Molos Wochenrückblick No. 42
Eintrag No. 702 — Diesmal mit weniger Links, dafür um so mehr Kultur-Meldungen aus dem Haushalt.
Zitat: Gefunden am letzten Dienstag als Tagesspruch des diesjährigen »Raben«-Kalenders. Wunderschönes auf den Punkt bringen der tatsächlichen Entwicklung einer erfolgreichen Wirtschaftsform.
Capitalism is the astounding belief that the most wickedest of men will do the most wickedest of things for the greatest good of everyone.
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Lektüre: Vergangene Woche habe ich drei ›kleinere‹ Werke geschafft.
Nummero Eka: Schon in Wochenrückblick No. 17 empfohlen, mittlerweile ist’s erschienen, wurde endlich von mir bestellt und verköstigt: die von Mahendra Singh illustrierte Ausgabe von Lewis Carrolls unsterblicher Ballade »The Hunting of the Snark«. Das klassische Non-Sense-Poem von Carroll aus dem Jahre 1876 gehört zu meinen Allzeit-Lieblingstexten. Wem die Originalfassung zu schwer ist, dem sei die Übersetzung von Klaus Reichert ans Herz gelegt (die Insel Taschenbuch-Ausgabe ist zweisprachig und enthält auch die klassischen Illustrationen von Henry Holiday).
Was Mahendra Singh geschaffen hat, ist nichts weniger eine fruchtbare Comic-Neudeutung dieses Klassikers als proto-surrealistisches Meisterwerk. Immerhin schafft Carrolls Non-Sense eine den Ambitionen vieler Surrealisten ähnliche Stimmung, nämlich eine ungewöhnliche, vielleicht sogar befreiende traumdurchwirkte Sicht auf die Wirklichkeit anzuregen, und so tummeln sich in Singhs fein, fast schon fragil gezeichneter Fassung Anspielungen auf Klassiker wie Salvador Dali, Alberto Savinio, Giogio de Chirico und (meinem speziellen Liebling) René Magritte, aber auch solcher Kunstschaffenden, die sich später von Carroll und den Surrealisten inspirieren ließen, wie den Beatles, Douglas Adams und George ›Krazy Cat‹ Herriman.
Nummero Deux: Seit ich den ersten Comic von ihm gelesen habe (das war 1998 »Die Fliege«), wurde der bemerkenswert produktive Lewis Trondheim zu einem regelmäßigen Aufheiterer meines Lebens. »Nichtigkeiten 1 – Der Fluch des Regenschirms« ist 128 dick und liefert tagebuchartige Einseiter-Gägs, unter anderem übers die Anschaffung von Katzen; die Verleihung des großen Comic-Preises; Reisen nach Edinburg und die Insel Réunion; Herumfuchteln mit ‘nem Spielzeug-Laserschwert und mannigfaches Grübeln über Zufall, Schicksal und die eigene berechtigte oder doch nur außer Rand und Band geratene Paranoia.
Am meisten mit-›gelitten‹ habe ich, als Trondheims seine Ernüchterung schildert, nachdem er mit seinem Sohn »Alien« geguckt hat. Der elfjährige Filius hängt gelangweilt auf’m Sofa, der Film geht an ihm vorbei und so stellt er ununterbrochen Fragen wie »Sind sie gelandet?«, »Wer ist der Boss?«, »Spielt der Film jetzt nur noch im Raumschiff?«, »Wieso hat der Robotor so ‘ne weiße Flüssigkeit?« und »Wieso ist es denn so dunkel?«. — Trondheim daraufhin: »Hätte ich mit 11 ›Alien‹ gesehen, ich wäre bis ans Ende meiner Tage traumatisiert gewesen.« — Und der Sohn rennt befreit davon auf der Jagd nach was zu naschen.
Nummero Three: Es war zuvörderst eine Laune des Augenblicks und weil ich vergessen hatte, mir etwas zum Lesen mitzunehmen, weshalb ich letzten Mittwoch im Bahnhofs-Buchladen zur deutschen Ausgabe von Charles Portis’ »True Grit« gegriffen habe; dann natürlich, weil in den kommenden Tagen die (Neu-)Verfilmung durch die von mir geschätzten Coen-Brüder anläuft und ich ab und zu gerne checke, welche Entscheidungen beim Umsetzten von einem Medium ins andere getroffen wurden; und schließlich, weil ich eine Schwäche für Western-Geschichten habe.
Ich verkünde folgendes nicht leichtfertig, denn es ist ein Urteil, das nur wert hat, wenn man es selten ausspricht, aber dieser schmale Roman ist makellos … ma-kel-los. Keine Zeile zuviel die stört, ablenkt, sinnlos rumhängt oder auf unnötige Abwege führt; keine Zeile zu wenig (also es fehlt nix wesentliches, keine wichtigen Fragen bleiben offen). Einfach perfekt, wenn die Erzählerinnen-Stimme der vierzigjährigen alten Jungfer Matti sich an ihre Jugendzeit erinnert, als sie vierzehn-jährig loszog, um die Heimführung der Leiche ihres Vaters zu organisieren, der von seinem angetrunkenen Farmhelfer im Suff und SpielverliererZorn erschossen wurde. Und da sie schon unterwegs ist, heuert Matti den herum- (und ein wenig herunter-)gekommenen Marshall Rooster an, um den ins Indianerterretorium geflohenen Mörder zu fassen.
Etwas verärgert, aber überwiegend amüsiert haben mich folgende Zeilen zum Buch aus der ›Literatopia‹-Rezension von Angelika:
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Film: Einmal geliehene DVD, einmal Kino mit Andrea.
»snatch – Schweine und Diamanten« Der erste Film von Guy Richie, den ich gesehen habe, war seine Neuauflage der Abenteuer von Sherlock Holmes, mit der ich durchaus zufrieden war. Sein zweiter Film, »snatch – Schweine und Diamanten«, wurde mir im Laufe der Jahre von vielen Bekannten empfohlen. Ganz ehrlich: ich habe den Eindruck, dass der Film wenig mehr tut, als auf einer Welle zu reiten, die von Tarantinos »Reservoir Dogs« und »Pulp Fiction« losgetreten wurde … auch wenn »snatch« das besser macht, als so manch anderer Flick, der uns die raubeinige Welt von Gangstern als chaotische, brutale und groteske Abenteuerwelt unterjubeln will. Die Inszenierung ist flott, die Handlung um den Diebstahl eines fetten Diamanten hinreichend verknäult um zu unterhalten, und das Spiel des Ensembles so lustvoll und deftig, dass ich über die Belanglosigkeit des Ganzen gerne hinwegsehe. Erstaunlich, wie solide Jason Statham agiert. Die größte Wonne bereitete mir Alan Ford als schmieriger Gangsterboss Bricktop.
Fazit: Netter Film für Zwischendurch, gut für eine Handvoll Schmunzler, auch wenn er mir zu berechnend cool daherkommt. — 6 von 10 Punkten (= Unterhaltsam mittelprächtig; Akzeptabel).
»The King’s Speech« Wieder einmal bringt sich eine Geschichte als Oscar-Kandidat in Stellung, die uns davon erzählt, wie ein gehandicapter Mensch mit seinem Defekt zurande kommen muss. In diesem Falle ist es der Stotterer Bertie, der wider Willen und unerwartet Thronfolger wird, und zum Beginn des zweiten Weltkrieges gefälligst meistern muss, via Radioansprachen seinen Untertanen Inspiration und Mut zu spenden, im Kampf gegen Hitler und Stalin. — Der Film schwelgt deutlich zu verliebt im Ambiente des ›good old England‹, was ich aber verzeihen kann. Immerhin erzählt »The King’s Speech« ganz effektiv davon, wie sehr Menschen mit der ihnen aufgebürdeten Stellung, der Rolle die sie einnehmen müssen und den daraus resultierenden gesellschaftlichen Zwängen zu hadern haben. Als jemand, der als Kind und Teen unter Stress gestottert und gelispelt hat, fand der Film, trotz seiner offensichtlichen Kalkuliertheit, mit mir ein wohlgesonnenes ›Opfer‹. — Das alles hätte schwer daneben gehen können, wenn nicht die beiden Hauptdarsteller (Colin Firth als sprachgestörter Prinz, und Geoffrey Rush als unkonventionell-fortschrittlicher Sprachtherapeut), und die sie unterstützende NebendarstellerInnen, hier nicht wahrlich meisterlich auftrumpfen würden.
Fazit: Berührende Studie einer Milieu-Zwänge überwindenden Männerfreundschaft; zudem auch anschauliche Darstellung, wie sehr das Selbstwertgefühl und Ansehen eines Menschen von seiner Sprache abhängen.— 8 von 10 Punkten (= Bemerkenswert mit leichten Schwächen; Anregend).
