Gott! Wie klein sind die Menschen!
Altes Volkslied.
Schwadronarius, Neugott und Aerostograph, beurteilt die Menschen aus der Vogelperspective und empfindet dieses Herzeleid 6000 Fuß hoch über dem Niveau des Straßenpflasters.
Die schönste Verwünschungen des Altertums halten keinen Vergleich aus mit der gedankenreichen Anrede, welche Schwadronarius' Munde entströmte, als er die Erde verließ. Die Schnelligkeit seines Aufsteigens fand nur in der Schnelligkeit seiner Worte einen würdigen Nebenbuhler. Die Gegenstände, welche seine Blicke trafen, dienten allein dazu, die Flut seiner lyrischen Improvisation zu vermehren. Über einer Reitbahn ließ er den Ballon anhalten, aber nicht um den Raum, den er durchschnitten, zu messen, sondern nur um gegen die Menschen im Allgemeinen und die Kunstreiter im Besonderen neue Redensarten zu schleudern.
»Das sind Menschen, die ihr Leben damit verbringen, Wendungen und Verrenkungen auf der Croupe eines Pferdes zu machen; Frauen, die ihren Ruhm darin suchen, durch einen mit Ölpapier beklebten Reif zu springen und in fleischfarbenen Tricots und flatternden kurzen Gewändern ihre Künste hoch zu Ross zu producieren, Alles nach den Worten: ›Hupp! Hupp! Hupp!‹, oder ›Hopp! Hopp! Hopp!‹ mit Begleitung von türkischer Musik.«
Kaum war er damit fertig, so trieb ein Windstoß seinen Ballon nach der linken Seite und Schwadronarius schwebte jetzt über der Terrasse eines Gartens, dessen Bezeichnung sehr viele, mehr oder minder interessante Romane enthalten. Ein Jüngling und eine Jungfrau plauderten miteinander auf dieser Terrasse sehr leise, dicht aneinander sich drängend. Unten schlich ein Mann, Vater, Oheim oder Vormund vorsichtig auf dem Fußsteige längs der Gartenmauer näher. Schwadronarius lächelte über die vergeblichen Anstrengungen, die er ihn machen sah, um sie zu überraschen, als er plötzlich gerade in dem Augenblicke, wo die Jungfrau dem Jüngling den Scheidefuß zu geben im Begriff stand, in der Ersteren sein Bäschen Gertrude erkannte, für die er die zärtlichsten Liebeslieder in Musik gesetzt und ihr gewidmet hatte. Da begriff er zum ersten Mal, dass ein Gott lieben und leiden könne, wie ein gemeiner Schäfer. Nun hätte er gern seinem Rächer beigestanden und gesehen, wie dessen Zorn und Regenschirm den verhassten Nebenbuhler traf, aber er fühlte zu sehr das Bedürfnis, seine neue Würde zu retten, und stieg daher majestätisch wieder empor.
Unserem göttlichen Aeronauten bot sich, als er so hoch über den Straßen, den Häusern und Vorstädten dahinschwebte, noch manches Schauspiel zwar umsonst, aber nicht eben ergetzlich dar. Unwillkürlich richtete er den Blick auf ein Ballet unter offenem Himmel, das einige junge Savoyarden und einige alte Pudel aufführten.
»Unglückliche Kinder! Unglückliche Hunde!«, rief er. »Dazu verwendet der Mensch Eure Jugend, Eure Anmut, Eure Frische! Unschuld, Alter, Hunde, Alles macht er seinem Vergnügen dienstbar. Wahrlich, ich werde mich nicht mehr um ihn kümmern!«
Dieser Entschluss hinderte ihn jedoch nicht, eine vorübergehende Amsel zu fragen, was sie von den Menschen halte.
»Der Mensch«, pfiff die Amsel, »ist ein plattes Wesen. Er verabscheut uns und beneidet uns sein ganzes Leben hindurch um die Fähigkeit, zu fliegen. Endlich stirbt er aus Verdruss darüber, dass die Flügel, die er sich macht, an der Sonne schmelzen. Das ist meine Meinung über den Menschen.«
Schwadronarius tat nun dieselbe Frage an den Kranich.
»Der Mensch«, entgegnete der Kranich, »ist ein sehr plattes Wesen. Er versucht vergebens, uns nachzuahmen. Auf Locomotiven strebt er uns einzuholen und ist eifersüchtig, dass unsere Flügel uns weiter tragen als ihn seine Eisenbahnen.«
Eine Lerche sang ihm auf dieselbe Frage folgende Antwort:
»Der Mensch ist ein außerordentliches plattes Wesen. Die Vortrefflichkeit meines Gesanges bringt ihn zur Verzweiflung. Er versuche es einmal, wie ich einen Triller im Aufsteigen zu schlagen, seine Töne zwischen Himmel und Erde erschallen zu lassen und ein Solo, umgeben von den Strahlen der aufgehenden Sonne, zu singen. Der Mensch ist neidisch und ohne Fähigkeiten. Das ist meine Meinung.«
Eine junge Nachtigall flötete ihm dieselbe Ansicht über den Menschen zu.
»Die Vögel haben Recht«, sagte Schwadronarius, »ich teile ganz ihre erhabene Ansicht und habe die Plattheit des Menschen nie besser begriffen als jetzt.« Nachdem er diesen Gedanken in sein Album geschrieben, beschloss er ihn dem ersten Zugvogel mitzuteilen, der ihm begegnen würde. Eine wilde Ente, die nach Europa flog, um sich dort von einer Leberkrankheit kurieren zu lassen, war so gefällig, das Blatt mitzunehmen.
Schwadronarius schwebte gerade über Paris und gewahrte tief unten auf dem Vendomeplatze die Napoleonssäule.
»Ich sehe«, fuhr er fort, »dieses großartige Denkmal menschlichen Ruhmes. Kutscher und Wasserträger, Herzoginnen und Hökerinnen {= herumziehende Händlerin}, vornehme Herren und gemeines Volk, kurz alle Welt umkreist das Monument; zwischen der hundert Fuss hohen Säule und den Menschen sehe ich keinen Unterschied; sie scheinen mir sämmtlich gleich hoch zu sein. — Von dem Gesichtspunkte aus, auf dem ich mich befinde, ist der Ruhm gleich dem Nichts.«
Befriedigt von dieser Definition schwang sich Schwadronarius wieder zur Sonne empor.
Als seine Blicke zum letzten Mal auf der Erde ruhten, sah er das Pflaster des Boulevard von Fiakern {= zweispännige Pferdekutsche}, Kutschen und Wagen voll Masken überschwemmt. Ein verwirrtes misstöniges Geschrei drang bis zu ihm. Er wollte sich von diesem für das Auge eines Philosophen so traurigen Scenen entfernen, aber eine Windstille hielt seinen Ballon fest. Diese Zeit benutzte er, um sein Tagebuch zu schreiben, hielt es jedoch für passend, seinem Obergott die Geschichte mit Gertrude zu verschweigen. Wir verdanken diese Episode der Schwatzhaftigkeit eines Hänftlings; sie beweist, dass Alles, selbst von oben gesehen, seine Nachtseite haben kann.
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Eintrag No. 677 — Am Samstag zum ersten mal Googles ›Straßenschau‹ ausprobiert. Schon mal 'ne geschmackliche Entgleisung, dass Google als Beispiel auf der ›Wie geht's‹-Seite die olle Siegessäule zeigt. Aber ab nach Frankfurt: Das Haus, in dem die Molochronik entsteht muss freilich verpixelt sein (damit man die Bombenwerkstatt im Hof nicht sieht). Sehr cool, sich wie ein Geist auf Trip die Straßen entlang zu klicken. Überhaupt ist die Straßenschau bemerkenswert gespenstisch: ich nähere mich auf der ›Am Brennhaus‹-Straße dem Südost-Eck des Altgriesheimer Parks, in Klicks von ca. je 5 Metern. Zuerst seh ich nur das Telefonhäuschen und wie ein Kerl mit grauem Pullover und Fahrrad an selbigen vorbeispaziert. Klick. Der Kerl nun im Gespräch mit einem anderen Mann mit scharzem T-Shirt, der auf einer Fahrradabsperrstange sitzt. Klick. Ein dritter Kerl mit rotem Shirt gesellt sich dazu. Klick. Nun ganz nah dran, der Mann in rot ist weg. Die anderen beiden sitzten lässig auf der Stange, der eine mit Fluppe in der Hand. Klick. Ich guck aus westlicher Sicht das Eck an, und holla, da ist der Kerl mit dem rotem Shirt wieder.
