Sie eine Himmelserscheinung nennen und was eigentlich nur eine Handlung zu Gunsten der öffentlichen Moral ist. — Heute ist großer Festtag im Himmel und wenn Sie nicht zu kurzsichtig sind, so müssen Sie die sämmtlichen Mitglieder des Tierkreises erblicken, welche eine Sarabande tanzen. Jetzt ist die Reihe an sie gekommen, sich über Herrn Helios lustig zu machen.«
»Ich kenne eine kleine Kometin (Sie müssen nämlich wissen, was man auf Erden noch nicht weiß, dass es Kometen und Kometinnen gibt), mit der Herr Helios sich sehr schon tut und die es sehr verdrießen würde, wenn sie den Vorgang erführe. Sie wäre im Stande sich aus dem siebten Himmel auf die Erde zu stürzten; diese Kometinnen sind eifersüchtig wie Näherinnen. Glücklicher Weise erzählt es ihr Niemand und sie macht ihre sentimentale Promenade am Himmel, ohne die gezwungene Untreue ihres Geliebten zu ahnen. — Der kritische Moment muss gekommen sein. — Sagen Sie mir, wie benimmt sich das Ehepaar?«
»Herr Kammerherr! seine beiderseitigte gefasste Haltung in diesem Augenblick machte ihn Ehre; aber warum betrachten Sie es nicht selbst?«
»Ach, fragen Sie mich nicht; sagen Sie mir vielmehr, sehen Sie Nichts am Horizonte erscheinen?«
»Jetzt, da Helios und Luna verschwunden sind, sehe ich eine strahlende Schönheit auf den Wolken einherwallen. Obgleich Diamanten in ihrem Haare blitzen, ist doch ihr Gang schüchtern und ihr Blick sanft; sollte es Venus sein, das Gestirn der Liebe?«
»Oh Grausamer! Indem Sie sie nennen, durchbohren Sie mir das Herz!«, rief das Gliedermännchen und sank ohnmächtig zu Boden.
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Eintrag No. 737 — Es ist jetzt offiziell und kann auf der Website des Golkonda-Verlages bestöbert werden: der Kurzgeschichten-Band »Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes« von Ted Chiang. Fünf prämierte Kurzgeschichten von einem der aufregendsten Talente der Science Fiction des neuen Jahrtausends.
Die Geschichten von Ted Chiang sind eine der besten Visitenkarten für Science Fiction und Phantastik, denn er liefert ein gutes Beispiel nach dem anderen, wie (scheinbar) locker & elegant sich in diesen Genres unterhaltsames Erzählen und philosophische Tiefgründigkeit verbinden lassen. — Und ich Glückspilz darf als Übersetzer solcher Gemmen für einen richtigen Verlag debütieren. Bin immer noch baff. — ›Schuld‹ sind Frank Böhmert und vor allem Hannes Riffel, der erste, weil er mit einem Blogeintrag Leute zum Übersetzen ermunterte; zweiterer, weil er mich für den richtigen hielt, Teds brillante Geschichten zu übertragen.
Als Zuckerl hier nun ein Blick auf eine frühe Arbeitsphase meiner Übersetzung der Titelgeschichte.
Eintrag No. 736 — Ganz schnell nur vermeldet: habe seit Montag ein iPad. Noch etwas G’schiss wegen Einrichtung des mobilen Netzels. Immerhin aber schon einige brauchbare Apps gefunden: erstmal iBooks, das hatte ich aber auch schon auf dem kleinen iPod-Touch; dann eine Packung deutsche Gesezte; das unbeschreiblich geniale Spiel »Osmos«; und zuletzt ArtRage, ein feines Mal- und Zeichenprogramm. Mit dem man sich z.B. doof selbst konterfeien kann:
Eintrag No. 735 — Lektüre: Geht etwas wild und durcheinander zu bei mir derzeit, da ich in einer Phase bin, in der ich verschiedenes durcheinander lese. Auf dem Gebiet der Sachbücher erfreue ich mich zweier Aufsatzsammlungen zum Thema Science Fiction.