Netzfunde
- Zu den Artikeln der diesmonatigen Ausgabe von ›Le Monde Diplomatique‹, die jetzt schon im Netz nachzulesen sind, gehört Die Bahnhofslektion — Das Beispiel Stuttgart 21 und die Grundlagen der Demokratie von Lutz Wingert. Wunderbar, wie darin mittels einer längeren Analogie phantastisch geschildert wird, in welcher Art von Schein-Demokratie wir leben:
{…} Restaurant-Demokratie {…}: Vorzugsweise am Wahltag äußern die Bürger ihre Wünsche. Der Kellner in Form einer Partei nimmt sie entgegen und trägt sie in die gut abgeschirmte Küche. Dort halten die ministeriellen Köche gerne Rücksprache mit den meist privatwirtschaftlichen Experten über Grundlage und Zutaten des Menüs, je nachdem, ob es sich um ein Menü in Sachen Gesundheit, Finanzmarktregulation oder Stadtentwicklung handelt. Nach der Vorspeise werden Umfragen im Gästeraum des Bürgerpublikums gemacht und an die Kellner gemeldet. Wem die dann servierten Entscheidungen nicht schmecken, der kann beim nächsten Mal andere Wünsche anmelden oder sich an andere Kellner wenden.
- Eine feine Zusammenfassung der weltpolitischen Entwicklungen bietet dieser Vortrag von Noam Chomsky, dem großen alten Herren der US-eigenen Landes-Kritik, gehalten am 25. Januar an der Universität von Tennessee.
- ›Telepolis‹ beglückt uns mit einem langen Artikel von Tom Appelton, der mit Im (sic!) Anfang war das Bild das Werk von Robert Crumb erläutert, insbesondere dessen Bibel-Umsetzung »Genesis«.
(Deutschsprachige) Phantastik-Funde
- Gleich zwei erfreuliche Einträge gab es in letzter Zeit im noch jungen Blog der ›Bibliothek Phantastika‹: Mit Über die Nebelberge weit, zu Höhlen tief aus alter Zeit … führt uns ›mistkaefel‹ auf eine Wanderung durch unterirdische Gefilde in der Phantastik;
— und ›elora‹ steckt uns an mit ihrer Begeisterung für »Bone – Complete Edition« von Jeff Smith, diesem 1332 Seiten starken Amalgam aus klassischer Epic Fantasy und Marx Brothers-artiger Komik. Eine der ungewöhnlichsten Comic- & Fantasy-Großleistungen ever!
Zuckerl
- Eine wunderbare Spielerei, eine Art interaktives Blödsinn-Comicfilmchen, liefert Motiza von ›baboon‹. Alles beginnt stets von Neuem mit einem Samenkorn. Doch was machen damit? Es in einen Blumentopf pflanzen oder von einem Vögelchen fressen lassen? Viel Spaß mit dem Erkunden der Möglichkeiten (freut Euch über das Hasi!)
- Passend zu meinem letzten ›Fetzenschädel‹-Eintrag kann man bei antville-Kollegen pheake darüber abstimmen, wie ›Copy-Karl‹ zu Guttenberg am besten zurücktreten sollte.
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Samstag, 19. Februar 2011›Copy-Karl‹ und ›Porno-Steffi‹
Eintrag No. 701 — Nach langer Pause endlich mal wieder zwei Skribbels, wieder aus meiner ›Fetzenschädel‹-Reihe. Wie Molochronik-Kenner wissen, konterfeie ich in dieser Reihe Zeitgenossen, die mich gruseln machen, deren gesellschaftliches Wirken und öffentliches Auftreten mir Ekel und Unwohlsein bereiten oder Wutwallungen bescheren, und indem ich diese Personen portraitiere, reinige ich mich von diesen unangenehmen Gefühlen.
Karl-Theodor zu Guttenberg
Stephanie zu Guttenberg
Dienstag, 15. Februar 2011Molos Wochenrückblick No. 41
Eintrag No. 700 — Es freut mich, dass mein für den Golkonda Verlag erstelltes Portrait der Brüder Strugatzki Verwendung findet auf der Website ›Life in the 22. Century‹ von Andreas Reber.
Lektüre / Film: Habe »Unendlicher Spass« zur Seite gelegt, aber nicht abgebrochen. Mir ist was dazwischen gekommen, nämlich die Krimi-Serie »Castle«.
Ich teste immer wieder mal TV-Serien an, und finde da auch so einiges, was ganz amüsant ist, aber es ist schon eine Weile her, dass mich eine Serie so schnell so begeistert hat wie diese ziemlich klassische Krimi-Kiste mit einer Priese Screwball Komödie. — Man nehme ein Pärchen und kehre die Geschlechter-Rollenklischees um: also hier einen selbstverliebten & plapperhaften Thriller-Autor, Rick Castle, dort eine herbe & abgebrühte Kommissarin, Kate Beckett, beide erfolgreich auf ihrem Gebiet, verbandle die beiden in einem Geflecht aus gegenseitiger Faszination und vorsichtiger Distanz und schicke sie los im Gewimmel von New York um Mordfälle zu klären.
Was mich nun unter anderem arg angefixt hat, ist das Metafiktion-Spiel, das die Sendung veranstaltet: Castle begleitet Beckett vor allem deshalb, weil sie seine Inspiration für seine neue Romanfigur, Nikki Heat, ist. Und den ersten Nikki Heat-Roman, »Heat Wave«, gibt es schon in Echt als Taschenbuch, und den habe ich letzte Woche unterwegs schwupps verschnabbuliert. Keine hohe Prosa, sondern ebenso wie Brunetti, Jury und Co schlicht gute kurzweilige Krimi-Unterhaltung. — Die Serie und das Buch zeichnen sich durch flotte Dialoge und geschickt konstruierte Fälle aus. Ein großes Vergnügen.
Netzfunde
- Brillanter Beitrag von Jürgen Ertelt zum Thema »Sachliche Argumente wider den Quatsch populistischer Aktionen planloser Politiker« erschien im ›Medienpädagogik Praxis‹-Blog: Jugendmedienschutz-Staatsvertrag – ein Ungetüm stolpert über die Internet-Evolution (Teil 1) und JMStV reloaded – Strategien für einen akzeptablen Jugendmedienschutz (Teil 2).
- Henning Tillmann berichtet in seinem Blog: Bundesregierung bestätigt: teure IT-Umstellung geplant.
- Matt Ruff erzählt über seine Familie, und die Einflüsse seiner Eltern auf sein Schreiben: »An Interesting Moral Education«.
- Gideon Lewis-Kraus erklärt in der ›Die Welt‹Woody Allen, die Nanny, Thomas Bernhard und ich, dass junge New Yorker Juden den österreichischen Übertreibungskünstler als humoristischen Autoren zu schätzen wissen. Wie kann man das auch nicht? Ich habe Bernhardt immer auch als einen der ganz großen Komiker der deutschen Nachkriegsliteratur verstanden.
- Zwei Mal Arno Schmidt: Für ›Glanz & Elend‹ schreibt Wolfram Schütte Die Entzauberung des Überbuchs; und Ulrich Stock hat für ›Die Zeit‹ Zettel’s Traums Leser besucht.
(Deutschsprachige) Phantastik-Funde
- Maschine weihte für das (gelungene, neue) Blog der ›Bibliotheka Phantastika‹ eine neue Kolumne ein: Der Zwerg liest fremd: »The Windup Girl«.
Rüge
- Der Science Fiction-Podcast Schriftsonar nervt mich ungemein mit seiner platten viel zu langen Elektropampenmusik. Und in der jüngsten, der 40. Ausgabe, fröhnen die Macher einem simpel gestrickten Anti-Intellektualismus, dass die Schwarte kracht, anlässlich des Romans »Anathem« von Neal Stephenson (ca. ab Minute 24:00):
Michael Schneiberg: Ich fand Umberto Eco immer furchtbar. Für mich ist das ein eingebildeter Bildungsbürger. Kann ich nichts mit anfangen. Und Neal Stephenson, so leid es mir tut, ich liebe ihn für seine frühen Bücher (auch wenn das wieder ein Klischee ist), der entwickelt sich echt zum verdammten Besserwisser.
F. C. Stoffel: Es hat sich bei mir über die vielen Jahrzehnte, wo ich wirklich schon viel gelesen habe, eine sehr provokante These verfestigt, die ich auch an sehr vielen Science Fiction-Autoren bestätigt sehe, nämlich: richtig gute Schriftsteller dürfen nicht zu intellektuell sein. {…} Autoren dürfen nicht zu intellektuell werden, weil dann werden sie selbstverliebt.Allerdings wird in dieser Ausgabe dann auch »Die gelöschte Welt« von Nick Harkaway begeistert gelobt, was mich wieder ein wenig versöhnt mit der Sendung.
