molochronik

Molos Wochenrückblick No. 50

Eintrag No. 711 — Bin seit Sonntag aus Berlin zurück. Es war großartig. Nach Jahren der Berlin-Skepsis kann ich nun verkünden, dass ich einen positiven Kneipenneid habe. Viele Spaziergänge unternommen und Gespräche geführt. Was meine Aktivitäten für die deutschsprachige Phantastik-Szene angeht, sieht es extrem boogie aus. Ich kann immer noch nicht fassen, was für ein ungeheures Glück ich hatte, beim Golkonda-Verlag gelandet zu sein (ich hoffe, ich erweise mich würdig).

Zur Hirnentrümpelung im Urlaub, guckte ich alle Animationsfime der letzten Jahre, die ich bisher verpasst habe, sowie einige SF-Flicks. Ich hoffe, ich kann im Lauf der Woche mit einer fetten Sammel-Rezi aufwarten.

Viele Links hab ich nicht, weil wenig im Internet getummelt, aber hier ist die kleine Grabbeltüte Zuckerl der letzten Woche.

Zuckerl

  • Rune Olsen macht verrückte Sulpturen. Mir gefällt die Oberfläche seiner Arbeiten und die Schock-Qualität einiger Werke. Lieblinge von mir: dieses If Only-Kind; — dieser Hahnenkampf; — Frau die von Tintenfisch gevögelt wird (For Everything I Long to Do, basierend auf einem Schnitt von Hokusai).
  • Schauerliches Dokument a) des anhebenden Grauens der 80er-Jahre; b) des beginnenden Totalausverkaufs von »$tar Wars«: die Unterwäsche-Werbung.
  • Auch wenn ich dieses Poster von ›Pop Chart Lab‹ selber nicht bestellen muss, finde ich es cool, dass es nun eine Übersicht von über 100 Superheldenkräften gibt und der über 200 Superhelden, die sie haben. Nicht übersichtlich genug?! Dann macht doch ein Excel-Sheet draus!! Dieses Illustrious Omnibus of Superpowers-Poster ist was fürs Auge!
  • Jeff Vandermeer hat sich von entsprechenden Kennern aus Brasilien, Bulgarien, der Tschechischen Republik, Dänemark, Finland, Frankreich, Deutschland, Israel, Japan, den Philippinen, Polen, Russland, Südafrika und Schweden zutragen lassen, was dort die bemerkenswerten heimischen Neuerscheinung des vergangenen Science Fiction- und Fantasy-Jahres waren. An Overview of International Science Fiction and Fantasy, 2010. — Für Deutschland wurden »Schaumschwester« von Thor Kunkel (yeah!!!), »Wenn das der Führer wüsste« von Otto Basil, die von Karla Schmidt zusammengestellte Antho »Hinterland«, und Ralph Doeges Kurzgeschichtenband »Ende der Nacht« genannt (freut mich für Ralph!).
  • Julia Sweeney (Schauspielerin, Komikerin, Bürgerrechtlerin, Atheistin) berichtet in einem hinreissenden Monolog darüber, wie sie sich mit ihrer achtjährigen Tochter in ein Sexaufklärungsgespräch verheddert: »Sex Education«.

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Molos Wochenrückblick No. 49

Eintrag No. 710 — Nun also, mit einem Tag Verspätung, der Wochenrückblick. Ich bin derzeit für eine Woche in Berlin, um mich in der dortigen Phantastik-Szene zu tummeln. Gerade sitze ich in der »Brezelbar«, gleich gegenüber vom »Otherland«-Buchladen, wo ich endlich ›meinen‹ Golkonda-Verleger Hannes Riffel kennen gelernt habe.

Molo in der »Brezelbar«, Berlin Kreuzberg, April 2011.

Jetzt lass ich es mal offiziell werden: Florian Breitsameter von SF-Fan hat sich in dem Thread »Was kommt da auf uns zu?« erfreut gefragt, was deutsche Leser aufgrund dieser Meldung des SF-Magazins »Locus« erwarten dürfen:

German rights to three stories from »Stories of Your Life and Others« by Ted Chiang plus the novella »The Merchant at the Alchemist's Gate« and the story »Exhalation« went to Golkonda Verlag, Berlin via Christian Dittus at Paul & Peter Fritz in Zuerich.

Mit der gebotenen Demut (aber auch völlig enthusiasmiert) kann ich verkünden, dass ich in den letzten Monaten für Golkona fünf Kurzgeschichten von Ted Chiang übersetzt habe, die im weiteren Verlauf des Jahres als Teil des Projekts, bemerkenswerte Kurzgeschichtensammlung neuer Science Fiction-Autoren anzubieten (nach David Marusek und Angélica Gorodischer) erscheinen werden. — Demütig bin ich, weil dies meine erste Arbeit als Übersetzer für einen Verlag ist, ich entsprechend nervös bin, was die beiden Korrekturleser mir an Rückmeldungen geben werden; demütig auch, weil ich hoffe, den feinen Geschichten von Ted Chiang gerecht zu werden; enthusiasmiert, weil diese Geschichte wunderbar sind, mir großartig gefallen, da sie wunderbare Exempel für das Genre SF (im Sinne von Speculative Fiction‹) sind. Da kommen zusammen: kosmologische Erkundungen in frühgeschichtlicher Epoche; eine Verbeugung vor den Geschichten aus 1001 Nacht; eine Erstkontaktgeschichte aus Sicht einer Linguistin; eine Gegenwart, in der es Engelserscheinungen gibt; zuletzt eine wahrhaft großartige Parabel anhand einer Roboterwelt. — Ich halte Euch auf dem Laufenden.

Hier nun die Links der Woche, diesmal ohne große Unterteilung. Ich hatte viel zu tun, deshalb kann ich keinen großen Fang bieten.

Netzfunde

  • Was es nicht alle gibt im Internet. Ein ganzes, langes Blog mit Bildern aus Filmen, in denen Computer vorkommen: Access Main Computer File.
  • Hübsch schräg geraten ist China Miévilles Vorschlag zu einer sechsteiligen Comic-Miniserie für Marvel: Scrap Iron Man (Altmetall-Mann).
  • Tolle Comic-Kunst bietet Dan Hipp in seinem Blog. Als erstes aufgestöbert habe ich seine Überkreuzung von Tim & Struppi mit Alien: Tin Tin: The Hugged Face, aber großartig finde ich auch diesen Hellboy.
  • Matt Roeser gestaltet für die Bücher, die er liest, eigene Umschlagsentwürfe, zu sehen in seinem New Cover-Blog. Finde ich sehr schade, dass derartig geschmacksvolles Design derzeit einfach nicht Mode bei den Verlagen ist. Wie gerne würde ich in einer Alternativwelt leben, in der Könner wie Roeser die offiziellen Titelbilder anfertigen.
  • Neues aus der deutschen Science Fiction-Szene: Uwe Post und Sven Kloepping haben ein Portal für Deutsche Science Fiction eröffnet. Bisher macht es einen guten Eindruck.
  • Makoto Azuma ist ein japanischer Blumenkünstler, der sehr seltsame Dinge mit Pflanzen anstellt. Hier ein paar Beispiele: TOKYO FIBER '09 (Auftragsarbeit); — Black Pineeee (Auftragsarbeit); — Hand Vase (Privatarbeit); — Armored Pine (Privatarbeit).
  • Unter dem Titel Diese Suche ergibt keinen Treffer hat die ehemalige Community-Managerin von ›Der Freitag‹ , Teresa Bücker, für selbige Zeitung über ihre Erfahrungen berichtet. Als jemand, der selbst (für SF-Netzwerk) als Globalmoderator wurschtelt, spricht sie mir aus der Seele, wenn Frau Bücker schreibt:
    Communities entstehen entlang von Interessen, Fragen oder ähnlichen Gewohnheiten, etwa dem Konsum von bestimmten Medien und Produkten. Für Außenstehende sind die Verhaltensweisen innerhalb dieser Gemeinschaften nur schwer zu fassen, denn homogene Verbünde neigen zu Gruppendynamiken und Riten, die codiert sind, die auf den ersten Blick keinen Sinn ergeben. Der ausschnitthafte Blick auf digitale Gemeinschaften von „interessierten Beobachtern“ führt dann zu Fehlinterpretationen, zu stark selektiven Wahrnehmungen, an deren Ende steht: das Netz ist voller Rüpel, Dummköpfe, lichtscheuer Nerds, Magermädchen aus pro-anorektischen Foren oder passiver Sonntagssurferinnen.
  • Don Alphonso hat ein schiaches Haus in meiner unmittelbaren frankfurter Nachbarschaft dazu genutzt, ein paar orientierende Stilkritik-Watschen unter dem Titel Ornament und bürgerliches Verbrechen in seinem ›F.A.Z.‹-Blog »Stützen der Gesellschaft« anzubringen.
  • Nochmal ›F.A.Z.‹: Jetzt erst von mir entdeckt wurden die wunderbaren alliterierenden Non-Sense-Kurzkurzgeschichten Dudenbrooks von Jochen Schmidt, mit wunderschönen s/w-Illustrationen von Line Hoven. Hier geht es zum derzeit neuesten Buchstaben K wie Karla.

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Wochenrückblick Doppel-No. 47 / 48

Eintrag No. 709 — Doppelnummer, damit die Wochenzählung nicht aus dem Tritt kommt.