1)»Red Planets. Marxism and Science Fiction« (Hrsg. von Mark Bould und China Miéville), in dem sich 13 Texte finden. In der Einleitung leistet Mark Bould eine interessante Schau auf die Veränderung der Kommentierung der globalen Ökonomie durch die SF anhand von Jules Vernes »20.000 Meilen unter dem Meer« und »The Matrix«. — Die erste Abteilung »Things to Come« beschäftigt sich mit den Spuren des utopischen ›noch nicht‹ von Ernst Bloch; — die zweite Abteilung »When Worlds Collide« legt u.a. am Beispiel der Werke von Charles Stross und Ken MacLeod dar, wie SF geschichtliche Zustände kommentiert, in denen sich Gelegenheiten für revolutionäres Hanlen eröffnen; — die dritte Abteilung »Back to the Future« schlägt am Beispiel der Werke u.a. von Philip K. Dick, Ursula K. Le Guin und dem Weimarer Kino alternative Science Fiction-Studien vor, die vom durch Darko Suvin gesetzten Paradigma abweichen. In seinem Nachwort »Cognition as Ideology: A Dialectic of SF Theory« nimmt China Miéville dann Suvins Theorie derart beim Wort, dass deren unterschwellige ideologische Setzungen deutlich zu Tage treten.
2) Eine wahre Fundgrube (mit 554 großformatigen Seiten) ist »The Routledge Companion to Science Fiction« (Hrsg. Mark Bould, Andrew M. Butler, Adam Roberts & Sherryl Vint). In vier Abteilungen werden Aufsätze zu den Bereichen Geschichte (18 Texte), Theorie (14 Texte), Themen und Herausforderungen (12 Texte) und Subgenres (12 Texte) geboten. — Soweit ich die Texte zur Geschichte der SF gelesen habe (die Ausführungen zur Literatur, Film und Comics umfassen), bin ich schwer begeistert über die nüchternen und sachkundigen Darlegungen. — Der Theorie-Teil berücksichtigt neben den zu erwartenden Aufsätzen über Feminismus, Sprache, Postmoderne und postkoloniale Studien auch Texte über marxistische SF-Theorie, Queer-Theory, Virtualität und Posthumanismus. — Die Abteilung Themen und Herausforderungen sind vor allem für akademische Leser von Interesse, denn hier werden Themengebiete behandelt, die sich (wenn) noch eher am Rande der universitären Diskurse abspielen, also Sachgebiete wie z.B. Tierstudien, digitale Spiele, Umweltfragen, Musik und Pseudowissenschaft. — Der Subgenre-Teil widmet sich dann gebräuchlicheren speziellen Feldern und Betrachtungswinkeln wie Arthouse- und Blockbuster-Filmen, Hard-SF und Space Opera, Alternativgeschichten und Slipstream. Besonders freut mich natürlich der Aufsatz über Weird Fiction von China Miéville.
Bereite mich auf’s zehnjährige Jubiläumsrekapitulieren von IX.XI. vor, u.a. indem ich Mathias Bröckers (dessen »Die Drogenlüge« ich empfehlen kann) & Christian C. Walthers »11.9. Zehn Jahre danach« lese. Gutes Buch, das zusammenträgt, welche Teile der offiziellen Geschichtsschreibung (vor allem »9/11 Commission Report«) einer ordentlichen staatsanwaltlich-forensischen Untersuchung nicht genügen, wer also nochmal vorzuladen ist, welche Unterlagen freizugeben sind, welche Umstände von unabhängigen Experten geprüft werden müssten. Es ist ja wahrlich erstaunlich und empörend, was da von Statten ging und geht: wie die offizielle Untersuchung geführt wurde, welche Erkenntisse, Spuren und Zeugen (begründungslos oder mit platten Ausflüchten) unberücksichtigt blieben.