Zuckerl
- Das Blog ›Lost & Taken‹ präsentiert: 19 Alte Bücher-Strukturen.
- Wieder mal Johann Sebastian Bach, diesmal in Form einer Interpretation mittels Floppy-Laufwerk-Orgel, die in den letzten Tagen im Netz herumempfohlen wurde, unter anderem von Cory Doctorow bei ›Boing Boing‹: Floppy drive organ plays toccata.
- Will zeigt uns in seinem ›A Journey Round My Skull‹-Blog einige wunderschöne pop-ige japanische Apokalypsen aus den frühen Siebzigern von Takabata Sei: The Collapse of a World Condemned.
- Wahnsinnsmeldung bei ›Dark Horizons‹: Möglicherweise verfilmt Paul Thomas Anderson als nächstes Thomas Pynchon!
- Zum Schluss ein Filmchen, eine wüste wilde nicht-sequentielle Aneinanderreihung aberwitziger Szenen, des Künstlers David OReilly. Warnung: nichts für schwache Gemüter oder Menschen, die eng gezogenere Geschmacks-Grenzen haben. Teilweise verstörender und/oder ekliger Inhalt. Dennoch wollte ich diese Gemme nicht unempfohlen lassen.
The External World from David OReilly on Vimeo.
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Samstag, 12. Februar 2011»Eine andere Welt« (10) — Kap. VIII: Physiologische Verkleidungen von Grandville & Plinius dem Jüngsten
Eintrag No. 699 — Zur Inhaltsübersicht.
Die Illustrationen einer alten französischen Ausgabe habe ich dem flick-Album von blaque jaques entnommen.
VIII. Physiologische Verkleidungen.Die Maske wird künftig die Wahrheit sein. Landesgesetz für die Redouten.
Die Larve ist dem Menschen gegeben worden, um seine Gedanken zu offenbaren. Tallerand.
Prospectus.Schon vor längerer Zeit sagte ein begeisterter Redner: die Masken haben sich überlebt; den Harlekin zernagen die Würmer, den Hamlet bedeckt fingerhoch der Staub, die Saiten der Cither des Minnesängers zerfrisst der Grünspan. — Der Fasching ist seinem Ende nah. Man muss ihn auferwecken, aber ihn moralisch machen.
Was ist ein Maskenball?
Ein Pandämonium von Flitterstaat, eine Sündflut von Trachten, ein Wirbel von Tanz, Intrigue {hier in seiner Bedeutung als dramaturgischer Fachbegriff die ›sichtbare Seite der Ereignisse zeigend‹ gemeint}, Späßen und Langeweile.
Diese Sündflut zu stillen, diesen Wirbel zu dämpfen, dieses Chaos zu ordnen blieb unseren Tagen vorbehalten.
Es gibt keine Intriguen mehr; eben so wenig auf den Redouten {= Kostümball}, wie in den Lustspielen. Diese Lücke muss ausgefüllt werden.
Um das zu erreichen, beabsichtigt der Unterzeichnete, der Maskentracht eine neue Gestaltung zu geben und ihre moralische Würde zu verleihen.
Ehemals sagte man mit verstellter Stimme auf der Redoute zu einer anmutigen Tyrolerin oder Türkin: »Maske, ich kenne dich, du wohnst an der Pomeranzenstraßenecke, eine Treppe hoch, vorn heraus, bei dem Glaser, und heißest Hannchen Zwiebelmeier.«
Es bedurfte außerordentlichen Geistes, um diese Freuden des Maskenballes zu genießen; durch unsere neue Erfindung werden sie Jedem für ein Billiges zugängliches gemacht.
Durch unser System errät man nicht allein die Wohnung, sondern auch das Geschlecht, den Stand und den Character der einzelnen Maske und die Intrigue erhält dadurch eine psychologische Basis. Die Redoute wird zu einem vollständigen Kursus practischer Philosophie. Je mehr sich Jemand verkleidet, desto kenntlicher macht er sich. Meine Maskenanzüge sind doppeldeutig wie das menschliche Herz.
Die Neo-Maskerade wandelt einer bedenklichen Vergnügungen in einer Sittenschule um; ich helfe dadurch einem dringend gefühlten Bedürfnisse ab, und die Nachwelt wird mich noch segnen, weil ich vollständige philosophische Maskenanzüge für den billigen Mietpreis von 1 Rthlr. {= Reichstaler} 10 Silbergroschen bis zu 10 Rthlr. Per Abend liefere.
Schöne Künste und Gewürzkrämer. Parade und Zofe. Krieger und Bürger. Das Haupt in den Wolken, die Füße im Kot. Was sechszehn Ellen Seide decken. Befleckte Anzüge werden nicht zurückgenommen. Jeder Abmieter ist für etwaige Beschädigungen verantwortlich.
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Dienstag, 8. Februar 2011Molos Wochenrückblick No. 40
Eintrag No. 698 — Gibt wenige Berufsfelder, die ich so innig ver- und missachte wie die Werbewirtschaft. Wurde wieder mal daran erinnert, warum. Bin gestern von einem Trupp, die einen Werbespott für eine Fernost-Automarke drehen, übern Tisch und am Nasenring herumgezogen worden. Kommen zwei nette Menschen an, und fragen ganz lieb, ganz sanft, ganz harmlos, ob sie »ein paar Aufnahmen aus der und der Richtung da und da hin machen können, geht auch ganz schnell«. Geworden ist daraus das Aufbauen von Dollywagenschienen für eine Kran-Kamera, in Beschlag nehmen eines Innenhofes von 20 Metern Durchmesser mittels mehrerer großer Scheinwerfer und Lichtschirme, und gedreht wurden ganze Szenen mit mehreren Darstellern. — Moral: Traue niemals Leuten, die mit Geld wie Heu um sich werfen, und die sich eigenes Catering bestellen, wohin sie auch gehen.
Lektüre: Habe immer noch meine Freude mit David Foster Wallace und seinem Roman »Unendlicher Spass«. So etwas wie eine Handlung ist zwar noch nicht in Sicht, höchstens zu ahnen. Von den ersten 20 Kapiteln stehen die meisten als kleine Vignetten für sich, einige andere bilden einen ersten Komplex um die Familie Incandenza. Es geht um Schüler einer elitären Tennis-Schule; um einen Kiffer, die nun aber wirklich zum allerletzten mal Tage durch-knartzen will; um eine Kifferin, die im Selbstmordtrackt einer Psychatrischen mit ihrem Arzt spricht; um einen Gesundheitsattache, der sich entspannen will beim Dauerglotzen eines ominösen Filmes namens »Unendlicher Spass«, und der dabei verhungert.
Netzfunde
- Stephen Galloway schrieb für ›The Hollywood Reporter‹ ein Portrait über einen meiner Lieblingsfilmemacher, nämlich David Fincher: The Complex Mind of »Social Network’s« Anti-Social Director.
- Georg Seeßlen hat für sein ›Das Schönste an Deutschland sind die Autobahnen‹-Blog eine lustige Genre-Definitions-Liste zusammengestellt: TRASH – Eine Liebeserklärung in zehn Kriterien.
(Deutschsprachige) Phantastik-Funde
- Es ist wieder soweit! Auf den Websiten der Wiener Tageszeitung ›Der Standard‹ gibt es die neueste Science Fiction- & Fantasy-Rundschau: Der Lichtschein am Ende des Wurmlochs von Josefson. — Diesmal mit Rezensionen zu Büchern von James Tiptree Jr. (übersetzt von Frank Böhmert), L. E. Modesitt, Jr, George R. R. Martin, Daryl Gregory, Gavin Smith, Jetse de Vries, David Moody, Michael McBride, Walter Jon Williams, Christoph Lode, Rob Grant, Paolo Bacigalupi, sowie einer begrüßenswerten Polemik gegen Bequemlichkeit und Einerlei des Fantasy-Marktes, und einer Empfehlung von Scott Westerfelds & Keith Thompsons »Leviathan«
- Holger M. Pohl zieht für ›Fantasyguide‹ in seiner neuesten Kolumne, Glashaus, über Kritiker her, die sich über Schlampigkeiten und Fehler von Büchern mokkieren, aber selbst mit Fehlern nicht sparen. Ich fühle mich ertappt, denn genau das mache ich ja auch zuweilen. Dazu zwei Hinweise: eine Fehlermeldung als solche büßt ihre Kraft ja nicht ein, wenn die Person, die den Fehler meldet, selbst zu Fehlern neigt; und vergessen wir nicht das ›Salieri-Syndrom‹, wenn man selbst nicht gerade mit überragendem Genie gesegnet ist, aber zumindest über soviel ›Können‹ verfügt, um hohe Güte, oder eben Makel zu erkennen. (Anmerk: Wem der Begriff ›Salieri-Syndrom‹ so gar nix sagt, möge sich den Film »Amadeus« von Milos Foreman ansehen.)