Durchaus schön, dass die Straßenschau eine meiner Lieblingsmauern im Viertel konserviert hat. ›Am Gemeindegraben‹, nahe der S-Bahnhaltestelle, gleich gegenüber einer Trinkhalle namens »Die Blechtrommel« ist diese sehr aparte Backsteinmauer, bis auf halbe Höhe aus dunklen Ziegeln gesetzt. Inzwischen wurde sie leider verputzt und sieht entsprechend fad aus.
Höhepunkt der Ironie: guck ich vom Paulsplatz / Braubachstraße in Richtung Südost, sehe ich ein Banner der Schirn Kunsthalle über den Zugang zum Römerberg gespannt. Und was für eine Ausstellung wurde da angepriesen, als der Google-Wagen sein Photo schoss?: »Die Totale Aufklärung«.
<img src="www.antville.org" align="right" style="margin-left:10px; margin--bottom:5px;"alt="Schuberzierbild von Arno Schmidts »Zettel’s Traum«, gesetzte Ausgabe der Arno Schmidt-Stuftung im Suhrkamp Verlag..">Lektüre: Dreissig Seiten weiter mit »Zettel's Traum« und damit jetzt knapp an der 100-er-Marke. Schön langsam beginnt sich ein steter Lesespaß einzustellen. Ich les das Trumm wärend ich Essen warm mache, oder auch auf dem Klo (kleine sportliche Übung in Kniebalance). Auch wenn ich 'ne Zielscheibe abgeben mag, von wegen, die ganzen Sex-Wortspiele von Arno Schmidt sind noch so was von verklemmten Altherrenzoten, yadder yadder yadder … ich steh dazu, dass mir dieses Riesenwerk Vergnügen bereitet. Freilich bin ich nich so begeistert über die ganzen Sigmund Freud-Anteile, aber einige Hypothesen dieser großen Analyse zum Werk und Wesen von Edhar Allan Poe scheinen mir doch plausibel zu sein. — Unbedingt empfehlen kann ich die die ersten ausführlicheren Einträge in Bonaventuras »Zettel's Traum lesen«-Blog, die sich beide lediglich der ersten Seite widmen: Seite 1 (1) und Seite 1 (2). Wenn der in dieser Ausführlichkeit weitermacht, dann stellt dieses Blog nicht weniger als eine echte Sensation dar. — Von der Rezensions-Front lässt sich diese ausführliche TAZ-Besprechung von Stephan Wackwitz vermelden: Neuentdeckung eines Dinosauriers. Wie heißt es dort so schön:
Die Wahrheit über Schmidts Spätwerk besteht wahrscheinlich darin, dass es, viel deutlicher als die meisten anderen inkommensurabel großen Bücher, beides zugleich ist. Große Kunst und kompliziert ausgearbeiteter Dachschaden. Und die Schwierigkeit und vielleicht Unmöglichkeit, sich zwischen diesen beiden Lesarten zu entscheiden, {…}
Und ich mag (unter anderem) genau dieses Flirren.
Unterwegs verköstige ich derweil das erste der »Titus«-Bücher von Mervyn Peake in der Neuausgabe, »Gormenghast: Der junge Titus«. Ich habe »Gormenghast« vor ca. 15 Jahren schon einmal auf Deutsch, und vor ca. vier Jahren dann endlich mal auf Englisch gelesen. Weiterhin bin ich fasziniert davon, wie ungewöhnlich dieses Werk, wie spannend und bezaubernd es ist, obwohl (vor allem auf den ersten 200 Seiten) eigentlich ziemlich wenig geschieht. — Aber: desto länger ich die Umschlaggestaltung der neuen Ausgabe anguck, um so mehr enttäuscht sie mich. Immerhin ist der neue Schriftsatz nun sehr angenehm zu lesen. Die deutsche Erstaushabe war diesbezüglich ein Graus (aus einer Zeit, in der die Hobbittpresse viele schräcklich gesetzte Bücher produziert hat). — Und ich bin enttäuscht und somit grummelig auf die deutsche phantastische Internetgemeinde, denn bisher sind nirgendwo besprechende Rezis, Blog- oder Forumbeiträge zu der Neuausgabe aufgetaucht (wenn, dann hab ich sie übersehen, und will nichts gesagt haben).
Ansonsten: Hatte mal wieder drei Tage am Stück frei und mehr oder minder durchgemacht um ordentlich voranzukommen mit einem Übersetzungsprojekt (sehr feine SF- & Phantastik-Kurzgeschichten). — Zur Entspannung habe ich mir Folgen der zweiten Staffel von »Star Wars: The Clone Wars« gegönnt, der, wie ich ketzerisch juble, besten Inkarnation von ›Star Wars‹ für meinen Geschmack. Hier passen Anspruch, Form, Inhalt und Stil endlich kongenial zusammen.
›Humanistische Presse-Schau‹ präsentiert: Carsten Frerk kommentiert die Antworten der Katholen auf Fragen über ihre Finanzierung und Stellung zum Verhältnis Staat & Kirche: Kirchenfinanzierung: Fragen und Antworten.
(Deutschsprachige) Phantastik-Funde
›PhantaNews‹ hat ein ausführliches Interview mit der von mir sehr geschätzten Ju Honisch geführt: »Das was man selbst am meisten mag, macht man auch am besten«. Nicht nur, weil ich die ersten beiden Bände ihrer historischen Fantasyromane der (ich nenn die mal so) ›Fay-Welt‹-Romane probegelesen habe, lobpreise ich diese bei ›Feder & Schwert‹ erschienenen Bücher. Sie stellen in meiner Lektüreauswahl eine Ausnahme dar, da ich Reihen ja eher scheue. Aber die Mischung, die Ju da mit kurzweiligen Stil zusammenzaubert überzeugt mich (siehe meine Rezension zu »Das Obsidianherz«).
Catherynne Valente, Autorin von »Palimpsest« (würd ich gern testen, kam aber noch nicht dazu) zeigt sympathischerweise, dass man keineswegs auf andere Menschen angewiesen ist, um eine fetzige Diskussion zu führen. Man Frau alleine reicht. Zuerst lässt sie diese lange Uffregung vom Stapel, warum ihr die große Steampunk-Welle auf den Geist geht: Here I Stand, With Steam Coming Out of My Ears, rudert aber etwas erschrocken über die Heftigkeit ihres Zeterns mit Steampunk Reloaded zurück, und zählt dann schließlich auf, was sie asn Steampunk doch mag: 10 Things I Actually Do Love About Steampunk.
Zuckerl
Ganz toll finde ich die Illustrationen von Farl Dalrymple, vor allem die Eiblicke in seine Skizzenbücher. Seine Art zu kolorieren erinnert mich an einen Enki Bilal, der noch nicht dem Solepsismus der Coolheit seiner eigenen Deprisphären verfallen ist. Delrymple bietet z.B. feine »The Sandman«-Charaktere, wie Death, Marv Pumpkinhead, Zelda & Chantal und Delirium. — Und das hier ist vielleicht das typische ›residual self image‹ eines Genre-Fantasy-Fans?
Franziska Felber hat für ›Die Welt‹ einen schönen Text zum 25-jährigen Jubiläum von ›Calvin & Hobbes‹ verfasst: Ein Anarchist und sein Plüschtier.
