Ja wo samma denn?
(Eintrag No. 440; Grafimente) — Große Ansicht meiner Illustration für den ORIENTIERUNGS-Eintrag. Digitalcollage aus verschiedenen Skribbels und einem alten Selbst-Ich. Keine Ahnung mehr, wann die einzelnen Teile entstanden sind.
(Eintrag No. 440; Grafimente) — Große Ansicht meiner Illustration für den ORIENTIERUNGS-Eintrag. Digitalcollage aus verschiedenen Skribbels und einem alten Selbst-Ich. Keine Ahnung mehr, wann die einzelnen Teile entstanden sind.
(Eintrag No. 439; Lyrik, Juvenilia, Deutschland) — Auch heute habe ich wenig Zeit, aber es ist mir nicht zu peinlich etwas aus meinem Archiv anzubieten. Diesmal Jugenddichtung, genauer: mein freies Lyrik-Triptychon über meine Teenagerbefindlichkeit zum Thema ›Deutscher sein‹, geschrieben am 13. Mai 1990, Hepberg. Zur Erinnerung: Damals regierte seit gefühlten 100 Jahren der Kandesbunzler Kohl.
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I. PECHSCHWARZ
pechSCHWARZ wird mir vor augen wenn ich an sie denke
pechSCHWARZ ist das innere ihrer welten die meine zukunft werden sollen
pechSCHWARZ ist wohl der himmel in dem sie zu herrschen glauben
pechSCHWARZ ist ihre treue die sie zum gelde haben
pechSCHWARZ sind die geschäfte die sie betreiben
pechSCHWARZ müssen ihre herzen und ihre seelen sein
II. BLUTROT
bei dem kampf / um die macht / ist jedes mittel / die eignung / wird eingefangen / sterilisiert / eingedost / zu den akten / bei den wahlen / enblößt sich ihr denken / oder auch nicht / am ende sind sie es nicht / sondern andere / im hintergrund.
sie sind die wahren bewahrer / sie kennen sich aus / sie halten wacht / an den toren / freunde und klüngel / überall und immerdar / jeder ist für sie / jeder von ihnen / ist absolut ersetzlich / doch ihre taten sind entsetzlich / sie strecken den gewinn / und nutzen alle hebel / widerstände gibt es viele / und so ist ihr pfad / durch die akten / blutROT
III. KATZENGOLD
Wer sagt denn, dass ich glücklich bin — hat das Leben einen Sinn? Dass alles so schön rosa funkelt, hat wohl ein Elephant gemunkelt. Oder tragt ihr nach ob’rigen Willen etwa alle rosa Brillen?
Ihr seid wohl alle echt vernarrt, in euren Billigsupermarkt. Alles ist so schrecklich günstig, und macht die Zuckenden blutrünstig. In eurem Lifestyleshopzentrum lebt ihr nur für den Konsum.
Der Freigeist wurde arg verzollt, es schwirren keine Träume durch die Köpfe, kein Leben, keine Luft, nur gestutzte Zöpfe, und alles hetzt nach KatzenGOLD.
In diesem Land, da gibt es Leute, die woll’n Geschichte machen — heute! Die nehmen Anlauf, woll’n springen, und das Land hier vorwärtsbringen. Doch ich glaub’ für diesen Kanzlerschein, wird’s wieder nur ein Fettnapf sein.
Wer sagt denn, dass ich glücklich bin —
(Eintrag No. 438; Grafimente, Skirbbel, Lovecraft) — Auch heut habe ich keine Zeit für neuen heißen Scheiß, und wieder erfülle ich meinen guten Vorsatz fürs 2008-er-Jahr hier ein Jahr möglichst täglich zu posten damit, indem ich mir mit altem heißen Scheiß aus einem meiner Skizzenbücher behelfe.
Hier also: »Ein Koch, italienischer Schule, jiddisch-cthuluianischer Herkunft, mutiert (was sonst?) und auf der Suche nach etwas zum Braten«.
