molochronik
Mittwoch, 16. Dezember 2009

Endlich! Neue Links

Eintrag No. 600 — Keine lange Schwätzerei. Folgt den 45 neuen Links in der rechten Kolumne weiter unten, gekennzeichnet mit der blauen Raute des Vertrauens:

Und niegelnagelneu: eigene Abteilung für Links zu Comics- und Graphik Novel-Seiten.

Viel Vergnügen.

Samstag, 12. Dezember 2009

Jeff Vandermeer: »Finch«, oder: Kriminal-, Rebellen- & Spionage-Wirren in einer von Pilzwesen unterjochten Metropole

Eintrag No. 599 Jeff Vandermeer hat es wieder getan! Wie schon bei seinen früheren, in der ›Secondary Creation‹-Welt der Stadt Amber angesiedelten, Büchern »Die Stadt der Heiligen & Verrückten« (engl. 2002 / dt. 2004) und »Shriek: Ein Nachwort« (2006) staune ich über »Finch«, bin durch die Lektüre verstört, hocherfreut und baff zugleich, und stelle respekterfüllt fest, dass sowohl mein Hirn wie mein Herz immer noch am trippen sind. Worum geht es? Hier meine Übersetzung der entsprechenden Passagen aus dem Presse-PDF zum Roman:

Was ist Amber? Es war einmal, an den Ufern des Moth-Flusses, dass eine mächtige Stadt wie keine andere innerhalb oder außerhalb der Geschichte entstand. Gegründet auf dem Blut der ursprünglichen Bewohner, der verstohlenen und nichtmenschlichen Grauhüte, und auf Jahrhunderte durch die Nachwehen dieses Kampfes geformt, war Amber lange ein Zentrum des Handels und der Künste — und der Herrschaft. Nun jedoch, hundert Jahre nach den Ereignissen die in den früheren Büchern geschildert wurden, bricht Amber zusammen unter der Herrschaft der Grauhüte, die sich erhoben und die Stadt unter ihre Kontrolle gebracht und das Kriegsrecht ausgerufen haben. Mit süchtig machenden Pilzdrogen, Internierungslagern und willkürlichem Terror kontrollieren sie Amber während sie an zwei Türmen arbeiten die das Schicksal der Stadt für immer verändern könnten. Die Überbleibsel der Rebellenstreitkräfte sind demoralisiert und verstreut. Partials, menschliche Verräter die durch die Grauhüte verändert wurden, patrouillieren die Straßen und drangsalieren ihre Bewohner.

Welchen Bezug hat »Finch« zu den anderen beiden Amber-Romanen? Obwohl jeder Amber-Roman für sich selbst steht, bilden die drei Bücher zusammen den »Amber-Zyklus«, eine enorme 1700-Seiten lange Erzählung. Viele Figuren und Themen kommen in allen drei Büchern vor, und »Finch« liefert Antworten auf Fragen zu den Grauhüten und die Natur der Stadt selbst betreffend, die zum ersten Mal in »Die Stadt der Heiligen & Verrückten« gestellt wurden.

Wie ist Jeff Vandermeer auf die Idee zu Amber gekommen? »Eines Nachts erwachte ich von einem lebhaften Traum und da war die Stadt in meinem Kopf. Sofort eilte ich zum Computer und schrieb die ersten Seiten der ersten in Amber angesiedelten Geschichte. Seltsamerweise benötigten diese ersten zwei-, dreihundert Worte kaum eine Überarbeitung. Von da an entwickelte sich bald die gesamte phantastische Stadt in meiner Vorstellung. Ich schrieb Erzählungen in diesem Setting, die schließlich zu Teilen von ›Die Stadt der Heiligen & Verrückten‹ wurden, und um 1998 herum hatte ich die groben Konturen des Amber-Zyklus ersonnen. Es dauerte zehn Jahre um die drei Romane zu beenden. Es war mir nie klar, dass ein Augenblick der Inspiration dazu führen könnte einen Vollzeitschriftsteller aus mir zu machen, oder dass er so bestimmend für mein Leben werden würde. Zudem haben mich die Reaktionen von Kritikern, Lesern und Fans Demut gelehrt.«

Betörendes Titelbild: John Coulthart hat ein mich begeisterndes Cover geschaffen. Der Umriss der Pistole macht klar, dass hier mal ›Secodary World‹-Phantastik geboten wird, die näher zu unserer Gegenwart angesiedelt ist als üblicherweise gewohnt. Die goldene Kreuzung aus Koralle, Seestern und Pilz ist ein technisches Gerät der Grauhüte. Im Griff der Pistole sieht man teilweise eine handschriftliche Chronik, ein Hinweis, dass Geheimnisse der Vergangenheit eine Rolle spielen. Im Lauf der Knarre erhebt sich ein Büschel prächtiger Türme, die jedoch überragt werden von einem großen Pilzturm der Grauhüte. Ein Detektiv im Anzug mit Kravatte und Hut (yeah!) kommt aus Schatten auf uns zu (wer meinen Klamottenstil kennt {siehe Kopfschmuck oben} kann sich denken, wie sehr mich das bereits anturnt). Wie es sich für ›Fungal Noir‹ gehört, ist das Cover farblich überwiegend von hübschen Schimmelpilzstrukturen überzogen.

Cooler Aufbau: Die Gegenwarts-Handlung erstreckt sich über eine Woche. Und die 42 Kapitel sind entsprechend auf Montag bis Sonntag verteilt. Montag bis Samstag werden eingeleitet von einem Verhör, dass sich im späteren Lauf der Handlung ereignet. Superspannend, da nicht vorweggenommen wird, wer da den armen Finch in die Mangel nimmt, und weshalb genau. Die auktoriale Erzähler›kamera‹ ist nüchtern immer nah bei Ermittler Finch, hie und da unterbrochen von dessen kursiv gesetzten Gedanken. Gewürzt wird das durch einige ›Handouts‹, sprich, Zeichnungen, Ausschnitten von gefundenen Notizen, Büchern und durch Ermittlungs-Protokolle.

Kecker Genre-Bastard: Krimi, weil es um die Aufklärung eines Doppelmordes an einem Menschen und einem Grauhut geht. Die Opfer werden in einer Wohnung gefunden, scheinen aber seltsamerweise durch einem Sturz aus größerer Höhe gestorben zu sein. Vom toten Grauhut liegt zudem nur der Oberkörper herum. — Spionage- & Polit-Thriller, weil Detektiv Finch bei seinem Versuch die Morde aufzuklären in einen vielstrangigen Konflikte-Knäuel verschiedener Interessensgruppen hineingezogen wird. — Fantasy bzw. Science Fiction, denn es wird Dank der nichtmenschlichen Art der Grauhüte und ihrer Kultur brilliant mit dem Thema Magie/höhere Technik gespielt, entsprechende Gadgets und Monster geboten. — Magischer Realismus und Weird Fiction da die Grenzen zwischen Wahrheit und Schein, Alltag und Transzendentem im Romanverlauf immer mehr verschwimmen und durch steigenden kosmischen Horror die einzelnen klar zu benennenden Phantastik-Genregrenzen solange miteinander kurzgeschlossen werden bis die Funken Sporen blühen. — Kriegs- und Überlebensgeschichte weil die Gegenwartshandlung in einer von Konflikten, Okkupation und Zerstörung gezeichneten Stadt(ruine) spielt, die normale Zivilisation zusammengebrochen ist und man von Tag zu Tag ums Miteinander- und Überleben ringt.

Weitere glänzende Erzählkunst-Facette: Ähnlich wie bei China Miévilles Romanen bin ich beeindruckt, wie Meister Vandermeer Stil und Atmosphäre seiner Bücher sehr gekonnt dem jeweiligen Inhalt anpasst. — »Die Stadt der Heiligen & Verrücken« bot als labyrinthischer Collage-Roman das Vergnügen, dass man sich in einem absichtlich vor barocker Unübersichtlichkeit strotztenden Rummelplatz der Ideen und Perspektiv- und Tonwechsel verliehren konnte. — »Shriek: Ein Nachwort« lud ein, sich auf einen durch die Erzähler Janice und Duncan Shriek geprägten autobiographischen Dialog einzulassen, war entsprechend persönlicher und individueller, näher an diesen Figuren dran. — »Finch« ist nun von der Gradlinigkeit eines ›typischen‹ Krimis geprägt und weiß mit seinem überwiegend knappen, herben Satzbau für sich einzunehmen, aus der die halluzinogeneren wilden Phantastik-Kunststücke um so effektiver hervorwuchern. Wie ein englischer Rezentent richtig bemerkte, gönnt sich »Finch« von allen dreien Amber-Büchern am wenigsten Humor, was aber passt und kein Verlust ist.

Krasser & zugleich berührender Schluß: {VORSICHT!!! Möglicherweise milde SPOILER} Das Ende von »Finch« erinnert mich (im Guten und Besten) wiederum an China Miéville und den Schluß von dessen zweitem ›Bas-Lag‹-Roman »The Scar«, teilweise auch an die Apokalyptik von Alfred Kubins »Die Andere Seite«. — Die Kriminalhandlung wird aufgelöst. Der größere Konflikt zwischen den Grauhüten, den Menschen und noch anderen Fraktionen allerdings nicht (wirklich). Wie es sich für einen ordentlich Phantastik-Roman gehört, kommt es zwar zu einer vorläufigen Überwindung der akutesten Widrigkeiten, aber der größere Handlungsrahmen um das Schicksal der Stadt Ambra mündet dennoch in einer atemberaubenden Entwicklung, durch die ein großes Fenster zu überwältigend vielen Möglichkeiten geöffnet wird. Kurz: richtig große ›Sense of Wonder‹-Portion.

Fazit: Jeff Vandermeer hat wieder mal gezeigt, das ›Fantasy‹ und ›Phantastik‹ als Genres keineswegs reaktionär oder altbacken oder simpel zu sein haben und lediglich dazu taugen Tagtraumvorlagen für kleine Fluchten vom langweiligen und nervigen Alltagstrott zu ermöglichen. Es besteht für mich kein Zweifel, dass er zu jener kleinen Schaar gegenwärtiger Autoren gehört, bei denen man der Phantastik beim Wachsen zuschauen kann. — Ich hoffe natürlich, dass auch diesmal wieder das Team von Klett-Cotta diese Gemme auf Deutsch verlegen wird.

LINK-SERVICE: Es ist mir ein Rätsel, wie Vandermeer so viel gebacken bekommt, wie er in seinem Blog und anderswo verbreitet. Gut für mich neugierigen Leser, der ich ich gerne einen Blick hinter die Kulissen des Schreibens werfe. In zwei Blog-Einträgen zeigt Jeff uns, wie der Roman »Finch« entstanden ist. Hier: »Finch: What a Novel and Novelist Look Like…« (wieder Mal ernüchternd, dass Autoren die großartige Bücher schreiben, nicht unbedingt eine lesbare, schöne Handschrift haben müssen); und hier: »Finch from Inception to Interior Layout«, mit Einblicken über Probeleser- & Lektoren-Anmerkungen.