- Nochmal Georg Seeßlen, der die meiner Meinung nach bisher lesenswerteste Rezension zu »Tron Legacy« geschrieben hat: Das elektronische Reenactment. Zwar begegnet er dem Film mit einer ziemlichen Milde, aber der leichte Spott gefällt mir.
- Gefunden über das ›Lake Hermanstadt‹-Blog von Anubis: Daniel Zalewski hat für den ›New Yorker‹ ein ausführliches Portrait des mexikanischen Filmemachers und Erz-Phantasten Guillermo del Toro verfasst: Show the Monster.
- Dank (!!!) an Stephan Johach, der mir mitteilte, dass ›Locus Online‹ auf diesen langen und guten Text des ›Guardian‹ hinwies: When Hari Kunzru met Michael Moorcock.
Zuckerl
- Diesen Link widmte ich dem Empfindungspiraten, denn ich musste bei diesem betrunkenem Oktopus von ›Boing Boing‹ an seine »ich kann nicht, wenn einer guckt«-Reihe denken.
- Ein kurzweiliges Handels-Spiel für Zwischendurch bei ›Newgrounds‹: Wer wollte nicht immer schon mal Opium billig in Bengalien kaufen, teuer in China verscherbeln, dafür billig Tee in China kaufen und damit die Engländer der viktorianischen Epoche glücklich machen? Bitteschön, dann versucht es mit High Tea, einem wunderschönen kleinen Handels-Spiel von ›Preloaded London‹.
- Da ich heute schon meine Verachtung für Werbung im Allgemeinen zum Ausdruck bracht, hier zum Ausgleich ein mir wirklich sehr gut gefallener Werbeclip, im Grunde die Verfilmung eines bekanntes Witzes. Weiß nicht mehr, wie ich auf diesen Werbeclip mit schönem Bücherei-Humor gestoßen bin: Schönheit ohne Hirn.
- Hier drei Links, zu Bildern meines derzeit im Wachsen befindlichen Ordners mit Naturmotiven für den Bildschirm: Manarola, Italy, Eyjafjallajökull Volcano, Iceland, Autumn Leaves, Japan, alle drei bei ›National Geographic‹. Dummerweise finde ich die Links zu drei anderen schönen Photos (Erdmännchen, Kolibri und Ende) nicht mehr.
- Bei ›Clockworker‹ über Warum Menschen Dinge erschaffen gestolpert, einem Zeichentrick-Kurzfilm von Saul Bass aus dem Jahre 1969.
- Endlich! Kirby Ferguson setzt seine Dokumentation fort: Everything is a Remix Part 2, glänzende Erläuterung des ständigen Kopierens & Neukombinierens & Verfremdens von Bekannten anhand von »Star Wars«. Wer’s noch nicht wusste: George Lucas ist ein wilder Sample-Künstler.
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Freitag, 4. Februar 2011Die »Alien«-Filme, oder: Sabber bitte nicht alles voll, Schatzi
Eintrag No. 697 — Von allen großen SF-Franchises gefallen mir die »Alien«-Filme am besten, trotz aller Macken (vor allem derer von Film 3 und 4). Nun habe ich die ausführlichen Zusatzmaterialien der BlueRay-Ausgabe von »Alien Anthology« genossen, was ein gelegener Anlass ist, meine alten Einträge aus der (leider immer noch kaputten) Film-Datenbank des SF-Netzwerkes aufzubrezeln.
Auch wenn die Filme als Klassiker der SF gelten und damit ihr Inhalt als bekannt vorausgesetzt werden darf, warne ich, dass ich im Folgenden beiläufig so manche überraschende Wendung verrate. — Allein schon, dass in allen vier Filmen Ripley die menschliche Protagonistin ist, gibt preis, wer den ersten Film überleben wird. Wer die Alien-Filme noch nicht kennt, dem rate ich, sich doch erst einmal die Filme zu gönnen, und erst dann diese meine bescheidene Liebeserklärung zu lesen.
Warum gefallen mir die »Alien«-Filme so dolle? — Darum:
- Abgesehen vom allgemein hohem Produktions-Niveau begeistert mich das SF-Design, so, wie das ›used future‹-Konzept beim ersten Mal und in Folge (mehr oder weniger) immer wieder gelungen umgesetzt wurde.
- Weil jeder der vier Filme durch das Spiel eines exzellenten Schauspieler-Ensembles geprägt wird. Tatsächlich bin ich der Meinung, dass keiner der vier Flme auch nur eine einzige Fehlbesetzung zu beklagen hat (ja, ich finde, dass auch Wynona Ryder in Film 4 vorzüglich ihre Rolle ausfüllt).
- Weil jeder der vier Filme es wagt, seine jeweils eigentümliche Version des Kampfers gegen das Biest zu liefern; also, weil Varianz und nicht Einheits-Rezept die Reihe prägt.
- Und schließlich, weil das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt mein persönliches Movie-Lieblingsmonster ist.
Was den letzten Punkt angeht, könnte ich nun anheben zu einem ausgiebigen (und als eigenen Molochronik-Eintrag eigentlich schon lange ausstehenden) Verehrungs-Bekenntnis für das Schaffen von Hans Rudi Giger. Seine »Necronomicon«-Bildbände gehörten zu den ersten zehn Büchern, die ich mir als Teenager angeschafft habe. Damals, in der Hepberger Provinz hatte ich zwar noch keine Möglichkeit, den Film »Alien« zu sehen, aber aus SF-Filmlexikas der Stadtbibliothek und der Buchläden kannte ich Abbildungen vom Monster und von Giger-Kunst, und vom ersten Moment an, war ich diesen Kreationen mit Haut und Haar verfallen.
Man kann sich, denke ich, vorstellen, mit welcher Wucht Gigers Bildbände und meine empfängliche, jugendliche Phantasie zusammenprallten. Auch wenn ich zu einigen Aspekten seines Werkes auf Distanz bleibe (vor allem zu dem ganzen schwarzmagischen Okkultkram), bin ich immer noch davon überzeugt, dass er einer der visionärsten und bedeutendsten bildenden Künstler der letzten Jahrzehnte ist. Neben seinem untrüglichen Gespür dafür, zu veranschaulichen, wie beklemmend das Sein in der heutigen Welt sein kann (kosmisches Grauen!), beeindruckt mich seine erstaunliche Gabe, Grauseliges und Schönes miteinander zu verschmelzen (sehr oft, indem Dinge sexualisiert werden; Giger ist zweifelsohne einer der großen Erotomanen der Kunst), und nicht zuletzt entzückt mich sein desöfteren aufblitzender Humor, sei es in der bitteren Variante deiner »Todgeburtmaschinen«, sei es in satirischer Form, beispielsweise seinem Vorschlag, die Schweiz mit fünf Eisenbahn-Untertunnelung ein riesiges Pentagram einzubohren.
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Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt So ist das mit den Meisterwerken: Wollte ich meine Lieblings-Szenen des Filmes anführen, könnte ich gleich den ganzen Film nacherzählen. Allein schon der Beginn, wenn das große Raumschiff Nostromo vom Bordcomputer gesteuert zum Leben erwacht, gehört zu meinen Höhepunkten der Kinogeschichte. Für mich ist und bleibt »Alien« der prägende Pionier in Sachen ›used future‹, auch wenn »Star Wars« die Ehre gebührt, dieses Konzept bei seinen Tatooine-Schauplätzen etwas früher präsentiert zu haben, (aber: das ›used future‹-Konzept gründet sich bei beiden Filmen auf dem Geschick des Set-Dekorateurs & Produktions-Designers Roger Christian, der es verstand, auf Industrie- und Flugzeug-Schrottplätzen Material für seine SF-Kulissen zusammen zu klauben). Filmgeschichtlich gesehen, ist »Alien« der erste Film, der ein mich vollends überzeugendes SF-Design bietet.
