Eintrag No. 680 — Bald schon Mitternacht, aber noch istDienstag und damit nicht zu spät für einen Wochenrückblick. Diese Woche wieder mit Links..
Lektüre: Zehn Seiten noch in »Zettel’s Traum«, und ich bin mit Teil I (»Das Schauerfeld oder die Sprache von Tsalal«) von VI fertig und damit bei Seite 138 von ca. 1500. Ich kann sagen, dass ich (immer noch) vergnügt vor mich hinlese.
Sehr fein finde ich, dass die ›Arno Schmidt Stiftung‹ mittlerweile mit dem »Zettel'sTraum«-Beispielheft ein nützliches PDF anbietet, in dem präsentiert wird, was typographisch in dem Buch an spannenden Dingen abgeht. Unvermeidlich werden einem dabei natürlich einige Beispiel-Seiten geboten, anhand derer man sich als Unbedarfter mal angucken kann, wessen Wahnsinns kesse Beute Arno Schmidt wohl war, als er ZT geschaffen hat. Ich habe ja weniger meinen Spaß damit, »Zettel’s Traum« als Mega-Kreuzworträtsel anzugehen, sondern eher auf eine Art die …
… die auch Denis Schenk erfrischend schildert, wenn er sich als »Zettel'sTraum«-Veteran outet, und für »Druckfrisch« dieses Trumm empfiehlt. Wunderbar respektlos (respektlos, wie es nur echte Fans sein können / dürfen) meint er nicht ganz unrichtig:
Es (= »Zettel'sTraum«) ist ein typisches Produkt der fortschrittsgläubigen Moderne, man könnte auch sagen eines typisch männlichen Wer-pisst-am-höchsten-Denkens in der Kunst.
Dank an Markus M. für den Hinweis!
In eigener Sache: Frank Weinreich bespricht für sein ›Polyoinos‹-Blog Simon Spiegels »Theoretisch Phantastisch« sehr begeistert und findet sogar nette Worte zu meinen Illustrationen. Das macht mir Mut!
›SchönerDenken‹ hat mit »Der Maulwurf in der digitalen Welt« nun ein Potpourri aus den Beiträge ihrer Moleskin-Blogparade (bei der ich auch mitgemacht hatte) zusammengestellt.
Netzfunde
Christenschande: Frohe Botschaft (=Fantasy) offenbaren, aber widerliche Wirklichkeit unter den Teppich kehren (wenn ’se der eigenen Firma schaden könnt): Thorsten Stegemann hat für ›Telepolis‹ mit Vertuschen im Namen des Herrn über das Gutachten betreffs der Missbrausfälle in der Erzdiözese München und Freising berichtet. — Für die ›Junge Welt‹ hat Gerd Feldkamp das »Violettbuch Kirchenfinanzen« von Carsten Frerk gelesen: Glaube und Geldgier.
InfoWarScharmüzel: Ines Kappert kommentiert für das Gruppenblog ›Lesen was klüger macht‹ die Entwicklungen zum Thema ›Abbau des Geheimnisse-Stau‹: Wikileaks maßt sich an, Öffentlichkeit anders zu definieren. — Ich selbst habe im Lauf der letzten Woche dem hoffentlich noch abwendbaren, behämmerten Alterskennzeichnungs-Ideen als 2945-ster mein »Nein« erteilt: JMStV ablehnen!. Mein Kommentar dort: Weltfremdes und kontraproduktives Vorhaben, der neue JMStV. Höchstens dazu gut, dass man wieder mal deutlich vorgeführt bekommt, wie sehr Politiker (bzw. jene, in deren eigentlicher Absicht sie handeln) sich vor ›dem Internet‹ fürchten. Ergänz hier: Aber natürlich eine wonnevolle Aussicht für alle, die mit juristischen Kung-Fu als moderne Wegelagerer anderen das Geld abpressen, sowie für die Entwickler & Vermarkter von Kontroll-Technologie.
Geheimniskrämerische Wohltäter: Die ›Frankfurter Rundschau‹ berichtete am 27. Nov. kritisch über Stephanie zu Guttenbergs Verein: Im Spendensumpf und ›Twister‹ konnte am 01. Dez. dann in ihrem Artikel
bei ›Telepolis‹ ›Innocence in Danger‹ und deren ungewohntes Schweigen ergänzen, dass IoD lieber Journalisten verklagt, als Transparenz vorzuleben. (Nebenbei: die Gutenberg habe ich bereits auf einen Notizzettel gezeichnet. Die kommt also bald in meiner Fetzenschädel-Reihe.)
Zur Abwechslung Kultur: ›TAZ‹ brachte einen nettes Texterl von Nina Ernst über Geschichte in Computerspielen: Aus Fakten wird Fiktion - manchmal. — Ich finde, dass viel zu selten über den ›anderen‹ großen ›Iconic Turn‹ gesprochen wird, der seit dem Aufstieg der Massenmedien abgeht. Über den Wandel von der Schrift-zur Bild-Kultur salbadert schnell mal jemand, aber die Verdrängung der Erzähl- durch die Spiel-Kultur wird vergleichsweise selten thematisiert.
In ›Neues Deutschland‹ wurde ein begrüßenswerter Artikel von Martin Koch über die frühe Royal Society veröffentlicht: Zwischen Erkenntnis und Intrige.
(Deutschsprachige) Phantastik-Funde
Nochmal ›TAZ‹: Diesmal Meike Laaff über die muntere Zeitgeistigkeit von Zombies, vor allem anhand der TV-Serien-Fassung der »The Walking Dead«-Comics: Das schlurfende Fußvolk der Hölle.
›Lake Hermanstadt‹ hat einen knackigen Eintrag über Politische Intelligenz und Ecos Pendel geliefert, mit kurzer Wiedergabe der wunderklugen Einteilung der Menschen in Idioten, Dämliche, Dumme und Irre.
Für ›Fantasyguide‹ legt Ralf Steinberg dar, wie geplättert er von China Miévilles »Die Stadt & Die Stadt« ist.
Gigantisches Mutanten-Prügelei-Wüstenödnis-Endzeit-Comic, für umme! »Murderbullets« bei ›Orc Stain‹.
Bei ›Newgrounds‹ über The Game gestolpert. Taugt als Spiel eigentlich nix, sondern nutzt Spiel-Konventionen als Mittel zum philosophischen Kalauern. Also quasi Kunst oder Kabarett, oder so.
Auf dem YouTube-Kanal von apachepics gibt es eine zum Niederknien feine Hommage auf Chuck Jones, »Wiley Vs. Rhodes«, gedreht mit echten Leuten.
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Gott! Wie klein sind die Menschen!
Altes Volkslied.
Schwadronarius, Neugott und Aerostograph, beurteilt die Menschen aus der Vogelperspective und empfindet dieses Herzeleid 6000 Fuß hoch über dem Niveau des Straßenpflasters.
Die schönste Verwünschungen des Altertums halten keinen Vergleich aus mit der gedankenreichen Anrede, welche Schwadronarius' Munde entströmte, als er die Erde verließ. Die Schnelligkeit seines Aufsteigens fand nur in der Schnelligkeit seiner Worte einen würdigen Nebenbuhler. Die Gegenstände, welche seine Blicke trafen, dienten allein dazu, die Flut seiner lyrischen Improvisation zu vermehren. Über einer Reitbahn ließ er den Ballon anhalten, aber nicht um den Raum, den er durchschnitten, zu messen, sondern nur um gegen die Menschen im Allgemeinen und die Kunstreiter im Besonderen neue Redensarten zu schleudern.
»Das sind Menschen, die ihr Leben damit verbringen, Wendungen und Verrenkungen auf der Croupe eines Pferdes zu machen; Frauen, die ihren Ruhm darin suchen, durch einen mit Ölpapier beklebten Reif zu springen und in fleischfarbenen Tricots und flatternden kurzen Gewändern ihre Künste hoch zu Ross zu producieren, Alles nach den Worten: ›Hupp! Hupp! Hupp!‹, oder ›Hopp! Hopp! Hopp!‹ mit Begleitung von türkischer Musik.«
Kaum war er damit fertig, so trieb ein Windstoß seinen Ballon nach der linken Seite und Schwadronarius schwebte jetzt über der Terrasse eines Gartens, dessen Bezeichnung sehr viele, mehr oder minder interessante Romane enthalten. Ein Jüngling und eine Jungfrau plauderten miteinander auf dieser Terrasse sehr leise, dicht aneinander sich drängend. Unten schlich ein Mann, Vater, Oheim oder Vormund vorsichtig auf dem Fußsteige längs der Gartenmauer näher. Schwadronarius lächelte über die vergeblichen Anstrengungen, die er ihn machen sah, um sie zu überraschen, als er plötzlich gerade in dem Augenblicke, wo die Jungfrau dem Jüngling den Scheidefuß zu geben im Begriff stand, in der Ersteren sein Bäschen Gertrude erkannte, für die er die zärtlichsten Liebeslieder in Musik gesetzt und ihr gewidmet hatte. Da begriff er zum ersten Mal, dass ein Gott lieben und leiden könne, wie ein gemeiner Schäfer. Nun hätte er gern seinem Rächer beigestanden und gesehen, wie dessen Zorn und Regenschirm den verhassten Nebenbuhler traf, aber er fühlte zu sehr das Bedürfnis, seine neue Würde zu retten, und stieg daher majestätisch wieder empor.