Zum zweiten Mal hat Vandermeer einer seiner Lieblingsband dazu verführen können, einen ›Soundtrack‹ zu seinem Roman einzuspielen. Bei »Shriek« war es die Gruppe The Church (nicht soooo mein Ding), und nun für »Finch« hat Murder By Death einen mir sehr gefallenden Score geschaffen. Hier geht es zu einem Interview, das Jeff mit der Band für das Amazon-Blog ›Omnivoracious‹ geführt hat: »Murder by Death on Books, Touring, and The Soundtrack for Finch«

Und schließlich noch die ersten 52 Seiten von »Finch«.

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Jeff Vandermeer: »Finch«; 42 Kapitel in 7 Abschnitten auf 339 Seiten; Underland Press 2009; ISBN: 978-0-9802260-1-0
Dienstag, 8. Dezember 2009

VideoCast-Tip: »Der Typ mit der Brille«!

Eintrag No. 598 Und wieder mal habe ich dem Team von »Schöner Denken« für einen Hinweis zu einer dollen Website zu danken. Als das erstaunlich hirnlose Bumm-Schepper-Epos »Transformers 2: Rise of the Fallen« lief, hat »Schöner Denken« unter anderem auf das englische ›video cast‹-Portal von »That Guy With The Glasses« verlinkt. Und was ich da sah & hörte, haute mich glatt um.

Der Kopf der kreativen Truppe, Doug Walker, gibt in seiner Rolle als ›Nostaglie-Kritiker‹ eine atemberaubend hektisch-manische Zusammenfassung des Films, inklusive trefflicher Kritik der absolut schwächsten Stellen dieser Blechlawine. — Hier mein Versuch einer Text-Übersetzung:

Ist das beschissen! Okey, nicht beschissen. Das war der erste Film. Dieser jetzt ist … äh, äh, äh … angemessen zufriedenstellend. So gehts los: —»Überall auf der Welt gibt es Decepticons und wir müssen sie finden.« —»Hmm, dieses Kran-Dings sieht seltsam aus.« {Verwandlungsgeräusch / Erschrecken} —»Transformer!« {Decepticon auf Zerstörungs-Trip} Das ist okey, denn ein Truck ist da und der macht {Verwandlungsgeräusch} und es ist Optimus Prime!!! GOtt Gütiger!! Es ist so toll Optimus Prime wieder zu sehen!! Und nicht nur das! Es gibt auch noch ne Menge neue Transformer! Zum Beispiel Sideswipe! … der nur zwei Zeilen Text hat. Und Arcee! … die nur eine Zeile hat. Und Jolt! … der, glaub ich, gar nicht spricht. Das ist ziemlich schwach.

Aber die Zwillinge sind da und die sind wahnsinnig komisch. {Zwilling 1} »Weiß’du wie da aygh bla brabbel labu la pi bäh!« {Zwilling 1} »Keine Ahnung wooh hi bibi lub du pläh.« Ha! Ha! Ha! Ha! … Ich habe keine Ahnung, was die schwätzen.

Der Junge aus dem ersten Teil geht dann aufs College. Und seine Freundin sagt: »Sag, dass Du mich liebst.« {Er} »Nein, sag Du, dass Du mich liebst.« {Sie} »Nein, sag Du, dass Du mich liebst.« {Er} »Nein, sag Du, dass Du mich liebst.« {Sie} »Machen wir einen Kompromiss und sagen wir, dass wir beide Arschlöcher sind.« {Er} »Cool.«

Und der Junge trifft auf einen Kerl, der meint, dass es die Transformers wirklich gibt. … Und ich denk mir: Moment mal. Wie können die glauben, dass es keine Transformer gibt. Was ist mit dem Kampf vom Anfang des Filmes? Aber das geht in Ordnung, denn alle Spuren und Beweise wurden getilgt. … Jupp. Die Kämpfe aus dem ersten Film auch. Dieser große epische Kampf in der Stadt, den tausende Leute gesehen haben. Alles unter den Teppich gekehrt. … Ganz schön schwach.

Doch die Decepticons erwecken Megatron wieder zum Leben {Erschrecken}. Und es stellt sich heraus, dass er von dem bösen Fallen kontrolliert wird, der hinter einer geheimen Sprache im Hirn des Jungen her ist. Der Junge also {spielt total verrückt}. Also wollen die bösen Depecticons das was in seinem Kopf ist und sie schicken diese wirklich hübsche Decepticon um den Kopf des Jungen zu knacken. Aber die ist nicht wirklich ein Decpeticon, eher ein College-Mädel. Eine Decepto-Schlampe! Und Optimus Prime kommt um den Tag zu retten und kämpft mit Megatron! {Klopperei in Zeitluppe} Kaboom! Kaboom! Kaboon! Und plötzlich killt Megatron Optimus Prime! Wa-Wa-Wa-Was!!! Richtig! Megatron killt Optimus Prime! {Stirbt} — »Neeeeeein!!! Optimus!!!« Und ich denk mir nur: »Er ist nicht tot. Er ist nicht tot. Nein nein nein. Er ist nicht tot.« {Weint tragisch} »Priiii-wäh-wäh-wäh-iiime!!!« Doch dann erinnere ich mich was er vor langer Zeit gesagt hat. Ich zitierte: {Clip aus Transformers Zeichentrick-Film: Optimus Prime} »Ich starb für eure Sünden.« Natürlich tatest Du Prime das, {Wischt Träne weg}, für unser aller Sünden.

Sie ziehen also los und finden diesen anderen Transformer namens Jetfire. Und Jetfire ist verdammt cool!! Er ist ein alter Transformer, und die sind alle grummelige alte Arschlöcher. Und das ist voll super (engl.: ›kicks ass‹). {Einblendung ›Major Assage!‹ = ›Superduper!‹} Und Jetfire geht so ab: »Wir müssen die Fallen aufhalten … äh, diese Pyramide zu aktivieren … um so die Sonne zu zerstören … um dadurch einen Haufen andere Transformers zu schaffen … um dadurch die Weltherrschaft an sich zu reissen.« Oder so ein ähnlicher Schwachsinn. Wen kümmerts!!! Zeugs geht in die Luft!! Bumm! Bumm! Bumm! Kaboom! Kaboom! Kaboom!{Explosionen. Geballer}

Die Fallen schalten sich auf alle Bildschirme der Welt und verlangen: »Liefert uns den Jungen aus, sonst machen wir Hundefutter aus Euch und ›wir kriegen Euch das nächste Mal‹-Gadget‹!« Und die Menschen auf der ganzen Welt reagieren so: »Heiliger Bimbam!!! Es gibt echt Außerirdische!!« Und die Regierung reagiert so: »Geht in Ordnung. Wir vertuschen das.« —»Hm, okey.«

Sie kommen also zu den Pyramiden, wo diese Maschine ist, die Optimus Prime wieder zum Leben erwecken kann. Und dann taucht dieser Super-Große-Rambazamba-Tron auf!!! Der ist so riesig wie fünf Transformer zusammen!!! {Sprachloses Begeisterungs-Fuchteln} Das ist soooo cool!!! Was wird dieses Ding nun tun!!! … Und er ist nur für vielleicht zwei Minuten im Bild. … Schwach.

Schnitt zu Leuten und deren Geballer in der Wüste. Und Geballer in der Wüste. Und dann: Geballer in der Wüste. Doch dann stirbt der Junge! {Abgewürgter Ausbruch tragischer Trauer} Mach ich jetzt einfach nicht. Doch der Junge kommt dann in den Roboterhimmel!! Ich mache wirklich keine Scherze! Roboterhimmel! Wo all die anderen Primes sind und dem Jungen das Leben wieder geben. … Schwach.

Der Junge ist also wieder lebendig und versucht die Maschine zu benutzten um Optimus zurück zu bringen während sie in der Wüste herumballern. Der Junge benutzt die Maschine, bringt Prime zurück und er ist gerettet!!! {Siegespose mit Händels ›Halleluija‹} {Clip aus Transformers Zeichentrick-Film: Optimus Prime} »Ich starb für eure Sünden.« — »Sicher hast du das« {Solaten-Gruß}

Doch dann kommen die Fallen und sie machen sich an der Maschine zu schaffen und wollen damit die Sonne wegblasen und alle machen weiter mit … alle zusammen {im Chor}: »Geballer in der Wüste.« Aber Jetfire sagt: »Nimm meine Teile Optimus. Ich bin alt und nervig.« Und Optimus Prime sagt: »Okey.« {Großes Verwandlungsgeräusch} Und Prime wird zu Super-Motherfucker-Prime!! Und er tritt in Ärsche. {Einblendung ›MORE Major Assage!‹} Und er tritt gegen The Fallen und Megatron an … und der Kampf ist nach etwa einer Minute vorbei. Ist wie {Geste: Batsch. Bumm.} vorbei. … Schwach.

Der Höhepunkt ist ein bischen wie ein Schwanz-Reizen und -Hängenlassen. Doch ansonsten war der Film großartig! Daumen rauf!! Füng Sterne!! Bester und größter angemessen zufriedenstellender Film aller Zeiten!!! Und gemocht habe ich ihn auch. Ich bin der Nostaglie-Kritiker. Ich erinnere mich, damit ihr es nicht müßt.

Meine Top-3 weiterer Filmbesprechungen des ›Nostalgie-Kritikers‹, die ich glühend weiterempfehlen kann:

Der Nostalgie-Kritiker ist nur eine von Doug Walkers Kunstfiguren. Sehenswert finde ich auch noch seine ›Bum Reviews‹ (= ›Penner-Rezis‹) mit der Figur des obdachlosen Chester A. Bum, der oft ins Kinos geht, weil es dort so schön warm und dunkel ist. Egal was Chester bespricht, er beginnt immer mit den Worten: »Oh mein Gott!!! Das war der großartigste Film den ich in meinem Leben gesehen habe!!!« und endet mit dem Herumschütteln seines Sammelbechers: »N’Groschen! Haste n’Groschen! Komm schon, helft einem armen Kerl!!«

Und dann gibt es noch Dougs ›Fünf Sekunden Filme‹. Irrwitzige Zusammendampfungen, die gleichzeitig Homage und Verarschung sind. Unbedingt gönnen sollte man sich folgende:

Damit nicht genug, denn neben Doug treiben noch andere Video-Rezensenten ihr Unwesen auf dem Portal.