Der erste Teil ist ein finsteres Horror-Märchen, mit dem Weltall, einem fremdartigen Planten als finsteren Wald, und der Nostromo als Platzangst bereitendem düsteres Schloss. Die Mär beginnt ruhig und kühl, steigert sich im weiteren Verlauf zu einer immer panischeren Count-Down-Hetze, und entlässt uns am Ende wieder zu den Klängen sanfter orchestraler Abspannmusik in den Cryo-Schlaf. Die Story ist freilich wenig mehr als ein ›Zehn kleine Jägermeister‹-Spiel, doch die Spannung zu der sich dieses im Verlauf aufschwingt, ist für mich heute noch vorbildlich.
Sehr fein finde ich die kleine Crew mit ihren unterschiedlichen Typen. Überzeugend prollige Gesellen hatschen mit Hawaihemd und Baseballkapp herum, und vor allem eine bürokratisch denkende (genauer: programmierte) Figur ist mit ihrer Kaltherzigkeit ein feines Neben-Monster.
Ich bevorzuge die ursprüngliche, etwas gemächlichere Fassung ohne die ›zum Ei verpuppen‹-Szenen der Quadrology-Edition. — Fazit: 10 von 10 Punkten.
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Aliens – Die Rückkehr Stimmungsvolle Menschen- und Kolonie-Architektur (die Verlade-Robots!, siehe Kampfmaschinen in »Matrix 2 & 3«), auch wenn die dicken Wummen ein wenig überzogen sind. Feines Alien-Design (nicht von, aber nach Giger), und das Groß-Puppenspiel der Alien-Queen ist meisterlich, trotzdem finde ich die Königin nicht vollends gelungen. Am meisten grummle ich, dass die Masse der Normal-Aliens der Faszinatationskraft des Monsters abträglich ist. Auch wenn das Konzept, dass sich in für sie fruchtbarer Umgebung die Aliens wie ein Insektenstaat organisieren und entsprechend vermehren, prinzipiell interessant ist, werden die Viecher in diesem Film über Gebühr zu Schießbudenfiguren degradiert. Aber dies ist der Äktschn-Kracher unter den Alien-Filmen und erfüllt diese Aufgabe geradezu perfekt. Kein Wunder, das James Cameron mit diesem Streifen Maßstäbe für große SF- und Baller-Flicks gesetzt hat, die seitdem nur selten wieder erreicht wurden.
Einige sehr dick aufgetragene Charaktere laufen herum, die aber durchwegs funktionieren (brillant zum Beispiel Bill Paxton als nervig-cooler Cowboy). Sehr feiner kleiner Schleimer-Bösewicht, und Lance Hendrickson gibt mit anrührenden Körpereinsatz einen äußerst überzeugenden Androiden. Die überlebende Newt ist wohl nicht nur für mich einer der wenigen Fälle, wo ein Kind in einem Äktschnfilm nicht nervt.
Der Extendet Cut ist stimmiger als die Kinofassung, und funktioniert als schräger Vietnam-Film. — Fazit: 9 von 10 Punkten.
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Alien3 Natürlich trauere ich darum, dass von den im Bonus-Matrial vorgestellten Plänen von Vincent Ward zu diesem Teil so wenig umgesetzt wurde. Wahrlich eine großartige Idee, Ripley und ein Alien auf einer aus Holz gemachten Sphäre mönchischer Technik-Verweigerer abstürzten, und das Monster als Inkarnation des Leibhaftigen unter den religiös Erhitzten wüten zu lassen, die daraufhin das Grundübel in der verdorbenen Frau vermuten. Übrig blieb nur, dass sich Ripley und eben wieder nur ein Alien in der Umgebung eines karg ausgerüsteten Gefängnisses für Schwerverbrecher wiederfinden, und dass diese ausnahmslos männlichen Gefangenen ihrer Hysterie mit einem spirituellem Reinheitsgelübte Herr zu werden trachten.
Film 3 präsentiert sich uns wieder als Kammerspiel, wie auch der erste Teil. Zwei leidenschaftliche Theaterschauspieler zeigen, wie man mit Kleinigkeiten Spannung in Dialoge bringt: ein Hoch auf das ›Pärchen‹ Sigorney Weaver und Charles Dance.
Der (zugegeben seltene) Humor liegt mir mehr als der in Teil 2. David Fincher beweist sein Talent bei diesem seinem Spielfilm-Debut bereits mit dem Anfang, der mit beunruhigenden Fragmenten die Ausgangssituation darstellt, und alle Hoffnungen, mit denen der zweite Film endete, zunichte macht. Überhaupt finde ich die düstere Konsequenz (viele beschreiben die Stimmung des Filmes als bedrückend nihilistisch) dieses Teils richtiggehend erfrischend. Dieser Alien-Film eignet sich vorzüglich für trübsinnige Tage, wenn man etwas braucht, in das man sich mit Depri-Laune reinkuscheln kann.
Dieser Film ist erstaunlich gut, wenn man zur Kenntnis nimmt, was für Probleme es bei der Produktion gab. Enttäuschend nur, dass die Schlussjagd sich etwas lang dahinzieht und das die Tricktechnik, mit der Alien umgesetzt wurde, in einigen Szenen sehr zu wünschen übrig lässt. — Fazit: 8 von 10 Punkten.
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Alien – Die Wiedergeburt Ich kann verstehen, dass sowohl viele Alien-Fans, als auch viele aus dem Kreise des ›gewöhnlichen‹ Publikums diesen bisher letzten Film der Reihe für mehr oder minder misslungen einstufen. Film 4 ist mit Abstand der hysterischste, der sich am weitesten vom ›Originalton‹ entfernt, und dessen Inszenierung zwischen Äktschn-, Humor- und Horror-Aspekten eine heikle Gratwanderung zusammenwackelt.
Interessanterweise lassen sich einige Sequenzen des Filmes als Selbstbespiegelung von Franchise-Ausbeuterei und überdrehter Alien-Begeisterung lesen: Skrupellose Wissenschaftler (Symbol für Filmproduzenten und Franchise-Spin Doktoren) sind dabei, Aliens zu züchten, und versuchen sie zu zähmen. Einer der Wissenschaftler ist geradezu vernarrt in die Monster und gibt sich ein zärtlich-neckisches Mimik-Duell (grandios dargebracht von Brad Dourif). — Ripley wird von Entsetzten überwältigt, als sie ein Kabinett mit misslungenen Mensch/Alien-Klon-Mischlingen entdeckt (Symbol für: enttäuschte Fans, die nicht ertragen, was aus ihrem geliebten Monster-Franchise gemacht wurde), und einem besonders erbärmlichen Exemplar verpasst die den ›gnädigen‹ Flammentod (eigentlich ziemlich ›ungnädig‹, denn Verbrennen ist recht grauselig; sie hätte dem armen Klon besser erstmal eine Kugel in den Kopf jagen sollen). — Unschuldige Menschen (Symbol für: Alien-Fans, die nicht anders können, als sich einen neuen Alien-Film angucken wollen zu müssen) werden als Versuchskaninchen missbraucht und finden sich über Alien-Eiern fixiert, damit die frischschlüpfenden Face Hugger gleich einen Wirtskörper haben.
Ich kann mir nicht helfen und finde diesen Teil trotz all seiner Unzulänglichkeiten ziemlich unterhaltsam. Genial zum Beispiel die Idee eines guten Untergrund-Androiden (menschlicher als die Menschen) und der drastisch erbärmlichen Klonkreuzung »Ripley 8«. Ich liebe auch den Stationskommandanten (ich sag nur Schuhe putzen), seinen Sicherheitschef und die Weltraum-Piraten. — Meine Lieblingsvignette spielt in der Kantine, wenn die Piraten beim Fernsehgucken Zeit totschlagen und Wynona Ryder versucht, mit Boxhandschuhen aus einer Blechtasse zu trinken.
Der ganz große Flop des Filmes ist mit Abstand das peinlich-behämmerte Design der menschlichen Äuglein in Totenkopfeinfassung für die neue Alien-Brut. Diese neue Alien-Züchtung ist schlicht ein Griff ins Klo. Da hilft der peinsame Abgang des Viehs auch nicht mehr viel. — Fazit: 7 von 10 Punkten.
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10 + + + + + Maßstabsetztendes Meisterwerk; Olympisch. 09 + + + + Überwiegend exzellent; Packend. 08 + + + Bemerkenswert mit leichten Schwächen; Anregend. 07 + + Befriedigendes Handwerk; Kurzweilig. 06 + Unterhaltsam mittelprächtig; Akzeptabel. Unsichtbare Grenze der absoluten Mittelmäßigkeiten 05 - Brauchbar mittelprächtig; ganz nett, aber insgesamt lau. 04 - - Überwiegend mittelprächtig; Anstrengend bzw. langweilig. 03 - - - Bis auf wenige Momente daneben gegangen; Nervig. 02 - - - - Ziemlich übeles Machwerk; Zeitverschwendung. 01 - - - - - Grottenschlechtes übles Ärgernis; Pathologisch.Dienstag, 1. Februar 2011Molos Wochenrückblick No. 39
Eintrag No. 696 — Ich lieg darnieder. Kaum zu Hause von der Arbeit mit drei freien Tagen vor mir, geht das mit der Triefnase und dem Dauerniesen los und ich emigiriere erst in die heiße Dusche, dann ins Bett. — Deshalb nur eine magere Krankenbettausgabe.