Aus dem »Die Geschichte ist das Symptom unserer Krankheit«-Scetchbook.
Rotring Art Pen in Ursus-Blankheft; Ca. 111 x 94 mm; Februar 1996, Marburg.
Eintrag No. 437 — Frank Weinreich, Autor der erfeulichen Einführung zur »Fantasy«, hat für die Phantastik-Couch unter dem Titel »Äxte am Stamm der Moderne — Fantasy und Romantik« einen lockeren und lesenswerten Essay geschrieben. Unter anderem reagiert er dabei auf das Buch »Romantik« von Rüdiger Safranski.
Im dazu erblüten Thread »Fantasy — Stiefbruder der Romantik« der »Bibliotheka Phantastika« geht man den Banden zwischen Romantik und Fantasy nach und sinniert u.a. über den (vermeindlichen) Gegensatz von Wissenschaft & Magie, von Moderne und Fantasy.
Vor allem meine Lektüren von China Miévilles Bas-Lag-Romanen (z.B. »Perdido Street Station« und »Der Eiserne Rat«), Neal Stephensons »Barock-Zyklus« und Susanna Clarkes wunderbaren Fantasygeschichten die in der Regency-Epoche angesiedelt sind, haben mich in den letzten Jahren heftig über solche Fragen grübeln lassen.
Hier auch für die Molochronikleser meine Ergenisse des Google-Orakels zum Thema.
Und ganz allgemein erhellend zum Thema sind die »Fantasy World Building Questions« von Patricia C. Wrede.
Ebenfalls sehr ertragreich und abseits des üblichen Fantasy-Mainstreams (wo, zumindest meiner Wahrnehmung nach, eine gewisse romantische Affinität für Magie und Neuheidentum vorherrscht) ist die Reihe »Die Gelehrten der Scheibenwelt« von Meisterfabulator Terry Pratchett und der Wissenschaftler Ian Steward & Jack Cohen. Meine Rezi dazu wird erst in den kommenden Monaten hier eingepflegt (hier derweil mein Trailer). Bis dahin bleibt nur, entweder das aktuelle »Magira — Jahrbuch zur Fantasy 2007« zu lesen, oder auf diese exzellente Besprechung von Andreas Müller beim Humanistischen Pressedient auszuweichen.
(Eintrag No. 436; Skribbel aus dem Archiv) — Aufmerksame Molochronikleser haben’s vielleicht schon bemerkt, aber ein guter Vorsatz für 2008 ist — neben anderem — dieses Blog wirklich als Tagebuch zu führen. Leider Strudelt um mich herum derzeit einiges in heftigen Krisen, plus ich hab richtig viel zu schreiben und abzugeben demnächst. Als Notlösung behelf ich mir damit, dass ich meine alten Skizzenbücher durchforste. Ich weiß, das ich billig, das scheint eitel und hurig. Aber bitte, irgendwo muß auch ich plündern um täglich ›Content‹ liefern zu können, und wenn schon, dann plünder ich bei mir selber.
Hier, passend zur derzeitigen Ressentimentkampagne von Hessen-CDU-Meister Koch (zu dem mir, wenn ich an ihn denke, immer ein »Küsch müsch, kömm ich bin der Koschkönisch« durch den Hallodrikopf spukt) ein Skribbel aus meinem »Zenit & Nadir, oder: Von Tusche & Tinte«-Scetchbook (No. IV).
Rotring Art Pen in Brunnen-Blankoheft. Ca. 190 x 140 mm; nach einem Photo aus dem »Der Spiegel«; 28. Dezember 1993, Wien.