Am besten finde ich diedie hinreissende Lindsay Ellis, die einst einen Wettbewerb gewonnen hat, und so zum ›Nostalgia Chick‹ wurde, um (mit Zöpfchen und Fliege) an der femininen Front Dienst zu tun, wenn es darum geht, die Niederungen der Film-Unkunst der letzten beiden Dekaden in Schutt und Asche zu sezieren und zu rezensieren. Hier meine Top-3 ihrer Besprechungen:

Viel Spaß beim Glotzen und Stöbern und noch mehr Glotzen.

Dienstag, 1. Dezember 2009

Blogparade: Moleskin (& andere Kladden)

Eintrag No. 597»Schöner Denken« ruft zur Blogparade zum Thema Moleskin!

Angefangen habe ich mit ganz normalen A4-Heften und billigen Chinaimport-Kladden, alle kariert. In Wien war ich einige Jahre den gebundenen Blanko-Büchern der ›Vienna Factory‹ treu. Gabs nur in einem Schreibwahrenladen bei mir um die Ecke in der Sechshauserstraße. Die Firma ist inzwischen pleite, nachdem was ich so höre.

Erst in Frankfurt, vor etwa 10 Jahren, wurde ich zu einem Moleskin-Mann (mit Ausnahme einer dicken, gebundenen A4-Leuchtturm-Kladde, blanko, für großere Skribbels).

Blick auf mein Kladdenarchivregal. Sind nicht sooooo viele Moleskins zu sehen. Die meisten fliegen in meiner Bude in verschiedenen Taschen und einem anderen Regal herum, wo ich Excerptien-Moleskins in A5 aufhebe.

Überhaupt: heutzutage bin ich ein ziemlicher Schlendrian, was meine Tage- und Skribbelbuchführung angeht. Okey: das hochformatige A5-Moleskin wird recht ordentlich hauptsächlich für meine Portraitzeichnungen und das ein oder andere Improscape genutzt. Aber meine Notiz-Moleskins sind ein einziger Verhau. Früher habe ich ein Tagebuch brav fast täglich mit einem Eintrag versehen. Nun sind die verschiedenen Gedankenstützen für Rezis und längere Artikel wild kreuz und quer in zig angefangenen Moleskins verstreut. Waren Listen und Kapitelübersichten einst ein selteneres Gewürz, dominieren sie nun die Seiten meiner diversen Moleskins. Zuweilen hege ich die Illusion, es gäbe ein System in der Art, wie ich zwischen den diversen Heften wechsele. Aber wenn ich mit kritischem Auge und beim Versuch, bestimmte Notizen zu finden die Molsekins durchforste, stelle ich fest, dass wohl das Diktum des Augenblicks bestimmt, welches Heft ich für unterwegs mitnehme und welche Inhalte darin landen.

Hier meine derzeit ›aktiven‹ Moleskins auf einen Blick.

Was könnt Ihr sehen? (Von links oben nach rechts unten.)

Rechts oben ist ein großes quadratisches Soft-Moleskin, liniert, mit einem »Adele«-Aufkleber der edition moderne. Da führe ich meine Lektüre- sprich: Rezesionsnotizen, wenn ich zuhause bin. — Daneben ein A6-Reportermoleskin, kariert, für unterwegs, z.B. wenn ich in Leipzig oder Frankfurt auf der Buchmesse rumgurke, oder ich Termine bei nem Amt oder bei meinem Arbeitgeber habe. Aufgeblättert ist die Seite bei der Matt Ruff-Lesung 2008 (English Theatre, Frankfurt). — Aufgeschlagen bei meiner Kapitelzusammenfassung von Moorcocks »Byzantinum Endures« ist mein aktuelles gebundenes A5-Moleskin, das ich unterwegs und zuhause nutze. — Rechts oben sind drei bunte A5-Hefte zu sehen. Im blauen (liniert) befinden sich z.B. Personenübersichten zu meinen Pynchon-Lektüren. Im roten (blanko) verschiedene Übersetzungsbrocken für Molochronik-Einträge. Im beschen (liniert) wollte ich eigentlich meine PS3-Erlebnisse festhalten, aber derweil wuchert hier eine ausführliche »Snow Crash«-Zusammenfassung. — Links unten aufgeschlagen mein blanko A5-Querformat-Moleskin mit dem Improscape »Ich glaube, ich sehe da einen Weg« (und einem durchschimmernden alten Borges). — Zuletzt mein unentbehrliches Tageskalender-Moleskin (vom letzten Jahr) für die Arbeit.

In der Mitte eine Auswahl meiner Stifte, mit denen ich gerne auf das gute Moleskin-Papier schreibe und zeichne. Allermeistens verwende ich HB- und 2B-Druckbleistifte, Faber-Castell Grip 2001 und Jumbo Grip, rote und grüne Stabilo Point-Stife, Stylo refill MLJ20 und aktuell Stabilo bionic (bin aber nicht zufrieden mit denen).

Sonntag, 29. November 2009

Victoria Schlederer: »Des Teufels Maskerade«, oder: Freilich bereiten gefühlsduseslige Vampire, Zauberwesen und Revoluzzer nur Scherereien

Eintrag No. 596 — Heyne/Randomhouse hat einen Wettbewerb veranstaltet, bei dem ein Debüt-Werk zum ›magischen Beststeller‹ gekürt werden sollte. Da wurde in den Genre-Phantastikgefilden geunkt und sich davor geforchten, was für ein Schmarrn letztlich dabei rauskommen würde.

Nicht noch ein Buch mit im Boden steckenden Schwert oder schicksalsumflorten Kuttentypen auf dem Umschlag! Nicht noch ein klischeetriefender Fantasy-Rassenbackförmchen-Schmuh! Ermarmen!!!

Aber nein: Die Juryrichter hatten erfreulicherweise Erbarmen, ein glückliches Händchen und pickten aus den geschätzten drei Millionen eingereichten Manuskripten eines als Sieger heraus, das sich angenehm von den platten Modeströmungen der Genre-Phantastik abhebt.

Am meisten hat mich an »Des Teufels Maskerade« erstaunt, wie dieser Roman sich auf seine Figuren, deren Gefühlslagen und Konversationen konzentriert und Erwartungen zuwiderläuft, man bekäme einen atemlosen und äktschenreichen Abenteuergarn geboten. Halsbrecherische Ereignisse sind rar in diesem Roman, und wo sie sich dennoch ereignen, werden sie erfrischend unkonventionell knapp und fast schon lapidar abgehandelt.

Im Zentrum des Lesevergnügens stehen die Mitglieder einer kleinen Detektei, welche sich auf okkulte Fisimatenten spezialisiert hat, und die ungewöhnlichen Vorkommnisse in die sie im Sommer 1909 zu Prag und Wien verstrickt ist.

Da ist der Chef der Truppe, der etwas verlebte ehemalige Hauptmann, nun ein Automobilnarr, Dejan Sirco; sein pedantischer Kompagnion Lysander Sutcliffe, ein durch magische Eskapaden im Körper eines Otters befindliche ehemalige Geist eines englischen Adeligen des 16. Jahrhunderts; sowie der beflissene Ex-Straßenjunge und jetztige ungestüme Filius der Detektei Mirko Zdar. Zum Quartett wird die Gruppe mit der resoluten und auf Benimm pochenden Bordellbetreiberin Esther, für mich die stärkste Figur des Romans und allein schon die Lektüre wert, so wie Victoria Schlederer vor allem diese Esther, und auch andere Figuren, glänzend in für Piefkes (= nichtalpenländische Deutsche) verständlich aufbereiteten K.&K.-Duktus parlieren läßt, was z.B. so klingt (S. 48):

»{…} Den sollten’S sehen, ganz voll Narben, an Stellen, wo man sich denkt, na, das tut doch weh …«

Leichte Abstriche muss ich machen, da der Handlungsverlauf bisweilen paradoxerweise auf mich zugleich beliebig und forciert wirkte, einige Szenen allzu plötzlich als Fremdkörperepisoden aus dem Gefüge herausragen und öfter als verzeihlich der Zufall oder neue Figuren die Handlung vorantreiben.

Trotzdem: als ›leichte (jedoch nicht ›platte‹) Lektüre‹ für Zwischendurch und Unterwegs für mich ein empfehlenswerter Roman und ein Debüt, dem ich gerne meinen neidvollen Respektes angedeihen lasse. Ich hoffe, Frau Schlederer wird in Zukunft weiteren feinen Garn für das Lektüregewebe historischer Alternativwelt-Phantastik spinnen, das ich durch Autoren/Autorinnen wie Gorden Dahlquist, Ju Honisch, Susanna Clarke, Ian R. MacLeod und Mark Frost zu schätzen gelernt habe.

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Viktoria Schlederer: »Des Teufels Maskerade«; 19 Kapitel mit Anhang, mit 7 Bleistift-Illustrationen und 3 Karten von Iris Daub auf 542 Seiten; Heyne 2009; ISBN: 978-3-453-52655-6.
Dienstag, 17. November 2009

Durchsage des DesOrientierungsbeauftragten

Eintrag No. 595 — Die guten antville-Gastgeber haben in den letzten Wochen wieder fleissig Verbesserungen an der Blogwelt des Ameisendorfes vollbracht.

Nun ist es mir möglich einem Beitrag eine Vielzahl von Stichworten (Neudeutsch: ›tags‹) zuzuordnen, was ich bei den neuen Beiträgen gleich durchziehe, und im Lauf der kommenden Tage/Wochen auch auf die alten Beiträge anzuwenden gedenke. — Die zehn Hauptschubladen werde ich dennoch beibehalten, allein schon des Indexes wegen.

Dietmar Dath: »Sämmtliche Gedichte«, oder: Der Dichter als Psychowaffenlieferant

Eintrag No. 594 — Leider leider leider taugt mir »Sämmtliche Gedichte« immer weniger, je weiter das Leseerlebnis zurückliegt. Trotzdem gefällt mir der Roman insgesam(m)t ganz gut. Und so geht es mir nun schon zum dritten Mal mit einem Roman von Dietmar Dath (nach »Dirac« und »Die Abschaffung der Arten«).

Das Buch beherbergt zweierlei Textsorten:

Zum (GOttseidank) größeren Teil erzählende Prosa über den (fiktiven) deutschen Dichter Adam Sladek, welcher vermittelt von Dath (hier sich selbst als Romanfigur auf den Arm nehmend; ein Kniff, den ich durchaus mag und zuletzt bei Douglas Couplands »JPod« mit großem Vergnügen erlesen durfte) für den krösusreichen Lebenswissenschaftler Colin Kreuzer einen Band Gedichte schreiben soll. Sladek ist dabei selbst ein Versuchstier in einem Ambiente-Experiment und die Gedichte, die er für Kreuzer anfertigt, sind wichtiger Teil eines Bevöllkerungskontrollprojekts (das wiederum von griechisch-antiken Zauberformeln inspiriert ist; kurz: Meme-Paranoia-SF). — In Rückblenden werden die unglücklichen Beziehungen von Sladek zu verschieden arg gestörten Frauen, sowie seine derzeitige Idylle bei/mit der (aus anderen Dath-Romanen bekannten) Malerin Johanna Rauch geschildert. — Beim Prosateil wechseln sich zum Teil betörend-beeindruckende Beschreibungen und (überwiegend) faszinierende, flotte Dialoge (bzw. Monologe) ab. Höhepunkte sind für mich die Schilderung eines dekandenten Clubs (dem ›Fundbüro‹), sowie eine längere Fickerei mit Sladek und Johanna (auch wenn, verdammter Kitsch, diese Sexszene durch mehrmaligen Tiermetapherngebrauch für mich fast versaut wurde).