Unserem göttlichen Aeronauten bot sich, als er so hoch über den Straßen, den Häusern und Vorstädten dahinschwebte, noch manches Schauspiel zwar umsonst, aber nicht eben ergetzlich dar. Unwillkürlich richtete er den Blick auf ein Ballet unter offenem Himmel, das einige junge Savoyarden und einige alte Pudel aufführten.
»Unglückliche Kinder! Unglückliche Hunde!«, rief er. »Dazu verwendet der Mensch Eure Jugend, Eure Anmut, Eure Frische! Unschuld, Alter, Hunde, Alles macht er seinem Vergnügen dienstbar. Wahrlich, ich werde mich nicht mehr um ihn kümmern!«
Dieser Entschluss hinderte ihn jedoch nicht, eine vorübergehende Amsel zu fragen, was sie von den Menschen halte.
»Der Mensch«, pfiff die Amsel, »ist ein plattes Wesen. Er verabscheut uns und beneidet uns sein ganzes Leben hindurch um die Fähigkeit, zu fliegen. Endlich stirbt er aus Verdruss darüber, dass die Flügel, die er sich macht, an der Sonne schmelzen. Das ist meine Meinung über den Menschen.«
Schwadronarius tat nun dieselbe Frage an den Kranich.
»Der Mensch«, entgegnete der Kranich, »ist ein sehr plattes Wesen. Er versucht vergebens, uns nachzuahmen. Auf Locomotiven strebt er uns einzuholen und ist eifersüchtig, dass unsere Flügel uns weiter tragen als ihn seine Eisenbahnen.«
Eine Lerche sang ihm auf dieselbe Frage folgende Antwort:
»Der Mensch ist ein außerordentliches plattes Wesen. Die Vortrefflichkeit meines Gesanges bringt ihn zur Verzweiflung. Er versuche es einmal, wie ich einen Triller im Aufsteigen zu schlagen, seine Töne zwischen Himmel und Erde erschallen zu lassen und ein Solo, umgeben von den Strahlen der aufgehenden Sonne, zu singen. Der Mensch ist neidisch und ohne Fähigkeiten. Das ist meine Meinung.«
Eine junge Nachtigall flötete ihm dieselbe Ansicht über den Menschen zu.
»Die Vögel haben Recht«, sagte Schwadronarius, »ich teile ganz ihre erhabene Ansicht und habe die Plattheit des Menschen nie besser begriffen als jetzt.« Nachdem er diesen Gedanken in sein Album geschrieben, beschloss er ihn dem ersten Zugvogel mitzuteilen, der ihm begegnen würde. Eine wilde Ente, die nach Europa flog, um sich dort von einer Leberkrankheit kurieren zu lassen, war so gefällig, das Blatt mitzunehmen.
Schwadronarius schwebte gerade über Paris und gewahrte tief unten auf dem Vendomeplatze die Napoleonssäule.
»Ich sehe«, fuhr er fort, »dieses großartige Denkmal menschlichen Ruhmes. Kutscher und Wasserträger, Herzoginnen und Hökerinnen {= herumziehende Händlerin}, vornehme Herren und gemeines Volk, kurz alle Welt umkreist das Monument; zwischen der hundert Fuss hohen Säule und den Menschen sehe ich keinen Unterschied; sie scheinen mir sämmtlich gleich hoch zu sein. — Von dem Gesichtspunkte aus, auf dem ich mich befinde, ist der Ruhm gleich dem Nichts.«
Befriedigt von dieser Definition schwang sich Schwadronarius wieder zur Sonne empor.
Als seine Blicke zum letzten Mal auf der Erde ruhten, sah er das Pflaster des Boulevard von Fiakern {= zweispännige Pferdekutsche}, Kutschen und Wagen voll Masken überschwemmt. Ein verwirrtes misstöniges Geschrei drang bis zu ihm. Er wollte sich von diesem für das Auge eines Philosophen so traurigen Scenen entfernen, aber eine Windstille hielt seinen Ballon fest. Diese Zeit benutzte er, um sein Tagebuch zu schreiben, hielt es jedoch für passend, seinem Obergott die Geschichte mit Gertrude zu verschweigen. Wir verdanken diese Episode der Schwatzhaftigkeit eines Hänftlings; sie beweist, dass Alles, selbst von oben gesehen, seine Nachtseite haben kann.
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Eintrag No. 671 — Letzten Donnerstag auf dem Heimweg nach der Arbeit. Fast 23:00 Uhr, finster, sehr kühl, leichter Nebel. Dreihundert Meter von meinem Heim entfernt kommt mir eine rot-weiße Katze auf dem Bürgersteig entgegen. Sie will mir & ich ihr ausweichen, und so versperren wir uns gegenseitig den Weg. Noch zwei Mal machen wir Ausweichmanöver und blockieren uns. Dann bleibe ich schließlich stehen, mache einen Schritt zur Seite. Die Katze guckt mich an, nickt und geht an mir vorbei. — Soll noch mal einer behaupten, wir Menschen wären was Besonderes.
Lektüre: Ausgesprochen große Freude mit Joe R. Lansdales »Kahlschlag« (habe hier berichtet, warum ich den Roman im Hause habe).
Im Zuge meiner Lektüre von Arno Schmidts »Zettel’s Traum« (= ZT) habe ich mich zu einem Kommentar in dem ›Schauerfeld‹-Blog verleiten lassen. — (Habe den Kommentar zum ersten Lektürebericht zu ZT ausgebaut.) — Derweil sei noch mal vermeldet, dass ich die beiden Lese-Blogs zu diesem Riesenwerk, ›Schauerfeld‹ und ›Zettel’s Traum lesen‹, aufmerksam verfolge. —— Ach ja, beim Suhrkamp-Verlag gibt es einen feinen einführenden Text von Susanne Fischer als PDF. —— Schließlich möchte ich noch auf die informative (und stellenweise amüsanten Einblick in das Schmidt-Leser-Biotop gewährende) Rezension von Jan Süsselbeck für ›Literaturkritik.de‹ hinweisen: Still he’s rowling along. Obwohl … entweder bin ich ein totaler Freak, oder Herr Süsselbeck liegt etwas daneben. Er schreibt z.B., dass »niemand ZT einfasch so liest« und ich tue genau das, auch wenn ich wahrscheinlich Monate dafür brauchen werde. Und wenn Süsselbeck, sich auf einen spontanen Ausspruch Peter Kurzecks berufend & diesem recht gebend, meint, dass »{d}ie meisten Leute Arno Schmidt aus {den} falschen Gründen {lesen}«, dann wüsste ich natürlich gerne, was a) diese falschen Gründe sind und wie b) denn richtigere Gründe für AS-Lektüren aussehen. Das wird leider nicht ganz klar. Trotzdem: gute Rezi.
Netzfunde
Für ›Der Freitag‹ schrieb Michael Jäger einen Artikel über die große Problematik, wie man von der unseligen Knechtung der Menschen durch das Auto wegkommen könnte: Der halbierte Bürgersteig.
Eine weitere Folge aus der begrüßenswerten Stilkunde-Reihe von ›Stilstand‹-Blogger Klaus Jarchow: Lob des Monotonen, diesmal anhand von Charles Dickens veranschaulicht.
Mit der jetzigen rot-gelben Regierung tritt der Mißstand des Entscheidens ohne Mitsprsche derer, die damit leben müssen / sollen wieder merklich gehäuft zu Tage. Da ist es gut, dass Max Steinbeis für ›Carta‹ mal Zehn Thesen zum Problem intransparenter Gesetzgebung zusammengestellt hat.
Ach ja: es gibt jetzt eine Wiki-Beobachtungs-Seite und ein dazugehöriges Wiki Watch-Blog. Die Dominanz der ›löschgeilen‹ Admins in der deutschen Wikipedia halte ich für eine der traurigeren Entwicklungen des deutschsprachigen Internets. Ich selber mache im deutschen Wiki nur noch Kleinigkeiten (wie Biographien ergänzen).
(Deutschsprachige) Phantastik-Funde
Dank des Hinweises von Molochronik-Leser Niklas kann ich hier einen Link zu einem langen (ausnahmsweise englischsprachigen) Interview mit Franz Rottensteiner anbieten, mit dem das englischsprachige Blog ›A Journey Around My Skull‹ gesprochen hat: View From Another Shore. Über Rottensteiner mag man (andere) sich streiten können, aber ich schätze den Mann sehr und bin der Meinung, dass der Niedergang von Suhrkamp schon mit der Einstellung der von Franz herausgegebenen Phantastischen Taschenbuch-Reihe des Verlages begonnen hat. — Sehr fein finde ich, dass das Interview auch einige Graphiken aus Herrn Rottensteiners Sammlung zeigt.