›A Journey Around My Skull‹ präsentiert die Illus von Harry Clarke zu Goethes »Faust« (die z.B. Neil Gaiman sehr zu schätzen weiß).
Ganz großer Spaß! Der unvergleichliche ›Distressed Watcher‹ nimmt in drei »Let’s Watch«-Vcastfolgen den »Twillight«-Film auseinander Folge eins, Folge zwei & Folge drei. Nützliche gelernte Vokal diesmal: ›das Nullodrama‹.
Eintrag No. 672 — Prolarifari: Entdeckt habe ich Arno Schmidt (= AS) über das ›Magazin für jede Art von Literatur‹, »Der Rabe«.
(Mein erster »Rabe« war die No. 20, »Der Film-Rabe«, aber begeistert von diesem, habe ich damit begonnen, alte Nummern des Magazins nachzukaufen. So fand ich die ersten beiden Schmidt-Texte, an die ich mich erinnern kann, in der nachgekauften Nr. 9, »Der klassische Rabe«, und der Nr. 5, »Der philosophische Rabe«. Ich meine natürlich AS heftige Beschimpfung des Literatur-Nobelpreises »Stigma der Mittelmäßigkeit« und sein zündendes Un-Glaubensbekenntnis »Atheist? : Allerdings!«.)
Bald darauf erstand ich mein erstes Arno Schmidt-Buch: »Deutsches Elend«, eine glänzende Ergänzung, wenn man, wie ich als Teen, gerade dabei ist, sich mittels Scheibenwischer, Sigi Zimmerschied, Gerhard Polt und Großwerden unter FJS, seinen Amigos, sowie dem ewigen Kandesbunzler Helmut dem Kohl, in HeimatEkel zu üben; — Und die erste Prosa, die ich dann von ihm verköstigt habe, waren »Leviathan« und »Gadir«, zwei Texte, die ich seit dem, wie so manches andere von AS, mehrmals gelesen habe.
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Dienstag, 19. Oktober 2010: Gelobt sei mein liebes Weib, dass von dort, wo mein Exemplar der Studienausgabe von »Zettel's Traum« angeliefert wurde, das schwere Ding nach Hause, also mir entgegengewuchtet hat. Hörte die Arme schon treppauf kommend stöhnen unter der Last von »Zettel's Trumm«. Nun also endlich meins. — Habe Jahrzehnte gewartet. Als Teenager viele Wochen lange Nachmittage nach der Schule damit rummgebracht, in der Stadtbücherei die Faksimile-Ausgabe zu durchstöbern. Vom Anfang weg kam ich damals nicht weit. Aber beim Herumblättern blieb ich hängen bei der Passage über die Panoramen-Kunst und ihren Einfluss auf Poe und Verne (in Buch 2: »In Gesellschaft von Bäumen«). War schwer beeindruckt.
(Gedankenspiel, das mich schon lange Zeit belustigt: Was hätte Arno Schmidt wohl angestellt, wenn er länger gelebt und noch einen PC in die Finger bekommen hätte, er also z.B. mit einem frühen Version von QuarkXPress seine Textlandschaften zurecht formatiert hätte.)
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Dienstag, 02. November 2010 – Wortmeldung im ›Schauerfeld‹-Blog: Bisher fruchtbare Lesehaltung (und ich habe nun Jahre nix längeres von AS gelesen, sozusagen gefastet für ZT): Jeden Tag 2 bis 4 Seiten. — Vieles muss man eben nicht lesen, sondern hören, dann sind auch die ganzen Verrätselungen nicht kryptisch, sondern einfach nur Gewohnheits-, also Einlese- & Tuning-Sache.
Zu den »Was soll das Zettels Trumm?«-Fragen will ich einfach mal auf Stellen hinweisen, die mir autopoetische Schlüssel zu sein scheinen. — Meine Prämisse: AS schreibt über einen DichterPriester (= DP) durchaus so selbstgewahr (selbstgewirr), zu wissen, selbst ein DP zu sein (oder sein zu wollen, bzw. für einen gehalten werden zu können).
{…} DP's. Mein Haupteinwand gegen sie wäre : daß sie, vor lauter mystischer Apartheed, nich mehr imstande sind, den einfachsten Gegenstand {…} als solchen zu schildern
(S. 23) Und was unternimmt AS (nicht erst seit ZT)? Er schildert einfache Gegenstände, wählt kleine Welten und verwandelt sie in viel (komplizierten) Text. Wie Joyce zeigt er, dass ein Tag 1000 Seiten und mehr Stoff hergibt, wenn man verwandelnd und detailver- & besessen vorgeht.
{…} »ss doch scharfsinnig genug! {…} Das sind diese Leute Anderen gegenüber arg gern – und wenn sich's um abgespaltene Selbstportraits handelt. {…} Jetzt auch noch die Auflage: EDGAR POE zu sein. ! Wenn man über 50 noch etwas Mittelgroßes leisten will, muß man sein Leben aufs Spiel setzten.
(S. 26) Na wenn das nicht Selbstironie ist, was dann?
Die Bejahung der Vielsinnigkeit {…} auf Traumbasis zu schreibn also; leistet einer Mehrstimmigkeit im höchsten Maße Vorschub.
(s. 39) Siehe Details. Oder ganz banal: AS, Fan von Genre- & Reise-Abenteuern hat unter anderem seinen Spaß damit, beim Übersetzen mit Pschüchologie-Besteck im Poe zu puhlen. — Siehe auch Explizierung:
»Du reitest auf FREUD rum, geldt?«
(s. 44) — Beiseit: vielleicht ist das ›geldt‹ ein Deut auf die schelmische Spekulation, warum die ZT-auflage die anvisierte Versteh-Leserzahl 400 überstieg, weil man eben darauf baute, dass viele viele Psychoheinies von dunnemal ZT ›ernst‹ nehmen würden. — (Siehe auch: AS, der verkannte Kalauer-Humorist der eine Vielsinn-Douplone nach der anderen münzt… für andere dann halt nur die hinlänglichsten Altherrenwitz-Prallinen der willhelminischen Muff-Welt.)
Kurz: ich versuche AS genau so unernst zu nehmen, wie ich muss, um mich auf ihn als Mensch, bzw. als Schelm, als Besessenen einzulassen. Auch mich überkommen bei AS-lektüren ab und an Phasen, wo mir seine Schreibe, genauer: seine Getriebenheit, sein Wille zum Elitarismus unangenehm werden. Aber die Grundresonanz von AS zu mir rüber, was ich so über die Zeiten zu vernehmen glaube, ist mir sympathisch. Wäre das (Spät)Werk von AS zugänglicher, einfacher und wohlproportionierter geraten, wenn er sich nicht aus der einen Art Beengungen in (s)eine selbstgewählte geschrieben hätte? — Sehr vermutlich. Sicherlich.
Arno Schmidt: »Zettel's Traum« (1970, Faksimilie Erstausgabe); typographisch von Friederich Frossman gesetzte Studien-Ausgabe; 6 Bücher in vier Teilbänden mit insgesamt 1530 Seiten; Arno Schmidt-Stiftung im Suhrkamp-Verlag 2010; ISBN: 978-3-518-80300-4.
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Der Dampf wird der Welt ― und der Musik eine neue Gestaltung geben. Ich bedaure Nichts so sehr, als ihn nicht gekannt zu haben.
Napoleon auf St. Helena
In diesem Jahrhundert des Fortschritts ist die Maschine ein vervollkommneter Mensch.
»Die Pickelflöte«. Musikalisches Journal.
Von der wunderbaren Entdeckung, welche Dr. Puff machte, mit deren Hilfe er ein Riesenconcert geben und für sechs Silbergroschen zu Mittag essen konnte.
Nach dem er das Inventarium aller Mobilien, Immobilien, Actien, Erfindungen und Partituren, welche ihm seine Mit-Neu-Götter zurückgelassen, aufgenommen hatte, befand sich Dr. Puff auf dem Punkte, der Verzweiflung anheimzufallen, als er plötzlich unter diesem Material ein Dutzend gegossener Musikanten entdeckte.