Die zweite Textsorte sind die Gedichte Sladeks. Alter Schwede, was habe ich mich abgemüht mit dem lyrischen Raune-di-fuchtel der meisten dieser 29 Poeme. In meinen milde gestimmten Augenblicken mutmaßte ich, dass (der echte) Dath sich einen ganz fiesen Scherz erlaubt und gnadenlos bis zum Zahnschmerz bildungshuberischen Empfindlichkeitstralala parodiert hat und sich nun ins Fäustchen lacht, wann immer eine Rezi diese Gedichte lobt. In meinen gleichmütigen Anwandlungen spielte ich mit dem Gedanken, den knartzig-albernen Gedichtekram einfach zu überblättern. Und tatsächlich habe ich mich meistens tapfer-entnervt einfach durch die Zeilen gefräst, so wie man als Kind blödes Gemüse aufisst um den Tischfrieden zu wahren. — Tut mir leid, aber mit solchen Gedichten gewinnt man bei mir keinen Blumentopf. Außer im Falle von »Sexual Rights«, das fand ich okey (wahrscheinlich wegen der feinen Gartemmetapher).

Baff bin ich über den Zwiespalt, den dieser Roman in mein Empfinden hackt. Einerseits bin ich mit dem Plot (also der Art, wie die Geschichte erzählt wird) totaaal unzufrieden. So unzufrieden, dass ich mich frage, ob es Dath nicht besser kann, oder ob er absichtlich diese Art von unspannenden und zugleich undurchschaubaren Makromanagement betreibt (Kunscht muss wehtun und/oder öde sein!). Andererseits bin ich hingerissen vom Mikromanagement der Beobachtungen und der Könnerschaft, mit der Dath das Arno Schmidt’sche Projekt fortzusetzten scheint, allüberall wie selbstverständlichst animistische Sprachbilder herumblühen zu lassen.

Weiterhin werde ich Dath zuvörderst wegen seiner brillianten Essays verehren, wie der Streitschrift »Maschinenwinter«. Seine Romane waren für mich bisher, leider leider leider, ›nur‹ vergnüglichste Enttäuschungen auf höchsten Niveau.

Wer als Orientierung eine positivere Rezi eines Dath-Erstlesers zum Vergleich heranziehen mag, dem empfehle ich das OliBlog.

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Dietmar Dath: »Sämmtliche Gedichte«; 32 Kapitel, 29 Gedichte in fünf Abschnitten, 282 Seiten; Gebunden: Suhrkamp 2009; ISBN: 978-3-518-42110-9.
Samstag, 7. November 2009

Die wilden Welten von Matt Ruff (2): Das Gespräch in Frankfurt am Main, Februar 2008.

Für »Magira 2008« habe ich anders als in den Jahren zuvor und danach keine Sammelrezension geliefert, sondern mich auf das Werk eines einzigen Autors – Matt Ruff – konzentriert.
Für die Molochronik-Leser habe ich diesen langen Beitrag in zwei Teilen aufbereitet. Teil eins enthält meinen persönlich gefärbten Werküberblick zu den wilden Welten von Matt Ruff.
Wie immer habe ich den Herausgebern Michael Scheuch und Hermann Ritter, den Korrekturlesern und Layoutern von »Magira« für ihre Unterstützung zu danken. Besonderen Dank schulde zudem ich dem Hanser-Verlag für seine Aufgeschlossenheit, sich auf einen Amateur-Journalisten wie mich einzulassen, und natürlich danke ich Matt Ruff selbst für seine Großzügigkeit und seine Hilfe bei der Nachbearbeitung des Interviews.

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Eintrag No. 593MOLO: Willkommen in Europa. Bist Du gerne unterwegs auf Reisen?

MATT RUFF: Jeder Reiseanlass kommt mir sehr gelegen. Bisher bin ich in Paris gewesen, auch wenn keine Lesungen stattgefunden haben. Man erzählte mir, dass die Franzosen ungern Lesungen in fremden Sprachen veranstalten, was mich etwas verblüfft hat.

Zwischen den Lesungen und Interviews hatte ich ein wenig Gelegenheiten für Stadtbesichtigungen, aber die Europatour ist ein Arbeitsaufenthalt. Da habe ich leider nicht wirklich Zeit die Dinge um mich herum entspannt zu genießen.

MOLO: Hattest Du Gelegenheit Deiner Familiengeschichte nachzuspühren? Du hast ja deutsche Vorfahren.

MATT RUFF: Richtig. Beide Seiten meiner Familie stammen ursprünglich aus Deutschland. Die am weitesten zurückreichenden Vorfahren der Familie meiner Mutter stammen aus Öttingen. Zu gerne hätte ich den Ort besucht, aber es war leider keine Zeit dafür.

Ich war ja schon zweimal in Deutschland auf Lesereise: 1991 mit »Fool on the Hill« und 1998 mit »G.A.S – Die Trilogie der Stadtwerke«. 1998 habe ich 20 Städte abgeklappert und bei sechs Lesungen saß ich zusammen mit Franka Potente auf der Bühne. Das war kurz bevor »Lola Rennt« in die Kinos kam, und Franka war zwar schon bekannt, aber eben noch nicht so berühmt wie sie durch diesen Film dann wurde. Es war ziemlich spaßig.

MOLO: Ich kann mich an die 1998-Tour erinnern. In den Tiefen der Internet-Archive kann man ein damaliges hervorragendes Interview von Dir mit Susanne Bach finden: »Writing and writing and writing: Derrida in Hell«.

Aber nun zu Deinem jüngstem Buch. Du sagst, dass »Bad Monkeys« Dein ›Philip K. Dick-Roman‹ ist. Wie würdest Du das literarische Vermächtnis von Philip K. Dick für jemanden beschreiben, der nichts über ihn weiß?

MATT RUFF: Einen Roman als ›Philip K. Dick-Roman‹ zu bezeichnen, ist für mich eine Abkürzung um zu beschreiben, dass es sich dabei um ein Buch handelt, in dem die Wirklichkeit der Welt, und/oder auch die Identität der Hauptfigur in Frage gestellt wird. Dick hat sehr gerne Geschichten erzählt, in denen sich entpuppt, dass alles was die Hauptfigur über sich selbst zu wissen glaubt, oder was sie über die Welt annimmt, sich als falsch erweist, und wie diese Figuren dann damit zurechtkommen und wie sie zu ergründen versuchen, was wahr ist. In »Bad Monkeys« erzählt eine Frau einem Psychiater ihre Geschichte, und ihre Schilderungen könnten Lügen, oder Wahnvorstellung oder etwas völlig anderes sein. Die Bezeichnung ›Philip K. Dick-Roman‹ bot sich also als passende Beschreibung an.

MOLO: Apropos Dick. Hat Dir die Verfilmung von »A Scanner Darkly« gefallen?

MATT RUFF: Eigentlich nicht. Ich blieb auf seltsame Weise von ihr unberührt. Das Buch ist ziemlich gut und sehr lustig. Es gehört zu den am besten geschriebenen Büchern von Dick. Ihm gelingt es dort sehr gut jene geistlosen Unterhaltungen zu schildern, die Leute auf Drogen miteinander haben, und steigt dabei in einen Wahnsinn hinab, der sich durch einen übermäßigen Konsum schlechter Drogen auftut. Der Film aber funktioniert aus verschiedenen Gründen nicht. Es gelang ihm nicht, mich so wie das Buch mitzunehmen, was schade ist. Aber das ist bei vielen Filmen die auf Dicks Büchern basieren der Fall. Warum auch immer, sie nehmen ihr Publikum nicht mit. Die Filme die aus Dicks Kurzegschichten statt seinen Romanen gemacht wurden, sind in der Regel besser, auch wenn ich nicht sicher bin, woran das liegt. Vielleicht zwingt das Filmemacher dazu etwas kreativer zu sein und die Vorlage zu einer gut ausgewogenen Geschichte zu entwickeln.

MOLO: Ich denke das liegt daran, dass Sprache immer noch die wirkungsvollste Art ist eine narrative Welt zu errichten und eine Geschichte zu erzählen. Filme neigen dazu, mehr als ein Spektakel für die Sinne zu funktionieren. Erst mit dem serialen Erzählen von TV-Sendungen wie (um jüngere Beispiele zu nennen) »Deadwood« oder »The Sopranos« hat sich im anglo-amerikanischen Fernsehen so etwas wie eine anspruchsvollere »Telenovela de luxe«-Strömung entwickelt. Da gibt es dann genug Zeit und Raum um Perspektivwechsel zu bieten und die verschiedenen Figuren und ihre Hintergründe genauer darzustellen.

MATT RUFF: Interessant. Ein Autor den ich sehr bewundere, Richard Price, hat ein Buch namens »Clockers« geschrieben, das Spike Lee verfilmt hat. Ihm ist womöglich die beste Zweistunden-Filmversion des Buches gelungen, die möglich ist, und trotzdem kam ich aus dem Kino und dachte mir: »Das war es nicht wirklich. Man hätte mindestens acht Stunden, vielleicht sogar zwölf gebraucht um den Roman angemessen gerecht zu werden.«

MOLO: Zurück zu Dick. Was war für Dich wichtig daran, einen ›Philip K. Dick-Roman‹ zu schreiben, und was waren Deine Hoffnungen und Ängste was diese Ambition betrifft?

MATT RUFF: Ich glaube nicht, dass ›wichtig‹ das richtige Wort ist. Ich hatte diese Idee für eine Geschichte, und die Art sie zu erzählen. Das als ›Philip K. Dick-Roman‹ zu beschreiben war dabei ein passendes Kürzel für das, was ich im Sinn hatte. Dann spielte ich eine Weile mit dem Gedanken, die Hauptfigur Phil zu nennen, als eine Art Homage. Schließlich fand ich heraus, dass Dick eine Zwillingsschwester namens Jane Charlotte hatte, die im Babyalter gestorben ist, deren Präsenz aber Dick sein Leben lang verfolgt hat. Um auf das Buch »A Scanner Darkly« zurückzukommen: An einer Stelle der Geschichte widmet ein Radio-Moderator ein Lied »Phil und Jane«, was eine von vielen Anspielungen von Dick auf seine Schwester. Thematisch schien es also äußerst passend, die Hauptfigur Jane Charlotte zu taufen und ihr einen Bruder namens Phil zu geben, der real ist oder auch nicht. Beim Lesen von »Bad Monkeys« ist das eine wichtige Angelegenheit. Es passte also. Während der Entwicklung eines Romanes stolpert man über solche Dinge und denkt sich: »Das fügt sich gut. Das passt sehr gut zur Intention der Geschichte. Dadurch wird es besser.« Als ich dann zu schreiben begann war die Stimme von Janes Figur genau richtig.