Bandit berichtet für ›PhantaNews‹ ausführlich über die TV-Verfilmung der exzellenten Comics »The Walking Dead« (deren ersten superdicken Sammelband ich vor einiger Zeit verköstigt habe und meisterlich finde): »The Walkind Dead« – seziert und gespoilert.
Ganz besonders habe ich mich über diesen Fund bei ›Steampunk-Welten‹ gefreut. Anlässlich des Carl Sagan Tages am 6. November hat Matthias eine Würdigung über diesen großen Wissensvermittler geschrieben. Etwas älter, aber auch einen Klick wert, ist dieser Eintrag im selben Blog zu einer meiner Allzeit-Favoriten-Serien: Carl Sagans »Cosmos«.
Bei ›Unreality‹ gibt es ein saukomisches Filmchen darüber, wie es aussähe, sich ein Erdnussbutterbrot mit Marmelade zu machen, wenn das ganze ein Quicktime-Boss-Kampf in einem Hacken & Schnezeln-Spiel wäre: Kratos Makes a Peanut Butter and Jelly Sandwich (zur Info: Kratos ist die Spielerfigur der »Gods of War«-Reihe).
Atemberaubend finde ich diese lustig-unheimlichen Zeichnung von Abner Dean aus seinem 1947 erschienenen Band: What Am I Doing Here?. Überraschend, wie zeitlos diese Witzebildchen sind, und wie erstaunlich freizügig sie für die damalige Zeit anmuten.
Alexander Lehmann hat wieder einen seiner wunderbaren Filmchen ins Netz gestellt. Diesmal zu einem Thema, wo uns ja allen die Halsadern anschwellen, dem verfluchten Politikmachen durch Geld und Vitamin-B: Lobbyismus für Dummies.
Eintrag No. 662 — Film: Hinke ja arg weit hinterher, was das Liefern von Film-Rezis oder zumindest Film-Kurzreszis angeht. Also hohle ich mal nach, zumindest von meinen jüngsten Kino-Besuchen zu berichten
Vor ca. zwei Wochen war ich in »Ponyo – Das große Abenteuer am Meer«, und wieder mal bin ich überwältigt von der Macht, die ein ›Studio Ghibli‹-Film über mich hat. Der Film richtet sich unverkennbar zuerst mal an Kinder von etwa 4 bis 7 Jahren, aber wie meine Begleiterin Andrea so trefflich sagt: »Bei einem Miyazaki-Film dauert es etwa zwei Minuten, und ich bin wieder am Staunen wie eine Fünfjährige«. Wie immer bin ich mitunter am meisten von den stillen Momenten fasziniert, wenn ›eigentlich‹ nix passiert. Die kann Regisseur Miyazaki inszenieren, wie kaum jemand sonst. Und fast das Herz gesprengt hat mir natürlich der große Äktschn-Höhepunkt, wenn Ponyo auf wilden Meerenwogen parallel zum einem Auto der Küstenstraße folgt.
— Kurz: ca. 9 bis 10 von 10 Punkten.
Und dann hatte ich letzte Woche Gelegenheit, mir den neuen David Fincher »The Social Network« anzuschauen. Wieder erstaunlich, wie mühelos Fincher sich in einem neuem Genre tummelt. Im Grunde funktioniert »The Social Network« wie ein Theaterstück oder ein Woody Allen-Film. Leute sitzen herum und reden, nicht zu knapp. Der Film veranschaulicht gelungen, wie man als Macher eines Projekt getrieben wird von dem Verlangen, etwas gestalten und bewegen zu wollen, und natürlich, wie im Zuge des Begehrens, Ruhm und Geld anzuhäufen im juristischen Slalomlauf so manche Freundschaft auf der Strecke bleibt. Dass freundschaftliche Bindungen der Erschaffung einer sozialen Netzwerk-Plattform geopfert werden, ist nur die offensichtlichste Ironie des Filmes.
— Wertung: ca. 7 bis 8 von 10 Punkten.
Interessanten Einblick in den Buchkaufhaushandel bietet das Hugendubel Verdi Info-Blog. Besonders gefallen mir die ›Sprachlos‹-Einträge, die ergreifend den Frust engagierter Buchverkäufern, die bei Hugidubi arbeiten, bebildern.
Für ›Jungle World‹ legt Alex Feuerherdt mit Hauptsache Religion einen feinen Kommentar zu den derzeit abgegeben Profilierungsschwachsinn der ›C‹-Parteien vor.
Apropos ›jüdisch-christliche Wurzeln‹: Jeder, der sich auch nur halbwegs mit Kultur- und Religionsgeschichte beschäftigt, und dabei nicht durch Interessens-Doktrinierungen gehirngewaschen wurde, weiß, dass die Rede vom ›jüdisch-christlichen‹ Fundament des Hauses Europa einfach Quatsch ist. Man konsultiere einfach mal ein Kulturgeschichtswerk, in dem Begriffe wie ›Volksreligion‹ und ›Elitenreligion‹ vorkommen. (Zum Beispiel »Lebensformen Europas« von Wolfgang Reinhard.) — Über Holger KleinsStackenblochen-Blog fand ich meinen Weg zu einem Kommentar von Don Alphonso in seinem F.A.Z. Stützen der Gesellschaft-Blog, den ich gerne auch hier zitieren möchte:
Christliches Abendland heisst immer: Ich bin zu blöd, die Schattenseiten der letzten 1200 Jahre zu kennen.
Jüdisch-Christliches Erbe heisst oft mitunter: Ich finde es geil, mein Herrenrassentum so zu verkleiden, dass ich mich notfalls auf Deinen Antisemitismus rausreden kann, wenn Du mich für den stinkenden Fascho hältst, der ich bin. Dabei wird es schwer sein, einen Juden zu finden, der sich auf dieses angebliche Erbe berufen möchte: Als ob es noch nicht genug Geschlichtsklitterung und Fälschung in dem Bereich gegeben hätte.
Klar gesagt: Es gibt kein jüdisch-christliches Erbe. Die allerwenigsten, denen das aus dem Maul trieft, kennen vom Judentum mehr als die Kipah. Christentum und Judentum sind allein schon wegen der Frage des Messias absolut unvereinbar gewesen, und das Verhältnis hat sich von 800 bis 1945 dann auch merklich verschlechtert, um es höflich zu formulieren.
Auch wenn ich, nein: gerade weil ich ja ein bekennender und überzeugter Atheist bin, kann ich nur den Kopf schütteln über diesen Blödsinn: Nicht nur Kirchenaustritt, auch Enttaufung möglich. Zugegeben: nachdem viele ja ohne gefragt zu werden als Kleinkinder getauft wurden, fände ich es nur angebracht, wenn es die Möglichkeit gäbe, sich als Erwachsener, der eine entsprechende Weltsicht angenommen hat, zeremoniell Ent-taufen lassen zu können. Andererseits kann man das ja auch selbst gestalten und vornehmen, sei es alleine, oder im Kreise entsprechend Gleichgesinner. Ohne, dass man einen umgemodelten Föhn kaufen muss. — Durchaus originell finde ich allerdings den im Artikel vorgeschlagenen Gerbauch der Verse von Catull (aus »Carmen 85«) als Ent-Taufungs-Formel, auch wenn diese Zeilen, typisch für diesen römischen Dichter, etwas zu zerknirscht für meinen Geschmack sind:
Odi et amo. Quare id faciam, requiris Fort Asse? Nescio, sed fieri Sentio et excrucior.
Ich hasse und liebe. Du fragst vielleicht, warum ich das tue. Ich weiß es nicht, aber ich fühle, dass es geschieht und ich quäle mich.
Und Marc Fabian Erdl jubiliert in ›Der Freitag‹ ausführlich über die erste komplette deutsche Ausgabe der geheimen Tagebücher von Samuel Pepys (einer durchaus wichtigen Nebenfigur in Neal Stephensons »Barock-Zyklus«): Geiler Bock, Staatsbeamter.
Der großartige Jeff Vandermeer berichtet in seinem Blog flappsig aber erhellend davon, wie sein diesmaliger Anlauf Thomas Pynchons »Gravities Rainbow« (dt. »Die Enden der Parabel«) zu lesen nun vergnügt von statten geht: This Book Is Restoring Mah Brain Powers to Mah Brain und Reading Gravity’s Rainbow: First 75 Pages, Initial Contact. Ich selber gurke derweil irgendwo auf Seite 300 herum, und kann mich nicht so recht entscheiden, ob ich den Roman auf Englisch oder Deutsch lesen soll und pendle entsprechend zwischen beiden Sprachen.
Da beleibt mir nur, mich der Hoffnung anzuschließen, die Daniel Domscheit-Berg für ›Der Freitag‹ in seinem Text Der gute Verrat zur Sprache bringt, nämlich, dass als Ausgleich für solche Sehnsüchte der Gestaltungsmächtigen in Zukunft vermehrt mutige Geheimnisverräter rechtzeitig zur Kenntnis genommen werden, und dass die Anerkennung von solchen Petzer-Helden zunehmen wird.