Er nahm sie aus der Kiste, welche sie barg, und konnte nicht umhin auszurufen:
»Das ist der Mann, den sie verkannt, das Genie, dass sie zehn Jahre lang mit zerrissenen Stiefeln umhergehen ließen! Und doch, Schwadronarius, bist du der Einzige und Erste, der das Mittel gefunden, die Anforderungen des musikliebenden Publikums zu befriedigen, und das Geheimnis ersonnen hat, Sänger mit ehernem Gaumen zu schaffen und ein Orchester durch Dampf in Bewegung zu bringen. Mein sei der Ruhm, deine erhabene Erfindung der Vergessenheit zu entreissen. Heute noch gebe ich ein Concert; denn ich muss mir Geld zum Mittagsessen schaffen.«
Ohne Zeit zu verlieren, ließ er an allen Straßenecken folgenden illustrierten Zettel anheften.
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Mit hoher oberigkeitlicher Bewilligung
Mechanisch-Metronomisches
Instrumental-, Vocal- und Phänomenal-Concert
in zwei Stationen.
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Am Schlusse:Jubelhymnus für 200 PosaunenHerr Doctor Puff dirigiert die Maschinen.
Erste Station:
Ouverture für großes Orchester aus der Oper »Die Schienen-Noten«.
Eisenbahn- und Dampfschiff-Duett, vorgetragen von Fräulein Locomotive und Herrn Schlotfang.
Trinklied von Fräulein X, 22 Monate, 6 Tage und eine Nacht alt.
Zweite Station:
»Das Ich und das Nicht-Ich«; philosophische Symphonie in C-Dur.
»Die umgeschlagenen Waggons«. Polonaise für 400 Ophicleiden.
»Der Dampfkessel«. Symphonie für Hochdruck, mit 300 Pferdekraft.
»Die Explosion«. Jubel-Hymnus für zweihundert Posaunen.
An das hochverehrliche Publikum.
Alle Kinder unter vier Jahren, welche anfangen zu rauchen, zu dichten und zu componieren, bezahlen den halben Eintrittspreis doppelt. ― Das Concert findet mit vollem Gasometer statt in einem tragbaren gegossenen Saal und macht vier Meilen Koloraturen in der Stunde. ― Für die Inexplosibilität der Musikanten wird Bürgschaft geleistet. ― Die Eröffnung beginnt auf dem Bahnhof präcise fünf Uhr Abends. ― Die erste Fahrt ist in C-dur. Die zweite in B-Moll.
Die Coupés, Sitze und Waggons haben mittlere Temperatur. ― Man kann Dampfbäder in vergitterten, besonderen Logen erhalten.
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Höchst wichtige Schlussbemerkung.
Es wird ausdrücklich gebeten, weder Finger noch Nasenspitzen herauszustrecken. Alle Zeichen der Missbilligung, alles Murren oder Pfeifen, die dem Luftstrom eine falsche Richtung geben und Gesundheit und Leben der Zuhörer in Gefahr bringen könnten, sind ausdrücklich untersagt. ― Die Zeichen des Beifalls dagegen, bei denen man solche Folgen nicht zu fürchte hat, sind dem hochverehrlichen Publicum, das sich der Begeisterung ganz hingeben kann, durchaus freigestellt.
Um alles Unglück bei dem Schlusse des Concerts zu vermeiden, werden viele Ventile für den Abzug des Publicums geöffnet werden.
Das Concert findet zum Besten eines antimillionären Künstlers, der in den Mond geflohen ist, statt.
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Artistische Gratiszugabefürdie Abonnenten des Journals: »Die Pickelflöte«
Fräulein Locomotive und Herr Schlotfang
in dem Duett»Eisenbahn und Dampfschiff.«
ha ha ha ha ha ha ha ha ha ha
ha ha ha
ha ha ha ha ha ha
ah ah ah
oh la la la! oh! ah! oh! ah! la! la!
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Simon (dessen »Die Konstitution des Wunderbaren – Zu einer Poetik des Science-Fiction-Films« ich allen Genre-Theorie-Interessierten ausdrücklich empfehle) erklärt darin Todorovs Thesen so, dass man sie verstehen kann. Zudem gibt es im ersten, dem Theorieteil, einiges über: den Struktualismus, das Verhältnis von Erzähler und Leser, Realismus, Brüche und Unsicherheiten (inkl. Phantastik & (ta-da!) Pseudophantastik), Erzählweisen, den zweifachen Tod der Phantastik; — und dann, im zweiten Teil werden praktische Deutungs-Beispiele geliefert anhand von Henry James, Edgar Allen Poe, »The Blair Witch Project«, Franz Kafka, Thomas Mann und »Pan’s Labyrinth«. — Link zu dem Buch wird ergänzt, sobald es eine Buchwebsite gibt.
Zweitens sind die ersten beiden Bücher des Golkonda Verlages mit von mir gezeichneten Autoren-Portraits erschienen und heute per Post bei mir eingetroffen. — Fühl sich großartig an, für einem so exzellenten Verlag und dessen feine & ordentlich gemachte Bücher etwas beitragen zu können, und sei es nur eine kleine Zeichnung für die hintere Broschurklappe.
Jon R. Lansdale»Kahlschlag«. Der Roman beginnt auf Seite eins mit einem Kill, als Sunset Jones ihren Mann Pete erschießt, als er sich gerade wieder mal besoffen über sie hermachen will. Bin schon gespannt, was in diesem, im Texas der 1930er angesiedelten, Roman abgeht. — Lansdales Schreiben kenne ich bisher nur von a) seinen exzellenten Jonah Hex-Comics, den sicherlich besten Geschichten, die es bisher zu diesem unheimlichen Westernhelden gibt; und b) durch seinen Beitrag »Jiving with Shadows & Dragons & Long, Black Trains« aus dem dritten Band mit Hellboy-Kurzegschichten »Odeest Jobs«. (Und dann habe ich noch vor vielen Jahren einen Roman und einige Kurzgeschichten von Lansdale gelesen, kann mich aber nicht mehr an Detail erinnern.)
Und ›last but not least‹ ist es mir eine ganz besondere Freude, dass meine Portraitzeichnung von Tobias O. Meißner nun die neuabgemischte Auflage seines 1999-Buches »HalbEngel« ziert. — Soweit ich mitbekommen habe, war es Tobias selbst, der meine ursprünglich für »Magira« angefertigte Zeichnung als Autorenportrait für »HalbEngel« wünschte, und damit losgetreten hat, dass ich nun immer wieder mal neue Illus für den Golkonda Verlag machen werde. Ich danke ihm viele tausend Male und verspreche, dass ich nun aber wirklich bald eine gute Farbkopie des Originals zu ihm nach Berlin schicke. — Und ja, auf das Buch selbst bin ich auch gespannt. Immerhin geht Meißner einen Weg der Phantastik-Poetik, den ich so ähnlich wohl auch eingeschlagen hätte, wenn ich nicht vor lauter Verzagtheit (sprich: letztendlich Dummheit & Unfähigkeit) seit Jahren mit Geschichtenschreiben pausieren würde.
Eintrag No. 668 — Dem Kalender nach sollte es kälter werden, aber das Wetter tüdelt herum, als ob es einen zweiten Frühling anpacken möcht. Mein Immunsysthem spinnt entsprechend, meine Glieder knacken, meine Muskeln knirschen, und mein Nasen- & Stirnhöhlenbereich fühlt sich an wie etwas, das auf der Rückbank eines havarierten Autos vetrocknet. Trotzdem (leider — GOttseidank): zum richtig krank werden reicht es nicht.
Lektüre: Mit »Behemoth« von Westerfeld & Thompson bin ich fertig. Kurzweilig, wunderschön dank der Illustrationen, diesmal mit einer Prise gelungener Niedlichkeit & Liebeswirren. Und obwohl mir dieser zweite Band der »Leviathan«-Trio gut gefallen hat, haben sich merklich Ermüdungs- und Routineeffekte eingestellt, die mich daran hindern ein natürlicher Freund von Serien- & Mehrteilerwerken zu sein .