Film: Dass ich vergangene Woche im Kino war, habe ich ja berichtet.
Lektüre: Mit »The Windup Girld« bin ich fertig. Hat mir ganz gut gefallen, auch wenn ich mich ein wenig frage, warum der Roman sooo viel Lob auf sich häuft. Aber sei es drumm. Ich fand ihn ja auch ganz fein.
Dafür bin ich jetzt in den sehr dicken Roman »Unendlicher Spass« von David Foster Wallace reingestolpert. Eigentlich wollte ich am Sonntag nur mal reinlesen, in die frisch gekaufte Taschenbuchausgabe, aber nun bin ich schon auf Seite 100-etwas und finde das Buch ganz vorzüglich.
Netzfunde
- ›Telepolis‹ berichtete über die Begründung des Ältestenrates des Deutschen Bundestages, warum man erst mal kein ›Adhocracy‹ einrichten will: 80.000 Euro zu teuer für Bürgerbeteiligung?
Zuckerl
- Andrea hat mich hingewiesen auf diesen Test bei der ›F.A.Z.‹: Sind Sie fit für den chinesischen Führerschein? — Ganz besonderen Dank an den ungenannten China-Korrespondenten!
- ›Super Punch‹ brachte dieses Filmchen, das Leute mit Höhenangst (wie ich) nur in guter nervlicher Tages-Verfassung gucken sollten: It's like a Super Mario board in real life. Zur Erklärung: das Video zeigt Daniel Ahnen, wie er den ›Caminito del Rey‹ in Südspanien entlangspaziert. — Leider ist die Mukke Mist, aber man kann sich ja eine eigene einlegen.
Montag, 31. Januar 2011Ein Schwarzer Schwan und das Vermächtnis des Tron
Eintrag No. 695 — Endlich mal wieder im Kino gewesen. Das Angebot englischsprachiger Filme hat sich in Frankfurt ja leider vermindert. Mit einem Doppel-Pack habe ich gestern also meinen Rückstand ein wenig gutmachen können, so richtig mit Maxi-Kübl (salziger) Popkorn und 1,5-Liter Pott Pupsi-(rülps)-Cola.
Lustig, dass, obwohl die beiden Filme kaum unterschiedlicher sein könnten, beide auf ihre Art sich um das Thema Perfektionismus drehen.
»Tron Legacy« Mit dem ursprünglichen Film »Tron« aus den Achtzigern verbinden mich nostalgische Erinnerungen, denn ich hatte das Hörspiel zum Film (mit Volker Kraeft und Orginalgeräuschen aus dem Film!). »Tron« habe ich erst einige Jahre später auf Video gesehen. Obwohl ich den Film als Pionierleistung wertschätze, muss ich zugeben, dass er mich nicht so doll vom Hocker gerissen hat, wie wohl viele SF-Fans meiner Generation. Dazu ist die Story zu wirr-naiv und selbst für mich, der ich nur oberflächliche Kenntnisse über Informatik und das kybernetische Innenleben von Computern habe, zu platt und haarsträubend. Ich halte es auch für überspannt, »Tron« als Cyberpunk- oder Science Fiction-Vertreter einzustufen. Der Weltenbau ist m.E. eindeutig Science Fantasy oder, wer darauf besteht, Cyber-Fantasy.
{Hier meine Kurz-Rezi aus der SF-Datenbank von einst: Ein Hoch auf Mœbius, Syd Mead und Co, die eine feine Computer-Fantasywelt entworfen haben.
Respekt für David Warner, der sich hinreissend entblödet, und seinen Saft vom KI-Obermotz geben und nehmen lässt.
Der Kaugummifaktor ist hoch, aber der Charme der exotischen Virtuel-Reality-Bilder hat für mich bis heute wenig eingebüßt.
Besonders ist mir auch noch das sehr gute Sound-Design aufgefallen (immerhin ‘ne spannende Frage: was machen z.B. schwebende Zerstörer in einer VR für Geräusche?) — 7 von 10 Punkten.}
Nun also, nach viel Trubel auf dem Comic Con und einem von »Tron«-Pfadfindern geschürten Wahnsinns-Erwartungs-Hype wurden wir mit der Fortsetzung »Tron Legacy« beschenkt. Ein enttäuschendes Geschenk, wie ich finde. Die Story ist noch wirrer und dünner als die des ersten Teils. Zwar macht es Spaß, Jeff Bridges und Oliva Wilde zu sehen, aber die Texte, die die Darsteller aufsagen müssen, machten meinem Hirn Aua. Und Michael Sheen beweist wieder einmal, dass er nicht nur ein exzellenter Drama-Mime sein kann, sondern auch das Fach des überzogenen Genre-Wichts bis zum Gottserbarm auszureizen versteht (Gut so!!!). — Die langen Dialogfoltern wären nicht sooo schlimm, wenn die Äktschn richtig funzen würde. Tut sie aber nicht. Selten habe ich so aseptische Verfolgungsjagdten und Kämpfe gesehen. Der eine Kampf in der ›End Of The Line‹-Bar, an dem auch Wilde beteiligt war, gehört zu den lahmarschigsten die ich seit langem gesehen habe.
Groß getönt wurde über die revolutionäre computergezauberte Verjüngungskur, mittels der man aus Jeff Bridges den nach Perfektion strebenden Bösewicht CLU gemacht hat. Zwar fasziniert das Ergebnis, bleibt aber merklich hinter der bereits vorgelegten Leistung von Finchers »Benjamin Button« zurück und ist damit irgendwie peinlich-spooky. Auch die 3D-Qualität war eher mau, verglichen mit der, die ich von »Avatar« kenne.
Was bleibt Gutes zu sagen? Die Design-Leistungen (sowohl Optik als auch Sound) sind durchaus gelungen (auch wenn ich gestehen muss, dass mir die Grid-Welt mir zu steril ist), und die Musik von Daft Punk hat mir gefallen, auch wenn sie stellenweise die übliche Mainstream-Soße über alles schüttet.
Ergänz (03. Februar 2011): Auf DVD oder Blue Ray besorgen werde ich mir »Tron Legacy« aber schon, und zwar, wenn, dann die Ausgabe, mit richtig viel ›Making of‹-Bonus. Ich bin jetzt schon sicher, dass (wie bei »Tron«) diese Berichte aufregender sind als der Film selbst. Das meine ich jetzt nicht zynisch oder lustig. Ich habe mich immer schon begeistern können, für die Kunst und die kreativen und technischen Leistungen, die nötig sind, um effekt-reiche Filme auf die Beine zu stellen.
Fazit: Erstaunlich lahmes und lebloses Effekt-Kino, dessen Schau- & Klangwerte die Makel nicht wett machen können. — 5 von 10 Punkten. (7 von 10, wer auf ›cool‹ und ›Monomythus-Pathos‹ steht)
(Und für Chester A. Bum ist »Tron Legacy« wieder mal der beste Film, den er je gesehen hat!)
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»Black Swan« Ich habe keine Ader für Ballett (genauer: gibt tolle Ballettmusik, aber der Tanz lässt mich normalerweise kalt). Da bin ich freilich baff, wie intensiv es der Film verstand, mich mitzunehmen auf die Krisen-Achterbahn einer perfektionistischen, zerbrechlichen und neurotischen Tänzerin, die mehr als nur ein bisschen ins Trudeln gerät, angesichts der selbst und von anderen gestellten Ansprüche.
Am ehesten kann ich die Geschichte beschreiben als gelungen gerührten Mix aus Oscar Wildes »Dorian Grey« und Finchers »Fight Club«. — Ninas (Portman) Sicherungen brennen durch, bei ihrem Versuch, künstlerisch über sich hinauszuwachsen. »Schwanensee« soll inszeniert werden, und die Rolle des unschuldig-romantischen, fragil-grazilen weißen Schwans passt ihr wie angegossen. Die Inszenierung baut aber auf den Clou, dass eine Tänzerin nicht nur den weißen Schwan, sondern auch den dämonisch-verruchten schwarzen Schwan geben soll, und das darzustellen, ist für die verklemmte Nina schwer … womöglich zu schwer.