(Eintrag No. 435; Woanders, Spielerei) — Schönheit, Eleganz, Großzügigkeit, Ideenreichtum. Das sind ganz grob einige Eigenschaften die für mich (unter anderem) einen Amœnokraten ausmachen, also einen Anhänger oder Vertreter der ›Herrschaft der Schönheit‹. Wer von den geschätzten Molochroniklesern nix zu tun hat oder schöne Kurzweil von allzu harter Arbeit braucht, den verweise ich auf die wunderbare Seite des amerikanischen Designers Ferry Halim. Nicht nur sind seine Sachen wunderbar gestaltet und auch auf meinem alten, etwas lahmen Mac flüssig zu gucken … nein, der (oder die?) Gute hat hier ein abwechslungsreiches Potpourrie mit derzeit 59 kleinen Zwischendurchspielen zusammengestellt. Alle für umme!
Hier drei Direktlinks zu meinen Favoriten:
Ich bin sicher, es ist für jeden Geschmack etwas dabei. Viel Vergnügen und nicht vergessen ab und zu auf die Uhr gucken (Kinder! Schon wieder soooo viel Zeit verdaddelt!!)
Eintrag No. 434
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Das gute Stöffche der Susanna Clarke’schen Phantastik wurde mir zum ersten Mal in der von Neil Gaiman herausgebenen Anthologie mit Kurzgeschichten aus dem Universum seiner »Sandman«-Comics kredenzt, und später lag einer Gallery-Mappe zu Gaimans und Charles Vess »Stardust« eine weitere Kurzgeschichte von Clarke bei[01]. In der Autorenbio der »Sandman«-Antho von 1996 heißt es (Übersetztung von Molo):
Gute zehn Jahre hat Clarke an »Jonathan Strange & Mr. Norrell« (= JS&MN) gefeilt, bis der Roman 2004 erschien.
Welch eine Freude! Was für eine Wohltat, wie JS&MN mittlerweile aufgenommen wurde, sowohl bei den Genre-Lesern, als auch von der Zunft der berufsmäßigen Literaturmeinungsverbreiter in Großmedien und Feuilletons. So jubelt beispielswiese Denis Scheck für die TV-Sendung »Druckfrisch«:
und Nina May für »Die Zeit«:
Aber, in beiden Lagern (bei Fantasylesern und Literatuuurverköstern) äußerte man verschiedentlich auch Befremden oder Unwohlsein über einige Eigenschaften von Clarkes Roman. Befremdet zeigte sich auch eine angesehene englische Literatin[02], die Clarke im Vorfeld der Veröffentlichung von JS&MN zwar begeistert bescheinigte, einen außergewöhnlich guten Roman vorgelegt zu haben, aber Clarke solle das Buch doch besser nicht selbst freimütig als ›Fantasy‹ bezeichnen, dass würde ja die anspruchsvolle oder ernste Leserschaft auf falsche Fährten locken und verschrecken. Diese Denkfigur ist ja bekannt: wenn ein Buch gute Literatur ist, dann kann es keine Genre-Fantasy sein. (Und ergänzend das andere in meinen Augen genauso dumme Vorurteil: Fantasyleser können eigentlich niemals wirklich ›ernsthafte‹ oder ›anspruchsvolle‹ Leser sein.)
Natürlich sind Einwände gegen die prägnanten Eigenschaften solch guter Literatur wie JS&MN nicht immer gänzlich kraftlos. Wer auf einen zügigen Fortlauf und klaren Bezug von Ereignissen wert legt, wer positive, leicht zu handhabende Rollenverteilung bevorzugt, wer mehr eine Schwäche (oder grad eben eher Gelegenheit) für ›Auf Sie mit Getöse‹-Äktschn und verlässliche Achterbahn-Thrill- und/oder Gefühlskissen-Einlagen hegt, wird hart und wohl weitestgehend freudlos an JS&MN zu knabbern haben, und nach einigen hundert Seiten beiseit legen. Wem es so ergeht, ist nicht automatisch ein schlechter oder dummer Leser. Man outet sich halt nur, ein ungeduldigerer Leser[03] in Sachen ›Worum geht’s denn nu?‹-Haltung zu sein.