Die Spätantike erlebte schießlich den Untergang der Philosophie in der Theologie. {…} Fürsten sind an Priestern, nicht an Philosophen interessiert. {…} Monarchen ist nicht an Schülern gelegen, sondern an Gefolgschaften. {…} Der praktische Wert der »Geistigen« beschränkt sich in dieser Zeit aufs Untertanenmachen von innen.
Zu dem Bestand exoribitant schöner und ungewöhnlicher Bücher im Haushalt hat sich »I Wonder« der Typographin und Graphic Designerin Marian Bantjes gesellt. Auf Bantjes bin ich schon vor einigen Monaten aufmerksam geworden durch den TED-Talk »Intricate beauty by design«, für mich als Amœnokrat natürlich von besonderer Bedeutung. »I Wonder« ist eine Wunderkammer der modernen Ornamental-Gestaltung. In 13 Abschnitten denkt Bantjes über so verschiedenen Dinge wie Staunen, Verwunderung, Politik des Ornamementes, Erinnerungen (Photos und Schmierzettel), Heraldik, Firmenlogos, Ehre und Bedeutung nach. Am allerbesten aber finde ich »The Alphabet: A Critique«. In diesem merklich flappsigen Text kommentiert sie jedem Buchstaben und spannt dabei die ulkige Phantasie auf, dass ein anonymes Font-Studio der Altvorderen in Gemeinschaftsarbeit das Alphabet gestaltet hätten.
Ansonsten bin ich mit »Zettels Traum« Arno Schmidt bis etwa Seite 50 vorangekommen. Dän Pagenstecher doziert und das Übersetzerpärchen Paul und Wilma und deren Tochter Franziska lauschen, nicken, geben Widerworte zu den Ethym-Thesen von Dän, und seinen Theorien dazu, was den guten alten Edgar Allan Poe an unbewussten Impulsen und Prägungen zu seinen Texten getrieben hat. Ein Hase sprang bereits herum und Rehe wurden gesichtet. Also: eigentlich nix los, und dennoch, Dank der ungewöhnlichen Schreibe von Schmidt ist das ganze erstaunlicherweise unterhaltsam zu lesen. Wenn ich mein jetztiges Lesetempo beibehalte, dann bin ich in etwa einem Jahr mit diesem Trumm fertig.
Netzfunde
›Junge Welt‹ die Erste: In einem ausführlichen Dossier wird eine der widerlichsten Entwicklungen der gegenwärtigen Jurispudenz beleuchtet: Denn sie wissen was sie tun, legt dar, wie deutsche Rechtsgelehrte sich an dem Projekt beteiligen, in der westlichen Moderne die Folter wieder zu legitimieren.
›Junge Welt‹ die Zweite: Dass sich die Katholen, ihren eigenen öffentlich verlautbaren Moralansprüchen zum Trotz, zeihenswerterweise mit kriminellen Milieus gemein machen, ist zwar altbekannt, wird aber in diesem Text von Gerhard Feldbauer trefflich zusammengefasst: Gottes Bankster
Ganz grob (im Sinne von: hinfort mit den Privilegien gewährenden Staats-Samthandschuhen gegenüber den organisierten Kirchen) passt dazu thematisch ein Interview, dass die ›Jungle World‹ mit Michael Bauer führte, dem Sprecher des im Werden befindlichen Arbeitskreises Laizistischer Sozis: »Genossin Nahles will uns ausbremsen«.
Die frohe Kunde, dass letzte Woche (endlich) eine sich auf Lobbyismus spezialisierende Wikipedia ihren Betrieb aufnahm, wird unter anderem bei ›Telepolis‹ verbreitet: David gegen Goliath. Und hier geht es zu der Lobbypedia.
(Deutschsprachige) Phantastik-Funde
Hans Schmidt hat für ›Telepolis‹ einen laaangen Artikel geschrieben, in dem er zeigt, welch gewundene Wege im 19. & frühen 20. Jahrhundert die Flickenkreaturen und Blutsauger erlitten haben, bis sie zu den heutigen Kultfiguren im populären Monströsenkabinett werden konnten: »It’s alive!« und doch vergriffen: Frankenstein, Dracula und die Tücken des Urheberrechts.
Zuckerl
Das ›Old Hollywood‹-Blog hat ein altes Absage-Formular der Essanay-Studios ausgebuddelt, das köstlich unfreiwillig komisch-gruselig von der Praxis der frühen Filmindustrie erzählt.
Die ›Galerie 1988‹ aus Kalifornien bietet ätzende Zeitgenossenschafts-Kritik in Form von 55 fiktiven Straßenschildern der TrustoCorp: The New America.
Lobenswerte Photobuch-Idee: Der englische ›Telegraph‹ präsentiert mit einer Bilderstrecke eines Kostprobe des Photobandes Where Children Sleep von James Mollison. Solche Dokumente sagen mehr über die Schlechthinigkeit der Welt als 1000 kluge Worte.
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Eintrag No. 666 — Räume am Sonntag im Billy mit den gebundenen Schinken Zeugs aus der ersten in die zweiten Reihe, um Platz zu schaffen für Sachen, zu denen ich öfters greife, oder denen ich mich auf absehbare Zukunft vermehrt widmen will. Da fällt mir »Das Kritikon« von Gracian aus zwei Meter Höhe auf das Nachschlagwerk-Arbeitsregal, dass es die Dübel aus der Wand reisst. Perdauz aber auch, das Bookanier-Dasein ist gefährlich.
Anna Gielas hat für ›Der Freitag‹ einen lesenswerten Text über die frühe Royal Society, bzw. deren Vorgänger, Invisible College geschrieben: Gezeter, Trotz, Duellpistole.
Endlich! In der SPD versucht sich ein laizistischer Arbeitskreis zu formieren: Soziale und demokratische LaizistInnen. Ich drücke die Daumen! Wenn Ihr mal rausbekommt, was Eremitenhäuser sind, und warum die eine Millionen € im Jahr brauchen, dann gebt mir bescheit.
Nochmal ›Der Freitag‹: Längeres Gespräch mit Susie Orbach»Wir modellieren Körper«, worin dann auch auf das sehr erstaunliche Any-Body-Blog verlinkt wird. Leute davon zu überzeugen, ihren Körper modifizieren zu müssen, bzw. erstmal dafür zu sorgen, dass Menschen sich mit / in ihren eigenen Körper nicht wirklich zuhause fühlen, ist eines der fundamentalsten und perfidesten Herrschafts- & Unterdrückungs-Instrumente die es gibt (und eines der ältesten).
(Deutschsprachige) Phantastik-Funde
Die Damen & Herren der deutschen Steampunker.-Site ›Clockworker‹ waren Im Salongespräch: Oliver Plaschka. Oliver ist einer der ganz wenigen deutschsprachigen lebenden Genre-Phantasten, die für mich in die Suppe kommen. Seine »Die Magier von Montparnasse« fand ich richtig gut, mit »Fairwater – Die Spiegel des Herrn Barthalomew« bin ich zu 1/3 fertig und finde es ganz apart, und ich freue mich schon darauf »Der Kristallpalast« zu lesen.
Bin im Lauf der letzten Woche wieder von einem Agentur-Menschen angeschrieben worden, der einen Linktausch vorschlägt. Wiederum für eine Verlags-Portal- & Onlinebuchhandel- & Social Netwörk-Site. Diesmal aber für eine ganzer Reihe Verlage, die ich sehr schätze, wie Edition Nautilus, Reprodukt, Kein & Aber. Also, ganz umsonst, hier ein Empfehlungslink auf den Eintrag zu Kurt Vonneguts »Ein dreifach Hoch auf die Milchstraße« (inkl. drei Leseproben) im ›Tubuk‹-Blog.