MOLO: In Deiner Danksagung zu »Bad Monkeys« erwähnst Du Laurence Sutin der eine wunderbare Biographie über Philip K. Dick geschrieben hat »Göttliche Zwischenfälle« (Frankfurter Verlagsanstalt, Leider vergriffen).

MATT RUFF: Durch dieses Buch habe ich von Jane Charlotte erfahren.

MOLO: Ich kann mich nur an wenige andere Biographien erinnern, die so bewegend waren wie Sutins Buch. — Mich würde interessieren, wie Du Philip K. Dick beschreiben würdest. Erst in den letzten Jahren steigt sein Ansehen bei uns auch außerhalb der SF-Genreleserkreise. Es ist eine glückliche Fügung, dass zur gleichen Zeit wie »Bad Monkeys« nun Dicks Kurzgeschichten endlich komplett und gut editiert auf Deutsch (bei Zweitausendeins) veröffentlicht werden, nachdem sie nur vereinzelt gedruckt zu haben, bzw. lange vergriffen waren.

MATT RUFF: Tatsächlich bin ich ja der Ansicht, dass Dicks Kurzgeschichten viel besser sind als seine Romane. Er war einer dieser Autoren, die mit einer überschaubaren Länge besser zurecht gekommen sind, weil er, wie ich vermute, nur eine kurze Aufmerksamkeitsspanne hatte.

MOLO: Vielleicht lag das an seinem Amphetaminproblem.

MATT RUFF: Das spielt da auch mit hinein. Bis auf einige Ausnahmen finde ich, dass seine Romane an logischen Handlungsunzulänglichkeiten kranken, und so etwas macht mich kirre, denn diese Makel seiner Romane scheinen mir weniger auf bewussten künstlerischen Entscheidungen, als vielmehr auf Schlamperei und Aufmerksamkeitsfehlern zu beruhen. Einfach ärgerlich.

Ich mag Fiktionen mit Ambiguität. Ich mag es, wenn ich als Leser nicht sicher sein kann was genau geschieht, aber ich will schon das Gefühl haben, dass der Autor weiß was er will, dass er einem Plan folgt, auch wenn ich selbst die Lösung nicht sehe, wenn es eine Lösung gibt. Wenn Leute wie Dick oder David Lynch dann etwas vorlegen, bei dem man sich dann denkt, dass es keine Möglichkeit gibt das logisch plausibel zu erklären, kann einen das ziemlich aufregen.

MOLO: Du erwähnst Lynch. »Lost Highway« ist ja ein berühmt-berüchtigtes Beispiel einer Geschichte, über die viel debattiert wird wegen der Dinge, die wir Zuschauer nicht deutlich gezeigt oder erklärt bekommen, die wir nicht auf der Leinwand sehen.

MATT RUFF: Dazu muss ich sagen, dass David Lynch einer der unterhaltsamsten Erzähler von unplausiblen Geschichten ist. Selbst dann, wenn seine Filme beginnen absolut keinen Sinn mehr zu ergeben, können sie sehr hypnotisch sein, wenn man in der richtigen Stimmung ist. Aber ich ziehe es vor das Gefühl zu haben, dass einer Geschichte eine plausible Logik zugrunde liegt, auch wenn mir nicht gewährt wird, alles zur Gänze zu verstehen.

MOLO: Denkst Du, dass es einen großen Unterschied zwischen realistischen und phantastischen Geschichten gibt, wenn es darum geht koherente Plausibilität zu erreichen? »Ich und die Anderen« ist für mich z.B. ein phantastischer Roman, trotzdem er in einem realistischen Weltenbau im Hier und Heute spielt, und keine augenfälligen Wunderlichkeiten vorkommen. Man muss nur die gewohnte SF-Perspektive ändern, weg von technisch-utopischen Spekulationen hin zu Spekulationen über Innere Welten und die Beschaffenheit des Ichs um den Roman als SF oder ›Psycho-Fantasy‹ zu lesen.

MATT RUFF: Das stimmt. »Ich und die Anderen« ist sicherlich Science-Fiction-haft in dem Sinne, dass der Roman das Phänomen der Multiplen Persönlichkeit in etwa so erforscht, wie es ein SF-Autor machen würde.

MOLO: Und es gibt eine Fantasy-Ebene mit der Queste zu den Geheimnissen der Vergangenheit und den Nebenwelten im Bewußtsein der Figuren.

MATT RUFF: Tatsächlich bin ich der Ansicht, dass kein großer Unterschied zwischen SF/Fantasy und realistischen Fiktionen besteht, denn auch den Geschichten der phantastischen Genre müssen bestimmte Regeln zugrundeliegen, auch wenn diese Regeln anders sein können. Auch bei phantastischen Geschichten, zumindest wenn sie halbwegs interessant sein sollen, muss unterschieden werden was möglich ist und was nicht, und die Dinge müssen einen Sinn ergeben.

Clive Barker hat einen Roman namens »Weaveworld« (»Gewebte Welt«) geschrieben, und ich bin über die ersten 10 bis 15 Seiten nicht hinausgekommen, denn da stürzt der Protagonist zu Beginn in eine andere Welt in einen Teppich. Bei der Beschreibung der Landschaft in diesem Teppich auf den ersten paar Seiten war für mich sehr deutlich zu spüren, dass Barker hier alles mögliche zusammenflickt wie es ihm gerade passt und wie es ihm gerade einfiel. Was auch immer ihm gerade zu passen scheint, geschieht einfach. Das reizt mich nicht. Auch andere Phantastikgeschichten die ich las, und bei denen es keinen schmalen Grat zu geben schien, was möglich und was unmöglich ist, mochte ist deshalb nicht. Ich mag Geschichten die zugrunde liegenden Regeln folgen, und die nicht einfach ins Blaue fabulieren.

Da fällt mir eine Lieblingsstelle aus Stephen Kings »The Dead Zone« ein. Da ist dieser Mann, der nach einem langen Koma mit der Fähigkeit erwacht, die Zukunft vorherzusehen. In diesem Roman sind also übermenschliche Psychofähigkeiten real. Zugleich aber hat dieser Kerl eine Mutter die daran glaubt, dass Außerirdische auf der Erde gelandet sind, und sie wird als irre beschrieben. Ich erinnere mich, wie ich damals von dieser Idee angetan war, dass es, obwohl es sich um einen phantastischen Roman handelt, immer noch möglich, dass Figuren an verrückte Sachen glauben, die unrealistisch sind. Das fand ich richtig cool, wie King hier vermittelt, dass es immer noch Grenzen des Möglichen gibt, auch wenn diese Grenzen anders gezogen sind, als man gemeinhin glaubt.

MOLO: Meiner Ansicht nach gehört genau das zu den größten Stärken der phantastischen Literatur, dass sie die Wachsamkeit der Leser für Grenzen zu schärfen vermag. Ich selbst mag die ›alles ist möglich‹-Ästhetik und bin der Meinung, dass es den phantastischen Erzählweisen dabei zum Beispiel spielender gelingt, Komisches und Ernsthaftes miteinander zu kombinieren.

MATT RUFF: Sicherlich gehört zu den Dingen, die man in phantastischen Fiktionen anstellen kann, dass man unhinterfragte Annahmen auf den Kopf stellen und damit in Frage stellen kann. Was das Kombinieren von Komik und Ernsthaftigkeit betrifft, so lässt sich das in der Phantastik wohl tatsächlich leichter erreichen, aber ich glaube dennoch, dass sich auch bei realistischen Schreibweisen recht einfach ist, Humor zu finden.

MOLO: Es kommt dabei dennoch zu Unklarheiten. Nehmen wir »G.A.S.«: ich bin auf Auslegungen gestoßen, in denen die Leser glauben, dass Du mit diesem Roman ein hymnisches Lob auf Ayn Rand und ihren Objektivismus vorgelegt hast, wogegen andere Leser (einschließlich mir selbst) erwidern würden: »Nein, nein. Matt macht sich lustig über Rand und führt vor, wie kaltherzig und vernagelt ihre so genannte Philosophie ist. Jedoch zollt er zugleich der Person Ayn Rand seien Respekt, denn man muss zugestehen, dass sie eine faszinierende Charakterstärke inne hatte«.

MATT RUFF: Oh, natürlich mache ich mich lustig über Rand, aber ich habe mir viel Mühe gegeben dabei nicht zu gehässig oder abfällig zu sein, was einige Leser verwirrt hat. Man kann über jemanden lachen und dennoch Respekt für die Person zeigen., und ich respektiere Rand sehr. Sie ein cleverer, talentierter und interessanter Charakter. Sie hat sich jedoch meiner Ansicht nach in vielerlei Hinsicht gewaltig geirrt, aber weißt Du: Ich irre mich auch oft.

MOLO: In Bezug auf die ernsthaften Aspekte habe ich beobachtet, dass manche Leser bei »Ich und die Anderen« vor dem Thema Kindesmissbrauch zurückschreckten, aber jeder, der den Mut aufbrachte sich trotzdem auf den Roman einzulassen und ihren gelesen hat äußerte Bewunderung für die umsichtige Art und Weise, wie Du diese Facette behandelt hast.

MATT RUFF: Es gibt eine Stelle in »Ich und die Anderen« über eine der Figuren des Romanes, die herausbekommen will, »wie man das Böse anerkennt, ohne davon aufgefressen zu werden«. Das ist, denke ich, eine der wichtigsten Funktionen von Humor: uns mit schrecklichen Dingen fertig werden zu lassen, ohne von ihnen überwältigt zu werden. Man muss natürlich achtsam sein, dass man dabei das in Frage kommende Problem nicht verharmlost und trivialisiert, doch wie es scheint, habe ich eine ganz gute Ader dafür die Balance zu wahren.

MOLO: Zurück zu »Bad Monkeys«. Als ich zu den Mottis des Roman recherierte stieß ich auf <a href=""de.wikipedia.org target="_blank" title="Zum deutschen Wiki-Eintrag.">H. L. Mencken und war überrascht als ich entdeckte, dass dieser amerikanische Journalist über den John Scopes-»Monkey«-Prozess von 1925 berichtete, bei dem sich Kreationisten und Darwinisten beharkten. War es Deine Absicht auf diesen ›Affenzirkus‹ anzuspielen, als Du Dich für Menckens Zitat als Motto entschieden hast?