Da ist es bequem, dass sich mittlerweile die nicht oft bietende Gelegenheit auftut, und man sich wie bei einem guten alten Rollenspiel-Buch[04] auf, in diesem Fall, zwei grundsätzlich verschiedenen Wegen in eine Fantasywelt begeben kann:
Da JS&MN bereits mit einiger Aufmerksamkeit bedacht wurde, stelle ich im Folgenden »Die Damen von Grace Adieu« (= DVGA) ausführlicher vor[05].
DIE KURZGESCHICHTEN
Leider wurde für die deutsche Ausgabe nur das ornamentale Blumenmotiv des Umschlags übernommen, die restlichen, entzückend anmutigen Illustrationen von Charles Vess[06] der hiesigen Leserschaft aber traurigerweise vorenthalten. Da blühen Prunkwinden, Sterne und Vollmond kehren mehrmals wieder, Eulen im Flug; zwei der drei Damen von Grace Adieu halten sich beschwörend an den Händen, die dritte betet, alle tragen typische Regency-›Elfenkleidchen‹ mit Kaschmirschultertuch, Puffärmeln und gesogten Bündchen; aus einem Buch klettern kleine Kobolde und ranken sich belaubte Ästchen; ein kleiner Junge steht auf der Mauer einer Turmruine umflattert von einem Rabenschwarm; nächtliche Hügel mit Hirsch, Hundemeute und rufenden Gestalten im Nebel; eine junge Frau mit Haube und Korb guckt in einem dichten Wald durch einen schmalen Ausblick auf einen Weg der zu Steinkreisen und einem ummauerten Turm führt; an einem Kirchturm fliegt ein kleines Schiffchen mit drei fröhlich musizierenden Engelsmännekens vorbei; Mary of Scottland sitzt vor einem Gobelin und stickt mit finsterem Blick; drei Heilige schauen ehrfurchtsgebietend auf den Betrachter herab.
Zuerst spricht ein gewisser Prof. James Sutherland (im Jahre 2006 Direktor für Sidhe-Studien[07] an der Uni Aberdeen) zu uns, als Autor des Vorwortes und Herausgeber der Kollektion, später noch mal als Erzähler/Bearbeiter einer der Geschichten. Die magisch-historische Alternativwelt von Clarke umfasst sich nicht nur die mittelalterliche und frühneuzeitliche Vergangenheit bis zum Regency. Laut Sutherland soll DVGA zum einen helfen, die Entwicklung der Zauberei auf den Britischen Inseln zu verstehen, zum zweiten dem Leser einige Einblicke und Rat liefern betreffs des Umgangs mit Elfen sowie deren schwer durchschaubaren Manipulationen menschlicher Angelegenheiten.
In dem Roman JS&MN ist Zauberei ja zuvörderst eine Männer-, genauer gesagt eine Gentleman-Angelegenheit, und der Erzählungsreigen ergänzt vorzüglich, da uns (nicht nur) durch die titelgebende Eröffnungsgeschichte »Die Damen von Grace Adieu« (1996) etwas von den weiblichen Zauberkünsten gezeigt wird. Hier lernt man die vielleicht drei fähigsten Zauberinnen des Regency-Englands zur Zeit von JS&MN kennen, die in dem kleinen (fiktiven) Kaff Grace Adieu leben, und sich bei ihren abendlichen Unterhaltungen über ihre männlichen ›Kollegen‹ Norrell und Strange uffregen, ansonsten sie als Kindermädchen auf Weisen aufpassen (Miss Tobias), als Witwe ein angenehmes Dasein pflegen (Mrs Field) oder mit Unbehagen über Heiratsfragen grübeln (Cassandra Parbringer). Der illustre, jüngere Meisterzauberer im Dienste Englands, Jonathan Strange, besucht zusammen mit seiner etwas überdrehten Frau Arabella deren Bruder Henry, von dem es heißt, er wolle die junge Cassandra ehelichen (die dazu lieber nix sagt). Wie überall, wo Jonathan weilt, ist er die Attraktion des Ortes, und er begegnet nächtens den drei zauberhaften Damen zwischen Wald und Hügel. Zugleich werden die Damen von unangenehmen Zeitgenossen heimgesucht, und ›Eulen sind nicht das, was sie zu sein scheinen!‹
In »On Lickerish Hill« (1997) lesen wir die dialektgefärbten Aufzeichnungen von Miranda, einer schlauen jungen Dame aus einfachen Verhältnissen, die mit dem wenig umgänglichen Sir John Sowreston verheiratet ist. Zum einen schildert die Geschichte eine Variante des Rumpelstilzchen-Märchens, und wie Miranda sowohl ihren Gatten als auch den spinnenden Elfen austrickst. Andererseits ist Miranda auch Gastgeberin eines wuseligen Gelehrtengrüppchens (die Royal Society ist noch in ihren Kindertagen), zu denen auch John Aubrey gehört[08]. Die Herren Gelehrten tummeln sich als Elfenkundler im moorigen Umland, entwerfen Fragenkataloge, für den Fall, dass sie mal einen Elfen erwischen, streiten natürlich immerfort leidenschaftlich und versuchen sich im Beschwören von Elfen.