Für den ›Tagesspiegel‹ jubelt Lutz Göllner über Verhängnisvolle Freundschaften, sprich »20th Century Boys« von Naoki Urasawa.
Wortmeldungen
Habe mich im lauf der letzten Woche noch ein paar Mal in dem Exploitation SF-Thread bei ›SF-Netzwerk‹ gemeldet.
Zuckerl
›BoingBiong‹ weist auf Joe Jubnas Schemakarte zu Japanischen Konsolen-Rollenspielen hin: The Japanese RPG formula. Köstlich, und zugleich geeignet als Beweiststück in meinem ewigen Prozess, warum ich mit den allermeisten Franchise-Sachen nix anzufangen weiß, denn was sich auf solche Karten zusammendampfen lässt, kann (in meinen Augen) nicht allzuviel taugen.
Unglaublich aber wahr. Bei ›Life‹ hat man eine alte Photo-Reportage ausgebuddelt, wie einst, im Januar des Jahres 1941 in den Wäldern des US-Staates Mayland, eine Gruppe Leuts (unter anderem William Seabrook) mit einem Voodoo-Ritual dafür sorgten, dass die Nazis den Krieg verlohren: Putting a Hex on Hitler, 1941.
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Eintrag No. 664 — In meinem Wochenrückblick No. 23 habe ich bereits meine Überraschung verkündet, dass ich nach der Hälfte der Lektüre mit diesem Roman ziemlich zufrieden bin, lasse ihm aber gerne einen richtigen Rezi-Eintrag angedeihen. Ich wiederhole hier, was ich im Wochenrückblick schon vorausgeschickt habe: zum ersten, dass Militär-SF eigentlich nicht so mein Ding ist, und zum zweiten, dass, obwohl ich viel Lob für »Tentakelschatten« von Leuten hörte, denen ich einen guten Geschmack bescheinige, ich hin und her gezögert habe, ob ich den Kauf wagen soll, zu einem Gutteil deshalb, weil mir bisweilen Dirk van der Booms Selbstinszenierung mittels seiner Kommentare in einigen Genre-Foren kreuzunsympathisch ist (man möge mir diese Antipathie-Bekundung nachsehen, aber ich finde, solche Dinge spielen eine wesentliche Rolle bei der Lektüre von Romanen, sei es, dass derartige Vorurteile den Lesegenuss vergällen, oder, wie nun, zu unerwarteten, angenehmen Überraschungen führen. — Womit stießen mir Dirks Kommentare bisweilen vor’s Gemüt? Na-ja, mit gewissen, für mich nicht vollends eindeutig als ironisch {oder doch nicht-ironisch?} kenntliche Macho-Attitüden, Geld- & Schnelle-Auto-Verherrlichungen. Damit mag ich mich als Simpel zu erkennen geben, aber so bin ich nun mal.)
Meine ›schlimmste‹ Kritik betrifft nur einen Punkt und kann hier gleich zu Beginn schnell abgehandelt werden: aus dem Buch sind, und ich las die dritte Auflage, immer noch nicht alle Tipp- und Satzfehler ausgemerzt. Etwa ein halbes Dutzend sind mir noch aufgefallen.
Zur Story: Diese besteht aus der einfachen und SF-Fans allseits vertrauten Standardsituation, dass fremdartige Außerirdische — etwa zwei Meter große Schneckenmonster, die Menschenhirne als Dünger für ihren Nachwuchs nutzen — mit ihren vielen vielen Schiffen eine von dieser Erstkontakt-Invasion völlig überforderte Menschheit überrumpeln.
Handlungsstrang No. 1 bietet die militärische Perspektive mit Raumschiffen. Da ist am Rande der menschlichen Einfluss-Sphäre ein abgenudeltes Patrouillenschiff unterwegs. Die Menschheit hat vor nicht allzu langer Zeit einen Bürgerkrieg (Kolonien gegen Zentrum, und die Kolonien haben verloren) hinter sich gebracht, und die Besatzung der Malu besteht aus während des Bürgerkriegs in Ungnade Gefallenen und Karriere-Verlierern, angeführt vom moralisch aufrechten aber desillusioniert-verbitterten Jonathan Haark. Schon hier kann ich van den Booms Tugend der pfiffigen Details lobend erwähnen, wenn er schildert, wie der Schiffskoch mit zweifelhaften Rationen umgeht; warum es besser ist, einem Säufer am Pult zwischendurch eine Pause zu gönnen; und unter wessen Pult entsorgte Kaugummis pappen.
Handlungsstrang No. 2 liefert die militärische Perspektive von der Planetenoberfläche. Die Marinesoldatin Rahel Tooma hat sich nach ihrem Rückzug aus der Truppe auf der Farmkolonie Lydos niedergelassen. Lydos ist einer der ersten Planeten, der von den Tentakeln angegriffen wird, und Rahel organisiert zielstrebig die Flucht und Verbunkerung der Bedrängten in die ausgedehnten Dschungelgebiete. — Natüüürlich ist hier erwähnenswert, dass Rahels lesbische Orientierung nicht nur eine flüchtige Nebensächlichkeit bleibt, sondern anhand einer etwa 2 Seiten langen Sexszene schön veranschaulicht wird (a la ›Entspannung & Belohnung für die tapfere Überlebenstrupp-Anführerin‹). Hier kann ich auf das m. E. nach vorhandene ›Klischee‹-Verwertungsgeschick van den Booms hinweisen, denn Sexszenen sind ja berüchtigt heikel zu schreiben (und zu lesen). Ich hab geschmunzelt, aber nicht über das Ungeschick des Autors, sondern weil Sex, sobald man ihn mehr als ein paar Zeilen lang beschreibt, mich immer zum voyeuristischen Schmunzeln bringt, vor allem, weil die deutsche Sprache hier schnell lächerlich wirkt. (Und solch Schmunzeln ist dann vergnüglich, wenn die Sach nicht bricht, einknickt, platzt oder hintüberkippt, sondern eben schmatzt und flutscht wie hier … dann passt mir das durchaus in den Kram …lechz).
Handlungsstrang No. 3 konzentriert sich auf die informations- und nachrichtendienstlichen Aspekte der Bedrohung. Der geniale Autist De Burenberg auf der Station Thetis puzzelt als erster aus der Datenflut zusammen, dass der Menschheit eine große Bedrohung aus dem Unbekannten zu Leibe rückt. Sehr amüsant, wie er und sein Verbindungsoffizier in weiterer Folge im vierten (dem politischen) Handlungsstrang ihre liebe Not damit haben, TrottelBürokraten und IntrigenHengste von den Fakten zu überzeugen. Mit dem politischen Handlungsstrang lernt der Leser zudem auch die Zustände der höchsten Machtzirkel auf Terra kennen.
Der einzige Handlungsstrang, mit dem ich etwas, aber nicht allzu unzufrieden war, schildert die Invasion aus Sicht des ersten Tentakelscouts. Für mich kann ein Text kaum zu exotisch oder zu exzentrisch werden, wenn es gilt, etwas wahrhaftig Un-Menschliches und Außerirdisches darzustellen. Dass van den Boom auf Nummer Sicher geht, mag ich ihm nicht objektiv ankreiden, ist doch meine leichte Enttäuschung bedingt durch meine Vorlieben für, und mein Verlangen nach Abwechslung stiftenden, richtig befremdlichen Alien-Seltsamkeits-Passagen. — Um genau zu sein: ich finde es ›schade‹, aber nicht ›schlecht‹, dass Dirk hier nicht versucht, dem Fremden eine höchst-eigene Sprache, Perspektive und Erzähl-Struktur zu verleihen.