MATT RUFF: Nein, aber das ist witzig. Was für ein glücklicher Zufall, daran habe ich gar nicht gedacht. Wirklich schön. Passt. — Das Zitat von Mencken mag ich sehr.{01}

MOLO: Als aufmerksamer Fan Deiner und Neal Stephensons Arbeit habe ich einige Verbindungen zwischen Euch entdeckt. Deine Frau, Lisa Gold, hat Neals »Barock-Zyklus« Korrektur gelesen, Du erwähnst Neal in Deinen Danksagungen von »Ich und die Anderen« und »Bad Monkeys« und (last but not least), Eure Schwertkampf-, Flaschenköpf-Sessions, von denen sich auf Deinen und Neals Websieiten Photos finden.

MATT RUFF: {Lacht}

MOLO: Magst Du etwas erzählen über Deine Freundschaft mit Neal?

MATT RUFF: Neal und ich sind gute Freunde. Ich habe z.B. das Manuskript von Neals neustem Roman (»Anathem«) als Reiselektüre dabei. Ein tolles Buch, ich habe noch einige hundert Seiten vor mir. Ein dickes Buch.

Neal war mir bereits bekannt lange bevor wir uns begegnet sind. Der Verlag Atlantic hat seinen Roman »Zodiac« im gleichen Quartal veröffentlicht wie »Fool on the Hill«. Mein Lektor bei Atlantic gab mir »Zodiac« mit den Worten: »Dieser Kerl schreibt ein bischen so wie Du. Ich glaube, es wird Dir gefallen.« Das hat es auch. Ein paar Jahre später las ein anderer Freund, der nichts von »Zodiac« wußte, dann »Snow Crash« von diesem Typ namens Stephenson, und mir gesagt: »Das erinnert mich an Deine Sachen«. Mein Freund gab mir »Snow Crash«, das ich ebenfalls sehr gut fand und ich kam drauf, dass es von dem gleichen Kerl stammt wie »Zodiac«. Ich dachte mir, dass Neal und ich in der gleichen Richtung unterwegs sind, und dass wir uns wohl für ähnliche Dinge interessersieren. Als dann die Veröffentlichung von »G.A.S.« nahte, bat ich meinen Verleger Neal eine Kopie des Manuskriptes zu schicken, falls er einen Empfehlungsspruch für den Buchumschlag beisteuern will. Neal mochte das Buch und er schrieb einen Blurb. Als ich dann auf der Lesetour von »G.A.S.« in Seattle war, frug ich ihn, ob wir uns treffen können und wir landeten in einem Sushi-Restaurant und so begann unsere Freundschaft.

Als meine Frau und ich dann ein paar Jahre später nach Seattle übersiedelt sind, nahm ich wieder Kontakt mit Neal auf. Er lud uns zu sich nach Hause ein und seitdem verbringen wir Zeit zusammen. Spätestens seit seiner Arbeit am »Barock-Zyklus« interessiert sich Neal sehr für die Schwertkämpferei des Mittelalters und der Renaissance. Bei vielen Treffen haben wir verschiedenste Sachen ausprobiert, aber erst seit kurzem verwenden wir richtige Stahlklingen und Rüstungen.

Mit Neal befreundet zu sein ist aufregend, denn er kennt eine Menge interessante Leute. Manche sind Schriftsteller, andere Kryptographen. Man weiß nie, wem man begegnet, wenn man von Neal zum Essen eingeladen wird.

MOLO: In früheren Interviews hast Du Unbehagen darüber geäußerst, einer bestimmten literarischen Gruppe anzugehören oder zugerechnet zu werden. Als ich aber die Schwertkampf-Photos von Neal und Dir im Internet sah, dachte ich mir sofort: »Jupp, die zwei passen zusammen.«

MATT RUFF: Wovon ich Abstand nehme, wenn Leute von Literatenkreisen reden, ist sowas wie Dorothy Parker und ihr lasterhafter Kreis‹, also Menschen die zusammenkommen nur um über Bücher zu debattieren. Natürlich plaudern Neal und ich manchmal über unsere Sachen, zum Beispiel wenn er mich fragt, woran ich gerade arbeite und wie es vorangeht und umgekehrt. Aber Schreiben ist eine ziemlich solitäre Angelegenheit. Da sitzte ich alleine zuhause in meinem Zimmer und Neal sitzt bei sich zuhause alleine in seinem Zimmer. Er und ich reden nicht viel über das, was wir da tun, nicht in dem Sinne, dass wir uns gegenseitig direkt beeinflussen. Wir zeigen uns nicht im Werden befindliche Manuskripte. Sein neustes Buch lese ich als Manuskript, weil ich Lust habe es zu lesen und weil es fertig ist. Neal und ich bilden also keinen kleinen literarischer Salon, wie es der Fall ist, wenn Autoren sich zusammensetzten um miteinander gemeinsam ›Literatur zu machen‹. Das zumindest stelle ich mir vor, wenn man von einer Literatur-Szene oder literarischen Kreisen spricht, und bei so etwas bin ich lieber nicht dabei. Es ist aber sicherlich einfacher Autoren zu begegnen, deren Werk man kennt und bewundert. Mit Neal verbindet mich mehr eine persönliche Freundschaft und weniger eine Arbeitsfreundschaft.

MOLO: Um beim Thema Internet-Auftritt zu bleiben. Mir sind nicht viele Autoren bekannt, die so wie Du schon früh begonnen haben, ihren Lesern einen großzügigen Rundgang hinter die Kulissen in die kreative Werkstatt zu gewähren.

MATT RUFF: Tatsächlich? Ich dachte, dass das jetzt mit Blogs viele machen.

MOLO: Mein Eindruck ist, dass Autoren das Internet vor allem als Nebenbühne nutzen, um den Lesern ergänzendes Material zu bieten, wie Landkarten oder Glosare, mehr noch aber, um selbst etwas für die Buch-PR beizutragen. Mittlerweile beglückt jedoch eine ganze Reihe von Autoren ihre Leser mit großzügiger Offenheit, etwa Neil Gaiman, Charles Stross, Hal Duncan mit ihren Blogs, oder auch Neal mit seinem »Barock-Zyklus«-Metawebwiki, aber mir scheint, Du bist da ein Pionier. Ansonsten sind kaum jemand so freimütig wie Du, um z.B. über Geheimnisse zu sprechen wie »Bücher die ich nicht fertig geschrieben habe« oder »Musik die ich beim Schreiben gehört habe«, oder um anhand von Beispielen die verschiedenen Arbeitsphasen eines Manuskripts zu zeigen.

MATT RUFF: Das mache ich aus Spaß an der Sache und das gehört zu den Freuden, wenn man eine eigene Website betreut. Es bereitet mir Vergnügen, auf diese Weise die Dinge die ich getan habe zu dokumentieren, auch wenn aus ihnen keine Bücher geworden sind. Kann sein, ich mache das erst mal nur für mich, um meine Aufzeichnungen zu organisieren. Aber mir ist klar, dass sich die Leser dafür interessieren, immerhin sind das ja auch die Sachen, auf die ich als Leser neugierig bin bei den Autoren, die mich beschäftigen. Meine Website zu pflegen macht mir Spaß.

MOLO: Zur vielleicht ernstesten Frage. Fühlst Du Dich wohl, wenn ich Dich als einen Schriftsteller beschreibe, der zu einer Avantgarde gehört, wenn es um das Geschichtenerzählen im Zeitalter des Infowars geht, wo wir alle als Global-Bürger damit zu ringen haben, in wen oder was wir unser Vertrauen investieren?

MATT RUFF: Damit fühle ich mich soweit wohl, als dass in meinen Geschichten, sicherlich zumindest bei »Bad Monkeys«, dieses Problem zur Sprache kommt. Obwohl ich mich auf dieses Problem mit meinen Geschichte beziehe, steht für mich aber die Erzählung im Vordergrund. Doch für mich ist dabei ein wichtiger Aspekt der Geschichte, dass sie einige Tiefe und Relevanz birgt. Ich scheue davor zurück zu erklären, dass meine Geschichten eine bestimmte versteckte Botschaft transportieren sollen, aber ich bin sehr dafür, dass ein Roman Anliegen hat oder Themen anklingen lässt, die sehr viel mit den aktuellen Zeitgeschehen zu tun haben. In »Bad Monkeys« zum Beispiel trifft man auf das Thema der allgegenwärtigen Überwachung und des Kampfes gegen das Böse, worin sich offensichtlich auf verschiedene Art und Weise der gegenwärtige ›War on Terror‹ widerspiegelt. Ich schätze, dass ich mich mit Deiner Beschreibung ganz gut zurecht komme, auch wenn ich nicht sicher bin, ob ich das selbst so ausdrücken würde.

MOLO: Ich bin zu ernst und streng?

MATT RUFF: Das ist es wohl. Ein bischen zu ernst für meinen Geschmack. Es ist nicht so, dass ich mir selbst einrede: »Ich werde diesen oder jenen Aspekt des modernen Lebens kommentieren«. Eher schon ist es so, dass ich etwas schreibe und dann merke »Hmmm, ich habe da diese coole Idee zu einem Überwachungssystem die sehr stimmig ist, denn genau solche Entwicklungen finden ja derzeit statt.«

Eine Facette meines Schreibens ist, dass ich eher intuitiv arbeite, und weniger direkt und bewusst Ideen einbaue die in Bezug zur aktuellen Weltlage sinnvoll sind.

Wenn ich einen unmittelbaren Kommentar zur Weltlage geben wollte, würde ich einen Sachtext schreiben. Fiktionen haben zuerst mal damit zu tun eine Geschichte zu erzählen und dabei verschiedene Seitenblicke auf die ernsten Vorgänge zu werfen, die gerade in der Welt stattfinden.

MOLO: Für meinen Geschmack bist Du ein hervorragender phantastischer Autor, wenn man die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Phantasie »(vor dem geistigen Auge) erscheinen lassen« zugrunde legt. Jeder Künstler spielt auf dem Publikum, wie ein Musiker ein Instrument spielt. Desto besser ein Autor ist, um so besser ist die Kopfmusik die er mit seinen Büchern beim Publikum hervorzurufen vermag.

Du hast schon in früheren Interviews gesagt, dass Du zwar Deine Geschichten sehr aus dem Bauch heraus schreibst, aber dabei doch äußerst großen Wert darauf legst, umsichtig und mit Akribie den Erzählablauf und die Details auszuarbeiten und aufeinander abzustimmen.