Der Film ist ein gefundenes Fressen für alle Zuschauer, die in der Gruppe oder für sich allein gerne herumpsychologiesieren, oder es lieben mutzumaßen, was denn nun vom Gezeigten Wirklichkeit, was Wahntrugbild war. — Für mich ist der Film vor allem ein starkes, berührendes und doch schock-schonungsloses Anschauungsstück dazu, was es bedeuten kann, wenn das Leben sich der Kunst unterzuordnen hat, wenn die eigene Persönlichkeit nur Büttel für den unbedingten Willen zur großen Artistik ist.
Es hilft freilich, wenn nicht nur die Hauptdarstellerin überzeugt, sondern sich auch in den Nebenrollen lauter gute Leute von ihrer besten Seite zeigen, unter anderem Barbara Hershey als Mutter die vehement erzwingen will, dass ihre Tochter jene Karrierehöhen erreicht, die sie selbst aufgeben musste, eben weil sie Nina bekommen hat; — Vincent Cassel, der den Ensembleleiter des Balletts spielt, als künstlerlisch-manipulativen Vater-Mephistopheles; — und in einer kleinen Rolle endlich mal wieder Winona Ryder, richtig durchgeknallt und verzweifelt. Bravo!
Der kritische Phantast in mir begeistert sich natürlich dafür, wie geschickt »Black Swan« seine Spezieleffekte dosiert, um erscheinen zu lassen, was man normalerweise nicht sieht, nämlich die Innenwelt einer Person (nebenbei: es gibt Spiegel-Metaphern zum Saufüttern!!!). Und ich bin begeistert von der Tempo-Gestaltung des Filmes, der sich genug Zeit lässt, mich erstmal mit der noch halbwegs intakten Nina vertraut zu machen. Um so wuchtiger dann der Stimmungswechsel, wenn Nina die Souveränität gegenüber ihren Phantasien und Trieben einbüßt, und sich zu allen bisherigen Stressierungen auch noch verborgene Sehnsüchte gesellen, die nach Erfüllung drängen.
Zu Mäkeln habe ich lediglich, dass mir die Kameraarbeit nicht durchgehend gefiel. Die Bildgestaltung und Führung waren exzellent, aber bei einigen Szenen wurde eine sehr körnige Bildqualität verwendet, die mir nicht liegt.
Fazit: Natalie Portman trumpft auf mit einer Bravourleistung in diesem Mädchen-Psycho-Fantasy/Horror-Flick der schmerzhaft-poetischen Sorte. — 9 von 10 Punkten.
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10 + + + + + Maßstabsetztendes Meisterwerk; Olympisch. 09 + + + + Überwiegend exzellent; Packend. 08 + + + Bemerkenswert mit leichten Schwächen; Anregend. 07 + + Befriedigendes Handwerk; Kurzweilig. 06 + Unterhaltsam mittelprächtig; Akzeptabel. Unsichtbare Grenze der absoluten Mittelmäßigkeiten 05 - Brauchbar mittelprächtig; ganz nett, aber insgesamt lau. 04 - - Überwiegend mittelprächtig; Anstrengend bzw. langweilig. 03 - - - Bis auf wenige Momente daneben gegangen; Nervig. 02 - - - - Ziemlich übeles Machwerk; Zeitverschwendung. 01 - - - - - Grottenschlechtes übles Ärgernis; Pathologisch.Flattrn Sie diesen Eintrag, wenn Sie der Meinung sind, dass er etwas wert ist.
Dienstag, 25. Januar 2011Molos Wochenrückblick No. 38
Eintrag No. 694 — Hier nun, leider mit einem Tag Verzögerung, die Meldungen. — Bei den letzten Abstimmungnen der »Wer ist dir lieber«-Website habe ich gewählt: Beinbrech oder Roter Glitterling?, (Weder noch). — Wurst oder Käse?, (Wurst) — Freddie Frinton oder May Warden?, (Freddie Frinton). — Elwood oder Jake Blues?, (Elwood).
Zwei Petitionen auf den Seiten des Deutschen Bundestages habe ich unterzeichnet:
- erstens: Netzzugang – Rechtsnorm für Zugang zu kabellosen Netzwerken, denn ich bin dafür, freie WLAN-Zugänge zu erlauben;
- zweitens: Suchtgefahren – Entkriminalisierung von Cannabis-Konsumenten, denn ich bin dafür, dass die Drogenpolitik ent-ideologisiert wird, und Konsumenten weicher Drogen nicht länger als Fußsoldaten für internationale Machtpolitik fungieren.
Lektüre: Bin im letzten Drittel von Paolo Bacigalupis »The Windup Girl« von (Anfang Februar als »Biokrieg« bei Heyne) und weiterhin sehr zufrieden mit dem Buch. Am meisten erstaunt mich, dass der Roman sich hauptsächlich auf die Charakter-Entwicklungen und die Schilderung des Sozialgefüges konzentriert. Obwohl es mittlerweile einen großen Zwischenfall gab, wird Äktschn unterschnitten inszeniert (es gibt allerdings ein paar Szenen, in denen eine künstliche Frau zum groben Vergnügen des Publikums eines Nacht-Club malträtiert wird).
Großartige Neuigkeiten. Es ist endlich so weit! Nach 20-jähriger Suche gibt es nun einen »Codex Seraphinianus« (Auflage August 2010 der Rizzoli-Ausgabe von 2006) in meinem Haushalt. Als Andrea ihn ausgepackt hat, merkte ich, wie sich ein kosmisches Ungleichgewicht auflöste. Im Netz schreiben zwar die Kenner, dass der Druck dieser Auflage etwas dunkler (sprich: Detail-abträglicher) ist, als der von vorherigen Auflagen, aber immerhin habe ich meinen »Codex« und ich dafür nicht mehrere hundert Euronen hinlegen müssen.
Seit seinem Erscheinen 1981 gilt »Codex Seraphinianus« als eines der seltsamsten, phantasiereichsten, undurchschaubarsten und erstaunlichsten Bücher aller Zeiten (in seiner Exzentrizität nur noch vergleichbar z.B. mit Werken wie den BildCollage-Romanen von Max Ernst {»Une semaine de bonté« und »La femme 100 têtes«}, dem Voynich-Manuskript, oder Carrolls Nonsense-Versepos »The Hunting of the Snark«). Soviel kann man erkennen: Der »Codex« ist wie eine Enzyklopädie organisiert, und in verschiedene Sachgebiete eingeteilt. Einige dieser Sachgebiete kann man ziemlich sicher erkennen, wie Flora, Fauna, Schrift oder Spiele, andere bleiben auch nach x-maligen Lesen ziemlich rätselhaft, z.B. die Abteilung über zweibeinige Lebensformen (wobei man bedenken muss, dass in der seraphinianus’schen Welt auch Regenschirme und Wollknäul dazugehören). Es gibt viel Text, Tabellen, Gleichungen, doch ist das alles in einer Sprache und Schrift geschrieben, die bis heute nicht entziffert werden konnte, und die aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht entzifferbar ist … oder vielleicht doch? — Hier ein kleiner Ausschnitt aus dem »Codex«: die Illustrationen aus der Abteilung über Städtebau oder Stadtbau-Utopien, begleitet von dem wundervollen Stück »Music For A Found Harmonium« des einzigartigen Penguin Cafe Orchestra.
Weitere lohnende Einblicke und Texte über den »Codex Seraphinianus« bieten:
- Von den deutschsprachigen, kurzen jedoch anschaulichen Vorstellung, empfehle ich den Eintrag zum »Codex« im ›gleiche höhe ist kein abseits‹-Blog von Klaus Moser.
- Mit großer Freude entdeckte, dass in ihrer »Enzyklopädie des Imaginären« Monika Schmitz-Emans dem »Codex« einen eigenen langen Essay-Eintrag widmet.
- Ein Essay von Justin Taylor für das »The Believer«-Magazin vom May 2007. Bietet ein Zitat des Berichts von Alberto Manguel über die Entdeckung des Manuskriptes; ein Zitat vom Beginn des Textes »Orbis Pictus« den Italo Calvino als Vorwort für eine Auflage des »Codex« schrieb.
Netzfunde
- Bei ›TED‹ gibt es einen neuen Vortrag von Naomi ›No Logo!‹ Klein, der Autorin des von mir geschätzte Buches »Die Schock-Stretegie«: Addicted to risk, indem sie am Beispiel der Öl-Leck-Katastrophe im Golf von Mexiko und des Tageabbaus in Kanada (= Häutung der Erde) die Mythen des Fortschritts kritisiert.