Die Lehre, die ich Lesern und Autoren aus meinem Gefallen an »Tentakelschatten« liefern kann, lautet: mir ist ein gradliniger, einfacher Reisser lieber, wenn er schreibhandwerklich solide verfasst ist, meine Zeit nicht mit nervig vielen Wiederholungen bereits gelieferter Infos vergeudet, als ein ambitionierteres Werk, das mit inkonsequenten Stil und zu fahrig gestricktem Erzähl-Gewebe stresst. — Van den Boom versteht es, Äktschn, Hintergrundinfos, Charakterentwicklung mundgerecht strukturiert kurzweilig aufzufädeln. Meine Sympathie kann der Autor aber insbesondere mit einem ständig präsenten Hintergrundthema für sich gewinnen, wenn er darlegt, wie Korruption, Vetternwirtschaft, Bequemlichkeit und Misswirtschaft die logistische, personelle und nachrichtendienstliche Effektivität der Menschensphäre schwächt (die heraus lesbare Ähnlichkeit mit unserer gegenwärtigen Gesellschaft stiftet einfach zu wohl tuendende Effekte). — Am Ende des Buches, nach vielen bitteren Niederlagen und nur wenigen hoffnungsstiftenden kleinen Siegen sieht der Leser die Menschheit denkbar schlecht gegen die Übermacht der fremdartigen Tentakelschnecken-Invasoren aufgestellt.
Ich bin mehr als geneigt, in den kommenden Monaten auch zu den Folgebänden »Tentakeltraum« und »Tentakelsturm« zu greifen, wenn mich in Zeiten besonderer Anforderungen durch meinen Brotjob das (hoffentlich verzeihliche) Verlagen überkommt, schlicht eine ›nur‹ vergnüglichen ›Eskapismus‹ fördernde Arbeitsweglektüre genießen zu wollen. — (Und Dirks mich empörende Foren-Entgleisungen werde ich fürderhin mit größerer Milde zu lesen verstehen, eingedenk meines nun vorhandenen Respekts für ihn, dass der Mann eben Ahnung hat, wie man das ›wenige‹, was man sich als Unterhaltungsautor vornehmen kann, befriedigend umsetzt.)
Woraus man, neben anderen Offenbarung über die Neugötter, erfährt wie sie aus Mangel an einem Viergroschenstück genötigt wurden, sich freundschaftlich in die Erde zu teilen.
Krack gab sich für einen pensionierten Rittmeister aus und Schwadronarius für einen Kapellmeister. Rittmeister Krack von Krackenheim, Krackmandel’scher Linie auf Krackendorf, gehörte zu den Leuten, deren Alter zwischen der Zahl von fünfunddreißig Jahren und der Ewigkeit auf und ab schwankt. Er trug einen Lerchenspieß voll Orden aller Farben, die er Gott weiß in welchem Befreiungskriegen sich erkämpft. Da übrigens jedes Individuum einer gesellschaftlichen Stellung bedarf, so führte er, obwohl einarmig, Karten, auf denen zu lesen war:
Schwadronarius, ehemaliger Capellmeister, hatte früher versucht, die Tonleiter zu revolutionieren und dem alten Klavierschlüssel seine philosophische Bedeutung wieder zu geben, aber seine Anstrengungen waren erfolglos geblieben. Keine Bühne wollte seine Oper »Der Geist und die Materie«, kein philharmonischer Verein seine große Symphonie »Das Ich und das Nicht-Ich« in C-dur aufführen. Nacheinander Maler, Musiker, Optiker und Mathematiker, hatte er sich eben auf die Mechanik der Himmelskörper geworfen, als ihm Puff eine Stelle als Gott anbot, die er ganz so wie es Krack getan, und ohne große Umstände zu machen, annahm.
Puff hätte sich wirklich seine Collegen nicht besser aussuchen können. Sie befanden sich Beide in Verhältnissen, welche das Bedürfnis einer totalen Umwandlung höchst fühlbar machten. Hut, Wäsche, Kleider, Stiefel, Alles riet ihnen, sich von Kopf zu Füßen in Götter umzugestalten. Als Ober-Neu-Gott berief Puff seine Mit-Neu-Götter zur Götterversammlung in dem gewöhnlichen Lokal und richtete hier, mit derselben großartigen Beredsamkeit, als ob er zu einer Versammlung von Eisenbahnactionairs oder ordentlichen Casinomitgliedern spräche, folgende Worte an sie:
»Ich habe Sie eingeladen, um mit mir die Vorteile der höchsten Macht zu genießen, aber ich würde zum Verräter an meiner Pflicht werden, wenn ich Ihnen die Schwierigkeiten unserer Stellung verheimlichte. Als ich allein war, fürchtete ich zu verhungern; wie soll es jetzt werden, da wir unserer Drei sind? Denn wir dürfen nicht vergessen, dass wir, obwohl constitutionelle Götter, keine Civilliste haben. Daher geht mein unzielsetzlicher Vorschlag dahin:
»Wir teilen uns in die Welt und das Los entscheide, wem von uns der Himmel, wem das Meer, wem die Erde zufallen. ― Dann vereinen wir die Documente, die Jeder von uns gesammelt hat, und verkaufen sie an einen speculierenden Verleger. Wäre ich nicht ein Gott, so würde ich sagen: ›Behagt Euch mein Plänchen?‹«
Krack und Schwadronarius verbeugten sich schweigend und gaben dadurch ihre Zustimmung zu erkennen.
»Lassen wir das Los entscheiden, wer den Himmel bekommt. Kopf oder Wappen?«
»Wie sollen wir das möglich machen?«, fiel ihm Krack in die Rede, »denn keiner von uns Dreien ist Herr auch nur eines lumpigen Viergroschenstücks.«
»Ach, das ist leider nur zu wahr!«, seufzte Puff. »Aber wir besitzen doch einen Hut. Wir werfen drei Lose in diese Filz-Urne und ziehen dann.«
»Der Boden unseres einzigen Hutes hat sich abgelöst«, bemerkte Schwadronarius, »das Geschick würde durchfallen.«
»Gut denn, so sei es ein freundschaftliches Übereinkommen«, sagte Puff feierlich. »Dir, Krack, das Meer, das tiefe geheimnisvolle Meer! Dir, Schwadronarius, den Himmel! Die Kometen wedeln Dir mit dem Schweife schon ungeduldig zu, und Luna, geborene Selene, streckt Dir die Arme entgegen. Ich, ich bleibe auf der Erde; diese Partie passt sich am besten für mich. ― Ist Euch das recht?«
»Ja, ja!«, riefen die beiden Mit-Neu-Götter.
»Nun denn«, fuhr Puff fort, »reist ohne Verweilen ab und schreibt mir bald. Ich erwarte Krack’s Observationen, Schwadronarius’ Inspirationen mit Ungeduld. ― Kommt noch einmal in meine Arme und lebt wohl. Lasst die Schnupftücher stecken; Ihr könnt sie ein anderes Mal anwenden, wenn wir mehr Zeit haben.«
Krack hing die Flasche um den Hals, in welcher er seine Entdeckungen dem Ober-Neu-Gott wollte zukommen lassen, ließ seine Pfeife ausgehen und sprang kopfüber in das Weltmeer.
Schwadronaius, mit seinem Album und Bleifedern versehen, öffnete einen Taschenluftballon, blies ihn auf und schwang sich im Raume empor. Bald schwebte er hoch über den Feueressen und den Rücksichten der Menschen; ehe er jedoch ganz den Blicken der Sterblichen entschwand, richtete er noch folgende Abschiedsworte an sie:
»Ich verlasse Euch ohne Reue, o Menschen, die ich in den Tagen der Torheit meine Freunde nannte; Ihr gleicht jenen Springern, die ich in diesem Augenblicke ihre Künste auf dem Markte machen sehe. Lebe wohl, verwünschte Erde und du, Stadt des Dampfes und Kotes, Heimat der Tagediebe, der Gaukler und Gauner; treibe dein Wesen nur fort, was kümmert es mich; mich trägt mein Flug zu besseren Gestirnen!«
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Eintrag No. 661 — Habe mit Hilfe von ›Google Font‹ (genauer: den Schriften ›IM Fell Great Primer‹ {für Überschriften}, ›IM Fell English‹ {für Fliesstext} und ›Cantarell‹ {für Zitate}) die Molochronik aufgehübscht. Hoffe, auf Euren Browsern kommen die neuen Schriften genauso fein rüber, wie bei mir. Während der letzten Woche gabs vielleicht für den ein oder anderen Eurer Browser Darstellungsprobleme, die aber inzwischen behoben sein dürften. — (Nebenbei: Habe bis gestern nicht gewusst, dass der Windows-Explorer eine ›Kompatibilitätsansicht‹ hat. Sozusagen eine Schwimmflügelfunktion für Seiten, die der Explorer nicht gescheit darstellen kann. Schmunzeln streichelt meine Wangen.)