MATT RUFF: Sicherlich lege ich großen Wert darauf zu wissen wohin die Reise geht. Die gegenteilige Art zu Schreiben hat Stephen King einmal beschrieben, und für mich mutet diese Haltung sehr seltsam an. Er macht eine große Sache daraus, dass er niemals weiter als ein paar Seiten im Voraus weiß, was geschehen wird. Wenn King über den Vorgang des Schreibens spricht, dann benutzt er Metaphern die mit Entdeckung und Erforschung zu tun haben. Er spricht über einen Roman wie über etwas, das bereits irgendwo in der Welt vorhanden ist, was er nur noch finden muss. Das fertige Stück ist schon da, er muss es nur noch ausgraben. Bei mir ist anders: »Nein, der Roman ist solange nicht da, bis ich ihn zusammensetzte.«

Natürlich entwerfe ich Teile eines Romans schon bevor ich anfange ihn zu schreiben. Ich bin mir sehr bewußt, dass ich als Ausführender die Kontrolle über den Aufbau eines Buches habe, und dass ich bestimmte Entscheidungen treffen muss. Das lässt sich auf verschiedene Art bewerkstelligen. King aber beschreibt das z.B. mit der Metapher, dass der Roman wie eine Burg ist, in die er einzubrechen versucht, und dass es eben viele Weg gibt und er nur einen finden muss der funktioniert. Ich würde das anders umschreiben: »Nein, für mich gibt es nur ein Bündel von Entscheidungen mit dem ich zufrieden bin, woraus sich dann die bestmögliche Romanform für diese oder jene Geschichte ergibt.« Mir ist aber klar, dass es andere Möglichkeiten gegeben hätte, wie man eine Geschichte hätte erzählen können, andere Wege, die man hätte wählen können. Einige davon wären vielleicht genauso reizvoll gewesen. Solang man an einem Buch arbeitet bleibt immer reichlich Spielraum während der Reise für Inspiration, Zufälle und Entdeckungen, es ist eben ein kreativer Vorgang.

MOLO: Das erinnert mich an die Unterscheidung von Schopenhauer, der Schriftsteller in drei Klassen einteilt. Am häufigsten und schwächsten sind die Parasiten, die ab- und zusammenschreiben, was andere bereits gedacht und geschrieben haben. Die schon selteneren Jäger und Sammler denken dann, während sie schreiben, aber am seltesten und löblichsten sind jene Autoren, die nachgedacht haben, bevor sie sich ans Schreiben machen.

MATT RUFF: Ich bin nun mal besessen davon und sehr pedantisch, wenn es darum geht, dass alles stimmt und richtig klingt. Deshalb brauche ich auch so lange für meine Bücher.

MOLO: Mit dem wilden Mischmasch den Du dabei kreierst stößt Du bei den deutschen Feuilleton-Kritikern immer wieder auf Zurückhaltung. Ein Argument, das dabei immer wieder vorgebracht wird, lautet, dass Du Geschichten voller Dinge schreibst, die man als Zehnjähriger toll und aufregend fand …

MATT RUFF: … als ob das eine schlimme Sache wäre.

MOLO: Manche Kritiker neigen dazu das als schlecht anzutun, auch wenn sie dann zugestehen, dass man es Dir durchgehen läßt, weil Du Deine Sache so kunstvoll machst. Für mich bereiten Deine Bücher das größte Vergmügen damit, dass einerseits die schrägsten Genre- und Popkultursachen vorkommen, die dann z.B. »Star Wars« oder Zeichentrickfans wiedererkennen können, dass Du aber andererseits dabei immer auch sehr ernste Geschichten erzählst. Nicht zuletzt traust Du Dich damit, Deinen Leser Rätsel und Ungewissheiten zu präsentieren.

MATT RUFF: Tatsächlich mag ich es sehr, die unterschiedlichsten Dinge in einem Roman zusammenzubringen, zu zeigen, wie sie zueinander in Kontrast stehen. Ein Merkmal, vielleicht sogar das auffälligste, meines Schreibens ist es, auf bizarre Weise die verschiedensten Dinge miteinander zu kombinieren, so, wie man es nicht erwarten würde, aber so, dass es dennoch funktioniert. Entsprechend schwer ist es, die Bücher in bestimmte Genre-Schubladen einzuordnen, denn ich mag es nun mal psychologische Thriller, und comichaften Slapstick und abenteuerliche Aktionen und dies und jenes zu verknüpfen … das finde ich toll.

MOLO: Ein besseres Schlußwort kann ich mir nicht wünschen. Vielen Dank, Matt, für das Gespräch.

••• Zu Teil eins mit meiner persönlich gefärbten Werkübersicht..

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Flattrn Sie diesen Eintrag, wenn Sie der Meinung sind, dass er etwas wert ist. 

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ANMERKUNGEN:

01 Das Motto/Zitat lautet:
Gewissen: die innere Stimme, die uns sagt, dass jemand zuschauen könnte.
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Samstag, 24. Oktober 2009

Scott Westerfeld: »Leviathan«, oder: Dengler gegen Darwinisten im Ersten Weltkrieg

Eintrag No. 592 — Gerne posaune ich laut in die Welt, dass ich Serien in Buch- und Comicform ›eigentlich‹ meide wie die Pest. Das ist aber so nicht ganz richtig, denn ab und zu greife ich doch zum ersten Band eines Mehrteilers und lasse mich anfixen den Folgebänden entgegenzufibbern. Es stimmt aber, dass ich es hasse, mich auf aktuelle Fortsetzungswerke einzulassen, denn mir ist das Warten und das Hegen von Lesertreue für eine lange Geschichte zuwider. So sitze ich beispielsweise herum und harre auf Band 3 von Scott Lynchs »Gentlemen Bastard«-Reihe und mühe mich ab, mit stoischer Geduld das Erscheinen der nächsten Sammelbände von Brian Woods »DMZ« und »Northlanders« oder Urasawas »20th Century Boys« abzuwarten.

Nun also, Anfang Oktober hat mich ein <a href="www.youtube.com" target?"_blank" title="Zum Buchtrailer bei »youtube«.">Buch-Trailer verleitet, zum frisch auf Englisch erschienen ersten Band von Scott Westerfelds »Leviathan« zu greifen und entsprechend habe ich jetzt ein (bzw. zwei) Jahre blöde Warterei vor mir, bis ich Teil 2 (bzw. 3) verschlingen kann. — Der <a href="www.youtube.com" target?"_blank" title="Zum Buchtrailer bei »youtube«.">Trailer ist Dank der sanft animierten Illustrationen von Meister Keith Thompson verführerisch brilliant, so brilliant sogar, dass ich hier eine schnelle Übersetzung anbiete:

Wir schreiben das Jahr 1914.
Soeben ist Erzherzog Franz-Ferdinand das Opfer eines Attentats geworden und Europa befindet sich kurz vor einem Krieg. Doch legt eure Geschichtsbücher zur Seite, denn dies ist nicht der Krieg wie ihr ihn kennt.
Etwas anderes steht auf dem Spiel: Wer wird gewinnen? Die ›Dengler‹ (Clanker), die auf Maschinen vertrauen, oder die ›Darwinisten‹, die lebende Kreaturen zu Werkzeugen und Waffen züchten, zu Krampfkraken, lebenden Luftschiffen und allen möglichen anderen gefährlichen Bestien.
Im Zentrum der Ereignisse findet sich Alek wieder, der Sohn des Erzherzogs. Er flieht vor den Mördern seines Vaters. Durch Zufall trifft er mit Deryn Sharp zusammen, einem Mädchen das sich als Junge ausgibt, um in der Royal Airforce Dienst zu leisten. Er ist ein ›Dengler‹, sie eine ›Darwinistin‹. Er ist untergetaucht, sie verbirgt ein großes Geheimnis.
Zu Beginn des Abenteuers verschärft sich die Lage und der Einsatz erhöht sich. Die Frage lautet: ölst du deine Kriegsmaschinen, oder fütterst du sie?

Kurz: Steampunk-Phantastik satt, noch dazu als kurzweilig geschriebenes Abenteuer für Leser ab 10 Jahren aufwärts. Wobei mich überrascht hat, was Westerfeld und sein Verlag Zehnjährigen zutraut. Immerhin wird im Laufe des Buches ganz nebenbei die Evolutionstheorie und die Komplexität von Ökosystemen erklärt

Im Rhythmus von je zwei Kapiteln folgt das Buch mal Alek, mal Deryn (die sich als Junge Dylan nennt). Das Buch ist angenehm ballastfrei von langatmigen Schlenkern. Einen guten Eindruck vom Stil vermittelt die (englische) Leseprobe, vorgetragen von Alan ›Nightcrawler‹ Cummings. Gut die Hälfte besteht aus aktionsgeladenen Flucht- und Kampfszenen. Alek und seine kleine Crew versuchen von Balkan aus die neutrale Schweiz in einem 35 Tonnen schweren Wanderpanzer zu erreichen. Deryn ist, im Zuge einer Geheimmission, mit dem titelgebenden Luftwalfisch ›Leviathan‹ als Kabinenjunge von London unterwegs ins Osamnische Reich. Der Weltenbau ist glänzend gelungen. Fast schon wie selbstständige Charaktere erscheinen für mich als Leser Aleks Stormwalker und das majestätische ›Leviathan‹-Schiff.

Nicht zuletzt begeistern mich die vielen (meist) ganzseitigen Beistiftillustrationen und Vignetten von Keith Thompson (der auch für das »Arcane Codex«-Rollenspiel oder das Video-Spiel »Borderlands« erstaunliche Design-Arbeiten geleistet hat). Die auch im Buchtrailer verwendete ›monströse‹ Europakarte ziert derzeit als Desktopbild mein iBook. — Wirklich zu dumm, dass ich bis Oktober 2010 warten muss, um im zweiten Band »Behemoth« zu erfahren, wie die Reise weitergeht.

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Scott Westerfeld: »Leviathan«; 48 S/W-Illustrationen von Keith Thompson; 41 Kapitel & Nachwort auf 440 Seiten; Gebundene UK-Ausgabe bei Simon & Schuster 2009; ISBN: 978-1-84738-519-2.
Sonntag, 18. Oktober 2009

Ju Honisch: »Das Obsidianherz« oder: Dämonen- und Zauberschrifthatz im königlich-bayerischen München

Gestern Abend hat Ju Honisch den Deutschen Phantastik Preis 2009 für das beste deutschsprachige Debüt bekommen. Das freut mich ungeheuerlich, nicht nur, weil dieser Anerkennungserfolg der Vorhersage meines letzten Satz der folgenden Empfehlung aus »Magira 2009« folgt.
Anders als sonst (sonst lasse ich mindestens ein halbes Jahr verstreichen zwischen Druckveröffentlichung und Internetaufbereitung) veröffentliche ich also zu Ehren der Preisträgerin heute die Eröffnungsrezi aus meinem Text »Wonniglich verirrt im Labyrinth der Phantastik«.