In der ›F.A.Z.‹ (im Netz nun anderswo nachzulesen) erschien am 15. Juli eine Kurzkritik von Raphael Gross, der sich darüber beklagt, dass das Buch in einer ARD-Sendung lobend vorgestellt wurde: Verschwörungstheorie: Was geschah am 11. September 2001? / Die ARD präsentiert ein Panorama der Unsicherheiten. — Eine, wie ich finde, ziemlich ungustiöse Kritik, denn Gross geht gar nicht auf die Sache selber ein, sondern verfrachtet Autoren und Ansinnen einfach mal in die böse Ecke des Krypto-Antisemitismus. — Erfrischend dann aber wieder die Erwiderung von Herrn Walthers im Blog von Herrn Bröckers: Versagende Überwachungsinstanzen.
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Um nicht kirre zu werden vor lauter Sachbuch-Fakten entspanne ich mich mit den »Demon Download«-Büchern von Jack Yeovil (= Kim Newman).
Ich habe diese Quatrologie vor ca. 20 Jahren unkomplett gelesen. Neben den »Warhammer Fantasy«-Romanen von Yeovil gehören die »Demon Download«-Bücher nicht nur zum Besten, was jemals für die legendäre Spieleschmiede ›Games Workshop‹ geschrieben wurde, sondern auch zum Höhepunk dessen, was ich (bisher) an knackiger, exzellent geschriebener Genre-Krachbumm-Phantastik kenne.
Allein die Mischung! Der ›Dark Future‹-Weltenbau ist in einer nahen, ziemlich kaputten Zukunft angesiedelt und erinnert an Stoffe wie »Mad Max« und »Die Klapperschlange«. Wir haben also knappe Rohstoffe, chaotische Zustände in gesetzlosen Zonen der U.S.A., eine korrupte Regierung die nach der Peiffe großer Technologie- und Bio-Ware-Unternehmen tanzt, überall auf der Welt gewalttätige Konflikte zwischen Unabhängigkeits-Kämpfern und Hegemonie-Söldnern, während mediale Blödmaschinen die neusten Promi-Skandale und Sexutainment-Spielchen verbreiten. Western-artig ist der Gesetzeshüter- und Banditen-Konflikt, nur wird weniger geritten als mit Autos, Trucks und Motorrädern herumgefahren. Vom Cyperpunk entleiht man sich transhumanistische Gadgets, Hackerei und Datensurfen. Von Lovecraft und den Seinen übernimmt Yeovil das Konzept der Großen Alten, also finsteren Dämonen, die danach trachten, ihr Unwesen auf der Erde zu treiben. Das alles ist angereichert mit deftigen parodistischen und satirischen Dreingaben, ohne dass die äktionreichen Stories darunter leiden.
In eigener Sache 1: Soweit ich weiß das erste Mal, dass ich als Quelle in einem Wikipedia-Artikel erwähnt werde: Liste von Steampunk-Werken. Es freut mich ganz besonders, dass es meine Rezension von Ian R. MacLeods »Aether« angegeben wird, denn leider ist dieser vorzügliche Roman bei uns etwas untergegangen, so dass die ebenso brillante Weiterspinnung dieses magischen Steampunk-Weltenbaus, »House of Storms«, noch nicht auf Deutsch erschienen ist.
In eigener Sache 2: Es ist mir eine Ehre, dass meine Rezension von Max Brooks »Operation Zombie« von Maik Nümann auserkoren wurde, in seinem hervorragenden Blog ›Dystopische Literatur‹ als Gastbeitrag zu erscheinen.
Zuckerl: Popkultur & Kunst
Habe in den vergangenen Tagen nach neuen Schreibtischhintergrund-Schmuckbildern gestöbnert und folgende Gemmen geerntet: Behold the Power; — Lions, Kenya (Photo von Wai Chun Turnbull bei ›National Geographic‹); — Tree, Arches National Park (Photo von Bill Keaton bei ›National Geographic‹).
Unter dem Titel Nahaufnahmen hat ›Der Freitag‹ ein schönes Portfolio der Reportagen-Illustrationen von Güdel zusammengestellt. Ich bin ein leidenschaftlicher Fürsprecher der Tradition, Zeitungstexte mit genuinen Illustrationen zu versehen.