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Charles Yu: »How to Live Safley in a Science Fictional UniverseLektüre: Große Freude bescherte mir »How to Live Safely in a Science Fictional Universe«, der schmale, aber keineswegs schale, Debütroman des jungen amerikanischen Autors Charles Yu. Hier meine grobe Übersetzung des Klappentextes:
In einer Minute wird Charles Yu sich umbringen. Wieder einmal.
Charles arbeitet als Zeitmaschinen-Reperatur-Techniker. Er hat eine Lizenz zum Instandsetzen aller chronogrammatischen Fahrzeuge der T-Klasse, ist angestellt bei Time Warner Time, und verrichtet seine Arbeit aus dem Unter-Universum 31 heraus, einer etwas kaputten, unfertigen Raum-Zeit-Struktur & Unterhaltungskomplex. Der Job sollte eigentlich super sein: er hat seine eigene TM-31-Zeitmaschine die auf dem neuesten Stand der Technik ist; er darf sich sein Betriebssystem selbst aussuchen (er wählt TAMMY – kastanienbraunes Haar, dunkelbraune Augen hinter Bibliothekarinnen-Brille und eine Stimme wie die einer Prinzessin); er hat eine coole, gefährlich aussehende Wumme (eine paradox-neutralisierende Waffe); und er hat einen imaginären Hund namens Ed.
Warum steckt Charles nun so in der Klemme? Er ist (was sich mit einer Zeitmaschine leicht machen lässt) die längste Zeit eines Jahrzehntes seiner Arbeit und seinen Programm-Chef Phil (Microsoft Middle Manager 3.0) aus dem Weg gegangen. Er hat stattdessen die Zeit genutzt 39 alternative Versionen seines Ichs auszuspionieren (und entdeckt, dass 35 davon totale Arschlöcher sind). Und er hat sich sozusagen in TAMMY verliebt, was schlecht ist, denn dafür hat sie kein Modul.
So gesehen ist es vielleicht nicht überraschend, dass er, als er einem seiner Ichs aus der Zukunft begegnet, diesem in den Bauch schießt. Für einen Zeitmaschienen-Reperatur-Techniker ein Anfängerfehler. Nun ist Charles in einer Zeitschleife gefangen, dreht sich für immer im Kreise. Alles was er hat, in ein in braunes Papier eingewickeltes Buch, das ihm sein zukünftiges Ich geben wollte, als Charles ihn erschossen hat. Es heißt »Wie man unbescholten in einem Science-Fictionalem Universum lebt«. Und er, Charles, ist der Autor. Und irgendwo in dem Buch verbirgt sich die Information, die Charles retten könnte.

Kurz: Metaphysische & metafiktionale Kniffe en masse erwarten den Leser. Vorsicht: der plauderhafte, undisziplinierte Gedankenstrom-Stil (sprich: immer wieder laaaange, scheinbar planlos umherschweifende Sätze) und Aufbau (wenig Äktschn, viel Reflektion) sind sicherlich nichts für jedermann. Das Buch ist größtenteils eine autobiographische Selbsterforschung von Charles, die immer wieder unterbrochen wird von knappen sachlichen Einträgen eines Glossars zum Titel-Thema des Buches. — Mir hat allerdings sehr gefallen, wie der Roman das Motiv der Zeitreise nutzt, um anregende Überlegungen (fast möchte ich sagen: Meditationen) zum Thema Bewußtsein, Selbsterkenntnis und Erinnerung auszubreiten. — Ich wünsche der deutschsprachige SF-Gemeinschaft, dass dieser Roman übersetzt wird (und bringe dem, der die Übersetzung leisten soll jetzt schon mein kollegiales Mitleid entgegen).

Hier geht es zu einem ausführlichen Gespräch, das ›io9‹ mit Charles Yu über den Roman geführt hat.

Netzfunde

  • Marcus Hammerschmitt berichtet für ›Telepolis‹, mit welchen empörenden Umtrieben in USA versucht wird, den öffnetlichen Büchereien Geld abzuknöpfen: Die Plünderer kommen.
  • Passend zu dem Themenkomplex, jedoch bezüglich heimischen Gefilden, auch dieser Essay von Matthias Spielkamp für ›Perlentaucher‹: Leistungsschutzrechte schaden – auch den Verlagen.
  • Ich mache derzeit eine heftige Stanley Kubrick-Phase durch, erwerbe als Schnäppchen seine Filme auf Blue Ray, gönne mir die ganzen Dokus nebenbei. — Hier eine Auswahl der Photographien, die der junge Kubrick für das ›Look Magazine‹ angefertigt hat: Chicago, im Archiv der ›Library of Congress‹. — Hier einige Aufnahmen, die im italienischen ›Vogue‹ anlässlich einer Ausstellung gezeigt werden. — Hier eine plauschige Talkrunde mit Kubrick-Witwe Christiane, Freund, Produzenten (ergänz: & Schwager) Jan Harlan und Kollegen-Bewunderer Martin Scorcese in der »Charlie Rose«-Show anlässlich des Dokumentar-Portraits »A Life in Pictures« (welchselbigen man hier gucken kann).
  • ›Literaturkritik.de‹ hat in den letzten Tagen drei lesenswerte Rezensionen angeboten: — Eine Rose ist eine Rose, aber nur dem Namen nach von Anett Kollmann über die Bio- und die Monographie zu Umberto Eco von Michael Nerlich. Die Rowohlt-Monographie habe ich (schon) gelesen und kann sie unumwunden empfehlen. — Klaus Hammer lobt den Katalog von Ingrid Pfeiffer und Max Hollein zur derzeit in der Schirn Kunsthalle Frankfurt laufenden Ausstellung »Surreale Dinge«: Der Surrealismus – eine unerschöpfliche Inspirationsquelle des 20. Jahrhunderts. — Und Walter Delabar fand Joe R. Lansdales »Kahlschlag« aus ›meinem‹ Golkonda Verlag richtig gut (zu meiner Rezi des Buches geht es hier entlang): Sunset, die sich wehrt.
  • Beim Stöbern entdeckte Natur- und Menschenkunde: Das Tree of Life-Web Projekt; — und das Antropolgi-Blog. Muss ich noch prüfen, machen aber beide einen sehr interessanten ersten Eindruck.

(Deutschsprachige) Phantastik-Funde

  • Anubis hat in seinem Blog ›Lake Hermanstadt‹ eine lesenswerte Rezension zu Thomas Plischkes »Die Zwerge von Amboss« geschrieben. Mein Urteil zu dem Buch ist ja eher kritisch, aber ich finde, Anubis bringt die Stärken des Romanes von Thomas Plischke fair und ohne peinliche Lobhudelei gut auf den Punkt. Muss ja nicht jeder meinen Geschmack haben.
  • Kai Müller blickt für ›Der Tagesspiegel‹ auf das Manga »Akira« zurück: Heller als tausend Sonnen.
  • PDF-Link: Fandomobserver 262 ist da. Redakteur: Florian Breitsameter. Noch keine Zeit gehabt, ausführlicher zu lesen … leider.
  • ›Der Standard‹ sollte eigentlich mal einen Preis der deutschsprachigen Phantastik-Szene dafür bekommen, die einzige (mir bekannte) große Zeitung unserer Zunge zu sein, die (im Internet) eine hochqualitative und anregend zu lesende Science Fiction & Fantasy-Rundschau pflegt. Neueste Ausgabe, zusammengestellt von Josefson: Die Wiederentdeckung des Menschen mit Rezensionen zu Büchern von Cordwainer Smith, Paolo Bacigalupi, Gerd Ruebenstrunk, Jack McDevitt, Adam Roberts, David & Leigh Eddings, Karl Schroeder, Sergej Lukianenko, Neal Asher, Patrick Lee, Edmond Hamilton, Kevin Shamel.
Zur Erinnerung: Hinweise auf bemerkenswerte deutschsprachige Internet-Beiträge zum Thema Phantastik (in allen ihren U- & E-Spielarten) bitte per eMail an …

molosovsky {ät} yahoo {punkt} de

… schicken. — Willkommen sind vor allem Hinweise zu Texten, die wenig beachtete Phantastikwerke behandeln (z.B. also Einzelwerke statt Seriensachen), oder die über Autoren, Theorie und Traditionsentwicklungen berichten.

Zuckerl

  • Den derzeit teuersten Schießprügel der Welt stellt ›BornRich‹ vor: VO Falcon Edition. Zu haben für ca. 620.000 €. Natürlich alles handgemacht.
  • Für etwas weniger Kohle bekommt man schon den Playmobil Apple Store bei ›Think Geek‹ für seinen Nachwuchs.
  • So muss Pop-Art, bzw. Agitpop, bzw. Straßenkunst heute gehen: die Italienische Gruppe orticanoodles hat es Dank ausgefeilter Stencil-Technik richtig druff. Meine Lieblinge: der Adi mit verschiedenen Färbungen (u.a. US-Fahne) Pop Never Dies und der Sepp (auch bekannt als Pipst, Pupst oder Papst) auf der Grafik The Black Pope.
  • Der Schweizer Architekt Michael Hansmeyer zeigt, wie man mit dem Rechner komplizierte Schönheit schafft.
  • Adam Wheatley kombiniert nette Gegenstände mit Waffen.
  • Der Spieleentwickler meines Vertrauens, ›Rockstar‹, hat mkt Recht stolz vermeldet, dass es ihr (hoffentlich) im Mai erscheinender Titel »L. A. Noir« als erstes Videospiel in die offizielle Auswahl eines Filmfestivals geschafft hat.
  • Austin Kleon berichtet ist seinem Blog von einem Artikel, in dem die ursprüngliche Karte des Ortes Twin Peaks von David Lynch vorgestellt wird.
  • Ein ganz großes Bonbon für alle, die wie ich den Anime-Meister Hayao Miyazaki verehren: Das englische ›Ghibli‹-Blog präsentiert »Mononoke Hime« aus dem Jahre 1980, ein bezauberndes Bilderbuch-Comic.
  • Für die ›Los Angeles Times‹ schildert Tony DiTerlizzi (mir aus »Plainscape«-Zeiten, heute den meisten wohl als »Spiderwick«-Macher bekannt), durch welche blöden Dusseligkeiten es in den 1960er-Jahren nicht dazu gekommen ist, dass der Illustrator- & Bilderbuch-Legende Maurice Sendak (am bekanntesten für das Kinderbuch »Wo die wilden Kerle wohnen«) Tolkiens »Der kleine Hobitt« bebildert: A masterwork that could have been.
  • John Norman, Autor der berüchtigten (und von mir selbst nicht geschätzten) »Gor«-Romane, hat ›io9‹ ein Interview gegönnt. John Norman, der Philosophie-Professor, der die barbarische Welt »Gor« ersonnen hat.