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Eintrag No. 591 — Den üblichen Gewohnheiten des Rezensionenschreibens zuwiderlaufend, beginne ich einen Tacken persönlicher als üblich über »Das Obsidianherz« und seine Autorin zu berichten. Bevor ich Ju Honisch die Schriftstellerin kennen lernte, war sie mir bereits eine gutbefreundete Nachbarin, denn sie wohnt keinen Kilometer weit weg von mir. Sie gehört zu den großzügigsten und bestkochensten Gastgeberinnen die ich kenne, wir tauschen fruchtbar Lese- und Filmempfehlungen, unsere musikalischen und kulturgeschichtlichen Vorlieben überschneiden sich auf vielen Gebieten, und wir genießen gemeinsame Besuche von Chor-Konzerten klassischer Musik oder von Auftritten von Irish Folkgruppen wie Celtic Chacra. Aus meiner Sicht gehört Ju gehört zur Phantastik-Fandom-Pioniergeneration der Siebziger/Achtziger, was mir beispielsweise klar wurde, als ich einer ihrer Erzählung von einer Leonard ›Mr. Spock‹ Nimoy-Minicon in den frühen 80er-Jahren lauschte. Ju’s erstes kreatives Betätigungsfeld war, neben dem Theaterspiel, die Musik und damit auch die Lyrik, und mit unerschütterlichem Engagement globetrottet sie seit Jahren durch die internationale Filk-Szene, und hat zusammen mit der Sängerin Kerstin Dröge CDs eingespielt. Wenn die Pratchett-Verehrerin Ju die Gitarre rausholt und ihre Filk-Gemme »Terror Time in Lancre« anstimmt, um über die Badefreuden von Nanny Ogg zu singen, scheint diese lebenslustige Landhexe tatsächlich für eine Weile unter uns zu weilen. Magische Augenblicke sind das dann.

Dass Ju Honisch auch in verschiedensten Erzählstimmlagen knackige Ideen offerieren kann, belegt sie mit den in ihrem Kurzgeschichtenband »Bisse« (Hexentorverlag) versammelten Texte. Wie es sich für gute Genre-Phantastik gehört, verführen ihre Geschichten zu schrägen, verschmitzten, zuweilen mitfühlenden und ja, auch hämischen Blicken auf die Welt (beispielsweise wenn die kleine Welt einer einsamen alte Damen und die kleine eines »Star Trek«-artigen Raumschiff aufeinanderprallen). Sie tappt dabei weder in die Bequemlichkeitsfalle und brüht mit zu mageren Variationen Altbekanntes auf, sie überspannt aber den Bogen auch nicht ins gegenteilige Extrem und versucht verkrampft hyperoriginell zu sein. Damit empfiehlt sie sich meiner Meinung nach als eine ideale Autorin für alle, die egal von welchen Extremregionen sie kommen, ab und zu gerne einige Lektüremeilen auf dem goldenen Mittelweg spazieren. Die Mitte hat es ja in unseren Zeit der sich in zig Richtungen auseinanderdifferenzierenden Geschmacksvielfalt schwer, denn schnell mal heißt es ungerechtfertigterweise, das dies oder jenes wirklich etwas für jeden bietet. Da das oft eben nicht stimmt, häuft sich Skepsis gegenüber der vermeintlich lauen Mitte, gegenüber guten Kompromissen an. Dabei sind es die faulen Kompromisse der Mittelmäßigkeit, vor allem auf sozialen und politischen (aber auch kulturellem) Felde, weshalb ›die Mitte‹ und ›der Kompromiss‹ in Misskredit geraten sind.

Mit ihrem gelungenen Romandebüt »Das Obsidianherz« erzählt Ju Honisch bezaubernd leichtfüßig über eine leicht neben dem 19. Jahrhundert angesiedelte Alternativwelt, welche mich mit ihrem dort abgefackelten Magie-, Liebschaften-, Intrigen- Mantel- und Degen-Feuerwerk ergötzte. Da ich ein männlicher Rezensent bin, will ich erstmal die ›typisch männlichen‹ Facetten der Handlung vorstellen. Im Edelhotel Nymphenburger Hof zu München im Jahre 1865 wurde ein Magier, der aus England ein beunruhigend machtspendendes Zaubermanuskript geklaut hat, gekillt. Bevor er aber im Kampf mit einem schemenhaften Monsterdämon unterlag, hat dieser Magier das Hotel mit einem unsichtbaren Barrierespruch versiegelt: nichts was magisch ist, ob Objekt oder Wesen, kann das Haus verlassen. Die Wege verschiedener Interessengruppen kreuzen sich nun im Nymphenburger Hof, meist recht plötzlich und im Laufe des Romanes mit viel Handgemenge, Flüchten, in Deckung hechten und (im besten Sinne) Geschmachte. Das klingt dann zum Beispiel so:

Leutnant Udolf von Görenczy vom Königlich Bayerischen 3. Chevaulegers-Regiment Herzog Karl-Theodor und Leutnant Asko von Orven vom Königlich Bayerischen 1. Jägerbataillon König rannten den Hotelkorridor entlang und passierten just das Zimmer mit der Nummer 312, als lautes Schreien anhub. Sie hörten zwei schrille Frauenstimmen, deren Intensität und Lautstärke die dicke Holztür nur unwesentlich dämpfte. Sie hielten abrupt inne, wobei ihr Schwung sie fast zu weit trug.[01]

Udolf und Asko sind im Auftrag von ›Märchenkönig‹ Ludwig II. vor Ort, um den Machenschaften auf den Grund zu gehen. In Kooperation mit den Beklauten, wird ihnen von der britischen Botschaft ein Agent für besondere Aufgaben, Colonel Delacroix, der mit einem finsteren Fluch geschlagen ist, sowie der schottische Meister des Arkanen Aengus McMullen zu Seite gestellt. Die gerade erwähnten Damenschreie stammen von Corrisande Anthea Jarrencourt, einer jungen, zierlichen englischen Dame die in Bayerns Adleskreisen nach einem passenden Gemahl sucht und die im Lauf des Romanes entdecken wird, was sie eigentlich für ein Wesen ist, und ihrem Dienstmädchen Marie-Jeannette Bouchard, einer rotlockigen und für eine Zofe etwas zu frech-eigenwilligen Französin. Als moralischer Kompass, sprich Anstandsdame, wacht die Witwe Mrs. Parslow über die beiden jungen Dinger. Zudem schleichen Widerstandskämpfer einer ungarischen (anti-österreichischen) Terroristenzelle durch das Hotel und wollen das Zaubermanuskript als Druckmittel gegen die Unterdrückung ihrer Heimat durch die K. & K.-Authoritäten an sich bringen. Der jahrhundertealte Graf Arpad, eine Art Gentleman-Vampir (›windswept & dangerous‹) und freischaffender Geheimagent, führt diesen Haufen an. Als weitere, einigen der Herren die Sinne verwirrende Herzensdame, tritt desweiteren die kapriziöse Opernsängerin Cérise Denglot auf. Und komplettiert wird der Machtkampfstadel durch die sinistere und rücksichtslose Fundamentalistengruppe der katholischen Bruderschaft des Lichts.

Ju HonischWer auf Äktschn und Magiekämpfe steht, wird reichlich verköstigt, wenn sich mit Messern, Säbeln, Luntenpistolen, Zaubersprüchen und -Amuletten auf den Leib gerückt wird. Besonders gelungen sind auch die Passagen aus Sicht des wilden, gestaltlosen Dämon, der als Bedrohung für alle Parteien sein Unwesen treibt, und der gleich einem mörderischem Poltergeist durch das Hotel spukt.

›Typisch weiblich‹ an »Das Obsidianherz« ist das ausgesprochen geschickt gehandhabte feine erotische Prickeln, dass zwischen den verschiedenen Figuren perlt wie Champagnerblubberbläschen. Die biedere Epoche des mittleren 19. Jahrhunderts bietet für eine gewiefte Geschichtenerzählerin wie Ju eine tolle Spielwiese, da bereits kurz entblößte weibliche Fußknöchel etwas Unerhörtes sind, oder wenn es gilt, die Kunst des willentlichen Errötens und Erblassens diplomatie- und intrigentaktisch vorteilhaft einzusetzten. Gesteigert wird die Erotik freilich durch magische Aspekte, zum Beispiel wenn der sonst übermenschlich robuste Graf Arpad dann doch mal derart schlimm lädiert wurde, so dass ihm eine der Damen stärkenden Blutzoll gewährt und es dabei zu einer vorrübergehenden Seelenverschmelzung kommt. Nicht zuletzt verbeuge ich mich bewundernd davor, wie viel Vergnüglichkeit die facettenreichen Konverstionsverwicklungen bereiten, da alle Figuren gesegnet sind mit den verschiedensten Zweifeln, Sturheiten, Vorlieben und Abneigungen, die lebendig und überzeugend gezeichnet sind.

Kurz: das perfekte Buch um sich (›einfach nur‹) zurücklehnen und es zu genießen, um zu schmunzeln und mitzufiebern in einer atmosphäregesättigten magisch-bayerischen Alternativwelt. Nicht zuletzt erfüllt »Das Obsidianherz« mir eine persönliche Genre-Sehnsucht, denn dieser Roman hilft, nicht nur weil er hübsch umfangreich ist, eine Kluft zu schmälern, die sich hierzulande auftut, wenn man nach qualitätsvoller, solide geschriebener History-Phantastik für Erwachsene (ab etwa dem 14 Lebenshahr) dürstet. Genauer gesagt geht es um eine Fiktionstradition, die beispielsweise im Englischsprachigen nie verloren gegangen ist, nämlich eine prominente Epoche der Vergangenheit durch ein Zauberprisma zu betrachten, so dass eine wundersam gefärbte Alternativweltvergangenheit erscheint, deren zur Epoche passendes, typische-alltbewährtes Figurenensemble mit reichlich neuen Ecken und Kanten, Dralls und Twists versehen wurde.[02] Ich bin zuversichtlich, dass sich (vielleicht nicht nur im deutschsprachigem Raum) mit dem Erscheinen weiterer Bücher aus der »Das Obsidianherz«-Welt noch herumsprechen wird, wie gut die Unterhaltungskunst von Ju Honisch ist.

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Ju Honisch: »Das Obsidianherz«, Pro- & Epilog, 96 Kapitel, auf 809 Seiten; Gloassar & Dramatis Personæ; Feder & Schwert Origin (Taschenbuch), 2008; ISBN:

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ANMERKUNG:

[01] Beginn von Kap. 3, S. 37. ••• Zurück
[02] Ju Honisch braucht den Vergleich mit anderen Vertreter(inne)n dieser Genre-Tradition nicht scheuen, zum Beispiel Susanna Clarke (»Jonathan Strange & Mr. Norrell«), Gordon Dahlquist (»Die Traumbücher der Traumfresser«), Mark Frost (»Sieben«) oder Randall Garrett (»Lord Darcy«-Geschichten & Romane), und mit Vorbehalt, weil ich selbst sie nicht schätze, wohl auch den Vampir-History-Romanzen von Anne Rice. ••• Zurück
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