Venetia, die Heldin der Geschichte »Mrs. Mabb« (1998) ringt mit dem Wahnsinn, denn ihr Geliebter weilt mit seinem Regiment in der Ferne im Kampf gegen Napoleon, oder doch nicht? Fiel er nicht vielmehr der Becircung der geheimnisvollen Mrs. Mabb anheim? Insekten spielen eine wichtige Rolle[09] und Venetia verbreitet bei ihren Versuchen die Schliche von Mrs. Mabb zu ergründen Unruhe unter deren Gästen und Familienangehörigen. Ins Irrenhaus eingeliefert zu werden dräut der Verzweifelten als Schicksal.
»Der Herzog von Wellington geht seines Pferdes verlustig« (1999) ist der kürzeste Beitrag der Sammlung und lässt den große Helden (eine Art Rockstar seiner Epoche) Lord Wellington triumphieren, indem er es versteht, mit Nadel, Faden und Schere um sein Leben zu kämpfen.
»Mr. Simonelli und Der Elfen-Witwer« (2000) kommt in Form von Tagebuchauszügen der Titelfigur daher. Mr. Simonelli, ein junger Protestant italienischer Abstammung, nimmt, um den unaufhörlichen Intrigen Cambridges zu entkommen, eine Stelle als Landpfarrer an. Dort lernt er John Hollyshoes kennen, einen ihm bisher unbekannten Verwandten, der in dem heruntergekommenen Anwesen Allhope lebt. Hier treibt Clarke das Scharadenspiel zwischen Elfenprunk und tatsächlichem Verfall am weitesten, und Simonelli findet sich zu seiner Überraschung in der Rolle es beherzten Frauenretters wieder.
»Tom Brightwind oder Wie die Brücke in Thoresby gebaut wurde« (2001) ist die munterste Geschichte, mit den tollsten Zaubereikunststückchen. Herausgeber James Sutherland erzählt auktorial (mit Fußnoten) von einem im Jahre 1780 spielenden Abenteuer der Freunde David Montefiore, einem betont vernünftigen jüdischen Arzt, und Tom Brightwind, einem wohlhabenden Elfen, geschlagen mit einer quirligen Rasselbande junger Prinzessinstöchter.
»Antickes & Frets« (2004) handelt von der Konkurrenz zwischen Elizabeth I. und Mary von Schottland. Mary sinnt auf Rache und Thronübernahme und gibt sich zu diesem Zwecke alle Mühe, von der Heiratskarrieristin Bess Hardwick zu lernen, wie man mittels Stickereien Leute killt.