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Molos Wochenrückblick No. 40

Eintrag No. 698 — Gibt wenige Berufsfelder, die ich so innig ver- und missachte wie die Werbewirtschaft. Wurde wieder mal daran erinnert, warum. Bin gestern von einem Trupp, die einen Werbespott für eine Fernost-Automarke drehen, übern Tisch und am Nasenring herumgezogen worden. Kommen zwei nette Menschen an, und fragen ganz lieb, ganz sanft, ganz harmlos, ob sie »ein paar Aufnahmen aus der und der Richtung da und da hin machen können, geht auch ganz schnell«. Geworden ist daraus das Aufbauen von Dollywagenschienen für eine Kran-Kamera, in Beschlag nehmen eines Innenhofes von 20 Metern Durchmesser mittels mehrerer großer Scheinwerfer und Lichtschirme, und gedreht wurden ganze Szenen mit mehreren Darstellern. — Moral: Traue niemals Leuten, die mit Geld wie Heu um sich werfen, und die sich eigenes Catering bestellen, wohin sie auch gehen.

David Foster Wallace: »Unendlicher Spass«, Taschenbuchausgabe.Lektüre: Habe immer noch meine Freude mit David Foster Wallace und seinem Roman »Unendlicher Spass«. So etwas wie eine Handlung ist zwar noch nicht in Sicht, höchstens zu ahnen. Von den ersten 20 Kapiteln stehen die meisten als kleine Vignetten für sich, einige andere bilden einen ersten Komplex um die Familie Incandenza. Es geht um Schüler einer elitären Tennis-Schule; um einen Kiffer, die nun aber wirklich zum allerletzten mal Tage durch-knartzen will; um eine Kifferin, die im Selbstmordtrackt einer Psychatrischen mit ihrem Arzt spricht; um einen Gesundheitsattache, der sich entspannen will beim Dauerglotzen eines ominösen Filmes namens »Unendlicher Spass«, und der dabei verhungert.

Netzfunde

(Deutschsprachige) Phantastik-Funde

  • Es ist wieder soweit! Auf den Websiten der Wiener Tageszeitung ›Der Standard‹ gibt es die neueste Science Fiction- & Fantasy-Rundschau: Der Lichtschein am Ende des Wurmlochs von Josefson. — Diesmal mit Rezensionen zu Büchern von James Tiptree Jr. (übersetzt von Frank Böhmert), L. E. Modesitt, Jr, George R. R. Martin, Daryl Gregory, Gavin Smith, Jetse de Vries, David Moody, Michael McBride, Walter Jon Williams, Christoph Lode, Rob Grant, Paolo Bacigalupi, sowie einer begrüßenswerten Polemik gegen Bequemlichkeit und Einerlei des Fantasy-Marktes, und einer Empfehlung von Scott Westerfelds & Keith Thompsons »Leviathan«
  • Holger M. Pohl zieht für ›Fantasyguide‹ in seiner neuesten Kolumne, Glashaus, über Kritiker her, die sich über Schlampigkeiten und Fehler von Büchern mokkieren, aber selbst mit Fehlern nicht sparen. Ich fühle mich ertappt, denn genau das mache ich ja auch zuweilen. Dazu zwei Hinweise: eine Fehlermeldung als solche büßt ihre Kraft ja nicht ein, wenn die Person, die den Fehler meldet, selbst zu Fehlern neigt; und vergessen wir nicht das ›Salieri-Syndrom‹, wenn man selbst nicht gerade mit überragendem Genie gesegnet ist, aber zumindest über soviel ›Können‹ verfügt, um hohe Güte, oder eben Makel zu erkennen. (Anmerk: Wem der Begriff ›Salieri-Syndrom‹ so gar nix sagt, möge sich den Film »Amadeus« von Milos Foreman ansehen.)
  • Nochmal Georg Seeßlen, der die meiner Meinung nach bisher lesenswerteste Rezension zu »Tron Legacy« geschrieben hat: Das elektronische Reenactment. Zwar begegnet er dem Film mit einer ziemlichen Milde, aber der leichte Spott gefällt mir.
  • Gefunden über das ›Lake Hermanstadt‹-Blog von Anubis: Daniel Zalewski hat für den ›New Yorker‹ ein ausführliches Portrait des mexikanischen Filmemachers und Erz-Phantasten Guillermo del Toro verfasst: Show the Monster.
  • Dank (!!!) an Stephan Johach, der mir mitteilte, dass ›Locus Online‹ auf diesen langen und guten Text des ›Guardian‹ hinwies: When Hari Kunzru met Michael Moorcock.
Zur Erinnerung: Hinweise auf bemerkenswerte deutschsprachige Internet-Beiträge zum Thema Phantastik (in allen ihren U- & E-Spielarten) bitte per eMail an …

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… schicken. — Willkommen sind vor allem Hinweise zu Texten, die wenig beachtete Phantastikwerke behandeln (z.B. also Einzelwerke statt Seriensachen), oder die über Autoren, Theorie und Traditionsentwicklungen berichten.

Zuckerl

  • Diesen Link widmte ich dem Empfindungspiraten, denn ich musste bei diesem betrunkenem Oktopus von ›Boing Boing‹ an seine »ich kann nicht, wenn einer guckt«-Reihe denken.
  • Ein kurzweiliges Handels-Spiel für Zwischendurch bei ›Newgrounds‹: Wer wollte nicht immer schon mal Opium billig in Bengalien kaufen, teuer in China verscherbeln, dafür billig Tee in China kaufen und damit die Engländer der viktorianischen Epoche glücklich machen? Bitteschön, dann versucht es mit High Tea, einem wunderschönen kleinen Handels-Spiel von ›Preloaded London‹.
  • Da ich heute schon meine Verachtung für Werbung im Allgemeinen zum Ausdruck bracht, hier zum Ausgleich ein mir wirklich sehr gut gefallener Werbeclip, im Grunde die Verfilmung eines bekanntes Witzes. Weiß nicht mehr, wie ich auf diesen Werbeclip mit schönem Bücherei-Humor gestoßen bin: Schönheit ohne Hirn.
  • Hier drei Links, zu Bildern meines derzeit im Wachsen befindlichen Ordners mit Naturmotiven für den Bildschirm: Manarola, Italy, Eyjafjallajökull Volcano, Iceland, Autumn Leaves, Japan, alle drei bei ›National Geographic‹. Dummerweise finde ich die Links zu drei anderen schönen Photos (Erdmännchen, Kolibri und Ende) nicht mehr.
  • Bei ›Clockworker‹ über Warum Menschen Dinge erschaffen gestolpert, einem Zeichentrick-Kurzfilm von Saul Bass aus dem Jahre 1969.
  • Endlich! Kirby Ferguson setzt seine Dokumentation fort: Everything is a Remix Part 2, glänzende Erläuterung des ständigen Kopierens & Neukombinierens & Verfremdens von Bekannten anhand von »Star Wars«. Wer’s noch nicht wusste: George Lucas ist ein wilder Sample-Künstler.

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Die »Alien«-Filme, oder: Sabber bitte nicht alles voll, Schatzi

»Alien Anthology Box«Eintrag No. 697 — Von allen großen SF-Franchises gefallen mir die »Alien«-Filme am besten, trotz aller Macken (vor allem derer von Film 3 und 4). Nun habe ich die ausführlichen Zusatzmaterialien der BlueRay-Ausgabe von »Alien Anthology« genossen, was ein gelegener Anlass ist, meine alten Einträge aus der (leider immer noch kaputten) Film-Datenbank des SF-Netzwerkes aufzubrezeln.

Auch wenn die Filme als Klassiker der SF gelten und damit ihr Inhalt als bekannt vorausgesetzt werden darf, warne ich, dass ich im Folgenden beiläufig so manche überraschende Wendung verrate. — Allein schon, dass in allen vier Filmen Ripley die menschliche Protagonistin ist, gibt preis, wer den ersten Film überleben wird. Wer die Alien-Filme noch nicht kennt, dem rate ich, sich doch erst einmal die Filme zu gönnen, und erst dann diese meine bescheidene Liebeserklärung zu lesen.

Warum gefallen mir die »Alien«-Filme so dolle? — Darum:

  1. Abgesehen vom allgemein hohem Produktions-Niveau begeistert mich das SF-Design, so, wie das ›used future‹-Konzept beim ersten Mal und in Folge (mehr oder weniger) immer wieder gelungen umgesetzt wurde.
  2. Weil jeder der vier Filme durch das Spiel eines exzellenten Schauspieler-Ensembles geprägt wird. Tatsächlich bin ich der Meinung, dass keiner der vier Flme auch nur eine einzige Fehlbesetzung zu beklagen hat (ja, ich finde, dass auch Wynona Ryder in Film 4 vorzüglich ihre Rolle ausfüllt).
  3. Weil jeder der vier Filme es wagt, seine jeweils eigentümliche Version des Kampfers gegen das Biest zu liefern; also, weil Varianz und nicht Einheits-Rezept die Reihe prägt.
  4. Und schließlich, weil das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt mein persönliches Movie-Lieblingsmonster ist.

Was den letzten Punkt angeht, könnte ich nun anheben zu einem ausgiebigen (und als eigenen Molochronik-Eintrag eigentlich schon lange ausstehenden) Verehrungs-Bekenntnis für das Schaffen von Hans Rudi Giger. Seine »Necronomicon«-Bildbände gehörten zu den ersten zehn Büchern, die ich mir als Teenager angeschafft habe. Damals, in der Hepberger Provinz hatte ich zwar noch keine Möglichkeit, den Film »Alien« zu sehen, aber aus SF-Filmlexikas der Stadtbibliothek und der Buchläden kannte ich Abbildungen vom Monster und von Giger-Kunst, und vom ersten Moment an, war ich diesen Kreationen mit Haut und Haar verfallen.

Man kann sich, denke ich, vorstellen, mit welcher Wucht Gigers Bildbände und meine empfängliche, jugendliche Phantasie zusammenprallten. Auch wenn ich zu einigen Aspekten seines Werkes auf Distanz bleibe (vor allem zu dem ganzen schwarzmagischen Okkultkram), bin ich immer noch davon überzeugt, dass er einer der visionärsten und bedeutendsten bildenden Künstler der letzten Jahrzehnte ist. Neben seinem untrüglichen Gespür dafür, zu veranschaulichen, wie beklemmend das Sein in der heutigen Welt sein kann (kosmisches Grauen!), beeindruckt mich seine erstaunliche Gabe, Grauseliges und Schönes miteinander zu verschmelzen (sehr oft, indem Dinge sexualisiert werden; Giger ist zweifelsohne einer der großen Erotomanen der Kunst), und nicht zuletzt entzückt mich sein desöfteren aufblitzender Humor, sei es in der bitteren Variante deiner »Todgeburtmaschinen«, sei es in satirischer Form, beispielsweise seinem Vorschlag, die Schweiz mit fünf Eisenbahn-Untertunnelung ein riesiges Pentagram einzubohren.