Zweimal dolle Kunst, die im Blog ›This is colossal!‹ vorgestellt wurde: Zum einen die Verpixelten Tiere von Laura Bifano. Eine wahrhaft schräge Idee, in Gemäldeform Tiere so darzustellen, als ob sie aus Pixelblöcken zusammengesetzt wären.
Eintrag No. 734 — Wir sind immer noch beim ersten, dem nord-östlichen 80-cm Billy-Regal. Unter den Kunst-Bildbänden stehen die kleineren Bücher mit Meisterwerken der Zeichnerei.
Links beginnt es mit einer seltsamen dreibändigen verkleinerten Ausgabe eines eigentlich großen fetten Bildbandes über Leonardo da Vinci. Es folgen die jeweils zweibändigen Werke-Bände zu den Großmeistern Jacques Callot, Honoré Daumier, Grandville und Gustave Doré.
— dem folgt ein Buch mit Zeichnungen von Heinrich Vogeler, und dann kommt ein Quartett älterer kleiner Bildbände von 2001, jeweils im Schuber, die mir besonders wertvoll sind: vom großartigen Erzphantasten Max Ernst sowohl »Une semaine de bonté« als auch »La femme 100 têtes«, ein feiner Werke-Band zu Aubrey Beardsley, sowie ein erstaunlicher Ritt durch das Werk des phantastisch-erotischen Illustrators & Ex Libris-Spezialisten Franz von Bayros.
— Daneben dann die drei großen Werke des Kurt Halbritter. (Stelle erstaunt und erschüttert fest, dass es kaum etwas über oder von Halbritter im Netzel gibt!)
— Nach rechts tröpfelt es dann aus mit einzelnen Bänden verschiedener Art: ein Edward Gorey-Schnäppchen hie; zwei kleine Nikolaus Heidelbach-Büchleins da; natürlich »Die Drei«.
— ein ganz besonders irres und mich früh prägendes experimentelles Cartoon-Werk ist »Der Bus« von Paul Kirchner. Auch F. W. Bernsteins »Sternstunden eines Federhalters« möchte ich erwähnen.
Oben auf liegen drei meiner fünf Sammelbände der guten alten »Die Zeit«-Kreuzworträtsel »Um die Ecke gedacht« (man muss ja für das Alter vorsorgen); mittig dann ein paar Seyfried- und ein Crumb-Comic; rechts dann Van Goghs Briefe und zwei Tomi Ungerer-Büchleins.
Find ich einfach nur (aufgemerkt, folgendes Wort verwende ich sehr selten) ›geil‹, wie Klaus Lindner, Michael Krämer, Wiebke Priehn für die ›Neue Rheinische Zeitung‹ in ihrer Expertise unabhängiger Juristen die hochinteressante Frage stellen, ob die Bertelsmann Stiftung ›gemeinnützig‹ im Sinne von §§ 52 ff. AO ist. Jeder, der auch nur ein bischen mitbekommen hat, was Bertelsmann so treibt, weiß, dass bei der Prüfung dieser Frage nur ein Ergebnis herauskommen kann: Ist sie nicht.
Gratulation Andrea Diener! Zum zehnten Mal glänzt sie uns bereichernd als gewieft-launige und sachkundige Bachmann-Wettbewerbs-Kommentatorin. Hier geht es zum Bachmann-Wettlesen im ›Reisenotizen aus der Realität‹-Blog Tag eins; Tag zwei; und Tag drei. — Ich freue mich für Andrea auch über die das ausführliche Zitiertwerden ihres diesjährigen Klagenfurt-Bloggens beim Perlentaucher.
Wunderbare Gemme im erstaunlichen Archiv von ›UbuWeb‹. Ein Dokumentaionsfilm aus dem Jahre 1983 vom englischen Cinematographen-Künstler Peter Greenaway: Four American Composers, über John Cage, Robert Ashley, Meredith Monk und Philip Glass.