Zuletzt widmet sich Clarke/Sutherland mit »John Uskglass und der Cumbrische Kohlenbrenner« (2006) dem legendären Rabenkönig, dem mittelalterlichen Champion der englischen Zauberei, der schon in JS&MN eine wichtige und verrufene Rolle inne hat. Der junge Rabenkönig Uskglass verbreitet leichtfertig Chaos auf einer Waldlichtung, dem Zuhause eines einfachen Kohlenbrenners und seines Schweins. Der Kohlenbrenner will Vergeltung und klappert dazu die nächstgelegenenen Kirchen ab, wo die Heiligen (St. Kentigern, St. Barbara & St. Oswald) aus ihren Glasmalereihimmeln herabsteigen, um mit perfiden Zauberein dem aus Leichtsinn rücksichtslosen Uskglass erzieherische Lektionen zu erteilen.
Letztes Jahr habe ich gemosert wegen zu schnell und unbedacht gezogener ›Typisch Englisch, halt so wie bei Charles Dickens‹-Vergleiche. Bei Clarke kann aber auch ich solchen Vergleichen mit den üblichen Verdächtigen zustimmen: Clarkes alternativgeschichlich-magischer Weltenwurf verdankt nicht wenig den Romanen von Dickens und Jane Austen, denn Charakterzeichnung und die Schilderungen komplexer Standes- und Gesellschaftsregeln ist mehr Raum gewidmet, als knalliger Äktschn, und sind auf anregend durchdachte Art mit den magischen Vorgängen verbandelt. Clarke zeigt sich in ihrer Kurzgeschichtensammlung als meisterhafte Stimmenimmitatorin, die scheinbar mühelos die manchmal formelhaften Schematas von Märchen zu überraschend zu varieren und neuzubeleben versteht, mit dem für Kleinigkeiten aufmerksamen Alltags-, Konversations- und Sehnsuchtshin- und her, durch das eben die Romane von z.B. Thackery, Austen oder der Brontegeschwister zur Weltliteratur aufstiegen. Zwischen diesen beiden Erzählkonventionen pendelnd (Märchenfantasy hie, realistische Gesellschaftsprosa da), gelingt es Clarke spielerisch, ihre Leser und Protagonisten amüsant an der Nase herumzuführen und zu überraschen.
DER ROMAN
Spätestens seit Shakespeare ist ja bekannt, dass die Welt eine Bühne, und wie wichtig es deshalb ist, sich gemäß des eigenen Platzes in der Gesellschaft zu verhalten. Doch wer verteilt die Rollen und wie ergeht es Personen, die sich partout danach sehnen, von ihrem zugedachten ›Text‹ abzuweichen? Eine ganz ähnliche Frage, nur von ungleich größerem Format, eröffnet Clarkes dicken Roman JS&MN[10]. »Warum gibt es keine Zauberei mehr in England?«, will eine Versammlung von Gentleman-Zauberern zu Beginn ergründen, und einige unter ihnen sind nicht Willens, dieses Schicksal länger hinzunehmen. Diese Herren studieren zwar (allerweil streitend) die Geschichte der Zauberei, sind aber selbst zu keinerlei magischen Taten im Stande. Wegen des Rufes seiner exzellenten Bibliothek, treten die Gentlemen-Zauberer brieflich in Kontakt mit dem schrulligen und dauerschlechtgelaunten Bücherwurm Mr. Gilbert Norrell auf, der laut eigener Auskunft der einzige wahrhafte lebende Zauberer Englands ist. Nach einigem Zögern entschließt sich Norrell die Provinz zu verlassen und siedelt nach London über, um sich in den dortigen Salons darum zu bemühen, der englischen Zauberei zu neuem Glanz zu verhelfen., und mit ihr England im Krieg gegen Napoleon beizustehen. Mit seinen ersten magischen Kabinettstückchen überwindet Norrell das anfängliche Misstrauen der Entscheidungsträger aus Politik und Militär. Doch, ›Oh je!‹, der scheue Misanthrop findet sich dann, sehr zu seinem Missfallen, bedrängt von der aufgeregten Neugierde und den mannigfachen Begehrlichkeiten der besseren Gesellschaft, und begeht einen großen Fehler, als er eine junge Dame vor dem Tod errettet. Norrell sichert sich eifersüchtig und despotisch die Stellung des exklusiven Staatszauberers, ringt sich aber schließlich durch, seine Kenntnisse und Fertigkeiten mit einem Schüler zu teilen. Als solcher kommt verhältnismäßig spät, am Ende des erstens Drittels, Jonathan Strange in die Geschichte.