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»Alien«Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt So ist das mit den Meisterwerken: Wollte ich meine Lieblings-Szenen des Filmes anführen, könnte ich gleich den ganzen Film nacherzählen. Allein schon der Beginn, wenn das große Raumschiff Nostromo vom Bordcomputer gesteuert zum Leben erwacht, gehört zu meinen Höhepunkten der Kinogeschichte. Für mich ist und bleibt »Alien« der prägende Pionier in Sachen ›used future‹, auch wenn »Star Wars« die Ehre gebührt, dieses Konzept bei seinen Tatooine-Schauplätzen etwas früher präsentiert zu haben, (aber: das ›used future‹-Konzept gründet sich bei beiden Filmen auf dem Geschick des Set-Dekorateurs & Produktions-Designers Roger Christian, der es verstand, auf Industrie- und Flugzeug-Schrottplätzen Material für seine SF-Kulissen zusammen zu klauben). Filmgeschichtlich gesehen, ist »Alien« der erste Film, der ein mich vollends überzeugendes SF-Design bietet.

Der erste Teil ist ein finsteres Horror-Märchen, mit dem Weltall, einem fremdartigen Planten als finsteren Wald, und der Nostromo als Platzangst bereitendem düsteres Schloss. Die Mär beginnt ruhig und kühl, steigert sich im weiteren Verlauf zu einer immer panischeren Count-Down-Hetze, und entlässt uns am Ende wieder zu den Klängen sanfter orchestraler Abspannmusik in den Cryo-Schlaf. Die Story ist freilich wenig mehr als ein ›Zehn kleine Jägermeister‹-Spiel, doch die Spannung zu der sich dieses im Verlauf aufschwingt, ist für mich heute noch vorbildlich.

Sehr fein finde ich die kleine Crew mit ihren unterschiedlichen Typen. Überzeugend prollige Gesellen hatschen mit Hawaihemd und Baseballkapp herum, und vor allem eine bürokratisch denkende (genauer: programmierte) Figur ist mit ihrer Kaltherzigkeit ein feines Neben-Monster.

Ich bevorzuge die ursprüngliche, etwas gemächlichere Fassung ohne die ›zum Ei verpuppen‹-Szenen der Quadrology-Edition. — Fazit: 10 von 10 Punkten.

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»Aliens«Aliens – Die Rückkehr Stimmungsvolle Menschen- und Kolonie-Architektur (die Verlade-Robots!, siehe Kampfmaschinen in »Matrix 2 & 3«), auch wenn die dicken Wummen ein wenig überzogen sind. Feines Alien-Design (nicht von, aber nach Giger), und das Groß-Puppenspiel der Alien-Queen ist meisterlich, trotzdem finde ich die Königin nicht vollends gelungen. Am meisten grummle ich, dass die Masse der Normal-Aliens der Faszinatationskraft des Monsters abträglich ist. Auch wenn das Konzept, dass sich in für sie fruchtbarer Umgebung die Aliens wie ein Insektenstaat organisieren und entsprechend vermehren, prinzipiell interessant ist, werden die Viecher in diesem Film über Gebühr zu Schießbudenfiguren degradiert. Aber dies ist der Äktschn-Kracher unter den Alien-Filmen und erfüllt diese Aufgabe geradezu perfekt. Kein Wunder, das James Cameron mit diesem Streifen Maßstäbe für große SF- und Baller-Flicks gesetzt hat, die seitdem nur selten wieder erreicht wurden.

Einige sehr dick aufgetragene Charaktere laufen herum, die aber durchwegs funktionieren (brillant zum Beispiel Bill Paxton als nervig-cooler Cowboy). Sehr feiner kleiner Schleimer-Bösewicht, und Lance Hendrickson gibt mit anrührenden Körpereinsatz einen äußerst überzeugenden Androiden. Die überlebende Newt ist wohl nicht nur für mich einer der wenigen Fälle, wo ein Kind in einem Äktschnfilm nicht nervt.

Der Extendet Cut ist stimmiger als die Kinofassung, und funktioniert als schräger Vietnam-Film. — Fazit: 9 von 10 Punkten.

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»Alien3«Alien3 Natürlich trauere ich darum, dass von den im Bonus-Matrial vorgestellten Plänen von Vincent Ward zu diesem Teil so wenig umgesetzt wurde. Wahrlich eine großartige Idee, Ripley und ein Alien auf einer aus Holz gemachten Sphäre mönchischer Technik-Verweigerer abstürzten, und das Monster als Inkarnation des Leibhaftigen unter den religiös Erhitzten wüten zu lassen, die daraufhin das Grundübel in der verdorbenen Frau vermuten. Übrig blieb nur, dass sich Ripley und eben wieder nur ein Alien in der Umgebung eines karg ausgerüsteten Gefängnisses für Schwerverbrecher wiederfinden, und dass diese ausnahmslos männlichen Gefangenen ihrer Hysterie mit einem spirituellem Reinheitsgelübte Herr zu werden trachten.

Film 3 präsentiert sich uns wieder als Kammerspiel, wie auch der erste Teil. Zwei leidenschaftliche Theaterschauspieler zeigen, wie man mit Kleinigkeiten Spannung in Dialoge bringt: ein Hoch auf das ›Pärchen‹ Sigorney Weaver und Charles Dance.

Der (zugegeben seltene) Humor liegt mir mehr als der in Teil 2. David Fincher beweist sein Talent bei diesem seinem Spielfilm-Debut bereits mit dem Anfang, der mit beunruhigenden Fragmenten die Ausgangssituation darstellt, und alle Hoffnungen, mit denen der zweite Film endete, zunichte macht. Überhaupt finde ich die düstere Konsequenz (viele beschreiben die Stimmung des Filmes als bedrückend nihilistisch) dieses Teils richtiggehend erfrischend. Dieser Alien-Film eignet sich vorzüglich für trübsinnige Tage, wenn man etwas braucht, in das man sich mit Depri-Laune reinkuscheln kann.

Dieser Film ist erstaunlich gut, wenn man zur Kenntnis nimmt, was für Probleme es bei der Produktion gab. Enttäuschend nur, dass die Schlussjagd sich etwas lang dahinzieht und das die Tricktechnik, mit der Alien umgesetzt wurde, in einigen Szenen sehr zu wünschen übrig lässt. — Fazit: 8 von 10 Punkten.

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»Alien Resurrection«Alien – Die Wiedergeburt Ich kann verstehen, dass sowohl viele Alien-Fans, als auch viele aus dem Kreise des ›gewöhnlichen‹ Publikums diesen bisher letzten Film der Reihe für mehr oder minder misslungen einstufen. Film 4 ist mit Abstand der hysterischste, der sich am weitesten vom ›Originalton‹ entfernt, und dessen Inszenierung zwischen Äktschn-, Humor- und Horror-Aspekten eine heikle Gratwanderung zusammenwackelt.

Interessanterweise lassen sich einige Sequenzen des Filmes als Selbstbespiegelung von Franchise-Ausbeuterei und überdrehter Alien-Begeisterung lesen: Skrupellose Wissenschaftler (Symbol für Filmproduzenten und Franchise-Spin Doktoren) sind dabei, Aliens zu züchten, und versuchen sie zu zähmen. Einer der Wissenschaftler ist geradezu vernarrt in die Monster und gibt sich ein zärtlich-neckisches Mimik-Duell (grandios dargebracht von Brad Dourif). — Ripley wird von Entsetzten überwältigt, als sie ein Kabinett mit misslungenen Mensch/Alien-Klon-Mischlingen entdeckt (Symbol für: enttäuschte Fans, die nicht ertragen, was aus ihrem geliebten Monster-Franchise gemacht wurde), und einem besonders erbärmlichen Exemplar verpasst die den ›gnädigen‹ Flammentod (eigentlich ziemlich ›ungnädig‹, denn Verbrennen ist recht grauselig; sie hätte dem armen Klon besser erstmal eine Kugel in den Kopf jagen sollen). — Unschuldige Menschen (Symbol für: Alien-Fans, die nicht anders können, als sich einen neuen Alien-Film angucken wollen zu müssen) werden als Versuchskaninchen missbraucht und finden sich über Alien-Eiern fixiert, damit die frischschlüpfenden Face Hugger gleich einen Wirtskörper haben.

Ich kann mir nicht helfen und finde diesen Teil trotz all seiner Unzulänglichkeiten ziemlich unterhaltsam. Genial zum Beispiel die Idee eines guten Untergrund-Androiden (menschlicher als die Menschen) und der drastisch erbärmlichen Klonkreuzung »Ripley 8«. Ich liebe auch den Stationskommandanten (ich sag nur Schuhe putzen), seinen Sicherheitschef und die Weltraum-Piraten. — Meine Lieblingsvignette spielt in der Kantine, wenn die Piraten beim Fernsehgucken Zeit totschlagen und Wynona Ryder versucht, mit Boxhandschuhen aus einer Blechtasse zu trinken.

Der ganz große Flop des Filmes ist mit Abstand das peinlich-behämmerte Design der menschlichen Äuglein in Totenkopfeinfassung für die neue Alien-Brut. Diese neue Alien-Züchtung ist schlicht ein Griff ins Klo. Da hilft der peinsame Abgang des Viehs auch nicht mehr viel. — Fazit: 7 von 10 Punkten.

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10 + + + + + Maßstabsetztendes Meisterwerk; Olympisch. 09 + + + + Überwiegend exzellent; Packend. 08 + + + Bemerkenswert mit leichten Schwächen; Anregend. 07 + + Befriedigendes Handwerk; Kurzweilig. 06 + Unterhaltsam mittelprächtig; Akzeptabel. Unsichtbare Grenze der absoluten Mittelmäßigkeiten 05 - Brauchbar mittelprächtig; ganz nett, aber insgesamt lau. 04 - - Überwiegend mittelprächtig; Anstrengend bzw. langweilig. 03 - - - Bis auf wenige Momente daneben gegangen; Nervig. 02 - - - - Ziemlich übeles Machwerk; Zeitverschwendung. 01 - - - - - Grottenschlechtes übles Ärgernis; Pathologisch.