Großartiger Essay bei ›Bibliotheka Phantastika‹: Die Redaktion hat unter dem hinreissenden Stichwort ›Metaflöz‹Acht Argumente für Fantasy & Phantastik zusammengestellt, die flappsig in etwa so gehen:
Beurteile ein Buch nicht nach seinem Umschlag! (Ja schon klar, dass viele Fantasy-Cover einfach nur ›würg‹ sind … das wurmt anspruchsvolle Fantasy-Leser mit Geschmack ganz besonders).
Die großen Fantasy-Erfolge liefern keine gute Orientierung dazu, was Fantasy alles ist (bzw. sein kann). Ein bischen schwächelt dieses Argument finde ich, denn die großen Fantasy-Erfolge der letzten Jahre sind schon ziemlich typische Vertreter ihres Genres. Kommt halt darauf an, wie sehr man sich auf diese ›Ideal-Vertreter‹ kapriziert und von ihnen bei seinen Betrachtungen des Genres (ab)lenken lässt.
Mythen, Romantik und überhaupt die ehrenvolle Ahnen-Traditionslinie des Genres!
Zitier ich den anfänglichen Kernsatz ganz, denn dieses Argument ist m.E. kommt etwas schwach und verglückt rüber:
Fantasy erlaubt, Probleme der realen Welt durchzuspielen, ohne exakt an die Nachzeichnung realer Umstände gebunden zu sein oder irgendjemandem aus ebendieser realen Welt mit Schuldzuweisungen etc. auf die Füße zu treten – sei es, dass es um allgemeingültige Schwierigkeiten geht, die in Mittelerde ebenso auftreten wie in Mitteleuropa, sei es, dass bestimmte Dinge im weitesten Sinne symbolisch zu verstehen sind
Die Sache mit dem ›tritt niemanden auf die Füsse‹ wäre für mich eher eine Schwäche, statt eine Stärke.
Fantasy ist eine ›Was wäre wenn?‹-Experimentierwiese. Hmmm, … ist das nicht jegliche Art von Fiktion?
(Gute) Fantasy bietet den Reiz des ganz anderen, des Unbekannten.
Zur Abwechslung eine geschwollene Umschreibung des Arguments, soweit ich es im Guten zu verstehen glaube: Fantasy gemahnt an die mythische Geworfenheit des Einzelnen in einer für diesen nur zum kleinsten Teil durchschaubaren Welt, die sich einem letztendlichen Verstehen sowie der vollkommenen Kontrolle entzieht. Gerade deshalb also bitte erst fühlen, denken und ethisch-moralische Folgen abwägen, dann drauf los handeln.
Der kalifornische Künstler James Jean ist ein unfassbar guter Zeichner, noch dazu einer, der sich gerne mit schrägerer Phantastik spielt. Bei uns dürfte er vielleicht den ein oder anderen bekannt sein als Coverzeichener für die Comic-Reihe »Fables« (hier z.B. für die Nummer 52 im Blog von James). Der eigentliche, mich umhauende Wahnsinn geht aber in seinen Moleskin- & Skizzenbuch-Arbeiten ab. Hier ein paar Beispiele:
Letzte Woche erst entdeckt, diesen Klassiker der modernen Portrait-Photographie von Phill Toledano: die Gamers. — (Diese Aufnahme eines Daddlers, der kurz davor ist einen unerwarteten ›Epic Win‹ einzustreichen, wurde in einem TED-Vortrag von Jane McGonigal gezeigt, in dem es um weltverbesserung durch Anzapfen des Gamer-Potentials ging.)
Zum Abschluss ein Trailer, den ich zuerst bei Stefan vom ›PhantaNews‹-Blog gesehen habe. Internationaler Zweieinhalbminuten-Trailer zum kommenden »Tim & Struppi«-Film. Ich bin so nervös. Hoffentlich versauen Spielberg und Jackson es nicht. Der Trailer lässt Hoffnung zu.