Der Kontrast der beiden Titelfiguren erinnert mich im besten Sinne an das Couplet, das Walter Matthau und Jack Lemmon in ihrer Laufbahn mehr als einmal grandios geboten haben: der Ältere ein emotionell harter und zerknautschter Griesgram, der Jüngere ein verplapperter und naiv-hochmütiger Hupfdibupfdi. Während Norrell in England bleibt um stets gereizt, verkrampft und paranoid das seine zum Krieg und der Magie-Renaissance beizutragen, begibt sich Strange ins Ausland zu den Truppen auf der iberischen Halbinsel[11]. Im diesem zweiten Drittel des Romans kommen nun auch Äktschn-Fans vermehrt auf ihre Kosten. — Überhaupt: Clarke steigert (für meinen Geschmack wunderbar) altmodisch sachte und subtil die Spannungs- und Spektakel-Dosis. Nicht selten schlendert der Romanfortgang scheinbar planlos herum, lässt sich athmosphärisch hie und da ein klein wenig treiben, schildert aber sonst mit der gewitzten Präzision die scharfer Beobachtung eigen ist, und die hier zudem gut Hand in Hand mit der (typisch) britischen Sitte einhergeht, Gemeinheiten und Tiefschläge zwischen feinen Ranken von spitzen Unterschneidungen zu platzieren. Zudem, und hier bedient Susanna Clarke ganz besonders meine speziefischen Phantastik-Gelüste, lässt sie gern auch mal kecke Büschel kleiner Groteskerien sprießen, oder balanciert souverän ganze Szenen auf einem schmalen Grad zwischen augenöffnender Plausibilität und prickelnder Abstrusität.
Als einer, dem mittlerweile einfach gestrickte Macho-, Strahle- oder Antihelden abhold sind, fand ich mein exquisitestes Vergnügen bei Clarkes feinem Amüsement über den Hang von Männchen zur geheimniskrämerischen Wichtigtuerei bzw. flamboyanter Prahlerei[12]. Keine Zweifel habe ich, dass sich Susanna Clarke mit ihren beiden Büchern jetzt schon in die Riege der ganz großen Vertreter der Phantastik geschrieben hat. Sie versteht vorzüglich, ihre Figuren als leicht übertriebene Karikaturen zu gestalten, und sie dennoch mit Würde und Einfühlungsvermögen zu behandeln — ein leider nur ziemlich selten zu findendes Lektürevernügen. All diese Qualitäten von Clarkes Schreibe, lassen mich der in Arbeit befindlichen (für sich stehenden) Fortsetzung von JS&MN entgegenfiebern. Immerhin: nach der feinen Salongesellschaft und ihrer Handlanger, will sie sich diesmal vermehrt mit den unteren Schichten der Gesellschaft auseinandersetzten. Ich hoffe nur, dass sie nicht nochmals 10 Jahre braucht.
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ANMERKUNGEN
Heyne 2001, S. 87, übers. von Joachim Körber. ••• Zurück
(Eintrag 433; Wartung) — Muss auch mal so ein Technorati-Profil anlegen. Die Stimme des höheren Aufnahmeprozedere-Wesens sagt: Poste Technorati-HTML-code in einem neuen Beirag.
So. Mal gucken was nu passiert … und duck.
(Eintrag 432; Woanders, Hessenwahl 2008) — Andrea hat sich in »Ordentliche Grüße aus dem Zuwandererviertel« eigentlich nur mal ausführlicher Gedanken über einen programmatischen Wahlkampf-Krampf der CDU gemacht, aber in den Comments artete es dann aus zu einem lustigen Ringelrei an Ideen, wie man Deutschland wieder erträglich machen könnte. Die kommentierenden Leser tauschen da munter Städte und Regionen mit Nachbarländern gegen passendere Eckchen und Örtchen ein, entwerfen feine neue Fahnen und und und.