Molos Wochenrückblick No. 37

Eintrag No. 692 — Diesmal gibt’s ne fette Nummer. Also los.

Lektüre: Haruki Murakamis »Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt« habe ich erstmal wieder zur Seite gelegt. Ist einfach zu wenig los in dem Buch, und banaler Kram wird zu breit ausgewalzt

Paolo Bacigalupi: »The Windup Girl«. Taschenbuch-Ausgabe von Orbit.Richtig gut gefällt mir bisher »The Windup Girl« von Paolo Bacigalupi. Am Rande hab ich mitbekommen, dass wieder mal ein neues Subgenre ausgerufen wurde, nämlich ›Biopunk‹. Und wenn man sich auf das Schubladenspiel einlässt, dann kann man »The Windup Girl« als leuchtendes Beispiel für ›Biopunk‹ nehmen. Immerhin wurde der Weltenbau gewebt aus solchen Themen-Fäden wie Ökologie, Rohstoff- & Energiekriese, gentechnisch entworfene (& patentierte) Nahrungsmittel, Fanatismus & Genozid, Vertreibung & Immigration. Nix Weltraum oder Aliens.

Paolo Bacigalupi: »Biokrieg«. Taschenbuch-Ausgabe von Heyne.»The Windup Girl« wird Anfang Februar als »Biokrieg« bei Heyne erscheinen und es gibt auch eine großzügige (vierzig Seiten-)Leseprobe im Netzl. Leider ist das deutsche Titelbild ehr doof, hat nur im übertragenen Sinne Bezug zum Inhalt und erinnert merklich an ein Motiv zur ersten Staffel von »True Blood«.

Sympathisch finde ich, dass der Roman in Bangkok angesiedelt ist (wann genau, wurde bisher nicht gesagt, aber ich schätze mal in ca. 100 bis 200 Jahren), und dass die Protagonisten der vier Handlungsstränge gut ausgewählt sind: a) Anderson Lake, der Fremdländer aus den USA, Leiter einer Fabrik für Antriebsfedern, aber eigentlich Spion für einen großen Genfood-Agrar-Konzern, immer auf der Suche nach neuen Lebensmittel-Züchtungen, bzw. Genehack-Verstößen; b) Hock Seng, ehemals wohlhabender Händler in China, vor islamischen Fanatikern nach Thailand geflohen, schmeißt nun für Andersons Fabrik die Orga & Buchhaltung; c) Jaidee Rojjanasukchai, Hauptmann beim Umweltministerium und scharfer, unbestechlicher Grenz-Kontrolleur, Held des Volkes und dem sich stets auf krumme Import-Deale einlassenden Handelsministeriums ein Dorn im Auge; und d) das Titelmädchen, Emiko, eine künstliche Person, gebaut in Japan als Sekretärin, Übersetzerin und Gefährtin eines wohlhabenden Geschäftsmanns, wurde aber vom Besitzer in Bangkok zurückgelassen, wo Emiko nun als Sex-Spielzeug in einem Nachtclub darbt.

Desweiteren neu im Haushalt: Zwei Kunst-Bücher.

Einmal für zwischendurch der kurzweilige Band »Die großen Künstler und ihre Geheimnisse« von Elizabeth Lunday mit wunderbaren Illustrationen von Mario Zucca.

Zum anderen der Photobildband »Kleine Leute in der großen Stadt« des Londoner Streetartist Slinkachu. Irre Idee, kleine Eisenbahn-Figürchen irgendwo in der Stadt zu platzieren, stehen zu lassen als zu entdeckende Überraschung für Passanten und die abstrusen kleinen Szenen mit Photos zu dokumentieren.

Netzfunde

  • Klaus Jarchow liefert in seinem immer lesenswerten Blog ›Stilstand‹ eine knappe und exakte Analyse der Unverschämtheit von Sarah Palin im Zusammenhang mit den Amoklauf von Arizona: Vom Täter zum Opfer.
  • Unglaublich aber wahr: Im ›Focus‹ gibt es einen beherzigenswerten Text von Miriam Meckel zum Thema Wandel des Jouralismus in Zeiten des Internets und der sozialen Medien: Journalisten an der Crowdsourcing-Front. Sachliche und doch feurige »Bewegt Euren Hintern!«-Rede.
  • Eine ergiebige Seite zum Stöbern bei Langeweile ist das Kuriositätenkabinett der Wikipedia.
  • Ergreifend berichtet Stefan Weber für ›Telepolis‹ in Ein Online-Zahlsystem will wissen: Ist mein Geld sauber? von seinem Leid mit PayPal (ich selbst kann — noch — nicht klagen).
  • Die bisher erste (& zur Schande der deutschsprachigen Feuilleton-Landschaft) und einzige Rezension zu dem großartigen Buch »The German Genius« von Peter Watson bietet die ›Frankfurter Rundschau‹, wenn Arno Widmann loben darf …
    So anregend hat lange niemand mehr einen Panoramablick auf die deutsche Geistesgeschichte der vergangenen zweihundertfünfzig Jahre geworfen. {…} Zur Moderne gehört die Kritik an ihr. Nirgends ist das, wie Watson zeigt, deutlicher zu sehen als in Deutschland. Genau darum aber empfiehlt er, die deutsche Erfahrung genau zu studieren: »Was die Modernität betrifft, so ist Deutschland nicht nur eine ›verspätete Nation‹, es ist auch eine zögerliche Nation. Aber vielleicht birgt dieses Zögern eine Lehre. Wenn Wissenschaft und Kapitalismus … die Zerstörung unserer Umwelt, ja unserer Erde, nicht verhindern können, wenn sie sogar der primäre Auslöser für diese Zerstörung sind, dann wird nur eine Veränderung von uns selbst, ein Wandel unseres Willens etwas bewirken können. Die Deutschen erklären uns, dass der Weg aus unserem Dilemma weder ein technischer noch ein wissenschaftlicher, sondern ein philosophischer ist: eine Frage unserer Lebenseinstellung.«

(Deutschsprachige) Phantastik-Funde

  • Endlich hole ich mal nach, auf den neuesten Kurzgeschichten-Wettbewerb von ›Fantasyguide‹ aufmerksam zu machen: SCIENCE FICTION — Die nächste Generation.
    Einsendeschluss ist der 31. März. Mitmachen dürfen alle, die höchstens 18 Jahre alt sind.
    (Zur Jury gehört auch so ein Spinner namens Molosovsky.)
  • Jubel ist angesagt, denn endlich endlich endlich geht es weiter auf der Hauptseite der Bibliotheka Phantastika. Vor allem die wunderschöne neue Gestaltug von moyashi gefällt mir. Es gibt neue Sächelchen, z.B. ein Blog, ein überarbeitetes Genre-Schubladensystem (mit ›Weird Fiction‹!), und eine Fibel mit Essays. Und 1000 Dank, dass der Molochronik auf der Link-Seite so weit oben ein Plätzchen eingeräumt wurde!!
  • Große Diskussion über die Lage der Fantasy in unseren Landen. Stein des Anstoßes war eine Erregung von Petra Hartmann im Fandom Observer 259 über die Schwemme an seichtem Fantasy-Lulu, dass die Buchhandlungen verstopft. Der Herr Breitsameter von SF-Fan hat daraufhin einige Leuts um Stellungnahmen gebeten (auch mich, aber meine Antwort fiel aus Zeitmangel zu kurz aus) und so gibt es die Antworten von … … Markus ›Pogopuschel‹ Mäurer (Redakteur von ›Fantasyguide‹ und ›Phase X‹) :
    Was mir persönlich ein wenig auf dem Buchmarkt fehlt sind einzelne, abgeschlossene Fantasy-Romane. Die unzähligen Reihen mit ihren Trilo-, Quadro-, Deka- und Kein-Ende-In-Sich-logien hängen mir inzwischen zum Hals raus. Hier wünsche ich mir etwas mehr Mut bei den Autoren und den Verlagen, aber auch bei den Lesern. Denn die Masse der Fantasyleser scheint ja leider das Bekannte (in Form von Endlosreihen) zu bevorzugen
    Adrian Maleska (Redakteur von ›Fantasybuch‹): Seine Meinung ist mir etwas zu vorsichtig und versöhnlich. Wertvoll finde ich seinen Tipp, sich als Leser doch mal zu bewegen und bei Verdruss nach neuen Weidegründen umzusehen. … und Michael Scheuch (einem meiner beiden Redakteur-Cheffes von »Magira – Jahrbuch zu Fantasy«). Er hat die Cochones, auf einen der fatalsten Zustände hinzuweisen:
    Im Buchhandel haben Thalia und Co. großen Einfluss auf die Gestaltung der Verlagsprogramme, und der rein optische Eindruck des Einerlei kommt auch von den Büchertischen und der Stapelware in den großen Läden.
    (Fett-Hervorhebung von Molo.)
  • In zwei Teilen referiert Stefan Höltgen für ›Telepolis‹ ausführlich über den Computer als göttliche Maschine: Teil 1: God Modes, und Teil 2: Der göttliche User.
  • Auf den Comic-Seiten des ›Tagesspiegels‹ empfiehlt unter dem Titel Schnüffler mit Schnauze Lars von Törne die Tierfabel-Noir Krimis »Blacksad« von Juan Díaz Canales und Juanjo Guarnido.
  • Für die ›TAZ‹ hat Zoé Sona unter dem Titel Der Horror und das Mädchen der Essay-Sammlung »Horror als Alltag. Texte zu ›Buffy the Vampire Slayer‹« des Verbrecher Verlages eine wohlwollende und verständige Rezi angedeihen lassen. Der Band enthält auch Beiträge des von mir geschätzten Dietmar Dath, sowie der Schlotzen & Kloben-Mitglieder Jakob Schmidt & Jasper Nicolaisen.
  • Ein Hoch auf Rupert Schwarz, der für ›Fictionfantasy‹ eine Rezension zu Tim Burtons Meisterwerk Mars Attacks liefert … auf Marsianisch!
Zur Erinnerung: Hinweise auf bemerkenswerte deutschsprachige Internet-Beiträge zum Thema Phantastik (in allen ihren U- & E-Spielarten) bitte per eMail an …

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… schicken. — Willkommen sind vor allem Hinweise zu Texten, die wenig beachtete Phantastikwerke behandeln (z.B. also Einzelwerke statt Seriensachen), oder die über Autoren, Theorie und Traditionsentwicklungen berichten.