(Deutschsprachige) Phantastik-Funde
Klaus Jarchow liefert seinem ›Stilstand‹-Blog einen feinen kleinen Text über die Tugend von die Phantasie kitzelnden Leerstellen in Texten, Ehret die Lücken!, illustriert anhand der Geschichte »Die Grube und das Pendel« von Edgar Allan Poe.
Holger M. Pohl hat eine neue Kolumne für ›Fantasyguide‹ verfasst: Proll vs. Niemand. Auch wenn mir HMPs Text ein wenig zu gehässig geraten scheint, finde ich es trefflich, wie er die in SF-Genrekreisen typische Erregung einiger über den Erfolg anderer kommentiert. Stein des Anstoßes war dieser Thread bei SF-Netzwerk: Kritik an SF Neuerscheinungen, Iwoleit vs. Heitz oder schaden Autoren wie Heitz der SF?, aus dem dann dieser allgemeinere Thread hervorging: Exploitation SF, Annäherung an ein Phänomen. Ich denke ja, es ist unfair, sich bei der Klage über die Verflachung des geliebten Genres lediglich auf die erfolgreichen Autoren einzuschießen. Immerhin ist es das Zusammenspiel von Autoren-Ambition, Programmgestaltung und Vermarktungstrategien der Verlage, sowie der Nachfrage von Kunden, die dazu führen, dass enervierend seichtes Zeugs das Feld dominieren.
Wie immer empfehle ich das neuste RSAnimate-Filmchen. Diesmal illustrieren die Meister von ›cognitive media‹ einen Vortrag von Sir Ken Robinson zum Thema Changing Education Paradigms, und besonders gelungen finde ich, wie das noch übliche Schulsystem mit der Logik von Fabriken verglichen wird.
Sobald ich mein PayPal-Konto entsprechend aufgepimpt habe, werde ich das hier bestellen: The Science Tarot. Obwohl ich mit ›Eso-Kram‹ nichts mehr (oder nicht mehr viel) am Hut habe, hege ich immer noch eine Schwäche für originelle Tarot-Karten. Ich verstehe das Tarot als eine Art interaktives Comic, das sich immer wieder zu neuen Geschichten auslegen lässt.
Mike Shaughnessy hat für ›BoingBoing‹ einen bewegenden Text zum Thema ›der Blick von Immigranten auf die neue Heimat‹ geschrieben, und es geht nicht um Muslime in der westlichen Welt, sondern um einen Deutschen in Amerika: My Man Anton Schutz: An Immigrant's View of the New York.
Dem ›Wall Street Journal‹ hat der geniale Scott Adams — der als Schöpfer der »Dilbert«-Strips dafür sorgt, dass Büromalochern dank Humor emotionelle Gesundheit bewahren — ein Interview gegeben: How to Write Like a Cartoonist.
Als sichere Weihnachtsbeglückung für mich darf ich mich auf den nächsten Film der Coen-Brüder freuen: True Grit, und ich bin schon sehr gespannt, wie sich dieser Rache-Western machen wird. Hier der bisher zweite, längere Trailer.
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Eintrag No. 645 — Diese Woche gibts viel Zuckerl. Keine nennenswerten Ereignisse bei mir diese Woche, außer, dass ich die Molochronik bei Flattr angemeldet habe.
Flattr ist ein Weg, mit kleinen Gutschreibungen einen Internetbeitrag zu entlohnen. Wer bei Flattr angemeldet ist und über ein Guthaben verfügt, kann derweil einmal im Monat der Molochronik etwas spenden (siehe Flattr-Button oben in der rechten Säule). — Sobald ich dazu komme, werde ich die aufwendigeren ›de luxe‹-Einträge der Molochronik mit eignen Flatter-Buttons ausstatten. — Und ich freue mich natürlich, dass ich nach drei Tagen schon einmal geflattert wurde (kein Vergleich freilich zu wirklich beliebten Websites).
NETZFUNDE
Spannend ist der Briefwechsel von Marvin Oppong mit der Stadt Duisburg den »Carta« bietet. Oppong will Einsicht in die Genehmigungsunterlagen der Love-Parade, die so tragisch-tödlich verlaufen ist. Die verschiedenen Behörden mauern, unterschiedliche Auffassungen des Informationsfreiheitsgesetztes prallen aufeinander.
Leider hatte ich noch nicht die Zeit, ausführlich im neuen Gruppenblog der »F.A.Z.«, Deus ex Machina, zu stöbern. Dort soll berichtet werden …
… getreulich und mit Plaisir {…} von den göttlichen Internetmaschinen neuester Art, ihren Berechnungen unberechenbarer Weis- und Torheiten, und ihrem Wirken zum Gedeih und Verderb der menschlichen Art hienieden auf Erden {…}
Sehr gute Besprechung des Films »Agora« im Oliblog. Ich hab den Film im Kino gesehen, obwohl er ›nur‹ auf Deutsch lief. Auch wenn man sich bei der Nacherzählung des Martyriums der durch Fundi-Christen getöteten Bibliothekarin von Alexandria große Freiheiten die historischen Details betreffend genehmigt hat, bietet der Film ein bewegendes Drama und versteht es, weltanschauliche Streitfragen und ihre Verquickung mit einzelmenschlichen Zwängen ergreifend darzustellen. Allen Jungfrauen beiden Geschlechts zur inniglichen Beherzigung anempfohlen
Interviews mit zwei von mir sehr geschätzten Autoren habe ich diese Woche entdeckt: einmal spricht »io9« mit China Miéville über seinen neuesten Roman »Kraken«, warum er Joss Whedons Zeug mag und J. J. Abrams’ Zeug nicht; — und zweitens hat Matt Ruff der Seite »The Author Speaks« Fragen beantwortet, z. B. zum ›Lustiger Schwarzer Kerl‹-Klischee in Äktschnfilmen und seinen nächsten Roman »The Mirage«.
»Inception« ist einer dieser Filme, die das Publikum zum Deuten herausfordern. (Gehört zu den großartigsten Dingen, die ein Film fürs Massenpublikum leisten kann. Statt hinterher nur darüber zu babbeln, was cool, was nicht cool war, werden die Zuschauer animiert, weiter zu fabulieren und philosophieren.) — Peter V. Brinkemper hat für »Glanz & Elend« eine ausführliche Rezension über Christopher Nolans »Inception« geschrieben, die ich als (im besten Sinne) schwurbelige, schwindelerregende Cinemaskopie-Poesie bezeichnen kann. Der Text hat mich beim ersten Lesen etwas verstörend amüsiert (hatte z.B. den Verdacht, der Text sei zu fremdwortversalzen), doch die Zweitlektüre versetzt mich in einen schmunzelnden Sprachrausch, durch Sätze wie folgenden:
In »Inception« sind Träume und Traumzustände lebendige Membrane von anwesenden und unsichtbaren, aber spürbaren Ereignissen, Träume werden durch Kollektivschaltung zu sanften oder heftigen Dramen, immer noch intersubjektiv beeinflussbaren Situationen und relativ klaren Bewusstseinszuständen, zwischen rationaler Konstruktion, gezielt eingreifender, dominanter Manipulation und unwillkürlich subjektiver Projektion.
Nix Neues, aber eben letzte Woche von mir entdeckt, nämlich dass es eine Web-Site zum Werk des grandiosen deutschen Zeichners Hans Georg Rauch gibt. H. G. Rauch ist vielleicht am bekanntesten durch seine Illustrations-Reihe ›ZEITzeichen‹ für das große Hamburger Wochenblatt. Ist aber schon viele Jahre her. Rauch kann Wimmelbilder schraffieren wie nur wenige. Vor allem seine Auseinandersetzungen mit Strukturen, den Themen Landschaft und Architektur sind atemberaubend. Leider sind die Wiedergaben im Netz oft zu klein für diese detailreichen Meisterwerke.
ZUCKERL
Der ›Nostaligia Critic‹ hat einen dreiteiligen »Animaniacs« Tribut erstellt, in dem er Glanzmomente dieser Cartoon-Reihe zeigt und mit den Autoren & der Autorin (die teilweise auch Sprecher bzw. Sprecherin einiger Figuren sind) einen ausführlichen & erhellenden Plausch geführt. Ein Muss für Freunde des höheren Blödsinns.
Habe die Seite Springfield Punks entdeckt. Hier entwerfen Freunde der Familie Simpson selbst ihre gelbhäutigen Springfield-Versionen bekannter Figuren, von denen es eben noch keine Simnpson-Version gibt. Hier z.B. die »Watchmen«-Hauptfiguren im Matt Groening-Stil. Kann man bitte mal den ganzen Comic so machen?
Apropos ›Comic machen‹: Mahendra Singh zeichnet phantastische Illustrationen mit klassisch-altmodischem Strich (erinnern mich an Emlematik-Zeichnungen und Max Ernst). Ich freue mich schon auf den von ihm zum Graphic Novel hoch-illustrierten Lewis Carroll-Schaffenshöhepunkt »The Hunting of the Snark«, der im November erscheinen wird. In Mahendras Blog »Just the place of a Snark« kann man den Werdegang der Illustration vom Mai 2007 an verfolgen. — Hier als Beispiel die Doppelseite 10/11 des kommenden Buches, aus dem ›Second Fit‹ (›Zweiten Krampf‹).