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Eintrag No. 732 — Angesichts des gestrigen Jubiläums des 100. Geburtstages von Mervyn Peake hier eine Portrait-Zeichnung von mir (nach einem Selbstportrait aus dem Jahre 1933) des Malers, Illustrators, Dichters, Dramatikers und Autoren der wunderbaren »Gormenghast«-Romane.
Es gibt (mindestens) zwei Gründe, warum die zwischen den Jahren 1946 und 1959 erstmals auf Englisch erschienenen ersten drei »Titus«-Romane von Mervyn Peake als bemerkenswerte und außergewöhnliche Klassiker gelten. Erstens: Der Maler, Illustrator, Dichter und Unsinns-Lyriker Peake hat ein einzigartiges Literatur-Kunstwerk geschaffen, das seine Leser herausfordert und verführt, so wie es die gewohnten Grenzen verwischt, die zumeist zwischen anteilnehmendem und spottendem Humor, zwischen unheimlicher Verrätselung und sinnlicher Verzauberung der Welt angenommen werden.
Mit den ersten beiden Romanen, Der Junge Titus und Im Schloss, versetzt uns Peake in sein großes, komplexes und launenhaftes Prosa-Gemälde der umfangreichen und undurchschaubaren Gemäuer von Gormenghast und seiner sich ausnahmslos mehr oder minder durch Grillen und Ticks auszeichnenden Bewohner. Die Eigenwilligkeit und Exzentrik von Peakes Schöpfung, seiner Sprache und seiner episodisch-vertrackten Erzählweise sind sicherlich Hindernisse für Leser, die eine klare, von A nach B erzählte Geschichte erwarten. Verführerisch und bereichernd für jeden, der genug Geduld und Feinsinn aufbringt, ist aber die bildmächtige Wucht und die Zärtlichkeit dieses Weltenbaus, in dem vereinzelte Sehnsuchtsfunken und mächtige Leidenschaftsflammen der Aufsässigkeit und Rebellion gegen ritualisierte Traditionsfesseln aufbegehren.
Der dritte Band, Der Letzte Lord Groan, und vierte (im Nachlass gefundene und von Peakes Witwe Meave Gilmore komplettierte), Titus Erwacht, begleiten den Titelhelden auf seiner Odyssee durch die Gefilde jenseits von Gormenghast. So wie die ersten beiden Bücher auf groteske und amüsante Weise eine alte, im Sterben befindliche, monarchische Welt heraufbeschwören, spiegeln die beiden Folgeromane die moderne Welt Mitte des letztens Jahrhunderts wider. Titus irrt ziellos wie ein Spielball umher, wird einerseits gescheucht, verführt und erretet von Frauen, Revoluzzern, Soldaten, Entdeckern, Wissenschaftlern und Verbrechern sowie angetrieben von seiner Sehnsucht danach, seinen Platz in der Welt zu finden.
So sehr man sich über die durchgesehene und schön gesetzte Neuausgabe freuen darf, bleibt die Umschlaggestaltung ein Grund, sich ratlos am Kopf zu kratzen. Die knalligen rot-, grün-, violett- und orangefarbigen Schutzumschläge verfehlen nicht nur die Stimmung der Bücher, sie erschweren die Lesbarkeit der Titel-Schriftzüge. Ornamentales Geschnörkel erinnert unangenehm an ›Arschgeweih‹-Ästhetik und die nicht zum Inhalt passenden Motive wurden von einer Person zusammengestellt, die offenbar nur flüchtig in den Romanen geblättert hat. — Schade auch, dass die Gelegenheit nicht genutzt wurde, deutschen Lesern endlich die zu den Titus-Geschichten zählende Novelle »Boy in Darkness «zugänglich zu machen.
Als Fazit sei die zweite Betrachtungsweise erwähnt, welche die Einzigartigkeit und große Errungenschaft zutage treten lässt, die Mervyn Peakes Romane darstellen: Die »Titus«-Bücher sind glänzende und einflussreiche Meisterwerke einer ›anderen‹ Fantasy-Tradition, deren Güte und Wert sich vor allem im Kontrast zu den Klassikern des Genres zeigt, die bis heute das Bild der Fantasy prägen.