- Kultur: Wer schon immer mal sehen und nicht nur hören wollte, warum Johann Sebastian Bach als genialer Komponist gilt, der kann dieses Filmchen gucken, das zeigt, Wie ein ›einfacher‹ Kanon von Bach funktioniert, eben vorwärts und rückwärts, und beides gleichzeitig und auf den Kopf gestellt.
- Volker Breidecker hat für die ›Süddeutsche‹ eine Tagung zum Thema Verschwörungstheorien besucht: So finster die Macht.
- Bei ›Telepolis‹ erschien ein zweiteiliges Interview mit Rolf Jüngermann über das deutsche Schulsystem: Teil 1: Geschlossene Gesellschaft und Teil 2: »Deutschland hat weltweit das ungerechteste Schulsystem«.
- Feine Entdeckung: Es gibt ein recht ausführliches Kriminologie-Lexikon im deutschen Netz. Draufgestoßen bin ich, nachdem ich letzte Woche die CD von Georg Schramms Programm »Thomas Bernhard hätte geschossen« entlieh und gehört habe. Schramm, als Dombrowski, zitiert darin die Einschätzung des Bundes-Kriminalamtes Wiesbaden, demnach das deutsche Gesundheitssystem korrupt ist und sich in den Händen der organisierten Kriminalität befindet.
- Wiederum ›Telepolis‹: Gaby Weber berichtet über den neusten Stand der Vertuschungs- und Ausweich-Praktik in Sachen Eichmann, der BND und die Expertenkommission. — Für ›Der Freitag‹ kommentiert Tom Strohschneider ebenfalls diese Vorgänge: Bis zum Beweis des Gegenteils.
- Albrecht Müller hat für seine ›Nachdenkseiten‹ eine Übersicht zusammengestellt: Drei zerstörerische Jahrzehnte liegen hinter uns. Es reicht.
(Deutschsprachige) Phantastik-Funde
- Hier mein längerer Beitrag zur Frage »Wie steht es um die Fantasy« im Forum von SF-Fan.
- Zwei wohlwollende neue Besprechungen zu »Leviathan« von Scott Westerfeld und Keith Thompson gibt’s: einmal von Bine Endureit bei ›Fantasyguide‹, und zum zweiten von Erik Schreiber für ›Fictionfantasy‹.
Rüge
- Hochgradigen Schwachsinn hat Wolfram Eilenberger für ›Cicero‹ zusammengeschwurbelt, wenn er in seinem Text Kehlmann, Sarrazin und die Vermessung der deutschen Leserschaft nur aufgrund der in etwa gleichen Verkaufszahlen von »Die Vermessung der Welt« und »Deutschland schafft sich ab« mutmaßt, dass diese beiden Bücher Ausdruck des gleichen Volksempfindes sind.
Zuckerl
- In Zeiten ansteigender Überwachung wächst auch die Notwendigkeit, sich in städischen Gefilden zu tarnen. Wie das geht, zeigt die Website Urban Camouflage.
- Ganz vorzüglich finde ich die ›deviant art‹-Galerie von Uminga. Meine Lieblinge sind Death & Sandman, die Portraits von »Batman«-Charakteren wie dem Pinguin, der immer entzückenden Harley Quinn und freilich dem Joker, und grenz-cool ist diese Illu der Ermittler aus dem Fincher-Film Se7en.
- Das Blog ›Who killed Bambi‹ zeigt, was die Photographin und Diogramenkünstlerin Mariel Clayton fetziges mit Puppen anstellt: Killer Barbies.
- Online-Comic: Ein Superheld ohne Superkräfte, aber dem Willen, allen Ratten und anderen Tieren im Kampf gegen wahnsinnige Wissenschaftsprojekte beizustehen liefert Doug TenNapel mit Ratfist.
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Sonntag, 23. Januar 2011»Eine andere Welt« (9) — Kap. VII: Verkleidete Charaktere von Grandville & Plinius dem Jüngsten
Eintrag No. 693 — Zur Inhaltsübersicht.
Die Illustrationen einer alten französischen Ausgabe habe ich dem flick-Album von blaque jaques entnommen.
VII. Verkleidete Charactere oder Verkleidungen von Characteren.Tu' die Maske vor und ich will Dir sagen, wer Du bist. Sprüche Neronis.
Alle Tiere sind mehr oder minder verkleidete Menschen und alle Menschen mehr oder minder verkleidete Tiere. Der kleine Unbekannte.
Verkleidung eines deutschen Perfectum in das Griechische; Doctor Puff erfindet die Philosophie der Verkleidung als Fortsetzung der Philosophie der Geschichte. — Entwicklung dieser von Gas erhellten Theorie.
Puff wollte den ersten Teil von Krack's Manuscript zu Ende lesen und setzte daher seine Lectüre fort.
»… amüsiert, doch fing das Bedürfnis nach einiger Ruhe an sich in mir zu regen. Ich wollte mich eben nach einem Hotel erkundigen, wo ich ein behagliches Zimmer und ein gutes Bett fände, da hörte ich einige Maikäfer davon sprechen, sich nach einem anderen Maskenball in der Nähe zu begeben, die unterseeische Aristokratie kennen zu lernen; die Neugier gab mir neue Kräfte und ich schloss mich jenen an.
Der Türsteher, ein alter Hai, betrachtete mich mit Bewunderung und ließ mich durch, ohne mir eine Eintrittskarte abzufordern. Stolz auf diesen Erfolg trat ich mit vornehmer Haltung ein; es bildeten sich alsbald zahlreiche Gruppen um mich und die Menge drängte sich hinzu, um meine Züge und mein Wesen zu beschauen. Ich machte offenbar Aufsehen. Das setzte mich nun eben nicht in Erstaunen, aber ein anderes Ding überraschte mich und war mir ein seltsames Rätsel. Hatte ich Menschen als Tiere oder Tiere als Menschen maskiert vor mir? Erst gegen das Ende des Balls kam ich darüber in das Klare, als ich eine Wasserratte die Larve abnehmen sah, um ein Glas Maraschino-Eis zu verzehren.
Die Aristokratie hatte nämlich das Princip der Verkleidung modificiert und, statt die Physiognomien anderer Tiere zu benutzen, menschliche Gesichter zu Masken genommen. Nun wußte ich, wehalb ich so großes Glück gemacht; man hielt mich für ein Tier und bewunderte daher die Genauigkeit meiner Verkleidung. Eine zudringliche Eidechse bat mich sogar, ihr die Adresse meines Lieferanten zu geben.
Als ich eintrat, war der Ball sehr belebt. Der in Krystall gehauene Saal hallte wieder von den Sprüngen der Tänzer und der gläserne Fußboden zitterte jeden Augenblick. Elephanten-Sylphen, Bajazzo-Käfer, Bären, Windhunde, Ziehenböcke, Geier gaben sich den Freuden des Tanzes mit solchem Eifer hin, dass die Grotte fortwährend krachte, wie das Verdeck eines scheiternden Schiffes. Das Gedränge und der Lärm wurde aber so stark, dass ich es für geraten hielt, zu gehen und mir Stock und Pfeife in der Garderobe wiedergeben ließ.
Es fehlt mir an der Zeit, meine Betrachtungen zu ordnern, doch kann ich folgende Bemerkungen nicht unterdrücken: Gibt es Menschen in diesen neu entdeckten Reichen, oder haben sich die Tiere jene Masken nur in Folge des Unterganges eines Schiffes verschafft? — Zwiefache Frage, die ich einigen Akademien vorzulegen Willens bin.«
Ziehen wir jetzt dem Präteritum ›Heureka‹ die griechische Hülle ab und suchen wir Rechenschaft zu geben von den Beweggründen, welche Puff zu dem ehrgeizigen Ausruf veranlassten: »Ich hab's gefunden!«
Puff hatte Krack's Manuscript aufmerksam durchgelesen und sich überzeugt, dass während des Carnevals die Thorheit der Tiere der Thorheit der Menschen nicht nachstehe. Aufmerksam betrachtete er die Zeichnungen, die sein Mit-Gott als Urkundenbuch beigelegt, und sand nun Folgendes.
Er überzeugte sich nämlich, dass der Mensch moralisch den Tieren, deren Abbildungen vor ihm lagen, gleicht.
»Der Mensch«, sagte er zu sich, »hält sich stets für eine Einheit und ist immer eine Zweiheit, seine Physiognomie und sein Character führen beständig Krieg mit einander. Ich will diesen Kampf benutzen, um dem Fasching eine neue Außenseite zu geben.«
Am nächsten Tage hing folgendes Schild über einem Magazin von Maskenanzügen.
Zur selben Zeit ließ er folgenden Prospectus in der ganzen Stadt verteilen.
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