Gesundheitshinweis: Die vielen Anlässe zum lauten Lachen könnten Raucherlungen in Turbulenzen stürzen.
(Eintrag No. 431; Gesellschaft, Medien, Zeitungen vs. Blogger, Feindversteher) — Nachdem ich ja nicht ganz vor der Blogger-(Un)Art gefeit bin, schon mal mit Schmackes über die etablierten Einweg-Medien herzuziehen, muß ich jetzt mal als durchaus auch nach Ausgleich strebender Querdenker ein feines Beispiel anführen, wie etablierte Journalisten sozusagen mit gewitztem, subjektivem, frechem Bloggerstil brillieren.
Die »Pro & Contra«-Schubalde der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« vom vergangenen Heilig-Drei-Königswochenende wurde von Peter Richter und Nils Minkmar dazu genutzt, auf zwei Weisen das Bein zwecks Spottwasserlassens am Baum des Roland Koch’schen ›Gewaltkids Populismus Schwachsinnsgewächs‹ zu heben.
»Roland Koch pocht darauf, ausländische Gewaltkids zittern davor: Sollen deutsche Sitten eine größere Rolle spielen?«, lautet die zu verhandelnde Frage.
Unter der Überschrift »Sitten und Geräusche«, dem »Pro«, unterbreitet Richter die erzpragmatische Idee, die gewalttätigen Jugendlichen mit ausländischem Herkunftshintergrund aus Westdeutschland zu den gewalttätigen Jugendlichen mit neonazistischem Gebahren nach Ostdeutschland zu schicken. Eurosport könne das Gekloppe dann übertragen. Das wäre, so Richter, effizient, was ja mal als deutsche Sitte galt (, oder noch gilt, oder wieder mal gelten sollte). Alle glücklich.
Und mit dem Titel »Bitte ohne Sitte«, dem »Contra«, zählt Nils die drei tatsächlichen deutschesten Sitten der Gegenwart auf: (i) Ausdiskutieren, (ii) Beschildern und (iii) Reservieren.
Zu der ekligen Kampagne von Koch, CDSU und Co fällt mir eigentlich nur folgendes ein. Ehrlichkeit, Anstand, Offenheit und Gastfreundschaft, sind das nicht Werte, die auch für uns Deutsche wertvoll sind, oder mal waren, oder wieder werden sollten?
Was kann man von einem Politiker wie Koch halten(?), der z.B. schon mal das Nachtflugverbot vom Himmel verspricht, um es wieder zu entsorgen, wenn es denn dem ›An der Nase herumführen der Betroffenen‹ beim Ausbau des Frankfurter Flughafens dienlich ist. Wie ehrlich und aufrecht hat sich dieser Koch wirklich für eine ›brutalstmögliche Aufklärung‹ von Korruption und Schwarzgeldgeschiebe ins Zeug geworfen, wenn außer ein paar lächerlich kosmetischen Rügen und harmlosen Konsequenzen nichts geschah? Herr Koch. Machen Sie sich mal stark für eine Überführung von Herrn Schneider aus der Kanadischen Ferne.
Wie dem auch sei, ich freue mich, dass Richter und Minkmar in der »F.A.Z.« so schön in Tucholsky-Beltz’scher Manier herumwitzeln, repektlos und larifarisch, wie es sonst (angeblich) nur pöbelnde Stinkebloggern tun. — Als bereits in jungen Jahren von Kabarret und Satire versauter Springinsfeld ist mir eh klar: Als Satire verpackt, darf man die Wahrheit klar und deutlich auch öffentlich verkünden. Wer jedoch als seriös gelten will, muß sich eiertanzender Euphemismen- und VerSchleiertanzakrobatik bedienen.
November 2024 | ||||||
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