Eintrag No. 612 — Goethes »Faust« ist für alle leidenschaftlichen Exklusivfreunde klassischer, ernster Geschichten — die jedoch mit misstrauischem und gramvollem Blick die phantastischen Fabulationen beäugen — ein mitunter peinliches Prunkstück, denn die moralische, allegorische, romantische, tragische und zuweilen tollkühn burleske Mär über die Wette zwischen GOtt und Mephisopheles um eine treue aber zweifelnde Seele ist und bleibt trotz all ihrer wahren, guten und schönen Eigenschaften ein Glanzstück deutscher Phantastik.
Mit großer Freude habe ich letztes Jahr auf den Webseiten der F.A.Z. die in täglichen Fortsetzungen erstveröffentliche modernisierte Fassung dieser Geschichte durch Meisterfeder Flix genossen. Flix hat mich schwer beeindruckt mit seinem autobiographisch angehauchten Band »held«, indem unter anderem Monster und Ängste auf wunderbare Art mit den veranschaulichenden Kniffen, die dem Erzählen in Comicform zuhanden sind, auftreten.
»Faust« von Flix holt den hehren, für heutige Gemüter stellenweise schwer verdaubaren Stoff des Olympiers herab von den Säulen marmorner und äääääärrrrrnster Schwere und macht daraus ein Slapstick-Bravourstück, löblicherweise ohne die nachdenklichen Nuancen vollends einzubüßen. Die Götter werkeln in einem Bürokomplex, GOtt-Vater ist wegen seines mauen Kreislaufs ein Ramazotti-Dauerschlürfer; Gutelaune-Profi Mephistopheles ein Denglisch radebrechender Lifestyle-Coach; Softie Faust ein gutmütiger Taxifahrer in Nöten; Wagner ist ein nerviger Rollstuhl-Neger und das Gretchen eine von ihrer konservativen türkischen Familie drangsalierte Biokost-Verkäuferin. — Hilfreichere Orientierung als ich bieten könnte liefert die Inokulierung von Andreas Platthaus anlässlich der F.A.Z.-Fassung: »Quadratnase für Faust«.
Diese schnelle Empfehlung will ich auf den Punk bringen, indem ich meine absolute Lieblingsszene nachzuerzählen versuche:
(Seite 35): {Zusammenhang, in den weiteren Klammern folgt die Kästchen-Nummerierung} Mephisopheles, kurz: Meph, hat Faust betüdelt einen Vertrag mit ›Happy Life‹ zu unterschreiben. Leistung soll sein: Faust glücklich zu machen, was Goethe mit »Augenblick verweile doch, Du bist so schön« umschrieb. Gegenleistung: ›Happy Life‹ soll die exklusiven Nutzungsrechte an Fausts Seele nach dessen Abbleben erhalten. Nun soll es ans Unterschreiben gehen.
{Zwölfer-Gitter mit 3 Kästchen pro Zeile: 1} Fausts Hand führt einen Stift zur Linie für die Unterschrift.
{2} Faust und Meph (mit Kaffee) erschrecken, denn der Papierblock des Pakt-Vertragswerks steht plötzlich in Flammen.
{3} Meph zückt ein zweites Pakt-Werk. »Das passiert manchmal«, meint er fidel, »Zum Glück habe ich noch ein feuerfestes Exemplar dabei.«
{4} Himmel: GOtt, so ein blonder Pferdeschwanz- und Schnauzbarttyp in hellgrauem Anzug mit Krawatte, überm Kopf schwebt das ›Auge im Dreieck›-Symbol, steht am Himmelsgeländer ›snippt‹ mit den Fingern. Hinter ihm fliegt sein kleiner Sekretärs-Engel, feister Baseballkappen-Typ mit Zigarette und Headphone.
{5} Bei Faust und Meph flattern nun auf einmal die Seiten des Paktes herum.
{6} Himmel: Headphone des Sekretärs klingelt. »Käpt’n! Ein interner Anruf.«
{7} Chaos aus durcheinander fliegendem Papier bei Faust und Meph. Zweiterer versucht hektisch die herumschwirrenden Blätter einzufangen. »Ups! Da ist wohl … irgendwo … ein … Fenster … auf.«
{8} Himmel: GOtt snippt und fragt: »Wer ist dran?«. Der Sekretäts-Engel hält immer, wenn jemand anruft, eine Stellvertreterhandpuppe des Anrufers hoch, diesmal einen kleinen Papst. »Kollege Benedikt. Wann Sie Zeit hätten, mit ihm vor seinen Vortrag für die Präsentation am Sonntag durchzugehen.« — »Morgen. Morgen früh«, antwortet GOtt.
{9} Faust beim Versuch zu unterschreiben meint nun: »Hm. Schreibt nicht«, und Meph hält schon einen Füller hoch: »Der vielleicht.«
{10} Himmel: GOtt, hochkonzentriert, snippt und snippt.
{11} Faust unterschreibt mit dem Füller, hat dabei einen Indianerkopfschmuck auf und Meph trägt einen Cowboyhut.
{12} Himmel: GOtt sagt bedröppelt: »Mist« und sein Sekretät kommentiert trocken: »Versnippt.« — Voila!
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Flix: »Faust. Der Tragödie erster Teil« (2009 als Serie in F.A.Z.; 2010 in Buchform); Mit einem Vorwort von Andreas Platthaus; S/W und Grau, 96 Seiten; Gebunden, Carlen Verlag; ISBN: 978-3-551-78977-8.
Eintrag No. 598
Und wieder mal habe ich dem Team von »Schöner Denken« für einen Hinweis zu einer dollen Website zu danken. Als das erstaunlich hirnlose Bumm-Schepper-Epos »Transformers 2: Rise of the Fallen« lief, hat »Schöner Denken« unter anderem auf das englische ›video cast‹-Portal von »That Guy With The Glasses« verlinkt. Und was ich da sah & hörte, haute mich glatt um.
Der Kopf der kreativen Truppe, Doug Walker, gibt in seiner Rolle als ›Nostaglie-Kritiker‹ eine atemberaubend hektisch-manische Zusammenfassung des Films, inklusive trefflicher Kritik der absolut schwächsten Stellen dieser Blechlawine. — Hier mein Versuch einer Text-Übersetzung:
Ist das beschissen!
Okey, nicht beschissen. Das war der erste Film. Dieser jetzt ist … äh, äh, äh … angemessen zufriedenstellend.
So gehts los:
—»Überall auf der Welt gibt es Decepticons und wir müssen sie finden.«
—»Hmm, dieses Kran-Dings sieht seltsam aus.«
{Verwandlungsgeräusch / Erschrecken}
—»Transformer!« {Decepticon auf Zerstörungs-Trip}
Das ist okey, denn ein Truck ist da und der macht {Verwandlungsgeräusch} und es ist Optimus Prime!!! GOtt Gütiger!! Es ist so toll Optimus Prime wieder zu sehen!! Und nicht nur das! Es gibt auch noch ne Menge neue Transformer!
Zum Beispiel Sideswipe! … der nur zwei Zeilen Text hat.
Und Arcee! … die nur eine Zeile hat.
Und Jolt! … der, glaub ich, gar nicht spricht.
Das ist ziemlich schwach.
Aber die Zwillinge sind da und die sind wahnsinnig komisch.
{Zwilling 1} »Weiß’du wie da aygh bla brabbel labu la pi bäh!«
{Zwilling 1} »Keine Ahnung wooh hi bibi lub du pläh.«
Ha! Ha! Ha! Ha! … Ich habe keine Ahnung, was die schwätzen.
Der Junge aus dem ersten Teil geht dann aufs College. Und seine Freundin sagt: »Sag, dass Du mich liebst.«
{Er} »Nein, sag Du, dass Du mich liebst.«
{Sie} »Nein, sag Du, dass Du mich liebst.«
{Er} »Nein, sag Du, dass Du mich liebst.«
{Sie} »Machen wir einen Kompromiss und sagen wir, dass wir beide Arschlöcher sind.«
{Er} »Cool.«
Und der Junge trifft auf einen Kerl, der meint, dass es die Transformers wirklich gibt. … Und ich denk mir: Moment mal. Wie können die glauben, dass es keine Transformer gibt. Was ist mit dem Kampf vom Anfang des Filmes? Aber das geht in Ordnung, denn alle Spuren und Beweise wurden getilgt. … Jupp. Die Kämpfe aus dem ersten Film auch. Dieser große epische Kampf in der Stadt, den tausende Leute gesehen haben. Alles unter den Teppich gekehrt. … Ganz schön schwach.
Doch die Decepticons erwecken Megatron wieder zum Leben {Erschrecken}. Und es stellt sich heraus, dass er von dem bösen Fallen kontrolliert wird, der hinter einer geheimen Sprache im Hirn des Jungen her ist. Der Junge also {spielt total verrückt}. Also wollen die bösen Depecticons das was in seinem Kopf ist und sie schicken diese wirklich hübsche Decepticon um den Kopf des Jungen zu knacken. Aber die ist nicht wirklich ein Decpeticon, eher ein College-Mädel. Eine Decepto-Schlampe!