Zuckerl

  • Web-Comic: Hochgradig durchgeknalltes Projekt, wenn bei Axe Cop der 29-jährige Zeichner Ethan Nicolle die Stories seines 5-jährigen Bruders Malachai Nicolle umsetzt. Richtig wilder Stoff in bisher knapp 60 Folgen.
  • Beeindruckende Photoserie von Francois Robert: Stop the Violoence. Aus den Knochen menschlicher Skelette zusamengesetzt Symbole, Worte und Waffen, sehr schön und zugleich spooky. Die Motive wurden aufgegriffen für eine Kampagne der ›Gesellschaft für bedrohte Völker‹.
  • Viel zu wenige Künstler liefern bratzige Brutalo-Hasen. Abhilfe schaffen aber die mutierten Roughneck Rabbits von Kai Spannuth.
  • Sehr elegenate Ansichten von Catwoman von Bengal, gefunden im ›Trixie Treats‹-Blog. Jummie!
  • Nase voll von den immer gleichen Kravatten-Knoten? Mit 5 New Creative Ways to Wear a Tie zeigt Caldwell Tanner von ›College Humor‹, wie Mann sein Repertoir aufbrezeln kann. Für Cthulhu-Acolyten natürlich besonders toll: ›The Lovecraft‹.
  • Bezaubende Phantastik-Gemälde von Julie Heffernan zeigt ›Escape to Life‹.
  • Zur Hebung der Laune präsentiert das ›Clockworker‹-Portal den kleinen Musikfilm Herr Ober, zwei Mocca mit Henry de Winter, begleitet von den Bratislava Hot Serenaders.
  • Zuletzt ein Schmankerl des von mir verehrten ›Distressed Watchers‹, der eine gloriose Top Ten der Antihelden erstellt hat. Ich bin sehr einverstanden damit, dass der »Unforgiven«-›Held‹ von Clint Eastwood Platz 1 belegt.

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Jakob Arjouni: »Chez Max«, oder: Let’s crush the motherfuckers before they crush us

Eintrag No. 691 — Aufmerksame Molochronik-Leser haben womöglich mitbekommen, dass ich hie und da erwähnte, ein Fan von Arjounis in Frankfurt angesiedelten Kayankaya-Krimis zu sein. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass »Chez Max« das erste Nicht-Kayankaya-Buch von Arjouni ist, das ich mir vorgenommen habe. Warum hab ich zuschlagen? Weil es sich hierbei um einen waschechten Science Fiction-Roman handelt, und ich neugierig war, was ein bewährter Krimiautor aus diesem Genre rauskitzelt. Logo, dass Arjouni keine SF von der Art liefert, wo der Technobabbel-, Aliens- und Äktschn-Punk abgeht, sondern — da bleibt der Autor sich treu — kriminalistische Social-SF, bei der die Figuren und ein bissiger Blick auf die Gesellschaft im Zentrum stehen.

Drei Attraktionen kann ich benennen:

Erstens ist der Roman so schnörkellos geschrieben, dass ich die 222 Seiten in eineinhalb Tagen wegschlürfen konnte. Arjouni lässt alles Überflüssige beiseit, hält sich nicht mit ausufernden Stimmungs- & Umgebungsbeschreibungen auf, sondern liefert knapp und pragmatisch die Infos, die man zum Verständnis der Handlung, des SF-Weltenbaus und der Zwickmühlen der Figurenkonstellationen braucht. Dialoge nehmen dabei viel Platz ein, und die sind so flockig zu lesen, dass es sich anbieten würde, aus diesem Buch einen feinen Fernsehfilm oder auch ein Theaterstück zu machen. — Mit Bewunderung habe ich verfolgt, wie Arjouni ohne Verwirrung zu stiften geschickt Gegenwart-Ereignisse mit Erinnerungen und Erläuterungen verschachtelt. Die Komplexität dieser Verschachtelungen drängt sich weder auf, noch hemmt sie den Lesefluss. Kurz: strukturell makellos und vorbildlich gebastelt.

Dann ist da zweitens natürlich die SF-Spekulation, die schildert, wie es im Paris des Jahres 2064 wohl zugehen mag, wenn Entwicklungen, die seit IX.XI im Gange sind, oder durch dieses Ereigniss verstärkt wurden, sich zum Alltag verfestigen; als da wären insbesondere der ›War Against Terror‹, die allgegenwärtige Bespitzelung der Bürger, die scharf gehütete Einzäunung und Grenzkontrolle der Wohlstandszonen, sowie die durch militärische Truppen aufrecht erhaltene wirtschaftliche Ungleichheit zwischen Nord und Süd. De fakto herrschen in »Chez Max« beispielsweise auf den Zuckerrohrplantagen des Südens wieder Zustände, wie zur knackigsten Sklavenausbeuterzeit. — Das Szenario ähnelt in vielerlei Hinsicht dem, das Jean-Christophe Rufin bereits 2004 in seinem SF-Thriller »Globalia« geschildert hat, und zu dem Rufin Anfang der 90-er das Sachbuch »Das Reich und die neuen Barbaren« vorlegte.

Auch beim Weltenbau kann ich genussvoll anerkennen, nämlich, mit welch glücklichen Händchen Arjouni viele kleine Ideen platziert und mit ihnen gegenwärtiges Zeitgeschehen kommentiert. — Knapp ein paar Beispiele für Spekulationen, die ich für plausibel halte, und deren Präsentation mich schmunzeln (und / oder auch schaudern) ließen: Die USA sind pleite und haben sich überwiegend zu einer Agrarnation zurückentwickelt. Fernost (vor allem China) und die Kernstaaten der EU, haben die USA aufgekauft. Abkommen zwischen Fernost und der EU führten zu großen Einwanderungswellen, so dass es z.B nun in Paris ganze Bezirke gibt, in denen überwiegend aus China stammende Menschen wohnen. — Es gibt elektronische Simultanübersetzer zum ins Ohr stöpseln, aber nur bestimmte Sprachen der EU und Asiens sind erlaubt, gewisse andere Sprachen bleiben geduldet, der Rest (vor allem arabische und afrikanische Sprachen) sind verboten, und ihre Verwendung steht unter Strafe. — Filme können in den Himmel projiziert werden, was aber eigentlich nur die Spanier mögen, denn die bleiben gerne bis in die Puppen auf. In Paris wird die Technik dagegen unter großem Jubel gerade zum ersten Mal dafür verwendet, die Bürger mit einem künstlichen Regenbogen zu beglücken. — Es gibt Sex-Simulationsanzüge. Mit speziellen Kameras kann man beliebige Personen aufnehmen und somit zum Avatar für die virtuelle Schnackselei machen. — Landkarten! Nur die ›demokratische, zivilisierte & aufgeklärte‹ erste Welt darf auf offiziellen Karten gezeigt werden. Alle außerhalb des Wohlstands-Schutzzaunes gelegenen Weltgegenden werden ausgeblendet und als Ozean dargestellt.

Die dritte Attraktion muss ich — um nicht zu viel von den Twists des Buches zu verraten — umständlich schildern. Erst aber ein paar Worte zu den ersten Takten der Handlung. Max betreibt seit vielen Jahren ein feines Restaurant in Paris. Das dient aber vor allem als Fassade für seine Überwachungstätigkeit als Mitarbeiter der Ashcroft-Behörde. Diese versucht, Verbrecher dingfest zu machen, bevor sie ihre Taten begehen. Max ist ziemlich frustriert, a) weil seine Aufklärungsquote merklich gesunken ist, seit er die ungehobelte Intelligenzbestie Cheng zum Partner hat; b) weil der letzte Übeltäter, den er melden konnte, sein einziger Kumpel Leon war, ein Maler mit Schaffenskrise, der immer noch raucht (total verboten) und vorhatte, sich mit Drogenschmuggel über Wasser zu halten. Im Zusammenhang mit einem Haus, in dem sich mutmaßlich illegale Einwanderer verstecken, und das genau auf der Grenze der Bezirke liegt, für die Max und Cheng zuständig sind, ergiebt sich für Max eine Möglichkeit, seinem verhassten Partner am Zeug zu flicken. Ein Katz und Maus-Spiel beginnt.

Der Roman hat mich sehr belustigt, ist spannend, und bietet eine fiese & erstaunliche Bespiegelung verschiedener Charaktere. Womit ich bei der dritten Attraktion bin, die ich nicht en detail schildern will. Soviel sei verraten: Wer überraschende Wendungen mag (die z.B. Filme wie »The Sixth Sense«, »Fight Club« oder den Roman »Drood« von Dan Simmons zu solch grandiosen Erlebnissen machen), also Handlungen, die einen geschickt auf eine falsche Fährte lotsen, wird bei »Chez Max« wahrscheinlich auf seine Kosten kommen. — Das ›an der Nase herumgeführt‹-Werden, welches Arjouni seinen Lesern angedeihen lässt, liefert ein kritisches und doch vergnügliches Vexierspiel dazu, wer der eigentliche Unsympath des Romanes, wer der moralisch integere Typ, und wer der Depp ist.

Fazit: »Chez Max« überzeugt mich, weil der Roman vorbildlich zeigt, dass zugängliches und kurzweiliges Erzählen nicht im Widerspruch dazu stehen müssen, dem Leser knifflige Bewertungs-Herausforderungen zu stellen. — Schließlich freut es mich, dass Arjouni sich zu den Kreis der deutschsprachigen Mainstream-Autoren gesellt hat (siehe z.B. auch Christian Kracht, Thor Kunkel und Cord Hagen), die gute SF vorlegen, welche geeignet ist, das Ansehen des Genres jenseits der SF-Szene zu mehren.

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Jakob Arjouni: »Chez Max«; Sieben Kapitel auf 222 Seiten; Diogenes Verlag; Gebunden 2006; ISBN: 3-257-06536-1. — Taschenbuch 2007; ISBN: 3-257-23651-4.