Lektüre: Zwei mal Science Fiction dieser Tage, genauer, Science Fiction-Spielarten.
Einmal Steampunk für Jugendliche von Scott Westerfeld (Text) und Keith Thompson (Illus) deren zweiter Band der »Leviathan«-Trio frisch bei mir eingetrudelt ist: »Behemoth«. Charlie Jane Anders zeigt bei ›io9‹ einige der wundervollen Illustrationen von Keith Thompson: Even Stranger Creatures… (auf Thompsons eigener Website tut sich derzeit nicht viel Neues, da er, wie es heißt, bei einer Filmproduktion mitschwitzt. Bin ja mal gespannt, welchen Streifen er mit seinem Design veredelt!), und für ›Boing Boing‹ hat Cory ›Little Brother‹ Doctorow eine knackige Empfehlung mit so gut wie Null Spoilern geschrieben.
Zum zweiten habe ich mir am Wochenende auf dem BuCon in Dreieich bei Herrm Autor höchstselbst »Tentakelschatten« besorgt, Auftakt einer Militär-SF-Trio, und von Dirk van den Boom signiert mit dem Sprüchlein »Nein Molo, das ist nicht niveauvoll«. — Ich muss zugeben, dass Militär-SF eigentlich nicht unbedingt mein Ding ist. Zudem ist mir fast schon peinlich zu gestehen, dass mir einige von Dirk van der Booms Foren-Kommentaren kreuzunsympathisch sind. Dennoch: immer und immer wieder habe ich Gutes über die Tentakel-Trio gehört, von der Dirk selbst verspricht, dass sie Aliens, Wummen und Titten Ärrrotik bietet (so von wegen ›Chicks with Guns‹). Und somit darf ich nicht wenig überrascht verkünden: hab als Arbeitswegslektüre bereits gut die Hälfte der ca. 200 Seiten weggeschlürft und bin angetan von Dirks Schreibe! — Stimmt schon: niveauvoll ist »Tentakelschatten« nicht, aber eben flott und straff geschrieben, alles andere als dumm oder (was ich ja befürchtet hatte) zu glatt gefällig ausgedacht, ergo: eine sehr kurzweilige Lesefreude. Hätte eigentlich locker mal von einem großen Publikumsverlag verlegt werden können (wenn die Eier hätten).
Netzfunde
Für Literaturkritik.de‹ hat Fabian Kettner eine lesenswerte Rezension zum Opus Magnus »Ein Vertrag mit Gott« von Graphic Novel-Stammvater Will Eisner geschrieben: Die Ur-Graphic Novel.
Nun ist »Zettel's Traum« von Arno Schmidt endlich endlich endlich in gesetzter Form erschienen (auch wenn ich noch auf mein Exemplar warte), und der Suhrkamp-Verlag hat eine Mannschaft Autorinnen & Autoren schangheit, die im ›Schauerfeld‹-Blog von ihren Lektüreabenteuern mit diesem Riesentrumm von einem Buch berichten. Da gibts natürlich selten dämliche oder am Thema vorbeitrudelnde Texte, aber exemplarisch gelungen ist z.B. dieser Eintrag von Andreas Platthaus.
Diesen offenen Brief von Henryk M. Broder und Reinhard Mohr an Christian ›NMP‹ Wulff kann ich nur zustimmend abnicken und »Genau, genau, genau« murmeln: Gehören wir Ungläubigen auch dazu? (und ich bin ja sonst kein Freund der Schreibserlei von Broder und / oder Mohr).
Douglas Coupland macht einem die miesen Zukunftsaussichten zu einem Vergnügen mit seinen A radical pessimist’s guide to the next 10 years . Besonders spooky finde ich seine Prognose, dass die beiden Pole des kommenden Alltags durch Gefängnis und / oder Shoppen markiert sein werden.
Ted Chiang ist mir vor einigen Monaten aufgefallen als brillanter Kurzgeschichtenautor, der erstaunliche Vielfalt und Gedankenfeuerwerke an den Tag legt. Letzte Woche erschien als BonBon eine neue Geschichte von ihm auf der ›Subterranpress‹-Website: »The Lifecycle of Software Objects«.
Ach ja, es war ja Buchmesse, die aber diesesjahr bis auf den Dreieich-BuCon an mir vorbeiging. Hier könnt ihr Andrea Dieners ›F.A.Z.‹-Fazit zur Messe lesen: Angenehm stillgestanden , und neben dem wie immer unübertrefflichen Don Alphonso hat sie im Buchmesse-›F.A.Z.‹-Blog ›Überdruck‹ von der Messe berichtet.
Phantastik-Funde
Auf dem Gründungskongress der Gesellschaft für Fantastikforschung habe ich Clemens Ruthner kennen- und wertzuschätzen gelernt. Clemens unterhält eine stoffreiche Website; ich verlinke hier auf sein PDF-Angebot Niemandsland: Academic Writing. Ganz besonders gefreut hat mich freilich sein Text zu Alfred Kubins »Die andere Seite«.
Schon seit einiger Zeit läuft eine kurzweilige Beitragsreihe bei ›Schöner Denken‹. Die ›Serienflittchen‹ gucken die vielleicht beste aller (zumindest meine Lieblings-)SF-Serie(n), Joss Whedons »Firefly«. Ganz besonderen Fetz bringt diese Blog-Reihe, weil das Serienflittchen-Team sich die Mühe macht, zu jedem Beitrag kuriose Fan-Links auszubuddeln.
Es ist vollbracht!!! Oliver Kotowski führt seine phantastische Weltreise auf ›Fantasyguide‹ (nebenbei: Gewinner des Deutschen Phantastik Preises als ›Beste Internetseite‹) mit der atlantisch-anglo-amerikanischen Sphäre zu Ende: Sechster Zwischenstopp: Nordamerika und Großbritannien, und bespricht dabei Werke von Salvador Plascencia, Kelly Link (Yeah!), Matt Ruff (Doppel-Yeah!!), Margaret Atwood, Antonia S. Byatt (gute Wahl!) und Terry Pratchett.
Zuckerl
Zwei Links aus dem immer einen Besuch lohnenden Blog des Künstlers und Designers John Coulthart, beide Male zum Werk des Illustrator Sidney Sime: einmal zu Kurzgeschichten des Phantastik-Klassikers (und eines speziellen Liebelings von mir) Lord Dunsany, und dann zu einer wüsten Haschisch-Phantasmagorie von HE Gowers.
Endlich mal was richtig Lustvolles, was sich aus Lego-Steinchen basteln lässt: Lego for Adults. Verstörenden Effekt haben diese Werbemotive. Als ob sich die Strip-Club-Hupfdolen aus dem alten »Duke Nukem« in der Echtwelt materialisiert hätten.
Vielen Dank an Gero, der mich beim BuCon in Dreieich auf den Fantastik-Künstler Raymond Swanland hinwies. Ganz besonders beeindruckend finde ich die Arbeiten, die er als ›Personal Works‹ einstuft.
Ein Film, dem ich schon entgegenfibbere, ist »The Tempest« von Julie Taymor. Schon »Frida« und »Titus Andronicus« haben mich beeindruckt, und ich bin gespannt, wie sich Shakespeares letztes Werk machen wird, wenn Helen Mirren die Hauptrolle des Zauberers Prospero (hier freilich: Prospera) im Exil inne hat.
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