Und Optimus Prime kommt um den Tag zu retten und kämpft mit Megatron! {Klopperei in Zeitluppe} Kaboom! Kaboom! Kaboon!
Und plötzlich killt Megatron Optimus Prime!
Wa-Wa-Wa-Was!!!
Richtig! Megatron killt Optimus Prime! {Stirbt}
— »Neeeeeein!!! Optimus!!!«
Und ich denk mir nur: »Er ist nicht tot. Er ist nicht tot. Nein nein nein. Er ist nicht tot.« {Weint tragisch} »Priiii-wäh-wäh-wäh-iiime!!!«
Doch dann erinnere ich mich was er vor langer Zeit gesagt hat. Ich zitierte: {Clip aus Transformers Zeichentrick-Film: Optimus Prime} »Ich starb für eure Sünden.«
Natürlich tatest Du Prime das, {Wischt Träne weg}, für unser aller Sünden.
Sie ziehen also los und finden diesen anderen Transformer namens Jetfire. Und Jetfire ist verdammt cool!! Er ist ein alter Transformer, und die sind alle grummelige alte Arschlöcher. Und das ist voll super (engl.: ›kicks ass‹). {Einblendung ›Major Assage!‹ = ›Superduper!‹}
Und Jetfire geht so ab: »Wir müssen die Fallen aufhalten … äh, diese Pyramide zu aktivieren … um so die Sonne zu zerstören … um dadurch einen Haufen andere Transformers zu schaffen … um dadurch die Weltherrschaft an sich zu reissen.«
Oder so ein ähnlicher Schwachsinn.
Wen kümmerts!!!
Zeugs geht in die Luft!! Bumm! Bumm! Bumm! Kaboom! Kaboom! Kaboom!{Explosionen. Geballer}
Die Fallen schalten sich auf alle Bildschirme der Welt und verlangen: »Liefert uns den Jungen aus, sonst machen wir Hundefutter aus Euch und ›wir kriegen Euch das nächste Mal‹-Gadget‹!«
Und die Menschen auf der ganzen Welt reagieren so: »Heiliger Bimbam!!! Es gibt echt Außerirdische!!«
Und die Regierung reagiert so: »Geht in Ordnung. Wir vertuschen das.«
—»Hm, okey.«
Sie kommen also zu den Pyramiden, wo diese Maschine ist, die Optimus Prime wieder zum Leben erwecken kann. Und dann taucht dieser Super-Große-Rambazamba-Tron auf!!! Der ist so riesig wie fünf Transformer zusammen!!! {Sprachloses Begeisterungs-Fuchteln} Das ist soooo cool!!! Was wird dieses Ding nun tun!!! … Und er ist nur für vielleicht zwei Minuten im Bild. … Schwach.
Schnitt zu Leuten und deren Geballer in der Wüste. Und Geballer in der Wüste. Und dann: Geballer in der Wüste.
Doch dann stirbt der Junge! {Abgewürgter Ausbruch tragischer Trauer} Mach ich jetzt einfach nicht.
Doch der Junge kommt dann in den Roboterhimmel!! Ich mache wirklich keine Scherze! Roboterhimmel! Wo all die anderen Primes sind und dem Jungen das Leben wieder geben. … Schwach.
Der Junge ist also wieder lebendig und versucht die Maschine zu benutzten um Optimus zurück zu bringen während sie in der Wüste herumballern. Der Junge benutzt die Maschine, bringt Prime zurück und er ist gerettet!!! {Siegespose mit Händels ›Halleluija‹}
{Clip aus Transformers Zeichentrick-Film: Optimus Prime} »Ich starb für eure Sünden.« — »Sicher hast du das« {Solaten-Gruß}
Doch dann kommen die Fallen und sie machen sich an der Maschine zu schaffen und wollen damit die Sonne wegblasen und alle machen weiter mit … alle zusammen {im Chor}: »Geballer in der Wüste.«
Aber Jetfire sagt: »Nimm meine Teile Optimus. Ich bin alt und nervig.«
Und Optimus Prime sagt: »Okey.«
{Großes Verwandlungsgeräusch} Und Prime wird zu Super-Motherfucker-Prime!! Und er tritt in Ärsche. {Einblendung ›MORE Major Assage!‹}
Und er tritt gegen The Fallen und Megatron an … und der Kampf ist nach etwa einer Minute vorbei. Ist wie {Geste: Batsch. Bumm.} vorbei. … Schwach.
Der Höhepunkt ist ein bischen wie ein Schwanz-Reizen und -Hängenlassen. Doch ansonsten war der Film großartig! Daumen rauf!! Füng Sterne!! Bester und größter angemessen zufriedenstellender Film aller Zeiten!!!
Und gemocht habe ich ihn auch.
Ich bin der Nostaglie-Kritiker. Ich erinnere mich, damit ihr es nicht müßt.
Meine Top-3 weiterer Filmbesprechungen des ›Nostalgie-Kritikers‹, die ich glühend weiterempfehlen kann:
Der Nostalgie-Kritiker ist nur eine von Doug Walkers Kunstfiguren. Sehenswert finde ich auch noch seine ›Bum Reviews‹ (= ›Penner-Rezis‹) mit der Figur des obdachlosen Chester A. Bum, der oft ins Kinos geht, weil es dort so schön warm und dunkel ist. Egal was Chester bespricht, er beginnt immer mit den Worten: »Oh mein Gott!!! Das war der großartigste Film den ich in meinem Leben gesehen habe!!!« und endet mit dem Herumschütteln seines Sammelbechers: »N’Groschen! Haste n’Groschen! Komm schon, helft einem armen Kerl!!«
Und dann gibt es noch Dougs ›Fünf Sekunden Filme‹. Irrwitzige Zusammendampfungen, die gleichzeitig Homage und Verarschung sind. Unbedingt gönnen sollte man sich folgende:
Damit nicht genug, denn neben Doug treiben noch andere Video-Rezensenten ihr Unwesen auf dem Portal.
Am besten finde ich diedie hinreissende Lindsay Ellis, die einst einen Wettbewerb gewonnen hat, und so zum ›Nostalgia Chick‹ wurde, um (mit Zöpfchen und Fliege) an der femininen Front Dienst zu tun, wenn es darum geht, die Niederungen der Film-Unkunst der letzten beiden Dekaden in Schutt und Asche zu sezieren und zu rezensieren. Hier meine Top-3 ihrer Besprechungen:
Eintrag No. 544 — Die Themensparte ›Film‹ habe ich in den letzten Monaten, ach was: Jahren!, stiefmütterlich behandelt. Dabei gucke ich durchaus desöfteren DVDs (auch gerne Serien) und in den letzten Monaten, seit ich wieder besser verdiene, gehe ich auch wieder hie und da ins Kino.
Da sich Andrea in Leipzig herumtreibt (Tag null, »Pension Völkerschlacht«, Tag eins), und ich allein zuhause herumgammel, habe ich die Gelegenheit genutzt und mir einen 3 Filme-Abend gegönnt.
Futurama: Die Ära des Tentakels
Der zweite »Futurama«-Langfilm. Wie immer bei Matt Groenings Zeichentrickwelten bin ich entzückt vom dichten Ideen-Feuerwerk, das hier abgefackelt wird und ich bin nicht sicher, ob ich nun »The Simpsons« oder »Futurama« besser finde. Diesmal gibt’s eine interkosmische Liebes- und Invasionsgeschichte, denn durch einen Riss im Universum dringt ein großer zyklopischer Himmelsball ein, der mit seinen vielen vielen Tentakeln aus Liebesbedürfdigkeit die Menschen übernimmt. Fry darf in der Rolle des zuerst Übernommenen als Papst des kosmischen Sehnsuchtsgrauens die frohe Botschaft »Liebt das Tentakel!« verkünden. — Wir lernen zudem mehr über Kiffs Heimatplaneten und über die exklusive Untergrund-›Liga der Roboter‹. Großer Höhepunkt für mich: der Professor und einer seiner Konkurrenten tragen ihre Streitigkeiten mittels eines gigantischen Kugelspiel-Labyrinths aus; Stephen R. Hawking hat einen kleinen Gastauftritt; und Bender gibt eine vorzügliche ›Jack Sparrow gegen den Kraken‹-Parodie. —— Ach ja, endlich hat jemand eine Idee umgesetzt, die ich vor vielen Jahren auch mal hatte: Frys neue Beziehung wohnt in einem Hochhaus, wo man die verschiedenen Stockwerke nicht mittels eines Fahrstuhls erreicht, sondern indem das Haus in einem Bodenschacht auf- und niedersteigt.
Fazit: Glänzend gezeichneter Zeichentrickspaß mit mehr Gags pro Minute als der Arzt gestattet.
— 9 von 10 Punkten.