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Molos Wochenrückblick No. 31

Eintrag No. 680 — Bald schon Mitternacht, aber noch istDienstag und damit nicht zu spät für einen Wochenrückblick. Diese Woche wieder mit Links..

Lektüre: Zehn Seiten noch in »Zettel’s Traum«, und ich bin mit Teil I (»Das Schauerfeld oder die Sprache von Tsalal«) von VI fertig und damit bei Seite 138 von ca. 1500. Ich kann sagen, dass ich (immer noch) vergnügt vor mich hinlese.

Sehr fein finde ich, dass die ›Arno Schmidt Stiftung‹ mittlerweile mit dem »Zettel'sTraum«-Beispielheft ein nützliches PDF anbietet, in dem präsentiert wird, was typographisch in dem Buch an spannenden Dingen abgeht. Unvermeidlich werden einem dabei natürlich einige Beispiel-Seiten geboten, anhand derer man sich als Unbedarfter mal angucken kann, wessen Wahnsinns kesse Beute Arno Schmidt wohl war, als er ZT geschaffen hat. Ich habe ja weniger meinen Spaß damit, »Zettel’s Traum« als Mega-Kreuzworträtsel anzugehen, sondern eher auf eine Art die …

… die auch Denis Schenk erfrischend schildert, wenn er sich als »Zettel'sTraum«-Veteran outet, und für »Druckfrisch« dieses Trumm empfiehlt. Wunderbar respektlos (respektlos, wie es nur echte Fans sein können / dürfen) meint er nicht ganz unrichtig:

Es (= »Zettel'sTraum«) ist ein typisches Produkt der fortschrittsgläubigen Moderne, man könnte auch sagen eines typisch männlichen Wer-pisst-am-höchsten-Denkens in der Kunst.
Dank an Markus M. für den Hinweis!

In eigener Sache: Frank Weinreich bespricht für sein ›Polyoinos‹-Blog Simon Spiegels »Theoretisch Phantastisch« sehr begeistert und findet sogar nette Worte zu meinen Illustrationen. Das macht mir Mut!

›SchönerDenken‹ hat mit »Der Maulwurf in der digitalen Welt« nun ein Potpourri aus den Beiträge ihrer Moleskin-Blogparade (bei der ich auch mitgemacht hatte) zusammengestellt.

Netzfunde

  • Christenschande: Frohe Botschaft (=Fantasy) offenbaren, aber widerliche Wirklichkeit unter den Teppich kehren (wenn ’se der eigenen Firma schaden könnt): Thorsten Stegemann hat für ›Telepolis‹ mit Vertuschen im Namen des Herrn über das Gutachten betreffs der Missbrausfälle in der Erzdiözese München und Freising berichtet. — Für die ›Junge Welt‹ hat Gerd Feldkamp das »Violettbuch Kirchenfinanzen« von Carsten Frerk gelesen: Glaube und Geldgier.
  • InfoWarScharmüzel: Ines Kappert kommentiert für das Gruppenblog ›Lesen was klüger macht‹ die Entwicklungen zum Thema ›Abbau des Geheimnisse-Stau‹: Wikileaks maßt sich an, Öffentlichkeit anders zu definieren. — Ich selbst habe im Lauf der letzten Woche dem hoffentlich noch abwendbaren, behämmerten Alterskennzeichnungs-Ideen als 2945-ster mein »Nein« erteilt: JMStV ablehnen!. Mein Kommentar dort: Weltfremdes und kontraproduktives Vorhaben, der neue JMStV. Höchstens dazu gut, dass man wieder mal deutlich vorgeführt bekommt, wie sehr Politiker (bzw. jene, in deren eigentlicher Absicht sie handeln) sich vor ›dem Internet‹ fürchten. Ergänz hier: Aber natürlich eine wonnevolle Aussicht für alle, die mit juristischen Kung-Fu als moderne Wegelagerer anderen das Geld abpressen, sowie für die Entwickler & Vermarkter von Kontroll-Technologie.
  • Geheimniskrämerische Wohltäter: Die ›Frankfurter Rundschau‹ berichtete am 27. Nov. kritisch über Stephanie zu Guttenbergs Verein: Im Spendensumpf und ›Twister‹ konnte am 01. Dez. dann in ihrem Artikel bei ›Telepolis‹ ›Innocence in Danger‹ und deren ungewohntes Schweigen ergänzen, dass IoD lieber Journalisten verklagt, als Transparenz vorzuleben. (Nebenbei: die Gutenberg habe ich bereits auf einen Notizzettel gezeichnet. Die kommt also bald in meiner Fetzenschädel-Reihe.)
  • Zur Abwechslung Kultur: ›TAZ‹ brachte einen nettes Texterl von Nina Ernst über Geschichte in Computerspielen: Aus Fakten wird Fiktion - manchmal. — Ich finde, dass viel zu selten über den ›anderen‹ großen ›Iconic Turn‹ gesprochen wird, der seit dem Aufstieg der Massenmedien abgeht. Über den Wandel von der Schrift-zur Bild-Kultur salbadert schnell mal jemand, aber die Verdrängung der Erzähl- durch die Spiel-Kultur wird vergleichsweise selten thematisiert.
  • In ›Neues Deutschland‹ wurde ein begrüßenswerter Artikel von Martin Koch über die frühe Royal Society veröffentlicht: Zwischen Erkenntnis und Intrige.

(Deutschsprachige) Phantastik-Funde

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Zuckerl

  • Gigantisches Mutanten-Prügelei-Wüstenödnis-Endzeit-Comic, für umme! »Murderbullets« bei ›Orc Stain‹.
  • Bei ›Newgrounds‹ über The Game gestolpert. Taugt als Spiel eigentlich nix, sondern nutzt Spiel-Konventionen als Mittel zum philosophischen Kalauern. Also quasi Kunst oder Kabarett, oder so.
  • Auf dem YouTube-Kanal von apachepics gibt es eine zum Niederknien feine Hommage auf Chuck Jones, »Wiley Vs. Rhodes«, gedreht mit echten Leuten.

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Molos Wochenrückblick No. 25

Eintrag No. 666 — Räume am Sonntag im Billy mit den gebundenen Schinken Zeugs aus der ersten in die zweiten Reihe, um Platz zu schaffen für Sachen, zu denen ich öfters greife, oder denen ich mich auf absehbare Zukunft vermehrt widmen will. Da fällt mir »Das Kritikon« von Gracian aus zwei Meter Höhe auf das Nachschlagwerk-Arbeitsregal, dass es die Dübel aus der Wand reisst. Perdauz aber auch, das Bookanier-Dasein ist gefährlich.

Lektüre: Auf dem Klo »Transmetropolitain«. — Unterwegs abwechselnd immer noch »Behemoth« von Westerfeld und Thompson, sowie zur Beschallung der »Barock-Zyklus« (engl.) von Stephenson. Bin mittlerweile im dritten von 8 Büchern angekommen. — Seit dem letzten Dienstag lese ich nun schließlich zu Hause, am Abend, endlich »Zettel's Traum« von Arno Schmidt, dem letzten Buch der Werksausgabe das mir fehlte, & auf das ich ca. 20 Jahre gewartet habe. Natürlich auch für Phantasten interessant, denn es wird (schier endlos) über Edgar Allan Poe doziert und gestritten, und es finden Verwandlungen und Poetisierungen längere Gedankenspiele statt. Nützlich für Leuts, die mehr zum Buch wissen wollen, ist dieser Prospekt des Suhrkamp Verlasges. Wenn alles klappt, dann werde ich hie und da ein wenig aus meiner Wanderung durchs »Zettel's Trumm« (Spitzname © Andrea) berichten. Ich schaffe pro Abend etwa zwei bis vier Seiten dieses Werkes. Hier derweil schon mal ein bildungsbürgerlich-gemütliches Stillleben mit Single Malt und Nüsschen. »Zettel's Traum«-Stillleben mit Single Malt und Nüsschen.

Netzfunde

  • Anna Gielas hat für ›Der Freitag‹ einen lesenswerten Text über die frühe Royal Society, bzw. deren Vorgänger, Invisible College geschrieben: Gezeter, Trotz, Duellpistole.
  • Endlich! In der SPD versucht sich ein laizistischer Arbeitskreis zu formieren: Soziale und demokratische LaizistInnen. Ich drücke die Daumen! Wenn Ihr mal rausbekommt, was Eremitenhäuser sind, und warum die eine Millionen € im Jahr brauchen, dann gebt mir bescheit.
  • Nochmal ›Der Freitag‹: Längeres Gespräch mit Susie Orbach »Wir modellieren Körper«, worin dann auch auf das sehr erstaunliche Any-Body-Blog verlinkt wird. Leute davon zu überzeugen, ihren Körper modifizieren zu müssen, bzw. erstmal dafür zu sorgen, dass Menschen sich mit / in ihren eigenen Körper nicht wirklich zuhause fühlen, ist eines der fundamentalsten und perfidesten Herrschafts- & Unterdrückungs-Instrumente die es gibt (und eines der ältesten).

(Deutschsprachige) Phantastik-Funde

  • Die Damen & Herren der deutschen Steampunker.-Site ›Clockworker‹ waren Im Salongespräch: Oliver Plaschka. Oliver ist einer der ganz wenigen deutschsprachigen lebenden Genre-Phantasten, die für mich in die Suppe kommen. Seine »Die Magier von Montparnasse« fand ich richtig gut, mit »Fairwater – Die Spiegel des Herrn Barthalomew« bin ich zu 1/3 fertig und finde es ganz apart, und ich freue mich schon darauf »Der Kristallpalast« zu lesen.
  • Bin im Lauf der letzten Woche wieder von einem Agentur-Menschen angeschrieben worden, der einen Linktausch vorschlägt. Wiederum für eine Verlags-Portal- & Onlinebuchhandel- & Social Netwörk-Site. Diesmal aber für eine ganzer Reihe Verlage, die ich sehr schätze, wie Edition Nautilus, Reprodukt, Kein & Aber. Also, ganz umsonst, hier ein Empfehlungslink auf den Eintrag zu Kurt Vonneguts »Ein dreifach Hoch auf die Milchstraße« (inkl. drei Leseproben) im ›Tubuk‹-Blog.
  • Für den ›Tagesspiegel‹ jubelt Lutz Göllner über Verhängnisvolle Freundschaften, sprich »20th Century Boys« von Naoki Urasawa.
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Wortmeldungen

  • Habe mich im lauf der letzten Woche noch ein paar Mal in dem Exploitation SF-Thread bei ›SF-Netzwerk‹ gemeldet.