Tropic Thunder
Überdrehte Parodie auf Hollywood-Eitelkeiten, Schauspieler-Bullshit, (sogenannte) ›Reality TV-Shows‹ und Kriegsfilme. Gute erste 20 Minuten, dann stellenweise zäh und unnötig ordinär. Enttäuschend, dass der Film selbst nicht aus dem Korsett der Formel-Rezepte auszubrechen vermag, die er eigentlich bissig auf dem Arm nehmen will. Dennoch: Robert Downey Jr. überrascht mich wieder einmal mit seiner Wandlungsfähigkeit; es hat mich gefreut Nick Nolte mal wieder in einer satirischen Blödel-Rolle zu sehen; und Tom Cruise legt eine verblüffende Vorstellung aufs Parkett, als ›Bösewicht‹-Nebenfigur, zurechtgebrezelt auf dicker und schmierig Finanzmogul. — {Nebenbei: Tom Cruise ist so ein Schauspieler, den ich als Mensch echt eklig finde, erst richtig gruselig wenn er als Scientologe herumgeistert, aber als Schauspieler schafft er es immer wieder mal, mich zu erstaunen.} — Enttäuscht hat mich jedoch Jack Black, den ich bisher immer ziemlich bis sehr gut fand. Zu hektisch-panisch zuckt und brabbelt er als Junkie-Star, und liefert dabei nur wenige zündene Schmunzel- oder Lachgranaten.
Fazit: Kurzweiliger Spaß am besten für für berauschte Filmgucker geeignet; enthält punktuell erfeuliche Schauwerte (Explosionen, lustige Splatter-Einlagen); jedoch trotz Aufwand und Staraufgebot aber enttäuschend flach und harmlos.
— 6 von 10 Punkten.
Burn After Reading
Vorweg: alle Filme der Coen-Brüder mag ich, wobei ich eingestehe, dass nicht alle Meisterwerke sind; und: ich habe mich bisher noch nicht getraut den berüchtigten Flop »Ladykillers« zu gucken. — »Burn After Reading« ist zuvörderst ein feiner Ensemble-Film und dabei ein ziemlich flottes Story-Durcheinander. Stinknormale kleine Popelmenschen finden eine CD-Rom mit den Aufzeichnungen eines wegen Alkoholproblemen suspendierten CIA-Analysten, und glauben nun, irgendwie Geld damit machen zu können. Zudem geht’s Ehekrisen- und Seitensprung-mäßig kreuz und quer, so dass ich beim ersten Mal gar nicht immer durchgeblickt habe, ob es in den Szenen um die brisante CD-Rom oder um Ermittlungen für anstehende Scheidungsverhandlungen geht. Und wie fast immer bei den Coens sterben plötzlich Leute die seltsamsten Tode und schlägt die Handlungen überraschende Haken wie ein übermütiger Hase. Die Kirsche auf dem Sahnehäubchen ist auch diesmal wieder die Musik von Carter Burwell, der sich ein wenig an Philip Glass orientiert hat, bzw. mit martialisch klingenden Percussions-Enselmble einen interessanten Kontrast zur normalen Welt der Washingtonbewohner schafft.
Fazit: Eine feine schwarze Charakterkomödie über (liebenswerte) Trottel- und (kaltherzige) Kalkülmenschen.
— 7 von 10 Punkten.
•••••
10 + + + + + Maßstabsetztendes Meisterwerk; Olympisch.
09 + + + + Überwiegend exzellent; Packend.
08 + + + Bemerkenswert mit leichten Schwächen; Anregend.
07 + + Befriedigendes Handwerk; Kurzweilig.
06 + Unterhaltsam mittelprächtig; Akzeptabel.
Unsichtbare Grenze der absoluten Mittelmäßigkeiten05 - Brauchbar mittelprächtig; ganz nett, aber insgesamt lau.
04 - - Überwiegend mittelprächtig; Anstrengend bzw. langweilig.
03 - - - Bis auf wenige Momente daneben gegangen; Nervig.
02 - - - - Ziemlich übeles Machwerk; Zeitverschwendung.
01 - - - - - Grottenschlechtes übles Ärgernis; Pathologisch.
{Eintrag No. 527} — Nicht nur der Umstand, dass seit Mitte Mai meine Hartz-Vierling-Existenz ein Ende fand, und ich nun einem Vollzeitjob mit an die 200 bis 230 Stunden im Monat nachgehe, sorgte und sorgt dafür, dass die Frequenz meiner Blogeinträge im letzten Halbjahr beschämend ausdünnte, nein, ich leichtsinniger Mensch bin zudem vor einigen Monaten auch auf einen dollen MobTel-Bundle-Deal eingegangen und habe mir somit für schlappe 20 Euro eine Playsie 3 leisten können.
Als Auftakt hatte ich mir im Mai für ein paar Tage aus der DVDiothek das »The Simpsons«-Spiel ausgeliehen. Ich liebe ja die Serie, fand auch den Film wunderbar und da kam mir das Spiel gerade recht. Es war eine große Gaudi, durch Springfield zu stromern, und sich von dort aus auf den verschachtelten Meta-Story-Witz der Spielehandlung einzulassen. Großartig schon das Tutoria: Homer hechelt im Süßigkeitenland dem weißen Schokohasen hinterher. Es folgen einige einfachere Aufgaben im normalen Springfield (beispielsweise das Museum vor nächtlichen Unholden beschützen, oder das Aufdecken korrupter Machaleukes des Bürgermeisters). Dann bedrohen die bekannten, geliebten bösen Außerirdischen die Stadt und also gilt es z.B. mutierten Delphinen und Haien entgegenzutreten. Doch wie sich helfen gegen die extraterristische Übermacht? HaHa!, gut dass Bart ein wundersames Lösungsbuch zum »The Simpsons«-Spiel gefunden hat, womit sich der Weg in andere Dimensionen öffnet um dort den tüftelmächtigen Professor beizuholen. Unterwegs in der Spieleentwicklerwelt-Matrix befreit man den vom Donkey Kong-Affen entführten verrückten Wissenschaftler, erledigt Quest-Aufgaben in vier schrillen Parodie-Leveln (Zwoter Weltkrieg, McTolkien-Fantasy, Gängsteräktschn und Japan-Pop), dringt vor bis zum von Rechtsanwälten verteidigten Prunkanwesen des Schöpfers Matt Groening höchstselbst, der sich, als man ihn stellt, rausredet und auf DEN Schöpfer verweist, also GOtt nochhöherselbst, den es im finalen Tanzbewerb auszudribbeln gilt.
Originell fand ich, das man mehr machen kann als nur simple Spring-, Renn- und Baller-Herausforderungen zu meistern. Man zieht immer meistens mit zweien aus der Simpson-Familie in ein Abenteuer und alle haben sie ihre ganz eigenentümlichen Heldenfähigkeiten. Ich jauchzte über den Fettball-Homer, der (fast) alles zertrümmern, weite Sprünge und ballonartig schweben kann; genoß es als cooler Bartman mit Umhang und Enterhaken herumzuturnen; verwirrte mit Lust Dank Lisas chaotischem Sax-Gedröhn die Gegner und arrangierte mit ihrer mächtigen Buddah-Hand die Landschaft zu meinen Gunsten; lediglich Marges Empörungs-Mob rekrutierende Flüstertüte und die Möglichkeit mit Baby Maggie in engen Schächten herumzukrabbeln um wichtige Schalter zu drücken fand ich etwas fad.
Wer sich durch die Levels der Story gespielt hat, kann seine Zeit damit vertändeln und die je zum Simpsons-Charakter passenden Sammelobjekte auf der großen Springfield-Karte zusammensuchen. Mir aber war das dann doch zu fizzelig.
Beeindruckt hat mich, wie vorbildlich flüssig-locker sich das Spiel durchdaddeln ließ. Der Detail- und Einfallsreichtum, mit denen das Spiel gestaltet ist, haben mich begeistert: angefangen von den vielen Soundbites der Figuren, über die gewitzten Gastauftritte bekannter Nebenfiguren aus der Serie (wenn z.B. der dicke Comic-Typ erscheint um Spiele-Klischees auszudeuten), bis hin zur gelungenen Grafik, Levelgestaltung und den vielen punktgenauen hämischen Parodien auf bekannte Klassiker der Bildschirmkultur.
Fazit: ein feiner Auftakt für meine PS3. Leider nur geliehen.
Nick Harkaway (1972 geborener Sohn von John le Carre) hat mit »Die gelöschte Welt« einen Debutroman hingelegt, der vollends meinem Verlangen nach kunterbunt-unterhaltsamer ›Anspruchs‹-Literatur gerecht wird. Zuerst aufgefallen ist mir die Sprache. Harkwaways Prosa suhlt sich mit Wonne in den vokabularischen Möglichkeiten, welche dem Englischen zuhanden sind (und ich bin sehr gespannt, wie die deutsche Übersetzung klingen wird), vermischt genussvoll hohe und niedere Ausdruckniveaus verschiedenster Milieus (mit besonderer Parodieaufmerksamkeit für Multi-Corperate-, Militär- und Studentenkneipen-Slang) und zuweilen durchquert man absatzlange Satzgeflechte, die sich durch exquisite Fizzelfreude auszeichnen.
Zur Szenerie: alles beginnt in einer an »Mad Max« oder »Fallout« erinnernden Restwelt damit, dass nach einer Explosion der Strom ausfällt, während der Erzähler und seine Kumpels und Kumpelinnen von der »Haulage & HazMat Emergency Civil Freebooting Company of Exmoor County« Billard in der »Namenlosen Bar« spielen. Irgend jemanden ist es gelungen, mit einem Sabotage-Akt die »Jorgmund Pipe«, das größte und wichtigste Objekt der noch bestehenden Welt empfindlich aus dem Gleichgewicht zu bringen. Die Welt wie wir sie kennen ist nämlich, pardauz!, vor einigen Jahren bei einem Nicht-Krieg durch den Einsatz einer neuen, seltsamen Sorte Bomben verschwunden. Die wenigen Überlebenden haben sich zurückgezogen in den schmalen Streifen der »lebenstauglichen Zone«, welche sich an das mächtige Jorgmund Rohr schmiegt. Aus diesem Rohr wird eine mysteriöse Substanz versprüht, welche die monstergebärende Unwirklichkeit auf Abstand hält. Und eben dieses Jorgmund Rohr steht nun in Flammen. Der Erzähler und seine Freunde sind Veteranen des »Un-Krieges«, nach dessen Ende sie wegen unseliger Entwicklungen während der Wiederaufbau-Anstrengungen desertierten. Nun sollen sie als freie Söldner und Transportunternehmer mit einem Haufen dicker Sprengladungen per Vakuumeffekt den Großbrand löschen, um die Welt zu retten. Soweit die Infos des ersten Kapitels, die reich garniert werden mit Abschweifungen beispielsweise zu von Schweinen angetriebenen Notstromgeneratoren und zu den unterschiedlichen Entmenschlichungsgraden von administrativen Schnöseln.[01]
In einer sich über mehrere Kapitel erstreckenden Rückblende berichtet dann der Erzähler von seiner Kindheit: wie er vom Spielplatz weg vom gleichalterigen Gonzo William Lubitsch und seiner Familie adoptiert wurde; wie die beiden Jungs mit viel Hingabe und Talent Kampfsportkünste lernten (wobei Gonzo sich der harten, der Erzähler sich der weichen Schule widmet). Haarsträubende Erzähl-Umwege legen die Historie des »Hauses des Stimmenlosen Drachen« von Meister Wu dar und seiner obskuren Feinde, der Ninjas der »Uhrwerk Zeiger Gesellschaft«. — Der Amateur-Kampfsportler Harkaway ist (zurecht wie ich meine) stolz darauf, einen anspruchsvollen Roman mit Ninjas geschrieben zu haben. Entsprechend bietet »Die gelöschte Welt« atemberaubend inszenierte Kämpfe. Da wird vorgeführt, wie gefährlich Tupperware in den Händen eines einfallsreichen Kampfmeisters werden kann, oder wie selbst ein älteres Ehepaar mit Pheromonen und afrikanischen Bienen einem Pulg gutausgebildeter Meuchelmörder beizukommen vermögen. — Desweiteren geht’s mit Studentenabenteuern (sprich: Kneipenszenen, angeschickerte Politdiskussionen & Beziehungswirren), Anti-Terror-Razzien, Folterverhören durch quasi-staaliche Sicherheitsorgane, und schließlich landen der Erzähler und Gonzo bei der Agentenausbildung des Projekt Albumen, wo sie nicht nur Auto-Kampfsportunterricht erhalten, sondern sich auch die Entwicklungslabore für die Unbombe befinden.
Die im ersten Viertel des Buches hervortretenden politischen Wirren konzentrieren sich in einer Abschweifung wirtschaftliche Begehrlichkeiten auf globaler Bühne, wenn Harkaway über das Hickhack um das fiktive Land Addeh Katir (irgendwo an den Ostausläufern des Himalajas gelegen) sehr trefflich über die finstereren Machenschaften des neoliberalen Großkapitalwahnsinns und fatal-hirnloser internationaler Gierdiplomatie fabuliert. In dieser Fremde geraten der Erzähler und sein Kumpel Gonzo schließlich in die Nicht-Kriegswirren um Addeh Katir, und hier, etwa zur Halbzeit, beginnt sich der Roman endgültig zu einem überwältigenden Pandämonium zu entfalten, wenn wir lernen die Go Away-Bomben zu lieben und das kosmische Grauen aus dem freigesetzten, wankelmütigen »Zeugs«-Gewaber und dem Gestobe menschlicher Träume und Ängste steigt. Durch Go Away-Bombon beraubt man Materie und Wesen ihrer sie in Gestalt haltenden Information und verwandelt sie damit in »Stuff«. Die nichteinkalkulierte Knieschußfolge ist, dass sich dieses »Zeugs« und alles was mit ihm in Kontakt kommt planlos neue Informationen aus der Noospähre[02] zuzelt und dadurch in alles möglich Vorstellbare verwandeln kann.
Die zweite Hälfte des Romanes schildert die Ereignisse nach dem Un-Krieg, wenn die Reste der überlebenden Menschheit improvisierend mit Hilfe der zugänglichen technischen Großmitteln der zur Unwirklichkeit gewordenen Erde Überlebenszonen abtrotzt, kurz: das besagte Jorgmundrohr wird errichtet. Das lässt die dabei gebildete Jormundfirma zum alleinigen unheimlichen Weltherrscher der wenigen Komfortzonen alten Stils aufsteigen, und wahrhaft erschreckend sind die Grundlagen ihres Erfolges. — Nach der Rettungsaktion, zu welcher man im ersten Kapitel aufbrach, wird der Erzähler von seinen Kumpanen getrennt und er bricht auf zu einer Queste, um die dunklen Geheimnisse der Jorgmundfirma zu enthüllen, aber auch, um die Rätsel seiner zweifelhaften Freundschaft mit Gonzo Lubitsch und schließlich die trügerische Natur seiner eigenen Existenz zu ergründen.
Durch all diesen quirligen Garn zieht sich auch ein frech-zarter romantischer Faden der verhäkelt ist mit Elisabeth, der Adoptivtochter von Meister Wu. Hier ist auch eine interessante Argumentationsebene eingebettet, in der ergründet wird, was kraftmeierische Helden eigentlich liebeswürdig macht. Zudem ziehe und werfe ich meinen Hut johlend vor Begeisterung, immer wenn Harkaway einen anarchistisch-ulkigen Trupp Pantomimen auftreten lässt, über seine Idee und Schilderung eines Zirkus von Aussteigern, die sich Egalität halber alle K. nennen; wegen Zaher Bey, Pirat und Widerstandskämpfers von Addeh Katir; sowie wegen einem mit Safran handelndem, extrawortgewaltigem, dauerstreitendem Ehepaar. Die amüsanten Auftritte all dieser Figuren, und die stets gegenwärtige Schlagfertigkeit der Gedanken des namenlos bleibenden Erzählers ließen mich willig mit Milde über die zwei, drei dreisteren Hau Ruck-Kniffe des Handlungsverlaufes hinwegsehen, welche das ›In die Irre führen der Leser‹-Spiel des Romanes zumutet. Wer derartige Herausforderungen einzugehen gewillt ist, dem wird anhand dieses
Fantasyromans für Leute, die normalerweise Fantasy scheuen[03]
vorgeführt, wie vorzüglich produktiv sich reißerische Äktschn, relevante Satire, kosmisches Grauen und spekulierende Fabulierlust miteinander verschränken lassen.
[01] Hier als Beispiel für Harkaways Systemsatire eine Zusammendampfung seiner Schreibtischhengst-Klassifizierung:
Typ M bis E: wirkliche Menschen die kreischend der seelenverschlingenden professionellen Beamtenpersona entkommen wollen;
Typ D: kecker Möchtegern-Zahlmeister mit verkümmerter Menschlichkeit;
Typ C: glucksender Lakai des entmenschlichenden Systems;
Typ B: herzlose bürokratische Maschine;
Typ A: wäre eine Person, die derart umfassend von den Mechanismen des Systems für das er oder sie arbeitet aufgesogen wurde, dass die Person aufgehört hätte eine eigenständige Wesenheit zu sein. ••• Zurück
[02] Noosphäre (in etwa: ›Welt der Gedanken‹) ist ursprünglich die Wortschöpfung eines heilsgeschichtlich überspannten Jesuiten aus den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts, entsprechend theo- und teleologisch aufgebrezelt als Phase des kollektiven Menschengeistes auf dem Weg zum Omegapunkt, das heißt, dem am Jüngsten Tage wiedererscheinenden Christus. Die weltlich-mildere, heute gebräuchlichere Bedeutung bezeichnet mit Noosphäre schlicht die Welt der Ideen und denkbaren Gedanken. ••• Zurück
[02] So Harkaway selbst in einem Interview über seinen Roman. Man darf das auch lesen als Empfehlung des Romanes für »Fantasyfreunde, die die Schnauze voll von Formel-Fantasy haben«. Wobei das Wort ›Fantasy‹ sich hier als ›Phantastik‹ sinnvoller begreifen lässt, und weniger als ›Fantasy‹ im Sinne von ›aufgewärmte Mittelalterromantisierung mit Offenbarungsglasur‹. ••• Zurück