Zuckerl

  • ›BoingBiong‹ weist auf Joe Jubnas Schemakarte zu Japanischen Konsolen-Rollenspielen hin: The Japanese RPG formula. Köstlich, und zugleich geeignet als Beweiststück in meinem ewigen Prozess, warum ich mit den allermeisten Franchise-Sachen nix anzufangen weiß, denn was sich auf solche Karten zusammendampfen lässt, kann (in meinen Augen) nicht allzuviel taugen.
  • ›IO9‹ hat eine begrüßenswerte Top-20 mit die Welt rettenden Bibliothekaren zusammengestellt: 20 heroic librarians who save the world.
  • Unglaublich aber wahr. Bei ›Life‹ hat man eine alte Photo-Reportage ausgebuddelt, wie einst, im Januar des Jahres 1941 in den Wäldern des US-Staates Mayland, eine Gruppe Leuts (unter anderem William Seabrook) mit einem Voodoo-Ritual dafür sorgten, dass die Nazis den Krieg verlohren: Putting a Hex on Hitler, 1941.

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Dirk van den Boom: »Tentakelschatten«, oder: Ich mach Dich zur Schnecke!

Eintrag No. 664 — In meinem Wochenrückblick No. 23 habe ich bereits meine Überraschung verkündet, dass ich nach der Hälfte der Lektüre mit diesem Roman ziemlich zufrieden bin, lasse ihm aber gerne einen richtigen Rezi-Eintrag angedeihen. Ich wiederhole hier, was ich im Wochenrückblick schon vorausgeschickt habe: zum ersten, dass Militär-SF eigentlich nicht so mein Ding ist, und zum zweiten, dass, obwohl ich viel Lob für »Tentakelschatten« von Leuten hörte, denen ich einen guten Geschmack bescheinige, ich hin und her gezögert habe, ob ich den Kauf wagen soll, zu einem Gutteil deshalb, weil mir bisweilen Dirk van der Booms Selbstinszenierung mittels seiner Kommentare in einigen Genre-Foren kreuzunsympathisch ist (man möge mir diese Antipathie-Bekundung nachsehen, aber ich finde, solche Dinge spielen eine wesentliche Rolle bei der Lektüre von Romanen, sei es, dass derartige Vorurteile den Lesegenuss vergällen, oder, wie nun, zu unerwarteten, angenehmen Überraschungen führen. — Womit stießen mir Dirks Kommentare bisweilen vor’s Gemüt? Na-ja, mit gewissen, für mich nicht vollends eindeutig als ironisch {oder doch nicht-ironisch?} kenntliche Macho-Attitüden, Geld- & Schnelle-Auto-Verherrlichungen. Damit mag ich mich als Simpel zu erkennen geben, aber so bin ich nun mal.)

Meine ›schlimmste‹ Kritik betrifft nur einen Punkt und kann hier gleich zu Beginn schnell abgehandelt werden: aus dem Buch sind, und ich las die dritte Auflage, immer noch nicht alle Tipp- und Satzfehler ausgemerzt. Etwa ein halbes Dutzend sind mir noch aufgefallen.

Zur Story: Diese besteht aus der einfachen und SF-Fans allseits vertrauten Standardsituation, dass fremdartige Außerirdische — etwa zwei Meter große Schneckenmonster, die Menschenhirne als Dünger für ihren Nachwuchs nutzen — mit ihren vielen vielen Schiffen eine von dieser Erstkontakt-Invasion völlig überforderte Menschheit überrumpeln.

Handlungsstrang No. 1 bietet die militärische Perspektive mit Raumschiffen. Da ist am Rande der menschlichen Einfluss-Sphäre ein abgenudeltes Patrouillenschiff unterwegs. Die Menschheit hat vor nicht allzu langer Zeit einen Bürgerkrieg (Kolonien gegen Zentrum, und die Kolonien haben verloren) hinter sich gebracht, und die Besatzung der Malu besteht aus während des Bürgerkriegs in Ungnade Gefallenen und Karriere-Verlierern, angeführt vom moralisch aufrechten aber desillusioniert-verbitterten Jonathan Haark. Schon hier kann ich van den Booms Tugend der pfiffigen Details lobend erwähnen, wenn er schildert, wie der Schiffskoch mit zweifelhaften Rationen umgeht; warum es besser ist, einem Säufer am Pult zwischendurch eine Pause zu gönnen; und unter wessen Pult entsorgte Kaugummis pappen.

Handlungsstrang No. 2 liefert die militärische Perspektive von der Planetenoberfläche. Die Marinesoldatin Rahel Tooma hat sich nach ihrem Rückzug aus der Truppe auf der Farmkolonie Lydos niedergelassen. Lydos ist einer der ersten Planeten, der von den Tentakeln angegriffen wird, und Rahel organisiert zielstrebig die Flucht und Verbunkerung der Bedrängten in die ausgedehnten Dschungelgebiete. — Natüüürlich ist hier erwähnenswert, dass Rahels lesbische Orientierung nicht nur eine flüchtige Nebensächlichkeit bleibt, sondern anhand einer etwa 2 Seiten langen Sexszene schön veranschaulicht wird (a la ›Entspannung & Belohnung für die tapfere Überlebenstrupp-Anführerin‹). Hier kann ich auf das m. E. nach vorhandene ›Klischee‹-Verwertungsgeschick van den Booms hinweisen, denn Sexszenen sind ja berüchtigt heikel zu schreiben (und zu lesen). Ich hab geschmunzelt, aber nicht über das Ungeschick des Autors, sondern weil Sex, sobald man ihn mehr als ein paar Zeilen lang beschreibt, mich immer zum voyeuristischen Schmunzeln bringt, vor allem, weil die deutsche Sprache hier schnell lächerlich wirkt. (Und solch Schmunzeln ist dann vergnüglich, wenn die Sach nicht bricht, einknickt, platzt oder hintüberkippt, sondern eben schmatzt und flutscht wie hier … dann passt mir das durchaus in den Kramlechz).

Handlungsstrang No. 3 konzentriert sich auf die informations- und nachrichtendienstlichen Aspekte der Bedrohung. Der geniale Autist De Burenberg auf der Station Thetis puzzelt als erster aus der Datenflut zusammen, dass der Menschheit eine große Bedrohung aus dem Unbekannten zu Leibe rückt. Sehr amüsant, wie er und sein Verbindungsoffizier in weiterer Folge im vierten (dem politischen) Handlungsstrang ihre liebe Not damit haben, TrottelBürokraten und IntrigenHengste von den Fakten zu überzeugen. Mit dem politischen Handlungsstrang lernt der Leser zudem auch die Zustände der höchsten Machtzirkel auf Terra kennen.

Der einzige Handlungsstrang, mit dem ich etwas, aber nicht allzu unzufrieden war, schildert die Invasion aus Sicht des ersten Tentakelscouts. Für mich kann ein Text kaum zu exotisch oder zu exzentrisch werden, wenn es gilt, etwas wahrhaftig Un-Menschliches und Außerirdisches darzustellen. Dass van den Boom auf Nummer Sicher geht, mag ich ihm nicht objektiv ankreiden, ist doch meine leichte Enttäuschung bedingt durch meine Vorlieben für, und mein Verlangen nach Abwechslung stiftenden, richtig befremdlichen Alien-Seltsamkeits-Passagen. — Um genau zu sein: ich finde es ›schade‹, aber nicht ›schlecht‹, dass Dirk hier nicht versucht, dem Fremden eine höchst-eigene Sprache, Perspektive und Erzähl-Struktur zu verleihen.

Die Lehre, die ich Lesern und Autoren aus meinem Gefallen an »Tentakelschatten« liefern kann, lautet: mir ist ein gradliniger, einfacher Reisser lieber, wenn er schreibhandwerklich solide verfasst ist, meine Zeit nicht mit nervig vielen Wiederholungen bereits gelieferter Infos vergeudet, als ein ambitionierteres Werk, das mit inkonsequenten Stil und zu fahrig gestricktem Erzähl-Gewebe stresst. — Van den Boom versteht es, Äktschn, Hintergrundinfos, Charakterentwicklung mundgerecht strukturiert kurzweilig aufzufädeln. Meine Sympathie kann der Autor aber insbesondere mit einem ständig präsenten Hintergrundthema für sich gewinnen, wenn er darlegt, wie Korruption, Vetternwirtschaft, Bequemlichkeit und Misswirtschaft die logistische, personelle und nachrichtendienstliche Effektivität der Menschensphäre schwächt (die heraus lesbare Ähnlichkeit mit unserer gegenwärtigen Gesellschaft stiftet einfach zu wohl tuendende Effekte). — Am Ende des Buches, nach vielen bitteren Niederlagen und nur wenigen hoffnungsstiftenden kleinen Siegen sieht der Leser die Menschheit denkbar schlecht gegen die Übermacht der fremdartigen Tentakelschnecken-Invasoren aufgestellt.

Ich bin mehr als geneigt, in den kommenden Monaten auch zu den Folgebänden »Tentakeltraum« und »Tentakelsturm« zu greifen, wenn mich in Zeiten besonderer Anforderungen durch meinen Brotjob das (hoffentlich verzeihliche) Verlagen überkommt, schlicht eine ›nur‹ vergnüglichen ›Eskapismus‹ fördernde Arbeitsweglektüre genießen zu wollen. — (Und Dirks mich empörende Foren-Entgleisungen werde ich fürderhin mit größerer Milde zu lesen verstehen, eingedenk meines nun vorhandenen Respekts für ihn, dass der Mann eben Ahnung hat, wie man das ›wenige‹, was man sich als Unterhaltungsautor vornehmen kann, befriedigend umsetzt.)

Interessant und damit lesenswert ist der Lesezirkel zum Buch bei SF-Fan.de.

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Dirk van den Boom: »Tentakelschatten«; 33 Kapitel auf 208 Seiten; Atlantis Verlag 2007 (Dritte Auflage 2008); ISBN: 3-936742-82-0.
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